Das Hypothetische der naturwissenschaftlichen Aussagen über den Ursprung und die Entstehung des Menschen

Bernard Hałaczek

Das Hypothetische der

naturwissenschaftlichen Aussagen

über den Ursprung und die

Entstehung des Menschen

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BERNARD HAEACZEK, WARSZAWA-KATOWICE

DAS HYPOTHETISCHE DER NATURW ISSENSCHAFTLICHEN A U SSA GEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE ENTSTEHUNG

DES M ENSCHEN

Die n a tu rw issen sc h a ftlic h e n A u ssa g e n ü b e r den e rste n M e n ­ sch en w e rd e n au f dem W eg e v o n d rei th e o re tisc h e n S ch ritte n e r ­ w o rben:

— Z u e rst w ird d ie v ielsc h ic h tig e Ä hn lich k eit, g leich zeitig aber a u c h das spezifisch T re n n en d e zw ischen dem M enschen u n d den g ro sse n M enschenaffen, also das „ W a s” des M enschen a u s g e a r­ beitet.

— D arauf w ird im R ahm en d e r E v o lu tio n sth eo rie die Ä h n lich ­ k e it u n d das T re n n en d e als A u sd ru c k des V e rw a n d tsc h a ftsg rad e s d arg estellt. D ies e rla u b t den Je tz tm e n sch e n m it au sg esto rb e n e n A rte n zu v e rb in d e n , ih n p h y lo g en e tisc h einzuordnen, das „W ie" der m en sch lich en E ntw icklung zu b e a n tw o rten .

— Z u letzt w ird die F ra g e n ach den U rsach en, n ach dem „ W a ­ rum " d e r m en sch lich en E ntw icklung g estellt, es w ird also d er V e r ­ su ch un tern o m m en , d ie b io lo g isch en E igen m erk m ale des M en sch en g e n e tisch zu erk lä re n .

Je d e m d iese r „S ch ritte" — in sb e so n d e re n a tü rlic h dem d ritte n — h a fte n h y p o th etisc h e A n n ah m en an, die em pirisch n ich t v e rifi­ ziert, o d e r so g ar n ich t v e rifiz ie rb a r sind.

Im F o lg en d en so llte eig en tlich n u r d er zw eite „Schritt", n u r das „W ie" d e r E volution des M en sch en b e h a n d elt w erden , d e n n g e n au dieses m ach t die H au p tb esch äftig u n g d es P aläo n to lo g en aus. J e d e s „W ie" ist jed o c h auf e in „W as" bezogen. In diesem Fall: das „ W ie ” d e r m en sch lich en E ntw icklung se tz t das biolog isch erfa ssb a re „ W a s” (bzw. „ W e r” ), setzt ein e auf dem G eb iet u n d m it den M eth od en der Biologie a u sg e a rb e ite te D efinition des M en sch en v o rau s. Die in te r ­ e s sa n te „ W aru m ”-F rage d a rf h ier allein schon d e sw e g e n völlig au sg ek la m m e rt bleiben, w eil sie n u r w en ig e B iologen zu b e a n tw o r­ ten w agen.

Die b iologische D efinition des M enschen

W ie k a n n d e r Biologe zu e in e r D efinition des M en sch en kom m en? N u r au f dem W e g e e in e r G e g en ü b erstellu n g des h e u te le b e n d e n M en sch en m it dem ihm am n ä c h ste n steh en d en , am ä h n ­ lic h ste n L ebew esen. D ies sind zw eifellos die g ro sse n M enschenaffen.

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U nd eb en bei d ieser G e g e n ü b e rste llu n g stö sst d e r M etho do log e auf etw as, w as ihn b e u n ru h ig e n m uss. N ach d er zoo log isch en S y ste ­ m atik kom m t n äm lich dem h e u tig e n M en sch en d e r tax o n cm isch e S ta tu s e in e r U n te ra rt zu. Die g ro sse n M en sch enaffen (P ongidae) s te lle n d ag e g en ein e Fam ilie m it d rei G attu n g e n u n d m e h re re n A rte n dar. M an w eiss, dass ein m ethodologisch s a u b e re r V e rg le ich n u r d a n n g e w ä h rle iste t ist, w e n n e r auf d em selben N iv e a u u n te r ­ nom m en w ird. W ill m an folglich das Spezifische e in e r tax on om isch b estim m ten E inheit v o n L ebew esen k o rre k t erfassen, so llte m an A rte n m it A rten , G a ttu n g e n m it G a ttu n g e n u n d F am ilien m it F a ­ m ilien verg leich en . W a s soll je d o c h d er Biologe anfang en, w e n n er v o n d e r F am ilie H om inidae n u r e in e ein zig e U n te ra rt, v o n d e r F a ­

m ilie Pongidae aber m e h re re A rte n u n d G a ttu n g e n zur V erfü g u n g hat?

D er g eg eb en e S a c h v e rh a lt zw ingt je d e n B iologen zu dem m e­ th o d o logisch „ u n sau b e re n ” V e rg le ich e in e r U n te ra rt m it e in e r F a ­ m ilie. A n d ers k a n n e r n ich t v o rg eh e n . Er h a t d a n n a b e r a u ch die F olg en d iese s N ic h tk ö n n e n s zu trag en . Sie b e ste h e n darin, dass er ü b e r k e in e sch arfen K rite rie n v erfü g t, die die G attu n g H om o, und noch w en iger, die die F am ilie H om inidae k en n zeich n en . A nd ers g esag t: ein ig erm assen g u t k a n n er led ig lich d e n e rs te n V e rtre te r d e r A rt H om o sapiens, b e d e u te n d sch w ierig er d e n e rs te n V e rtre te r d e r G attu n g H om o, u n d n u r n e b e lh a ft d en e rste n V e rtre te r d e r F a ­ m ilie H om inidae, d am it zugleich den Beginn der E igen en tw icklu ng des M en sch en erk en n en .

Die soeben b e sp ro c h e n e E in sch rän k u n g d er b iolo g isch en D efini­ tio n des M enschen ist je d o c h e h e r n u r fo rm eller N atu r. S ch w er­ w ie g e n d er ist die in h altliche. Sie h ä n g t m it d e r A u fgab e zusam m en, d ass bei der A b g renzung tax o n o m isc h e r E inheiten, also bei der A b g ren zu n g ein zeln er A rte n o d er G attun g en , n ic h t irg end w elche, so n d e rn die w e se n tlich sten U n tersch eid u n g sm erk m ale e rfa sst w e r­ den m üssen. Dies h e isst im K o n k re te n z.B., dass d en g en o ty pisch en , im Erbbild fe stste llb a re n U n te rsc h ied e n ein v iel g rö ss e re s G ew icht zuzu sch reib en ist als d e n p h än o ty p isch en , nur im ä u sse re n Bau, also n u r im E rschein u ngsbild sich tb aren .

D iese w ic h tig e re n U n tersch eid u n g sm erk m ale w e rd e n bei d e r A b g ren zu n g des M en sch en v o n a n d e re n A rte n u n d G attu n g en d u rch a u s b erü ck sich tig t. T rotzdem g eb en h e u te — im G egen satz zur Z eit der J a h rh u n d e rtw e n d e — alle B iologen zu, d ass dam it noch k e in e sw e g s die w ic h tig ste n E ig enm erk m ale des M en sch en erfasst w e rd e n , dass folglich die b iologische D efinition des M en sch en eine u n v o llstä n d ig e ist. Sie e n th ä lt zw ar — so fo rm u lie rte es bildlich G erald Sim pson schon 1966 — K riterien , die ein em M u seu m sd ire k ­ to r die G attu n g M en sch v o n a lle n a n d e re n zu tre n n e n erlaub en , b e sa g e n jed o c h n ich ts d a rü b e r, w e r d er M en sch als M ensch ist, k ö n n e n das W e se n tlic h ste im M en sch en nicht ergreifen. D er h eu tig e

Biologe g ibt d o ch b eisp ielsw eise u n u m w u n d en zu, dass e r w e d e r die F äh ig k eit zu r sym bolischen S prache, n o ch die zum a b s tra k te n D en­ k e n m it biologisch F assb arem ein d eu tig zu k o rre lie re n verm ag.

Die p aläo n to lo g isch e D efinition des M enschen

Es g ilt zu b each ten , dass die biolo g isch e D efinition des M en ­ schen ein e u n v o llstän d ig e ist, obw ohl d e r Biologe bei ih re r A u s­ a rb e itu n g k e in e sw e g s allein auf die re in m o rp h olo gischen — in d e r ä u sse re n G e stalt sic h tb a re n — E igen sch aften des M ensch en a n g e ­ w ie se n ist. Er k a n n doch — u n d dies tu t e r in d e r T a t — a u ch im b io chem isch -sero lo g isch en B ereich u n d eb en falls in d e r V e rh a lte n s ­ w e ise die m en sch lich e E ig en art w ah rn ehm en .

A uf d e r Suche n a c h dem e rs te n M en sch en m üsste d er P a lä o n ­ to lo g e eig e n tlic h auf d en U rsp ru n g a lle r je n e r m ensch lichen E igen­ sc h aften hinw eisen, die d er Biologe als solche erk en n t. Leider, der m o le k u la re B ereich ist ihm völlig v e rs p e rrt. U nd ü b e r das m en sc h ­ liche V e rh a lte n k a n n e r n u r d a n n e tw a s sagen, w e n n dieses sich in ä u sse re n D ok u m enten n ie d e rg e sc h la g e n hat, z.B. in B estattun gen , im F e u e rg e b ra u c h u n d in d er H e rste llu n g v o n W erk zeu g en .

V on den v ie le n spezifisch m en sch lich en E igenschaften, bzw. V e rh a lte n sw e ise n h a t die M eh rzah l k e in e G eg e n sta n d ssp u re n h in ­ terlasse n . Dies b e trifft z.B. solche, w ie: d e r V e rlu st d er zeitlich b e sc h rä n k te n S ex u alb ereitsch aft u n d F o rtp flan zun gsfähig keit; d e r Beginn d es fro n ta le n G e sc h le c h tsv e rk eh rs (von A n g esich t zu An- gesichtl); d ie E n tsteh ung des In zest-V erbo tes; die V e rlä n g e ru n g der W achstum s-, R eifungs- u n d A ltersp e rio d e; die F äh ig k eit zu r A r­ beitsteilu n g , zu r M itarb eit, zu r K o n tro lle d e r Em otionen, zum D en­ k e n u n d zum Sprechen. V on d e r E n tsteh u n g u n d E ntw icklung a ll d ie se r m en sch lich en E ig en sch aften k a n n d er P aläo n to lo g e nichts sagen.

Ist also b e re its die biolo g isch e D efinition des M en sch en u n v o ll­ ständig, w ird die p aläo n to lo g isch e noch u n v o llstä n d ig e r sein. D er P aläo n to lo g e m uss doch auf v ie le K rite rie n des M ensch sein s v e r ­ zichten, die dem Biologen n o ch z u g än g lich sind. Er m uss sich b e i­ n a h e a u ssc h lie sslic h auf d iese b e sch rä n k e n , die dem K n o ch en sk elelt zu e n tn e h m en sind. D eshalb ist sein e (A rbeits-) D efinition des M en ­ sch en u n g e fä h r so zu form u lieren : D er M en sch ist ein zw eibeiniger, au fre c h t g e h e n d e r Prim at, d er ein e n p a ra b o lisc h e n Z ahnbogen m it k le in e n E ckzähn en b esitzt u nd d e sse n G eh irn schäd el m in d esten s 800 ccm g ro ss ist.

Die tax o nom ische E in o rd nu n g d es F o ssilien m aterials

F in d e t d e r P aläo n to lo g e ein e fo ssile Form , die alle ob en g e ­ n a n n te n E ig ensch aften aufw eist, w ird e r sie d e r G attu ng H om o zu­ rech nen. D as k le in e re oder g rö sse re G eh irn v o lu m en en tsc h e id e t

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dabei ü b e r die A rtzu g eh ö rig k eit, d a rü b e r also, ob es sich um ein en

H om o habilis, H om o e ie c tu s o d e r H om o sapiens h an d elt. Die G re n ­

zen zw isch en d iese n A rte n k ö n n e n jed o c h n ich t sc h a rf gezogen w erden. A llein schon d e sw e g e n nicht, w eil d e r P aläo n to lo g e das w ic h tig ste A rten k rite riu m , das v o n d e r fru c h tb a re n N ach k o m m en ­ schaft spricht, n ich t a n w e n d e n k an n . Er gibt som it dem Begriff „ A rt” ein en eigenen, der sy ste m atisc h e n Z oologie frem d en In halt. So u n te rsc h e id e t e r z.B. H om o e ie c tu s v o n H om o sap iens desw egen, w eil der e rste im Bau d es Schädels u n d in d er G e h irn g rö sse (ca. 1000 ccm) v om h e u tig e n M en sch en abw eicht, und w e il er b e re its in d e r Z eitsp an n e v o r 1,5— 0,3 M io J a h re n g e le b t hatte. A llg em ein er g esag t: ein gew isser, n ich t in allen F ä lle n ein d eu tig tre n n e n d e r, m o rp holo g isch er U n tersch ied u n d ein g an z präzis n ich t b estim m b a­ re r Z e ita b sta n d s te lle n die H a u p tk rite rie n dar, a u fg ru n d d e re r die A rt-, u n d d a n a ch au ch d ie G attu n g sz u g e h ö rig k e it a u sg e sto rb e n e r H om iniden bestim m t w ird.

Seit langem b e k a n n t sind näm lich die vo r u n g e fä h r 1 Mio J a h re n a u sg esto rb e n e n Form en, die m en sch liche B ezahnung h a tte n u n d b e re its zw eibeinig, d o c h im — n u r ca. 500 ccm g ro sse n —■ G e­ h irn sc h ä d e l no ch ziem lich äffisch w aren . D iese w a g t d er P a lä o n to ­ loge n ich t m eh r H om o zu n en n en. A n d e re rse its k a n n e r sie n ich t als ein e fossile A ffen art b e tra c h te n , da sie in sg esam t — v o r allem d a n k dem a u fre c h te n G ang — m eh r d en h eu tig e n M en sch en als den h e u tig e n M enschenaffen äh n elten . So o rd n e t er sie in n erh a lb d er F am ilie H om inidae als ein e eigene, v o n H om o g e tre n n te G attun g ein. D iese n e n n t er A u stra lo p ith ecu s.

N u n g ibt es ab er au ch a u sg esto rb e n e W e se n — sie leb te n v o r 14— 7 M io J a h re n — die allein in d e r B ezahnung m ensch lich w a re n . W e lc h e r P rim aten-F am ilie so llen d iese zu g esch rieb en w erd en ? N och v o r w e n ig e n J a h re n h a t m an sie — v o r allem R am apithecus, a b er a u ch G igantopithecus — als die e rs te G attu n g d er F am ilie H o m in i­

dae, folglich als die A u sg an g sfo rm der m en sch lichen E ntw icklung

b e tra c h te t. N eu erd in g s w ird jed o c h die A n sich t v e rb re ite t, d a ss diese F orm en sich g leich erm assen v o n d er Fam ilie des M en sc h e n (H om i­

nidaej w ie der d er g ro sse n M en sch en affen (P ongidae) u n te rsc h ie d e n

h a b e n u n d desh alb als e in e eig en e F am ilie (R am ap ithecid ae) zu b e ­ tra c h te n sind.

Die e rw ä h n te Ä n d eru n g d e r taxonom ischen N o m en k latu r m ach t deutlich, w ie u n sic h e r die p a läo n to lo g isch e K lassifik atio n ist, w ie folglich re in h y p o th etisc h die A u ssa g e n ü b e r die Existenz m e h re re r m enschlicher G a ttu n g e n sind. N eb en b ei sei d a ra u f h in ­ gew iesen , d a ss diese Ä n d e ru n g zu g leich d ie V erein fach u n g a u f­ deckt, die d er Satz e n th ä lt: D er M en sch stam m t, bzw. stam m t nich t vom A ffe ab. Dies v o r allem dann, w en n u n te r dem W o rt „A ffe" — w as d as ü b lic h e ist — ein frü h e r V e rtre te r d er M en sch enaffen g e ­ m ein t w ird. Sollte sich ta tsä c h lic h R a m apithecus als d e r V o rg ä n g e r

des M en sch en erw e ise n , d a n n h a b e n w ir m it ein em V o rg ä n g e r zu tun, d e r w e d e r „äffisch" n och „m enschlich" w ar. V o rläu fig jed o c h sich er ist u n d zu b e a c h te n g ilt n u r das eine: d er h eu tig e P a läo n to ­ loge g ib t sein U n w issen d a rü b e r zu, w elch e v o n d e n v o r m ehr als 5 'M io J a h re n leb e n d e n P rim aten die V o rg ä n g e r d es M en schen w aren.

A n d iese r S telle d arf n och ein re in tech n isch es Problem n ich t v e rsc h w ie g e n w erd en , das bei jed em U m gang m it dem F o ssilien m a­ te ria l zu tag e kom m t. Es g e h t um die T a tsa c h e d e r m eistens n u r fra g m en ta risch g e g e b e n e n Ü b e rre ste v o n a u sg e sto rb e n e n W esen. Ein U rteil ü b e r sie h ä n g t dan n im n ich t g e rin g e n T eil dav o n ab, w ie au s den e in zeln en F rag m en ten ein e E inheit (bzw. d as Ganze) re k o n s tru ie rt w ird. J e d e R e k o n stru k tio n b e ste h t ab e r darin , d ass e r ­ g än zt w ird, w a s d ire k t n ich t g e g e b en ist. D abei m ü ssen n o tw e n d ig e r­ w eise g e w isse h y p o th etisc h e A n n ah m en g em ach t w erden. W eich en diese v o n e in a n d e r irg en d w ie ab, w e rd e n a u ch die e n tsp re ch e n d e n R ek o n stru k tio n en , dam it zugleich d ie V o rste llu n g e n v o n der m enschlich en V e rg a n g e n h e it sich v o n e in a n d e r u n tersch eid en .

Z w ei k lassisc h e B eispiele dafür: W e il J. H ü rzeler se in e rze it

O reo pith ecus e in um das zw eifache g rö sse re s G eh irn vo lum en als

sp ä te r F. S. S zalay u. A. Berzi zu g e sta n d en h a tte , sah e r in ihm einen V o rg ä n g e r des M enschen, v e r tr a t som it ein e A nsicht, die n ach d e r n e u e re n R e k o n stru k tio n v o n n iem an d em m ehr — a u c h v o n H ü r­ z eler n ich t — g e te ilt w ird. U nd w eil n a c h E. L. Sim ons R am apithecus einen p a rab o lisch en , n ach E. G en et-V arcin a b e r ein e n äffisch U -förm igen Z ah n bog en b esass, w u rd e e r v om e rste n als H om inide eingestuft, vo n d e r zw eiten ab e r au s d e r H om iniden-Fam ilie a u sg e ­ schlossen.

Der neue Wissensstand der Paläoanthropologie

T ro tz d er seit Beginn d er E v o lu tio n sleh re a n d a u e rn d e n U nein ig­ k e it ü b e r die A u sg an g sfo rm d er m en sch lich en E ntw icklung, schien bis v o r k u rzem g e sic h e rt zu sein, d ass d iese E ntw icklung in d e r R eihenfolge: A u s tia lo p ith e c us — H om o erectu s — H om o sap iens d a rg e ste llt w e rd e n kann. F ü r ein e solche Sicht d e r m en sch lichen Stam m esgeschichte sp ra c h e n — m in d esten s ab M itte u n s e re s J a h r ­ h u n d e rts — a lle v e rfü g b a re n A u sg ra b u n g sd a te n . D em nach leb te v o r 3—2 M io. J a h re n in S üdafrika d e r b e re its zw eibeinige, doch no ch k lein h irn ig e A u stra lo p ith ecu s. In d e r Zeit v o n 1,5—0,3 M io J a h re n folgte ihm der ja v a n isc h e P itheca n th ro p u s u n d d er ch in esisch e Si-

nanthropus; b eid e sp ä te r in H om o erectu s um b en ann t. Die U m be­

nen nung w a r d u rc h a u s b erech tig t, d en n die G eh irn g rö sse d ie se r H o­ m iniden (800— 120 ccm) lag b e re its im u n te re n V a ria tio n sb e re ic h des m o dernen M enschen. D er letzte — h e u te H om o sapiens g e n a n n t —

112 B ERN A RD H A L A C Z E K

e x is tie rt zw a r e rs t ab ca. 40 000 Ja h re n , doch sein e V o rläu fe r sind b e re its in d er Z eit v o r 0,3— 0,2 zu finden.

D iese V o rstellu n g v om E v o lu tio n sv erlau f des M en schen ist n ach den A u sg ra b u n g en d e r 70-er J a h re auf dem G ebiet O sta frik a s in F ra g e g e s te llt w orden. Es h a n d e lt sich um F un d orte, die au f dem G ebiet des h e u tig e n T ansania, K enia u n d Ä th io pien liegen. Zu d en ä lte ste n — ca. 5 Mio J a h re a lte n — g e h ö re n L othagam u n d ICanapoi. Da d o rt jed o c h n u r k lein e F rag m en te: ein K iefer und e in O b e ra rm ­ k n o c h e n g e fu n d e n w u rden , bleib t u n sich er, ob es sich h ie r ta ts ä c h ­ lich um Ü b e rre ste d es zw eib ein igen A u stia lo p ith e c u s hand elt. Sicher ist dagegen, d ass ein solch es W e se n in d e r Z eit zw ischen 3— 2 M io J a h re n schon se h r v e rb re ite t w a r und sow ohl in Süd- w ie O sta frik a lebte. Dies b e w e ise n die zah lreich en F u nd e in Ma- k a p a n sg a t u n d S terk fo n tein ein e rseits, in Omo, ICoobi Fora, H a d a r und L aetoli a n d e re rse its. A us den le tz te n b eid en O rte n stam m en die n e u e ste n A ngaben. Das d o rt g efu n d en e p o stk ra n ia le S k elett bezeugt, ebenso w ie die in L a v a ste in v e re w ig te n F uss-S puren, die Existenz e in e s zw eibeinigen, n u r ca. 1 m g ro sse n P rim a te n vo r 3— 3,6 M io Ja h re n .

A ls die letz tg e n a n n te n F unde zw ischen 1976— 1980 b e k a n n t w u rd en , g a b es nich t w en ig e jo u rn a listisc h e M itteilu n g en v o n der E n tdeck ung e in e s ü b er 3 M io a lte n M enschen. Da w ir jed o c h — um h ie r n u r ein en G ru n d zu n e n n e n — v o n d er G eh irn g rö sse d ieser W e se n n ich ts G enaues w issen, k ö n n e n w ir sie n ich t d e r G attu ng

H om o zurechn en. In d e r F a c h lite ra tu r w e rd e n sie ziem lich e in ­

stim m ig zur G attun g A u stra lo p ith e c u s g estellt, w o bei die ä lte ste A rt d iese r G attu n g — dies a lle rd in g s n ich t m ehr einstim m ig —

A u stia lo p ith e c u s afarensis g e n a n n t w ird.

N ach dem h e u tig e n W isse n ssta n d sch ein t der frü h e ste V e r tr e ­ te r d er G attu n g H om o v o r k n a p p 2 Mio. J a h re n am O stu fer des T u rk a n a- (früher Rudolfs-) Sees ( = K0bi Fora) in K enia g e le b t zu haben. In den so h o ch — die e rs te n S chätzungen w a re n n o c h um fast e in e M illion h ö h e r — d a tie rte n S ch ich ten ist d o rt e in W esen , d e r sog. KNM-ER 1470, e n td e c k t w o rden , dem m an w e g e n d e r Form und der G rösse des G eh irn sch äd els (ca. 800 ccm) n ich t m eh r die Z u g eh ö rig k eit zur m en sch lich en G attu n g v e rw e ig e rn kann. In den m o rpho log isch en M erk m alen des S chädels ste h t er fast g e n a u auf dem h a lb e n W e g e zw ischen A u stra lo p ith e c u s u n d H om o sapiens. U nd in d en M erkm alen, d ie d en a u fre c h te n G ang k en n zeich n en , ist e r k a u m n o c h vom m o d ern en M en sch en zu u n tersch eid en .

In d ire k te r N äh e dieses W e se n s sind ab e r au ch an d ere, im S chäd elb au d eu tlich p rim itiv ere, doch eb en falls zw eibein ige F o r­ m en g efu n d en w orden. U nd eine solche K oexistenz v o n 2, w e n n nich t so g ar 3, v e rsc h ie d e n e n H om iniden ist auch in d e n jü n g e re n (1,6—1,3 M io J a h re alten) S ch ich ten festzu stellen, u n d zw ar n ich t

n u r in K oobi Fora, so n d ern au ch in H ad ar, Omo, O lduvai, Sterkfon- tein u n d S w artkran s.

Ein o d e r m eh re re E n tw ick lun g sw eg e zum M enschen?

Die T a tsa c h e d e r K oexistenz v o n 2— 3 u n tersc h ie d lic h hoch e n tw ic k e lte n zw eib ein ig en P rim aten -G ru p p en in d e r Z eitsp an n e zw ischen 2— 1 M io J a h re n h a t d e n S treit um die G ü ltig keit des sog. a u stra lo p ith e k a le n M odelles d e r m enschlich en S tam m esgeschichte h e rv o rg e ru fe n . Einen S treit also d a rü b e r, ob A u stra lo p ith e c u s ein V o rfah r des M ensch en oder lediglich e in blin d es Glied in der E ntw icklung zum M enschen sei. Es m ag im e rste n A u g en blick den A n sch ein e in e s en g w issen sch aftlich b e g re n z te n S treites h aben. D och h in te r ihm ste c k t e in Inhalt, d e r au ch P h ilosophen u n d T h eo ­ lo g en n ich t k a lt lasse n sollte. D enn e s g e h t d o ch zuletzt darum , ob e in ig e V ersu ch e, M ensch zu w erd en , feh lg esch lag en haben. Es g e h t also darum , ob u n te r d en h ö c h ste n tw ick e lte n L ebew esen (eben den P rim aten) des Pliozäns n u r einm al od er ab e r m ehrm als u n d v o n e in ­ a n d e r u n a b h ä n g ig ein (vor-) m en sch lich es Stadium e rre ic h t w o rd e n ist.

N ach dem a k tu e lle n p alä o n to lo g isch e n W isse n ssta n d k a n n diese F ra g e nich t ein d eu tig b e a n tw o rte t w erd en . V ieles sp ric h t dafür, dass die m enschlich e B ezahnung u n d v o r allem die m enschliche Bipedie n u r einm al e n ts ta n d e n ist. D ann allerd in g s m uss an g en o m ­ m en w e rd e n , d a ss v o n den v o r 5—3 M io J a h re n leb e n d e n zw eib ei­ nig en u n d k le in h irn ig e n W e se n n u r ein Teil, n u r ein e P o pulatio n den S pru ng zum M en schen geschaffen, also — biologisch g esp ro ch en — d as g ro sse G ehirn e rw o rb e n hat. Die ü b rig e n P o p u latio n en b lieb en in d e r E ntw icklung zurück, k o n n te n a b e r bis v o r ca. 1 M io J a h re n n eb e n der F o rtg e sc h ritte n e n leben, d an n sta rb e n sie aus.

Es ist h e u te jed o ch n ich t g an z auszu sch liessen, dass d er M ensch u n a b h ä n g ig v o n A u stra lo p ith e c u s e n ts ta n d e n ist. V on d e r T atsach e d e r K o ex isten z v o n H om o u n d A u stra lo p ith e c u s v o r 2 M io J a h re n ausgehend , d arf — w ie dies die b e k a n n te F o rscher-F am ilie: Louis, M ary u. R ich ard L eak ey tu t — v e rm u te t w erden , d ass e in e solche auch schon v o r 3 M io J a h re n stattfan d . Z w eifelt m an d a n n die Z u g eh ö rig k eit d e r F rag m en te v o n L othagam u nd K anapoi zu A u s tra ­

lo p ith ec u s an, kom m t m an leic h t zu d e r S chlussfolgerung, d ass H om o fast e b e n so a lt w ie A u stra lo p ith e c u s sei, folglich also v o n

diesem nich t abstam m en kann.

Die Schw äche d ieser zw eiten A u ffassung b e ste h t darin, dass sie ein e in n erh a lb d er E v o lu tio n sth eo rie sch w er e rk lä rb a re P a ra lle l­ entw ick lu ng , also e in ganz u n a b h ä n g ig e s u nd doch m ehrm aliges E n tsteh en d e r m enschlich en B ipedie v o rau sse tz t. A u sserd em w ird sie v o n den n e u e n H om inidenfunden in H ad ar u nd Laetoli, die m ehr als 3 M io J a h re n a lt sein sollen, in F ra g e gestellt.

E inen Philosophen, e in e n T h eo lo g en m uss d e r S treit u n te r den Biologen n ich t in te ressiere n . Er m uss sich w e d e r für das e in e , noch für das a n d e re M odell d e r m en sch lich en S tam m esgesch ichte a u s ­ sprechen . In sein en A u sfü h ru n g e n ü b e r d e n U rsp ru n g d er M en sch ­ h e it soll e r au ch n ich t v e rsu c h e n , die L ücken d e r n a tu rw is s e n ­ sch aftlich en A u ssag en zu füllen. Er so llte ab e r die L ücken haftigk eit, das U nvo llständ ig e, d a s H y p o th e tisc h e d ieser A u ssa g e n w a h r­ nehm en. D enn e rs t d a n n k a n n e r die B erechtigung, ja die N o tw e n ­ d ig k eit d er eig en en — g an z a n d e rs o rie n tie rte n — A u sfü h ru n g en ü b e r d en e rs te n M en sch en ü b e rz e u g e n d v e rte id ig e n u nd plausibel m achen.

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