Die Relation der Seelsorge und Psychotherapie in der Fassung V. E. Frankls

Marian Wolicki

Die Relation der Seelsorge und

Psychotherapie in der Fassung V. E.

Frankls

Collectanea Theologica 58/Fasciculus specialis, 193-201

M A R IA N W OLICKI, PRZEMYŚL

DIE RELATION DER SEELSORGE UND PSYCHOTHERAPIE IN DER FASSUNG V. E. FRANKLS

Die A ufgabe des v o rlie g en d e n A rtik e ls w ird d ie A n a ly se d e r g e g e n se itig e n Z usam m enh äng e u n d A b h ä n g ig k e iten sein, w elch e — in d er A u ffassung d e r E x isten zan aly se V ik to r Emil F ra n k ls — zw i­ sch en d e r S eelso rg e u n d P sy c h o th e ra p ie b esteh en . Zu d iesem Zw eck so llen z u erst die b eid e n T erm in e n ä h e r e rk lä rt w erden.

1. Die Eigenartigkeit der seelsorgerischen Einwirkung

D urch „ S eelso rg e” soll m an d ie E inw irkung u n d d e n D ienst d e r relig iö se n A rt d e r In stitu tio n d e r K irche d en e in z e ln e n G läu bigen g e g en ü b er zum Z w eck d e r F ü h ru n g d e re r zum H eil, d a s h e isst zur E roberung d e r e w ig e n S eligkeit, v e rste h en . Das Ziel d e r S eelso rge identifiziert sich also m it dem Ziel des H eils, d.h. d e r E rlösung vom Ü bel d er S ünde u n d des T odes u n d m it d e r V e re in ig u n g der G läubi­ gen m it G ott u n d u n te re in a n d e r d u rc h Liebe.

Die S eelsorge h a t e in e seh r e n g e V e rb in d u n g m it d e r Religion. Die R eligion w eist auf die Z ufälligkeit u n d G e b rech lich k eit d es M en ­ schen h in u n d auf sein e v ö llige A b h än g ig k eit vom S chöpfer sow ie auch auf die v ielse itig e Hilfe, die G ott auf d em W eg zur V erein ig u n g m it ihm erteilt. Das B eken n en u n d P ra k tiz ie re n d e r R eligion ist eng m it irg e n d w e lch e r relig iö se r In stitu tio n v erb u n d e n , w elch e im F alle d e r c h ristlich en R eligion, die K irche ist. D aher h a t a u ch d ie S e e lso r­ ge e in e e n g e B eziehung zur In stitu tio n d e r K irche u nd ist eig e n tlic h d u rch K irche u n d im N am en d e r K irche v ollb rach t.

Die S eelso rg e h a t also diese zw eifache Beziehung: zu G ott und zur K irche, ab e r im m er ist e s e in D ienst sow ohl an ein zeln en m en sch ­ lich en In d iv id u en als au ch an G rup p en d e r G läubigen, d e r sich m it dem T ragen d e r v ie la rtig e n g eistig en H ilfe ih n en g e g e n ü b er verb indet. D iese H ilfe b e ru h t auf d e r V o rb e re itu n g d e r S eelen für d ie A nnahm e des G o ttesleben s, auf d er Pflege des G n ad en leb en s in d e n S eelen d e r G läub ig en und auf d e r \^o rb e re itu n g des zu Ende g eh en d en m en sch lich en L ebens für d as en d g ü ltig e T reffen m it G ott — dem Richter. Die se elso rg e risc h e A k tiv ität d e r K irche k a n n v e r ­ schied en e F orm en an n eh m en : des G ebetes, des O pferns, des u n m it­ telb a re n K o n tak ts m it d e n G läubigen d u rch d e n U n terrich t, d e n pa- sto ra le n D ialog usw . Die E ffek tiv ität d er se e lso rg e risc h e n E inw ir­ k u n g w ird e in e rse its v o n d e r g eistig en V o rb e re itu n g u n d Stim m ung

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der G läub ig en ab h än g ig sein, a n d e re rse its — v o n d e r g eistig en Ein­ stellu n g d es S eelsorg ers, b e so n d ers v o n se in e r V erb ind un g m it C hristus. M an soll doch im G ed äch tn is h aben, d a ss in d e r c h rist­ lichen R eligion d e r H a u p tp rie ste r u n d S e e lso rg e r Je su s C hristus selb st ist, u n d d ie P rie ste r und S eelso rg er u n te r d e n M en sch en nu r an seinem P rie ste rtu m teiln eh m en.

2. D ie Eigenartigkeit der Einwirkung der Psychotherapie (Logotherapie) und der ärztlichen Seelsorge

W as b e d e u te t die „P sy ch o th erap ie"? Der N am e selbst zeigt, d ass es h ie r a u c h um das G ebiet d er Seele, d e r P sy ch e und um ihre H eilun g geht. Die P sy c h o th e ra p ie b e ru h t auf so lch er E inw irkung auf die P sy ch e des M en sch en m it H ilfe d er p sy ch o lo g isch en M ittel, um zur H eilu n g vo n v e rsc h ie d e n e n em o tio n alen , n e u ro tisc h e n o der p s y ­ c h o tisch en S tö ru n g e n zu fü h ren u nd e in e v o lle u n d harm on isch e P ersö n lich k eitsen tw ick lu n g d u rc h e n tsp re c h e n d e M o dulation und In te g ratio n d e r E in stellu n gen d es E inzelw esens zu erm öglichen.

In d e r P sy c h o th e ra p ie sp ielen n ich t n u r u nd n ich t so sehr die H eilm ittel e in e e n tsc h e id e n d e Rolle, so n d e rn d e r p ersö n lic h e K on­ ta k t d e s P a tie n te n m it dem A rzt-P sy ch o th erap eu ten . Die Q u a litä t und die D auer d iese s K o n taktes e n tsc h e id e t ü b e r die W irk sam k eit oder U n w irk sam k eit d e r p s y c h o th e ra p e u tisc h e n E inw irkung, w obei die th e ra p e u tisc h e n M ittel e in e z w eitran g ig e Rolle spielen. Zu d ie ­ sen M itteln k a n n m an z.B. das W o rt, die M im ik u.a. zählen.

Eine b e so n d ere A rt d e r P sy ch o th erap ie, die von F ran k l a k z e n ­ tu ie rt w ird, ist d ie L ogotherapie, in w e lc h er ihr Schöpfer e in e E r­ füllung und E rg änzu n g d er frü h e ren T y p en d e r P sy c h o th e ra p ie sieht. Die L o g o th erapie stre b t n ach d er H eilu n g des M en sch en v on seinen S törungen, indem sie ihm den L eb en ssin n zeigt. O bw ohl sie die G renze, die die P sy c h o th e ra p ie v o n d er R eligion abm arkt, n ich t ü b e rsc h reite t, b leib t sie doch offen für d ie R eligion, lässt ab e r dem P a tie n te n se lb st d e n E ntschluss, sich für sie o der gegen sie zu e r ­ klären. D ie L o g o th erap ie ist jed o c h k e in e relig iö se P sy ch o th erap ie, den n solche — n ach F ran k ls M ein un g — w ä re so g ar unm öglich, w eil P sy c h o th e ra p ie u nd R eligion zw ei v e rsc h ie d e n e D im ensionen im M en sch en betreffen. Die L o g o th erap ie ist auch ein e ü b e rk o n fe s­ sionelle P sy c h o th e ra p ie , also sie ist n ich t ein e jü disch e, p ro te s ta n ti­ sche oder k a th o lisc h e P sy ch o th erap ie, ab e r sie ist für jed e n M en­ sch en zugänglich, u n a b h ä n g ig v o n seinem relig iö se n Z ustand und der K onfession1.

Eine E rw e ite ru n g und E rgänzung d e r L ogotherapie, u nd zugleich e in e b e so n d ere A rt d e r P sy c h o th e ra p ie ist — n a c h F ra n k l — die

1 V g l. V . E. F r a n k l , D er W i l l e z u m Sinn. A u s g e w ä h l t e V o r t r ä g e ü ber

ärztlich e S ee lso rg e 2. Die ärztlich e S eelso rg e b efin d et sich an d er G renze zw isch en M edizin und R eligion3. M an k a n n sie ab e r nich t mit d e r stre n g relig iö se n S eelso rge id entifizieren , d e n n v o n d ieser u n tersc h eid e t sie sich grun d sätzlich . F ra n k l s te llt sich die F rage, ob solche ärztlich e S eelso rg e fak tisch zur K om petenz d es A rztes g e ­ hört, ob sie w irk lich sein e A ufgabe ist? Er selb st ist sta rk ü b erzeu g t von dem B edürfnis u n d so g ar d e r N o tw e n d ig k e it des B etreibens d u rch den A rzt so lch er ä rztlich en Seelsorge. A ls B estätigu ng der R ichtigkeit se in e r Ü b erzeu g u n g en z itie rt e r d ie W o rte, d ie auf Be­ fehl des K aisers Jo s e p h II., ü b e r dem H a u p tto r d es A llgem einen K ran k en h au ses v o n W ie n g esch rieb en w u rden . Es fin det sich d o rt die Inschrift: Saluti et solatio aegrorum. F ra n k l m eint, d a ss d iese In ­ schrift seh r treffen d d ie w e se n tlich e M ission des A rztes ä u sse rt, die auf d er H eilun g u n d d e r T rö stu n g b eru h t. W e n n die H eilun g sta rk ein G ebiet d er m edizin isch en K unst ist, so g e h ö rt die T rö stu n g en g zur ärztlich en S e e lso rg e 4. D iese S eelso rg e h a t m ehr A n w en d u n g in den F ällen d e r so m ato g en en E rk ran k u n g en a ls in n e u ro g e n e n o d er p sy ch o g en en 5. D iese S eelso rg e ist zu em p feh len b e so n d ers dort, wo a k tu e lle T h erap ie u nm öglich ist, w eil d er P a tie n t z.B. an e in e r u n ­ h e ilb a re n K ran k h eit leid et. Es g e h t in d iesem F a lle u m d ie H ilfe dem P a tie n te n bei d e r A n n ah m e e in e r e n tsp re c h e n d e n H a ltu n g geg en ü b er dem u n a b w e n d b a re n S chicksal6.

Schliesslich b efasst sich die ärztlich e S eelso rg e n ic h t m it dem S eelenheil. V ielm eh r g e h t e s ihr um d ie G esu n d h eit d e r Seele. Und die m enschlich e Seele bleib t gesu n d so lan g e, w ie lan g e sie e in b ew u sstes u n d v e ra n tw o rtlic h e s Sein ist7. Die ärztlich e S eelsorge w ill nich t e in S u rro g a t o d er Ersatz d e r R eligion w erd en. F ra n k l ste llt fest, d a ss indem die L ogoth erap ie die ärztlich e S ee lso rg e betreib t, w ill sie n ich t m it d e n G eistlich en k o n k u rrie re n , sie w ill aber S p h äre d e r ä rz tlic h en A k tiv itä t bis zu d en für sie m öglichen G ren ­ zen e rw e ite rn u n d v öllig d ie M ö g lich k eiten d er ä rztlich en E inw ir­ kung au sn u tz e n 8. Die ärz tlic h e S eelso rge k a n n e in e b e so n d ere A n ­ w end u n g in bezu g auf d ie n ich trelig iö se n P a tie n te n h aben, die sich an die Ä rz te -P sy c h o th e rap e u ten m it ih re n m eta p h y sisc h en P ro b le ­ m en w e n d e n 9. 2 V . E F r a n k l , D a s M e n s c h e n b i l d d e r P s y c h o t h e r a p i e , W ie n e r is c h e M e ­ d iz in is ch e W o c h e n sc h r ift 104 (1954) N r. 33/34, S. 660. * V . E. F r a n k l , T h e D o c t o r a n d t h e Soul. F ro m P s y c h o t h e r a p y t o Log o- t h e r a p y , N e w Y ork 1973, S. 283— 284. 4 V . E. F r a n k l , T h e W i l l t o M e a n in g . F o u n d a t io n s a n d A p p lic a tio n s of L o g o t h e r a p y , N e w Y ork 1969, S. 125. s E b e n d a , S. 117. 6 E b e n d a , S. 5— 6. 7 V E. F r a n k l , T h e D o c t o r a n d t h e So ul, S. 5— 6, in Anm . 8 Eben da, S. 271. • Ebenda , S. 270— 271. 13*

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3. Die Unterschiede zw ischen der Seelsorge und Psychotherapie

D er U n te rsc h ied d e r Ziele u n d M eth o d en d e r auf d e r R eligion g e stü tz te n S eelso rg e (der relig iö se n S eelsorge) u n d d e r h a u p tsä c h ­ lich auf d e n E ro b eru n g en d e r M edizin u n d d e r P sych olo gie g e stü tz ­ te n P sy c h o th e ra p ie (der ärztlich en S ee lso rg e — w ie es F ra n k l b e ­ zeichnet) ist also w esen tlich . D iesen U n te rsc h ied g reift d e r v o n u n s b esp ro ch en e a u sg ez e ic h n e te W ie n e r P sy ch iater, d e r B egründer d e r L ogotherapie — V ik to r Emil F ra n k l auf, w e n n e r e rk lä rt: „Das Ziel d e r P sy c h o th e ra p ie ist die seelisch e H eilu n g — d a s Ziel d e r R eligion jed o ch ist d a s S e e le n h e il''10. D iese Ziele g e h ö re n nich t d e rse lb en S einsben e a n 11. Die P sy c h o th e ra p ie b e w e g t sich näm lich in d e r an th ro p o lo g isc h en D im ension, w ä h re n d d ie R eligion die th eo lo g isc h e D im ension betrifft, d ie h ö h e r als die an th ro p o lo g isc h e D im ension is t12. D er Ü b erg an g v o n d e r an th ro p o lo g isc h en zur th eo lo g isch en D im ension k a n n sich nich t d u rch d as W isse n so n d e rn d u rch d e n G laub en v o llz ie h e n 13. Die R eligion gibt d e m M en sch en m eh r als die P sy ch o th erap ie, a b e r auch fo rd e rt v o n ihm m e h r14.

F ran k l u n te rs tre ic h t also stark, d a ss d ie Z iele d e r S eelso rg e und d e r P sy c h o th e ra p ie v ö llig e in e s a n d e re n R anges sind und sich auf a n d e re n E benen, in ganz se p a ra te n D im ensionen b efin d en 15. Das sch liesst n a tü rlic h n ich t das F ak tu m aus, d a ss w en n e s um fak tisch e E inflüsse u n d F olgen geht, die R eligion un d d ie S eelso rg e m anchm al a u ch p sy c h o th e ra p e u tisc h e Folgen h a b e n k ö n n en , e b e n so w ie d ie P sy c h o th e ra p ie auch n e b e n se itig d e n Einfluss auf die E rob eru ng d u rc h d e n P a tie n te n d e r relig iö sen Ziele h a b e n k a n n 16.

Das sind jed o ch d ie N ebenfolgen, p e r e fie c tu m u n d n ich t per

in te n tio n e m u n d obw ohl diese F olgen m anchm al sich auflegen oder

sich d eck en , ä n d e rt das d a s F ak tu m nicht, d a ss P sy c h o th e ra p ie und S eelso rge ganz w e se n tlich v e rsc h ied e n e G eb iete sind, d a h e r au ch die P sy c h o th e ra p ie o d er sogar d ie ärztlich e S eelsorg e d ie relig iö se S eelso rg e n ich t e rs e tz e n k ö n n e n 17.

Der U n tersch ied zw ischen d e r R eligion u n d S eelso rg e u nd d e r P sy c h o th e ra p ie ist also w e se n tlich und fo rd e rt e in e scharfe Linie d e r T eilu ng zw ischen d ie se n G ebieten. Die V e rsc h ie d e n h e it d e r Ziele d e r b eid e n A rte n d e r S eelsorge: d e r relig iö se n u nd d e r ärztlich en

10 V. E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o t t . P s y c h o t h e r a p i e u n d R eli g io n , 3. A u fl., M ü n ch en 1974, S. 73. 11 V . E. F r a n k l , D a s L e id e n a m s i n n l o s e n L eben . P s y c h o t h e r a p i e für h e u t e , F re ib u r g -B a se l-W ie n 1985, S. 91. 12 V. E. F r a n k l , T h e W i l l t o M e a n in g , S 144. 13 V. E. F r a n k l , D a s L e id e n a m s i n n l o s e n L eben, S. 91— 92. 14 V. E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o t t , S. 68. is E b e n d a , S. 73. 16 E ben da, S. 68. 17 V. E. F r a n k l , H o m o p a t ie n t s . V e r s u c h e in e r P a th o d iz e e , W ie n 1950, S. 13; v g l. d e r s., D e r u n b e w u s s t e G o t t , S. 67— 68.

oder d e r S eelso rg e und d e r P sy c h o th e ra p ie fü h rt a u ch zu v e rsc h ie ­ d e n en A n n ä h e ru n g en u nd M itteln, die vom P rie ste r u nd P sy c h ia te r an g e w a n d t w erd en. Da d as Ziel der R eligion u n d S eelso rg e nich t die W ie d e rh e rste llu n g d e s p sy ch isch en G leichgew ichts, so n d ern d as Seelen h eil ist, d aru m au ch w ird d e r P riester, d e r sich um das H eil d e r a n d e re n küm m ert, sie m anchm al g ew issen e m o tio n a le n S p a n ­ nungen au ssetzen u n d ih re n falsch en p sy c h isc h e n F rie d e n zerstören , er w ird also g eg en d ie S treb u n g en d e r p sy c h isc h e n H y g ien e w irken, w en ig sten s auf g ew isser Stufe sein er E in w irku ng 18. Im E ndeffekt jedoch b rin g t die se elso rg e risc h e E inw irkung p o sitiv e R esultate, auch die p sy c h o th e rap e u tisc h e n , indem sie d em M en sch en d as G e­ fühl der S ich erh eit un d d e r E inw urzelung in d e r T ran szend enz, im A bsolut g ib t19.

4. Die Berührungspunkte der Seelsorge und der Psychotherapie

O bw ohl die Ziele d e r S eelso rg e u n d d e r P sy c h o th e ra p ie v on G rund aus a n d e re sind und v e rsc h ied e n e N iv e a u s betreffen (das Ziel d e r P sy c h o th e ra p ie — das n a tu ra le N iv eau , d a s Ziel d e r S eel­ so rg e — d as ü b e rn a tü rlic h e N iveau), so b e ste h e n jed o c h auch zw i­ schen ih n en B e rü h ru n g sp u n k te und d ie g e g e n se itig e N eb enh ilfe in ih re r E inw irkung. D aher au ch ist die T eilu n g slinie n ich t e in „ e ise r­ n e r V o rh an g", da diese zw ei G eb iete oft e in a n d e r deck en .

Der B erü h ru n g sp u n k t d e r E inw irkung d e r S eelso rg e und P sy ­ c h o th e rap ie lie g t v o r allem darin, dass sie d asselb e O b jek t b e tre f­ fen — den M enschen, d e r e in e p sy c h o p h y sisc h e und b e sse r g e istig ­ psy ch o p h y sisch e E inheit ist. In H insicht auf d iese E inheit h ä n g t die G esun dh eit vom h arm o n isc h e n F u n k tio n ie re n d e s g an zen M enschen ab, und an diesem P u n k te lau fen die A u fg ab en d e r P sy c h o th e ra p ie und d e r S eelso rg e g ew isserm assen zusam m en.

Der a n d e re B erü h ru n g sp u n k t b e id e r G eb iete ist d as S ehen d e r B eschränkungen un d d e r im M en sch en b e ste h e n d e n M ängel, d e r M ängel in d e r n a tü rlic h e n o d er in d e r ü b e rn a tü rlic h e n S p häre und der gem einsam e W ille d e r P sy c h o th e ra p ie und d er S eelsorg e zur A usgleichung d iese r M ängel.

Die d ritte Ä h n lich k e it zw ischen ih n en b e s te h t d a rin , dass die P sy ch o th erap ie, obw ohl sie k e in e relig iö se S eelsorg e ist, jed o ch e tw a s v o n d e r S ee lso rg e in sich hat, und d a h e r F ra n k l sie nich t g ru n d lo s „die ärztlich e S eelso rg e" n enn t. Die P sy c h o th e ra p ie ist unverm eid lich , au ch w en n sie e s n ich t w eiss no ch w issen will, im m er a u ch irg e n d e in e Seelsorge. O ft m uss sie a u sd rü c k lic h se elso rg e ­ risch e Eingriffe vorn eh m en.

Der Einw and, d ie P sy c h o th e ra p ie h ab e n ich t zu trö s te n — auch

18 V. E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o tt, S. 73— 74. 19 E b e n d a , S. 74.

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d o rt nicht, w o sie (oder die M edizin ü b e rh a u p t) n ich t m ehr h e ile n k a n n — v e rfä n g t nich t; d a ss n ic h t n u r d ie H eilun g , so n d ern au ch die T rö stu n g d e r K ra n k e n in d e n A u fg a b e n b ere ic h d e s A rztes fällt, geht nich t zu letzt h e rv o r aus d er E m pfehlung d e r A m erican M edical A ssociation: „Der A rzt m uss auch d ie S eele trö ste n . D as ist k e in e s ­ falls allein die A u fg ab e d e s P sy ch iaters. Es ist ganz ein fach die A ufgabe je d e s p ra k tiz ie re n d e n A rz te s"20. D er P sy c h o th e ra p e u t oder L og otherap eut k a n n d e m P a tie n te n d ie se T rö stu n g nich t verw eig ern , d as ist a b e r d ie A n g e le g en h e it m eh r ärz tlic h -se e lso rg isc h e r als stre n g m ed izinischer V e ra n tw o rtlic h k e it21.

Indem die P sy c h o th e ra p ie und S eelso rg e auf v e rsc h ie d e n e n N i­ veaus, ab e r in d e m se lb en M en sch sein w irk e n u nd n ach g e tre n n te n Z ielen streb en , k ö n n e n sie sich u n w illk ü rlich , neb en seitig , grosse D ienste e rw e ise n . Die relig iö se S eelso rg e — w ie e s schon e rw ä h n t w urde — stre b t u n m ittelb ar, per in te n tio n e m zum S eelenheil, p er

e tie ctu m zu ih re r H eilu n g b e itra g e n k an n . U nd um gekehrt. Die P sy ­

ch o th erap ie, indem sie u n m ittelb ar, per in te n tio n e m zur H eilu n g d er Seele streb t, k a n n n eb en seitig , p e r effe c tu m zu ihrem H eil führen, d a sie die Seele g e h ö rig zur A k z e p tie ru n g d e r G nade u n d w irk ­ sam er Z u sam m en arb eit m it ihr einstim m t.

D iese g e g e n se itig e U n te rstü tz u n g d e r S eelso rg e u n d d e r P sy ch o ­ th e ra p ie w ird n u r d a n n m öglich sein, w e n n b e id e G ebiete, sich stre n g ih re r Ziele u n d M eth o d en h alten , ih re K om petenzen b eo b a ch ­ te n u n d n ich t d ire k t d ie S p h äre d e r E in w irku n g des an d e re n G e­ b iete s e in sc h rä n k e n w erd en . A u ch d ie P sy c h o th e ra p ie soll n ich t — und d a ra u f le n k t V. E. F ran k l das A u g en m erk — die „D ienerin d e r T heolog ie" w erd en , d e n n je m ehr sie e in e auto n o m e W issen sch aft und K unst sein w ird, d esto m eh re re D ienste sie fak tisc h d e r T h eo lo ­ gie e rw e ise n w ird 22.

M an m uss die A u fm erk sam k eit auf die G efahr d e r M ischung d ie se r b eid e n O rd n u n g e n der E inw irkung u n d d e r u n zu lässigen Ü b e rsch re itu n g d e r K om petenz d u rch e in e d e r S eiten lenken. So z.B. se ite n s d e r P sy c h o th e ra p ie b e ste h t d ie G efahr, alles im Leben e in e s M enschen, so g ar sein e V e rsch u ld u n g e n u n d U n zulän glich kei­ te n d u rc h die u n b e w u sste n K om plexe od er M echan ism en zu e r ­ k lären .

Ä h n lich e G efahr b e ste h t auch auf d e r a n d e re n Seite, auf der S eite d e r S eelso rg e, w e n n sie w id e rre c h tlic h in d ie K om petenzen d e r P sy c h o th e ra p ie o d e r d e r P sy c h ia trie e in s c h re ite n u nd alle p s y ­ chisch en S tö ru n g e n als d ie F o lg en d e r m o ralen Schuld d eu te n wird. M an k a n n also feststellen , d a ss d e n g rö sste n D ienst d iese zwei G ebiete d e r E in w irk u n g auf d e n M en sch en sich d a n n g eg en seitig

20 E b en d a , S. 80— 81.

21 V. E. F r a n k l , P s y c h o t h e r a p y a n d E x i s t e n ti a l is m , N e w Y ork 1985, S. 94. 22 V . E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o t t , S. 69.

e rw e ise n w erd en, w e n n sie aufs b e ste das, w a s ih n en zukom m t e r ­ füllen, stre n g ih re K om petenzen b e o b a ch te n u n d n ic h t auf frem des T errito riu m , o h n e d azu e n tw e d e r n o tw e n d ig e V o rb e re itu n g oder Q u alifik atio n en zu h ab en , e in sc h re ite n w erden . S olche Ü b e rsc h re i­ tu n g d e r K om petenzen d ien te in d er V e rg a n g e n h e it n ich t am b esten d e r g eg en seitig en M ita rb e it zw ischen der S eelso rg e un d P sy c h o th e ­ ra p ie und v e ru rs a c h te d ie E n tsteh u n g d e r g e g e n se itig e n V o ru rte ile u n d A bneigungen.

Es sch ein t jed o ch , d a ss v iele d er an fän g lich en V o ru rte ile und A b n eigu ng en zw ischen d e n V e rtre te rn d e r b e id e n D isziplinen b e ­ re its d e r V erg a n g en h e it an g eh ö ren , und auf d e r g e g e n w ä rtig e n E tap­ p e der E ntw icklung sow ohl d e r S eelso rg e w ie a u ch d e r P sy c h o th e ­ ra p ie b e ste h t e in v iel g ü n stig e re r Boden für m ehr e in h e llig e s und h arm o n isch es Z usam m en w irk en d ieser b eid en R ichtungen, u n g e a ch ­ te t d e r zw ischen ih n en e x istie re n d e n w e lta n sc h a u lic h e n U n te r­ schiede.

5. Die M ö g lich k eiten d es Z u sam m enw irkens des P s y c h o te ra p e u te n u n d des S eelso rg ers

Die g ru n d sä tz lich e B edingung des E n tstehen s des fru c h tb are n Z u sam m enw irkens zw ischen dem P sy c h o th e ra p e u te n u n d S eelso r­ g er ist d e r W ille zum b e sse re n g e g e n se itig e n K e n n e n lern e n und Lernen v o n ein an d er.

Das B edürfnis d e r g e g e n se itig e n A n n ä h e ru n g u n d d e s L ernens v o n e in a n d e r ist je tz t um so g rösser, je ö fter d e r P sy c h ia te r g ezw un­ gen ist, ü b e r g ew isse Problem e, die die D om äne d e r S eelso rge b e ­ rü h ren , zu e n tsc h e id e n , u n d d er S eelso rg er g ezw un g en ist, sich viel besser in d e n A n g e le g en h e ite n d e r p sy ch isch en S tö ru n g e n zu o rie n ­ tie ren . Am e in fa ch ste n w ä re es, in solchem F alle den geg eb en en K lienten an die k o m p e te n te S eite zu ric h ten , do ch n ic h t im m er ist das m öglich, d a e s m an chm al auf W id e rstä n d e se ite n s d e r P a tie n te n selbst stosst. F ra n k l schreibt, dass d er d e u tsc h e P sy c h ia te r V ik to r Emil G eb sattel e in s t d as F ak tu m d e r A b w end u ng v ie le r M enschen im W e ste n v o n d e n S e e lso rg e rn zu d e n N e rv e n ä rz te n festg e ste llt h at23. U nd an a n d e re r S telle sc h re ib t F ran k l: „Er m ag das w ollen o d e r n ich t — in d e r L ebensnot a u sse rh a lb des K ran k sein s zu raten , ist dem A rzt v ielfac h h e u te an S telle des S e e lso rg e rs a u fe rle g t" und „m an k a n n nich t än d ern , d ass die M en schen in L ebensnot h e u te n ich t d e n Seelso rger, so n d e rn d e n le b e n se rfa h re n e n B erater im A rzt su c h en "24.

Die S itu atio n en so lc h e r A rt, w ie oben gezeigt, zw in gen h eu te zur Einfügung in d e n B ereich d er P sy c h o th e ra p ie au ch d e r e n g

phi-28 V. E F r a n k l , D a s L e i d e n a m s i n n l o s e n L eb e n , S. 86. 24 V. E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o t t , S. 80.

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lo so p h isch en o d er sogar relig iö se n P rob lem atik . N iem als darf d er P sy c h o th e ra p e u t d ie e x iste n tie lle n F ra g e n u nd P roblem e des P a ­ tie n te n b ag atellisieren , e r m uss sie a b e r e rn s t n eh m en und so gar zum A u sg a n g sp u n k t des H eilu n g sp ro zesses m achen, indem e r sich b em ü h t dem P a tie n te n zu helfen, d ie se F ra g en se lb stän d ig zu b e ­ a n tw o rten . S olche S itu a tio n ist jed o c h k e in E in sch reiten d e r P sy ­ c h o th e rap ie in die se e lso rg e risc h e n K om petenzen, w as — w ie es schon frü h e r b em erk t w urd e ■— e n tsc h ie d e n v e rm ied e n w e rd e n sollte, e s ist a b e r ein e N o tw en d ig keit, g ew isse P roblem e auf e ig e ­ n em Boden zu lösen, d e re n L ösung conditio sine qua n on des H e i­ lu n g sp ro zesses ist25.

Die B em ühungen des P sy c h o th e ra p eu te n , u m den g eistig e n P ro ­ b lem en se in e r P a tie n te n g ew ach sen zu sein, um in gew issem G rade d ie „ärztlich e S e e lso rg e ’' zu b etre ib e n , k ö n n e n e rh e b lic h zur g e g e n ­ seitig en A n n ä h e ru n g d e r P sy c h o th e ra p ie und S eelsorg e, des A rztes und des P rie ste rs b eitrag en , indem m an aber im G ed äch tnis behält, dass das ab so lu t n ich t zur V e rw isch u n g d e r G ren zen zw ischen ihn en und zum V erm isch en d e r A u fgaben fü h re n darf, d e n n d iese G efahr e x istie rt, m an k a n n sie ab e r v e rh in d e rn , w en n b e id e S eiten d iese G ren zen seh en und sie s tre n g b e a c h te n 26.

Es ist b egreiflich, d a ss e in v iel b e sse re s V e rstä n d n is der se e li­ schen P ro b lem e d e s P a tie n te n d ie P sy c h o th e ra p e u te n m it äh n lich er W e ltan sc h a u u n g aufbringen, die d ieselb e R eligion b e k e n n en oder d e rse lb en K onfession an g eh ören . D ieser A sp ek t darf in d em Prozess d er T h erap ie n ich t u n te rsc h ä tz t w e rd e n 27.

W e n n d e r P sy c h o th e ra p e u t n ich t im stan d e ist, allein d ie g e isti­ gen P ro b lem e des P a tie n te n zu lösen, w ird e r sich bem ühen, d e n p e rsö n lich en K o n takt m it d em P rie ster anzuknüpfen, um n ö tig e In ­ fo rm atio n en zu gew innen. A uch d e r S e e lso rg e r b ra u c h t d e n Rat des P sy c h o th e ra p eu te n , d a h e r m üssen sie sich g e g e n se itig e rg ä n z e n und u n terstü tz en , w en n sie e rfo lg re ic h dem le id e n d e n M en sch en h elfen w o llen28.

Die Pflicht d e r e n g e n Z u sam m en arb eit d e s S eelso rg ers m it dem P sy c h o th e ra p e u te n b etrifft nich t n u r d ie P rie ster, d ie K apläne der sp ezialistisch en A n sta lte n sind, ab e r a u ch alle P fa rrp rie ste r, d ie auf dem T e rrito riu m d e r ih n en a n v e rtra u te n P fa rrg em ein d en M ensch en m it n e rv ö se n o d e r p sy c h isc h e n S tö ru n g e n b egegnen. Es g eht h ier b e so n d ers um säm tliche F älle aus dem G ren zg eb iet d e r K ran k h eit u nd Sünde, d ie F älle d e s p a th o lo g isc h e n S chuldgefühls. V or allem so llen an d ie s e Pflicht d e r M ita rb e it m it d em A rzt die P riester- -B eichtv äter d en k en , die des ö fte ren seh r sc h w ierig en u nd p erp le x en

25 V g l. e b e n d a , S. 77— 78; d e r s., T h e D o c t o r a n d t h e Soul, S. 274; d e r s.,

D e r W i l l e z u m Sinn, S. 74.

28 V. E. F r a n k l , T h e W i l l t o M e a n in g , S. 142— 143. 27 V. E. F r a n k l , T h e D o c t o r a n d t h e So u l, S 274. 28 E ben da, S. 270— 271.

P roblem en des G ew issen s und d er p sy ch isch en G esu n d h eit b e ­ gegnen. Der P rie ster soll in gew issen F ällen d en P atien ten -P ö n iten - ten zum A rzt oder P sy c h o th e ra p e u te n schicken, auch w en n e r selbst gew isse p sy ch o lo g isch e o der p sy c h ia trisch e K en n tn isse besitzt. D ie­ ses W issen k a n n ihm helfen, sich b e sse r im Z u stan d des P a tie n te n zu o rie n tie re n , o der sogar e in e treffen d e D iagnose aufzustellen, aber sie b e re c h tig t ihn nicht, sich d e r B ehandlung anzunehm en. Das spe- zialistische, p sy c h o th e rap e u tisc h e W issen k a n n d e m P rie ster sehr behilflich sein, w en n e r es gesch ick t als H ilfsm ittel v e rw e n d et; e r soll ab er im m er d ie T ätig k e it se elso rg e risc h e r A rt auf den e rs te n Plan exp o n ieren .

F rank l ist ü b erzeu g t, dass e in e n o tw en d ig e B edingung für die Z u sam m en arb eit zw ischen dem S eelso rg er u n d d em P sy c h o th e ra ­ p e u te n auf dem stre n g e n B eachten e ig e n e r K om petenzen b eru h t, d.h. d a ss w e d e r d e r P rie ster ärztlich e F u n k tio n e n auf sich nehm en, noch d e r A rzt in den stre n g p rie ste rlic h e n W irk u n g sk re is e in sc h re ite n w ird 29. Ä h n lich en S tan d p u n k t in d iese r H insich t v e rtritt auch N. A u tto n 30, d e r in sein er A rb eit g en au und b reit die M öglichkeiten d er geg en seitig en Z u sam m en arbeit zw ischen d em P rie ster-S e elso r­ ger und dem P sy c h o th e ra p e u te n an aly siert.

Auf d iese W e ise w ird d ie Z u sam m en arb eit zw ischen dem S e e l­ so rg er und P sy c h o th e ra p e u te n die g rö sste n A u ssich ten auf Erfolg haben, w en n beide S eiten gut ih re P flichten erfü llen , d ie G renzen ih re r K om petenzen b e a ch te n und g leichzeitig die H ilfe d e r an d e re n S eite n utzen und au ch an d iese H ilfe g ern und so oft, w ie es n ötig sein w ird, a p p e llie ren w erden. So also sollten die g eg en seitig en R e­ lation en, d ie zw ischen der stre n g relig iö se n S eelso rg e u nd d e r ä rz tlic h en S ee lso rg e b esteh en , ih re p rak tisc h e W id e rsp ie g e lu n g im tä g lic h e n Leben, in der sich g e g e n se itig e rw ie se n e n H ilfe u n d der Z usam m enarbeit zw ischen d en V e rtre te rn d iese r b eid e n D isziplinen d e r W issen schaft und K unst zugleich finden.

29 V. E. F r a n k l , D e r u n b e w u s s t e G o t t , S. 67.

30 V g l. N . A u t t o n , T h e P a sto ra l C a r e of th e M e n t a l l y III, N e w Y ork (1961) 1969.