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Wochenschrift des Architekten Vereins zu Berlin. Jg. 6, Nr 21

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Academic year: 2022

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tWOCHENSCHRIFT m HRCHITEKTEN-VEREINSIMBERUnI

HERflUSGEGEBEN Ü22 VEREINE

♦ E r s c h e in t S o n n a b e n d s u. M ittw o ch s. — B e z u g s p re is h alb jfih rl. 4 M ark , p o s tfre i 5,30 M ark , ein zeln e N u m m er v o n 'g e w ö b n l. U m fa n g e 30 P f., s t ä r k e r e e n ts p r. t e u r e r t

^ D e r A n z e ig e n p re is fü r die 4 g e s p a lte n e P e titz e ile b e t r ä g t BO P f., fü r B e h ö rd e n -A n z e ig e n u n d fü r F a m ilie n -A n z e ig e n 30 P f. — N a c h la ß a u f W ie d e rh o lu n g e n ^

N um m er 21 Berlin, Sonnabend den 27. Mai 1911 V I. Jahrgang

Zu b e z ie h e n du rch alle B u c h h a n d lu n g e n , P o s tä m ter und die G e s c h ä f t s s t e ll e C a r l H e y m a n n s V e r l a g in Be rlin W. 8, Mauerstr. 4 3 .4 4

A l l e R e c h t e V o r b e h a l t e n

Heiinatschutz, Baukunst und Industrie

Y o r t r a g g e h a l t e n im A r c k i t e k t e n - V e r e i n B e r l i n von Professor E. H ögg in Bremen

A bb. 109. N eue

Meine sehr geehrten Herren!

Der H eim atsehutz kann sich zurzeit über mangelnde B eachtung nicht beklagen. A uch hier im B erliner A rchitekten- Vereine stand er während der letzten Monate im M ittelpunkte der Verhandlungen. Es is t dabei über dieses Thema so schön und gründlich geredet worden, daß m ir für.den heutigen Abend kaum etwas anderes m ehr übrig bleibt, als gewissermaßen eine N a c h ­ le s e anzustellen, ein paar liegengebliebene Garben hinter Ihrem vollen Erntew agen herzutragen und (mit Verlaub) als gewiegter Oekonomiker mein fachmännisches U rteil über das W e tte r ab­

zugeben und über den W ert des eingefahrenen Getreides.

Da ich somit die A bsicht habe, an verschiedenen A n­

sichten und Theorien, auf die ich beim Studium Ih re r V erhand­

lungen gestoßen bin, als P rak tik er K ritik zu üben, so is t es nu r billig, daß ich zuvor meinen Berechtigungsnachw eis zu solchem kritischen Tun erbringe. Ich versuche dies, indem ich Ihnen in Kürze erzähle, wie w ir in Bremen seit sieben Jahren praktischen H eim atschutz treiben.

Ich darf mich dabei auf den ersten B ericht beziehen, den ich vor zwei Jah ren hier e rs ta tte t habe und der auch in unserer

D e r V o r t r a g w u rd e am 1. M ai 1911 g e h a lte n .

ira ß e in B rem en

„W ochenschriftI; abgedruckt worden ist. Damals schien es an­

gezeigt, ausführlich auf die Grundbegriffe, die H andhabung und E inrichtung von M eisterkursen und dergleichen einzugehen, weil diese für Sie noch etwas Neues waren. Inzwischen h a t ja H err Professor Cäsar bereits B ericht e rstatten können über die A rbeiten ähnlicher O rganisationen des „A usschusses für das Bauwesen in S ta d t und L a n d “ und so darf ich voraussetzen, daß Ihnen die einschlägigen Begriffe geläufig sind.

W enn ich im folgenden von H eim atschutz spreche, so b itte ich dieses W ort als eine A b k ü r z u n g für viele Dinge zu verstohen. Vor allem b itte ich darunter n i c h t zu verstehen den B u n d H eim atschutz. Ich b itte auch ganz abzusehen von den uns hier nicht interessierenden B estrebungen um Volks­

bräuche, um N aturschönheiten, N aturparks und dergleichen;

sondern ich b itte heute Abend bei dem kurzen W orte „H eim at­

sch u tz“ n u r denken zu wollen an alle diejenigen Bestrebungen, die auf eine E rhaltung, V eredlung und E ntw icklung der heim i­

schen B a u w e is e hinzielen.

In B r e m e n is t stren g auseinander zu halten die T ätigkeit des H e i m a t s e h u t z - V e r e i n s (Verein für niedersächsisches Volkstum ), die sich auf das ganze niedersächsisehe Landgebiet, etw a bis zur Elbe, bis hinab nach Hannover und hinüber nach

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124 Wochenschrift des Architekten-Vereins zn Berlin Sonnabend, 27. Mai 1911

Abb. 110. 'W ohnküche. A r c h ite k t A lfred S c h u ltz e , W o rp sw ed e

A bb. 113 u. 114. A rb e ite rw o h n h ä u se r. A r c h ite k t A b beliusen u n d B le n d erm an n (B rem en)

Oldenburg erstreckt, und der T ätigkeit der s t a a t l i c h e n S a e h - v e r s t ä n d i g e n - K o m m i s s i o n , deren Befugnisse an den Grenzen des j a nicht allzu großen Bremischen S taates endigen.

Der V e r e in w ar z u e r s t da; e r w ar Bahnbrecher für die neuen Ideen des Heim atschutzes und der Denkmalpflege; e r richtete die erste B auberatungsstelle ein, schuf die M eisterkurse, die W anderausstellungen, und s e in e m Vorgehen is t auch in erster Linie die Schaffung der Sachverständigenkommission zu danken. Ich habe das alles seinerzeit ausführlich erzählt.

Im Gegensatz zu den e r s t e n , wenig günstigen Erfahrungen, die H err Prof. Cäsar m it den M eisterkursen in Luckau gem acht hat, sind w ir gerade m it dem Einfluß unserer M eisterkurse auf die heimische Bauweise s e h r zufrieden. Vielleicht lä ß t sich das ungünstigere Ergebnis hier zurückführen auf das allzunahe Berlin, nach dem sich der Baugeschmack der Nachbarorte richtet.

D arin aber stimme ich H errn Cäsar vollständig bei, daß es m it M eisterkursen a ll e i n n i c h t getan ist, sondern daß u n ter allen U m ständen die B auberatung als notwendige E rgänzung hinzu­

treten muß. Ich will hinzufügen: und g e d u l d i g e s j a h r e ­ l a n g e s A u s h a r r e n bei scheinbaren Mißerfolgen. Denn es wird kaum eine zweite Aufgabe zu finden sein, die so viel Engelsgeduld, so viel Selbstverleugnung, so viel künstlerische V erzichtleistung zur V oraussetzung hat, als die A rbeit auf dem steinigen Ackerland des Heim atschutzes!

Ich erlaube mir daher meine Meinung dahin zum besten zu geben, daß Sie auch bei vorläufig m a n g e l h a f t e n Ergebnissen doch an den M eisterkursen festhalten, sie aber so rasch als möglich durch dio übrigen erprobten E inrichtungen, B a u - b e r a t u n g s s t e l l e n , W a n d e r a u s s t e l l u n g e n , W a n d e r v o r ­ t r ä g e , B e r a t u n g s - u n d S p r e c h t a g e , stützen und be­

festigen sollten.

Ich habe die A bsicht, Sie heute m öglichst wenig m it G e g e n b e i s p i e l e n zu öden; denken Sie sich die ländlichozoit- genössisclie Bauweise N iedersachsens ganz ähnlich wie die der M ark Brandenburg. Dagegen möchte ich Ihnen an ein paar Bildern zeigen, was wir d a f ü r in unserem Einflußgebiet einzu­

führen bem üht sind, wobei w ir an die noch lebensfähige Ueber-

A bb. 111. F o rtb ild u n g s s c h u le b ei B re m e n . A r c h ite k t H u g o W a g n e r A bb. 112. B ah n h o f O sterh o lz. A r c h ite k t H e in r. V o g e le r in ^ W o rp sw ed e

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Nr. 21. VI. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 125

lieferung anknüpfen und die Anforderungen einer neuen Zeit künstlerisch m it ihr in Einklang zu bringen suchen1). Abb. 110 bis 114.

W ährend so der Verein seine Pflicht tu t, h a t die weitblickende Bremer Regierung für das Brem er Stadtgebiet eine „ S a c h - v o r s t ä n d i g e n - K o m m i s s i o n “ ins Leben gerufen, die der Baupolizei als beratende Behörde für baukünstlerische A ngelegen­

heiten an die Seite und der das Gesetz gegen gröbliche V er­

unstaltu n g in die H and gegeben ist. Dieses Gesetz entspricht dom p r e u ß i s c h e n . Die Sachverständigen-Kommission heißt im Volkemundo „Kunstkom m ission“ oder „Schönheitskommission“, woraus Sie ohne weiteres ihre großo Boliebtlieit ersehen könnon.

Sie ste h t durch weitgehende wertvolle Personalunion in engster F ühlung m it dem Heim atschutz-Verein. V orsitzender is t der B audirektor, gleich „S tad tb a u rat für Hochbau“. Des weiteren gehören ihr an: 3 beamtete A rchitekten, 3 P rivatarchitekten, 2 K unstgelehrte, sowie der ju ristisch e V ertreter der Baupolizei.

Die B erufung erfolgt durch don Senat und auf unbestimmte Zeit.

Vor zwei Jah ren begann die Kommission ihre Tätigkeit, die sich etwa folgendermaßen abspielt:

Sämtliche Baugesucho gehen von der Baupolizei zunächst nach dem sogonannten S t a d t e r w e i t e r u n g s b u r e a u , wo sie durch eines der Kommissionsmitglieder einer ästhetischen Vor­

prüfung unterzogen werden. Von da gehen sie w eiter zum B audirektor, welcher die N achprüfung vornimmt. Die baukünst- leriseh einwandfreien oder harm losen Entw ürfe gehen ihren Gang weiter, die b e d e n k l i c h e n wandern zur Schönheitskom­

mission. Diese ta g t wöchentlich ein- bis zweimal. Sie bewäl­

tig t in jeder Sitzung durchschnittlich ein D u t z e n d solcher be­

denklicher B auanträge.

D er Eingriff seitens der Kommission kann sehr mannig­

facher A r t sein. Z. B.:

K u r z e s G u t a c h t e n : „Mit Rücksicht auf die durch F ab rik ­ bauten ohnehin verunstaltoto S traße wird empfohlen, das Gesuch nicht zu beanstanden“ o d e r : „es wird empfohlen, den A n trag ­ steller, welcher über entsprechende M ittel verfügt, an einen tüch­

tigen A rchitekten zu verw eisen“.

A u s f ü h r l i c h e G u t a c h t e n holt die Baupolizei des öfteren ein, etwa in zweifelhaften Fällen bei Anwendung der Staffel- bauordnung oder wo die A uslegung des Baugesetzes m it den Forderungen der A rchitektur in W iderspruch gerät.

K le in e K o r r e k t u r e n werden m it R o tstift in die A n trag s­

zeichnungen eingetragen, z. B. bessere Dachneigungen, A us­

bildung von Brandgiebeln, B eseitigung überflüssigen Stück­

werks usw. Dazu wird bem erkt: „aus den und den Gründen w ird die Baupolizei gebeten, den A ntragsteller zur Befolgung dieser V orschläge zu veranlassen.“

Endlich die V e r b e s s e r u n g s V o r s c h l ä g e : W enn einerseits der E ntw urf ganz unbrauchbar ist, anderseits der A ntragsteller den Eindruck macht, als ob er wohl don guten W illen, dagegen weder die A usbildung noch die M ittel habe, etwas Besseres vor­

zulegen, so wird ihm ein neuer E ntw urf gezeichnet und mit dom Stempel der Sachverständigen-Kommission versehen der Baupolizei vorgelegt m it dem Bemerken: „Der E ntw urf des A ntragstellers bedeutet eine gröbliche V erunstaltung des S traßen­

bildes; da A ntragsteller nicht in der Lage ist, einen besseren E ntw urf zu liefern, so h a t die Sachverständigen-Kommission einen solchen beigefügt.“ Z usatz: entweder: „Der A ntragsteller h at sich bereits m it der Sachverständigen-Kommission in V er­

bindung gesetzt und is t m it dem Verbesserungs Vorschlag ein­

verstanden“ — oder: „Es wird gebeten, den A ntragsteller zu veranlassen, sich m it der Sachverständigen-Kommission wegen der weiteren Behandlung des Entw urfs ins Benehmen zu setzen.“

Die Baupolizei h a t k e i n e r l e i V e r p f l i c h t u n g , auf diese G utachten und W ünsche der Sachverständigen-Kommission Rücksicht zu nehmen. Sie wird es aber meistens tun, einmal, weil das Gutachten ja im E inverständnis m it ihrem eigenen V ertreter zustande kam ; zweitens zu ihror eignen E ntlastung.

Dieses ästhetische Entlastungsbedürfnis äußert sich aller­

dings bei den u n t e r g e o r d n e t e n Organen der Baupolizei oft darin, daß die Schuld an allen Verzögerungen und Handlungen der Sachverständigen - Kommission zugeschoben wird. Da kommen denn die A ntragsteller wutschnaubend bei der „Schön­

heitskom m ission“ angerannt; — und nun beginnt der A rbeit

') V on den SO L ic h tb ild e rn , w elche den V o r tr a g b e g le ite te n , k a n n h ie r n u r e in e k le in e A u sw a h l w ie d erg eg e b e n w erden.

w ichtigster und schw ierigster Teil: die eigentliche B a u - b e r a t u n g ! Sie h a t für die davon Betroffenen den C harakter eines „ M e i s t e r k u r s e s w id e r W i l l e n “. Denn hier wie dort g ilt es, Menschen ohne Geschmack und brauchbare Vorbildung die Augen zu öffnen über die Grundlagen einer anständigen Bauweise, ihnen begreiflich zu machen, weshalb man ihren A n trag ablelinen m ußte und weshalb man sie in ihrem eigensten Interesse überreden will, es anders zu machen.

Dabei is t allerdings neben der schon vorhin gerühm ten Tugend der Geduld auch unendlich viel Takt, Diplomatie und M enschenkenntnis V o r a u s s e t z u n g für den Erfolg. W er da g lau b t, diese B eratung unreifen Hilfskräften überlassen zu können, wird wenig Freude erleben. In Bremen haben sich viele unserer tüchtigsten A rchitekten und Baubeam ten (ehrenamtlich!!) in den D ienst der guten Sache gestellt, und d a r u m h a b e n w i r E r f o lg . U nsere B auberatung arbeitet also m i t den B au­

künstlern, niemals g e g e n sie. Die Baugesuche der tatsäch ­ lichen A r c h i t e k t e n sucht man nach K räften zu fördern und der Baupolizei gegenüber zu vertreten, und kommen doch da oder dort an bevorzugter oder historisch bedeutsam er Lage Be­

denken oder M einungsverschiedenheiten, so sucht man sie auf k o l l e g i a l e m W ege zu beseitigen, indem man den betreffenden A rchitokton zur B eratung hinzuzieht.

M. H.! W as ich Ihnen hier in kurzen Zügen geschildert habe, is t keine Utopie, sondern eine seit zwei Jahren bewährte und tadellos arbeitende E inrichtung, die gewiß den Vorzug großer Einfachheit für sich hat. Ich möchte sie Ihnen nicht unm ittelbar als V o r b ild hinstellen, denn die Brem er V erhält­

nisse sind zu verschieden von den hiesigen, aber immerhin als A n r e g u n g , um Aehnliches zu schaffen.

Wo in Bremen e in e Sachverständigen-Kommission au s­

reicht, müßten es in Berlin vielleicht ein D u t z e n d sein, und an Stelle des S taates m üßte hier wahrscheinlich die S ta d t Vor­

gehen; — aber e n t b e h r e n können Sie nach meinem Empfinden derartige Einrichtungen so wenig wie wir in Bremen.

Denn was n ü tz t unsere ganzo B egeisterung für Städto- baukunst, was nützen Staffelbauordnungen und Bebauungspläne, wenn nicht eine starke, ordnende Hand darüber wacht, daß die Bausteine zu diesem W erk (und das sind die Neubauten) sich ins Ganze einfügen; und was auch n ü tz t der einzelne B au aus K ünstlerhand, wenn er durch R adauarchitekturen links und rechts totgeschlagen werden darf!?

Ich möchte Ihnen an einigen Bildern nicht etwa P ru n k ­ architekturen, sondern nur das handwerklich brauchbare D urch­

schnittsm aß zeigen, auf das wir durch unsere T ätigkeit die neuere städtische Bauweise bereits gehoben haben. Abb. 109.

M. H. A uf der Grundlage einer so ernsten und ehrlichen praktischen A rbeit in dem bremisch-niedersächsischen Gebiete sei es m ir g estattet, nunm ehr zu der deutschen H e i m a t s c h u t z ­ f r a g e ü b e r h a u p t Stellung zu nehmen. — — — —

Sehe ich m ir den H eim atschutz an, wie er heute, um brandet vom W iderspruch m ächtiger Volksgruppen, seine ideale Sendung zu erfüllen sucht, so will es m ir Vorkommen, als ziehe eine kleine begeisterte Schar von Eroberern hinter ihrem sieghaften Banner her durch Feindesland. Denn „ F e in d e v o n a l l e r w ä r t s ! “ — dieses stolze W o rt charakterisiert sehr treffend die derzeitige Lage des H eim atschutzes!

Viel Feind, viel Ehr! — wer aber siegen will, soll diesen Spruch nicht leichtfertig hersagen, sondern seine Feinde kennen­

lernen, soll ergründen, weshalb sie solche geworden sind und ob es nicht möglich ist, sie wieder zu F r e u n d e n zu m a c h e n ! Mich persönlich erfüllt die zunehmende Feindseligkeit weiter Kreise gegen den H eim atschutz m it s c h w e r e r S o r g e und ich gebe mich nicht zufrieden m it der oft gehörten E rk läru n g :

„Der H eim atschutz h a t in seinen ersten Jahren so ungeheure F o rtsch ritte gem acht, daß ein Rückschlag m it Notwendigkeit erfolgen m ußte.“

Seit langer Z eit verfolge und studiere ich die dem H eim at­

schutz gewidmeten Angriffe, um über deren Bew eggründe und B erechtigung K larheit zu gewinnen. Ich will ihnen das E r­

gebnis meines Nachdenkens nicht vorenthalten:

Da der H eim atschutz letzten Endes eine baukünstlerische Angelegenheit ist, so lieg t es nahe, daß seine Gegner sich vor­

wiegend aus denjenigen Kreisen rekrutieren, die m it der B au­

kunst in geschäftlicher Beziehung stehen. Es sind dies: 1. Die B auunternehm er und Bauhandwerker. 2. Die L ehrer hoher und niederer Bauschulen. 3. Die Bauingenieure. 4. Die B aukünstler.

5. Die K unstschriftsteller. 6. Die Bauindustriellen.

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126 Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin Sonnabend, 27. Mai 1911

A bb. 118. H a u p tb a h u b o f D re sd e n Abb. 119. 'W eberei zu D a h le ra u

1. D ie B a u u n t e r n e h m e r u n d B a u h a n d w o rk e r. W enn sie in ihrer überwiegenden Mehrzahl dem Heim atschutz feind­

selig gegenüberstehen, so is t das eigentlich selbstverständlich.

Denn der Heim atschutz wendet sich ja gerade gegen die ver­

unstaltende T ätig k eit dieser Bauleute. Man darf von einem Stande, der u nter den zur Genüge bekannten eigenartigen Bedingungen des letzten Jah rh u n d erts so sehr zurückgekommen und en tartet ist, nicht allzuviel E insicht und W eitblick verlangen. Man darf namentlich nicht erwarten, daß sie den H eim atschutz m it H urrah als ihren R etter begrüßen. — W ir müssen es vielmehr als ganz selbstverständlich' hinnehmen, wenn uns ein Empfang

zuteil wird, ähnlich dem der A erzte in den italienischen Cholera­

bezirken.

A ber aus diesem ersten W iderstande darf man sich nicht zu viel machen. D ie E r f a h r u n g l e h r t , d a ß e r s ic h b e i d e n b e s s e r e n E l e m e n t e n r a s c h in v e r s t ä n d n i s v o l l e M i t a r b e i t u m w a n d e ln l ä ß t .

Und die ändern, die kein Standesbow ußtsein kennen, die n u r S p e k u l a n t e n sein und bleiben wollen — nun, sie zw ingt man eben dazu, fortan R ü c k s i c h t auf das S tadt- oder L and­

schaftsbild zu nehmen, in das sie hineinbauen, und dem A rchi­

tekten zu geben, was des A rchitekten ist.

A bb. 115, Schw eiz, A lb u la sc h lu c h t i. E n g a d in

Abb. 116. F o r th b rid g e in S c h o ttla n d Abb. 117. W e r ita n la g e d e r L u ftsc h iffb a u g e s e lJs c h a ft Z eppelin in F rie d ric h sh o fe n

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Nr. 21. VI. Jahrgang W ochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 127

2. D ie L e h r e r d e r B a u s c h u l e n . Soweit meine per­

sönlichen Erfahrungen reichen, h atte der H eim atschutz anfangs keine grim m igeren Gegner!

Es is t so unbequem, umzulernen, wenn man einmal seine W eisheit in ein System gebracht h a t! Manches hohe Sem ester mochte wohl auch verzagen, wie es noch don Anschluß an die junge Bewegung finden solle. H eute is t die aus solchem Be­

harrungsverm ögen stammende G egnerschaft doch schon recht merklich im Abnohmen begriffen. Von manch einer deutschen Baugewerbeschule geht bereits energische und wertvolle H eim at­

schutzarbeit aus, zunächst durch die L e h r e r , bald auch durch deren Schüler. Die ändern werden nachfolgen müssen. Konnte man vordem m it Grund behaupten, der Heim atschutz sei nur dazu da, die üblen Einflüsse der Bauschulen aufzuheben, so h a t es je tz t den Anschein, als haben die Bauschulen den E h r­

geiz, den H eim atschutz recht bald überflüssig zu machen.

3. D ie B a u i n g e n i e u r e . Ihre Stellung zum H eim atschutz is t im großen ganzen noch oino g l a t t a b le h n e n d e . Der Ingenieurkunst, diesem jungen Riesen, war ja anfangs die weite W elt auf Gnade und Ungnade ausgeliefort. Rücksichtslos durfte sie ihre noch ungefügen Bauwerke hineinsetzen wo und -wie sie wollte, — und nun soll sie sich nachträglich Vorwürfe gefallen lasson, zur Rechenschaft gezogen werden! Und wenn der Ingenieur etwas Neues schaffen will, so soll er erst den Landeskonservator fragen und der gibt ihm womöglich den R at, sich m it einem A rchitekten zusammen zu tun! als ob man das bischen A rchi­

tek tu r nicht selbst noch fertig brächte!

Ich bringe den W erken des Ingenieurs gerado als A rchitekt rückhaltlose Bewunderung entgegen. M it Staunen beobachte ich, wie aus neuen K onstruktionen und Zweckerfüllungen neue, vom B a u k ü n s t l e r nicht' geahnte Schönheiten gewissermaßen herausgerechnet werden. Abb. 115, 116 und 118.

Ich scheue sogar nicht die E rklärung, daß für mich in diesen gew altigen Eisenhallen, Brücken und Türmen der aus­

schlaggebende Teil moderner B aukunst und Stilentwdcklung liegt. Um so mehr wird es aber die Pflicht des Ingenieurs, nicht m ehr einseitig n u r die Schönheit seiner K onstruktion als Selbstzweck zu verstehen, sondern sie als Teil des L andschafts­

bildes z u . erfassen, bis zu einem gewissen Grade selbst K ünstler zu werden. Ich darf hier auf die ausgezeichneten Schriften von Professor F ranz hinweisen. D eutlich erkennen wir in manchen gelungenen Ingenieurwerken der letzten Ja h re die erfreulichen F rüchte gemeinsamer A rbeit von K ünstler und Ingenieur. A b e r wir müssen w e iterk o m m o n : D er Ingenieur der Zukunft muß selbst und aus innerem Empfinden heraus zum H eim atschützer werden! In s e in e Hände is t die Erscheinung eines Industrie­

landes gelegt. Abb. 117 und 119.

Seine Brücken und Hochbahnen, seineFabriken, Silos, W asser­

türm e, Luftschiffhallen sind entscheidend für das Landschaftsbild.

Den Ingenieur im Sinne des Heim atschutzes zu erziehen, muß die Aufgabe unserer Hochschulen sein!

4. D ie B a u k ü n s t l e r . U nter ihnen herrscht — wenn ich absehe von dem kleinen B ruchteil der M itarbeiter am H eim at­

schutzw erk — eine U nsicherheit, um nicht zu sagen V er­

w irrung in der B eurteilung des H eim atschutzes, die s e h r b e ­ d e n k l i c h s tim m t. W as für A nsichten bekommt man da nicht zu hören! Sorge um den persönlichen V orteil is t dabei ebenso oft die Ursache, wie sta rk er Idealismus und U nkenntnis der praktischen W irklichkeit. Ich verstehe es wohl, wenn über­

ragende K ünstler, die nie Geringeres als M onumentalbauten geplant haben und die sich i h r e Formen weit aus dem Boden stampfen — wTenn d ie s e kein V erhältnis zu der bescheidenen Bauweise finden können, die wir die „heimische“ nennen; wenn sie auf die B aukunst zweiter und d ritte r G arnitur mitleidig herunterschauen und meinen, m an solle sie sich selbst überlassen.

N ur sollten diese U eberarchitekten nicht so weit gehen, den H eim atschutz als etwas L ä s t i g e s zu b e tr a c h te n .---

Es geht je tz t ein G erücht durch das Land, und einer sprichts gew ichtig dem ändern nach — durch die H eim atschutz­

gesetzgebung werde der w a h r e n , h o h e n B aukunst Gewalt an­

getan, der H eim atschutz sei eine nivellierende B estrebung, die das Große in ihren Staub herabziehe. Auch H err Kollege Schmieden h a t in seinen interessanten, von philosophischem Geiste durchhauchten A usführungen dieser Besorgnis beredte W orte verliehen. E r sag t u n te r dem Titel „Der H eim atschutz im L ichte der K u ltu r“ 1).

') W o c h e n s c h rift d e s A r c lü te k te n -V e re in a zu B e r lin , 1911, N r. 9 u. 9 a, S. 33 u. 37.

„Denn das Gesetz, im wesentlichen gem ünzt gegen die untergeordneten K räfte der bauenden W elt, ü b t seine W ir­

kungen immer ausschließlicher auf die selbständigen B au­

kü n stler aus — und der h ö h e r e A r c h i t e k t muß sich an zahllosen unzeitgem äßen O rtsstatu ten stoßen.“

Und wenn ich den Gedankengang der nicht ganz leicht zu lesenden Schmiedenschen Darlegungen rich tig verstanden haben, so gipfelt er darin, daß die H eim atschutzgesetzgebung eine S törung des normalen W erdegangs der A usdruckskultur und daher als kulturfeindlich je schneller, je besser zu beseitigen sei.

Meine H erren! Ich habe den Gerüchten nachgeforscht, die von einer V ergew altigung der K unst durch die H eim atschutz­

gesetzgebung oder die H eim atschutzleute erzählen und solche Sorgen um die E ntw icklung unserer B aukunst wachrufen. Ich habe aber nirgends stichhaltige Beweise dafür gefunden, daß irgendwo w i r k l i c h e K unst in ih rer E ntw icklung gehindert werden wäre. D a is t der einzige F all in H a g o n , wo im Schatten des Folkwang-M useums interessante Experim ente m it linksm odernster K u n st getrieben werden. H ier kam es zu Reibereien m it don konservativen Hagenern, die solche moderne K unst nicht verstanden und nicht haben wollten. Obgleich nun die H agener m it ihrem P ro te st g a r n i c h t s e r r e i c h t haben, diente er doch als Anlaß, e n trü ste t auf den kunsthemmenden H eim atschutz loszupeitschen. A ls ob das m it dem H eim atschutz etwas zu tu n hätte! Es is t die A blehnung plötzlich auf­

tauchender neuer Form en durch die L a i e n , die konservativen Geister, die „B anausen“, wenn Sio wollen; und diese Ablehnung is t so alt wie die K unstgeschichte. M it dem H eim atschutz h a t sie gar nichts zu tun.

Und glauben Sie mir, meine H erren! ähnlich is t es auch in ändern Fällen, wo über V ergew altigung der K unst ge- schrien wird. Forschen Sie den Dingen nach und Sie werden immer finden, daß es sich um E ntstellung der Tatsachen handelte, oder um Stüm pereien dio u n ter der falschen E tiq u ette „K unst“

durchgeschm uggelt werden sollten, oder um p e r s ö n l i c h e Reibereien und Eifersüchteleien, denen der H eim atschutz nur als Vorwand diente. — —

Aber, meine H e rre n ! verlassen w ir doch den allzu getragenen Ton und wenden w ir uns von der a l l e r h ö c h s t e n S u p e r ­ l a t i v k u n s t zu unsern tatsächlichen Aufgaben. H errn Kol­

legen Schmieden, dessen A usführungen von so hohem Idealis­

mus zeugen, möchte ich Raabes W o rt zurufen: „Blick auf zu den Sternen — hab acht auf dio G assen!“ 99<>/0 all unserer B auten stehen nun doch einmal an den G a s s e n , sind M iets­

häuser, Fabriken, Scheunen, Lagerschuppen, A rbeiten k u n st­

fremder B auunternehm er und haben m it irgendwelchen höheren Gesichtspunkten g a r nichts gemein. Es heißt diesen E rzeug­

nissen viel zu viel E hre angetan, wenn man sie gewissermaßen als den gärenden Zauberkessel betrachtet, aus dessen unge­

klärten K räften die neue K unst sich gebären soll.

I c h kann in diesen B etätigungen nichts anderes erblicken, als sterile, vollständig lebensunfähige Trüm m er einer falschen Erziehung, die w ir hinwegräumen müssen, um das junge W achs­

tum sich entfalten zu lassen.

Ja ! kom m t sofort ein neuer Einw urf aus A rchitekten­

kreisen — aber i h r w ollt dieses W achstum eigensinnig nach e u r e m Sinn umbiegen und zurüekhalten, ih r tre ib t a n t i ­ q u a r i s c h e S t i l k u n s t !

Bis zu einem gewissen P unkte gebe ich diesem Einwande recht. D er Heim atschutz gründet sich auf folgenden Gedanken­

gang: Die K unst, die b i s h e r war, w ar g u t, gesund, logisch.

Da w ir im derzeitigen Bauhandw erk über künstlerische Schöpfer­

kräfte n ich t verfügen und da die Nachahmung unreifer neuer Form en in schwachon Händen n u r Mißerfolge zeitigen kann, so scheint der vorsichtigste und sicherste W eg, aus dem derzeitigen Tiefstände herauszukommen, die A nlehnung an die überlieferte historische Bauweise. Mögen nun unselbständige und über­

ängstliche Gemüter sich zunächst allzu gew issenhaft an die Ueberlieferung angelohnt, mögen sie direkt historische S tilk u n st empfohlen und getrieben haben, wie in Hildesheim, das als krasses Beispiel so oft herangeholt w ird; — der G e i s t des Heim at­

schutzes will diesen historischen Stillstand keineswegs. Und vergessen w ir nicht eines: W ir kommen doch a l l e geraden W eges von der konservativsten S tilk u n st her! W a r es denn da nicht schon ein R iesenfortschritt in der E rk en n tn is, wenn der Heim atschutz sagte: „knüpft vorsichtig an die o rts ü b lic h e Bauweise an und entw ickelt sie zeitgemäß w eiter!“? Der H eim at­

schutz is t ja doch eine ausgesprochene Auflehnung gegen die

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128 Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin Sonnabend, 27. Mai 1911 S tilkunst m it ihren geistlosen gotischen Postgebäuden und

Kirchen, ihren romanischen Bahnhöfen und Renaissancespar­

kassen!

Anknüpfen u n d W eiterentwickeln. —

I c h freue mich, daß diese Anknüpfung m it Gründlichkeit und V orsicht erfolgt. Die Provinz ist nicht der O rt, wo der erw artete „neue S til“ geboren werden kann. Solange die großen K ünstler in den K ulturzentren sich seinetwegen noch in W ehen krümmen, sollte man die kleinen M eister und Geister in S tadt und L and in recht enger F ühlung m it der Ueberlieferung erhalten.

Das leuchtet wohl vielen ein; da aber treten wieder andere aus der A rchitektenzunft auf und m it gerunzelter S tirn er­

klären sie: „der Heim atschutz m acht uns unlauteren W e tt­

bewerb; er reiß t die A rbeiten au sich, dio u n s gehören, er entfrem det uns das Publikum , indem er es kostenlos bedient!“

Ich bedauero, daß diese Auffassung, dio schon so oft und so überzeugend w iderlegt worden ist, gerade vom B. D. A.

(Bund D eutscher Architekten) immer wieder vertreten wird. Ich bedauere dies, weil es immer niederdrückend ist, wenn ein Bund von K ünstlern den Interessenstandpunkt in den V ordergrund schiebt, und ich bedauere es, weil der B. D. A. (dom ich übrigens auch angehöre) im Heim atschutz einen seiner nützlich­

sten F r e u n d o bekämpft. Denn es läß t sich nachweisen, daß überall da, wo B auberatungsstellen ihre erzieherische und auf­

klärende T ätigkeit im Publikum ausiiben, der Zulauf zu den A rchitekten zunimmt. Das liegt ja auf der Hand. Mancher B auherr erfährt erst durch die B auberatungsstelle, daß es A r­

chitekten gibt. Bisher h a t er seinen M aurerm eister dafür ge­

halten. A ndere wollen die Schererei durch die Sachverständigen- Kommission los sein und merken, daß sie am glattesten durch­

kommen, wenn ein tüchtiger A rchitekt neben ihnen steh t. Und bald kommen sie auch dahinter, daß so ein vom A rchitekten gezeichnetes H aus doch nützlicher ist, als das vom M aurerm eister.

D er B. D. A. ratsch lag t darüber, wie man wohl das Publi­

kum dem A rchitekten zuführen könne. Geräuschlos und auf einfachste W eise tu t dies der H eim atschutz m it seiner Be- ratu n g s- und A ufklärungstätigkeit.

Und der unlautere Gratisw ettbew erb? mögen die A rchitekten doch bedenken, daß d i e j e n i g e n Bauherren, für welche eine B au­

beratungsstelle G ratisentw ürfe liefert, dem wirklichen A rchitekten doch noch nio einen Pfennig zu verdienen gegeben haben und daß es sich anderseits ganz von selbst verbietet, daß dio in ihren M itteln und K räften beschränkten, m it m ühseliger A rbeit überlasteten B auberatungsstellen große Bauten an sich reißen — selbst wenn sie es wollten.

W enn ich so alle die Ein wände betrachte, die gegen den Heim atschutz von seiten der A rchitektenschaft erhoben werden, so kann ich mich des vielleicht etwas unhöflich klingenden, aber gewiß nicht so gemeinten Eindrucks nicht erwehren, als fehle es unsern Fachgenossen allzusehr an der p r a k t i s c h e n V e rtrau t­

heit m it dem Gegenstände, als seien ihre Bedenken und Ge­

danken allzusehr literarischer A rt und ermangeln der p e r s ö n ­ l i c h e n A n s c h a u u n g . Ich stoße auf g a r so viele T h e o r i e n , die schön klingen und doch grau sind, auf so viel Ge­

spensterfurcht, auf so viele wohlgemeinte R atsch läg e, die sich der rauhen W irklichkeit gegenüber doch nur als utopische W ünsche entpuppen. Ich glaube, daß es sehr schwer, fast un­

möglich ist, don richtigen Standpunkt zu der H eim atschutz­

frage zu gewinnen, wenn man sich nicht in p r a k t i s c h e r A rbeit m it ihr befaßt. A nders sieht die W elt aus, wenn man sie vom Berliner A sphalt aus betrachtet, anders, wenn man sich fern von der G roßstadt m it ihrem ganz eigenartigen Bau- Getriebe liebevoll in ländliche V erhältnisse versenkt. Etw as anderes auch ists um den Heim atschutz für die S tädte, etwas anderes um den für das Land.

Man muß hinauskommen aufs L and und in die Dörfer und man muß zusehen, wie dort eine blinde und rohe, von den schlechtesten großstädtischen B auinstinkten angesteckte B au­

tätig k e it m it rücksichtsloser G ew alttätigkeit die bisher vor­

handenen Schönheitswerto ruiniert, ohne auch n u r die A bsicht, geschweige die F ähigkeit zu haben, etwas Gleichwertiges an die Stelle zu setzen. Man muß dieses rasende Zusammen­

schmelzen unersetzlicher W erte miterleben, um ganz zu be­

greifen, weshalb H eim atschutz sein muß. Soll denn die kom­

mende Generation nur Doch aus I n v e n t a r w e r k e n erfahren, wie s c h ö n Deutschland einmal gewesen? Sie wird sich dafür bedanken! Und glauben wir doch j a nicht an die i n n e r e

N o t w e n d i g k e i t all dieser brutalen Eingriffe in das überlieferte ländliche Bild! M ode ists, unverstandener Nachahm ungstrieb, Großmannssucht, aufdringliche Geschäftigkeit, was die alten Stadtbilder, die stattlichen Bauerndörfer, die idyllischen L and­

schaften entstellt! Man unterbindet keine Entw icklung, wenn man sich diesem blinden V ornichtungsw erk in den W eg stellt!

5. D ie K u n s t s c h r i f t s t e l l e r . Die aus den oder jenen Gründen den H eim atschutz beargwöhnenden A rchitekten haben neuerdings kräftige U n terstü tzu n g erhalten von einer Seite, von der man es nicht h ätte erw arten sollen: von seiten dor K unst­

schriftsteller unserer Tages- und Fachpresse. Es is t verblüffend, wie hageldicht von dieser Seite m it einem Male dio Hiebe auf den Heim atschutz herunterprasseln. Und doch sind es dieselben H orren, dio vor wenigen Jah ren noch als Herolde derselben Heim atschutzbew egung ihre frohlockende Stimme erschallen ließen. Ich kann mir ihren Stim m ungsum schlag wohl erklären.

U rsprünglich h atten sie begeistert die F ü h ru n g übernommen.

Dann setzte die zähe, langweilige A rbeit des Fachm anns ein, der sie nicht m ehr folgen konnten, die ihre Geduld, und dam it ih r V ertrauen auf den Erfolg erschöpfte. So mögen sie bald den Ueberblick über die ganze Entw icklung verloren haben. — Daneben wollen w ir uns aber doch nicht verhehlen, daß S e n s a t i o n eine g a r w ichtige Sache ist. M it dem Hoim atschutz is t keine Sensation m ehr zu machen. Ihn a n z u g r e i f e n erregt viel m e h r Aufsehen. So gesellen sich zu den Stimmen der ehrlich besorgten M ahner die leichtfertigen Anwürfe oberfläch­

licher Tagesschriftsteller. Man muß sich dam it wohl oder übel abfinden. N ur in seinem K urs irre machen lassen soll man sich nicht durch sie!

W ir dürfen uns in der Schaffung eines gesunden selbstän­

digen Bauhandwerks n i c h t stören lassen, wenn w ir z. B.

hören, zum Bauen seien nu r K ünstler berechtigt; man solle dafür sorgen, daß nur noch K ü n s t l e r in S ta d t und L and die H äuser, dio Fabriken, die Ställe ersinnen, dann sei m it einem Schlage alle N ot zu Ende und der H eim atschutz könne heim­

gehen.

D am it daß man ausruft: „Gebt die B auten tüchtigen K ünstlern“ — dam it ists w irklich nicht getan. Es genügt doch nicht, daß man das R e z e p t in den Koch topf hineinruft, wenn man eine Suppe haben will! man muß k o c h e n !

Ich komme endlich 6.) zu den B a u i n d u s t r i e l l e n und dam it zum H e r d e der ganzen B eunruhigung über und gegen den H eim atschutz!

Einige in ästhetischen Dingen skrupellose, durch idealistische V orurteile nicht beschwerte Zweige der Industrie (vorwiegend Fabrikation von m ehr oder w eniger jungen S urrogat- und Hilfs- baustoflfen) sind es, dio sich zu starken w irtschaftlichen V er­

bänden zusammengeschlossen haben und ihre ganze S toßkraft gegen den Heim atschutz richten, in dem sie ein H indernis bei der Eroberung des M arktes erblicken.

M. H .! Ihnen allen sind die Petitionen und Angriffe der Industriellen gegen den H eim atschutz und seine Gesetzgebung zur Genüge bekannt. Auch die Stellung unseres Verbandes is t in k larster W eise festgelegt durch die F lugschrift von Ober­

bau rat Schmidt, b etitelt „Zur A esthetik der Baustoffe“.

In dieser unserer F lugschrift wird in überzeugender und ehrlicher W eise auseinandergesetzt, daß der H eim atschutz k e in B aum aterial grundsätzlich ablehnt, daß er jedoch dessen bau­

künstlerische Behandlung fördern und fordern muß und daß er an der baukünstlerischen W eiterbildung neuartiger Baustoffe ebenso in teressiert is t wie die Industrie selbst!

Diese sehr sachlich und versöhnlich geschriebene D arlegung h a t aber keineswegs den Beifall jenes Teiles der Industrie, der nicht k raft des inneren W ertes seiner- F abrikate, sondern k raft seiner Lungen Geschäfte machen will.

U nentw egt wird w eiterhin Stim m ung gegen den H eim at­

schutz gem acht und das M itleid der Menschheit erfolgreich an­

gerufen durch die m it Tatsachen noch nicht bewiesene Behaup­

tung, die H eim atschutzgesetzgebung vergew altige die ih r nicht genehmen Baustoffe aus r e i n s e n t i m e n t a l - m a l e r i s c h e n Be­

weggründen; ja , sie ruiniere durch ihre U nduldsam keit die In ­ dustrie schlechtweg und dam it das liebe deutsche V aterland!!

M. H.! Die U n d u l d s a m k e i t liegt auf der ä n d e r n Seite!

Verfolgen Sie nur einmal die unw ürdige Tonart, in der andere, altbew ährte, aber unbequeme Baustoffe herabgesetzt werden!

Ja , daß die Industrie sich nicht scheut, gegen anerkannte B a u ­ k ü n s t l e r vorzugehen, die ih r nicht zu W illen sind, dafür is t die jü n g ste Baugeschichte Leipzigs ein Beweis. D ort wurde

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Nr. 21. V I. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 129

Abb. 120. H a n d e lsh o c h sc h u le in L e ip z ig . A r c h ite k t P ro f. S c h u m a c h er

gegen Diilfer und Schumacher Sturm gelaufen, weil sie ihre Neubauten, die D resdner B ank und die Handelshochschule, m it steilen Dächern zu gestalten sich erlaubten. Abb. 120 und 121.

Es is t ein neckischer W itz der Baugoschichte, daß ju s t diejenige Industrie den Rufer im S treite m acht, die am aller­

wenigsten A ussicht hat, jemals ein wirklich gediegenes M ate­

rial baukünstlerischer W irkung zu werden: die D a c h p a p p e , die ihrem ganzen W esen nach dazu berufen oder sagen wir ver­

dammt ist, konstruktives Hilfsmaterial und Provisorium zu sein.

A ber sie h a t den Größenwahn, die hohe B aukunst zu be­

herrschen und zu bekrönen und m it dem Elan des Eroberers geht sie auf ihr Ziel los.

Die L ektüre dor Dachpappe-Eingaben entbehrt nicht eines feinen Humors. Mir ist aus Sachsen, der H ochburg der Dach- pappo, der T ext einer solchen Eingabe zugeüogen, aus der fol­

gender Passus wiedergegebon soi:

„Ich habe die Ueborzougung, daß die sächische Regie­

rung keinesfalls den Steuerzahlern die Existenz nehmen will;

denn dadurch würden nicht nur die Geschäftsinhaber, son­

dern auch die zahlreichen, in den Fabriken beschäftigten A r­

beiter, welche nichts anderes als diese A rbeiten gelernt haben, ru in iert, sondern es worden dadurch auch die sämtlichen sächsischen Städte geschädigt, welche G asanstalten besitzen und Teer produzieren, welcher in der H auptsache für Dach­

pappe Verwendung findet.

Ich hoffe, daß vorstehendes genügt, die Regierung zu überzeugen, daß es nötig ist, w eiterer Schädigung der säch­

sischen Dachpappenindustrio vorzubeugen und an den maß­

gebenden Stellen W eisung zu erteilen.“

Demgegenüber höre man, was die unter F ü h ru n g des K unstschriftstellers Bröcker-H am burg bedeutend vornehmer und gewinnender auftretonde Ruberoidindustrie über die Dach­

pappe sag t:

„Die Dachpappe h a t tro tz ihrer Schm elzbarkeit in der Sonnenhitze, tro tz ihres Verschmierens der Regenrinnen und der dam it verbundenen Verschm utzung des Ablaufwassers, trotz ihrer geringen H altbarkeit und großen R eparatur­

bedürftigkeit, trotzdem es ein flaches Dach fordert, sehr große V erbreitung gefunden. Ueber die Unschönheit des Pappdachs herrscht nu r eine Stimme. Durch Bekiesung mag sie wohl ein wenig beseitigt werden; aber gerade das auch aus schönheitlichen Gründen in Norddeutschland notwendige Steildach wird dadurch noch viel weniger möglich.“

Hören w ir ferner noch eine Eingabe der sächsischen Ziegel­

industrie, welche sich natürlich u nter dem H eim atschutz sehr wohl fühlt:

„W eit entfernt, die Erfolge und technischen E rrungen­

schaften benannter Dachpappefabriken zu schmälern und den W e rt ihrer F abrikate für gewisse neuzeitliche und Interim s­

bauten herabzudrücken, erblicken wir in der gesteigerten Z u­

nahme und B egünstigung der insbesondere für die H erstellung von Bedachungen verwendeten Ersatzstoffe eine zunehmende und bedauerliche Schmälerung alteingesessener, berechtigter Interessen und altbew ährter Einrichtungen. W ir hegen aber

Abb. 121. D re s d n e r B a n k in L e ip z ig . A rc h ite k t M a rtin D u lle r

auch die B efürchtung, daß die weitere Z ulassung von Papp­

dächern, insbesondere für W ohnhäuser, wie es ohne A nord­

nung von Bodenräumen in N orddeutschland — sogar inner­

halb großer Städte — vielfach schon der F all ist, ein weiteres Verdrängen unserer Fabrikate zur Folge haben und zur Ver­

ödung unserer heimischen K ulturbilder noch m ehr beitragen w ird.“

M it ändern W orten: D er H eim atschutz und seine Gesetz­

gebung schädigt nicht „die“ Industrie. E r schädigt n u r einen T e il der Industrie, und zw ar denjenigen Teil, m it dem er aus baukünstlerischen und bautechnischen Bedenken nicht zusammen gehen k a n n . Den ändern Teil f ö r d e r t er! Und da e r e s aller­

dings für seine Pflicht hält, die aus der Bodenbeschaffenheit gewonnenen, gewissermaßen n a t ü r l i c h e n , e r p r o b t o n Baustoffe den durch die In d u strie i m p o r t i e r t e n , technisch noch nicht erprobten, künstlerisch noch nicht bew ältigten Ersatzstoffen vor­

zuziehen, so kann man im allgemeinen auch sagen: D er H eim at­

schutz sch ü tzt die alteingesessenen Industrien gegen die V e r­

drängung durch m inderw ertige neue Fabrikate. W er da aber meint, bei einem solchen Schutz handle es sich nur um Ge­

fühlswerte, um ästhetische Liebhabereien, der denke an die glücklich überstandene deutsche W e l l b l e c h p e r i o d o . Wie viele Millionen Volksvermögen sind in wenigen Jah ren für W ollblechscheunen, Wellblechbahnhöfe usw. ausgegeben worden, lau ter K apitalsanlagen, die heute, da das W ellblech seine U n­

brauchbarkeit erwiesen hat, wertlos sind. Diese verschleuderten Millionen hätten g e re tte t werden können, wenn schon damals ein starkes H eim atschutzgesetz eine s o l i d e r e Bauweise er­

zwungen hätte.

Das alles sind solche Binsenw ahrheiten, daß ich mich fast scheue, sie hier in Ihrem Kreise vorzutragen. Und doch muß ich es, weil aus unsern Fachkreisen heraus den scheinbar ge­

fährdeten und zu U nrecht behandelten Industrien Helfer er­

standen sind.

Z unächst ein H elfer wider W illen in meinem sehr verehrten Kollegen Professor Seeßelberg. E r hörte die klagenden Stimmen des Tages und forschte ihnen nach und sein G erechtigkeits­

gefühl diktierte ihm seine D enkschrift: „Ueber die in den Ver­

unstaltungsgesetzen liegenden w irtschaftlichen Gefahren für Industrie und H andw erk“.

Nun sollte man meinen, daß schon der Name des Verfassers, der die feinsinnige Studie „Der H eim atschutz als C harakter­

angelegenheit“ geschrieben hat, ihn davor schütze, vor den S tre it­

wagen der Industriellen gegen den H eim atschutz gespannt zu werden. Und doch geschiehts in einer so plumpen W eise, daß sieh der B. D. A. bereits zu einer energischen E rk läru n g gegen diese ihm sehr peinliche A uffassung gezwungen sah. Das H e im a ts c h u tz fe in d lic h e von Seeßelbergs D enkschrift ist der Titel! D ieser böse Titel! „Da haben w irs j a “, sagen diejenigen, die n u r den Titel lesen, vom In h alt aber nichts wissen, noch verstehen, „w irtschaftliche Gefahren — H eim atschutz — quod erat dem onstrandum !“

Die Schrift, geschrieben als anregendes, wegeweisendes M ahnwort für reife nachdenkliche F a c h g e n o s s e n , ist in die

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130 W ochenschrift des Architekten-Vereins za Berlin Sonnabend, 27. Mai 1911 Hände derer gefallen, die vor allem nur das „Nein“ hören 'wollen;

das Schwert, das Seeßolberg für den H eim atschutz schmieden wollte, haben die Feindo an sich gerissen. — Das Unglück ist nicht allzu groß; ein paar klippklare Richtigstellungen worden den Schaden rasch wieder g u t machen.

Viel ernster muß ich eine Schrift auffasson, die H err Regierungs- und B au rat Hasack geschrieben h at und die den Titel führt: „ H e im is c h e D a c h f o r m e n “.

Es is t m ir überaus peinlich, auf diese Schrift näher ein- gelien zu müssen. Am liebsten würde ich stillschweigend über sie hinweggleiten, wenn das noch möglich und erlaubt wäre, wenn sie nicht schon allzuviel Staub aufgewirbelt, a llz u v ie l.

Schaden angerichtet hätte.

Die Schrift hebt an m it dem historisch nicht ganz un­

bedenklichen Satze: „Das hohe Dach is t eine Erfindung der Gotik im 12. Ja h rh u n d e rt“.

Es wird zunächst ausgeführt, daß dieses steile m ittelalter­

liche Dachi welches den damaligen Baum eistern durch das D achdeckungsm aterial aufgenötigt worden sei, für die heutigen V erhältnisse große, praktische, finanzielle und technische N a c h t e i l e habe, die in koinem V erhältnis stehen zu seiner sehr fragw ürdigen baukünstlerischen W irkung. Dem Steildach w ird das f la c h e D a c h gegenübergestellt, das in allen Tonarten gepriesen wird. Allen E rnstes w ird die E inführung des Gebirgs- hauses m it dem flachen Dach als H eilm ittel sowohl für unsere B au­

kunst, als für unsere D achpappenindustrie empfohlen. Das H eft klingt aus wie ein richtiger Dachpapponkatalog m it einer sieghaften aber technisch unrichtigen G egenüberstellung der Kosten von Dachpappo und denen anderer D eckungsarten.

W enn ich das Hasacksche Hohe Lied auf die Dachpappe eine T e n d e n z s c h r i f t nenne, so glaube ich ih r n ich t zu nahe zu tr e te n ; eine Tendenzschrift, die s ic h : an ein bautechnisch wie bauwissenschaftlich vollständig voraussotzungsloses Laien­

publikum wendet. An das Forum seiner F a c h g e n o s s e n dürfte der V erfasser kaum gedacht haben, z. B. wenn er schreibt:

„Sind denn alle B auernhäuser m it hohen Dächern schön?

Diese F rage h at man sich anscheinend noch g ar nicht vor­

gelegt. Das westfälische Bauernhaus z. B. is t nicht schön.

Man vergleiche dam it das bayrische B auernhaus u nter seinem flachen Dach. Dieses is t dagegen die V erkörperung von K u n st und Schönheit. W elchen Reiz würde ganz W estfalen gewinnen, wenn bayrische Bauernhäuser dort ständen. Seine U n t e r a r t e n , die hannoverschen und braunschweigischen B auernhäuser, sind eino Tönung weniger häßlich, dafür aber noch w eitaus nüchterner und nichtssagender. W er fränkische, hessische, schwäbische, rheinische, schlesische Bauernhäuser m it den hohen Dächern kennt, fä h rt durch die herrlichen Gegenden um Braunschw eig und Paderborn m it Bedauern ob der schlimmen B auernhäuser. Sind diese westfälischen B auern­

häuser g ar noch m it halb verw ittertem Stroh eingedeckt, dann g ib t es kaum einen abstoßenderen und ärmlicheren E indruck.“

A ls Beweis für diese vernichtende K ritik des westfälischen B auernhauses brin g t V erfasser die Abbildung eines einzigen, allerdings ausgesucht nichtssagenden und langweilig aufgenom­

menen Bauernhauses des Bückeburgischen Grenzgebiets, aus dem Bauernhausw erk unseres Verbandes. Abb. 122.

Z ur E hren rettu n g des so schlecht zensierten westfälischen Bauernhauses möchte ich Ihnen, soweit sie es noch nicht per­

sönlich kennen und schätzen gelernt haben, noch einige weitere charakteristische Aufnahmen solcher Bauten zeigen, aus denen Sie auch ersehen wollen, daß es in W estfalen etwa vier ziemlich selbständig entwickelte B auernhaustypen von großem archi­

tektonischem Reize gibt. Abb. 128—126.

Verfasser aber sa g t hierzu:

„W er natürlich von Jugend auf diese B auernhäuser um sich gesehen hat, dem sind sie in das Gemüt, in das H eim at­

gefühl hineingewachsen, und er wird nicht zugeben wollen, daß sie unschön aussehen. A ber wenn m an die ähnlichen B auten w eit hinten in der H anakei sieht, wird kein D eutscher einen ändern Eindruck als den der A rm ut und H äßlichkeit erhalten, weil er dort unbefangener urteilen k a n n 1).“

Verfassor sa g t weiterhin:

„Selbst im deutschen V aterlande haben wir weite Ge­

biete, in denen sich das flache Dach e r h a l t e n hat. In den

>) R e d n e r z e ig te a u ß erd em e in e R eih e v o n fa rb e n p rä c h tig e n L u m fö re- A u fn a h m e n n ie d e rs ä c h s is c h e r B a u e rn h ä u s e r a u s H a n n o v e r , B ra u n sc h w e ig , den V ie rla n d e n u sw . um d en S a tz zu w id e rle g e n , d aß d iese „ U n te r a r te n n o ch v ie l n ü c h te r n e r u n d n ic h ts s a g e n d e r “ seie n , a ls die w e stfä lisc h e n B au ten .

bayrischen Alpen, in Tirol, in den Vogesen und der Schwei2 fordern Dachdeckm aterialien, wie die W itterungsverhältnisse, ein flaches Dach für W ohnungen, Scheuern und Ställe.“

Dies wird m it einer Fülle flachgedeckter Bauten aus den Alpen illu striert. Aber ich habe gleichfalls meine Photos durch­

g e b lä tte rt und z. B. sehr viele Schweizerhäuser o h n e flache D ächer gefunden. Abb. 127 und 128, Seite 132,

U nd es war mir interessant, daß mir ein Schweizer K unst- gelehrter schrieb, das flache Dach finde sich vorwiegend in der r o m a n i s c h e n , das steile in den g e r m a n i s c h e n Kantonen.

Derselbe Gelehrte machte mich auch auf Semper aufmerksam, der in seinem „ S til“ das flache Dach der Alpen auf griechisch- römischen Einfluß zurückführt.

V erfasser empfiehlt uns nun allen E rnstes und u n ter Hinweis auf die B auten eines Persius, Schinckel, S track die Einführung der G ebirgshäuser m it flachen Dächern. E r sagt:

„F ür die L andhäuser der V ororte großer Städte sind die hier beigebrachton bayrischen B auernhäuser wirklich recht befolgenswerte Vorbilder. Sie dürften selbst dio ländlichen Bauten der Berliner antiken Schule aus der M itte des vorigen Jah rh u n d erts an Schönheit übertreffen und würden gegen­

über den neuzeitlichen Lösungen solcher L andhäuser durch N atürlichkeit und Selbstverständlichkeit angenehm in die Augen fallen.“ Abb. 129, Seite 132.

A n eine V o l k s k u n s t glaubt V erfasser überhaupt nicht.

E r belehrt uns:

„Die künstlerischen- Schöpfungen der bayrischen, frän­

kischen, schwäbischen, hessischen und rheinischen B auern­

häuser sind nicht „V olkskunst“. Das, was jedes K ünstlers Herz höher schlagen läßt, is t K u n st vom K ünstler. Vom gelernten M eister seiner K unst stam m t das Schöne, welches die vergangenen Jahrhunderte uns hinterlassen haben. Und n u r unsere Z eit is t nichtsahnend genug, zu glauben, daß all diese „V olkskunst“ aus der Magd und dem Knechte horaus- gewachsen sei. — Jeder B alluster der Holzumgänge beweist, daß ausgebildete A rchitekten diese H äuser gezeichnet haben.“

Verfassers Kronzeuge für diese ungewöhnliche A uffassung ist das bekannte W erk: B auernhäuser aus Oberbayern von A ufleger und Halm, dessen Vorrede Seite auf, Seite ab diese für die K u n st unserer Tage so verderbliche Meinung über V olkskunst bekämpfen und widerlegen s o ll.

Auch ich habe diese Vorrede durchstudiert. Z n r E hren­

re ttu n g A uflegers sei gesagt, daß er nicht die bodenständige Z im m erm annsarchitektur, sondern n u r die M a l e r e i e n an den H äusern im A uge hat, wenn er von der A rbeit des K ü n s t l e r s spricht. A ufleger sag t im V orw ort:

„Meist waren diese Malereien einfach und naiv, so g u t sie eben die Bauernm aler zu machen verstanden. Oft aber begegnet man auch H äusern, welche durch den Pinsel eines geschickten K ünstlers verziert sind.“

Auch an die B odenständigkeit der B aukunst glaubt V er­

fasser nicht. E r sag t:

„Man begegnet häufig den Schilderungen, daß gerade dieser oder jen er Stil, diese oder jene Dachform in eine L and­

schaft hineinpasse, eine andere nicht. — Auch das ist irrig.

Jedes Gebäude und insbesondere jedes B auernhaus paßt in die Landschaft, wenn es nur vom K ünstler gezeichnet ist.

D as bleibt der springende P unkt! Das K unstw erk stam m t vom K ü n stler.“

Dieser A uffassung stelle ich einen Satz aus demselben Kronzeugen A ufleger entgegen, der m ir besonders eindringlich

| das W esen der H eim atkunst zu zeichnen scheint:

„Fassen w ir nun nach B etrachtung der B ildung und A usgestaltung des bayrisch-tirolischen H auses alles zusammen, so wird es k la r ersichtlich, daß nicht W illkür und Laune ihm diese G estalt gegeben, sondern daß eine N a t u r n o t ­ w e n d i g k e i t das formbildende Elem ent war. E s is t nicht m in d e r eine F ru c h t des Bodens, der Sonne, des Regens und des Schnees als die S t a m m e s r i e s e n , aus denen es ge­

zimmert ist. W ie wenn es sich vor nahendem Sturm e nieder­

ducken w ollte, lieg t es vor uns m it dem flachen Dache;

nieder is t die Tür, klein die F enster, daß die winterliche K älte, die brütende H itze des Sommers nicht Eingang finde.

Und das Ganze um rahm t von der herrlichsten N atur, den grünen M atten, den saftigen W eiden, dem Dunkel der W älder und den Schroffen der B ergketten — ein Bild trotziger K raft und doch zugleich gottvertrauenden F riedens.“

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Nr. 21. VI. Jahrgang W ochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 131

A bb. 123. B a u e rn h a u s in W e s tfa le n A bb. 124. B a u e rn b a u s in W e s tfa le n

A bb. 125. B a u e rn h a u s im H e rz o g tu m W e stfa le n Abb. 126. B a u e rn h a u s in W e s tfa le n

H err Hasack aber rä t uns:

„Vielleicht versuchen es Bauherren wie Baum eister ein­

mal m it diesen herrlichen V orbildern aus Bayern, die für den W ohlstand, die Bildung und das künstlerische Können der Bevölkerung Bayerns ein glänzendes Zeugnis ablegen.“

N icht weniger als dreimal sag t H err H asack, der Heimat- sehutz wolle m i t t e l s S t a a t s g e w a l t die flachen Dächer ver­

tilgen und die „U ntertanen“ zwingen, steile D ächer zu bauen.

Ich habe vergebens nachgeforscht, in welchem K unstschutz­

gesetz die S taatsgew alt eine so törichte S tellung einnimmt.

Vielleicht te ilt es H err Hasack der Oeffentlichkeit noch mit.

Ich werde der erste sein, der g e g e n dieses Gesetz vorgeht.

Um aber die Schädlichkeit unserer Heim atsehutz-Gesetz- gebung in ihrer ganzen V erw erflichkeit zu beweisen, und um

A bb. 122. B a u e rn h a u s in N eesen, K re is M inden

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132 Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin Sonnabend, 27. Mai 1911

Abb. 128. S c h w e ize rh a u s m it hohem D a ch

zugleich trium phierend zu zeigen, wie man sich ihrer doch e r­

folgreich erwehren könne, wird der F all des G i m r i t z e r K u h ­ s t a l l s auf 22 Seiten der B roschüre ausführlich behandelt. Ich weiß nicht, ob der F all hier bekannt ist:

Nahe bei H alle an der Saale ste h t ein alter Gutshof Gimritz.

Das S tadtbauam t Halle wollte dort an Stelle eines alten Stalles einen neuen bauen, den der H eim atschutz, in diesem Falle ver­

tre te n durch den H aller Gewerbe-Verein (Kollege Wolff an der Spitze) für eine V e r u n s t a l t u n g hielt. Eine Zusam m enstellung von G utachten erster deutscher K ünstler bestätigte diese A uf­

fassung. D arauf untersagte der O berpräsident den W eiterbau. Die S tad t Halle beruhigte sich aber dabei nicht, sondern verklagte den Oberpräsidenten vor dem O berverw altungsgericht, und das O berverw altungsgericht entschied g e g e n den Oberpräsidenten!

D er K uhstall von Gimritz durfte gebaut werden, wie ihn das B au­

am t Halle geträum t, m it Pappdach und ledergelben Verblendern.

M. H.! Bei der hohen Bedeutung, die der H err Verfasser diesem Falle beimißt, h ätte er nach meiner A uffassung auch die erläuternden Illustrationen bringen sollen. Ich erlaube mir, das Versäum te nachzuholen: Abb. 130— 133.

W as beweist dieser Fall? Doch wohl nur, daß unser V er­

unstaltungsgesetz so zahm und schwach ist, daß es einem ern st­

haften W iderspruche gegenüber machtlos versagt; eine E r ­ fahrung, die auch mich in meinem Arbeitsgebiete län g st zu einer T aktik höflichen Umgehens und Ausweichens veranlaßt h a t;

und zum ändern, daß daher um so m ehr ein energischer Heimat­

schutz n o ttu t, solange noch ein Fall Gimritz m ö g lic h ist. i

A bb. 129. H a u s a u s O b erb ay o rn

M. H.! Ich muß dem Gefühle aufrichtiger T rauer A us­

druck geben, und ich bin mir bewußt, dies im Namen vieler ernster deutscher Männer zu tu n ; — der T rauer darüber, d aß d ie s e S c h r i f t e r s c h e i n e n k o n n t e , und daß sie aus der M itte u n s e r e s Standes heraus erscheinen konnte. G urlitt und Mielke haben diesen Gefühlen bereits durch energische Gegenwehr in der Presse deutlichen A usdruck verliehen. Ich glaube nicht, daß H err B aurat H asack sich klar darüber war, wieviel ehrliche, heilsame, notwendige A rbeit der letzten zehn Ja h re er m it seiner Schrift gefährdet, geradezu in F rage stellt.

E r h ä tte sonst vielleicht sein H eft nicht geschrieben, dieses Heft, das uns H eim atschutzleuten je tz t überall höhnisch ent­

gegengestreckt wird, wo immer w ir im Namen der Schönheit unseres V aterlandes auf Posten stehen.

M. H.! Man tu t der Industrie keinen guten D ienst, wenn man sie in ihrem rücksichtslosen D raufgängertum b e stä rk t und u n terstü tzt.

B esser meinen es d ie m it ihr, die ihr als künstlerische B erater zur Seite treten und ihr zeigen, wie sie ihren tech­

nischen Aufgaben auch ästhetisch gerecht werden können.

Die G ranitwerke z. B., noch vor kurzem m it ihren schwarzen P oliturw aren der Ruin unserer Friedhöfe, sie haben sich eines besseren besonnen, haben in dem A rchitekten Fuchs-M ünchen einen klugen Geschäftsführer gefunden, und wir lesen je tz t m it G enugtuung von einem W ettbewerb zur E rlangung m aterial­

gerechter G ranitgrabsteine, den der Verband D eutscher G ranit­

schleifereien ausgeschrieben hat.

A bb. 127. H o h es H a u s zu W olfen sch lo ß en

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Nr. 21. YI. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zn Berlin 133

Abb. 132. G u t G im ritz b. H a lle . Z u s ta n d v o r dem N eu b au des S ta lle s

H err O berbaurat Schm idt-Dresden h a t eine Reihe unserer ersten A rchitekten aufgefordert, Entw ürfe unter dem Gesichts­

p u n k t künstlerischer Verw endung des Pappdachs zu liefern.

E r selbst geht ihnen in Sachsen m it gutem Beispiel voran.

Das is t positive Förderung der Industrie! W obei aber noch zu sagen ist, daß es eigentlich Sache der D a c h p a p p e - I n ­ d u s t r i e wäre, die K ünstler einzuladen und den Beweis für die B ildungsfähigkeit ihres F ab rik ats zu erbringen. Denn schließ­

lich haben doch n ich t wTir zu kaufen, was die Industrie uns anbietet, sondern die Industrie h a t das zu fabrizieren, wTas uns, den Abnehmern, gefällt. So is t es doch überall in Handel und W andel!

M. H.! Ich muß zum Schlüsse kommen; lassen Sie mich als solchen einige re ch t eindringliche B itten aussprechen:

Ich habe gelesen, daß Sie einen Ausschuß einberufen haben, der über eine M ilderung des V erunstaltungsgesetzes beraten

A bb. 133. G u t G im ritz b. H a lle . Z u s ta n d v o r dem N eu b au des S ta lle s

soll. Rühren Sie b itte je tz t n i c h t an dieses Gesetz, dessen Schädlichkeit noch in keinem einzigen Falle nachgewiesen is t;

lassen Sie sich n i c h t einschüchtern durch das geschickt in­

szenierte W ehegoheul derer, die um jeden P reis Geld verdienen wollen; verfallen Sie n ich t aus m ißverstandenem G erechtigkeits­

gefühl in den alten deutschen Fehler, den Seeßelborg so treffend kennzeichnet (H eim atschutz als Charakterangelegenheit):

„Das is t das alte Grundübel der D eutschen, sich sofort ab­

lehnend oder g a r höhnisch gegen eine Bewegung zu verhalten, m it der man nicht gleich völlig im Einklang is t.“

Sondern, m. H.! arbeiten Sie m it! lernen Sie die H eim at­

schutzaufgaben und die N ot des Landes kennen; helfen Sie retten, was noch zu re tte n ist, helfen Sie das Publikum auf­

rü tteln , aufklären, die H andw erker erziehen, die Schulen ver-

; bessern, die K ünstler heranholen, die In d u strie veredeln, — : m itarbeiten, meine H erren! m itarbeiten! und nicht verneinen!!

A bb. 130. G u t G im ritz. D e r vom S ta d tb a u a m t H a lle a u fg e ste llte , vom H o im a tsch u tz b ekilm pfte E n t w u r f zum N eu b au des S ta lle s

A bb. 131. G u t G im ritz. D e r vom S ta d tb a u a m t H a lle a u f G ru n d d e r o b e rv e r- w a ltu n g s g e rlc k tllc h e n E n ts c h e id u n g z u r A u sfü h ru n g g e b ra c h te N eu b au des S ta lle s

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A bb.. £&lt;2 Wochenschrift des Architekten-Verehis zu Berlin Sonnabend, 11. ländliche K unst saniert -werden soll noch bevor die städtischen dann aber diese

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