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Im Roman spielt das Motiv der Naturkräfte eine besondere Rolle. An vielen Stellen ist vom Element des Wassers die Rede, dessen wichtigste Funktionen im weiteren Verlauf des Kapitels beschrieben werden sollen. Das Wassersymbol hat zwei entge-gengesetzte Bedeutungen: Auf der einen Seite versinnbildlicht es Leben, Heilung, Hoffnung und Reinigung, auf der anderen Todesgefahr und Zerstörung. Es ist ein Symbol für Lebenskraft und Erneuerung, aber auch ein Sinnbild für den Übergang in die Welt des Todes. Beide Aspekte kommen im Text deutlich zum Ausdruck. Zum Einen stirbt Pave im Wasser des Flusses Monticano, zum Anderen aber inspiriert das Rauschen des Meeres den Dichter Pero zu neuem Schaffen. Es weckt auch in Pave das Gefühl der inneren Ruhe und Geborgenheit, denn sie assoziiert es mit ihrer geliebten dalmatinischen Heimat. Andererseits bringt es auch melancholische, sehnsuchtsvolle Erinnerungen zum Erwachen, die anstatt ihr in der Fremde inneren Halt zu gewähren, sie nach und nach in den Abgrund ziehen.

Dem Meeresmotiv kommt in den Werken der österreichischen Autorin eine wichtige Bedeutung zu. Es tritt zumeist in Verbindung mit anderen Motiven, wie z.B. dem Heimwehmotiv, dem Traummotiv, dem Schiffsmotiv, dem Inselmotiv, dem Sternen-motiv, dem SonnenSternen-motiv, dem SturmSternen-motiv, dem Windmotiv und dem Perlenmotiv auf.360 Vom Meeresmotiv und den meisten verwandten Motiven wird in diesem und in den folgenden Kapiteln ausführlicher die Rede sein. Es sei jedoch schon jetzt darauf hingewiesen, dass das Meeresmotiv für den Wunsch der Rückkehr in das Land der

359 Vgl. ebd., S. 71.

360 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 55.

Kindheit und der Jugend steht.361 Im Roman hegt Pave einen solchen Wunsch, der jedoch nie in Erfüllung gehen soll. Sooft sie sich nach ihrer Heimat sehnt, denkt sie an das Rauschen des Meeres in Lukoran. Preradović verwendet das Meeresmotiv auch als Mittel des Kontrastes, wenn z.B. während Peros Reise zu Paves Verwandten nach Zara parallel die strahlend blaue Adria und der seelische Schmerz des Protagonisten gezeigt werden.362

Die idyllische mediterrane Landschaft Dalmatiens mit den in ihr wirkenden Naturkräften bildet einen natürlichen Rahmen für die Geschichte der beiden Liebenden. Der Roman beginnt und endet mit zwei gleichnamigen Kapiteln, deren Titel Und ewig rauschen die Wasser um Lukoran lautet. Der Maestral363 treibt das Segelboot des Reisenden über den Meeresarm von Zara (Zadar) zur Insel Ugljan, wo der Ort Lukoran liegt.

Die Fahrt dauert jedes Mal kurz, denn der Wind bläst kräftig in die Segel und treibt das Boot voran. Er ist ein „schöner, herrlicher Wind […] der Maestral, Sommerwind, Mittagswind, blau blasend aus Nordwest. Er macht die Luft rein und die Herzen froh, er läßt die Wellen tanzen und die Segel fl iegen. Selig schreiend gleiten die Möwen auf seiner luftigen Schwinge dahin“.364 Der Maestral symbolisiert die unbeschwerte junge Liebe Paves und Peros.365 Im Vergleich „[…] er blättert in den Zweigen des Ölbaums, so daß sie aussehen wie weißes Gefi eder […]“366, erscheint das zarte, bräutliche Ge-fühl.367 Der Reisende braucht bei der Überfahrt „keine Geduld, selbst wenn er weiß, daß drüben in dem kühlen Haus seine Braut auf ihn wartet. Kaum wird das weiße Zara hinter ihm zurückgeblieben sein, so wird ihm schon die Insel deutlicher und farbiger entgegenrücken“.368 Doch ebenso kurz dauert die Fahrt, wenn der Reisende sich insgeheim wünscht, er käme nie in Lukoran an. Unerbittlich treibt der Wind das Boot voran, denn er lässt sich durch menschliche Wünsche nicht beeinfl ussen. Und auch dann, wenn der Reisende ein tragisches Schicksal erlebt, verliert der Maestral nichts von seiner Schönheit. Der Wind wird „dein Boot froh und blitzschnell über den Meeresarm treiben, und mag dein Herz auch noch so schwer sein. Die weiße Stadt wird hinter dir zurückbleiben, kaum daß du dich dessen versiehst […] und das Boot wird früher, als es dir lieb ist, in den kleinen runden Hafen einlaufen. Denn die lange fort gewesen sind, fürchten die Wiederkehr“.369

361 Vgl. ebd., S. 104.

362 Vgl. ebd., S. 137f.

363 Der Maestral ist ein thermischer Nordwestwind, der im Frühling, Sommer und Herbst weht und von schönem Wetter begleitet wird. Er setzt gegen zehn Uhr früh ein und weht bis zum Sonnenuntergang. Dabei erreicht er eine Stärke von maximal fünf Beaufort. Im Süden Kroatiens weht er stärker, als im Norden. Man versteht unter dem Begriff »Maestral / Mistral« jedoch vor allem einen rauen, meist trockenen und kalten Fallwind in Südfrankreich (Rhônetal, Provence) (vgl. »Mistral«, in: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, Band 18, Leipzig/Mannheim 2006, S. 553).

364 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 379.

365 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 147.

366 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 379.

367 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 147.

368 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 379.

369 Ebd., S. 736.

Der Maestral und die um Lukoran ewig rauschenden Wasser stehen in dem Text für die Kräfte der Natur, welche ständig am Werk sind und das Antlitz der Erde formen.370 Sie tun dies unabhängig vom Menschen, von seinen Freuden und Nöten, Siegen und Niederlagen, Triumphen und Schicksalsschlägen. Das Motiv der ewigen, unverän-derlichen Naturkräfte tritt vor allem auf den letzten Seiten des Romans deutlich zum Vorschein. Folgende Textpassage bringt ein Beispiel dafür:

Du magst wiederkehren, von wo immer du willst. Du magst auf riesigen neuen Dampfern durch fremdes Meer gefahren sein und in fremden Ländern gewohnt haben; du magst Geld aufgestapelt und Ruhm geerntet oder all das Deine eingebüßt haben. Viel Zeit mag vergangen, dein Haar mag grau und dein Angesicht runzlig geworden sein. Draußen in der Welt mögen sie Städte erbaut und Reiche zertrümmert haben. Auf den Inselrücken hier aber wird Ginster und Thymian wachsen wie vor alters, […] und auf verborgenen Klippen werden Möwen ihre Nester haben, die niemand kennt. Schmetterlinge werden den Oleander umtaumeln, aus der brüchigen Mauer wird lang und braun die Schlange sich winden […].

Durch die blaue Meerfl ut […] werden große silberne Fische mit bösen Gesichtern leise dahinschwimmen […]. / Gischtig wird die Brandung aufspritzen, wenn der wilde Wind aus Südwesten kommt, scharf und kalt wird die Bora vom Gebirge niederfahren, grau und schleimig-feucht werden Meer und Insel in der Schirokkoluft liegen.371

Dem Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sich den Kräften der Natur und den Gesetzen des Lebens zu unterwerfen. Diese sind nicht gegen ihn gerichtet, sondern stellen in der Auffassung der erzählenden Instanz ein Werkzeug in den Händen Gottes dar, spielen also in der Heilsökonomie eine bedeutende Rolle. Natürlich kann sich der Mensch diesen Kräften widersetzen, so wie er sich allen göttlichen Handlungen, die auf die Vollendung des in der Offenbarung verheißenen Heils abzielen, und sogar dem Schöpfer selbst entgegenstellen kann. Er muss jedoch damit rechnen, dass er daran zugrunde geht. Paves Unglaube, Verzweifl ung und Aufl ehnung gegen den Tod ihres Kindes, welcher trotz seiner scheinbaren Sinnlosigkeit den Heilswillen Gottes372 nicht ausschließt, lassen die sensible Frau zugrunde gehen.

370 Neben dem Maestral werden im Roman, aber auch in einigen anderen Texten der Dichterin, noch zwei andere Arten des Windes genannt: die Bora und der Schirokko (Scirocco). Allen drei Typen kommt eine symbolische Bedeutung zu, die in den nächsten Kapiteln erläutert werden soll (z.B. biblische Windsymbolik in der Novelle Die Versuchung des Columba). Jeder dieser Winde wird anders beschrieben und weckt unter-schiedliche Assoziationen. Der Wind ruft bestimmte Stimmungen hervor und begleitet oder kündigt gewisse Ereignisse an. So weht z.B. die „kalte Bora“ (ebd., S. 609) kurz vor Cotias Tod. Sie wird auch zusammen mit religiösen Elementen in einem bildhaften Vergleich verwendet, um die Orgelmusik während der Liturgie des Requiems zu beschreiben. Gleichzeitig kontrastiert jedoch die erzählende Instanz die grauenerregenden Töne mit der Ruhe und Schönheit des Frühlingsmorgens: „Die Orgel donnerte und dröhnte. / Wie brandendes Wintermeer, wie heulende Böen, wie das Schreien der Möwen im Borasturm fuhr es daher und füllte Sanso-vinos helle Kirche mit den Schaudern des Jüngsten Gerichtes, während das Licht des Maienmorgens durch die hohen Fenster fi el“ (ebd., S. 706).

371 Ebd., S. 735.

372 Unter dem Begriff des »Heilswillen Gottes« versteht die Theologie die Erkenntnis, dass Gott die Erlösung und Vollendung der Schöpfung will. Die Offenbarung dieses universalen Heilziels erreicht ihren

Zu den wichtigsten Motiven des Romans gehört ferner das Motiv des Hauses in Lukoran. Das Landhaus der Familie de Ponte ist von einem Garten umgeben, in dem u.a. Pero einige seiner bekanntesten Gedichte verfasste, und liegt in der Nähe eines kleinen Hafens. Von der Mole gelangt man direkt zum Gebäude, dessen Front mit Fensterläden versehen ist.

Dieses Haus spielt in Peros Leben eine besondere Rolle. Es ist der Ort, an dem seine Geliebte wohnt und er sie immer wieder besucht. Mit Lukoran hängen die schönsten Erinnerungen seines Lebens zusammen. Nach Paves Tod reist er noch einmal nach Dalmatien, um die Verwandten seiner Frau zu treffen. Kurz nach der Ankunft auf der Insel befällt ihn ein Gefühl der Fremde. Das Gebäude „sah Pero abweisend an, fremd und seelenlos lag es in der Sonne, ein Schrein, aus dem das Geschmeide entwendet worden war. Nie hätte ich hierherkommen dürfen, dachte Pero, denn nirgendwo kann meine Einsamkeit mir bitterer bewußt werden als hier“.373 In Lukoran wird er sich zunächst der Sinnlosigkeit des Todes seiner jungen Frau klar, schien doch der Garten „nach so vielen Jahren noch die Spuren ihrer kleinen Füße zu bewahren“.374 Dieser Ort erweckt den Eindruck, als ob er sich seit ihrer Heirat nicht verändert hätte.

Die Oleander blühen wie damals und die große Föhre, unter der Pero einige seiner schönsten Dichtungen verfasste, steht noch an ihrem Platz. Doch dann überkommt es ihn plötzlich inmitten „der üppig blühenden, lebendurchschwirrten, in der Sonne siedenden Landschaft […] als ergössen sich in seine Seele alle Wasser der Welt; alles Licht schien sich darin zu sammeln“.375 Er erlebt einen inneren Wandel. Es ist – wie man wohl annehmen kann – der Anfang eines langwierigen Prozesses, der erste Schritt zur Bewältigung der schweren Krise. Nur an dem Ort, wo alles begann und Pero seine glücklichsten Tage erlebte, kann es auch zu seiner geistigen Erneuerung kommen. Das meerumrauschte Haus in Lukoran bildet das Rahmenmotiv des Romans. Es taucht im ersten und im letzten Kapitel auf, öffnet und schließt den Kreis der Handlung und hat deshalb eine wesentliche Bedeutung.

Das Motiv der Sehnsucht spielt im Roman eine zentrale Rolle. Man fi ndet es auch in anderen Texten der Dichterin, wo es zumeist die Landschaftsbilder beherrscht.376 Bereits am Anfang des Werkes fi ndet der Leser eine Textstelle, in der eine sehnsüchtige und traumhafte Stimmung zu erkennen ist: „Und wie berauschend und lockend ist das süße Licht eines Märzennachmittags, wenn das frühe Jahr und der späte Tag sich

Höhepunkt in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi. Der Heilswille wird jedoch bereits im Alten Tes-tament begreifbar, da trotz der Konzentration auf das Volk Israel, JHWH als alleiniger Retter und Richter aller Völker dargestellt wird (z.B. Psalm 96, Psalm 98). Das Licht der einzigartigen, befreienden Liebe Gottes will alle erleuchten (Joh 1,9) und die Sünde der ganzen Welt hinwegnehmen (Joh 1,29). Obwohl Gott allen die zur Erlangung des ewigen Lebens notwendigen Gnadenhilfen schenkt, wirbt er um die freie und aufrichtige Annahme durch die Menschen. Diese kann aber auch ausbleiben (vgl. »Heilswille Gottes«, in: Walter KASPER (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4, Freiburg im Breisgau/Wien [u.a.]

1994, S. 1355–1357).

373 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 736.

374 Ebd., S. 737.

375 Ebd., S. 738.

376 Vgl. Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović, a.a.O., S. 62.

zusammentun, um dich mit den herbsten und doch lustvollsten Tönungen zu Traum und Sehnsucht zu verführen“.377

Paves Gedanken sind häufi g von einer Melancholie geprägt, die sich auf ihre Sehnsucht nach dem Verweilen und dem Aufgehen in der Natur, sowie nach einer ursprünglichen Harmonie von Mensch, Natur und Gott – also einer mythischen Geborgenheit – zu-rückführen lässt. An dieser Sehnsucht muss sie schließlich zerbrechen, weil sie sich mit der bestehenden Ordnung nicht eins weiß.378 Auch Pero wünscht sich die Nähe zur Natur, allerdings nimmt seine Sehnsucht nach Cotias und Paves Tod keine destruktiven Züge an, was er seiner inneren Disziplin und den tief religiösen Überzeugungen zu verdanken hat. Im Gegensatz zu Pero ist Pave nicht imstande, ihrer Sehnsucht Grenzen zu setzen. Der Wunsch in der Schönheit der Natur Vergessen zu fi nden treibt sie schließlich zur Flucht aus der Wirklichkeit. Folgender Abschnitt beschreibt Paves Gedankengänge und lässt deutlich die Unterschiede zwischen der jungen Frau und ihrem Gatten erkennen:

Pave lehnte sich auf die Brüstung der Brücke und blickte fl ußabwärts. […] Das leise Fließen des Livenza schien Pave wie ein süß einlullendes Lied. Sie liebte die Laute des Wassers mehr als alle Musik der Welt. Freilich war nichts so süß vertraut und vertrauenswürdig, so sehnsuchtstillend und aller Sehnsucht wert wie das Lied des Meeres, da es daheim an den Garten von Lukoran angeschlagen, da es die Insel umbraust, umfl üstert, umschmeichelt hatte, da es Tag und Nacht als der holde Goldgrund, vor dem das Leben sich abspielte, in ihrem Ohr gewesen war. Aber auch dies sachte Gleiten des Flusses war schön. Wie ein sanftes Gespräch fl oß es dahin, es schien alle Schwere fortzunehmen, alle Trauer einzulullen, auf alle Fragen eine leise und linde Antwort zu wissen. Pave erinnerte sich, daß Pero einmal gesagt hatte: »Nichts auf der Erde kann schöner sein als das Spiel des Lichtes auf einer Wasseroberfl äche.« Pero bedurfte keines Trostes. Er beherrschte das Leben und riß Rausch und Schönheit an sich. Sie aber, die sie nicht sosehr der Schönheit als der lindernden Hilfe bedurfte, wollte sein Wort dahin abwandeln, daß es nichts Beschwichtigenderes gab als das heimliche Reden eines Gewässers.379

Die zarte Frau fi ndet den Tod im Fluss Monticano, dessen leises Plätschern, ähnlich wie das des Livenza, sie an das Rauschen der Adria erinnert. Sie assoziiert das Ge-räusch des Wassers mit der Ruhe und Geborgenheit ihrer Kinder- und Jugendjahre in Lukoran. In der Flucht aus der für sie unerträglichen Wirklichkeit äußert sich der Wunsch nach der Rückkehr in diese unbeschwerte Zeit.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass neben dem Verlangen nach dem Verweilen und dem Aufgehen in der Natur, die Sehnsucht nach der verlorenen dalmatinischen Heimat im Text eine bedeutende Rolle spielt. Sie ist von Anfang an in Paves Gedanken präsent, doch nach Cotias Tod erreicht sie nie dagewesene Ausmaße. Als Toni seine beiden Schwestern in Motta di Livenza besucht, werden in Pave alte Erinnerungen an

377 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 385.

378 Vgl. Reginald VOSPERNIK: Paula von Preradović, a.a.O., S. 62.

379 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 516f.

Lukoran wach und eine „Sehnsucht, die ihr Herz zerbrechen wollte, erfaßte sie nach dem Land ihrer Kindheit […] und als ihr einfi el, daß ihre kleinen Töchter noch nie in Lukoran die Steintreppe emporgestiegen waren, noch nie den Geruch der alten Zimmer gespürt hatten, mußte sie die Zähne zusammenbeißen, um das Weinen zu verhalten“380. Paves Heimweh erinnert an die Sehnsucht der Autorin nach ihrer adriatischen Hei-mat. Diese zieht sich wie ein Leitfaden durch ihr gesamtes Werk, wovon die vielen Erinnerungsbilder an das Land der Kindheit und Jugend zeugen. Sowohl bei Pave als auch bei der Dichterin ist die Reminiszenz an die mediterrane Landschaft mit einem starken Heimwehgefühl verbunden. Paves Sehnsucht trägt neuromantische Züge. Ihr Heimaterlebnis ist, wie bei Preradović, ein Landschaftserlebnis und unterscheidet sich von der leidenschaftlichen Heimatliebe Peros, dessen volle Aufmerksamkeit und Hingabe dem kroatischen Volk gilt.381 Die Sehnsucht der Autorin hat viel mehr mit dem Heimwehgefühl Paves gemein als mit dem illyrischen Patriotismus Peros.382 Sowohl bei ihr als auch bei Pave verbirgt sich hinter dieser Sehnsucht der Wunsch nach der Flucht aus einer schwer zu ertragenden Gegenwart in eine bessere, ruhigere, fast utopisch anmutende Welt, für die symbolisch die mediterrane Heimat steht. Betrachtet man die Umstände, unter denen der Roman entstand, erscheint es mehr als verständlich, dass im Gemüt der Autorin, deren geistige Wurzeln in der Donaumonarchie verankert waren, ein derartiger Wunsch aufkam.

Traumhaft, sehnsuchtsvoll und von Melancholie durchsetzt sind auch die mediterranen Landschaftsbilder, die meistens mit der Stimmung der Protagonisten korrespondieren oder kontrastieren. Als Beispiel seien hier die einsamen Meeresbuchten, der Garten von Lukoran oder der Ölgarten auf Lapad, in dem August Kaznačić Pave über den vermeintlichen Tod ihres Verlobten aufzuklären gedenkt, angeführt. Dieser wird folgendermaßen beschrieben:

Die fahlen, gewundenen Stämme der Ölbäume stiegen aus der dämmerigen Wildnis des Unterholzes empor und hielten das schüttere Dach ihrer silbrigen Kronen ins Spätnach-mittagslicht hinauf: Aus verborgenen Nestern tönten die leisen Stimmen brütender und sorgender Zeisige, mannshohe Wolfsmilchsträucher entfalteten das vielgestufte Grün ihrer Blüten und Blätter. […] Eine lange und dicke Schlange wand sich mit lautlos urweltlichem Gleiten zwischen den grauen, locker geschichteten Steinen hervor und ließ sich leise raschelnd im trockenen Ölbaumlaub nieder, das den eisenroten Erdboden bedeckte. Sie hob ihr nächtiges Gesicht, schaute mit ihren wie Jetperlen glänzenden Augen starr ins ungewohnte Licht, züngelte graziös, glitt weiter zwischen den Gräsern, die durch sie in wogende Bewegung versetzt wurden, und verschwand hinter einem großen Stein […].383

380 Ebd., S. 592.

381 Vgl. Zorka ORLANDIĆ, a.a.O., S. 219.

382 Zorka Orlandić ist der Auffassung, dass Paula von Preradović ihre eigene Sehnsucht nach dem Süden nie mit politischen Motiven begründete (vgl. ebd.). Die Autorin war keine Anhängerin der Illyrischen Bewe-gung, doch sie begegnete ihr mit einer gewissen Sympathie. Der Illyrismus war für sie hauptsächlich deshalb von Bedeutung, weil er auf das Leben und Werk ihres Großvaters prägte.

383 Paula von PRERADOVIĆ: Pave und Pero, a.a.O., S. 407f.

Es ist kein Zufall, dass Pave die tragische Nachricht in einem Ölgarten erfahren soll.

„Sind die Ölbäume nicht traurige Bäume? Hat Jesus Christus nicht unter Ölbäumen Blut geschwitzt? […]“384, fragt sich Kaznačić. Er wählt absichtlich diesen Ort, dessen Stimmung ihm angemessen erscheint, um Pave über den Tod ihres Verlobten aufzuklären.

Unter den vielen Motiven des Romans spielt das der Entsagung eine besonders wichtige Rolle. Dieses Motiv ist textübergreifend, da es in mehreren Werken der Dichterin vorkommt. In der Königslegende erfüllt es eine zentrale Funktion. Es ist aber bereits im Roman Pave und Pero vorhanden. Ähnlich wie in anderen Texten der österreichi-schen Schriftstellerin ist der Verzicht auch hier nicht als demütigende Einschränkung der menschlichen Freiheit, sondern vielmehr als freie Entscheidung des bewussten Individuums zu verstehen. Zu dieser kommt es aufgrund von Erkenntnis. Leidhafte Erfahrungen und Krisensituationen können Refl exionen über die eigene Existenz aus-lösen. Sie veranlassen den Menschen, mehr Aufmerksamkeit seinen inneren seelischen Räumen zu widmen und schaffen Bedingungen für grundlegende Veränderungen. Die Verzichtsentscheidung vollzieht sich immer auf der Grundlage der Freiheit, wobei die christlichen Ideale der Protagonisten von großer Bedeutung sind. Daraus ist das christlich-humanistische Menschenbild der Dichterin zu erkennen.

Der Leser wird mit dem Motiv der Entsagung u. a. während des ersten Aufenthaltes

Der Leser wird mit dem Motiv der Entsagung u. a. während des ersten Aufenthaltes