Der Nordapennin and die Westkarpathen,
eine morphologische Parallele
von
Dr. L u d o m i r R. v. S a w i c k i
(M it 2 F ig u ren im T exte)
Der Nordapennin und die Westkarpathen,
eine morphologische Parallele .
von
Dr. L u d o m i r R. v. S a w i c k i
(M it 2 F iguren im T exte)
Institut für Deutsche Ostarbeit
Krakau, Annagass« 12 Sektion Rasssn- u Voikstumsforschung
1818030001
Der Nordapennin und die W estkarpathen, eine morphologische Parallele
V o n Dr. Ludoniir 1t. v. S aw icki
(M it 2 T extfiguren.)
Seit langem schon w ar die große Ä hnlichkeit des Apenninen- gebirges und der K arpathen den Geographen und Geologen auf
gefallen. Ich hatte Gelegenheit, einige und zwar typische Teile beider G ebirge eingehend in m orphologischer H insicht zu stu
dieren und bin m ir dieser bis ins Detail gehenden Ä hnlichkeit der beiden Gebirgsbogen ganz besonders k lar gew orden; wenn ich sie, gestützt auf meine speziellen U ntersuchungen, auf die ich bezüglich genauerer Nachweise ein- für allemal verweisen möchte,1) im folgenden, natürlich auch m it genügender Betonung der U nter
schiede, skizzieren möchte, so geschieht es einerseits, um einen kleinen Beitrag zu liefern zu dem Gedanken, den D e M a r t o n n e 2) auf dem IX . Internationalen Geographenkongreß in Genf aus
sprach, man könnte durch genaue Vergleiche vielleicht zur Auf
stellung von typischen Form enkom plexen au f der Erdoberfläche gelangen, andererseits um ein neues L icht zu werfen au f das morphologische A lter der drei H auptgebirge Mitteleuropas, der Alpen, des Apennin und der K arpathen.
x) S a w i c k i L., P h y sio g ra p h isch e S tu d ien aus den w estgalizischen K ar
path en . G eogr. J a h rb u c h f. ö s te rr. 1908, 67— 96. — S a w i c k i L., Z fizyografii zachodnich K a rp at. A rchiw um naukow e, Lw ow 1909 (im D ruck). — S a w i c k i L ., Skizze des slow akischen K a rstes etc. Kosmos, Lw ow 1908, 395—445. — S a w i c k i L., U n viag g io di studio m orfologico p e r l ’I ta lia S e tte n trio n a le . Riv.
Geogr. Ital. 1909, 1—27. — S a w i c k i L., E in m orphologisches Profil durch den N o rd a p en n in (im D ruck). — S a w i c k i L., Podroz m orfologiczna po pölnocnych W loszech. Kosmos 1909 (im D ruck). — S a w i c k i L., D ie jü n g e re n K ru s te n b ew eg u n g en in den K a rp ath e n . M ittig , d. Geolog. Ges. in W ien, 1909 (im D ruck).
2) D e M a r t o n n e E ., S u r la p ö sitio n sy stem atiq u e de la chaitie des K arp ath es. C om m unication a u Congres in te rn a t. de G eogr. a G en ev e 1908.
Die K arpathen und der Apennin gehören beide zu dem ge
waltigen Faltengürtel,1 zu dem riesigen Gebirgssystem , das, ein
geklemm t zwischen die nordeuropäisch-sibirische Tafel, die m it dem nordw esteuropäischen Schollenlande eine große E inheit bildet, und die afrikanisch-dekhanische P latte, an der Stelle eines uralten M ittelmeeres (der Thetys), das die Hohlform einer gewaltigen Geosynkline ausfüllte, em portauchte, emporgefaltet u nd empor
gehoben wurde. E s sind gleichsam zwei abirrende Zweige des komplexen, m editerranen Gebirgsbogens. Die K arpathen lösen sich vom Nord.rande des H auptstam m es ab, um ihn nach m äch
tigem, einheitlich und sicher geschwungenem Bogen w ieder zu erreichen, die A penninen zweigen am S üdrande ab, schlagen einen scharfgekrüm m ten, gegen N E konvexen Bogen gegen Süden ein, um mit sizilianischen, nordafrikanischen und südspanischen G ebirgstrüm m ern den bekannten sekundären, w estm editerranen G ebirgsring zu bilden.
Beide G ebirge sind typische Faltengebirge, deren F alten w urf ebenso wie die K onvexität gegen N orden gerichtet ist und stellenweise einer typischen S chuppenstruktur, andererseits einer K erngebirgsstruktur P latz macht. W äh ren d die Außenzone sich mit einer m anchmal bis zur Ü berschiebung gesteigerten Intensität auf das Vorland drängt, brechen an der Innenseite im H in ter
lande gewaltige P artien der Oberfläche ein und schaffen hier wie dort eine typische Beckenlandschaft. N icht n u r tektonisch und strukturell ist gerade dieser Gegensatz des in langgezogene F alten gedehnten, monotonen Flyschgebirges und der polygenen, aus isolierten Kesseln und K erngebirgen zusamm engesetzten Innen
zone bezeichnend, sondern auch landschaftlich, morphologisch: dort sehen wir vor uns ein langgezogenes, aus dem ewig wechselnden und doch recht einheitlichen und m onotonen'F lyschm ateriale auf
gebautes K ettengebirge, hier eine m annigfaltige, wie ein Mosaik aus verschiedenartigstem kristallinem und sedim entärem M ateriale aufgebaute Beckenlandschaft.
Die Analogien in der Evolution und A usbildung des Reliefs beider Landschaftstypen sind sehr w eitgehende und w erden aus einer kurzen Ü bersicht des Form enschatzes, die w ir an einem schematischen D urchschnitte der beiden G ebirge in den G rund
zügen leicht kennen lernen können, k la r hervorgehen.
D ie W e s t k a r p a t h e n (Fig. 1): Die äußerste Zone der F lyschkarpathen bildet eine ganz gewaltige Einebnungsfläche, hier
von 300— 400 m Höhe, die die kom plizierte Schuppenstruktur des tektonischen Reliefs scharf abschneidet, von einigen niedrigen, durch größere W iderstandsfähigkeit des M aterials bedingten Monad- nocks überragt w ird und sich in den breiten Rückenflächen und E benheiten in der Höhe k lar rekonstruieren läßt. Dieses Niveau setzt sich gegen Süden im B erglande in Form b reiter und hoch
gelegener F lußterrassen fort, au f denen T atraschotter liegen und die endlich in eine F ußebene am N ordrande der T atra auslaufen.
U ber dieses einheitliche Einebnungsniveau erhebt sich eine große Anzahl von Inselbergen, die nicht abgetragenen Reste eines höheren Niveaus, die stehengebliebenen Zeugen alter W asserscheiden. Nicht nur das höhere Niveau w urde durch die T errassenlandschaft zer
schnitten, sondern ebenso auch diese von jüngeren T äle ra zerteilt, die unter das untere Niveau noch 150—200 m herabgehen. Aus den Einebnungsform en dieser drei Z yklen und den dazugehörigen V erschneidungs- und Übergangsform en setzt sich der Form en
schatz des w estkarpathischen Flyschgebirges zusammen.
Die zwei jüngeren Z yklen w urden veranlaßt durch H ebu n
gen und Schiefstellungen von verschiedenem Ausm aße und mit lokalen Einbiegungen. Ih r A lter ist sicher miozän und erst die allgemeine Aufwölbung der K arpathen nach der Transgression des Tortonien ist jün ger, sarmatisch.
A uf den Einebnungsflächen ging ein konsequentes, aus ein
zelnen m ehr oder weniger parallelen Strängen bestehendes h ydro
graphisches Netz nach Norden. V eränderungen in diesem T a l
netze, das nur selten eine A bhängigkeit von der tektonischen S tru k tu r verrät, bew irkten die posttortonischen, vorhin erw ähnten Einbiegungen, so die A blenkung des Oberlaufes der U r-Skaw a und U r-Raba zum D unajec; mit denselben Einbiegungen steht die Ge
nesis von D enudationsdurchbrüchen und subsequenten D enudations
tiefenlinien im Zusam m enhänge. Die m arine Tortonientransgres- sion, welche die B erglandschaft in eine Insellandschaft um w an
delte und die T äler verschüttete, w ar nur eine kurze und morpho
logisch nicht sehr bedeutsam e Episode in der Evolution des Reliefs des westgalizischen Flyschgebirges.
K onsequent-antezedente Täler führen uns in die zentrale Beckenlandschaft, die sich zusammensetzt aus einer Reihe wohl und hoch umwallter Becken, die meist durch m ehrfache K rusten
bewegungen entstanden sind, zum Teile zugeschüttet wurden, die Gewässer in einem zentralen Netze sammeln und H auptadern
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zuführen, welche die die Becken trennenden K erngebirge in ante
zedenten D urchbrüchen queren und die hydrographischen Einzel
systeme der Becken zu großen einheitlichen Systemen zusammen
schweißen. D as jugendliche A lter der B eckenbildung ergibt sich aus den Dislokationen ju n g er A blagerungen und noch nicht b e
endeten Käm pfen um W asserscheiden.
D e r N o r d a p e n n i n (Fig. 2): D er A ußenrand w ird gebildet von einer pliozänen, gehobenen Küstenebene, deren C harakter aus den fast ungestörten, schwach nordfallenden Tonablagerungen des Pliozän erhellt, an die sich D eltabildungen und schließlich ein heute herauspräpariertes G ipsband anschließen; diese Bildungen w urden gehoben und dann von konsequenten und insequenten Flüssen und Bächen zertalt, aber nicht gefaltet.
D aran schließt sich im Süden das miozäne B ergland, dessen H öhen die unzweifelhaften Spuren einer senilen L andschaft auf
weisen, die zur pliozänen Strandebene gehörten, also auch plio
zänen A lters sind: eine jungpliozäne oder postpliozäne Hebung der L andschaft hatte die Z ertalung derselben, verbunden mit T e r
rassenbildung, zur Folge, wobei die letzten Erosionsphasen so jugendlich sind, daß die Nebentäler, die in der Eintiefungsarbeit nicht mit den H aupttälern gleichen Schritt halten konnten, heute noch mit Stufenm ündungen und W asserfällen das H aupttal er
reichen.
D as eozäne B ergland des Hauptapennin, das hierauf gegen Süden in bedeutender Breite folgt, hat ganz ausschließlich ju g en d liche Form en, sowohl die senilen Form en in der Höhe wie die Terrassenlandschaft in den T älern sind hier gänzlich verschw un
den, jugendliche Form en der B erge sowie Schluchten sind an ihre Stelle getreten. N ur das A uftreten der Weichen w iderstands
losen K reidem ergel verursacht die A usbildung von reifen D enu
dationsbecken und D enudationsdurchbrüchen.
A uf der Südseite des H auptkam m es dehnt sich die schöne B eckenlandschaft des zentralen Apennin aus, deren Teilbecken im Präpliozän eingebrochen, im Pliozän zugeschüttet und im Ju n g pliozän oder Postplioz'än nochmals eingebogen w urden. Die neuen A bdachungen ließen ein typisch zentripetales Entw ässerungsnetz in jedem Becken zur A usbildung kommen, das m it der Zeit und mit einer von der Höhenlage des Beckens abhängigen Intensi
tät eine verschieden weit gediehene Z erschneidung der Becken- zuschüttung, m eist in m ehreren Etappen, bew irkte. Antezedent
konsequente F lu ßdurchb rüche schmieden dann die einzelnen T eil
netze der Becken zu großen einheitlichen hydrographischen Systemen zusammen. Die zwei H auptzyklen, die w ir in den tek tonischen Bew egungen bei der Beckenbildung begründ et und in der Zerschneidung der B eckenzuschüttung erkennbar finden, können w ir auch in der Entw icklungsgeschichte der Form en der Becken- umwallung nachweisen.
U nd nun ergeben sich aus den oben angeführten aphoristi
schen Skizzen nicht uninteressante allgemeine Sätze:
D er A u ß e n g ü r t e l sowohl der K arpathen wie des Apennin hat vielfach eine E i n e b n u n g d e s t e k t o n i s c h e n R e l i e f s e r
fahren; die so entstandenen greisenhaften oder reifen E inebnungs
formen unterlagen dann einer m ehrm aligen Zerschneidung, die immer hervorgerufen w urde durch eine Tieferlegung der Erosions
basis, die w ir meist einer positiven H ebung des Landes, ju g en d lichen Krustenbew egungen, zuschreiben müssen. So erkennen w ir im heutigen L andschaftsbilde und seinem Form enschatze eine Reihe von Form ensystem en, die verschieden alten Einebnungs
und Erosionsphasen entstam men, deren E ntw icklung dann u n ter
brochen w urde, um neuen jugendlichen, sie zerstörenden F orm en
reihen Platz zu machen.
D er Außenbogen stellt hier wie dort eine im allgemeinen einheitliche und gleichartige A bdachung gegen N orden dar, auf der sich eine konsequente, sie eben zerschneidende H y d r o g r a p h i e entwickelte. Auch die E ntw icklung dieses G ew ässer
netzes erfolgte in m ehreren E tappen, gelangte dabei zu verschie
denen A lterszuständen und paßte sich so den strukturellen und H ärtebedingungen der Schichten an, wobei manchmal auch eine V erschiebung der W asserscheiden stattfand. Die Flußsystem e sind ganz einfach, symmetrisch, gleichm äßig entw ickelt und einander parallel angeordnet; sie streben hier wie dort konsequent einer alten K üste zu. D abei erscheinen die morphologischen Elem ente ganz regelm äßig zonal angeordnet in Streifen, die parallel laufen zur alten K üste und die auch zusammenfallen m it dem Verlaufe verschieden alter und verschieden w iderstandsfähiger Schichten;
die z o n a le A n o r d n u n g der Landschaften und der m orphologi
schen E igentüm lichkeiten ist außerordentlich bezeichnend für den Außenbogen.
Endlich w urde dieser Außenbogen sowohl bei den K arpathen wie beim Apennin einige Male von j ü n g e r e n K r u s t e n b e w e g u n
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g e n erfaßt, die der H auptfaltnng erst spät nachfolgten und die erst das G ebirge zu der Höhe emporhoben, in der w ir es heute antreffen. D urch sie w urde die A usbildung des Reliefs der beiden G ebirge veranlaßt; denn die durch sie bew irkte V erschiebung der Erosionsbasis spiegelte sich in der jedesm aligen Zertalung der L andschaft w ieder, die desto jugendlicher und reicher gegliedert w urde, je intensiver und jü n g e r die K rustenbew egungen waren.
D as z e n t r a l e B e r g l a n d hat hier wie dort durch zahlreiche, m eist in zwei E tappen erfolgte autom orphe und hetoromorphe, lokale K rustenbew egungen das Aussehen einer typischen B ecken
landschaft erhalten. H insichtlich der Schönheit und K larheit dieser B eckenlandschaft können die K arpathen und der Apennin m it
einander rivalisieren. In Bezug a u f die Großformen und die all
gemeinen Z üge herrscht bei beiden eine große Ä hnlichkeit. Die B ecken m it ebenen, zugeschütteten Böden w erden dicht von der hohen Um wallung um schlossen; den neuen, durch den E inbruch d er B ecken entstandenen A bdachungen m ußte sich das Netz der schw ächeren G ew ässer in zentripetaler E ntw icklung anpassen.
G eeinigt in großen, zentralen A dern, konnte das W asser dann die U m rahm ung meist in antezedenten T alstrecken durchbrechen, oft an gerade rech t hohen Stellen der U m rahm ung. Diese D u rch brüche zeichnen sich durch eingesenkte M äander, U nabhängigkeit vom Verlaufe der Schichten und Höhen, durch M ündungen zweier F lüsse im D urchbruche, die sich leichter in den Becken, aus denen beide kommen, hätten vereinigen können, und oft durch hochgelegene, alte Talböden aus. D urch diese D urchbrüche werden die einzelnen zentralisierten, hydrographischen Netze der Becken zu einer größeren kom plexen, inhomogenen E inheit zusammen
geschlossen.
An die zentrale Beckenlandschaft schließt sich endlich in den K arpathen und ebenso im Apennin eine V u l k a n l a n d s c h a f t , ein V ulkanring, an, der am Innenrande der K arpaten viel ge
w altiger ist als am Innenrande des Apennin und dort aus einer Reihe m iteinander verschm olzener, ausgedehnter G ebirge besteht.
D ie V ulkanausbrüche sind hier wie dort jü n g er als die H aupt
faltung und stehen in innigem und kausalem Zusam m enhänge mit den jüngeren K rustenbew egungen, welche die beiden G ebirge en bloc em portrieben; w ir w erden dies verstehen, wenn w ir zu
geben, daß die H auptfaltung und Ü berfaltung der beiden Gebirge in großen Tiefen stattfand, wo der gewaltige D ruck der über
lastenden, m ächtigen G esteinskruste dem Magma keinen Ausweg gestattete, w ährend bei den oberflächlicheren, jüngeren K rusten
bew egungen genügende D ruckdifferenzen entstehen konnten, daß an den Stellen lokaler D ruckentlastung das M agma em pordrang.
Das w ar regelm äßig dort der F all, wo an die G ebirgsland
schaft der K arpathen und des Apennin die g r o ß e n z e n t r a l e n K e s s e l sich anschlossen, die bis in die allerjüngste Zeit hier wie dort noch einsinken. Beim A pennin w urde diese m ächtige ein
gesunkene Scholle Landes, die T yrrhenis, vom Meere ingrediert und noch nicht zugeschüttet. D as Alföld am Innenrande des K a r
pathenbogens w urde, nachdem die Meere es verlassen hatten, von gewaltigen fluviatilen und äolischen Bildungen zugeschüttet.
W ir finden es ganz natürlich, daß eine so weitgehende Ä hn lichkeit der großen morphologischen Z üge auch große Analogien in anthropogeographischer H insicht in der V erteilung der Bevöl
kerung, in der A nlage der Siedlungen und in der ökonomischen A usw ertung der L ebensbedingungen zur Folge haben mußte. So
wohl in den W estkarpathen wie im Nordapennin können w ir in dieser H insicht folgende ganz allgemeine Sätze aufstellen:
a) In der stark eingeebneten äußeren Zone sammelt sich das Gros der B evölkerung a u f den sanft undulierten F lächen der Höhenregion an und lebt hauptsächlich vom A ckerbau, dem der fruchtbare, ebene Boden sehr günstig ist. A n den Flüssen dagegen werden Handels- und Um tauschplätze m it überw iegend kaufm ännischer und kleingew erblicher B evölkerung angelegt.
b) In der stark zertalten, jugendlichen Zone der B ergland
schaft des Apennin und der K arpathen w erden die Täler zu außer
ordentlich m arkanten Leitlinien für die A nlage der Siedlungen, die in A nbetracht der häufigen und reißenden Ü berschw em m ungen der Gebirgsw ässer besonders die T errassen aufsuchen. D a selbst eine intensive Forstw irtschaft der stark bew aldeten B ergrücken den geringen E rw erb aus dem spärlichen A ckerbaue nicht w ett
machen kann, ist ein Teil der B evölkerung gezwungen, sich den L ebensunterhalt in der w eiteren F rem d e oder in der fruchtbaren Ebene des Vorlandes zu suchen, was dauernde oder periodische A usw anderungen veranlaßt, oder durch H ausindustrie zu v er
dienen. Die vom W alde dunklen und jugendlich steilen, inter- fluvialen R ücken sind siedlungsleer, m enschenarm .
c) In der inneren Zone der zentralen Beckenlandschaft ist der orograpliische, floristische und klimatische Gegensatz zwischen
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den Akkum nlationsebenen der B ecken und den stark zergliederten und zertalten Um wallungen das m aßgebende Moment für die V er
teilung der B evölkerung und die Lebensweise. In den Becken versorgt eine kommerzielle, zentrale Siedlung, die meist auch ein K notenpunkt des V erkehres und der Kom m unikationsm ittel, eine Zentralstelle des Geldumlaufes, des U nterrichtes und der A d m inistration ist, eine Reihe von R andsiedlungen, deren C harakter überw iegend bäuerlich ist und deren Existenz a u f der großen R entabilität des A ckerbaues in der Beckenebene beruht. Die ge
birgige, w aldreiche U m w allung dient der F orstkultu r, ist menschen
arm und w ird w irtschaftlich und oft auch politisch vollständig von der Beckenbevölkerung beherrscht. A u f die klimatischen und floristischen, in beiden G ebirgen analogen Gegensätze zwischen Becken und Um wallung will ich hier nicht näher eingehen.
Im V erhältnisse zu dieser frappanten Ä hnlichkeit der W est
karpathen un d des K ordapennin spielen die m o r p h o l o g i s c h e n U n t e r s c h i e d e eine allerdings etwas untergeordnete, aber meist sehr bezeichnende Rolle und sind für den Morphologen nicht m inder interessant wie die Analogien. Sie beruhen vor allem auf dem verschiedenen geologischen und morphologischen A lter der Form en und dann au f der durch die Differenzen des m editer
ranen und des m itteleuropäischen Klimas bedingten, etwas ge
änderten W irkungsw eise der D enudationsvorgänge.
W as das g e o l o g is c h e A l t e r der Form en anbelangt, so ist man zw ar heute der Ansicht, daß die H auptfaltung und U b er
faltung der K arpathen sowohl wie des Apennin in gleicher W eise etw a an die G renze von Paläogen und Neogen zu setzen sind, daß sie in beiden G ebirgen also ungefähr gleich alt sind. Aber w ir wissen auch — und ich habe dies schon oben betont —, daß diese H auptfaltung nicht das heutige Aussehen, die heutige Höhe der beiden G ebirge hervorzubringen im stande war, sondern daß diese erst den jüngeren K rustenbew egungen en bloc zu danken sind. D e r wohl einfachere F alten w u rf der apenninischen Flysch- zone und der kom pliziertere F alten w u rf der karpathischen Flysch- zone sind fü r die Großformen der beiden G ebirge ohne Einfluß geblieben. D agegen muß betont werden, daß gerade die morpho
logisch so bedeutsam en jüngeren Bewegungen in den W e stk a r
pathen vorw iegend miozänen, zum Teile noch sarmatischen Alters sind, dagegen im Nordapennin erst im Jungpliozän und noch später vor sich gingen. D aher sind auch die Zyklen, die durch
die K rustenbew egungen hervorgerufen wurden, in den K arpathen viel älter als im Apennin.
E s ist daher ganz selbstverständlich, daß auch das m o r p h o l o g i s c h e A l t e r des w estkarpathischen Form enschatzes sich von dem des nordapenninischen unterscheidet: jenes ist älter. A ller
dings sind die Einebnungsflächen in den K arpathen wohl besser erhalten als im Apennin; aber das hängt m it der intensiveren Ausbildung derselben in den K arpathen zusammen und nicht etwa mit einer größeren Jug en d ; es ist auch der karpathische paläogene Flysch etwas w iderstandsfähiger als der miozäne Sandstein und pliozäne Ton des Apennin. A ber sowohl die Bergform en, die Rücken, wie die Talform en und Terrassen sind im Nordapennin viel schärfer, jugendlicher und frischer als in den K arpathen; ja die V erjüngung der apenninischen T äler ist so neu, daß die Neben
bäche sie meist noch nicht beenden konnten und in ganz respek
tablen, 20 —40 m hohen Stufenm ündungen und W asserfällen oder in schönen M ündungsklam m en das H aupttal erreichen; in den westlichen F lyschkarpathen kom mt eine solche ungleichsohlige Mündungsform ebenso wie etwa ein W asserfall und eine Klam m durchaus nicht vor.
Auch die B e c k e n b i l d u n g des Apennin ging noch nach der ersten präpliozänen Anlage im Postpliozän w eiter vor sich, daher sind hier die Zuschüttungsform en noch frisch, wenig alte- riert, überragen, selbst wenn sie schon zerschnitten w urden, die Täler in Form tafelglatter Flächen und T errassen. In den K a r
pathen begann die B eckenbildung schon im Miozän und w ar jedenfalls im Ju n g tertiär schon ganz beendet. H ier haben sich auch keine ursprünglichen A kkum ulationsform en m ehr erhalten, die Terrassen sind unscharf, die P latten zwischen den T älern in zugerundete Riedel umgewandelt.
Endlich ist auch das Phänom en des V u l k a n i s m u s im Apennin viel jü n g er als in den K arpathen. D ort dauert es, wie bekannt, noch heute an; ganz junge, frische Kegelformen, u n berührte Lavaström e, die im mer noch von neuem hervorquellen, noch dampfende Solfataren, Fum arolen und Mofetten machen ge
rade den Innenrand des Apennin zur Schule der europäischen Vulkanologen. In den W estkarpathen ist der Vulkanism us längst erstorben, die H aupteruptionsphase w ar miozän, interm editerran;
daher sind hier alle Form en schon stark abgetragen, Kegel zertalt, zerschnitten, in R ücken umgewandelt, die die Urform
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oft kaum m ehr ahnen lassen, L avadecken zerrissen und weg- getragen. Ü berall herrscht das Gesetz der W iderstandsfähigkeit des M aterials: was lose ist und weich (viele Tuffe und viel zer
setztes M aterial), w ird abgetragen und bildet Tiefenlinien, Hohl
formen; was h art ist (besonders Ganggesteine, Vulkanhälse, Laven und verfestigte Tuffe), bildet die B erge und R ücken, die Vollformen.
K urz, das verschiedene geologische und m orphologische A lter des Vulkanism us im A pennin und in den K arpathen äußert sich darin, daß dort die Akkum ulationsform en, die ursprünglichen Formen, herrschen, hier die Denudationsform en, die ausgearbeiteten Formen.
E ben wegen ih rer größeren Jugend und Frische ist uns die G e s c h i c h t e d e r m o r p h o l o g i s c h e n E v o l u t i o n beim Apennin v i e l k l a r e r und sicherer zu entziffern als bei den Karpathen.
D azu kom m t noch, daß das Meer in jü n g ster Zeit noch große Teile des Apennin am A ußenrande überflutete, w ährend es den Außen
rand der W estkarpathen schon seit alters verlassen hat. Noch im Pliozän brandete das M eer am N ordsaum e des Nordapennin, hinter
ließ dort als Zeugen seiner Anwesenheit mächtige Ablagerungen, deren L agerungsverhältnis zum Form enschatze des Nordapennin eine ganz vorzügliche A ltersbestim m ung desselben zuläßt und er
möglicht. Schon der senile einfache K üstenverlauf und das feine A blagerungsm aterial (pliozäne Tone) verrät uns den greisenhaften Einebnungszustand des Nordapennin im Pliozän. In den W est
karpathen kennen w ir nur Transgressionszeugen des jüngeren miozänen Meeres; eben wegen ihres hohen Alters haben sie sich n u r in spärlichen, kleinen und überdies dislozierten Resten er
halten, welche eine D eutung und K lärung des A lters des Form en
schatzes nicht so ganz leicht m achen und einwandfrei erscheinen lassen. Die miozäne M eeresküste der W estkarpathen w ar eine inselreiche, kom pliziert gestaltete, kaum rekonstruierbare R iasküste;
die einfache, geradlinige pliozäne M eeresküste am Außensaum e des Nordapennin glauben w ir hingegen noch heute reell vor uns in der N atu r zu sehen, da sie m arkiert ist durch den in Form einer C u e s t a herauspräparierten Gipsrücken, der au f viele, viele Kilo
m eter auffallend in der L andschaft zu erkennen ist.
Schließlich sind die v e r s c h i e d e n e n k l i m a ti s c h e n V e r h ä l t n i s s e in den W estkarpathen und in dem Apennin von einer gewissen, nicht zu unterschätzenden B edeutung für die Ausbildung der morphologischen Detailformen, für den G ang der D enudation.
Die Tatsachen und Eigentüm lichkeiten, die hier in B etracht
kommen, sind vornehmlich folgende: D as m editerrane Klim a des Apennin zeichnet sich aus: 1. durch relativ starke T e m p e r a t u r s c h w a n k u n g e n zwischen T ag und N acht, 2. durch intensive, plötzliche, kräftige, aber kurz dauernde lokale S c h l a g r e g e n , 3. durch darauffolgende schnelle und intensive A u s t r o c k n u n g und 4. durch nicht seltenen M angel an V e g e t a t i o n , durch W unden und Blößen in der Vegetationsdecke. D as m itteleuro
päische K lim a der W estkarpathen zeichnet sich hingegen aus:
1. durch das V orhandensein der F r o s t w i r k u n g bei der m echa
nischen V erw itterung, 2. durch sanfte, aber länger andauernde, allgemeinere L a n d r e g e n , 3. durch im m erw ährende D u r c h f e u c h tu n g des Bodens und der V erw itterungsrinde bis nahe an die Oberfläche und 4. durch allgemeine L ü c k e n l o s i g k e i t der V ege
tationsdecke.
Die morphologischen Folgen dieser V erhältnisse äußern sich vor allem darin, daß im A pennin die Schaffung von V erw itterungs
schutt und die mechanische V erw itterung überhaupt viel inten
siver ist als in den K arpathen, daß dagegen der flächenhafte A b tragungsvorgang, das K riechen, in M itteleuropa dauernder und intensiver ist als im Süden, weil die hier konstante D urchtränkung des Schuttes dessen R eibungsw iderstände bei der Bew egung v er
m indert. Die geringe W irk u n g des K riechens w ird im Apennin durch die großen W irkungen der plötzlichen und intensiven A b
spülung wettgem acht. Diese bew irkt auch eine außerordentlich feine und reiche G liederung der Oberfläche, die sich in einer sehr großen Taldichte ausspricht. Die w ährend der Schlagregen geschaffenen, feinen Talform en erhalten sich gut, weil sie bei der darauffolgenden, schnellen A ustrocknung starr w erden, w ährend sie in einem feuchteren K lim a bei intensiveren Kriechprozessen schneller dem Verfalle unterliegen w ürden, wo die kleinen T al
formen oft von V erw itterungsschutt erstickt werden. Sowohl die talbildende W irk u n g der Schlagregen als die schuttschaffende W irkung der m echanischen V erw itterung ist besonders intensiv, wo eine L ü cke im Pflanzenkleide diesen A gentien freien Z u tritt zum Bodenmateriale selbst gew ährt, den A nprall der Regentropfen und das Abfließen des W assers nicht hemmt, die T em peratu r
schw ankungen nicht m äßigt. Bezeichnend ist, daß diejenigen P a r
tien des Apennins, die klim atisch sich M itteleuropa nähern, also die höheren Zonen, auch in der F orm der Denudationsprozesse und der Talbildung der m itteleuropäischen sich annähern.
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D ie wesentlichen und weitgehenden Übereinstim m ungen in der morphologischen E ntw icklung der W estkarpathen und des N ordapennins legen uns den G edanken nahe, diese beiden Gebirgs- p artien als Variationen eines m orphologischen, Gebirgstypus auf
zufassen. Ich enthalte mich einer Namengebung, bevor nicht weitere, ausgedehntere Studien die große Zahl der G ebirge der E rd e in morphologischer H insicht au f eine nicht allzu große Reihe von G ebirgstypen reduzieren; man hat sich ja schon gewöhnt, von alpinen und jurassischen Typen zu sprechen, ohne sie aller
dings schon scharf definiert zu haben.
W as aber den obigen Ausführungen noch m ehr Interesse zu verleihen im stande ist, ist das Ergebnis, daß dieselbe Entw icklung, die die K arpathen im Miozän und Sarm atikum durchgem acht haben, die A penninen im Pliozän und Q uartär durchgem acht haben, das heißt eine Reihe von K rustenbew egungen (Hebungen, E inbrüche, vulkanische A usbrüche) und eine Reihe dadurch her
vorgerufener Zyklen. D er Um stand, daß w ir die präglaziale O ber
fläche in den Alpen in gewaltigen Höhen in oft sehr reifen bis senilen Form en finden, legt den G edanken nahe, der schon m ehr
fach ausgesprochen w urde, daß die Alpen noch im Q uartär nicht unbedeutende H ebungen und Schiefstellungen erfahren haben, die vielleicht sogar für die E ntw icklung des Glazialphänomens in weit
gehendem Maße w erden zur V erantw ortung gezogen w erden müssen.
L eider ist man in den Alpen an die wegen der M askierung durch den eiszeitlichen Form enschatz gewiß sehr schwierige Erforschung des ju n g tertiären Form enschatzes kaum noch herangetreten. D aher wollen w ir hier n u r in aller allgem einster und hypothetischer F orm einige Sätze b e z ü g l i c h d e s m o r p h o lo g i s c h e n A l t e r s dieser G ebirge aufstellen, gestützt au f folgende Tatsachen:
1. Alpen, A pennin und K arpathen w urden fast gleichzeitig an der W ende des A lttertiär zum Ju n g tertiär gefaltet und überfaltet.
2. Alle drei erlitten im Ju n g tertiär weitgehende V erände
rungen durch jugendliche K rustenbew egungen, welche eine Reihe verschieden weit gediehener Z yklen inaugurierten.
3. Die K arpathen „lebten“ am intensivsten im Miozän und Sarm atikum , der Form enschatz von damals ist noch heute m aß
gebend.
4. D e r A pennin lebte am intensivsten im Pliozän, sein älterer Form enschatz ist vorläufig fast unbekannt, der pliozäne durch q uartäre Bewegungen wenig alteriert.
5. Die Alpen waren schon im Pliozän in weitgehendem Maße ausgereift, noch m ehr vielleicht an der W ende zum Q u artär und verjüngten sich erst durch die im Q uartär erfolgte H ebung und die intensive, gleilhzeitige, vielleicht kausal dam it verknüpfte V e r
gletscherung.
6. Daß die Alpen ein Gebiet der H ebung, die K arpathen ein solches der relativen Senkung bedeuten, legt uns auch die Beobachtung gewisser tektonisch-m orphologischer T atsachen nahe, so z. B. daß m anche in den K arpathen breit und m ächtig ent
wickelten U berfaltungsdecken in den Ostalpen n u r als hochgelegene Deckschollen auftreten.
7. Auch der V ulkanism us ist in den W estkarpathen der älteste, miozän, im Apennin pliozän bis rezent, in den A lpen wohl noch nicht ausgebrochen oder nur schwach angedeutet und ü b er
wiegend quartär.
D arum ergibt sich für die morphologische E ntw icklung der drei H auptgebirge M itteleuropas folgendes Schema bezüglich d e r H a u p te p o c h e n d e r f ü r d e n h e u t i g e n F o r m e n s c h a t z m a ß g e b e n d e n K r u s t e n b e w e g u n g e n u n d g e o g r a p h i s c h e n Z y k l e n :
Paläogen Jungmiozän Pliozän Quartär
1. W estk a rp ath e n H a u p t
fa ltu n g
K ru s te n b e w eg u n g e n u n d Z y k le n e n tw ic k lu n g
•
—
2. N o rd ap en n in . H a u p t
fa ltu n g —
K ru s te n bew eg u n g en u n d Z y k le n e n tw ic k lu n g
-
3. A l p e n ... H a u p t
fa ltu n g
*
K ru s te n b ew e g u n g e n u n d Z y k le n en tw ic k lu n g
Danach w ären die W estkarpathen das morphologisch älteste, die Alpen das m orphologisch jüngste der drei großen, m ittel
europäischen Gebirge.