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Dostojewski und Kafka

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Academic year: 2021

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Joseph P. Strelka

Dostojewski und Kafka

Acta Universitatis Lodziensis. Folia Germanica 1, 19-34

1997

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A C T A U N I V E R S I T A T I S L O D Z I E N S I S

FO LIA G ER M A N IC A I, 1997

Joseph P. Strelka

D O S T O JE W S K I U N D KAFKA

D er Einfluß, den Dostojew skis W erk, autobiographische Schriften und Briefe a u f K afk a ausgeübt haben, ist oftmals untersucht w orden. Etliche Einflüsse sind m it Sicherheit belegt, so m anche erfundene Einflüße, w urden m itu n ter in K afkas W erk hineinprojiziert, m anche w urden auch übersehen. Alles, was im folgenden geboten w erden kann, ist m it dem Bew ußtsein der gegebenen Schwierigkeiten und Fehlergrenzen und m it dem W unsch nach größtm öglicher Sachlichkeit einen kurzen Ü berblick über diese Einflüsse zu geben.

Eine neuere K afka-B ibliographie1 verzeichnet u n ter dem Stichw ort D o ­ stojewski nicht weniger als achtundzw anzig Titel und die Stelle aus K afkas B rief an Felice, in dem er Dostojewski als einen der vier Schriftsteller anfürt, die er geradezu „B lutsverw andte“ nennt, ist in D utzenden von A ufsätzen und Büchern zitiert w orden.

D a ß jeder der beiden A utoren für sich, D ostojew ski sow ohl wie K a fk a m it zahllosen anderen A utoren verglichen w urden, versteht sich von selbst. Ü berraschend ist jedoch die W eite des Spektrum s der Vergleiche, d urch die beide gemeinsam, gleichsam als ein zusammengehöriges P aar m it anderen A u to re n zusam m engestellt w urden. M aurice Friedm an h a t sie als m oderne H iobsgestalten m it Melville verglichen, F ra n z Hellens im H inblick a u f gemeinsame geistige Instabilität m it N erval. Spyros Plaskavites h a t sie - was naheliegend ist - m it Cam us zusammengestellt, K laus K öhnke, was schon sehr viel überraschender ist, m it H a rtm a n n von A ue. H einrich Siefken verglich sie m it Tołstoj uns Solschenitsyn, M a rk Spilka m it D ickens,

' M . L. Caputo-Маут, J. M. Herz: Franz Kafka. Eine kommentierte Bibliographie der

Sekundärliteratur. Bern-Stuttgart 1987, S. 684. F . Kafka: Briefe an Felice. Frankfurt/M . 1967,

S. 460.

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R om an, Struc m it E. T. A . H offm ann und Büchner, E rw in W äsche m it Lessing2 und die Liste ließe sich weiter fortsetzen. F a st scheint es, als werde in einer geradezu K afkaesk paradoxen Weise auch dem G ebiet der E in ­ fluss-Studien die Ergebnissicherung und K larheit um so kleiner, je weiter die K afka-F orschung ausufert.

A us guten G rü n d en w urde hier jedenfalls K afk as bekanntes W o rt über D ostojew ski als „B lutsverw andten“ noch einm al in E rinnerung gerufen. D en n „Einflüsse“ oder was m an so nennt, sind in d er Regel keine m e­ chanischen Im itationen oder A ngelegenheiten des Zufalls, sondern setzen verschiedene A ffinitäten des Beeinflussten voraus, die zusam m en kom m en m üssen, w ährend andererseits räum liche und zeitliche U nterschiede von Beinflusser und Beeinflusstem Ä nderungen und A daptierungen bedingen. Im Falle K afkas ist gezeigt worden, daß besonders das „m it dem D urchbruch einsetzende Inspirationsschreiben [...] a u f Leseerfahrungen u n d L iteratu ­ rerlebnisse“ zurückgreift, das zu einer „Einschmelzung heterogener Elem ente“ führt. „D abei können ganz verschiedene Form en der W iederverw endung auftreten“ , so daß m an von „anverw andelnder A useinandersetzung“ sprechen k an n 3.

Dies bedeutet unter anderem , daß einzelne Züge ganz, andere g ar nicht, w iederum andere aber vor allem völlig „anverw andelt“ und das heißt entsprechen der Geistigkeit des aufnehm enden A utors entsprechend ü b er­ nom m en werden. W as K afka an Dostojewski am tiefsten fasziniert hat - um dies hier gleich vorwegzunehmen - w ar seine unerhörte Leidensfähigkeit, seine W ahrheitsunerbittlichkeit, seine großartige Psychologisierungskunst, welche in schier unerforschliche Tiefen der menschlichen Seele vorstieß. E iner der wenigen, wenn nicht der einzige Zug, den K afk a nicht übernom m en h a t und für den er keinen Sinn zu entwickeln verm ochte, w ar die russozen- trische H altung Dostojewskis und wenn m an will, sein G lauben an die M ission Russlands. Aus diesem G rund konnte die französische Kafka-Expertin M a rth e R o b e rt erklären:

Im Gegensatz zu G oethe und Dostojewski zum Beispiel, deren Universalität niemals vergessen läßt, daß G oethe Deutscher, Dostojewski Russe ist, redete K aika gleich zur Weit, und das in einer Sprache, die entweder der Sprachverwirrung voranging oder ihr ein Ende setzen mußte. D a er keine Spur seiner Herkunft, nichts von irgendeiner Zugehörigkeit aufwies, kam man wie selbstverständlich dazu, ihm eine Art Recht der Extraterritorialitüt zuzuerkennen, wobei seine Person und sein Werk, freilich unter Einbusse ihrer wirklichen Existenz, die Vollkommenheit und Reinheit des Abstrakten erlangten4.

2 Ebd., S. 186, 227Г., 365, 275, 424, 436, 449 und 621.

3 H. Binder (Hg.): Kaflca Handbuch. Stuttgart 1979, Bd. 2, S. 276 und 307. 4 M . Robert in ebd., S. 680.

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D ostojew ski und K a fk a 21

Dies geht so weit, daß ein englischer D ostojew ski-B iograph oftm als und fast ausschließlich, von kafkaesken Zügen und Elementen in D ostojew skis W erk spricht, als w äre die Einflußlage nicht gerade um gekehrt gelagert5.

A us diesem G ru n d e hat auch der scharfsichtige Prager G erm anist Paul Eisner schon frühzeitig das „einmalige W under“ K a fk a nicht n u r als den „letzten ganz großen E rfüller der aus dem Individuellsten kom m enden, in das A llgem einste zielenden Ich-K unst“ bezeichnet, sondern ausdrücklich auch als den „Dostojewski des W estens“ 6. U nd zwar h a t er dies gerade im H inblick a u f die so oft ausgeklam m erte, von M a rth e R o b e rt beschworenen „wirklichen E xistenz“ getan. E r fand es für K afkas Eigenart wichtig, d a ra u f hinzuweisen, daß sich sein W erk „aus der K onfluenz“ von drei verschiedenen „Innenw elten“ ergeben habe, „der jüdischen, der germ anischen und der slawischen“ . D a s w ar für seine Prager Leser im Ja h r 1931 klar und genau genug, m uß ab er heute, im R ahm en einer w eltw eiten K a fk a -L ite ra tu r insofern präzisiert w erden, daß m an die dam aligen Prager Selbstverständ­ lichkeiten detailliert bestirnt. D a n n aber m uß m an sagen, es handle sich um eine „K onfluenz“ oder Interferenz der westjüdischen Innenw elt Prager S tadtkultur, der deutsch-österreichischen und der westslawisch tschechischen Innenw elt.

W enn K a fk a darum einmal in seinen Tagebüchern von der „unendlichen A nziehungskraft R usslands“ spricht, dann ist es ein G egenbild zur Prager S tad tk u ltu r, ist es die unerm eßliche W eite, die ihn fasziniert. Es heißt da:

D ie unendliche Anziehungskraft Russlands. Besser als die Troika D ost, erfasst es das Bild eines großen unübersehbaren Stromes mit gelblichem Wasser, das überall W ellen, aber nicht allzu hohe Wellen wirft. W üste zerzauste Heide an den Ufern, geknickte Gräser. Nichts erfasst das, verlöscht vielmehr alles7.

D er A utor der bisher ausführlichsten A rbeit ü b er unser T h em a K a fk a und D ostojew ski stellt ziemlich an den Beginn seines K apitels K afkas

Russland dieses Z itat, bringt es aber nach einigen dialektischen Bocksprüngen

fertig, das K apitel m it der B ehauptung von K afkas Bew underung für die bolschewistische R evolution und ihre geradezu gegenteiligen Eigenschaften zu schließen. E r beruft sich dabei a u f zwei alles andere als eindeutige Stellen in K afkas Briefen an M ilena, deren zweite einem Brief entstam m t, in welchem K afk a russisch-jüdische Ausw anderer aus eben jenem Sowjetrussland schildert, die in P rag a u f ihr am erikanisches Visum w arten und erklärt: „...w enn m an m ir freigestellt hätte, ich könnte sein, was ich will, d an n h ätte

5 J. Jones: Doestoevsky. Oxford 1983.

6 P. Eiser: N otiz über Franz Kajka, „Prager Presse“ 1931, Jg. 11, Nr. 190, S. 8. 7 F. Kafka: Tagebücher. Hg. v. H .-G. K och, M . Müller, M . Pasley. Frankfurt/M . 1990, S. 727.

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ich ein kleiner ostjüdischer Junge sein wollen, im W inkel des Saales [...] und in ein p aar W ochen wird m an in A m erika sein“ 8.

Tatsächlich ist es abgesehen vom Interesse an den eigenen religiösen W urzeln dieselbe unentwickelte, dem Irrationalen offene, brach liegende Seite des westlichen Pragers K afka, die auch sein Interesse für das jüdische T heater frei setzte. Im übrigen ist die Vision K afkas von R ussland dem Eindruck des wirklichen R ussland a u f einen anderen Prager, a u f Rilke, überraschend nahe. D ieser nahm die W olga zum A usgangspunkt seiner R ussland Charakteristik:

A u f der W olga zu sein, diesem ruhig rollenden Meer, Tage zu sein und Nächte Ein breit-breiter Strom, hoher, hoher Wald an dem einen Ufer, an dem anderen tiefes Heideland [...]. Man lernt alle Dim ensionen um [...]. Mir ist, als hätte ich der Schöpfung zugesehen; wenige W orte für alles Sein, die D inge in den M assen G ottes...5

In der ersten E rzählung K afkas, in der Dostojewskis Einfluß verm utet wurde, im Urteil, spielt Russland kaum eine bestim m tere Rolle als jene des obigen Zitats: unbestim m te ferne und W eite, in d er alles hiesig R a tio ­ nal-Bewußte verwischt und ausgelöscht wird. A us dieser ungeheuren Weite ragen klein und blaß die K o n tu ren des Freundes in Petersburg und eines Priesters in Kiew heraus.

In dem bereits zitierten ausführlichen Buch über Dostojew skis Einfluß a u f K a fk a gibt es ein eigenes, siebzehnseitiges K apitel ü ber den Einfluß au f das Urteil. D er G roßteil der siebzehn Seiten aber besteht aus w illkürlichen H ypothesen und riskanten Theorien. Zweifellos richtig und überzeugend ist lediglich der Satz, m an könne argum entieren, d a ß St. Petersburg in K afkas

Urteil einer literarischen T radition ü ber das geteilte Ich verbunden ist,

welcher K afka als Erbe angehört. Als zweites gültig ist fraglos das beigebrachte Z itat von K afka selbst, wonach die Figur des Freundes in Petersburg „...kaum eine wirkliche Person“ darstellt10. Es gibt keinen Beleg, w onach K a fk a die in jenem K apitel zitierten R om ane D ostojew skis v o r 1913 und die Biographie Dostojewskis von N ina H offm ann vor 1914 gelesen hätte. D e r a u to r des K apitels selbst zitiert in seiner E inleitung den russischen K ritiker G. M . Friedlander, w onach die Parallelen zwischen K a fk a und

* W. J. Dodd: K afka and D ostoyevsky. New York 1992, S. 29-31. Nachdem Dod d einleitend sein Kapitel über Kafkas Russlandbild mit dem Hinweis auf einen Aufsatz von Bertrand Russell über den Bolschewismus im „Prager Tagblatt“ von 1920 gleichsam als End- und Höhepunkt abgeschlossen hat, behandelt er in seinem ganzen Buch nur Beispielsfälle aus den Jahren 1912-1916, als es diesen Bolschewismus noch gar nicht gab. Abgesehen davon gibt es viele Gründe, welche gegen die reine Spekulation D odds sprechen, es handle sich um Russells Aufsatz. So viel über den Werl des Ruw/arnJ-Kapitels.

9 Zitat aus zweiter Hand nach Hans Egon Holthusen: Rilke. Hamburg 1958, S. 42. 10 W. J. Dodd: Kafka..., S. 38 und 49.

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D ostojew ski und K afk a 2 3

Dostojew ski zu den Lieblings-G em einplätzen des idealistischen D enkens und der L iteraturkritik des W estens gehören11.

Zweifellos w ar K afk a 1912, als er das Urteil schrieb D ostojew ski bereits durch den A ufsatz vertraut, den M ax Brod über ihn 1911 geschrieben h a tte 12. Zweifellos h atte K afk a auch den R om an Der Jüngling gelesen. U nd zweifellos h a t H a rtm u t Binder recht, wenn er annim m t, d aß K afk as D o ­ stojew ski-Rezeption nicht zuletzt von der „V ergleichbarkeit der lebensges­ chichtlichen Problem stellung bestim m t w a r“ . K a fk a h a t w ohl bei der A bfassung des Urteils bereits gewußt, daß er in Dostojew skis Leiden und Sensibilität als D enker und K ünstler einen G eistverw andten besaß und nachdem dieser m it Petersburg un tren n b ar verbunden ist, m ag so betrachtet ein entsprechender U n terto n als A nspielung im F reund aus Petersburg nebenbei m itschw ingen ebenso, wie unterschwellig neben der wirklichen und H auptbedeutung des F reundes der G edanke an seinen F re u n d Steuer und die A nspielung a u f Russland als das einzige L and m itschw ingen m ochte, das K afkas Onkel Alfred Löwy nicht k an n te13. D ie wesentliche und H a u p ­ tbedeutung der Figur des Fraundes aus Petersburg w ar seine E xistenz als eine Persönlichkeits- oder Ich-K om ponente, die sich von G eorg Bendem ann abgespalten h a tte 14.

Bei der V erw andlung liegt der F all bereits anders, denn obw ohl ihre erste F assu n g bereits zwischen 17. N ovem ber und 7. D ezem ber 1912 entstand, w urde sie wahrscheinlich am 23. Ja n u ar 1914 überarbeitet u n d erschien ü berhaupt erst 1915. Z u diesem Z eitpunkt w ar nicht n ur die W endung von Dostojew ski als Blutsverw andten vom 2. N ovem ber 1913 bereits gefallen, sondern M onate davor findet sich bereits die erste Eintragung über D ostojew ski in den T agebüchern und zwar am 21. Juli 1913. Es heißt da: „B esondere M ethode des D enkens. G efühlsm äßig durchdrungen. Alles fühlt sich als G edanke selbst im U nbestim m testen. (D ostojew ski)“ 15.

Zudem h a t bereits M a rk Spilka eine so große A nzahl von Ü bereinstim ­ m ungen zwischen G regor Sam sa in der Verwandlung u n d dem P rotagonisten Ja k o v Petrow itsch G oljadkin von Dostojewskis R om an Der Doppelgänger aufgezeigt, d aß ein Zufall fü r so viele Parallelen ausgeschossen erscheint16. H a rtm u t Binder aber h a t diese Parallelen zum Teil durch H eranziehung

11 Zitat aus zweiter Hand nach W. J. Dodd: K ajka..., S. 10.

12 Vgl. H. Binder: Kajka-Kommentar zu sämtlichen Erzählungen. München 1975, Bd. 1, S. 128. 13 Vgl. dazu ebd., S. 146.

14 Vgl. J. Dem m er in ebd., S. 147 und K . Flores: The Judgment. In: A . Flores, H . Swander (eds): Franz K afka Today. M adison, Wisconsin 1958, S. 5-28.

13 F. Kafka: Tagebücher. S. 568. Vgl. vor allem auch H. Binder: K afka und die Neue Rundschau. „Jahrbuch der Schillergesellschaft“ 1968, Jg. 12, S. 941Γ.

16 M . Spilka: Kafka's Sources o f the M etamorphosis, „Comparative Literature“ 1959, Vol. 11, S. 289-307.

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von Stellen im M a n u sk rip t, die von K afk a für den D ru c k gestrichen w urden, noch erw eitert und h a t Spilkas D arlegungen wesentlich verm ehrt und un term au ert17.

E in neuerer K ritiker glaubte annehm en zu können, daß die D arstellung der Schwierigkeiten G eorg Bendem anns zu seiner w irklichen Id en titä t zu gelangen eine A rt von C harakterdarstellung bildet,18 wie sie K afk a ebenfalls von D ostojew ski übernom m en hat. T atsächlich geht es hier jed o ch um etw as ganz anderes, näm lich um einen Identitätsverlust durch A ufspaltung in verschiedene Persönlichkeitskom ponenten. Bei G eorg Bendem ann im

Urteil ist diese A ufspaltung in zwei K om ponenten deutlicher sichtbar, d a

d er F reund in Petersburg die abgespaltene K om ponente versinnbildlicht. Im F all von G regor Samsa ist es schwieriger zu sehen, denn die eine, einseitig entwickelte K om ponente des Berufslebens und des Sich-Opferns für die Fam ilie steht allein sichtbar im V ordergrund, w ährend jene andere der Berufung zum Schriftsteller so verkümmert ist, daß sie kaum m ehr erschlossen w erden kann. Es ist die einseitige E ntw icklung gerade jener K om ponente, die dem tieferen Selbst frem d ist, bei völliger U nterdrückung der anderen, zutiefst eigenen K om ponente, die zwangsläufig zur Regression zum Insekt und zum T od führt. D ie Idee jener Ich-A ufspaltung fand K a fk a aber, wenn sie nicht völlig seine eigene Schöpfung ist, zu allererst bei F reud und nicht bei Dostojewski. In dem der Verwandlung vorausgehenden Urteil zeigt sich dies viel klarer und eindeutiger.

Bei G eorg Bendem ann beginnt näm lich die A ufspaltung in einer stets Entwicklungslinie, die vom scheinbar realistischen A usgangspunkt des festen G laubens an den F re u n d in Petersburg über zunehm ende Zweifel bis zur feststehenden N icht-Existenz führt. Im G runde geht dam it die A ufspaltung G eorg Bendem anns in zwei K om ponenten, näm lich in ihn selbst einerseits und in den F reund in Petersburg andererseits so vor sich, daß sie im L auf der E ntw icklung rational nachvollziehbar ist in jenem Sinn, wie F re u d dies bereits 1908 beschrieben hat: „ D er psychologische R o m an “ , erklärte er, „v erd an k t im ganzen wohl seine Besonderheit der Neigung des m odernen D ichters, sein Ich durch Selbstbeobachtung in Partial-Ichs zu zerspalten und dem zufolge die K onfliktström ungen seines Sellenlebens in m ehreren H elden zu personifizieren“ 19. N icht zufällig h a t K a fk a selbst, als er die Einflüsse a u f das Urteil aufzählte, zu allererst a u f F reud verwiesen und D ostojew ski üb erh au p t nicht genannt20. In einem späten Brief an M ax Brod h at K afk a

17 H. Binder: Kafka-Kommentar..., Bd. 1, S. 161, 162, 164, 168, 169, 171. ’* R. Robertson: Kaßca. Stuttgart 1988, S. 111.

19 S. Freud: D er Dichter und das Phantasieren, zuerst erschienen im 1. Jahrhgang der „Neuen Revue91 von 1908, wieder abgedruckt in: S. Freud: Psychoanalytische Studien zu

Werken der D ichtunf und Kunst. W ien-Leipzig-Ziirich 1924, S. 11.

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genau diese Spaltung, wie sie sich in ihm selbst vollzogen h a tte , so ausgedrückt, daß er schrieb: „denn die Seele h a t doch offenkundig das w irkliche Ich verlassen, ist aber nu r ein Schriftsteller gew orden...“ 31.

Bei der Verwandlung ist G regor Samsa genau das geschehen. D ie A ufspal­ tung setzt schlagartig m it dem fortgeschrittenen G rad beim Erw achen G regor Samsas ein. Dies ist nu r durch die Parabelform m öglich, denn natürlich k an n Gregor nicht wörtlich in ein Insekt verwandelt sein. Diese abrupte Plötzlichkeit fehlt bei Dostojewskis Doppelgänger. D ie aufgezeigten und tatsächlich vorhan­ denen Parallelen zwischen den beiden Erzählungen beziehen sich lediglich au f eine lange R eihe von kleinen D etails und Einzelmotiven.

W enn beispielsweise Sam sa ebenso wie G oljadkin sich betastet, um k lar zu stellen, ob er träu m t oder w acht, so h a t das wenig m it der E ntw icklung eines C harakters zu tun, so wenig, wie wenn Sam sa sich in ein Insekt verw andelt fühlt, nachdem G oljadkin, neben einem ju n g en , schlanken Offizier stehend, sich für einen Augenblick wie ein K äfer vorkom m t. D as ist zwar eine echte, aber überaus oberflächliche und a u f ein M otiv beschränkte G leichheit, die bei K a fk a allerdings zum zentralen, die ganze E rzählung beherrschenden Bild wurde. Ebenso wenig h a t es m it der D arstellung und E ntw icklung eines C h arak ters zu tun, w enn tro tz versuchten V orspringens zur offenen Tür, diese sowohl Samsa wie Goljadkin vor der Nase zugeschlagen w ird. D asselbe gilt für die ähnlichen Sym ptom e bei einer V erkühlung der beiden Protagonisten oder wenn Sam sa wie G oljadkin schließlich in seinem Zim m er zwischen verschiedenem Gerümpel, H ausrat und anderem K ram steht.

Die E ntw icklung des C harakters von G oljadkin findet so statt, d aß er zuerst durch D em ütigungen verw irrt wird, sodann als P rojektion seiner Bew ußtseinsspaltung seinen D oppelgänger selbst entw ickelt u n d nach außen projiziert, und ihn erst am nächsten T ag als statuierte „W irklichkeit“ erlebt. Bei K afk a gibt es keine solche Charakter-Entw icklung, sondern die W andlung setzt schlagartig m it dem Erw achen ein. D as wesentlichste gemeinsame M otiv wahrscheinlich - , aber auch die ist ein einzelnes D etailm otiv - besteht in dem U m stand, daß beide in einer Regression enden, die allerdings bei G oljadkin ins Irrenhaus, bei Sam sa in den T o d führt.

Bei D ostojew ski nim m t m it dem Doppelgänger das Ringen um die innere Identität seiner Rom anhelden seinen A nfang bei K afka ist das D arstellungpro­ blem des Identitätsverlusts durch die A ufspaltung in T eilkom ponenten bereits im Urteil und sogar vor diesem noch in den „Hochzeitsvorbereitungen a u f dem

Lande“ vorgegeben. Zumindest bis zur Verwandlung ist es nicht die Darstellung

der inneren E ntw icklung ihrer H auptcharaktere, die sie gemeinsam haben, sondern abgesehen von verhätnismäßig kleinen Einzemotiven die Leidensgrund­ lage, das Schuldproblem , die unerbittliche W ahrheitssuche. In dem späteren,

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nicht zufällig sehr viel längeren Prozeßrom an ist K afk a a u f seine Weise einer ganz bestim m ten A rt der C harakterentw icklung Dostojew skis gefolgt.

Stellt m an Doppelgänger und Vorwandlung nebeneinander, dan n zeigt sich bei genauerer B etrachtung, daß der C harakter des Protagonisten bei D ostojew ski dem unerklärlich Irrationalen gegenüber weitaus offener und ausgesetzter ist, als es im ersten Augenblick erscheint, w ährend es bei K afk a p aradoxer Weise um gekehrt ist, und der P rotagonist viel ratio n aler gestaltet ist, als es zunächst den A nschein hat. E r ist eben doch ein „D ostojew ski des W estens“ , dessen C harakterisierungskunst jener Dostojew skis in der

Verwandlung eher entgegensetzt ist.

W. J. D odd h a t auch in der Erzählung Erinnerungen an die Kaldabahn und im Fragm ent des Unterstaatsanwalts Einflüsse D ostojew skis gesehen. Abgesehen von den ersten beiden Seiten seines K apitels d arüber finden sich hier im U nterschied zum K apitel über das Urteil etliche Stellen, die seine A nnahm e wohl begründet erscheinen lassen22. D em nach ist beispielsweise der Unterstaatsanwalt durch die Gerichtsszene in den Brüdem Karamasow beeinflußt. H ier sind D odds H ypothesen um so überzeugender, als beide Stücke zum Um kreis von K afkas bekanntesten R om an, den Prozeß, gehören, von dem H artm u t Binder geurteilt hat, daß die M otivbeziehungen zwischen Dostojew ski und K afk a hier so auffällig sind, „auch gerade hinsichtlich von Z entralvorstellungen in K afkas R om an, daß m an sagen m uß, K a fk a habe wesentliche Elem ente seiner K onzeption seinem russischen V orbild zu verdanken“23. Binder zählt auch die Dostojewski-Quellen K afkas für den

Prozeß auf: die beiden Rom ane Der Doppelgänger und Schuld und Sühne,

die Briefe in der Ausgabe von Eliasberg, ein Band, in dem auch ein Bericht über Dostojewskis Zuchthauszeit in Om sk enthalten w ar und schließlich N ina H offm anns Dostojew ski-Biographie24.

H artm ut Binder ist es auch, der m it großer Akribie und Überzeugungskraft den einzelnen M o tiw erbindungen nachgegangen ist, nachdem er im Hinblick a u f die S tru k tu r des R om ans die großangelegte G erichtsm etaphorik als erzählerisches Gleichnis von K afkas K am p f um Felice aufgezeigt h a tte “ .

B W. J. Dodd: Kaßca..., s. 175-188.

23 H. Binder: Kafka-Kommentar zu den Romanen, Rezensionen, Aphorismen und zum Brief

an den Vater. M ünchen 1976, Bd. 2, S. 189.

u N . HofTmann: F. M . Dostojewsky. Eine biographische Studie. Berlin 1899.

25 Hartmut Binder gibt im Kapitel über den Prozeß in seinem Kaßca-Kommentar zunächst eine ausführliche Klärung der Kapitel-Einteilung. Dem folgen Bemerkungen zu der Vielfalt der Deutungsversuche, ein biographischer Hinweis zu K afkas Beziehungen zur Gerichtsbarkeit und zu einigen wichtigen Prozessen seiner Zeit, eine Darlegung der Wichtigkeit von Dostojewskis Einfluß im allgemeinen und darauf erst die Klärung der Grundstruktur des Rom ans. Im Anschluß daran gibt Binder einen kondensierten Überblick über die Entwicklung von Kafkas biographischen Beziehungen zu Felice, die in der metaphorisch-parabolischen Prozeß-Form ihren Niederschlag gefunden haben.

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M argaret C hruch h atte beteits d a ra u f aufm erksam gem acht, d aß im Ras- kolnikoff-R om an zunächst ein Zim m erm aler verdächtigt wird, den M ord begangen zu haben. Dies korrespondiert m it dem au f andere W eise nicht zu erklärenden U m stand, d aß der U ntersuchungsrichter Jo sef K . beim ersten V erh ö r u nverm ittelt die F rage stellt: „Sind Sie Z im m erm aler?“ B inder fügt zahlreiche, kleine Einzelmotive hinzu, wie etw a jenes, daß Jo sef K . sich bei seiner V erhaftung überlegt, er h ätte zehnfache Zeit, sich um zubringen, das er zu der Stelle in Schuld und Sühne in Beziehung setzt, wo der U ntersuchungsrichter R askolnikoff nahe legt, d aß er, für den F all er lege H and an sich eine kurze und genaue M itteilung hinter­ lassen m öge.

Um nu r noch einige wenige Einzelmotive m ehr anzuführen, sei a u f das M otiv verwiesen, wo Jo sef K . am Sonntag zu seiner ersten U ntersuchung geht, dabei überraschender Weise au f drei Angestellte seiner B ank stößt, und sich denkt: „A lle sahen ihm wohl nach und w underten sich, wie der Vorgesetzte lie f1. Binder vergleicht diese Stelle m it dem Vorfall in Dostojewskis

Doppelgänger, wo G oljadkin überraschend zwei in seinem A m t beschäftigte

untergeordnete Beamte trifft, die ihn in höchster V erw underung an starren wegen seines Aufzuges. A uch vergleicht er das bucklige junge M ädchen, das Jo sef K . vor der W ohnung T otorellis entgegentritt m it dem M ädchen, das Sswidrigailoff in Schuld und Sühne, d a er innerhalb eines T raum es sein Zim m er verlässt, in sein Bett bringt.

Im letzten K apitel vergleicht Binder die Stelle, wo die beiden Flenker Jo sef K . zum R ichtplatz begleiten, und wo er an einem G eländer stehen bleibt, hinter dem das im M ondlicht glänzende und zitternde W asser sich um eine kleine Insel teilt m it Dostojewskis Schilderung, wo der Selbstm örder S sw idrigailoff sich a u f dem W eg zu seinem letzten D om izil ü b er das schwarze W asser der kleinen N ew a beugt. A uch die A rt, wie Jo sef K ’s. T od dargestellt wird, besonders „die widerlichen H öflichkeiten“ der beiden H enker, findet er bei D ostojew ski vorgeform t.

D as letzte hier angeführte Einzelmotiv betrifft die Lage und Beschreibung des Polizei-Büros, das R a skolnikoff aufsucht, wo der Eindruck entsteht, es m üsse in einem W ohnhaus, „also in einer gewissermasen privaten S phäre“ liegen26. R a skolnikoff m uß in den dritten Stock hinaufsteigen, ü ber den Schm utz sich w indender Treppen, an offenen W ohnungstüren vorbei durch D unst und G estank von K üchen. Binder vergleicht diese Beschreibung m it jener Stelle im Prozeß, wo Josef K . in der K uliusstraße einer V o rstad t den R aum d er ersten U ntersuchung zu finden trach tet, wo er ebenfalls in einem M ietshaus an offen stehenden T ü ren , an K in d ern , F ra u e n , M ädchen, K ran k en vorbei, endlich ans Ziel gelangt.

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28 Joseph P. Strelka

Wie viele derartige Einzelmotive aber auch von K a fk a ü bernom m en w orden sein m ögen, sie alle zusam m en genom m en ergeben noch kein Bild des geistigen und künstlerischen Einflusses von D ostojew ski a u f den P ro ­ zeß-R om an. U nter den von Binder angeführten Parallelstellen scheinen m ir zwei über solch enge Einzelmotivik hinauszuführen.

D ie erste dieser Stellen bezieht sich a u f die E rk läru n g des U n tersu ch u n ­ gsrichters in Schuld und Sühne, in welcher er R askolnikoff zu überzeugen sucht, daß es vorteilhafter ist, die strenge, äusserliche, gesetzliche F o rm der B efragung zu durchbrechen, ja , im alter F re u n d sch aft m itein an d er zu sprechen. Binder zieht daraus den Schluß, daß eine „solche A uffassung [...] K a fk a in seinem V orhaben bestärkt hab en “ m uß „den inneren Prozeß so darzustellen, daß er sich in seiner V erkörperung in äußeren Instanzen von den G epflogenheiten des herköm m lichen S trafprozeßordnung unterscheidet, ohne jedoch davon völlig verschieden zu sein“ 27.

D em kan n m an beipflichten, wenn m an die B etonung a u f das W ort „verstärken“ legt. D enn die F o rm der m etaphorisch-parabolischen G ru n d ­ stru k tu r des Prozeß in von vornherein und so radikal verschieden von dem im w eitesten Sinn des W ortes realistisch psychologischen R o m an s des 19. Ja hrhunderts, daß sich hier von selbst die innere N otw endigkeit ergibt, gewisse V erschiedenheiten von einem äußeren Strafprozeß w irklicher A rt herauszuarbeiten, schon um die P arabelstruktur nicht übersehen zu lassen28. Die zweite Stelle, die über enggefaßte Einzelm otivik hinausreicht, ist jene, wo Binder a u f den Einfluß von N ina H offm anns Dostojewski Biographie hinweist29. D iese Biographie enthält näm lich den W ortlaut von D ostojew skis eigener Verteidigungsschrift, über deren L ektüre K afk a in seinen Tagebüchern besonders berichtet30 und die ihn außerordentlich bewegt hat. Wie Binder durch sein unerhörtes biographisches Wissen erklären kann, h än g t dies nicht zuletzt m it dem U m stand zusammen, daß K a fk a selbst zu dieser Zeit gerade an einem „vergleichbaren Schriftstück“ arbeitete31, noch dazu an einem, das m it dem realen, biographischen Bezug des Prozeß-R om ans au f das engste zusam m enhing. Es handelt sich um einer außerhalb des Brief­ wechsels m it Felice verfaßte, sechs D ruckseiten lange S elbsterklärung. B inder weist auch sehr richtig d a ra u f hin, d aß D ostojew ski in seiner Verteidigungsschrift, „selbstquälerisch, wie er w ar“ 32, einen grösseren eigenen Anteil an den V orgängen sehen wollte, als ihm zukam . D em steht andererseits

22 Ebd., S. 202.

u Vgl. N . Sarraute: D e D o sto ïevsk i à K afka, Paris 1956, w o die beiden Typen unter den Nam en , rom an de situation“ und „roman psychologique“ einander gegenüber gestellt werden.

29 H . Binder: Kafka-Kommentar..., Bd. 2, S. 223. 10 F . Kafka: Tagebücher, S. 682.

31 H. Binder: Kafka-Kommentar..., Bd. 2, S. 223. 32 Ebd.

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D ostojew ski u n d K afk a 2 9

allerdings entgegen, daß er die Existenz der noch nicht entdecken Palm - D urow -G ruppe verschwieg33. Jedenfalls w ar H offm ann im U nterschied zur älteren D ostojewski-Kritik überzeugt, daß die Schrift nicht ein advokatorisches M eisterstück darstellt, sondern auch viel wirkliche W ahrheit enthielt.

Binder b ringt diese V erteidigungsschrift D ostojew skis zu n äch st m it der von Jo sef K . selbst am Beginn des K apitels A dvokat-Fabrikant-M aler von ihm geplanten „V erteidigungsschrift“ in Zusam m enhang, sodann aber m it dem ganzen K apitel. Es fragt sich, ob nicht m anches von d er K asuistik Dostojew skis in verschiedene Stellen des ganzen R om ans Eingang gefunden hat.

D as Einfluß-Problem ist m anchm al schwierig zu klären und ganz bestimmt gibt es gerade im Fall von Dostojew skis Einfluß a u f K a fk a Stellen, wo sich nicht m it Sicherheit verifizieren läßt, ob ein Einfluß vorliegt oder nicht. W ozu n o ch die Schwierigkeit verschiedener kritischer M einungen zum Einfluß-Problem ü berhaupt kom m en. Jean Starobinski h a t etw a erklärt, daß es im H inblick a u f den Einfluß von Schuld und Sühne a u f K a fk a keine N achahm ung gibt, sondern daß lediglich gleiche A rchetypen der E inbildun­ gskraft vorliegen34. Gewiß gibt es keine m echanische äußere N achahm ung. A ber wo ist die G renze zu ziehen zwischen Spilkas „schöpferischer N a ­ chahm ung“ und gleichen A rchetypen der Einbildungskraft?35

G ewiß sind m anche Parallelen so allgemeiner A rt, d aß bei F ehlen von biographischen Belegen in T agebüchern, Briefen und G esprächen, vom dichterischen W erk allein her gesehen, eine wirkliche Entscheidung unmöglich ist. D er Hinweis a u f die D arstellung des Ö dipuskonflikts allein, sow ohl in

Schuld und Sühne wie im Prozeß, w o rau f unter anderem besonders M arg aret

C hurch aufm erksam gem acht hat, w ürde gar nichts besagen, h ä tte sie nicht ihre B eobachtungen und eindeutige Analysen von Parallelen in der F a ­ bel-S truktur erhärten k ö nnen36.

E in neuerer K ritiker h a t m it R echt erklärt, daß es sich bei K afkas Ü bernahm e „in Struktur, Them atik und M otivik aus Schuld und Sühne nicht um isolierte E ntlehnungen handelt, die ebensogut aus zwanzig vers­ chiedenen Quellen h ätten genom m en w erden k ö nnen“ 37. F ragw ürdig ist jedoch seine folgende E rklärung, w onach der übergreifende S trukturzusam ­ m enhang hier in der G attu n g zu finden sei. Diese glaubt er im sogenannten „m etaphysischen (oder religiösen) K rim inalrom an“ zu erblicken, wessen wesentliche K ennzeichen - er nennt alles in allem sieben - lassen sich in

33 Vgl. J. Frank: Dostoevsky. The Years o f Ordeal 1850-1859. Princeton 1983, S. 34. 34 3. Starobinski: Kafka et Dosloi'evski, „Les Cahiers du Sud“ 1950, Nr. 304, S. 466. 35 M . Spilka: K afkas Sources...

36 M . Church: D osto effk y’s „Crime and Punishment" and K a fk a ’s „The Trial", „Literature

and Psychology", 1969, Vol. 19, N o . 314, S. 47-55.

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drei H auptkennzeichen zusam m enfassen, die er an anderer Stelle nennt, nämlich „die dramatische Struktur, die metaphysische Them atik, der städtische H in tergrund“ 38. N un läßt sich eine metaphysische T hem atik in K afkas

Prozeß im Unterschied zu späteren W erken von ihm einfach nicht beweisen,

und daß eine solche metaphysische T hem atik w iederholt hineinprojiziert w orden ist und a u f G ru n d der parabolischen S tru k tu r leicht projizierbar ist, ändern nichts d aran . Die parabolischen Bilder von K afkas trau m h aften inneren Leben im Prozeß sind nachw eisbar von der Felice-Problem atik her geprägt39.

W as die dram atische S pannung berifft, so findet sich im U nterschied zum psychologisch spannenden K rim inalrom an Schuld und Sühne im Prozeß als gleichnishaften äußeren A usdruck inerer V orgänge fast gar nichts davon und K afka war infolge seines Strukturmodells auch gar nicht daran interessiert. W as unser K ritiker auch richtig beobachtet hat, denn er klagt: „K afk a neigt [...] leider dazu, die dram atische Spannung einer Szene aufzulösen...“ 40 E s bleibt also im G ru n d e nur der „städtische H in tergrund“ . W as aber dieses K riterium für sich allein betrifft, so ist es völlig bedeutungslos für die K onstituierung eines metaphysischen oder überhaupt irgendeines K rim inal­ rom ans, denn es gibt die verschiedensten A rten von Rom anen m it städtischem H intergrund.

W as die richtig gesehenen und geforderten, S truktur, T h em atik und M otivik übergreifenden Züge betrifft, so stellen im U nterschied zum m eta­ physischen K rim inalrom an Starobinkis gleiche „A rchetypen der E inbildun­ gskraft“ einen wesentlich überzeugenderen gemeinsamen N enner dar.

W ie es eigentlich keine realistische Fabel im P rozeß-P om an gibt, so gibt es im G ru n d e auch m it A usnahm e von Josef K . keine realistischen C h a ra k ­ tere, d a sie in gewissem Sinn alle P rojektionen des P rotagonisten sind. D a K afk a ein viel zu großer K ünstler war, als daß er sich der G efahr völlig blutleerer, abstrakter Allegorien ausgesetzt hätte, gab er zum indest einer Reihe von hinen, wenn nicht den m eisten Züge von Fleisch und Blut lebender, w irklicher Personen. Zweifellos träg t Fräulein Bürstner Züge von Felice.

M an m uß sich aber der grundsätzlich verschiedenen Anlage der Charaktere bei Dostojew ski und K a fk a bew ußt bleiben, was direkte Vergleichsmöglich­ keiten bei der D arstellung der C haraktere beschränkt, und es scheint m ir ebenso fragwürdig, unter Einbeziehung dieser Verschiedenheit zu schlußfolgern,

11 Ebd., S. 128.

39 D ie D eutung der Gerichtsräume im Prozeß als Versammlungsräume durch Giuliano Baioni (Kajka: romanzo e parabola, Mailand 1964, S. 164) ist willkürlich, gewaltsam und unrichtig, wie auch die allerdings sehr viel vorsichtiger geäusserte M öglichkeit von Robertson, daß sie Talmud-Schulen glichen. (Robertson: Kafka, S. 170).

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D ostojew ski u n d K afk a 31

d aß K a fk a hier über D ostojew ski hm ausgegangen sei“", wie um gekehrt, daß er ihn nicht erreicht h ätte42.

D as Problem der Charakter-Zeichnung m uß aber hier erw ähnt werden, weil K afk a einen bestim m ten, einzelnen Zug davon bei D ostojew ski e rk an n t und übernom m en hat. K afk a selbst h a t aus guten G ründen d arü b er in sein T agebuch notiert: „M axens Einw and gegen D ostojew ski, d aß er zuviel geistig K ran k e auftreten läßt. V ollständig unrichtig. Es sind nicht geistig K ranke. D ie Krankheitsbezeichnung ist nichts als ein Charakterisierungsm ittel und zwar ein sehr zartes und sehr ergiebiges“43. W o rau f er ein Beispiel aus den Brüdern Karamasow anführt.

Ritchie R obertson war einer der letzten, welche das W esen d er idée m aître des ganzen Proze/?-Romans in der Form el enthüllt haben, w onach es um nichts anderes geht, als daß die U nkenntnis des inneren m oralischen Gesetzes Schuld die Schuld des Jo sef K . konstituiert44. N u n ist gerade der aus der Perspektive von Jo sef K . geistig zurückgebliebene, wo nicht dum m e O nkel A lb ert, d er in d er B ank keinerlei tak tv o lle R ü c k sich t a u f die vornehm e U m gebung nim m t und dem Jo sef K . den verächtlichen N am en „das G espents vom L ande“ gegeben h at, der sofort d as W esen dieses G erichtsverfahrens durchschaut, indem er erklärt: „E inen solchen Prozeß haben, heißt ihn schon w erloren h ab en “ und der trotzdem tatkräftige Hilfe leistet, indem er J osef K . zum A dvokaten bringt. Es ist genau die M ethode, die er an Dostojew skis Zeichnung des C harakters des V aters K aram asow beobachtet hatte.

ln diesem Sinn weitet sich wohl die Felice-Problem atik v or allem durch die Parabelform zu allgemeiner menschlicher Lebensproblem atik aus, weshalb der M aler Titorelli erklären kann: „Alles gehört zum G ericht“ , das m it der m acht des Gewissens verbunden ist. In diesem Zusam m enhang h a t ebenfalls R obertson als einer der letzten, wenngleich keineswegs allein, a u f den wesentlichen U m stand verwiesen, daß ein, wenn nicht der H auptfehler Josef K ’s darin besteht, daß er sich zu sehr, ja einzig a u f seinen V erstand verläßt45. H ier aber kom m t einer der wichtigsten und tiefstgreifenden Einflüsse D ostojew skis zum T ragen, näm lich der Einfluß des F ü n ften K apitels des

41 D ies tut zumindest am Beispiel des Urteil Dodd in seinem Buch K ajka..., S. 49. 42 D ies tut Louis Breger in seinem Buch D ostoevsky (N ew York 1989) w o er au f S. 8, schreibt: „But D ostoevsky’s work is psychoanalytic in ways that g o beyond K afka...“

41 F. Kalka: Tagebücher, S. 711.

44 R. Robertson: Kaßca, S. 140. D er Gegensatz der Idee der Gerechtigkeit und der praktischen G esetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltungsordnung, der G egensatz von Naturrecht und positiven Recht war dem Juristen K afka seit seinem Studium klar, ebenso wie das praktische Problem der Schwierigkeit der Enthüllung und des Erkennens solch eines allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips im verwickelten und komplizierten Leben mit einander so vielfältig überschneidenden Interessen und Aufgaben.

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ersten Teils seines R om an Der Jüngling**. M ax Brod h a t aus der E rinnerung berichtet, dass K afk a „besonders entzückt“ über dieses K apitel w ar und ihm m it lauter Stimme, „außer sich vor Begeisterung“ den A nfang davon vorlas, „den phantastisch paradoxen Plan des Helden, unbedingt reich zu w erden...“ 47. N u n enthält dieser A nfang lediglich den A u ftak t, den - ganz im Sinne Jo sef K ’s rein a u f den V erstand bauenden Lebensplan des jungen D ostojew ski-Protagonisten, an dem er bald genug scheitert, so d aß sich seine gesam te Lebenshaltung gleichsam um stülpt, und sich dem M ysterium des Leidens, des M itleidens, des Jenseits des V erstandesm äßigen öffnet. Dies geschieht, als er u n ter dem E indruck eines ausgesetzten Babys, bewegt von dessen Geschickt und A usdruck, einen Teil seiner geringen A nfangsersparnisse für dessen E rh altu n g und n u r allzu rasch für den A rzt und das Begräbnis des winzigen M ädchens aufwendet. D ie a u f ihn gerichteten A ugen des sterbenden K indes bew irken seine endgültige U m kehr.

D er Jüngling lernt aus seinen E rfahrungen einerseits, d aß die Sinne die Botschaft des V erstandes trüben konnten, wie auch um gekehrt - d urch die G eschichte des sterbenden K indes - daß keinerlei abstrakte Idee und kein verstandesm äßiger P lan einen M enschen so völlig beherrschen können, um verhindern zu können, d aß er von etwas ganz anderem so überw ältigt wird, d a ß er bedenkenlos das Ergebnis m ehrjähriger A nstrengungen opfert. Beide, gegensätzliche L ehren, die von der M ach t der Sinne wie jene des Gewissens betrachtet der Jüngling tro tz ihrer W idersprüchlichkeit als richtig.

Einerseits geht es also ü ber die Einflüsse aller begrenzten und engen Einzelmotive hinaus um ein moralisches Schuldeingeständnis, m it dem sich R askolnikoff von den Qualen der A ngst befreit und dessen Verweigerung zu Jo sef K ’s T o d fü h rt, u n d geht es um die Bedeutung persönlicher Schuldbeurteilung einer tieferen W ahrheit als der juristisch m essbaren48,

46 Hartraunt Binder nimmt als terminus a quo für diesen Einfluß das Jahr 1915 an, weil die deutsche Übersetzung unter diesem Titel 1915 erschienen war (ln: Kafka-Handbuch. Stuttgart 1979, Bd. 1, S. 464). Nun ist dieser Rom an aber schon drei M al vorher in deutschen Übersetzungen erschienen: 1886 unter dem litel Junger Nachwuchs, 1905 unter dem Titel Ein

Werdender und 1909 unter dem tilel Ein Halbwüchsling. M ax Brod hat in seinem Buch Über Franz K afka, Frankfurt/M. Hamburg 1966, S. 343-344) zunächst eine N o tiz vom Januar 1911

veröffentlicht und ihr sofort eine andere N otiz über Kafkas Faszination mit jenem fünften Kapitel des ersten Teils des Dostojewski-Rom ans ohne D alum folgen lassen. D a Brod auf den Titel Ein Halbwüchsling verweist, kann K afka das Buch ab 1909 gekannt haben. W . J. D od d, der einen Einfluss dieses fünften Kapitels auf Beschreibung eines Kam pfes annimmt (W. J. Dodd: Kafka, S. 198) verweist a u f einen Aufsatz von M ax Brod Kommentar zu Robert

Walser in „Pan“ 1911, N o . 2, S. 54, der mir nicht zugänglich war und in dem Brod sich

offenkundig im Zusammenhang mit Kafka auf den titel Ein Werdender bezieht woraus dodd mit Recht schließt, K afka könnte den Roman bereits seit 1905 gekannt haben.

47 M . Brod: Über Franz Kafka, S. 364.

48 Vgl. H. Siefken: Kafka. Ungeduld und Lässigkeit. Zu den Romanen ,,Der Prozeß?' und

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D ostojew ski u n d K a lk a 3 3

andererseits ist dam it aber auch ein E rkenntnisakt verbunden, den die „G erich te a u f den D a c h b ö d e n “ im U nterschied zu den G erichten im Justizpalast zu verm itteln trachten, und das ist die Einsicht in die eng gesteckten Grenzen, denen die W elt des reinen V erstandes und der abstrakten Ideen unterw orfen sind.

M it dem Prozeß scheint zunächst der Einfluß D ostojew skis a u f K a fk a fast völlig zu erlöschen. Es ist aber bem erkensw ert, daß m an annehm en h a t können, daß dieser Einfluß nach vielen Jahren, am E nde von K afk as Leben und E ntw icklung noch einmal aufgeflackert ist.

Dies m ag durch den äußeren U m stand m it ausgelöst w orden sein, daß er im W inter 1920 die 1919 erschienene Ü bersetzung von D ostojew skis

Autobiographischen Schriften gelesen hat. D ie spät E rzählung, für welche

ein Einfluß Dostojew skis angenom m en wurde49, D er Bau, w urde nicht zufällig als „g ro ß e autobiographische E rzäh lu n g “ gesehen50. Es ist die G eschichte eines Tieres, das sich u n ter der Erde einen Bau angelegt h at und d as gleichnishaft in seiner radikalen Rückverweisung a u f die Einsam keit des Einzelnen w ohl in erster Linie für K afkas V erhältnis zu seinem W erk steht, in seiner parabolischen A llgem einheit aber jegliche K ünstler- wo nicht M enschen-Existenz m itm einen könnte.

W ie im autobiographischen Prozeß Josef K . scheitert, so scheitert auch das T ier und m an h a t m ehr Parallelen zum Prozeß-R om an gezogen, etw a den V ersuch des Tieres die seltsamen Zischlaute eines offenkundig in den Bau eingedrungenen Feindes m it den Versuchen Jo sef K ’s, die plötzlich auftauchenden G erichtspersonen zu deuten. A uch charakterisiert sich Josef K . selbst ganz ähnlich, wie das Tier im Bau sich charakterisiert51.

A uch die äussere biographische Situation K afkas w ar zum indest ähnlich jener d er Zeit, als er am Prozeß arbeitete, n u r d aß er m it D o ra D iam ant, die er auch heiraten wollte, im U nterschied zu Felice, glücklich w ar und die Schwierigkeiten seinen eigenen Bau, sein eigenes H aus zu errichten, nicht im V erhältnis selbst begründet w aren, sondern in der U nm öglichkeit einer H offnung infolge seiner weit fortgeschrittenen K rankheit. Es w ar eine neue V ariationsform der unbedingten Verurteilung zum Scheitern. Auch m ag er sein Zusam m ensein m it D o ra D iam an t von seiner Fam ilie her

49 J. Starobinski: Kajka..., S. 473-475 und M. Pasley: The Burrow. In: A. Flores (ed): The

K ajka Debate. New York 1977, S. 424.

50 H. Binder: Kajka-Komm entar, Bd. 1, S. 302.

sl Vgl. W. Sokel: Franz K ajk a -T ra g ik und Ironie. M ünchen-W ien 1964, S. 382: Hier ist die Stelle aus dem Prozeß über Josef K. zitiert, die lautet: „Er neigte stets dazu, alles möglichst leicht zu nehmen, das Schlimme erst beim Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge für die Zukunft zu treffen, selbst wenn alles drohte“ . Aber, fährt Sokel fort, m it dem Prozeß hat sein Leichtsinn nicht aufgehört: „Denn die Parallele zwischen Prozeß und Bau besteht eben darin, daß trotz der Bemühung um alle möglichen Verteidigungs massnahmen keine ersntliche und wirkliche Verteidigung ergriffen wird“.

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b edroht gefühlt haben. Sie jedenfalls verstand das L abyrinth des Baues so, d aß K a fk a selbst das Leben als L abyrinth erfahren h ätte, aus dem er keinen A usweg erblicken konnte, so dass er im m er nu r zur Verzweiflung gelangte.

Es ist vor allem die Leidensfähigkeit und die W ahrheitsunerbittlichkeit, die K a fk a m it Dostojew ski gemeinsam hat, wozu noch in d er Verwandlung, im Prozeß und gerade auch im Bau der an Besessenheit grenzende Trieb zur Selbstanalyse kom m t.

In den Hochzeitsvorbereitungen a u f dem Lande stehen in diesem Z usam ­ m enhang die Sätze:

Erkenne dich selbst bedeutet nicht: Beobachte dich. Beobachte dich ist das W ort der Schlange. Es bedeutet: M ache dich zum Herrn deiner Handlungen. N u n bist du es aber schon, bist Herr deiner Handlungen. D as W ort bedeutet also: Verkenne dich! Zerstöre dich! also etwas Böses - und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugl, hört man auch sein Gutes, welches lautet: „Um dich zu dem machen, der du bist‘tSl.

Joseph P. Strelka

DOSTOJEW SKI I K A FK A

O rzeczywistym wpływie Dostojew skiego na Kafkę m ożna m ówić jedynie w przypadku powieści: D ie Verwandlung, D er Prozeß i Der Bau.

Studia porównawcze sprowadzają się jednakże najczęściej do badania poszczególnych m otyw ów. Niniejszy szkic podejmuje próbę bardziej wnikliwego om ówienia owych wpływów, a przedstawione fakty zdają się potwierdzać jednoznacznie duchowe powinowactwo Kafki i Dostojewskiego.

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