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Academic year: 2021

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THEMATISCHER SCHWERPUNKT: Standard,

Norm, Abweichung

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Kultur lässt sich beschreiben als ein Ensemble von Praktiken und Konventio-nen, die für alle Lebensbereiche von der Kleidung über Religion, Krieg und Erotik bis zu Sprache und Dichtung einen Standard etablieren, der, einmal zur Norm geronnen, zugleich zu Abweichung und Regelverstoß provoziert. Seit dem Beginn der Moderne in der „Sattelzeit“ (KOSELLECK 1972:14f.) um 1800 begreifen immer mehr Gesellschaften sich denn auch nicht mehr als statisch und bewahrend, sondern als in stetem Wandel begriffen; ihre jeweilige augen-blickliche Verfasstheit erscheint ihren Mitgliedern als bloßer transitorischer Zwischenstand innerhalb eines je nach Weltanschauung anders erklärten und bewerteten historischen Prozesses. Für Sprach- wie Literaturwissenschaft hat dies weitreichende Konsequenzen: Sprachliche, stilistische und poetische Nor-men, die noch vor wenigen Jahrhunderten als zeitlos gültig erschienen und in Schule, Universität und täglichem Leben angewandt wurden als unhinterfrag-bare Bewertungsmaßstäbe aller mündlichen wie schriftlichen Äußerungen, sind nun zum Gegenstand einer distanzierten analytischen Betrachtung gewor-den. Wissenschaft verkündet nicht mehr, was ‚richtig‘ ist, sondern analysiert, was wie wo wann warum von wem und wie lange als gültig erachtet wird – und welche Funktion dies im jeweiligen Kontext erfüllt.

Analytisch ist dabei zu differenzieren, was in der sprachlichen und literari-schen Praxis eine unauflösbare Einheit bildet: die formale Gestaltung sprach-licher Äußerungen einerseits, ihr pragmatischer Einsatz andererseits und − drittens − die inhaltliche Ebene. Wenn poetische Texte oder unerwartete „Miß-töne vom Rande der Gesellschaft“ (vgl. ZAIMOGLU 1995) gegen Konventionen der herrschenden Syntax oder gar gegen das sprachlichen Äußerungen gerne unterstellte Verständlichkeitsgebot verstoßen, stellen sie in grundsätzlicher http://dx.doi.org/10.18778/2196-8403.2015.04

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Weise die Verknüpfungsregeln in Frage, mit derer Hilfe die jeweilige Gesell-schaft ihre Zeichen und Bedeutungen zu einem in sich geschlossenen Sinnge-füge zusammenzubinden versucht – wer bewusst gegen die Grammatik ver-stößt, erweckt (sofern er nicht einfach nur als hilflos und den Anforderungen der Kultur an ihre Mitglieder nicht gewachsen erscheint) leicht den Abwehr hervorrufenden Eindruck, er wolle die Logik und damit vielleicht gar die als ‚natürlich‘ geltende Weltordnung aufsprengen. Nicht umsonst gingen viele solcher Konventionsverstöße auf pragmatischer Ebene lange Zeit mit einem Gestus aufbegehrenden Revoluzzertums einher, das mittlerweile freilich bis in den Bereich der Pop-Kultur hinein selbst so konventionalisiert worden ist, dass es seinerseits als kommerzielle Norm erscheint, gegen die heute eher mit dem unauffälligeren Mittel stiller Ironie verstoßen wird. Gerade im ästhetischen Be-reich gibt es denn auch komplexe Mittel der Infragestellung des scheinbar Gül-tigen, die – etwa unter den Bedingungen autoritärer oder gar totalitärer Schreibumgebungen – in wohlgeformter Sprache scheinbar nichts in Frage stellen als nur die im Kunstwerk selbst geschaffenen Bezüge und Gültigkeiten etwa durch einen unglaubwürdigen Erzähler, der die Leser in einen Fiktionali-täts- und Glaubwürdigkeitspakt lockt, den er selbst nicht einhält. Nichts scheint dann mehr aufzugehen, die künstliche Welt zerfällt und legt ihre eigene Künst-lichkeit und Gemachtheit offen. Rückschlüsse auf die Vertrauenswürdigkeit ihrer kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Umgebung dürfen die der-art zum Misstrauen erzogenen Leser dann selbst ziehen, ohne doch irgendwo explizit dazu aufgefordert zu sein.

So sind es nicht nur formale und im Bereich des sozialpragmatischen Verhal-tens angesiedelte Regelbrüche, die Normen unterlaufen. Auf syntaktischer wie pragmatischer Ebene scheinbar den herrschenden Konventionen angepasst (also innerhalb des von den Konventionen selbst zur Verfügung gestellten Fel-des tolerabler Abweichung und Variation verbleibend) kann eine Kultur auch durch die Verwendung einer ‚falschen‘, gemeinhin tabuisierten Semantik (oder eine ‚falsche‘ Verwendung der Semantik) provoziert und in Frage gestellt werden – sei es durch den Aufbau Selbstverständlichkeiten in Frage stellender und unterlaufender Vieldeutigkeit, Inkohärenz und Ambivalenz, sei es durch explizite Thematisierung gesellschaftlich unliebsamer oder gar tabuisierter Brüche vorgeschriebener Verhaltensweisen. Nicht die Darstellungsweise, son-dern die Tatsache der Darstellung selbst wird dann zur Abweichung, nicht die Syntax, sondern die Semantik. Dazu kann der offene Gebrauch als unschick-lich geltender Wörter und Formulierungen ebenso gehören wie die ästhetische Darstellung innergesellschaftlich als ‚falsch‘ bewerteter Lebensweisen, eine

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25 politisch unliebsame Themenwahl oder metaphysisch ketzerische Thesenbil-dung. Egal, ob Jugendliche in und mit ihrem Soziolekt lustvoll Tabus brechen oder in komplex anspruchsvoller Literatur Heikles evoziert wird – mit jedem Regelbruch steht immer auch die Verfasstheit der jeweiligen Gesellschaft zur Debatte. Ihre Normen und Standards geraten dadurch in den Blick, dass sie in Frage gestellt werden.

Literatur

KOSELLECK,REINHART (1972): Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissen-schaft. In: CONZE,WERNER (ed.): Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts. Stuttgart, 10-28.

ZAIMOGLU,FERIDUN (1995): Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft. Hamburg.

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