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Die Problematik der göttlichen Naturordnung und die Erkenntnis

In den Jahren nach ihrer Heirat führt Pave ein unruhiges Leben, fern von ihrer gelieb-ten Heimat. Immer wieder wird ihr Mann versetzt, nirgends ist sie imstande Fuß zu fassen. Das unstete, durch häufi ge Veränderungen geprägte Leben einer Offi ziersfrau wirkt sich auf sie belastend aus. Es fällt ihr schwer ein ruhiges Heim zu schaffen.

Sie fühlt sich fremd, sehnt sich nach Dalmatien, Zara und Lukoran. Allein in ihrer starken Liebe zu Pero fi ndet sie Halt. Während ihrer Bahnreise nach Laibach macht sie jedoch eine ungewöhnliche Erfahrung. Zum ersten Mal ergreift sie ein Gefühl der Faszination für eine fremde, unbekannte Landschaft. In der folgenden Passage ist das deutlich sichtbar:

Heute sah Pave entzückt auf das sich höher türmende Gebirge, auf die Felsen, die nun schon da und dort nackt der Erde entbrachen, auf das Gewirre ihr unbekannter niederer Stauden und kleinblätteriger Farne und Moose. Obwohl nun gebräunt oder vergilbt, ohne

Blüten und Früchte, erschienen sie ihr doch […] als so lieblich und lockend, daß sie den heftigsten Wunsch empfand, trotz des feuchten Novembertages auszusteigen und inmitten dieser holden, heimlichen Pfl anzenwelt stille und lange Stunden zu verweilen.316

Pave fühlt sich von der fremden Landschaft stark angezogen. Diese Faszination, die in ein Gefühl der Liebe zu fremder Erde und der beseelten Natur übergeht, ist eine vollkommen neue Erfahrung für sie. Indem sie die geistigen Eindrücke der Reise verarbeitet, gewinnt sie die Einsicht, es sei durchaus möglich auch fremde Landschaften lieben zu lernen. Dabei handelt es sich um eine Erkenntnis, die Paula von Preradović mehrere Jahre vor der Entstehung des Romans machte, als sie Pola verließ und die niederösterreichische Landschaft, später auch das Tiroler Hochgebirge kennenlernte. Deshalb beschränkt sich die Autorin in den Prosawerken nicht nur auf die Darstellung ihrer engeren Heimat, der Heimat am Meer, sondern beschreibt auch das Land an der Donau und die Berglandschaft der Alpen. Sie vergleicht beides miteinander, zeigt Gegensätze und Ähnlichkeiten, was der folgenden Textstelle zu entnehmen ist:

[…] schöne, weit ausholende Buchen, deren Laub freilich zumeist als ein rostbrauner Teppich unter sie hingebreitet lag, standen untermischt mit mächtigen dunklen Tannen und Fichten. Die Berge rückten näher heran, und Pave sah sich mit herzklopfendem Entzücken in eine fremde zauberhafte Welt versetzt, wie sie eine ähnliche nur einmal, vor fünf Jahren, erblickt hatte, als sie, von Ragusa kommend und nach Agram reisend, das bezwingend schöne Bergland des Gorski Kotar im Reisewagen durchquert hatte […].317

In der nachstehenden Passage wird der Augenblick beschrieben, als in der Reisenden die Liebe zu der fremden Berglandschaft, von der sie sich zunehmend fasziniert fühlt, auffl ammt:

Und sie begriff plötzlich beim Anblick dieses vorbeifl iegenden, sie so seltsam rührenden schlichten Waldbodens, daß jede Landschaft ihre eigene unverwechselbare, lebendige Seele hat, die sich dem Menschen, der ihrem Grund entsprossen ist, auf ewig einprägt, sofern der Adelsname Mensch überhaupt auf ihn Anwendung fi nden darf. Sie verstand, daß der dichte Wald […], daß das mannigfaltige, schluchtenreiche Gebirge, der strömende Bach, das vielfache Leben der Wiesen und Hänge […], daß all dies für die Menschen dieser Breiten berauschende, nie genug zu liebende, tief eingewurzelte Heimat war […]. Und zum erstenmal, seit sie ihren eigenen Mutterboden verlassen, seit sie, eine Unbehauste, Nirgend-Erkannte, in immer wechselnden Städten und Ländern gewohnt hatte, ergriff sie Liebe zu fremder Erde, gerührte Zärtlichkeit, Verstehen und der heiße Wunsch, verweilen, besser erkennen und tiefer lieben zu dürfen.318

316 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 481.

317 Ebd.

318 Ebd., S. 483.

Diesem Abschnitt ist zu entnehmen, dass der Mensch von der Seele der Landschaft geformt wird. Reginald Vospernik zufolge handelt es sich hier um eine Erkenntnis, die für Paula von Preradović von grundlegender Bedeutung war. Der Literaturwissen-schaftler äußerte die Überzeugung, dass in den Werken der Dichterin aus der Liebe zur Landschaft die Liebe zum Menschen in der Erkenntnis des einheitlichen Lebens, und als Folge dieser schließlich die Liebe zu Gott erwächst.319 Meiner Meinung nach müsste diese Reihenfolge jedoch verändert und die Liebe zum Schöpfer der Liebe zum Menschen vorangestellt werden.

In den Werken der österreichischen Dichterin sind Entwurzelung und Disharmonie im Leben des Menschen eine Folge der Sünde, der Abwendung von der göttlichen Ordnung oder – wie in Paves Fall – des mangelnden Vertrauens. Der »unorganische Mensch« vermag sein Dasein nicht zu meistern, weil seine religiösen Bindungen zu schwach sind.320 Nur derjenige, der sich auf die eigene Bestimmung besinnt und die göttliche Ordnung anerkennt, kann einem solchen Schicksal entgehen und aus der neuen Einsicht heraus den Weg in ein anderes, besseres Leben fi nden. Der »organische Mensch« besitzt die Fähigkeit von der Natur zu lernen und die göttlichen Botschaften und Zeichen, die in der Natur enthalten sind, zu erkennen und zu verstehen. Die me-diterrane Landschaft mit ihren zahlreichen Kontrasten – der Kargheit und Üppigkeit der Vegetation – bildet zugleich eine unerschöpfl iche Quelle der Lebensweisheit für jeden, der bereit ist die Welt mit den Augen des Glaubens zu betrachten. Die göttliche Naturordnung äußert sich nirgendwo deutlicher, als in der Harmonie der adriatischen Landschaft. Die Mannigfaltigkeit der Vegetation, zu der sowohl die graugrüne Mac-chie als auch der blühende Oleander, Ölbaum und Mandelbaum, Föhre und Platane, Korkeiche und Maulbeerbaum, Zypresse und Akazie sowie Wacholder, Ginster, Veilchen, Traubenhyazinthe, Myrte, Thymian, Mohn und Krokusstern gehören, ist in den Augen des gottvertrauenden, »organischen Menschen« ein Zeichen für die Fülle der Schöpfung. Sie gibt Aufschluss über die Natur Gottes, den Reichtum seines Wesens und die Unerschöpfl ichkeit seiner Liebe.

Zu den wichtigsten Sinnbildern in Preradović’ Texten aus dem Kreis der christlichen Symbolik gehört der Hirte, eine fast mythische Gestalt, die aus der Mittelmeer-landschaft und der südslawischen Sagenwelt nicht wegzudenken ist. Deshalb soll ihm in den folgenden Kapiteln mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. An dieser Stelle sei nur angedeutet, dass der Hirte auch im Roman Pave und Pero erwähnt wird. Obwohl er in diesem Werk ausnahmsweise mit Namen – es ist Ivo, Gondolas Schafshirte – genannt wird, handelt es sich um eine typisierte Figur.321 Er ist einer von vielen einfachen Menschen, Bewohnern der Adriaregion, die im Text dargestellt

319 Vgl. Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović. Leben und Werk, Wien 1960, S. 50.

320 Vgl. ebd., S. 113.

321 Pave und ihre Bekannten begegnen dem Hirten Ivo auf der Halbinsel Lapad. Dieser wird im nachste-henden Abschnitt folgendermaßen beschrieben: „[…] Die Sonne stand jetzt tiefer und brannte weniger sengend.

Auf dem schmalen Pfad zwischen der die Halbinsel überwuchernden Macchia und den zum Meer abfallenden Klippen wanderten sie angesichts des weitgerundeten Himmelsbogens langsam dahin. Die Freundinnen hatten zierliche Schirme aufgespannt, Möwen fl ogen weiß blitzend über ihnen hin, eine Schafherde, geleitet von einem uralten Hirten mit rotem Fez und breiten blauleinenen Pluderhosen, der an einen Krückstock gelehnt

werden. Diese Gestalten leben in und mit der Natur, deswegen symbolisieren sie auch die Idealform der menschlichen Existenz. Sie versinnbildlichen das Unveränderliche und das Beständige, denn die großen Weltereignisse scheinen auf ihr Dasein keinen Einfl uss zu haben. Die Einsamkeit, in der sie leben, lässt sie das Wesentliche besser erkennen. Für sie ist Gott leichter erfahrbar als für den Großstadtmenschen. Der Hirte symbolisiert den idealen, harmonischen, vollendeten Menschen, der durch das Leben in und mit der Natur dem Stadtbewohner in vieler Hinsicht überlegen ist. Er ist der

»organische«322 Mensch schlechthin.

2.7 Die Unvollkommenheit einer nicht auf Gott bezogenen