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ßGESCHLECHT UND CHARAKTER.
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E I N E P R I N Z I P I E L L E U N T E R S U C H U N G VonOTTO WEININGER
Z W Ö L F T E UNVERÄND ERTE A U F L A G EWIEN UND LEIPZIG
W I L H E L M B R A U M Ü
K . U . K . H O F- U N D U N IV E R S IT Ä T S -B U C H I
A L L E R ECH TE, INSBESONDERE D AS RECHT DER ÜBERSETZUNG VO RBEH ALTEN .
VORWORT
ZUR E R S T E N A U FLA G E .
D ieses Buch unternimmt es, das Verhältnis der
Geschlechter in ein neues, entscheidendes Licht zu
rücken. E s sollen nicht möglichst viele einzelne Charakter
züge aneinandergereiht, nicht die Ergebnisse der bis
herigen wissenschaftlichen Messungen und Experimente
zusammengestellt, sondern die Zurückführung alles Gegen
satzes von Mann und Weib auf ein einziges Prinzip
versucht werden. Hiedurch unterscheidet es sich von allen
anderen Büchern dieser Art. E s verweilt nicht bei diesem
oder jenem Idyll, sondern dringt bis zu einem letzten
Ziele vor; es häuft nicht Beobachtung auf Beobachtung,
sondern bringt die geistigen Differenzen der Geschlechter
in ein S y ste m ; es gilt nicht den Frauen, sondern der
Frau. Zwar nimmt es stets das Alltäglichste und Ober
flächlichste zu seinem Ausgangspunkt, aber nur, um alle
konkrete Einzelerfahrung zu d eu ten . Und das ist hier
nicht
»induktive Metaphysik«,
sondern schrittweise
psychologische Vertiefung.
Die Untersuchung ist keine spezielle, sondern
eine prinzipielle; sie verachtet nicht das Laboratorium,
wenn ihr auch seine Hülfsmittel dem tieferen Probleme
gegenüber beschränkt erscheinen vor dem Werke der
selbstbeobachtenden Analyse. Auch der Künstler, der
ein weibliches Wesen darstellt, kann Typisches geben,
ohne sich vor einer experimentellen Merkergilde durch
Zahl und Serie legitimiert zu haben. D er Künstler ver
schmäht nicht die Erfahrung, er betrachtet es im G egen
teile als seine P flich t, Erfahrung zu gewinnen; aber sie
ist ihm nur der Ausgangspunkt eines Versenkens in sich
selbst, das in der Kunst wie ein Versenken in die
Welt erscheint.
Die Psychologie nun, welche hier der Darstellung
dient, ist eine durchaus philosophische, wenn auch ihre
eigentümliche Methode, die allein durch das eigentüm
liche Thema sich rechtfertigt, es bleibt, vom trivialsten
Erfahrungfcbestande auszugehen. D er Philosoph aber hat
nur eine der Form nach vom Künstler verschiedene Auf
gabe. W as diesem Symbol ist, wird jenem Begriff. Wie
Ausdruck und Inhalt, so verhalten sich Kunst und Phi
losophie.
D er Künstler hat die Welt eingeatmet, um
sie auszuatmen; für den Philosophen ist sie ausgeatm et,
und er muß sie wieder einatmen.
Indes hat alle Theorie notwendig immer etwas Präten
tiöses; und so kann derselbe Inhalt, der im Kunstwerk
wie Natur erscheint, hier, im philosophischen System e,
als eng zusammengezogene Behauptung über ein A llge
meines, als These, die dem Satz vom Grunde unter
steht und den Beweis antritt, viel schroffer, ja beleidigend
wirken. Wo die Darstellung antifeministisch ist — und
das ist sie fast immer — dort werden auch die Männer
ihr nie gerne und mit voller Überzeugung zustimmen:
ihr sexueller Egoismus läßt sie das Weib immer lieber
so sehen, wie sie es haben wollen, wie sie es lieben
wollen.
Vorwort zur ersten Auflage. VII
Und wie sollte ich nicht erst auf die Antwort
gefaßt sein, welche die Frauen für mein Urteil über
ihr Geschlecht haben werden?
Daß die Untersuchung an ihrem Ende gegen den
* M ann sich kehrt, und, freilich in einem tieferen Sinne,,
als die Frauenrechtlerin ahnt, ihm die größte und
eigentliche Schuld zumißt, das wird ihrem Verfasser
wenig fruchten/ und ist von einer Beschaffenheit, die
ihn zu allerletzt beim w eib lich en Geschlechte könnte
rehabilitieren helfen.
Zum Schuldproblem aber gelangt die Analyse,
weil sie von den vordersten und nächstliegenden
Phänomenen bis zu Punkten aufsteigt, von denen
nicht nur ein Einblick in das Wesen des Weibes und
seine Bedeutung im Weltganzen, sondern auch der
Aspekt auf sein Verhältnis zur Menschheit und zu deren
letzten und höchsten Aufgaben sich öffnet, von wo zum
Kulturproblem eine Stellung gewonnen und die Leistung
der Weiblichkeit für das Ganze der ideellen Zwecke ein
geschätzt werden kann. Dort also, wo Kultur- und
Menschheitsproblem zusammenfallen, wird nicht mehr bloß
zu erklären, sondern auch zu werten versucht; ja dort
fallen Erklärung und Wertung von selbst zusammen.
Zu solcher Höhe des Ausblickes gelangt die Unter
suchung gleichsam gezwungen, ohne von Anfang an
auf sie loszusteuern. A uf dem empirisch-psychologischen
Boden selber ergibt sich ihr allmählich die Unzuläng
lichkeit aller empirisch-psychologischen Philosophie. Ihre
Ehrfurcht vor der Erfahrung wird hievon nicht beein
trächtigt, denn stets wird für diese der Sinn nur
erhöht und nicht zerstört, wenn der Mensch in der
Erscheinung — freilich dem Einzigen, das er erlebt —
jene Bestandteile bemerkt, die es ihm zur Gewißheit
machen, daß es nicht bloß Erscheinung gibt, wenn er
jene Zeichen in ihr wahrnimmt, die auf ein Höheres,
ü b er ihr Gelegenes weisen. Daß ein solcher Urquell
ist, läßt sich feststellen, auch wenn kein Lebender je
zu ihm Vordringen wird. Und bis ln die Nähe dieses
Quells will auch dieses Buch leiten, und nicht eher
rasten.
Innerhalb des Engpasses, in welchem die gegensätz
lichen Meinungen über die Frau und ihre F rag e bis nun
immer aufeinander gestoßen sind, hätte es freilich nie
gew agt werden dürfen, solch hohes Ziel anzustreben.
Aber das Problem ist eines, das mit allen tiefsten R ät
seln des Daseins im Zusammenhänge steht. Nur unter
der sicheren Führung einer W e lta n sc h a u u n g kann
es, praktisch und theoretisch, moralisch oder metaphy
sisch aufgelöst, werden.
W eltanschauung — das nämlich, was diesen Namen
verdient — ist nichts, das einzelner Erkenntnis je könnte
hinderlich werden; im Gegenteil wird alle besondere
Einsicht von tieferer Wahrheit durch sie erst hervor
getrieben. W e lta n s c h a u u n g ist an sich p ro d u k tiv ;
nie aber kann sie, wie dies jed es Zeitalter nur empiri
scher Wissenschaft glaubt, aus einer noch so großen
Summe speziellen Wissens synthetisch erzeugt werden.
E s sind nur Keime einer solchen Gesamtauffassung,
die in diesem Buche sichtbar werden, einer Auffassung,
die den Weltanschauungen P la to s , K a n te n s und d e s
C h riste n tu m s am nächsten steht. Aber die wissenschaft
liche, psychologisch - philosophische, logisch - ethische
Grundlegung mußte ich mir zu einem großen Teile Selbst
schaffen. Vieles zwar, dessen nähere Ausführung nicht
mög-Vorwort zur ersten Auflage. IX
lieh war, gedenke ich demnächst eingehend zu begründen.
Wenn ich dennoch gerade auf diese Partien des Buches
hier ausdrücklich verweise, so ist es, weil mir an der
Beachtung dessen, was über die tiefsten und allge
meinsten Probleme in ihm ausgesprochen ist, noch mehr
liegt, als an dem Beifall, welchen die besondere An
wendung auf die Frauenfrage allenfalls erwarten könnte.
Sollte es den philosophischen Leser peinlich be
rühren, daß die Behandlung der höchsten und letzten
Fragen hier gleichsam in den D ie n st eines Spezial -
problemes von nicht übergroßer Dignität gestellt scheint:
so teile ich mit ihm das Unangenehme dieser Empfin
dung. Doch darf ich sagen, daß durchaus das Einzel
problem des Geschlechtsgegensatzes hier mehr den A us
gangspunkt als das Ziel des tieferen Eindringens bildet.
So erfloß reicher Gewinn aus seiner Behandlung auch
für die logischen Kardinalfragen nach Urteil und Begriff
und deren Verhältnis zu den Axiomen des Denkens, für
die Theorie des Komischen, der Liebe, des Schönen
und des Wertes und Probleme wie Einsamkeit und Ethik
und die Beziehungen der beiden untereinander, für
das Phänomen der Genialität, des Unsterblichkeits
bedürfnisses und des Judentumes. Daß die umfassenden
Auseinandersetzungen schließlich dem Spezialproblem
zugute kommen, weil es in um so mannigfachere B e
ziehungen tritt, je mehr das Gebiet sich vergrößert,
das ist natürlich. Und wenn sich in diesem weiteren
Zusammenhänge herausstellt, wie gering die Hoff
nungen sind, welche Kultur an die Art des W eibes
knüpfen kann, wenn die letzten Resultate eine voll
ständige Entwertung, ja eine Negation der Weiblichkeit
bedeuten: es wird durch sie nichts zu vernichten gesucht,
was ist, nichts herunterzusetzen, was an sich einen Wert
hat. Müßte mich doch selbst ein gewisses Grauen vor
der eigenen T at anwandeln, wäre ich hier wirklich nur
Zerstörer, und bliebe nichts auf dem P lan ! Die Be
jahungen des Buches sind vielleicht weniger kräftig
instrumentiert w orden: wer hören kann, wird sie wohl
aus allem zu vernehmen wissen.
Die Arbeit zerfällt in zwei T e ile : einen ersten,
biologisch-psychologischen, und einen zweiten, psycho
logisch-philosophischen. Vielleicht wird mancher dafür-
halten, daß ich aus dem Ganzen besser zwei Bücher
hätte machen sollen, ein rein naturwissenschaftliches
und ein rein introspektives. Allein ich mußte von der
Biologie mich befreien, um ganz Psychologe sein zu
können. D er zweite Teil behandelt gewisse seelische
Probleme recht anders, als sie jeder Naturforscher heute
wohl behandeln würde, und ich bin mir bewußt, daß
ich hiedurch auch die Aufnahme des ersten Teiles
bei einem großen Teile des Publikums gefährde;
gleichwohl erhebt dieser erste Teil in seiner Gänze
den Anspruch auf eine Beachtung und Beurteilung
seitens der Naturwissenschaft, was der zweite, mehr
der inneren Erfahrung zugekehrte, nur an wenigen Stellen
vermag. Weil dieser zweite Teil aus einer nichtpositi
vistischen W eltanschauung hervorgegangen ist, werden
von manchen beide für unwissenschaftlich gehalten werden
(obwohl der Positivismus dortselbst eine strenge Wider
legung erfährt). Hiemit muß ich mich einstweilen ab-
finden, in der Überzeugung, der Biologie gegeben zu
haben, was ihr gebührt, und einer nichtbiologischen,
nichtphysiologischen Psychologie das Recht gewahrt
zu haben, welches ihr für alle Zeiten bleiben wird.
Vorwort zur ersten Auflage. X I
Vielleicht wird man der Untersuchung an gewissen
Punkten vorwerfen, daß sie nicht genug der B e w e ise bringe;
allein eben dies deucht mich ihre geringste Schwäche.
Denn was könnte in diesem Gegenstände »Beweisen«
wohl heißen? E s ist nicht Mathematik und nicht Er
kenntnistheorie (die letztere nur an zwei Stellen), was
hier abgehandelt w ird; es sind erfahrungswissenschaft
liche Dinge, und da-kann höchstens der Finger gelegt
werden auf das, was is t ; was man sonst hier b e
w eisen nennt, ist ein bloßes Zusammenstimmen der
neuen Erfahrungen mit den alten; und da gilt es
gleich viel, ob das neue Phänomen vom Menschen
experimentell erzeugt wird oder schon aus der Schöpfer
hand der Natur fertig vorliegt. Der letzteren Beweise
aber bringt diese Schrift eine große Zahl.
D as Buch ist endlich, soweit ich das zu beurteilen
verm ag, (in seinem Hauptteile) nicht ein solches, das
man nach einmaliger flüchtiger Lektüre verstehen und
in sich aufnehmen könnte; zur Orientierung des Lesers
und zum eigenen Schutze will ich selber diesen Um
stand hier anmerken.
Je weniger ich in beiden Teilen (vornehmlich im
zweiten) Altes, längst Bekanntes wiederholt habe, desto
mehr wollte ich dort, wo ich mit früher Ausgesprochenem
und allgemeiner Anerkanntem in Übereinstimmung mich
fand, auf alle Koinzidenzen hinweisen. Diesem Zwecke
dienen die Literaturnachweise des Anhanges. Ich habe
mich bemüht, die Citate in genauer und für Laien wie für
Fachmänner brauchbarer Gestalt wiederzugeben. Dieser
größeren Ausführlichkeit wegen, und um die Lektüre
des Textes nicht ein fortwährendes Stolpern werden
zu lassen, sind sie an den Schluß des Buches verwiesen
Dem Herrn Universitätsprofessor Dr.
Laurenz
M üllner statte ich geziemenden Dank ab für die wirk
same Förderung, welche er mir hat zuteil werden lassen ;
Herrn Professor Dr. Friedrich Jo dl für das freundliche
Interesse, welches er meinen Arbeiten von Anbeginn
entgegenbrachte. Ganz besonders fühle ich mich auch
den Freunden verpflichtet, welche mich bei der Korrektur
des Buches unterstützten.
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
V o r w o r t zur ersten A u fla g e In h altsverzeich n is . . . .
Erster (vorbereitender) T e il
: Die sexuelle
M an n ig fa ltig k e it...
1— 93 E i n l e i t u n g ... 3— 6Über Begriffsentwicklung im allgemeinen und im besonderen. Mann und Weib. Widersprüche. Fließende Übergänge. Anatomie und Begabung. Keine Sicherheit im Morphologischen?
I. K a p ite l: »Männer und W e i b e r « ... 7— 13 EmbryonaleUndifferenziertheit. Rudimente beim
Erwachsenen. Grade des »Gonochorismus«. Prinzip der Zwischenformen. M und W . Belege. Not wendigkeit der Typisierung. Resumd. Älteste Ahnungen.
II. K a p ite l: A rrh en o p lasm a und T h e lyp la sm a . . 14— 30 Sitz des Geschlechtes. S te e n stru p s Ansicht
befürwortet. Sexualcharaktere. Innere Sekretion. Idioplasma— Arrhenoplasma— Thelyplasma. Schwan kungen. Beweise aus erfolgloser Kastration. Trans plantation und Transfusion. Organotherapie. Indi viduelle Unterschiede zwischen den einzelnen Zellen. Ursache der sexuellen Zwischenformen. Gehirn. Knabenüberschuß der Geburten. Geschlechtsbestim mung. Vergleichende Pathologie.
III. K a p itel: G esetze der se x u e lle n A n zieh u n g . . 31— 32 Sexueller »Geschmack«. Wahrscheinlichkeit
eines Gesetzmäßigen. Erste Formel. Erste Deutung. Beweise. Heterostylie. Interpretation derselben. Tier reich. Weitere Gesetze. Zweite Formel. Chemotaxis?
V I— XII XIII— XXII
Analogien und Differenzen. »Wahlverwandtschaften.« Ehebruch und Ehe. Folgen für die Nachkommen schaft.
IV . K ap itel: H o m o sex u alität und P ä d e ra stie . . Homosexuelle als sexuelle Zwischenformen. Angeboren oder erworben, gesund oder krankhaft? Spezialfall des Gesetzes. Alle Menschen mit der Anlage zur Homosexualität. Freundschaft und Sexualität. Tiere. Vorschlag einer Therapie. Homo sexualität, Strafgesetz und Ethik. Distinktion zwischen Homosexualität und Päderastie.
V. K a p itel: C h a rak tero lo g ie und M orphologie . . Das Prinzip der sexuellen Zwischenformen als ein kardinaler Grundsatz der Individualpsycho logie. Simultaneität oder Periodizität? Methode der psychologischen Untersuchung. Beispiele. Individuali sierende Erziehung. Gleichmacherei. Morphologisch- charakterologischer Parallelismus. Die Physiognomik und das Prinzip der Psychophysik. Methodik der Varietätenlehre. Eine neue Fragestellung. Deduktive Morphologie. Korrelation und Funktionsbegriff.
Aussichten.
VI. K a p ite l: D ie em an zipierten F rau en . . . . Frauenfrage. Emanzipationsbedürfnis und Männ lichkeit. Emanzipation und Homosexualität. Sexueller Geschmack der emanzipierten Frauen. Physiogno- misches über sie. Die übrigbleibenden Berühmt heiten. W und die Emanzipation. Praktische Regel. Männlichkeit alles Genies. Die Frauenbewegung in der Geschichte. Periodizität. Biologie und Geschichts auffassung. Aussichten der Frauenbewegung. Ihr Grundirrtum.
Zweiter oder Hauptteil:
Die sexuellen Typen
I. K a p itel: M ann und W e i b ... Bisexualität und Unisexualität. M^n ist Mann oder Weib. Das Problematische in diesem Sein und die Hauptschwierigkeit der Charakterologie. Das Experiment, die Empfindungsanalyse und die Psychologie. D ilth ey. Begriff des empirischen
Seite 53— 62 63— 78 79— 93 95— 472 97— 105
Inhaltsverzeichnis. X V
Seite
Charakters. Ziel und Nicht-Ziel der Psychologie. Charakter und Individualität. Problem der Charaktero logie und Problem der Geschlechter.
II. K a p itel: M ännliche und w e ib lich e S e x u a litä t . 106— 116 Problem einer weiblichen Psychologie. Der
Mann als Psychologe des Weibes. Unterschiede im »Geschlechtstrieb«. Im »Kontrektations-« und » Detumeszenztrieb«. Intensität und Aktivität. Sexuelle Irritabilität der Frau. Größere Breite des Sexual lebens bei W . Geschlechtliche Unterschiede im Empfinden der Geschlechtlichkeit. Örtliche und zeit liche Abhebung der männlichen Sexualität. Unter schiede im Bewußtseinsgrade der Sexualität.
III. K a p itel: M ännliches und w eib lich e s B e w u ß tse in 1 1 7 — 130 Empfindung und Gefühl. Ihr Verhältnis.
A v e n a r iu s ’ Einteilung in »Elemente« und »Cha raktere«. Auf einem frühesten Stadium noch nicht durchführbar. Verkehrtes Verhältnis zwischen Distinktheit und Charakterisierung. Prozeß der Klärung. Ahnungen. Grade des Verstehens. Ver-‘ gessen. Bahnung und Artikulation. Begriff der »Henide.« Die Henide als das einfachste psychische Datum. Geschlechtlicher Unterschied in der Artiku lation der Inhalte. Sensibilität. Urteilssicherheit. Das entwickelte Bewußtsein als männlicher Geschlechts charakter.
Seite
V. K ap itel: B egabung und G e d ä c h t n i s ...145— 181
Artikulation und Reproduzierbarkeit. Gedächt
nis an Erlebnisse als Kennzeichen der Begabung.
Erinnerung und Apperzeption. Anwendungen und
Folgerungen. Fähigkeit des Vergleichens und Be-
ziehens. Gründe für die Männlichkeit der Musik.
Zeichnung und Farbe, Grade der Genialität; das
Verhältnis des Genius zum ungenialen Menschen.
Selbstbiographie. Fixe Ideen. Erinnerung an das
Selbstgeschaffene. Kontinuierliches und dis
kontinuierliches Gedächtnis. Einheit des bio
graphischen Selbstbewußtseins nur bei M. Charakter
der weiblichen Erinnerungen. Kontinuität und Pietät.
Vergangenheit und Schicksal. Vergangenheit
und Zukunft. Unsterblichkeitsbedürfnis. Bis
herige psychologische Erklärungsversuche. Wahre
Wurzel. Innere Entwicklung des Menschen bis zum
Tode. Ontogenetische Psychologie oder theoretische
Biographie. Die Frau ohne jedes Unsterblich
keitsbedürfnis. — Fortschritt zu tieferer Analyse
des Zusammenhanges mit dem Gedächtnis. Ge
dächtnis und Zeit. Postulierung des Zeitlosen.
Der Wert als das Zeitlose. Erstes Gesetz der
Werttheorie. Nachweise. Individuation und Dauer
als konstitutiv für den Wert. Wille zum Wert, Das
Unsterblichkeitsbedürfnis als Spezialfall. Unsterb
lichkeitsbedürfnis des Genies, zusammenfallend mit
seiner Zeitlosigkeit durch sein universales Gedächtnis
und die ewige Dauer seiner Werke. Das Genie und
die Geschichte. Das Genie und die Nation. Das
Genie und die Sprache. Die »Männer der Tat«
und die »Männer der Wissenschaft« ohne An
recht auf den Titel des Genius; anders Philosoph
(Religionsstifter) und Künstler.
VI. K a p ite l: G edächtnis, L o gik , E t h i k ... 182— 196
Psychologie und Psychologismus. Würde des
Gedächtnisses. Theorien des Gedächtnisses. Übungs
und Associationslehren. Verwechslung mit dem
Wiedererkennen. Gedächtnis nur dem Menschen
eigen. Moralische Bedeutung. Lüge und Zurech
nung. Übergang zur Logik. Gedächtnis und Identitäts
prinzip. Gedächtnis und Satz vom Grunde. Die
Frau alogisch und amoralisch. Intellektuelles und
sittliches Gewissen: intelligibles Ich.
I n h a lt s v e r z e ic h n is . X V I I
Seite
VII. Kapitel: L o gik , E th ik und das Ich . . . . 197— 211
Die Kritiker des Ich-Begriffes: Hum e, Lichten
berg, Mach. Das Machsche Ich und die Biologie.
Individuation und Individualität. Logik und Ethik
als Zeugen für die Existenz des Ich. — Erstens die
Logik: die Sätze der Identität und des Widerspruches.
Die Frage ihres Nutzens und ihrer Bedeutung. Die
logischen Axiome als identisch mit der begrifflichen
Funktion. Definition des logischen Begriffes als
Norm der Essenz. Die logischen Axiome als eben
diese Norm der Essenz, welche Existenz einer
Funktion ist. Diese Existenz als das absolute Sein
oder das Sein des absoluten Ich. Kant und
Fichte. Logizität als Norm. Denkfreiheit neben
Willensfreiheit. — Zweitens die Ethik. Zurechnung.
Das Verhältnis der Ethik zur Logik. Die Ver
schiedenheit der Subjektsbeweise aus der Logik und
der Ethik. Eine Unterlassung Kantens. Ihre sach
lichen und ihre persönlichen Gründe. Zur Psycho
logie der Kantischen Ethik. Kant und Nietzsche.
VIII. K a p ite l: Ich-Problem und Genialität . . . 212— 238
Die Charakterologie und der Glaube an das
Ich. Das Ich-Ereignis: Jean Paul, Novalis, Sehe
1-
ling. Ich-Ereignis und Weltanschauung. Selbst
bewußtsein und Anmaßung. Die Ansicht des Genies
höher zu werten als die der anderen Menschen.
Endgültige Feststellungen über den Begriff des Genies.
Die geniale Persönlichkeit als der vollbewußte Mikro
kosmus. Natürlich - synthetische und sinnerfüllende
Tätigkeit des Genies. Bedeutung und Symbolik. De
finition des Genies im Verhältnis zum gewöhnlichen
Menschen. Universalität als Freiheit. Sittlichkeit
oder Unsittlichkeit des Genies? Pflichten gegen sich
und gegen andere. Was Pflicht gegen andere ist.
Kritik der Sympathiemoral und der sozialen Ethik.
Verständnis des Nebenmenschen als einzige Forde
rung der Sittlichkeit wie der Erkenntnis. Ich
und Du. Individualismus und Universalismus. Sitt
lichkeit nur unter Monaden. Der genialste Mensch
als der sittlichste Mensch. Warum der Mensch
C(j>ov itoXtttxdv ist. Bewußtsein und Moralität. Der
»große Verbrecher«. Genialität als Pflicht und
Seite
horsam. Genie und Verbrechen. Genie und Irrsinn.
Der Mensch als Schöpfer seiner selbst.
IX. Kapitel: Männliche und weibliche Psychologie 239—279
Seelenlosigkeit des Weibes. Geschichte dieser
Erkenntnis. Das Weib gänzlich ungenial. Keine
männlichen Frauen im strengen Sinne. Unbegriff
liche Natur des Weibes, aus dem Mangel des Ich zu
erklären. Korrektur der Henidentheorie. Weibliches
Denken. Begriff und Objekt. Die Freiheit
des Objektes. Begriff und Urteil. Wesen
des Urteils. Das Weib und die Wahrheit als
Richtschnur des Denkens. Der Satz vom Grunde
und sein Verhältnis zum Satz der Identität.
Amoralität, nicht Antim oralität des Weibes.
Das Weib und das Einsamkeitsproblem.
Verschmolzenheit, nicht Gesellschaft. Weibliches
Mitleid und weibliche Schamhaftigkeit. Das Ich
der Frauen. Weibliche Eitelkeit. Mangel an Eigen
wert. Gedächtnis für Huldigungen. Selbstbeobach
tung und Reue. Gerechtigkeit und Neid. Name und
Eigentum. Beeinflußbarkeit. — Radikale Differenz
zwischen männlichem und weiblichem Geistes
leben. Psychologie ohne und mit Seele. Psycho
logie eine Wissenschaft? Freiheit und Gesetzlichkeit.
Die Grundbegriffe der Psychologie transcendenter
Natur. Psyche und Psychologie. Die Hilflosig
keit der seelenlosen Psychologie. Wo »Spaltungen
der Persönlichkeit« allein möglich sind. Psycho
physischer Parallelismus und Wechselwirkung. Pro
blem der Wirkung psychischer Sexualcharaktere des
Mannes auf das Weib.
X. Kapitel: Mutterschaft und Prostitution . . . 280—314
Spezielle weibliche Charakterologie. Mutter und
Dirne. Anlage zur Prostitution angeboren, aber nicht
allein entscheidend. Einfluß des Mannes. Versehen.
Verhältnis beider Typen zum Kinde. Die Frau poly
gam. Ehe und Treue. Sitte und Recht. Analogien
zwischen Mutterschaft und Sexualität. Mutter und
Gattungszweck. Die »alma* mater. Die Mutterliebe
ethisch indifferent.
Die Dirne außerhalb des
Gattungszweckes. Die Prostituierte und die sozial
anerkannte Moral. Die Prostituierte, der
Ver-Inhaltsverzeichnis. X IX
Seite
brecher und Eroberer. Nochmals der »Willens mensch« und sein Verhältnis zum Genie. Hetäre und Imperator. Motiv der Dirne. Koitus Selbst zweck. Koketterie. Die Empfindungen des Weibes beim Koitus im Verhältnis zu seinem sonstigen Leben. Mutterrecht und Vaterschaft. Versehen und Infektionslehre. Die Dirne als Feindin. Bejahung und Verneinung. Lebensfreundlichkeit und Lebens feindlichkeit. Keine Prostitution bei den Tieren. Rätsel im Ursprung.’
XI. K a p ite l: E ro tik und Ä s t h e t i k ... 3 15— 343 Weiber und Weiberhaß. Erotik und Sexualität.
Platonische Liebe und Sinnlichkeit. Problem einer Idee der Liebe. — Die Schönheit des Weibes. Ihr Verhältnis zum Sexualtrieb. Liebe und Schönheit. Der Unterschied der Ästhetik von der Logik und Ethik alsNormwissenschaften. Wesen der Liebe. Projektions phänomen. Schönheit und Sittlichkeit. Schönheit und Vollkommenheit. Natur und Ethik. N atur sc h ö n h e it und K u n stsch ö n h e it. Naturgesetz und Kunstgesetz. Naturzweckmäßigkeit und Kunst zweckmäßigkeit. Die Einzelschönheit.Die Geschlechts liebe als Schuld. Haß und Liebe als Erleichterungen des moralischen Strebens. Die Schöpfung des Teufels. Liebe und Mitleid. Liebe und Schamhaftigkeit. Liebe und Eifersucht. Liebe und Erlösungsbedürfnis. Das Weib in der Erotik Mittel zum Zweck. Problem des Zusammenhanges von Kind und Liebe, Kind und Sexu alität. Grausamkeit nicht nur in der Lust, sondern noch in der Liebe. Liebe und Mord. Liebe als Feig heit, Unrecht, Irrtum. Der Madonnenkult. Die Madonna eine gedankliche Konzeption des Mannes; ohne Grund in der realen Weiblichkeit. Wider streben gegen die Einsicht in das wahre Weib. Die Liebe des Mannes zum Weibe als Spezialfall. Das Weib nur sexuell, nicht erotisch. Der Schön heitssinn der Frauen. Schön und hübsch. Liebe und Verliebtheit. Wodurch der Mann auf die Frau wirkt. Das Fatum des Weibes. Einordnung der neuen Erkenntnis unter die früheren. Die Liebe als be zeichnend für das Wesen der Menschheit. Warum der Mann das Weib liebt. Möglichkeiten.
XII. K a p ite l: D as W e se n des W e ib e s und sein Sinn im U n iv e r s u m ...
Gleichheit oder Gleichstellung. P. J. M oebius. Sinnlosigkeit oder Bedeutung der Weiblichkeit. K u pp elei. Instinktiver Drang. Der Mann und die Kuppelei. Welche Phänomene noch weiter Kuppelei sind. Hochwertung des Koitus. D er eige n e G e s c h le c h ts tr ie b ein S p e z ia lfa ll. Mutter — Dirne. Das Wesen des Weibes nur in der Kuppelei aus gesprochen. Kuppelei = Weiblichkeit = universale Sexualität.
System von Einwänden und Widersprüchen. Notwendigkeit der Auflösung. Beeinflußbarkeit und Passivität. Unbewußte Verleugnung der eigenen Natur als Folge. O rg a n isc h e V e r lo g e n h e it des Weibes. D ie H ysterie. Psychologisches Schema für den »Mechanismus« der Hysterie. Definition der letzteren. Zustand der Hysterischen. E ig en tü m lic h e s W e c h s e ls p ie l: die frem de N atur als die e ig e n e , die e ig e n e als die frem de. Der »Fremdkörper«. Zwang und Lüge. Heteronomieder Hysterischen. Wille und Kraft zur Wahrheit. Der hysterische Paroxysmus. Was abgewehrt wird. Die hysterische Konstitution. M agd und M egäre. Die Megäre als Gegenteil der Hysterika. Die Wahrheits liebe der Hysterika als ihre Lüge. Die hysterische Keuschheit und Abneigung gegen den Geschlechts akt. Das hysterische Schuldbewußtsein und die hysterische Selbstbeobachtung. Die Visionärin und Seherin im Weibe. Die Hysterie und die Unfreiheit des Weibes. Sein Schicksal und dessen Hoffnungs losigkeit.
Notwendigkeit der Zurückführung auf ein letztes Prinzip. Unterschiede zwischen Mensch und Tier, zwischen Mann und Frau. Übersichtstafel. Das zweite oder höhere L eben , das metaphysische Sein im Menschen. Analogien zum niederen Leben. Nur im Manne ewiges Leben. Das Verhältnis beider Leben und die Erbsünde. Geburt und Tod. Freiheit und Glück. Das Glück und der Mann. Das Glück und die Frau. Die Frau und das Problem des Lebens. N ic h tse in des W eib es. Hieraus zu nächst die M ö g lic h k e it von Lüge und Kuppelei, Amoralität und Alogizität erschlossen. Nochmals die
Seite
Inhaltsverzeichnis. X X I
Kuppelei. Gemeinschaft und Sexualität. Männliche und weibliche Freundschaft. Kuppelei wider Eifer sucht. Kuppelei identisch mit Weiblichkeit. Warum die Frauen Menschen sind. Wesen des Geschlechts gegensatzes. Gegensätze: S u b je k t — O b je k t = F orm — M aterie = Mann — W eib. Kontrektation und Tastsinn. Deutung der Heniden. Non-Entität der Frau; als Folge universelle Suszepti bilität. Formung und Bildung der Frau durch den Mann. Trachten nach Existenz. Geschlechtsdualität und Weltdualismus. Die Bedeutung des Weibes im Universum. Der Mann als das Etwas, die Frau als das Nichts. D as p s y c h o lo g is c h e P ro b lem der F u rc h t vo r dem W eib e. D ie W e ib lic h k e it und der V e rb re c h e r. Das Nichts und das Nicht. Die Schöpfung des Weibes durch den Verbrecher im Manne. D as W e ib als die b e ja h te S e x u a litä t des M annes. Das Weib als die Schuld des Mannes. Was die Liebe des Mannes zum Weibe im tiefsten Grunde ist. Deduktion der Weiblichkeit.
XIII. K a p it e l: D as J u d e n t u m ... Unterschiede unter den Männern. Zurück weisung der hierauf gegründeten Einwände. Die Zwischenformen und die Rassenanthropologie. Am- phibolie der Weiblichkeit mit dem Judentum. Das Jüdische als Idee. Der Antisemitismus. Richard W a g n e r. Keine Identität mit der Weiblichkeit; Übereinstimmungen mit dieser: Eigentum, Staat, Gesellschaft, Adel, M an gel an P e r sö n lic h k e it und E ig e n w e rt, A m o ra litä t ohne A n tim o ra li tät, G attu n g sle b e n , Familie, K uppelei. Einzige Art einer Lösung der Judenfrage. Gottesbegriff des Juden. Seelenlosigkeit und darum Mangel an Un sterblichkeitsbedürfnis. Judentum in der W isse n sch aft. Der Jude als Chemiker. Der Jude genielos. Spinoza. Der Jude nicht monadenartig veranlagt. Der Engländer und der Jude. Die Engländer in Philosophie, Musik, Architektur. Unterschiede. Humor losigkeit des Juden. W esen des H um ors. Humor und Satire. Die Jüdin. Nicht-Sein, völlige Ver änderungsfähigkeit, Mittelbarkeit beim Juden wie beim Weibe. Größte Übereinstimmung und größte Differenz. Aktivität und Begrifflichkeit des Juden.
Seite
Tiefstes Wesen des Judentums. Glaubenslosigkeit und innere Haltlosigkeit. D er Jude n ich t a m y stisc h , so n d ern unfrom m . Mangel an Ernst, Begeiste rungsfähigkeit und Eifer. In n e rlic h e V ie ld e u tig keit. Keinerlei Einfalt des Glaubens. Innere Würde losigkeit. Der Jude als der Gegenpol des Helden. — Christentum und Judentum. Ursprung des Christen tums. Problem des Religionsstifters. Der Religions stifter als Vollzieher einer eigenen Reinigung vom Verbrechen und von der Gottlosigkeit. In ihm allein eine völlige Neugeburt verwirklicht. Er als der Mensch mit dem tiefsten Schuldgefühl. Christus als Überwinder des Judentums in sich. Christentum und Judentum als letzte Gegensätze. Der Religionsstifter als der größte Mensch. Überwindung alles Juden tums, eine Notwendigkeit für jeden Religionsstifter. — Das Judentum und die heutige Zeit. Judentum, Weiblichkeit; Kultur und Menschheit.
X IV . K a p itel: D as W eib und die M en schheit . . 453— 472 Die Idee der Menschheit und die Frau als
Kupplerin. Der Goethe-Kult. Verweiblichung der Männer. Virginität und Keuschheit. Männlicher Ursprung dieser Ideale. Das Unverständnis der Frau für die Erotik. Ihr Verständnis der Sexualität. Der Koitus und die Liebe. Die Frau als Gegnerin der Emanzipation. Askese unsittlich. Der Geschlechts verkehr als Mißachtung des Nebenmenschen. Problem des Juden = Problem des Weibes = Problem der Sklaverei. Was sittliches Verhalten gegen die Frau ist. Der Mann als Gegner der Frauen emanzipation. Ethische Postulate. Zwei Möglich keiten. Die Frauenfrage als die Menschheitsfrage. Untergang des Weibes. — Enthaltsamkeit und Aus sterben des Menschengeschlechtes. Furcht vor der Einsamkeit. Die eigentlichen Gründe der Unsittlichkeit des Geschlechts Verkehres. Die irdische Vaterschaft. Forderung der Aufnahme der Frauen unter die Menschheitsidee. Die Mutter und die Erziehung des Menschengeschlechtes. Letzte Fragen.
E R S T E R (V O RBEREITEN D ER) TEIL.
D IE
SEXUELLE MANNIGFALTIGKEIT.
Einleitung.
A lle s D enken begin nt m it B e g r i f f e n v o n m i t t l e r e r A l l g e m e i n h e i t und entw ickelt sich von ihnen aus nach zwei R ichtun gen h in : nach B egriffen von imm er höherer A b stra k t heit, w elche ein immer mehr D ingen Gem einsam es erfassen and hiedurch ein imm er w eiteres G ebiet der W irk lich k e it umspannen; und nach dem K reuzu n gsp u n kte aller B egriffs- linien hin, dem kon kreten Einzelkom plex, dem Individuum , welchem wir denkend immer nur durch unendlich viele ein schränkende Bestim m ungen beizukom m en verm ögen, das w ir definieren durch H inzufügung unendlich vieler spezifischer differenzierter Momente zu einem höchsten A llgem ein b egriff »Ding« oder »etwas«. Daß es eine T ierklasse der F isch e gibt, die von den Säugetieren, den V ögeln , den W ürm ern unter schieden ist, w ar lan ge bekannt, bevor man einerseits unter den F ischen selbst w ieder Knorpel- und K nochenfische schied, anderseits sie mit den V ö g e ln und S äugetieren durch den B e g riff des W irb eltieres zusammenzufassen sich veranlaßt sah, und die W ürm er dem hiedurch geein ten größeren K o m p lexe gegenüberstollte.
Mit dem K a m p f ums D asein der W e se n untereinander hat man diese Selbstbehauptung des G eistes g egen ü b er einer durch zahllose Ä hn lich keiten und U nterschiede verw irrenden W irklich k eit verglich en .1) W ir e r w e h r e n uns der W e lt durch unsere B egriffe.* 2) Nur langsam brin gen w ir sie in
’) Auch das S p e n ce rsch e Weltschema: Differentiation und Integration, läßt sich hier leicht anwenden.
2) Dies gilt von den Begriffen aber nur als von Objekten einer psycho logischen, nicht einer logischen Betrachtungsweise. Diese sind trotz allem modernen Psychologismus (Brentano, Meinong, Höfler) nicht ohne beider seitigen Schaden zusammenzuwerfen.
deren F assung, allmählich, w ie man einen T obsüchtigen zu erst über den ganzen K ö rp e r fesselt, notdürftig, um ihn w enigstens nur a u f beschränkterem O rte gefährlich sein zu lassen; erst dann, wenn w ir in der H auptsache gesichert sind, kom m en die einzelnen Gliedm aßen an die R e ih e und w ir ergänzen die Fesselung.
E s g i b t z w e i B e g r i f f e , s ie g e h ö r e n zu d e n ä lt e s t e n d e r M e n s c h h e it , m it d e n e n d ie s e ih r g e i s t i g e s L e b e n s e it A n b e g i n n z u r N o t g e f r i s t e t h a t. F reilich hat man oft und oft kleine K orrektu ren angebracht, sie w ieder und w ieder in die R ep araturw erkstätte gesch ickt, notdürftig geflickt, wo die R eform an H aupt und Gliedern not tat; w eggenom m en und angestückelt, Einschränkungen in besonderen F ällen gem acht und dann w ied er E rw eiterun gen getroffen, w ie wenn jüngere Bedürfnisse sich nur nach und nach g e g e n ein altes, enges W ah lgesetz durchsetzen, indem dieses einen R iem en nach dem anderen aufschnallen muß: aber im ganzen und großen glauben wir doch noch mit ihnen in der alten W eise aus zukommen, m it diesen B egriffen, die ich hier meine, den B egriffen M a n n u n d W e ib .
Zw ar sprechen w ir von m ageren, schm alen, flachen, m uskelkräftigen, energischen, genialen »W eibern«, von »W ei bern« mit kurzem H aar und tiefer Stim m e, von bartlosen, geschw ätzigen »Männern«. W ir erkennen so gar an, daß es »unweibliche W eiber«, »Mannweiber« g ib t und »unmännliche«, »weibliche« »Männer«. Bloß auf eine E igen sch aft achtend, nach w elcher bei der G eburt die G eschlechtszugehörigkeit jedes M enschen bestim m t wird, w ag en w ir es also sogar, Begriffen Bestim m ungen beizufügen, durch w elche sie v e r neint werden. Ein solcher Zustand ist logisch unhaltbar.
W e r hat nicht im Freundeskreise oder im Salon, in wissenschaftlicher oder in öffentlicher V ersam m lung die heftigsten Diskussionen über »Männer und Frauen«, über die »Befreiung des W eibes« angehört und m itgem acht ? G espräche und D ebatten, in denen mit trostloser R eg elm ä ß ig k eit »die Männer« und »die W eiber« einander gegen übergestellt wurden, w ie weiße und rote K u g e ln , von denen die gleichfarbigen keine U nterschiede mehr untereinander aufweisen! Nie w u rd e
Einleitung. 5
eine individuelle Behandlung der Streitpunkte versucht; und da jed er nur individuelle Erfahrungen hatte, w ar naturgem äß eine E in igu n g ausgeschlossen; w ie überall dort, wo verschie dene D in ge mit dem gleichen W orte bezeichnet w erden, Sprach e und B egriffe sich nicht decken. Sollten w irklich alle »W eiber« und alle »Männer« streng voneinander geschieden sein und doch a u f jed er S eite alle untereinander, W eib er einerseits, M änner anderseits sich in einer R e ih e von Punkten vollständ ig gleichen ? W ie ja bei allen V erhan dlungen über Geschlechtsunterschiede, meist natürlich unbewußt, voraus gesetzt wird. N irgends in der N atur ist sonst eine so klaffende U n stetigkeit; wir finden stetige Ü b ergä n g e von M etallen zu Nichtm etallen, von chem ischen V erbin dungen zu M ischungen; zw ischen Tieren und Pflanzen, zwischen Phanerogam en und K ryp to g a m en , zw ischen Säugetieren und V ö g e ln g ib t es V erm ittlungen. Zunächst nur aus allgem einstem praktischen Bedürfnis nach Ü bersich t teilen wir ab, halten gew altsam G renzen fest, hören A rie n heraus aus der unendlichen M elodie alles Natürlichen. A b e r »Vernunft w ird Unsinn, W o h lta t P lage« g ilt von den alten B egriffen des D enkens w ie vo n den ererbten G esetzen des V erkeh rs. W ir werden es nach den angeführten A n alo gien auch hier von vornherein für unwahrscheinlich halten dürfen, daß in der N atur ein S c h n i t t geführt sei zw ischen allen M asculinis einerseits und allen Fem ininis anderseits, und ein lebendes W esen in dieser H insicht einfach so beschreibbar, daß es diesseits oder jenseits einer solchen K lu ft sich aufhalte. N icht einmal die G ram m atik ist so streng.
Man hat in dem S treite um die Frauenfrage vielfach d e n A n a t o m e n als Schiedsrichter angerufen, um durch ihn die kontroverse A b gren zu n g der u n a b ä n d e r lic h e n , w eil an- g e b o r n e n , g e g e n die e r w o r b e n e n E igenschaften der männ lichen und w eiblichen Sinnesart vornehm en zu lassen. (Sonder bar g en u g war es, von seinen Befunden die E ntscheidung ab h än gig zu m achen in der F ra g e der natürlichen B e ga b u n g von Mann und W e ib : als ob, w enn w i r k l i c h alle andere E rfahru n g hier kein erlei U nterschied hätte feststellen können, zw ö lf D e k a H irn plus auf der einen Seite ein solches R esu ltat
zu w iderlegen verm öchten.) A b e r die besonnenen A natom en geben, um ausnahmslose K riterien g efragt, in jedem Falle, handle es sich nun um das Gehirn oder sonst um irgen d ein O rgan des K ö rp ers, zur A n tw o rt: d u r c h g e h e n d e sexuelle U nter schiede zwischen a lle n Männern einerseits und a lle n F rauen anderseits sind nicht nachweisbar. W o h l sei auch das H and skelett der M ehrzahl der Männer ein anderes als das der M ehrzahl der Frauen, doch sei mit S icherheit w eder aus den skelettierten noch aus den mit M uskeln, Bändern, Sehnen, Haut, B lu t und N erven aufbew ahrten (isolierten) Bestandteilen das G eschlecht mit Sicherheit bestimmbar. Ganz das G leiche gelte vom T h o ra x, vom K reuzbein, vom Schädel. U nd w ie steht es m it dem Skeletteil, b ei dem, wenn überhaupt irgendw o, strenge geschlechtliche U nterschiede hervortreten müßten, w as ist’s mit dem B eck en ? D as B eck en ist doch der allgem einen Ü b erzeugun g nach im einen F a ll dem G eburtsakt angepaßt, im anderen nicht. A b e r nicht einm al beim B ecken ist mit S icherheit ein Maßstab anzulegen. E s gibt, wie jeder von der Straße her w eiß — und die A natom en wissen da auch nicht m ehr — g en u g »W eiber« mit männlichem schm alen und g en u g »Männer« mit weiblichem breiten B ecken. A lso ist es nichts mit den Geschlechtsunterschieden? D a w äre es ja fast geraten, M änner und W e ib e r überhaupt nicht m ehr
zu unterscheiden ?!
W ie helfen w ir uns aus der F r a g e ? D as A lte ist un genügend, und w ir können es doch gew iß nicht entbehren. R eich en die überkom m enen B egriffe nicht aus, so w erden w ir sie nur aufgeben, um zu versuchen, uns neu und besser zu orientieren.
I. K a p i t e l .
„Männer“ und „Weiber“.
Mit der allgem einsten K lassifikation der meisten L eb e w esen, ihrer K en n zeichn un g schlechtw eg als M ännchen oder W eib ch en , Mann oder W e ib , kom m en w ir den Tatsachen g egen ü b er nicht län ger aus. D ie M angelh aftigkeit dieser B e griffe w ird von vielen m ehr oder w en iger k la r gefühlt. H ier ins R e in e zu kom m en, ist zunächst das Ziel dieser A rb eit.
Ich schließe mich anderen A utoren, w elche in jüngster Zeit über zu diesem T hem a geh ö rige E rscheinungen g e schrieben haben, an, wenn ich zum A usgan gspu n kt der B e trachtung die von der E ntw icklu n gsgeschich te (Em bryologie) festgestellte T atsach e d e r g e s c h l e c h t l i c h e n U n d i f f e r e n z i e r t h e i t d e r e r s t e n e m b r y o n a le n A n l a g e des Menschen, der Pflanzen und der T ie re wähle.
Einem m enschlichen E m b ryo beispielsw eise kann man, w enn er jün ger als fü n f W o ch en ist, das G eschlecht nicht ankennen, zu dem er sich später entw ickeln wird. E rst in der fünften F ötalw oche begin nen hier jene Prozesse, w elche g e g e n E nde des dritten Monates der Schw an gersch aft zur E n tw ick lu n g einer ursprünglich beiden G eschlechtern gem ein samen G enitalanlage nach einer S eite hin und w eiter zur G estaltun g des ganzen Individuum s als eines sexuell g e n a u d e f i n i e r t e n fü h ren .1) D ie Einzelheiten dieser V o rg ä n g e sollen hier nicht näher beschrieben werden.
') Natürlich — zu dieser Anschauung werden wir durch unser Be dürfnis nach Kontinuität genötigt — irg e n d w ie müssen die sexuellen Unterschiede, wenn auch anatomisch, morphologisch unsichtbar und selbst durch die stärksten Vergrößerungen des Mikroskopes dem Auge nicht zu erschließen, schon vor der Zeit der ersten Differenzierung formiert, »prä- formiert« sein. Aber wie, das ist ja die große Crux aller Entwicklungs geschichte.
Zu jener b i s e x u e l l e n A n l a g e eines jeden, auch des höchsten Organism us, läßt sich sehr g u t das a u s n a h m s lo s e B e h a r r e n , der M angel eines völligen Verschw indens der C haraktere des anderen G eschlechtes b e im n o c h s o e i n g e s c h l e c h t l i c h e n t w i c k e l t e n pflanzlichen, tierischen und menschlichen Individuum in B ezieh un g bringen. D ie g e schlechtliche Differenzierung ist nämlich nie eine vollständige. A l l e E i g e n t ü m l i c h k e i t e n d e s m ä n n lic h e n G e s c h le c h t e s s in d i r g e n d w i e , w e n n a u c h n o c h so s c h w a c h e n t w i c k e l t , a u c h b e im w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t e n a c h z u w e is e n ; u n d e b e n s o d ie G e s c h l e c h t s c h a r a k t e r e d e s W e i b e s a u c h b e im M a n n e s ä m t l i c h i r g e n d w i e v o r h a n d e n , w e n n a u c h n o c h so z u r ü c k g e b l i e b e n in ih r e r A u s b i l d u n g . Man sagt, sie seien »rudimentär« vorhanden. So, um g leich den Menschen, der uns w eiterhin fast aus schließlich interessieren wird, als B eispiel anzuführen, hat auch die w eiblichste F rau einen feinen Flaum von unpigmen- tierten W ollhaaren, »Lanugo« genannt, an den Stellen des männlichen Bartes, auch der männlichste Mann in der E n t w icklu n g stehen gebliebene D rüsenkom plexe unter einer B rustw arze. Im einzelnen n ach gegan gen ist man diesen D in gen vo r allem in der G egen d der G eschlechtsorgane und ihrer A usfüh rw ege, im eigentlichen »Tractus urogenitalis«, und hat bei jedem G eschlechte alle A n la g e n des anderen im rudimentären Zustande in lückenlosem Parallelism us nach- w eisen können.
D iese Feststellungen der E m bryologen können, mit anderen zusamm engehalten, in einen system atischen Zu sam m enhang geb rach t werden. B ezeichnet man nach H a c k e l die Trennung der G eschlechter als » G o n o c h o r is m u s « , so w ird man zunächst b ei verschiedenen K lassen und A rten ver schiedene G r a d e dieses Gonochorismus zu unterscheiden haben. N icht nur die verschiedenen A rte n der Pflanzen, sondern auch die T ierspezies werden sich durch die g r ö ß e r e o d e r g e r i n g e r e L a t e n z der Charaktere des zweiten Geschlechtes voneinander abheben. D er extrem ste F all der Geschlechts differenzierung, also stärkster Gonochorismus, liegt für dieses erweiterte B lickfeld im G e s c h le c h t s d im o r p h is m u s vor,
Männer« und »Weiber«, 9
jener E igentüm lichkeit z. B . m ancher A ssel-A rten , daß Männ chen und W eib ch en innerhalb der nämlichen Spezies sich äußerlich voneinander nicht w eniger, ja oft m ehr unter scheiden, als selbst M itglieder zw eier differenter Fam ilien und Gattungen. B e i W irbeltieren kom m t danach nie so ausge p rägter Gonochorism us vor, als ihn z. B. Crustaceen oder In sekten aufvveisen können. E s g ib t unter ihnen nirgends eine so vollständige Scheid ung von Männchen und W eib ch en , w ie sie im sexuellen Dim orphism us vollzogen ist, vielm ehr überall unzählige M ischform en der G eschlechter, selbst sogenannten »abnormen Herm aphroditismus«, ja bei den Fischen sogar Fam ilien m it ausschließlichem Zwittertum, mit »normalem H erm aphroditism us«.
E s ist nun von vornherein anzunehmen, daß es nicht nur extrem e Männchen mit gerin gsten R esten der W eib lich keit und a u f der anderen Seite extrem e W eib ch en mit ganz redu zierter M ännlichkeit und in der M itte zwischen beiden gedrän gt jene Zwitterformen, zwischen jenen drei P un kten aber nur leere S trecken geben werde. U ns beschäftigt speziell der Mensch. D och ist fast alles, was hier über ihn zu sagen ist, mit größeren oder gerin geren M odifikationen auch auf die meisten anderen L ebew esen mit geschlechtlicher Fortpflan zung an wendbar.
V o m Menschen aber g ilt ohne jeden Zw eifel folgendes: E s g i b t u nzählige A bstu fun gen z w is c h e n M a n n u n d W e i b , » s e x u e lle Z w is c h e n fo r m e n « . W i e d ie P h y s i k v o n id e a le n G a s e n s p r ic h t , d. h. solchen, die genau dem B o y l e - G a y - L u s s a c s c h e n G esetze folgen (in W irk lich k eit gehorcht ihm kein einziges), und von diesem Gesetze ausgeht, um im konkreten F a lle die A b w eich un gen von ihm zu konstatieren: so k ö n n e n w ir e in e n i d e a le n M a n n M u n d e in i d e a l e s W e i b W , d ie e s in d e r W i r k l i c h k e i t n i c h t g ib t , a u f s t e ll e n a ls s e x u e l l e T y p e n . D iese T yp en k ö n n e n nicht nur, sie m ü s s e n konstruiert werden. N i c h t a l l e i n d a s » O b je k t d e r K u n s t« , a u c h d a s O b j e k t d e r W i s s e n s c h a f t i s t d e r T y p u s , d ie p la t o n i s c h e I d e e . D ie wissenschaftliche P h y sik erforscht das V erhalten des v o l l k o m m e n starren und des v o llk o m m e n elastischen K ö rp ers,
wohl bewußt, daß die W irk lich k eit w eder den einen noch den anderen ihr je zur B estätigun g darbieten w ird; die empirisch gegeb en en V erm ittlun gen zw ischen beiden dienen ihr nur als A u sgan gsp u n kt für diese A ufsuchun g der typischen V e r haltungsw eisen und w erden bei der R ü ck k e h r aus der Theorie zur P ra x is als M ischfalle behandelt und erschöpfend dar gestellt. U n d e b e n s o g i b t es n u r a l l e m ö g lic h e n v e r m it t e ln d e n S t u f e n z w is c h e n d em v o llk o m m e n e n M a n n e u n d d e m v o llk o m m e n e n W e i b e , A nnäherun gen an beide, die selbst nie von der A n schau un g erreicht werden.
Man achte w ohl: hier ist nicht bloß von bisexueller A n l a g e die R ed e, sondern von d a u e r n d e r D oppelgeschlecht lichkeit. U nd auch nicht bloß von den sexuellen M i t t e l stufen, (körperlichen oder psychischen) Zwittern, auf die bis heute aus naheliegenden Gründen alle ähnlichen B etrach tungen beschränkt sind. In dieser F orm ist also der G edanke durchaus neu. B is heute bezeichnet man als »sexuelle Zwischen stufen« nur die sexuellen M itte ls tu fe n : als ob dort, m athe matisch gesprochen, eine H ä u f u n g s s t e l l e w äre, m ehr w ä r e a ls e i n e k l e i n e S t r e c k e a u f d e r ü b e r a ll gleich d ic h t b e s e t z t e n V e r b i n d u n g s l i n i e z w e ie r E x t r e m e !
A lso Mann und W e ib sind w ie zw ei Substanzen, die in verschiedenem M ischungsverhältnis, ohne daß je der K o e ffi zient der einen Substanz Null wird, auf die lebenden Individuen verteilt sind. E s g i b t in d e r E r f a h r u n g n i c h t M a n n n o c h W e ib , könnte man sagen, s o n d e r n n u r m ä n n lic h u n d w e ib li c h . Ein Individuum A oder ein Individuum B darf man darum nicht m ehr schlechthin als »Mann« oder »Weib« bezeichnen, sondern ein jedes ist nach den Bruchteilen zu b e schreiben, die es von b e i d e n hat, etw a:
o < a < i , o < ß < i, o < a' < i, o < ß ' < i . w obei stets
»Männer« und »Weiber«.
11
D ie genaueren B e le g e für diese A uffassun g — einiges A llgem ein ste wurde vorbereitend in der E inleitung ange deutet — sind zahllos. E s sei erinnert an alle »Männer« mit w eiblichem B ecken und w eiblichen Brüsten, fehlendem oder spärlichem Bartw uchs, mit ausgesprochener T aille, überlangem K o p fh a a r, an alle »W eiber« mit schmalen H ü fte n 1) und flachen Brüsten, m ageren N ates und Fem urfettpolstern, tiefer rauher Stim m e und einem Schnurrbart (zu dem die A n la g e viel öfter au sg ieb ig vorhanden ist, als man sie gem ein iglich bem erkt, w eil er natürlich nie belassen w ird ; vom B arte, der so vielen Frauen nach dem K lim akterium wächst, ist hier nicht die R ed e) etc. etc. A lle diese D in ge, d ie s ic h b e z e i c h n e n d e r w e is e f a s t im m e r am g l e i c h e n M e n s c h e n b e is a m m e n fin d e n , sind jedem K lin ik e r und praktischen A natom en aus eigen er A n schau un g bekannt, nur noch nirgends zusammen gefaßt.
D en umfassendsten B ew eis für die hier verfochtene A nschauun g liefert aber die große Schw ankun gsbreite der Zahlen für geschlechtliche U nterschiede, die innerhalb der ein zelnen A rbeiten w ie zwischen den verschiedenen anthropo logischen und anatomischen U nternehm ungen zur M essung der selben ohne Ausnahm e anzutreffen ist, die T atsache, daß die Zahlen für das w eibliche G eschlecht nie dort anfangen, w o jene für das männliche auf hören, sondern stets in der M itte ein G ebiet liegt, in welchem M änner u n d Frauen vertreten sind. S o sehr diese U nsicherheit der T h eorie von den sexuellen Zw ischen formen zugute kommt, so aufrichtig muß man sie im Interesse w ahrer W issenschaft beklagen. D ie A natom en und A nthropo logen von F ach haben eben eine wissenschaftliche D arstellung des sexuellen T y p u s noch g a r nicht angestrebt, sondern w ollten immer nur allgem ein in gleichem A usm aße gültige M erkm ale haben, und hieran wurden sie durch die Ü berzahl
’) Nicht die absolute Breite des Beckens als in Centimetern ange gebene Distanz der Knorren der Oberschenkel oder der Hüftbeindorne, sondern die relative Breite der Hüften im Verhältnis zur Schulterbreite ist ein ziemlich sicheres und recht allgemein verwendbares körperliches Kri terium für den Gehalt an W .
der Ausnahm en immer verhindert. So erklärt sich die U n bestim m theit und W e ite aller hieher gehörigen R esu ltate der M essung.
G ar sehr hat der Z u g zur Statistik, der unser indu strielles Zeitalter vo r allen früheren auszeichnet, in dem es — offenbar der schüchternen V erw and tschaft mit der M athe m atik w egen — seine W issenschaftlichkeit besonders betont glaubt, auch hier den Fortschritt der Erkenntnis gehem m t. D en D u r c h s c h n i t t wollte man gewinnen, nicht den T y p u s . Man b e g riff g a r nicht, daß es im S ystem e reiner (nicht angewandter) W issen sch aft nur a u f diesen ankommt. D arum lassen denjenigen, •welchem es um die T y p en zu tun ist, die bestehende M orphologie und P h ysio lo gie mit ihren A n gab en gänzlich im Stich. E s w ären da alle M essungen w ie auch alle übrigen D etailforschungen erst auszuführen. W a s existiert, ist für eine W issenschaft auch in laxerem (nicht erst in K a n tisch e m ) Sinne v ö llig unverw endbar.
A lle s kom m t auf die K enn tnis von M und W , auf die rich tige Feststellun g des idealen Mannes und des idealen W e ib e s an (ideal im Sinne von typisch, ohne jede B e wertung).
W ird es gelungen sein, diese T y p e n zu erkennen und zu konstruieren, so w ird die A n w en d u n g auf den einzelnen F all, seine D arstellun g durch ein quantitatives M ischungsver hältnis, ebenso unschwer w ie fruchtbar sein.
Ich resüm iere den Inhalt dieses K a p ite ls: es g ib t keine ku rzw eg als ein- und bestim m t-geschlechtlich zu bezeichnenden L ebew esen. V ielm eh r zeigt die W irk lich k e it ein Schw anken zwischen zw ei Punkten, a u f denen selbst kein em pirisches Individuum m ehr anzutreffen ist, z w is c h e n denen i r g e n d w o jedes Individuum sich aufhält. A u fg a b e der W issenschaft ist es, die S tellu n g jedes Einzelw esens zwischen jenen zw ei B au plänen festzustellen; diesen Bauplänen ist kein esw egs eine m etaphysische E xisten z neben oder über der E rfahrungsw elt zuzuschreiben, sondern ihre K on stru ktion ist notw endig aus dem heuristischen M otive einer m öglichst vollkom m enen A b bildung der W irk lich k eit. — —
»Männer« und »Weiber«. 13
D ie A h n u n g dieser B isexualität alles Lebenden (durch die nie ganz vollständ ige sexuelle Differenzierung) ist uralt. V ielleich t ist sie chinesischen M ythen nicht frem d gew esen ; jedenfalls war sie im Griechentum äußerst leben dig. H iefur zeugen die Personifikation des H erm aphroditos als einer m ythischen G estalt; die E rzählung des A ristophan es im platonischen Gastm ahl; ja noch in später Zeit g alt der gnostischen Sekte der O phiten der Urm ensch als m annweiblich, apasvölhjXo;.
Arrhenoplasma und Thelyplasma.
D ie nächste E rw artun g, w elche eine A rb e it zu befrie digen hätte, in deren P lan eine universelle R ev isio n aller einschlägigen T atsachen g eleg en w äre, würde sich a u f eine neue und vollständ ige D arstellun g der anatomischen und p h y siologischen E igenschaften der sexuellen T y p e n richten. D a ich aber selbständige U ntersuchungen zum Zw ecke einer L ö su n g dieser umfassenden A u fg a b e nicht angestellt habe, und eine B ean tw ortun g jener F ra g e n für die le t z t e n Ziele dieses B uches m ir nicht notw endig erscheint, so muß ich auf dieses U nternehm en von vornherein V erzich t leisten — gan z abgesehen davon, ob es die K rä fte eines einzelnen nicht bei weitem übersteigt. Eine K o m pilatio n der in der Literatur n iedergelegten E rgebnisse w äre überflüssig, denn eine solche ist in vorzüglicher W e ise von H a v e l o c k E l l i s b esorgt worden. A u s den von ihm gesam m elten R esu ltaten die sexuellen T y p en auf dem W e g e w ahrscheinlicher Schlußfolgerun gen zu g e winnen, bliebe hypothetisch und w ürde der W issenschaft nicht eine einzige N euarbeit zu ersparen verm ögen. D ie E r örterungen dieses K a p ite ls sind darum mehr form aler und allgem einer Natur, sie gehen auf die biologischen Prinzipien, zum T e il w ollen sie auch jen er n otw en digen A rb e it der Zu kunft die B erü cksich tigun g bestim m ter einzelner P u n kte ans H erz legen und so derselben förderlich zu w erden versuchen. D er biologische L aie kann diesen A b sch n itt überschlagen, ohne das V erständnis der übrigen hiedurch sehr zu beein
trächtigen.
E s wurde die L ehre von den verschiedenen G raden der M ännlichkeit und W eib lich keit vorderhand rein anatom isch entw ickelt. D ie A natom ie w ird aber nicht nur nach den
Arrhenoplasma und Thelyplasma. 15
Formen fragen, in denen, sondern auch nach den Orten, an denen sich M ännlichkeit und W eib lich keit ausprägt. Daß die S exualität nicht bloß a u f die B egattu n gsw erk zeu ge und die K eim drüsen beschränkt ist, geh t schon aus den früher als Beispielen sexueller U nterschiedenheit erwähnten K örperteilen hervor. A b e r w o ist hier die Grenze zu ziehen? Ist das G eschlecht bloß a u f die »primären« und »sekundären« S e x u a l charaktere beschränkt? O der reicht sein U m fan g nicht viel w eiter? Mit anderen W orten, wo steckt das G eschlecht und wo steckt es nicht?
E s scheint nun eine große A n zahl in den letzten Jahr zehnten aufgefundener T atsachen zur W ied eraufn ahm e einer L ehre zu zwingen, w elche in den vierziger Jahren des X I X . Jahrhunderts aufgestellt wurde, aber w en ig A n h än ger fand, da ihre K onsequenzen dem B egrün der der T h eo rie selbst, ebenso wie ihren Bestreitern einer R e ih e von F orsch un gs ergebnissen zu w idersprechen schienen, die zw ar nicht jenem, aber diesen als unumstößlich galten. Ich meine unter dieser A n schauung, w elche, mit einer M odifikation, die E rfahru n g uns gebieterisch aberm als aufnötigt, die L ehre des K o p en h agen er Zoologen Joh. Japetus Sm. S t e e n s t r u p , der behauptet hatte, d a s G e s c h le c h t s t e c k e ü b e r a ll im K ö r p e r .
E l l i s hat zahlreiche U ntersuchungen über fast alle G e w ebe des O rganism us excerpiert, die überall U nterschiede der S exualität nachweisen konnten. Ich w ill erwähnen, daß der typisch männliche und der typisch w eiblich e »Teint« sehr voneinander verschieden sind; dies b erech tig t zur A nnahm e sexueller Differenzen in den Zellen der K u tis und der B lu t gefäße. A b e r auch in der M enge des B lutfarbstoffes, in der Zahl der roten Blutkörperchen im K u bikcen tim eter der F lü s sigk eit sind solche gesichert. B i s c h o f f und R ü d i n g e r haben im Gehirne A b w eich un gen der G eschlechter vonein ander festgestellt, und Justus und A lic e G a u le in der jüngsten Zeit solche auch in vegetativen O rganen (Leber, L un ge, Milz) aufgefunden. T atsäch lich w irk t auch a l l e s am W e ib e, wenn auch gew isse Zonen stärker und andere schw ächer, » e ro g e n « auf den Mann, und ebenso a l l e s am Manne sexuell an ziehend und erregend a u f das W eib .
W ir können so zu der vom form al-logischen Standpunkt hypothetischen, aber durch die Sum m e der T atsachen fast zur G ew ißheit erhobenen A n schauun g fortschreiten: j e d e Z e l le d e s O r g a n i s m u s i s t (wie w ir vorläufig sagen wollen) g e s c h l e c h t l i c h c h a r a k t e r i s i e r t , o d e r h a t e in e b e s t im m t e s e x u e l l e B e t o n u n g . Unserem P rin zipe der A llgem ein h eit der sexuellen Zwischenformen gem äß werden w ir gleich hin zufügen, d a ß d i e s e s e x u e l l e C h a r a k t e r i s t i k v e r s c h i e d e n h o h e G r a d e h a b e n k a n n . D iese sofort zu m achende A n nahme einer verschieden starken A u sp räg u n g der sexuellen C harakteristik ließe uns auch den Pseudo- und sogar den echten Herm aphroditism us (dessen V orkom m en für viele Tiere, wenn auch nicht mit Sicherheit für den Menschen, seit S te e n - s t r u p s Zeit über allen Zweifel erhoben w orden ist) unserem S ystem e leicht eingliedern. S t e e n s t r u p sag te: »W enn das G eschlecht eines T ieres w irklich seinen Sitz allein in den G eschlechtsw erkzeugen hätte, so könnte man sich noch zw ei G eschlechter in einem T ie re gesam m elt, zw ei solche G e schlechtsw erkzeuge an die Seite voneinander gestellt denken. A b e r das G eschlecht ist nicht etwas, w elches seinen Sitz in einer gegeb en en S telle hat, oder w elches sich nur durch ein an ge gebenes W e rk ze u g äußert; es w irkt durch das gan ze W esen , und hat sich in jedem P un kte davon entw ickelt. In einem männlichen G eschöpfe ist jeder, auch der kleinste T e il m änn lich, m ag er dem entsprechenden T e ile von einem weiblichen Geschöpfe noch so ähnlich sein, und in diesem ist ebenso der allerkleinste T e il hur w eiblich. Eine V ere in ig u n g von beiden G eschlechtsw erkzeugen in einem G eschöpfe würde deshalb dieses erst zw eigeschlechtlich m achen, wenn die N aturen beider G eschlechter durch den ganzen K ö rp e r herrschen und sich a u f jeden einzelnen P un kt davon gelten d machen könnten — etw as, das sich infolge des G egen satzes beider G eschlechter nur als eine g e gen se itig e A u fh e b u n g voneinander, als ein V erschw inden alles G eschlechtes in einem solchen G eschöpfe äußern könnte.< W en n jedoch, und hiezu scheinen alle em pirischen T atsachen zu zw ingen, d a s P r i n z i p d e r un z ä h l i g e n s e x u e l l e n Ü b e r g a n g s s t u f e n z w is c h e n M u n d W a u f a ll e Z e l le n d e s O r g a n is m u s a u s g e d e h n t w ir d .