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Wie frei ist die Kunst? Überlegungen zum Verhältnis von Literatur und Moral

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Academic year: 2021

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A C T A U N I V E R S I T A T I S L O D Z I E N S I S

F O L IA G E R M A N IC A 1, 1997

Bernhard Gajek

W IE FREI IST DIE KUNST?

Ü BER LEG U N G EN ZUM VERH ÄLTNIS VO N LITERATUR U N D M O RAL

Essay*

MORAL-ÖFFENTLICH UND PRIVAT

In L u d w ig T h o m a s k lassisch er K o m ö d ie M o ra l t r itt ein G y m n a -s ia l-p rofe-s-sor auf, der -seit einigen Ja h re n die „o b -szö n e P ro d u k tio n [...] au fm e rk sam v erfo lg t“ ; er rü h m t seine S am m lung als die „ h e u te w ohl v o llständigste“ und b eto n t, er rede von einer Sache, ü b er die er „genau in fo rm iert“ sei. Seine E n trü stu n g beeindruckt: „E s ist unglaublich, bis zu welchem G ipfel d er G em einheit m an heute gelangt ist!“ „ M it A b sch e u “ habe er „sich dieser A ufgabe u n terzogen“ . D ie einzige Befriedigung, die er dab ei em pfinde, sei „d ie R e ttu n g unseres V olkes“ . D e r Z u sc h a u e r ist geneigt, ihn als K äm p fer für M oral anzusehen.

Allein: M o ra l ist n u r d a n n ein K o m ö d ien th em a, w enn sie ins W anken ko m m t. D er P rofessor - m it dem T h o m a einen L eh rer des T heresiengym - nasium s in M ünchen m einte - ist den V erlockungen seines Sam m elgegenst-andes bereits erlegen. E r und die anderen M itglieder des örtlichen S ittlich-keitsvereins pflegen heim lich eine D am e zu besuchen, die „in K o n flik t m it d er M o ra l“ steht und soeben von der Polizei verhaftet w orden ist. Ih r T ag eb u ch landet a u f dem Schreibtisch des u n tersuchenden A ssessors; es verzeichnet die B esucher, d a ru n te r die V ereinsm itglieder. Ih n en gelingt es,

* E rstv erö ffen tlich u n g in: „B lick in die W issenschaft. F o rsch u n g sm a g a zin d e r U n iv e rsitä t R eg en sb u rg “ 1993, Jg. 2, H . 2, S. 4 -1 3 . F ü r die bereitw illig erteilte E rla u b n is zum A b d ru c k sei dem U n iv ersitätsv erlag R eg en sb u rg au frich tig g ed an k t.

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die B loßstellung m it List und G eld zu verhindern, und die öffentliche M o ral bleibt gew ahrt.

D ie Z uschauer ap plaudierten d er genießerisch vorgeführten N iederlage von W ah rh eit und guter Sitte - 1908 bei d er Prem iere in Berlin wie bei den A u fführungen in M ünchen und andersw o. D er A u to r p ro fitierte d avon. Sein großzügiges Ila u s am Tegernsee w ar rasch bezahlt.

W enige J a h re zuvor sollte in M ax R ein h ard ts B erliner K a b a re tt „Schall und R a u c h “ d as W ort „ P o p o “ ausgesprochen w erden. In dem T ex tb u ch , d a s d er Z ensur vorgelegt w erden m u ß te, schrieb m an „ P a p a “ , ab er d er Z en so r vergew isserte sich: „Soll nach A ngabe d er D ire k tio n ,P o p o ‘ h eiß en “ ; und er strich das W ort. D er D arsteller jed o ch brach te den originalen W o rtla u t a u f die B ühne, weil er von d er S treichung nichts gew ußt haben w ollte. E r k o n n te d a n n w ählen: eine G eldstrafe von 15 M ark o d er I la f t von zwei T agen. A uch er h a tte d as P ublikum a u f seiner Seite, und fü r die nächsten V orstellungen brau ch te nicht m eh r gew orben zu w erden.

D ie großen wie die kleinen V erletzungen d er öffentlichen M o ra l zahlten sich nicht im m er so aus. A ber im m er h atten sie zur F olge, d a ß die G erichte sich ihrer annahm en und sie aktenkundig m achten. A uch jeder routinem äßige Z e n su rv o rg a n g p ro d u z ie rte A kten. M it ihnen w a n d erten die zensierten S tücke in die A rchive; sie sind eine literarhistorische F u n d g ru b e und ein B arom eter für die staatlich geduldete und rechtlich h a n d b a rc öffentliche S exualm oral des K aiserreichs. Sie w urde auch a u ß e rh a lb des T h e a te rs a tta c k ie rt - vom „S im plicissim us“ etw a, d er in einer frühen, noch vor L udw ig T h o m as R ed ak tio n stätig k eit erschienenen N um m er „zwei m assive G ru n d p fe ile r“ des „sittlichen K u ltu rsta a te s“ verhöhnte: „Polizei und P ro s-titu tio n “ . D a ß m anche „S im p l-R ed ak teu re sich nicht selten an den einen Pfeiler anlehnten und sich, m ännlich-allzum ännlich, dessen rü h m ten , stand nich t in jenem B latt; es gehörte zur p rivaten M o ral und unterlag n ich t der Z ensur.

RECHTSGESCHICHTE

B ekanntlich schaffte die V erfassung des D eutschen Reiches von 1919 die Z e n su r ab und v erk ü n d ete in A rtik el 118 d a s R echt, „ in n e rh a lb d er S chranken d er allgem einen G esetze seine M einung d u rc h W o rt, Schrift, D ru c k , Bild o der in sontiger Weise frei zu ä u ß e rn “ . Im Prinzip entsp rach dies den §§ 1 und 2 des Reichsgesetzes über die Presse von 1874, das allerdings die T h ea terze n su r nicht beseitigt hatte; sie w urde nach wie vor von d er P olizeibehörde ausgeübt - a u f G ru n d der V e ro rd n u n g des B erliner P o liz eip räsid en ten von 1851, die von den an d e ren d eu tsch e n L ä n d e rn

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übernom m en w orden war. Sie sah - in Ü bereinstim m ung m it dem Allgemeinen Landrecht fü r die Preußischen Staaten von 1794 - T heateraufT ührungen als F rag e der öffentlichen R uhe, O rd n u n g und Sicherheit an , und die u n terstan d d er Polizei.

V on 1848 bis 1851 w ar die T h ea terze n su r d a n k dem B undesbeschluß vom 3. M ä rz 1848 und d a n k d en G ru n d re c h te n , w elche die d eu tsch e N ation alv ersam m lu n g in der P aulskirchc beschlossen h a tte , fü r kurze Zeit stillschw eigend au ß e r K ra ft gewesen. D ie Pressefreiheit jed o ch w ar geblieben und w urde durch d as erw äh n te R cichspreßgesetz von 1874 neu gefaßt. N u r die V orzensur für öffentliche T h ea terau ffü h ru n g en bestand w eiter, und die Polizei n ahm sie w eiter w ahr. D a h er m u ß te Ludw ig T h o m a seine K o m ö d ie so abfassen, d a ß die B ehörden nichts b ean stan d en k o n n te n , und M ax R ein h ard t vermied d as anstößige W o rt w enigstens a u f dem P apier. E rst die W eim arer R eichsverfassung bestim m te: „E ine Z en su r findet nicht s ta tt“ (A rtikel 118).

F o rta n stand es aber auch jedem S taatsb ü rg er frei, gegen verm eintliche o d er w irkliche V erletzungen d er neuen G esetze vorzugehen. D a n n m u ß te ein G ericht die G esetzm äßigkeit von K unstw erk en ü b erprüfen. D ie G eg en -stä n d e und V o rsch riften des alten S trafgesetzbuches w aren w eigehend geblieben, und so w urden B ücher o d er T h ea terstü ck e w egen „U n sittlic h k e it“ o der „ U n z u c h t“ verklagt. D e r berühm teste F all w ar A rth u r Schnitzlers K o m ö d ie Reigen. Sie w urde 1896/1897 geschrieben, 1900 von Sam uel F ischer in Berlin m it 200 E xem plaren „als unverkäufliches M a n u s k rip t“ gedruckt, in W ien jed o ch von B enjam in H a rz frei vertrieben. T ro tz der b eto n t dezenten B erliner und M ü n ch n er A u ffü h ru n g en von 1921 kam es zu S kandal und V erbot. F ü r G ericht und G u ta c h te r w urde das S tück „geschlossen“ aufgeführt, und A lfred K e rr, d er dam als bekannteste B erliner T heaterkritiker, verhalf den A ngeklagten zum Freispruch. „D er Reigen-Prozeß w urde“ , wie D ieter B reuer zeigte, „zum P arad ig m a eines L iteraturprozesses gegen eine angeblich ,obszöne* L itera tu r, für die U nterlegenen ab er zum P ara d ig m a für U n m o ra l und V erderbtheit der R e p u b lik “ .

U m auch in heiklen F rag e n d er Ju g en d p äd ag o g ik R echt sprechen zu k ö n n en , w urde im D ezem ber 1926 ein G esetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schm utzschriften erlassen. Es verw irklichte B estrebungen, die H einrich W olgasts Buch Das Elend unserer Jugendliteratur (1896) m it ausgelöst hatte; auch im A usland h a tte m an d as P roblem e rk a n n t. In D eutschland w ar 1914 ein G esetz entw orfen, ab er wegen des K rieges nicht m eh r verabschiedet w orden. D as G esetz von 1926 sch u f regionale P rüfstellen und eine zentrale In stitu tio n zur N ach p rü fu n g ; sie k o n n te n a u f A n tra g von Ju g en d b e h ö rd en U nsittlichkeit o der U nzüchtigkeit in D ruckerzeugnissen feststellen, die V e rb reitu n g u n te rb in d e n und Ju g en d lich e n die L e k tü re verw ehren. So w ohlgem eint das G esetz w ar, es k o n n te - zusam m en m it

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dem 1922 nach d e r E rm o rd u n g W alter R ath en a u s gegen die N a tio n a l-sozialisten erlassenen G esetz zum Schutz der Republik - gegen kritische, unliebsam e Schriftsteller angew andt w erden; die R ich ter w aren großenteils dieselben wie vor 1919. D a h e r fo rd erte K u rt T u ch o lsk y 1929 in d er „ W eltb ü h n e“ : das S chund- und Schm utzgesetz m üsse fo rt. W ilhelm F rick, d er im selben J a h r erster N ationalsozialist thüringischer Innen- und V olks- bildungsm inistcr w urde, benutzte beide G esetze, um K u ltu rein ric h tu n g e n und Schulen von „u n d eu tsch em “ E influß zu befreien. D as 1930 erneuerte G esetz zum S c h u tz der R epublik und die N o tv e ro rd n u n g e n von 1931 sch rän k ten die K u n st auch politisch ein; C arl von O ssietzky bekam d a s zu spüren. 1934 gliederte Joseph G oebbels als Reichsm inister für V olksaufklärung und P ro p a g a n d a die Prüfstelle für Schund- und S chm utzschriften seinem M inisterium ein, um sie überw achen zu können. E in J a h r sp äter sorgte er d afü r, d aß d as G esetz von 1926 aufgehoben w urde. W as T uch o lsk y verlangt h a tte , w a r nun erfü llt - freilich an d e rs als er gew ollt h a tte . W er in G o e b b e ls’ Sinne „ju g e n d g e fä h rd e n d e “ S chriften v erfaß te o d er vertrieb , w urde m it A usschluß aus d er R cichsschrifttum skam m er, d.h. B erufsverbot, b estraft.

DAS RECHT DER GEGENWART

G egen diese V ergew altigung von K u n st und K u ltu r sind die einschlägigen Sätze unseres G rundgesetzes von 1949 form uliert; sie nehm en den G eist und die F o rm u lieru n g en d er W eim arer V erfassung auf. A rtik el 5 A b satz 1 des G rundgesetzes bestim m t: „Jed er h at das R echt, seine M einung in W ort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten [...]. D ie Pressefreiheit und die F reih eit d er B erichterstattung durch R u n d fu n k und Film w erden gew ährleistet. Eine Z ensur findet nicht s ta tt“ . D o ch schon d er n ächste A b satz rä u m t einen K o n flik t m it anderen G ru n d w erten ein: „D iese R echte finden ihre S chranken in den V orschriften der allgem einen G esetze, den gesetzlichen B estim m ungen zum Schutze d er Jugend und in dem R echt d er persönliche E h re “ . D as G run d g esetz nen n t auch N orm en, die ihm zugrunde liegen: „V eran tw o rtu n g vor G o tt und den M enschen“ , die „W ü rd e des M en sch en “ und die „M ensch en rech te“ .

D ie in A rtikel 5 aufgeführten G ru n d rech te kön n en sich also gegenseitig b esc h rän k e n o d e r m ite in a n d e r k o llidieren. D en n o ch w ird - in A b sa tz 3 - die F reih eit von „ K u n st und W issenschaft, F o rsch u n g und L eh re“ hervorgehoben. W er die „F re ih e it der M ein u n g säu ß eru n g [...] zum K am p fe gegen die freiheitliche d em okratische G ru n d o rd n u n g m iß b ra u c h t, v erw irk t“ sie, - so A rtikel 18 des G rundgesetzes.

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J U G E N D S C H U T Z H E U T E

A rtikel 2 A b satz 1 des G rundgesetzes g aran tiert „d a s R echt a u f die freie E n tfaltu n g d e r P ersönlichkeit“ . U m K in d ern und Jugendlichen eine solche E n tfa ltu n g zu erm öglichen, erließ d er B undestag „gesetzliche B estim m ungen zum Schutze d e r Ju g e n d “ , die vor M edien, w elche die sozialeth isch e R eifung Jugendlicher beeinträchtigen kön n en , schützen sollen. D as Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften von 1953 w urde m eh rfach , zuletzt 1985 neu gefaßt; cs schließt an d as Gesetz zur Bew ahrung der Jugend vor Schund- und Schm utzschriften vom D ezem ber 1926 an. E s betrifft den V ertrieb und das D arb ieten von D ruckerzeugnissen und M edien - au ß e r K inofilm en, fü r die die Freiwillige S elbstkontrolle zu stän d ig ist - „die geeignet sind, K inder o d er Jugendliche sittlich zu g efäh rd e n “ , und zielt vor allem a u f „unsittliche, verrohend w irkende, zu G ew alttätig k eit, V erbrechen o d er R assenhaß anreizende sowie den K rieg verherrlichende S ch riften “ . H in zu k o m m en V orschriften des Strafgesetzbuches. In § 131 w erden „V er-h errlicer-hung von G e w alt“ und „A ufstacer-helung zum R asse n er-h a ß “ generell m it S trafe bedro h t. § 184 verbietet die „V erbreitung p o rn o g rap h isch er S chriften “ an Personen u nter achtzehn Ja h re n und b ed ro h t allgem ein P o rn o g ra p h ie , „die G ew alttätigkeiten, den sexuellen M iß b rau c h von K in d ern o der sexuelle H a n d lu n g e n von M enschen m it T ieren zum G egenstand h a b e n “ , m it Strafe. W as „ d e r K u n st oder d er W issenschaft, d er F o rsch u n g o d er d er L ehre d ie n t“ , ist nach § 1 des Jugendschutzgesetzes von d er Indizierung au sg e n o m -m en. A ber auch die allge-meine Strafverfolgung -m uß u-m dieser i-m G rundgesetz (A rtikel 5 A b satz 3) g enannten G ru n d w erte willen eine A usn ah m e m achen.

Die F rag e ist, w ann diese A u snahm e gilt. F ü r eine erste F eststellung innerhalb des Jugendschutzes w urde - a u f G ru n d des G esetzes von 1953 - die „B undesprüfstelle fü r ju g endgefährdende S chriften“ gegründet; sie kan n „in d izieren “ , d.h. die A bgabe einer Schrift o d e r eines M ed iu m s an Jugendliche - nicht ab er an Erw achsene - sowie die offene D a rb ie tu n g und W erbung verbieten. D ie in A rtikel 5 A b satz 1 des G rundgesetzes g enannten G rundrechte werden also zum Schutz der heranw achsenden Jugend beschränkt. D a m it ist eine N ach zen su r erlau b t, gegen die E insprüche bis zum B undes-g erich tsh o f und B undesverw altunundes-gsundes-gericht sowie die V erfassunundes-gsbeschw erde m öglich sind. So ist die R echtsstaatlichkeit gesichert.

D IE K R IT E R IE N W A N D E L N S IC H

A b e r ein anderes, ebenfalls schon im K aiserreich u n d in d e r W eim arer R epu b lik diskutiertes P roblem besteht noch. K a n n eine B ehörde (wie die B undesprüfstelle) oder ein G ericht bestim m en, o b ein R o m an o d er ein

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anderes W erk K u n st darstcllt o der nicht? Eine E n tscheidung ist in jedem F alle nötig, und sie ist zeitbedingt. D enn die K riterien fü r K u n st und P o rn o g ra p h ie haben sich seit 1949 erheblich gew andelt. 1950 w urde der Film Die Sünderin als unsittlich b ekäm pft, weil die Ila u p td a rste lle rin für einige S ekunden nackt zu sehen war. 1959 w urde G ü n te r G rass von d er zuständigen Ju ry d er B rem er L itcratu rp reis für die Blechtrom m el zu e rk an n t. D o ch der Senat der H a n se stad t verweigerte die Z ustim m ung: d er R o m an en th alte porno g rap h isch e Stellen. M ancher, der dam als gegen das V erbot o der die B ehinderung a u ftra t, h ä tte sich wohl für einen E ingriff d e r Justiz ausgesprochen, wenn ihm - 1950 bis 1959 - zugem utet w orden w äre, was heutzutage ü ber das F ernsehen ins H au s kom m t o der am K iosk angeboten wird. Die M aß stäb c für Sittlichkeit und deren G e fäh rd u n g hab en sich erstau n lich verändert.

D rei ausführlichere Beispiele aus R cchtsgcschichte m ögen das n äh e r erlä u tern . Sic bilden S tationen a u f dem W eg zu d er E insicht, d aß G erichte

üb erfo rd ert sind, wenn sie d a rü b e r urteilen sollen, was K u n st sei.

D as erste sei der 1962 geführte Prozeß um den R o m an N otre-D a- me-des-Fleurs, den Jean G enet 1942 im G efängnis geschrieben h atte. T hem a, M otive und Sprache sind schockicrend. D er E rzähler schildert detailliert und roh den A ufstieg und F all eines P ariser Strichjungen, den er „ D iv in e“ n en n t, und feiert ihn, den R a u b m ö rd e r und D ro g en h än d ler, als M ärty rer, ja „A uscrw ählten G o tte s“ . D ivine wird vor G ericht gestellt; der A u to r m ach t aus dem V erfahren eine A potheose. Die D ig n ität des V erbrechers und Sünders steigert sich m it seinem Verfall. Hier ist die U nterscheidungsgabe des Lesers aufs äu ß erte gefordert. K n u t Sievcrs h a t nachgew iesen: S akrales soll sich im Sakrileg, Religiöses in seiner T ravestie und E igentliches in seiner V erkleidung zeigen. G en et, der im m er am R an d e d e r G esellschaft lebte und stän d ig m it ihren N o rm e n zusam m enstieß, erleb te diese als d äm onische B edrohung und bekäm pfte sie, oh n e ihre G eltu n g zu bestreiten.

D as zweite Beispiel: ln Jo h n C lelands 1749 zum ersten M al erschienener G eschichte der F an n y Hill erregte der laszive In h a lt A nstoß. D er V erfasser, ein D ip lo m at und L ebem ann, nahm es sich heraus, die S ittcnlosigkeit im E ngland des 18. Ja h rh u n d e rts genüßlich, einfallsreich, ja elegant zu schildern und die G leichsetzung von w ahlloser physischer m it psychischer Liebe als neues G lück anzupreisen. A ber h a tte C lelands H eldin nicht einfach d as in Briefe gefaßt, was W illiam H o g a rth in seiner G em älde- und K upferstichfolge The H arlot's Progress abgebildet hatte? U nd w ar die ganze G eschichte nicht a u f d en frivol geführten N achw eis angelegt, d aß geistige F reu d e n h ö h e r als k ö rp e rlic h e einzustufen seien und die Liebe zu dem einen M a n n die K rö n u n g eines F rauenlebens sei? A uch hier w aren die R ichter a u f G u tac h te n angew iesen, denen sie freilich nur zögernd folgten. W as den A ntrag stellern und S taatsanw älten 1964 bis 1969 als porno g rap h isch galt, verteidigten die

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L iteraturw issenschaftler als Zeit- und M ilieuschilderung, als E xperim ent und K u n st.

D er Streit um G uillaum e A pollinaires Die elftausend R uten bilde das d ritte Beispiel. D as A m tsgericht M ünchen erk lä rte das Buch 1974 für P o rn o g ra p h ie und zog cs ein. D er eine G u ta c h te r h a tte sich in diesem Sinne ausgesprochen; d er andere h a tte gewisse künstlerische Q u alitäten geltend gem acht. D as O riginal w ar 1907 erschienen und in F ran k reich bis 1977 sechzchnm al aufgelegt w orden. D ie deu tsch en A n k läg e r sp rach en von N ekrophilie, S katom anie und G e w altp o rn o g rap h ie, d .h . von V ersessenheit a u f Leichen, k ra n k h a fte r F reude am U m gang m it E xkrem enten und D a r-stellung geschlechtlicher G ra u sam k eit. F ranzösische und deu tsch e E xperten legten das Buch als N achfolge des M arquis de S ade sowie als V o rd eu tu n g a u f die E xplosion von G ew alt im E rsten W eltkrieg aus und verwiesen a u f d en Z u sam m en h an g m it A pollinaires poetischem und theoretischem G e sa m t-w erk, d as d en S urrealism u s m it b eg rü n d et h ab e und z u r K lassischen M o d ern e gehöre. 1987 b rach te d er Verlag eine d u rc h lite ratu rh isto risch e A b h an d lu n g en u m rah m te neue Ü bersetzung heraus, die ebenfalls beschlag-n a h m t w erdebeschlag-n sollte. F erbeschlag-n er b eabeschlag-ntragte der S taatsabeschlag-n w alt, gegebeschlag-n debeschlag-n Verleger wegen V erbreitung von P o rn ographie zu erm itteln. A u f die beiden G u tac h te n hin, die W olfgang F rü h w ald und ich zugunsten des Buchs erstellten, w urde

1988 die B eschlagnahm e abgelehnt und die E rm ittlu n g eingestellt.

D er K u n stb e g riff von 1949 und das V erständnis von „ U n z u c h t“ , „ P o r-n o g ra p h ie“ ur-nd „G ew altv erh errlich u r-n g “ er-ntspracher-n E r-n d e d er achtziger Ja h re offensichtlich weder der wirklich geübten noch d er w eithin an erk an n ten K unstpraxis. D aß in der Bildenden K u n st die A nschauungen noch gründlicher sich v erän d ert h atten , fiel weniger ins G ew icht; denn Bilder w urden k aum wegen einer A bw eichung von M oral oder A n stan d vor G e rich t gebracht. T atsäch lich wichen M alerei und B ildhauerkunst ungleich m eh r von den geschm acklichen K o n v e n tio n en der Schicht ab, die an d e r R echtsp rech u n g beteiligt o der interessiert war. D er K u n sth an d e l ta t d as Seine dazu, soviel wie m öglich als K u n st zu bezeichnen. K ritik er, K ä u fe r und R ezipienten reagierten entsprechend.

G E S C H IC H T E U N D IN H A L T D E R B E G R IF F E

D ie G erichte trugen dem R echnung; sie sprachen von einem erw eiterten K u n stb eg riff und einer größeren A k zep tan z bei erotischen D arstellu n g en . D ie S trafrechtsreform von 1973 ersetzte die u n sc h a rf gew ordenen Begriffe „ U n z u c h t“ o der „u n z ü ch tig “ , „um den dam it verbundenen W e rtg eh alt zu verm eiden“ , du rch F rem d w ö rter: „D ie ,unzüchtige* H a n d lu n g “ w urde zur

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.sexuellen“, die .unzüchtigen S chriften4 zu ,p o rn o g ra p h ish e n “ ‘ (F riedrich- -C h ristian S chroeder). W as ab er w ar „P o rn o g ra p h ie “ ?

D a ß d as S trafrcch t vor und nach d er Jah rh u n d ertw en d e „ u n z ü c h tig “ sta tt „ p o rn o g ra p h isc h “ gebrauchte, h a tte einen sprachgeschichtlichcn G ru n d . „ P o rn o g ra p h ie “ fü r „aufreizende, scham lose D arstellu n g sexueller V orgänge in W ort und Bild“ w urde erst um 1900 dem gleichbedeutenden französischen „ p o rn o g ra p h ic “ en tleh n t. D ieses w iederum w urde von „ p o r n o g ra p h ic “ abgeleitet, das R éstif de la B retonne 1769 im Sinne von „einer, d er über H u re n schreibt“ als Buchtitel verwendete; das G ru n d w o rt ist d a s gleich-bedeutende griechische pornogräphos, „einer, d er über H u re n sch reib t“ . E benfalls aus dem F ranzösischen w urde „sexuell“ für „geschlcchtsbezogen“ ü bernom m en - allerdings schon im 18. J a h rh u n d e rt. D er V ollständigkeit halber sei ein W ort erklärt, d as nicht im G esetz, wohl aber in der D iskussion h äufig gebrau ch t wird, näm lich „o b sz ö n “ , „das Scham gefühl verletzend, schlüpfrig, zotig“ . Es wurde A nfang des 18. Jahrhunderts aus dem Lateinischen übernom m en; d o rt steht obscenus für „anstößig, u n an stän d ig , abscheulich, un sittlich “ .

Sich dieser Begriffe zu vergewissern, ist deshalb nötig, weil es eine gesetzliche B estim m ung von „ P o rn o g ra p h ie “ nicht gibt. Jene Begriffe liegen der R echtsprechung zugrunde, und sie m u ß sie jedesm al bestim m en.

N ach dem V orschlag des S trafrecht-S ondcrausschusses des D eutschen B undestages sind D arstellungen p o rnographisch, die „1. zum A usdruck bringen, d aß sie ausschließlich o d er überw iegend a u f die E rreg u n g eines sexuellen Reizes beim B etrachter abzielen und dabei 2. die im E inklang m it allgem einen gesellschaftlichen W ertvorstellungen gezogenen G renzen des sexuellen A n standes eindeutig ü berschreiten“ . Die R echtsprechung schloß sich dem an: P o rn o g rap h isch ist eine D arstellung,

w enn sie u n te r H in ta n s e lz e n so n stig er m en sch lich er Bezüge sexuelle V o rg ä n g e in g ro b au fd rin g lic h e r, a n re iß e risc h e r W eise in d en V o rd e rg ru n d rü c k t u n d w en n ih re o b jek tiv e G e sa m tten d e n z ausschließlich o d er überw iegend a u f A u freizu n g des S exualtriebes abzielt und w enn d a b ei die im E in k la n g m it allgem einen gesellschaftlichen W ertv o rstellu n g en gezogenen G re n ze n des sexuellen A n stan d es ein d eu tig ü b ersch ritten w erden.

W A S IS T U N D W A S D A R F D IE K U N ST ?

E rfü llt ein literarisches W erk die oben g enannten K riterien, so han d elt es sich im ju ristischen Sinn um P o rn ographie. Sie w ird, wie gesagt, im G esetz nich t definiert - ebensow enig wie der B egriff K u n st. D as ist deshalb sinnvoll, weil d er In h a lt, die F u n k tio n und die V erw irklichung beider Begriffe sich ändern.

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D as B undesverfassungsgericht h a t allerdings seit 1971 einen R ahm en gezogen, d er beachtet w erden m u ß , wenn über „P o rn o g ra p h ie o d e r K u n s t“ zu urteilen ist. „ D a s W esentliche d er künstlerischen B etätigung (ist) die freie schöpferische G estaltu n g , in d er E indrücke, E rfah ru n g en , E rlebnisse des K ün stlers d u rc h d as M edium einer bestim m ten F o rm en sp ra ch e zu r u n m it-telbaren A nsch au u n g g eb rach t w erden“ . In der F olge w urde dieser „ o ffen e“ K u n stb eg riff erw eitert: Es genüge, wenn „die G a ttu n g sa n fo rd e ru n g e n eines bcsim m ten W erk ty p s e rfü llt“ seien. E ntsch eid en d sei die fo rm g e b en d e Ä u ß eru n g , nicht die Ü b erm ittlu n g von Inhalten. W er K u n st fü r etw as so A bgeschlossenes ansehe, d a ß sie und P o rn o g rap h ie z.B. sich ausschlössen, entziehe d er Ü berschneidung und A bw ägung m it an d e ren G ru n d w e rte n die theoretische G rundlage. D as so gefaßte weite K u n stv erstä n d n is erfordere eine weite F assu n g d er G rundrechte.

D as sind keine D efinitionen, sondern form ale U m schreibungen. Sie treffen a u f nahezu alle W erke d er B elletristik zu und schreiben keine expliziten M aß stäb c für eine W ertung vor. D ie U m schreibungen von K u n st berücksichtigen die E ntw icklung d er R echtsprechung ebenso wie bei der P o rn o g rap h ie. Seither m u ß der K u n stw ert in jedem F alle bestim m t w erden, und dies läuft in der Regel a u f die A n fo rd eru n g von G u ta c h te n hinaus.

„ E IN P O R N O G R A P H IS C H E R R O M A N K A N N K U N S T S E IN “

Im H inblick a u f die rechtliche B eurteilung von P o rn o g ra p h ie b rach ten höchstrichterliche Entscheidungen eine W ende. D er B undesgerichtshof enschied am 21. Juni 1990 anläßlich von H enry M illers Opus Pistorum: „ K u n st und P o rn o g ra p h ie schließen ein an d e r begrifflich nicht a u s“ , obw ohl „ n a ch F o rm und In h a lt des Buches vieles“ d a fü r spreche, d a ß es als „ p o rn o g rap h isch e S chrift“ zu bew erten sei. D a m it/o lg te der B undesgerichtshof P eter G orsens und m einer S tellungnahm e vor dem L andgericht S tu ttg a rt und b eto n te, „in G renzbereichen“ k ö n n e es „zu Ü berschneidungen kom m en, denen eine starre begriffliche Scheidung nicht gerecht wird. Ü berdies versp errt m an sich im Falle eines K onfliktes zwischen Kunstfreiheit und anderen verfassungsm äßig an erk an n ten W erten eine A bw ägung, die [...] notw endig und auch sachgerecht ist, weil n u r sie differenzierende L ösungen erm öglicht“ . Bei d e r E ntscheidung, ob die K unstfreih eit oder d er Jugendschutz V orrang habe, gehe es „um eine K ollision gleichrangiger V erfassungsw erte, die n u r m it H ilfe einer A bw ägung aufgelöst w erden k a n n “ .

U nd das B undesverfassungsgericht stellte seiner E n tscheidung vom 27. N o v em b er 1990 als 1. L eitsatz voraus: „E in p o rn o g rap h isch er R o m an k an n K u n s t im Sinne von A rt. 5 Abs. 3 Satz 1 G G sein“ . D e r A n laß w ar die

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V erfassungsbeschw erde eines Verlages, der das Buch Jose/ine M utzenbacher, Geschichte einer wienerischen Dirne von d er Indizierung d u rc h die B undes-prüfstelle fü r ju g endgefährdende Schriften befreien wollte. Beide G erichte b eto n ten , d aß dem Jugendschutz V erfassungsrang zukom m e.

Seit diesen Entscheidungen gilt: W enn einem als pornographisch angesehe-nen W erk ein h o h er K u n stw ert zuzuschrciben ist, k an n es nicht m eh r ohne weiteres eingezogen und dam it Erw achsenen vorcn th alten w erden. Dies kam der M utzenbacher zugute. Sie w ar 1982 als schw er ju g en d efäh rd en d indiziert w orden, und das Bundesverwaltungsgericht hatte die Indizierung bestätigt. A u f G ru n d der E ntscheidung des B undesverfassungsgerichts m u ß te die Indizierung aufgehoben werden, weil die Bundesprüfstelle den K unstvorbehalt nicht ausfüh-rlich mit dem Jugendschutz abgewogen hatte. D ie Bundesprüfstelle ist nach wie vor der M einung, sie k ö n n e selbst d an n , wenn diese A bw ägung sachgerecht vorgenom m en w orden ist, ein pornographisches K unstw erk indizieren, falls sie den Jugen d sch u tz für geboten hält. D a h er setzte sic die M utzenbacher 1992 erneut au f den Index. Ob sich ihre Auffassung durchsetzt, ist offen. D er Verlag wird alle R echtsm ittel dagegen einsetzen. So ist erneut m it höchstrichterlichen E ntscheidungen zu rechnen.

EINE DIRNEN-GESCHICHTE ALS KUNST

Bei den zu erw artenden G ru n d satzu rteilen d ü rfte das G u ta c h te n eine R olle spielen, um das die B undesprüfstelle m ich 1991 bat - entsprechend der A uflage des B undesverassungsgerichts.

D as G u tac h te n fü h rt aus, d aß die „L ebensgeschichte“ d er M u tzen b ach er schlechtw eg scham los ist und nichts ausläßt, was den bürgerlichen und religiösen M oralgesetzen w iderspricht. A ber deren V erletzung w ird in einer W elt geschildert, die historisch, sozial und psychologisch so gewesen ist. D ies ging aus dem Vergleich des R om anm ilieus m it den soziologischen T a tsa c h e n hervor. D ie in diesem M ilieu angesiedelte A u to b io g rap h ie ist ein Beispiel d afü r, d aß unter jenen B edingungen eine negative L ebenskarriere zw angsläufig wird. Insofern weist das Buch M erkm ale des literarischen N aturalism us auf; es unterstellt die D eterm iniertheit m enschlicher Entwicklung. D ah er können die grob anstößigen Aspekte auch als K ritik an der Gesellschaft in W ien von 1857 bis 1867 gelesen werden. D a rü b erh in a u s veranschaulicht d e r R o m an die erst du rch die P sychoanalyse erforschten W echselw irkungen zw ischen w irtschaftlichen und sozialen V erhältnissen und S exualverhalten. E r belegt ferner, d aß Sigm und F reu d s Lehre von d er p o ly m o rp h perversen V eranlagung des K indes, d.h. dem richtungslosen, vielgestaltigen sowie n orm en und wertfreien kindlichen Sexualtrieb, G rundlage einer R o m an h an d

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-lung sein kan n . A uch k a n n das Buch - wieder im Sinne F reu d s - als A uflösung einer infantilen Am nesie gelesen werden, d.h. als das U nternehm en, die V erdrängung aufzuheben, d u rc h die die friihkindlichc S exualität ü blicher-weise verhüllt w ird. V erm utlich ist d as Buch im w eiteren K reis um F reu d enstanden.

D a ß es diese Z u sam m enhänge in einer Lebensgeschichte exem plifiziert, aber die U rsachen und Einzelheiten lediglich bis zum p rägenden ersten T a g eines Dirnenlebcns vorführt, beweist die Fähigkeit des A utors zu kunstgem äßer D a rstellu n g . D ie H a n d lu n g ist folgerichtig a u fg e b a u t, und die Szenen w erden m ilicugerccht entw ickelt. D er V erfasser ist übrigens bis heute nicht bestim m bar. Vielleicht w ar es der W iener L iterat Felix Salten, d e r m it der T iergeschichte B am bi b erü h m t w urde; dies ist hier unerheblich. A llerdings fällt auf, d aß die D irn en - wie die T iergeschichte den K a m p f um s D asein und d as Ü berleben des T auglichsten vor A ugen führt.

Z u den literarisch positiven M erkm alen gehören ferner d as V or- und N a ch w o rt der Ich-E rzählerin, das die D arstellu n g ü b erd en k t - ebenso wie die R eflexionen in d er E rzählung, die entscheidende P hasen des B erichts von einer höheren E bene her b etrach ten und in denen die E rzäh lerin sich nicht schont. Sie schildert das heruntergekom m ene, am oralische M ilieu d er A rb eiter-V o ro rte W iens und die D oppelm oral d er „feinen H e rre n “ aus den gehobenen W ohnvierteln und m a c h t im m er wieder die m oralische F ra g w ü r-digkeit d er S ituationen d u rc h W ortw ahl o der D ik tio n deutlich; auch dies trä g t zu r R elativierung d er D ra stik bei.

D e r E in d ru ck des D rastischen wird w eitgehend von d er S prache für G eschlechtliches verursacht. Sie ist m itu n te r launig o d er burlesk, m eist je d o c h ab sto ß e n d und o b szö n und stellt die m en sch lich e In tim sp h ä re überw iegend schlüpfrig, zotig und u nter ständiger V erletzung jedes S cham -gefühls dar. Dies entspricht freilich dem M ilieu und wird - nach H ochsprache, S oziolekt, d.h. g ru ppenspezifischer S prache, und D ia le k t u n tersch ied en

vom A u to r g ek o n n t zu r in d irek ten C h a ra k te risie ru n g d e r P erso n e n eingesetzt. Die Sprache d er E rzählerin geht weit ü ber d as b esch rän k te A usdrucksverm ögen hinaus, d as sonst die S prache d er U ntersch ich t k e n n -zeichnet. W enn m a n sie d u rc h die A usdrucksw eise d er O berschicht ersetzte, w äre die Schilderung nicht n u r entsch ärft, sondern häufig kom isch. M an w ürde erkennen, d aß d er gesellschaftlich geduldete W o rtsch atz ungleich w eniger V arianten und Synonym e kennt und a u f T ab u s, aber auch D efizienz, sogar Sprachlosigkeit verweist. N och heute ist ein schickliches Sprechen ü b er G eschlechtliches d ad u rch behindert, d aß die konventionelle S prache überw iegend in U m schreibungen oder M etap h e rn besteht o der a u f fachliche A u sd rü ck e angew iesen ist; beides beeinträchtigt die K u ltiv ieru n g dieses Bereichs. D o c h k an n m a n hier kaum R ezepte geben; S prache läß t sich nicht v erordnen. A llerdings w erden im m er m eh r W örter, die bis vor kurzem als

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anstö ß ig em pfunden w urden, m ündlich wie schriftlich verw endet, selbst in U rteilsbegründungen. A uch dies gehört zu d er gerichtlich fcstgcstcllten zunehm enden A kzeptanz.

D ie E rfin d u n g sk raft der V ulgärsprachc ist gerade hier erstaunlich. D as d er indizierten M utzenbacher-A usgabe beigegebene, von O sw ald W iener zusam m engestellte Verzeichnis von W ö rte rn für G eschlechtliches bringt über tau sen d Belege d er G ossen- und V olkssprache - au ch au s dem Deutschen W örterbuch d er B rüder G rim m . Selbst diese m u ß ten d a ra n erinnern, d aß d a s „W örterbuch kein sitte n b u c h , so n d ern ein w issenschaftliches, allen zw ecken gerechtes untern eh m en “ sei. G eorg Q ueri, d er 1912 das „ K ra ft-bay risch “ sam m elte, bedurfte sogar d er ju ristischen V erteidiger.

GRUNDSÄTZE

D as G u tac h te n analysierte die M utzenbacher wie irgendein literarisches W erk - nach den Regeln des F aches. Es wies nach, d aß d as Buch, tro tz des eindeutig pornographischen C harakters, „der K unst oder d er W issenschaft, d er F o rsch u n g o der der Lehre d ien t“ ; dies ist die Bedingung, d aß das Jugendschutzgesetz - in § 1 (2) 2. — eine A usnahm e m ach en m uß. Die B undesprüfstelle indizierte es, wie gesagt, denn o ch zum zweiten M ale. D as lä ß t sich rechtfertigen; es gehört nicht in die H ä n d e von K in d e rn und Jugendlichen. E rw achsenen ist es nach wie vor zugänglich. D ie F o rd e ru n g des B undesverfassungsgerichts, Ju g endgefährdung und F reih eit d er K u n st m ite in a n d er abzuw ägen, ist jedenfalls erfüllbar. D a ß beides den Schutz un serer V erfassung genießt, m u ß m an begrüßen und die N o tw endigkeit, jed en F all zu p rüfen, gutheißen.

Im rechtlichen o der m oralischen Sinne zu urteilen, ist nicht S ache des K u n st-G u ta ch ters. E r h at n u r ü ber K u n st o der N ich tk u n st zu befinden und dies so darzulegen, d aß die ästhetischen K riterien justiziabel w erden, d.h. einer rechtlichen K läru n g und gerichtlichen E ntscheidung dienen. Ü b e r den K u n stw ert entscheidet nicht d er In h a lt, sondern die E rzähltechnik, die stru k tu rierte Vielschichtigkeit, die Ergiebigkeit und die literarische Innovation. G egebenenfalls w ird m a n den G ru n d sa tz in dubio pro reo anw enden, d.h. im Zweifelsfall für die K u n st plädieren. D ie grundsätzliche Ü berlegung, was schön und S chönheit sind und bedeuten, steht im m er im H in terg ru n d . Zu ihr gehört freilich die Ä sthetik des H äßlichen, an der die M o d ern e und wir alle leiden u n d die denn o ch eine M öglichkeit d e r S elbsterkenntnis ist.

D ie G ru n d sä tze sind a u f jedes W erk anzuw enden; d as erfo rd ern die S ache, die E h rfu rc h t vor d er wie im m er verkleideten K u n s t und die A n e rk en n u n g , die dem hohen W ert K unstfreih eit gebührt. O hne ihn w ürde

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ein S taat zu r D ik ta tu r. Zugegeben: W enn eine G ew alth errsch aft fällt, breitet sich auch die P o rn o g ra p h ie aus. A b er F reiheit schließt im m er K o n flik te ein. Im R ech tsstaa t können sie ausgetragen und fru ch tb ar gem acht w erden. D ie E ntscheidungen, die die B undesprüfstelle und die G erich te im W iderstreit von L ite ra tu r und R echt getroffen haben, zeigen S achverstand im einzelnen, V e ran tw o rtu n g für die G esellschaft und A ch tu n g v o r d er K u n st.

D ie F ra g e n ac h d e r W irk u n g g eh ö rt n ich t z u r K u n stw issen sch a ft, so n d ern zu r P sychologie. Sic h a t es ungleich schw erer. D e n n m it d er A ltern ativ e „ K a th a rsis o d e r S tim u latio n “ sind n u r die E xtrem e genannt: V crhilft m ir die L ek tü re eines p o rn o g ra p h isc h e n B uches d a z u , m einen nicht-sublim ierten S exualtrieb abzufü h ren und unschädlich zu m achen, o d er stachelt das G elesene m ich dazu auf, Ä hnliches zu tun? D ie W irklichkeit ist vielschichtiger. D a s hab en die U ntersuchungen des R egensburger P sy ch o -logen H e lm u t L ukesch o d e r seines B am berger K ollegen H e rb e rt Selg gezeigt; m it ihren Ergebnissen können auch die N ach b arfäch c r arbeiten.

Z u ihnen zählen nicht n u r die R echtsw issenschaft, so n d ern auch die E th ik und M oraltheologie. M o ral ist gewiß nicht n u r ein K o m ö d ien th em a. Wie zu Ludw ig T h o m as und M ax R ein h ard ts Zeit und im m er n en n en und begründen sie die N orm en unseres H andelns und unserer W erturteile. O b diese an e k a n n t w erden, ist für d as D enken zw eitrangig; entscheidend ist die Schlüssigkeit. D ie Praxis wird dem K o n flik t m it an d eren W ertsystem en R echnung tragen. D esh alb m üssen wir uns als M enschen und E rzieher unablässig entscheiden. D o ch wir kön n en nicht d a r a u f bauen, d a ß die E ntscheidung, die w ir heute v erantw orten, m orgen n o ch gilt. D enn w ir sind geschichtliche W esen, die in einer bestim m ten Zeit leben und tätig sind und im m er neu d a n a ch zu fragen haben, welche N orm en und W erte die Id e n tität unserer G esellschaft stiften. D azu ist das G esp räch auch m it P hilosophen und T heologen nötig, und diese C hance bietet die U n iversität.

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Bernhard Gajek

N A IL E W O L N A JE S T S Z T U K A ?

P R Z E M Y Ś L E N IA N A T E M A T L IT E R A T U R Y I M O R A L N O Ś C I

N iniejszy a rty k u ł m iał n a celu u k a za n ie zm ian z ach o d zący ch n a p rzeło m ie w ieków w ocenie w arto ści u tw o ró w literackich. P u n k tem wyjścia stało się su biektyw ne o d b ieran ie p o jęcia „ m o ra ln o ś ć “ . A u to r p rzed staw ia k ry teria kw alifikujące u tw ó r literacki ja k o sztu k ę lub n iesztu k ę, uw zględniając p rz y tym obow iązujące w d an y m okresie reguły p ra w n e (sprzeczne często z p raw em w olności słow a), a tak że zw iązaną z nim i cenzurę.

O p ie rając się n a p rzy k ład ach , u kazuje, że treść utw oru czasam i n iem o raln a czy w ręcz p o rn o g ra fic z n a (co je s t pojęciem w zględnym z p o w o d u b ra k u jed n o zn aczn ej definicji) nic m a wpływ u n a w artości literackie i m oże n aw et przysłużyć się sztuce, n au ce, celom badaw czym czy też pedagogicznym .

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