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Die Vielfalt der musikpädagogischen Konzeptionen in der sowjetischen Ukraine in den 1920er und 1930er Jahren

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Academic year: 2021

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Luba Kyyanovska

(Lviv, Nationale Musikakademie „Mykola Lyssenko“ Inhaberin des Lehrstuhls für Musikgeschichte) ORCID: 0000-0002-0117-5078

luba.kyjan@gmail.com

Die Vielfalt der musikpädagogischen Konzeptionen in der sowjetischen Ukraine in den 1920er und 1930er Jahren

The Diversity of Concepts of Music Education in Soviet Ukraine in the 1920s and 1930s

Abstract

In this article, the music education systems of Central and Eastern Ukraine are presented. The historical background of the pedagogical concepts of Kyrylo Stetsenko, Mykola Leonto-wytsch, Jakiv Mamontow, Hnat Chotkewytsch and Wasyl Werchowynec are considered. In addition to the holistic development of children, music-pedagogical concepts were to cultivate their sense of national identity.

The most important principles of Ukrainian music pedagogy are briefly characterized in the interwar period

The first principle is the correspondence of the goals and methods with the leading music teaching systems in Europe – Karl Orff, Zoltan Kodai, Emil Jacques-Dalcroz and Leo Kesten-berg. The focus of all systems is the child and their creative potential, which must be developed not only through the art of music per se, but through the synthesis of all other forms of artistic activity.

The second principle – the consistent introduction of national folk traditions and musical material – requires further explanation. As a stateless nation that urgently needed to make up for lost time quickly (since most of the formerly stateless peoples had already formed their identity markers, also in education), the Ukrainians developed musical and educational con-cepts that, in addition to the above-mentioned holistic development of the child, had to pre-serve a sense of national identity. In addition, the acquisition of national musical archetypes in early childhood seems indispensable, which is why all music-pedagogical systems clearly prefer folk songs, folk dances, customs and manners.

Vol. 9 pp. 127–140 2020

ISSN 2083-1226 https://doi.org/10.34858/AIC.9.2020.339 © Copyright by Institute of Music of the Pomeranian University in Słupsk Received: 02.10.2020

Accepted: 26.11.2020

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Schlüsselwörter:

musikalische und pädagogische Konzepte, ukrainische Musikpädagogik, kreatives Potenzial eines Kindes, Volkslieder und Tänze

Key words:

musical and pedagogical concepts, Ukrainian musical pedagogy, creative potential of a child, folk songs and dances

Die Zeit des Interbellum in der ukrainischen Musikpädagogik sollte in erster Linie aus sozialhistorischer Perspektive betrachtet werden unter Berücksichtigung der ak-tuellen staatlich-politischen Lage des Landes und des ukrainischen Volkes. In dieser Zeit hing das Schicksal der ukrainischen Musikpädagogik ganz entscheidend von den historisch-politischen Umständen ab. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Land zwischen den anderen, teilweise auch neu entstandenen Staaten aufgeteilt. Die wes-tlichen Territorien gehörten ab 1918 zu Rumänien (Bukowina), ab 1919 zu Polen (Galizien) und zur Tschechoslowakei (hintere Karpaten). Die Zentral- und Ostukra-ine wurden Sowjetrußland zugeschlagen und war 1922 als Ukrainische SSR Grün-dungsmitglied der Sowjetunion. Die Musikpädagogik hatte sich der real existierenden sozial-politischen und kulturellen Wirklichkeit anzupassen, die ihr jeder Staat, in dem Ukrainer lebten, als eigene Bedingungen auferlegte. Im vorliegenden Vortrag werden die musikpädagogischen Systeme dargelegt, die in der Zentral- und Ostukraine entwi-ckelt worden sind, weil sie erstens die zahlreichsten, zweitens die wichtigsten in der Geschichte der nationalen Musikpädagogik wurden. Musikausbildung und Musik- e rziehung in der Ukraine wiesen im Laufe der Jahrhunderte besondere Merkmale auf, die zu berücksichtigen sind, um die Vielfalt der musikalischen und pädagogischen Konzepte in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts richtig zu verstehen.

Erstens: Die didaktische und lehrreiche Rolle der Musik war bereits in den ar-chaischen Folkloretraditionen vorgeprägt. Ein sehr umfangreiches Kompendium von Kinderliedern und Kindertänzen, mit der Kinderwelt verbundene Bräuche und Sitten, musikalische Kinderspiele, theatralische Szenen, scherzhafte und alltägliche Kinder-liedcr setzte sich natürlich in den ethnisch-pädagogischen Systemen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fort und entwickelte sein weitgehendes didaktisches Po-tenzial noch in den 1920er und 1930er Jahren. „Kinderfolklore […] entspricht den altersbedingten Besonderheiten von Kindern in der Auswahl von Themen, Bildern, Ideen; gekennzeichnet durch eine Kombination von der Musik, verbalem Material mit Spielelementen, begleitenden Bewegungen; viele Werke weisen eine ausgeprägte Bildungsfunktion auf“1.

Zahlreiche Formen der Kinderfolklore wurzelten in tiefer Vorzeit. Unter ihnen sind Rufe und Sprüche wahrscheinlich die ältesten. Sie sind aus dem heidnischen Glauben an die allmächtigen Kräfte der Natur entstanden und sollen die Magie des Wortes nutzen, um die wohltuenden Wirkungen natürlicher Elemente hervorzurufen

1 Мар’яна Лановик, Зоряна Лановик, Українська усна народна творчість (Київ: Знання-Прес, 2006), 589.

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oder ihre zerstörerische Kraft abzuwehren. „Mit den heidnischen archaischen Ritu-alen, eng verbunden mit der Vergötterung der Natur, haben die Rufe und Sprüche mehrere Jahrhunderte das Kind in die Wirklichkeit des landwirtschaftlichen Lebens integriert. Jedes natürliche Element, jedes natürliche Phänomen spiegelte sich in ih-nen als wunderbare Kraft wider, zu der sie um Ernte, Wohlstand, Blühen beteten“2.

Als zweite spezifische Voraussetzung für die Musikpädagogik in der aufgeteilten Ukraine wuchs der Musik die Rolle als einer der stärksten Faktoren für die Wahrung nationaler Identität und die Förderung des historischen Gedächtnisses zu. Vor allem die Volkslieder wurden zur wichtigsten einigenden Verbindung des staatlosen Volkes. Nicht zufällig betonte eine der aktivsten ukrainischen Pädagoginnen Sofia Rusova ihre Bedeutung für Schüler bei volkstümlichen Feiern im Sinne moralischer Erzie-hung, weil sie „außerordentliche archaisch-patriotische Schönheit in sich enthalten“3.

Eine große Rolle für die Etablierung altertümlicher Traditionen in künstlerischer Form spielte das Schaffen und die ganze pädagogisch-aufklärerische Tätigkeit von Mykola Lysenko (1842-1912), Absolvent des Leipziger Konservatoriums und Be-gründer der nationalen Komponistenschule. Seine Stücke „Die Ziege-Bocksdorne“ (1888), „Herr Kater“ (1891) und „Winter und Frühling“ (1893) sind eigens für Kinder geschriebe Opern und wurden häufig von Vorschul- und Schulkindern aufgeführt; sie bildeten die Grundlage musikalischer Früherziehung für folgende Generationen. In diesen Opern verwendet Lysenko volkstümliche Lied- und Tanzmelodien, die dem Märchensujet entsprachen und vom Komponisten künstlerisch bearbeitet wurden.

Aktiv widmeten sich auch seine Nachfolger Mykola Leontowytsch (1877-1921) und Kyrylo Stetsenko (1882-1922) der Musikpädagogik. Ihre Tätigkeit in den frühen 1920er Jahren beeinflußte die nächste Generation, darum seien ihre musikpädagogi- s chen Ideen kurz charakterisiert.

Der Komponist, Chordirigent, Pädagoge und Priester Kyrylo Stetsenko setzte als Schüler Lyssenkos seine Traditionen fort, er unterrichtete Musik in verschie denen Lehranstalten (von der Grundschule bis zu Hochschule). Aufgrund seiner pädago-gischen Erfahrungen schuf er die Kinderopern „Ivasyk-Telesyk“ (1910) und „Fuchs, Kather und Hahn“, weiter manche Chor- und Sololieder für Kinder (unter ihnen be-sonders populär ist das „Wiegenlied“ zu Worten von Oleksander Samojlen ko). Sei-ne pädagogische Überlegungen legte er in den Lehrbüchern „Schulliedbuch“ (1917), „Grundschule des Notengesanges für die Kinder“ und „Methodik des Schul gesangs“ dar. K. Stetsenko organisierte viele öffentliche Musikveranstaltungen für Kinder und schrieb Musikprogramme für Mittelschulen, um damit eine breite Musi kerziehung vom Kindergarten bis zur Hochschule zu gewährleisten. Ein Hauptprinzip seiner Mu-sikpädagogik besteht in der aktiven Wechselwirkung von Musik mit anderen Kunst- arten, er betonte die außerordentliche Bedeutung der Ergänzung von Hörein drücken im Prozess musikalischer Wahrnehmung durch andere Sinnesempfindungen. Dabei glaubte er, dass die Musikerziehung nur auf Grund von Höreindrücken zu abs trakt wäre. Als didaktisches Material wählte er am häufigsten (besonders auf den ersten

2 Олена Березюк, Чинники етнопедагогіки (Житомир: Вид-во ЖДУ ім. І. Франка, 2013), 36. 3 Софія Русова, Вибрані педагогічні твори (Київ: Освіта, 1996), 187.

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Stufen der Musikunterricht) Volkslieder, anschließend bezog er in die Programme zu-nehmend Beispiele ukrainischer und westeuropäischer professioneller Musik mit ein.

Für die wichtigste Aufgabe jedes Pädagogen hielt Stetsenko die Untersuchung der individuellen Fähigkeiten jedes Schülers und eine daran angepasste Musiken t- wicklung. Ganz allgemein sah er die besten Möglichkeiten zur Entwicklung der mu-sikalischen Fähigkeiten und ästhetischen Gefühle von Kindern im Chorsingen. Zu den methodischen und didaktischen Grundsätzen des Gesangsunterrichts gehört nach Stetsenko die Chorrezitation der Liedtexte, die dem Singen vorausgehen müs sen, d.h. er betrachtete das Singen als Erweiterung der Silben. Er ordnete dieser Idee auch sein „Schulliedbuch“ unter, das mit dem entsprechenden Abschnitt „Gedichte für das Gruppenlesen auf einem Ton“ begann. Der Komponist nannte das wirksam ste Mittel der Musiklehre die maximale Stimulation der schöpferischen Tätigkeit von Kindern, ihren Wunsch nach künstlerischem Ausdruck vollständig zu verwir klichen.

In allgemeinen standen die Grundideen der Musikpädagogik von Stetsenko – in s- besondere ihr ethisches Ziel – den musikpädagogischen Ansichten von Leo Kesten-berg sehr nahe, gehören beide doch derselben Zeit an (vgl. „Musikerziehung soll als Erziehungsprinzip‘ allen Menschen zum Besten dienen und ihre Lebenskräf te fördem“4.

Auch die Praxis des Sprechchors, die Stetsenko als besonders erfol greich für die Schu-lung des richtigen Gesanges und des Gehörs vorgeschlagen hat, erinnert an die Form des Sprechchor, die Kestenberg allerdings mit anderen Zielen gefördert hat5.

Weltweite Bekanntheit verdankt der andere ukrainische Komponist, Chorleiter und Lehrer Mykola Leontowytsch seinem Chorwerk Schtschedryk (1916), welches 20 Jahre später der amerikanischer Musiker ukrainischer Herkunft Peter J. Wilhousky englischsprachig als Weihnachtslied Carol of the Bells verbreitet hat.

Als Musikpädagoge hatte M. Leontowytsch viele interessante Ideen, die mit den damaligen wichtigsten europäischen Richtungen im Einklang standen. Zum Beispiel, er schlug vor, zur Förderung musikalischen Feingefühls Farben mit dem Klang zu kombinieren. Leontowytsch hielt dies für eine geeignete Weise, eine ganzheitliche Wahrnehmung der künstlerischen Gestalt bei den Kindern herzustellen. In seinem wichtigen didaktischen Handbuch „Praktische Gesangsausbildung in den Mittelschu-len der Ukraine“ entwickelte er ein eigenes System zur Darstellung verschiedener künstlerischer Inhalte, das auf der Beziehung von Licht und Farben zu musikalischen Klängen beruht. Er war der Ansicht, daß jeder Lehrer Musik im Kontext mit anderen Künsten unterrichten sollte6.

Weitere unentbehrliche Bedingung vollwertiger musikalischer Entwicklung sah Leontowytsch in der „unabhängigen schöpferischen Phantasie“ jedes Studierenden, 4 Zit. nach: Mia Holz, Musikschulen und Jugendmusikbewegung. Die Institutionalisierung des

öffentlichen Musikschulwesens von den 1920ern bis in die 1960er Jahre (Münster–New York:

Waxmann, 2019), 105.

5 Ich habe nirgends gefunden, daß die musikpädagogischen Texte von Leo Kestenberg irgend je-mandem von genannten ukrainischen Musikpädagogen bekannt waren. Gemeinsame Ideen, die jeder auf eigene Art und Weise begründete, einfach „schwebten in der Luft“.

6 Людмила Сбітнєва, „Музично-педагогічна діяльність українських композиторів на початку ХХ століття“, Духовність особистості: методологія, теорія і практика 6 (2016): 206-207.

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weil nur dann „die Schüler ihr Gehör richtig entwickeln und sich die Notenkunde mehr oder weniger bewußt aneignen. Durch die Improvisation kleiner Melodien soll-ten die Schülern selbst die Möglichkeit haben, ihre Fantasie zu entwickeln ohne vom Lehrer beeinflusst zu werden. [...] Solche Proben ersten selbstständigen Gestaltens führen zur Verbesserung des Singens nach Noten”7.

Leontowytsch schuf mit der Hilfe verschiedener pädagogischen Techniken sein eigenes ganzheitliches pädagogisches System, das auf innovativen Methoden und gleichzeitig auf nationalen Traditionen, Bräuchen und Sitten beruhte. Er verlangte, zu-erst den Rhythmus, dann das Hören und schließlich den Übergang zur Notenschrift zu studieren. Das besondere psychologische und pädagogische Merkmal dieses Systems besteht in der Aktivierung der Wahrnehmung, der Anregung der Aufmerksamkeit und des Interesses am Lernen. Leontowytsch „war ein Vorbote des Systems der relativen Solmisierung, das später von Zoltan Kodai (Ungarn) neu entwickelt wurde, so wie Stetsenko als erster in der Untersuchung von Intervallen eine Trittleiter verwandte, die später in das bulgarische Musiksystem an Schulen (von Boris Trichkov, 1923) ein-geführt wurde”8. Seine Auffassung zu diesem Thema hilet er in einem Memorandum -Buch mit Notiz vom 12. April 1919 fest: „Der Zweck des systematischen Singens: Selbstbeherrschung, musikalische Erziehung, Aufmerksamkeit, Gedächtniskraft, äs-thetisches Gefühl [...], die Entwicklung intellektueller Kräfte aus einem Gefühl geme in- samer Solidarität, öffentliche Institutionen (d.h. die Entwicklung kommunikativer Fähikeiten – L.K.), Disziplinierung des Willens durch Chorgesang“9.

Diese Gedanken über musikalische Erziehung von Leontowytsch oder von seinem Freund Stetsenko stehen im Einklang mit den wichtigsten westeuropäischen und ame-rikanischen pädagogischen Konzeptionen jener Zeit. Offenbar ist die Verwandschaft dieser Ideen etwa mit den Zielen und Aufgaben der pädagogischen Grundlagen von John Jewey, der in seinen pragmatischen pädagogischen Überlegungen bestätigte: „Wenn die Schule jedes Kind in eine so kleine Gemeinschaft einführt und darin au s- bildet, ihn mit dem Geist der Tätigkeit zu erfüllen und ihm die Instrumente der ef-fektiven Selbststeuerung zur Verfügung zu stellen, garantiert sie tief und bestens eine größere Gesellschaft, die würdig, schön und harmonisch ist (When the school introdu-ces and trains each child into membership within such a little community, saturating him with the spirit of service, and providing him with the instruments of effective self-direction, we shall have the deepest and best guaranty of a larger society which is worthy, lovely, and harmonious)“10.

Die ukrainische Musikpädagogik zeigt also schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bemerkenswerte Leistungen, die erfolgreich hätten weiterentwickelt werden können, wenn führende Persönlichkeit wie Stetsenko und Leontowytsch 7 Микола Леонтович, Практичний курс навчання співу у середніх школах України (Київ:

Музична Україна, 1989), 59.

8 Анатолій Завальнюк, Микола Леонтович, Дослідження, документи, листи, (До125-ї річниці від дня народження) (Вінниця: “Поділля-2000”, 2002), 73.

9 Микола Леонтович, Збiрка статей та матерiалiв. (Київ, 1947), 100.

10Zit. nach: Arthur Zilversmit, Changing Schools (Chicago: The University of Chicago Press, 1993), 6f.

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länger gelebt hätten. Aber 1921 wurde Mykola Leontowytsch von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes erschossen, Kyrylo Stetsenko starb ein Jahr später (1922) an Typhus.

Die Kulturprozesse in der Ukraine der 1920er-1930er Jahre teilen sich scharf in zwei Perioden. Die 20er Jahre sind von Wachstum und rascher erfolgreicher Entwi-cklung der ukrainischen Kultur und nationaler Wiedergeburt gekennzeichnet, für die sie als „Ukrainisation“ bezeichnet werden. Nach 200 Jahren – seit Peter I. – der Un-terdrückung und Verfolgung jeder nationaler Bewegung eröffnete das kräftige intel-lektuelle und geistige nationale Aufblühen eine große Perspektive, selbstständig von der Sowjetunion.

Die pädagogische Praxis der 20er Jahre kennzeichnete eine Vielzahl von Richtun-gen, Strömungen und Konzeptionen. Dazu gehören u. a. die experimentelle Pädagogik (Reflexologie und Pädologie – Oleksandr Zaluzhny, Ihor Sokoliansky, Wolodymyr Protopopow), das Konzept einer Ästhetisierung der Persönlichkeit (Jakiw Mamon-tow), die individualistische Pädagogik (Oleksander Musytschenko), die pragmatische Pädagogik (Borys Manshos), die freie Arbeitserziehung im Kontext der Pädologie (Jakiw Chepiga) und die nationalorientierte Erziehung (Wasyl Durdukiws´kyj)11. Alle

diese Systeme enthalten bestimmte musikalische Elemente, aber sie dienten meistens ganz anderen Aufgaben, vor allem der ideologisch bestimmten Formierung „des neu-en sozialistischneu-en Mneu-ensches“; musikpädagogische oder wneu-enigstneu-ens ästhetisch orineu-en- orien-tierte Konzeptionen waren in den Mittelschulen zweitrangig.

Eine gewisse Ausnahme von dieser Regel bildet die Konzeption der Ästhetisie-rung der Persönlichkeit des Pädagogen, Dramatikers und Theaterwissenschaftlers Jakiw Mamontow, der glaubte, die Entwicklung des „geistlichen Systems“ jedes Indi-viduums verlaufe vor allem durch das Verständnis und die Empfindung von „Schön-heit“ richtig auf der Grundlage seines pädagogischen Systems der Kategorie des „Ästhetismus“. Im pädagogischen Konzept seiner ästhetischen Erziehung erscheint „Ästhetisierung“ als das absolute, universelle Wesen. Die ästhetische Kultur, so Ma-montow, beeinflusse die individuellen, sozialen, moralischen und religiösen Han-dlungsfelder jeder Persönlichkeit. Individuell fördert sie die emotionale Entwicklung des Menschens, bereichert sein Leben, intensiviert ästhetische Erlebnisse, verursacht innerliche Harmonie. In moralischer Hinsicht beeinflusst die ästhetische Kultur die Entwicklung mitmenschlicher Gefühle und mildert den natürlichen Egoismus. Eine sehr wichtige Rolle schrieb Mamontow der religiösen Erziehung einer Persönlichkeit zu, dank deren der Mensch sein Leben mit höchstem Sinn und höchster Schönheit erfülle12. Da die ästhetische Erziehungskonzeption von Mamontow jedoch den

so-zialistischen Prinzipien der Erziehung neues Menschens nicht entsprach (das zitierte Buch ist nur einmal 1922 herausgegeben, dann verboten und völlig vergessen wor­ den, bis zum 21. Jh. in der Schublade verschwunden), ist sie nie in die ukrainische Schulpra xis eingeführt worden.

11Ольга Олексюк, Музична педагогіка (Київ: КНУКіМ, 2006), 63.

12Яків Мамонтов, Сучасні проблеми педагогічної творчості, ч. 1: Педагог як митець (Харків, 1922).

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Schon Ende der 20er Jahre forderte die politische Leitung der UdSSR immer stär-ker die ideologische Ausrichtung jeder Ausbildung. Diese Forderung ist klar in der Resolution des X Kongresses der Kommunistischen Partei (der Bolschewiker) vom 29. November 1927 „Über die Herausforderungen des kulturellen Aufbaus in der Ukraine“ formuliert worden. Darin wird das Bildungssystem als wichtigstes Mittel zur Durchsetzung kommunistischer Propaganda unter den arbeitenden Massen der Bevölkerung betrachtet, da „die ukrainische Kultur in Sprache, Form und Material als national und proletarisch, kollektivistisch und international inhaltlich“13 verstanden wurde. In dieser Resolution tauchen auch nationale Perspektiven auf, aber sie verfolgt klar als Hauptziel: „Das Wachstum und die Festigung sozialistischer Elemente in der gesamten Kulturarbeit sicherstellen“14.

Ein radikaler Bruch mit dem gesamten System sowjetischer Ausbildung fällt auf den Anfang der 30er Jahre. „Die erste Hälfte der 30er Jahre ist von der Herausbildung eines zentralisierten Systems der Kunstvermittlung geprägt. Seit 1931 gibt es keine selbständige ukrainische Pädagogik mehr. In den russifizierten Schulen werden die einheitlichen Pläne und Programme der UdSSR verwendet, die Fächer des naturmat he- matischen Zyklus dominieren, die autoritär-disziplinäre Verwaltungsform wird ein-geführt und der ideologische Kurs wird dominant. So wurde die ukrainische Schule Teil der allgemeinen pro-russisch-sowjetischen Kultur“15.

Paradoxalerweise wurden genau in diesen Jahren mehrere spezialisierte Musik- s chulen gegründet, wo junge Talente sorgfältig betreut wurden. Als besonderes Be i- spiel sei die Odessaer spezialisierte Musikschule erwähnt, die bekannter Violinpäda-goge Peter (eigentlich Peisach) Stolarski 1933 gegründet hat und wo berühmte Ge-iger wie David Ojstrach und Leonid Kogan ausgebildet worden sind. In demselben Jahr wurde am Charkiver Musik-theatralischen Institut das Studium für die musika-lisch begabten Kinder eingerichtet, im folgenden Jahr entstand eine ähnliche Schule in Kiev. Weil die musikpädagogischen Prinzipien in solchen Lehranstalten über den Rahmen meines Vortrags hinausgehen, werden sie hier nicht ausführlicher dargestellt. Ich führe diese Information nur an, um die damalige sowjetische Kulturpolitik zu de-monstrieren: einerseits wurde die allgemeine Musikausbildung immer mehr ideolo-gisiert und unifiziert, in den Mittelschulen immer mehr verringert, andererseits haben einige spezialisierte Musikschulen talentierte Kinder auf höchstem Niveau für eine Weltkarierre zur Repräsentation der hohem Qualität sowjetischer Lebensart vorberei-tet. Der Abgrund zwischen beiden Richtungen wurde immer tiefer (ähnlich verlief in der UdSSR auch die Sportausbildung).

Seit 1933 sind Repressionen nie gekannten Ausmaßes gegen die ukrainische Intel-ligenz ausgebrochen. Der Schlag hat zwei Generationen der IntelIntel-ligenz getroffen: die, die schon vor der Revolution aktiv war, und diejenige, die in den 20er Jahren in den

13Культурне будівництво в Українській РСР. Найважливіші рішення Комуністичної Партії і Радянського Уряду 1917-1959 рр.: зб. док. : у 2 т. Т. 1. (1917-червень 1941 рр.). (Київ: Держ. вид. політ. літ. УРСР, 1960), 365. 14Ibidem, 345. 15Людмила Сбітнєва, Розвиток системи музично-естетичного виховання в Україні: історико-педагогічний дискурс (Київ: Педагогічна думка, 2015), 85.

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Vordergrund getreten ist. Diese Generationen haben eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der ukrainischen Kultur, Kunst, Wissenschaft und Nationalausbildung im Allgemeinen gespielt, deshalb waren sie in erster Linie betroffen. Es kam zur sog. „erschossenen Renaissance“, d. h. zur Vernichtung der Mehrheit einer intellektuellen und künstlerischen ukrainischen Elite der 20er und 30er Jahre. Sie wurde von Stalins totalitären Regimes teils in sibirische Lager verbahnt, teils verhaftet, doch größten Teil einfach ausgerottet16. Die genaue Zahl der Repressalien untergeworfen

ukraini-schen Künstler ist bis heute nicht bekannt. Zu diesem Kreis zählten auch viele Mu-sikpädagogen, besonders solche, die auf nationalen Traditionen aufbauten.

Nur zwei Musikpädagogen seien hier mit ihren originellen Konzeptionen der Mu-sikerziehung in 20er-30er Jahre vorgestellt, die als unschuldige Opfer der sog. „er- schossenen Renaissance“ vernichtet worden sind.

Eine außerordentlich kreative Persönlichkeit war Hnat Chotkevytsch (Гнат Хоткевич, 1877-1938)17, ein prominenter ukrainischer Schriftsteller, Komponist,

Kritiker, Anthropologe, Lehrer, Regisseur, Bandurenmeister und öffentliche politi- s che Figur. Sein Interesse galt mannigfaltigen kulturwissenschaftlichen Fragen, vom Design des Dieselzugs bis zum ukrainischen Volksinstrument Bandura, das er selbst entwarf, von ethisch-philosophischen und musikwissenschaftlichen Forschungen bis zu zahlreichen literarischen und musikalischen Werken, von der Theaterregie bis zur Musikpädagogik.

Die Musikpädagogik gehörte zu den wichtigsten Interessen von Chotkewytsch, schon in jungen Jahren als Student war er in der Organisation von Amateurchören, Volkstheatern (Arbeitstheatern) in seiner Heimatstadt Charkiv tätig. Als er 1910 nach Galizien umzog, gründete Chotkewytsch im Dorf Krasnoilla (Красноїлля) ein Huzu-lisches Theater mit Laiendarstellern und führte in den nächsten Jahren sehr erfol g- reich Stücke huzulischer Thematik und Geschichte auf. Chotkewytsch organisierte Gastspiele nicht nur in mehreren galizischen Städten, sondern auch in Krakau und Moskau. Als er umfangreiche praktische Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Laiendarstellern – sowohl in der Musik als auch im Theater – gesammelt hatte, kam er zu dem Schluss, dass es nie zu spät sei, künstlerische Fähigkeiten zu entwickeln und dadurch die Einstellung eines Menschen zu seinen eigenen künstlerischen Wer ten zu befestigen.

Auf der Suche nach einer optimalen Methode nationaler Musikerziehung gleich verwendbar für Kinder und ältere Studierende kam Chotkewytsch zu der Überzeu-gung, daß diesem Ziel am besten die musikalische Ausbildung von Volksmusikern mit dem uralten Volksinstrument der Bandura entspräche. Die Bandura, für die er sich aus verschiedenen Gründen entschied, schien ihm zweckmäßig zur Entwicklung musika lischer Begabungen und Fertigkeiten. Erstens handelt es sich um ein uraltes

16Sieh dazu: Agnieszka Korniejenko, Rozstrzelane odrodzenie (Kraków, Przemyśl: Towarzystwo Przyjaciół Nauk w Przemyślu, 2010).

17Lebenslauf von Hnat Chotkewytsch und seine pädagogische Konzeption sind nach dem folgen-den Buch dargestellt: Надія Супрун, Гнат Хоткевич – музикант (Рівне: Ліста, 1997) und: Гнат Хоткевич, Спогади. Статті. Світлини, Упорядники Анатолій Болабольченко, Галина Хоткевич (Київ: УКСП “Кобза”, 1994).

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Instru ment, das mit Kobzaren, blinden Wandermusikern, in Verbindung gebracht wird, de ren Gesang und dramatisches Repertoire die Geschichte des Volkes objektiv darstellt – im Gegensatz zur offiziellen, von imperialen Historikern verdrehten Ge-schichte. Das Studium des Kobzaren-Repertoires diente daher dazu, das historische Gedächtnis zu bewahren. Zweitens wollte Chtokewytsch unbedingt dieses originelle und klang reiche Instrument in die akademische Konzertpraxis einführen und so eine spezifische nationale Musiktradition in die gesamteuropäische integrieren. Dafür er-stellte er die Bandura in eigener Konstruktion, sog. „chromatische Bandura“ mit Um-schalthebeln, auf der jedes Werk spielbar ist. von der Begleitung alter Volkslieder bis zu Transkrip tionen Bachscher Fugen und Konzerten von Vivaldi.

1930 erschien der erste (theoretische) Teil seines Lehrbuchs über die Bandura, der sich nicht grundlegend von der Ausgabe von 1909 unterschied. Das Lehrbuch war so-wohl für Studenten als auch für Liebhaber gedacht, die das Banduraspiel selbstständig erlernen wollten. 1931 erschien der zweite (praktische) Teil des Lehrbuchs, der eine Fortsetzung der vorherigen Ausgabe darstellte, Übungen zur Entwicklung der tech-nischen Fähigkeiten der Schüler, der freien Arbeit beider Hände während des Spiels usw. umfasste. Chotkewytsch arbeitete weiter daran, eine wissenschaftliche und me-thodische Grundlage für die Vorbereitung nationaler musikpädagogischer Fachkräf te zu schaffen, und erarbeitete den dritten Teil des Lehrbuchs, den er in Form einer Re-pertoiresammlung von Musikwerken in Bearbeitung für Bandura geplant hatte. Lei-der wurde dieser letzte Teil nach seinem Tod vernichtet18.

1938 wurde Chotkewytsch der antisowjetischen Tätigkeit beschuldigt und verhaf-tet, am 29. September 1938 der Teilnahme an einer konterrevolutionären Organisation angeklagt und am 8. Oktober 1938 hingerichtet. Am 11. Mai 1956 wurde das Todes-urteil als rechtswidrig erklärt und zurückgezogen.

Ein ähnliches Schicksal wie Chotkewytsch ereilte einen anderen talentierten Musiker, Wassyl Werchowynec´ (Василь Верховинeць, richtiger Name – Kostiw (Костів), (1880-1938)19, Komponist, Dirigent und Choreograph, erster Theoretiker

des ukrainischen Volkstanzes, Autor von vielen musikwissenschaftlichen Forschun-gen, Folklorist, Lehrer der Chordisziplinen, der Musiktheorie und Harmonie, Chor-leiter, Sänger und bemerkenswerte Figur nationaler Wiedergeburt. Fruchtbare

18Es war eng mit der Missetat gegen die blinden Kobzaren verbunden. Im Dezember 1933 fand ein Plenum der Volkskünstler aus der ganzen Ukraine statt. Während dieser Veranstaltung sind die ukrainischen Volksinstrumente Kobza und Bandura den „Klassenfeind“ genannt, weil sie „na-tionalistische Vergangenheit mit Hetmanen und Kosaken“ romantisieren. Dementsprechend sind auch Kobzaren als die Klassenfeinde betrachtet. Nach diesem Plenum sind unsichtige uk rainische Volkssänger unter dem Vorwand, eine Reise zum Kongress der Volkssänger der ganzen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu organisieren, die in Moskau stattfinden sollte, in den Zug gebracht, und bei dem Dorf Kosaken Lopan (Козача Лопань) nächtens ausgestie gen. Dort wurden schon früher ausgehobenen Graben aufgenommen, vor denen sie mit ihren jugendlichen Blindführern von Einsatz-Kommande in einer Reihe geordnet und erschossen wurden. Danach die Leichen wurden mit dem Kalk und Grund bedeckt. Die Musikinstrumen ten sind in der Nähe verbrannt“. Zit. nach dem Buch: Петро Черемський, Щедрик (Харків: Сокіл, 1994), 172. 19Lebenslauf von Wassyl Werchowynec´ nach: Андрій Гуменюк, „Хореографічна діяльність

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Aktivi täten von Werchowynec´ wurden durch die Verleumdung unterbrochen: am 10. April 1938 verurteilte die „Trojka“ in Kiew den fast 60-jährigen Musiker zu Tode, gleich am nächsten Tag wurde er erschossen. Werchowynec´ wurde erst 20 Jahre nach sei nem Tod während des „Chruschtschower Tauwetters“ im Jahr 1958 rehabilitiert.

Die Ideen von M. Leontovich hatten einen wesentlichen Einfluss auf die pädago-gische Anschauung von Werchowynec. Dabei hat er die Rolle des Liedes in der Erzie-hung der jüngeren Generation tiefschürfend überdacht, wie es die Vielseitigkeit seiner Interessen und pädagogischen Ziele nahelegte. Er betrachtete das motorische Wesen musikalisch-rhythmischer Empfindung und überdachte die Rolle der Bewegung beim Singen in Bezug auf die umfassende (physiologische, psychologische und musika-lische) Entwicklung des Kindes. Auf der Grundlage pädagogischer Beobachtungen gelangt er zu dem Schluss, es sei „der größte Wunsch jedes Kindes – der Wunsch, sich zu bewegen“20.

Dem pädagogischen Erbe von Werchowynec gebührt ein besonderer Platz in der Geschichte ukrainischer Musikpädagogik. Es besteht aus pädagogischen und metho-dischen Handbüchern wie „Frühlingsliedchen“, „Theorie des ukrainischen Volkstan-zes“ und „Lesebuch der ukrainischen Volkstänze“, die das Wissen und die Erfahrung von Werchowynec‘ Erfahrung aus langjähriger Arbeit mit Kindern widerspiegeln.

Besonders wichtig für das Verständnis seiner pädagogischen Konzeption er scheint die Sammlung von Kinderspielen mit Liedern „Frühlingsliedchen“. Ihre pädagogi- sche und ästhetische Bedeutung besteht darin, dass inhaltlich mannigfaltige Lie-der mit Tänzen ins theatralische Spiel inkorporiert werden, die es KinLie-dern ermög-licht, die wohltuende Wirkung von Musik und Sprache, Tanz und rhythmischen Be-wegungen zu spüren. In „Frühlingliedchen“ werden gezielt ausgewählte Lieder und Spiele zu verschiedenen Themen mit der Arbeit von Erwachsenen verbunden. Es gibt, z. B. Lieder und Spiele, dank denen die Kinder die Bedeutsamkeit alltäglicher Arbeit zu verstehen beginnen: Brot backen („Ofen, Ofenbäcker“), Gras mähen („Auf dem Feld der Mäher“, „Junge Mäher“), „Karotten, Mohn und Pastinaken“ säen („Weide flechten“), sich mit der Arbeit eines Küfers, Schuhmachers, Schmiedes (entsprechen-de Lie(entsprechen-der mit (entsprechen-denselben Titeln) und (entsprechen-dergleichen bekanntzumachen21.

Die Liedsammlung kann in drei Gruppen eingeteilt werden. Die erste beinhaltet Liederspiele, die Lebensphänomene widerspiegeln, als wären sie in einem bestimm-ten Zustand fixiert. Sie werden im selben Plan reproduziert, ohne wesentliche Ände-rungen, was es den Kindern ermöglicht, sie auf dieselbe charakteristische Weise zu verkörpern.

Die zweite Gruppe besteht aus Werken, in denen zwar ein Bild reproduziert wird, das eine ausgeprägte Entwicklungsdynamik aufweist. Werke dieser Art suggerieren ein spezifisches Aktionsprogramm, das zu möglichen Variationen des Spiels führt.

Die mögliche Variabilität von Bewegungen auf einer einzigen musikalischen Basis gibt Kindern große Möglichkeiten für Kreativität, für eigene spontane Phantasien.

20 Василь Верховинець, Весняночка. 5-е вид. (Київ: Музична Україна, 1989), 5. 21Василь Верховинець, Весняночка.

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Die dritte Gruppe umfasst die spielerischen theatralischen Werke mit Musik, die kontrastieren und die Kinder ermutigen, Beziehungen zwischen den verschiedenen handelden Personen herzustellen, d.h. die Handlung des Spiels zu entwickeln. Die-se Werke zeichnen sich durch die dynamische Entwicklung musikalisch-poetischer Inhalte aus.

Aus demselben Grund sind die Bewegungen unterteilt in: a) Vorbereitung des Tan-zes (Kopfschütteln, Fußklopfen, Händeklatschen usw.); Tanz – Elemente des Volks-tanzes; b) Gymnastik – Bewegungen mit und ohne Gegenstände, kollektive Übungen; c) Pantomime (pantomimische Bewegungen) – Bewegungen nachahmender Natur, mit denen Bewegungen von Tieren, Vögeln, Handlungen von Menschen usw. darge-stellt werden22. Die Analyse des Konzepts der musikalischen Ausbildung von

Wer-chowynec im Kontext der europäischen Musikpädagogik lässt den Schluss zu, dass seine pädagogischen Ideen den fortgeschrittenen Ideen der europäischen und nationa-len Musikpädagogik entsprechen.

Dies stellte sich zum Beispiel im Zusammenhang mit Karl Orff als Ziel der Mu-sikausbildung heraus, das kreative Potenzial von Kindern zu wecken, die Verbin-dung von Musik mit Bewegung, die VerwenVerbin-dung der Bewegung und Improvisation (E. Jacques-Dalcroz), das Vertrauen auf Traditionen der ukrainischen Gesangskultur (M. Leontowytsch), Dazu kommen als Bildungsmittel das Streben nach Einheit und natürlicher Synthese von Worten, Musik, Bewegung (Jacques-Dalcrose), die grundle-gende Rolle des Gesanges a capella, welches auf dem nationalen Intonationsgut und ihrer thypischen Metrorhythmik beruht (M. Leontowytsch)23.

Zum Schluß sollen die wichtigsten Prinzipien der ukrainischen Musikpädagogik in der Periode Interbellum kurz allgemeinen zusammengefasst sein.

Das erste Prinzip besteht in der Entsprechung von Zielen und Methoden mit den führenden musikdidaktischen Systemen Europas – Karl Orff, Zoltan Kodai, Emil Jacques-Dalcroz und Leo Kestenberg (obwohl im Gegensatz zu den drei an-deren Systemen, die in der ukrainischen Schulpraxis bekannt und angewendet wur-den, Ke stenberg ohne Resonanz bei den Musikpädagogen blieb). Im Mittelpunkt al-ler Sy steme steht das Kind und sein schöpferisches Potenzial, das nicht nur durch musika lische Kunst schlechthin, sondern durch alle Formen künstlerischen Handelns in ihrer Synthese entwickelt werden muss.

Das zweite Prinzip – die konsequente Einführung von nationalen Volkstraditionen und Musikmaterial – bedarf weiterer Erläuterungen. Als staatenlose Nation, die die verlorene Zeit dringend wettzumachen suchte (da die meisten ehemals staatenlosen Völker bereits ihre Identität gebildet hatten, auch in der Pädagogik), entwickelten die Ukrainer musikalische und pädagogische Konzepte, die neben der oben erwähn-ten ganzheitlichen Entwicklung des Kindes ein Gefühl der nationalen Identität pfle-gen mussten. Daher sind alle hier vorgestellten ukrainischen musikpädagogischen Sy steme national ausgerichtet. Es ist auch damit verbunden, daß für die Ukrainer

22Світлана Панасюк, „Музично-педагогічні ідеї Василя Верховинця“, Педагогічний часопис

Волині 3 (2017), 19.

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ange sichts ihrer „musikalischen Mentalität“ und ihres umfangreichen Liederbes die Folk lore als Kern nationaler Identität nach wie vor bestimmend bleibt. Vortrefflich prägte das Wesen des Volksliedes in der Weltanschauung der Ukrainer Nikolaj Gogol, ein bekannter russischer Schriftsteller ukrainischer Herkunft, der die Volkslieder per-fekt kannte und selbst aufzeichnete:

“[Die Lieder bedeuten – L.K.] eine Volksgeschichte, eine lebendige, prägnante, farbenfrohe Geschichte, eine Wahrheit, die das ganze Leben der Menschen enthüllt [...] Sie sind ein Grabstein der Vergangenheit, mehr als ein Grabstein: ein Stein mit dem ausdrucksvollen Relief einer historischen Inschrift - nichts gegen diese lebendige Chronik, die spricht und klingt über die Vergangenheit. In dieser Hinsicht bedeuten die Lieder für die Ukraine alles: Poesie, Geschichte und das Grab des Vaters [...] Der Historiker wird umsonst in ihnen nach dem Datum der Schlacht oder nach der ge-nauen Erklärung des Ortes suchen. Aber wenn er das wahre Leben, die Naturelemente des Charakters, alle mannigfaltige Äußerungen von Gefühlen, Erregungen, Leiden, Freuden der Menschen, welche er darstellt, kennenlernen möchte, wenn er den Geist der vergangenen Epoche, die Gemeinsamkeit von allen Menschen und jedem im Be-sonderen einsaugen begehrt, dann wird er vollkommen zufrieden sein: Die Geschich-te des Volkes wird ihm in klarer Größe offenbart“24.

Darüber hinaus scheint der Erwerb nationaler musikalischer Archetypen in frühen Kinderjahren unentbehrlich zu sein, warum auch alle musikpädagogische Systeme sorfältig die Volkslieder, Volkstänze, Bräuche und Sitten präferieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind alle hier dargestellten musikpädagogischen Systeme auf unifizierte sowjetische ideologisierte Musikerziehung reduziert worden. Die Konzeptionen der begabten nationalen Komponisten-Pädagogen waren auf lan-ge Jahre „außer Betrieb“ lan-gesetzt. Erst nach der Wende 1991 werden sie allmählich wiederentdeckt, aber die vollständige Umsetzung in breiterer Schulpraxis ist bis heute noch nicht erreicht worden.

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