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Comenius-Blätter für Volkserziehung, Januar - Februar 1897, V Jahrgang, Nr. 1-2

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Allo Rechte Vorbehalten.

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Inhalt

d e r e r s t e n u n d z w e i t o n N u m m e r 1 8 9 7.

.Sei te

Paul Natorp, Zur Frage der V o lk sh o ch sch u lk u r.se ... 1 Dr. C. Nörrenberg, Fortschritte der B ü c h e rh a lle n -B c w e g u n g ... jo Direktor E. Schmid, H . Schiercnbergs Lehrplan für die höhere Mädchenschule in

Lüdenscheid . . . . . . . . . ... 17 Besprechungen ... 2 1 Förderer und Freunde volkstümlicher Universitätskurse . . 2 0

R u n d sch au ... . . . -2S

Gesellschafts-Angelegenheiten... 2<i

Aus den Zweiggesellschaften und Kränzchen 88

Persönliches 87

Die Comenius - Blätter für Volkserziehung erscheinen monatlich (mit Ausnahme des .luli und August). Die Ausgabe von Doppelnummern bleibt Vorbehalten. D er Gesamt- umfang beträgt vorläufig etwa 1.0 Bogen.

Der Bezugspreis beträgt iin Buchhandel 4 M. Einzelne Nummern kosten HO Pf.

Postzeitungsliste Nr. 4228 a.

Briefe und Drucksachen für die C om enius-Blätter sind an den Vorsitzenden der Gesellschaft und verantwortlichen H erausgeber, Archivrat Dr. Keller in Berlin W.-Char- lottenburg, Berliner Str. 22, zu richten.

Die Comenius-Blätter werden denjenigen Mitgliedern unserer Gesellschaft, die An­

spruch auf Lieferung aller Gesellschaftsschriften haben, unentgeltlich geliefert. Ausserdem können sich alle diejenigen das Recht der Zuwendung erwerben, welche sich in den Listen als Abteilungs-Mitglieder (Jahresbeitrag 3 M.) führen lassen. (Vgl. § 17— 20 der Satzungen der Comenius-Gesellschaft.)

Falls die Zahlung der Beiträge bis zum 1. Juli nicht erfolgt ist, ist die Geschäft­

stelle zur Erhebung durch Postauftrag berechtigt.

Jahresbeiträge (S. den Auszug aus den Satzungen auf S. 3 des Umschlags der M. H.), sowie einmalige Zuwendungen bitten wir an das

Bankhaus Molenaar & Co., Berlin C 2, Burgstrasse, zu richten.

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Comenius-Blätter

fü r

Y olks erziehung.

Y. Jahrgang. 1897. 3— Nr. 1 u. 2.

Zur Frage der Volkshochschulkurse.

V on Paul Natorp.

R a s c h c r als m an noch vor w enigen M onaten zu h offen w agte, h at d er G ed an ke d er „ V o lk stü m lich en H o ch sch u l-K u rse “ (V .H .K .) in D eu tsch lan d B o d en gewonnen. D e r g lü ck lich e E r fo lg des von der U n iv ersitä t W i e n ausgegangenen V ersu ch s h a t, w ie es sch ein t, m anche B e d e n k lic h k e it zerstreu t und in m anchem die E m p fin d u n g dafü r g e sch ä rft, dass D eu tsch lan d im W e tts tre it d er V ö lk e r um den R uhm einer zugleich tie fe n und allgem ein v e rb re ite te n B ild u n g n ich t Zurückbleiben darf. Sch o n is t in J e n a ein V e rs u c h in k leinerem M assstab w ohl geglü ckt. U nd se it kurzem is t b ek a n n t gew orden, dass an den drei grössten U n iv ersitä te n D e u tsch la n d s, B e r l i n , L e i p z i g und M ü n c h e n , U n ternehm ungen b ereits im W e rk e sind, die darauf zielen, die reich e F ü lle d er L e h rk rä fte , w elche diese grossen A n stalten in sich vereinigen, fü r die A rb e it der höheren V o lk sb ild u n g zur V erfü g u n g zu stellen . Zw ar in L eip z ig sch ein t d ie U n iv e rs itä t als solche bis je tz t n ich t b e te ilig t; d och steh en in dem V e rz e ich n is der v o l k s t ü m l i c h e n H o c h s c h u l v o r t r ä g e , die v o m 11. J a n u a r b i s 5. A p r i l je d e n M o n t a g A b e n d gehalten werden sollen, u. a. die N am en d er P ro fe sso re n B i n d i n g , B ü c h e r , C r e d n e r , L a m p r e c h t , L e s k i e n , O s t w a l d , R a t z e l , S o h m , N am en, deren b losse Z usam m enstellung b ew eist, dass die grosse S a ch e die volle, th ätig e T eiln ah m e einer R e ih e fü hrend er M änner an der dortigen H o ch sch u le b ere its fü r sich gew onnen hat. A u ch in M ü n c h e n h a t n ich t die U n iv e rsitä t als solche die S a ch e in die H and genom m en, sondern es h at sich un ter der L eitu n g L . B r e n t a n o s ein eigener „ V o l k s h o c h s c h u l - V e r e i n “ g ebild et, m it dem Z w eck, „ V o l k s l e h r k u r s e bezw . v o l k s t ü m l i c h e H o c h -

Comenius-Bliitter für Volkserziehung. 1897. i

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9 Natorp, Nr. 1 u. 2.

s c h u l v o r t r ä g e in e i n z e l n e n C y k l e n ins L e b e n zu ru fen “.

N ich t w eniger als ach tzig D ozen ten ab er haben b ere its ihre M it­

w irkung zugesagt. L e h r e r d er tech n isch en H o ch sch u le und V e r ­ tr e te r des städ tisch e n Schu lw esens sind b eteilig t. E in solches V oran g eh en der H o ch sch u len in V erb in d u n g m it dem leb h aften In te re s se der B ev ö lk eru n g wird die der V erw irk lich u n g des P lan es noch entgegenstehend en Sch w ierig k eiten ohne Z w eifel b esieg en.

A u sb reitu n g d er E in rich tu n g über M ünchen hinaus durch B ild u n g ö rtlich e r A u ssch ü sse, Zusam m enw irken m it ändern g leich artig en V e re in e n in M ü nchen w ie ausw ärts, F ö rd eru n g andrer dem gleichen Z w eck d ienender E in rich tu n g e n und V eran staltu n g en (L eseh allen , F ü h ru n g durch M u seen, k ü n stlerisch e V orfü h ru n gen u. dgl.), ist in den Satzu ngen vorgesehen. (B e ric h t darüber in d er „A cadem . R e v u e “ von D r. P . von S a l v i s b e r g , S e k re tä r des V e re in s, D ez.

1 8 9 6 .)

N ich t m ind er bed eutsam is t das stark e In te re s se fü r die volkstü m lichen K u rs e , das sich seit kurzem an d er U n i v e r s i t ä t B e r l i n verrät. E in e E in g ab e an den d ortig en S e n a t (d. i. einen A u sschu ss von 12 ordentl. P ro fe sso re n ), w elche d ie E in rich tu n g von V o lk sh o ch sch u lk u rse n u n t e r L e i t u n g d e r U n i v e r s i t ä t , m it E h re n v o rsitz des R e k to r s , und wo m öglich m it S ta a tsu n te r­

stützung b ean trag t, is t von 5 0 (unter 89) ord entlich en P ro fe sso re n , d arun ter 5 Sen atsm itg lied ern , u n terzeich n et; die au sserord entlichen P rofessoren und P riv atd o zen ten haben fa s t säm tlich ih re Z ustim ­ m ung erk lärt. V ie lle ic h t v erw irft m an ch er, d er die K u rs e selb st w ill, die offizielle L e itu n g durch die U n iv ersitä t und w ürde die G ründung eines eigenen V e re in s , wie in M ü nchen, fü r g eeig n eter h alten. A u ch darüber w alten Z w eifel, ob es rich tig is t , S ta a ts ­ hü lfe in A nsp ruch zu nehm en, b ev o r noch d urch einen p rak tisch en V e rs u c h gezeig t ist, was diese K u rs e leisten und w elche T e il­

nahm e sie im V o lk e find en. A n d erseits fin d e t d ie B estim m u n g , n ach w elcher V o rträ g e über solch e F ra g e n , „au f die sich die poli­

tisch en , religiösen und sozialen K ä m p fe d er G egen w art beziehen oder deren B eh an d lu n g zu A g itationen A n lass geben könn te“, aus­

gesch lossen sein so llen , schw erlich allgem eine Zustim m ung. U n s sch e in t sie m ind estens in der F assu n g v erfeh lt. M ü sste man die B estim m u n g w ö rtlich nehm en, so würde sich das V o lk fü r eine so e n tn erv te W iss e n s c h a ft m it R e c h t bedanken und sich nun erst re c h t d arau f v e rs te ife n , seine „ W iss e n s ch a ft“ aus P a rte is c h rifte n und ö ffe n tlich e n V ersam m lu n g en zu schöpfen. E in V e r f a h r e n , rein sach lich und, sow eit irgend es in den G renzen d er G em ein ­ v e rstä n d lich k e it m öglich is t , w issen sch aftlich , sollte die einzige, streng inne zu haltende B ed in g u n g sein ; dam it w äre der H in ein ­ tragung von P a rte ib e stre b u n g e n , w elcher A r t im m e r, od er g e ­ flisse n tlich e n H erbeizieh u n g b ren n en d er T a g e sfra g e n h in reichend vorgebeugt. D e r V o rtra g s e lb st d arf n ich t zur A g ita tio n w erden oder irgend einem P a rte ib estreb en d ien en ; h in sich tlich d er G e g e n ­

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1 8 9 7 . Zur Frage der Volkshochschulkurse. 3

s t ä n d e d ag eg en , die überhaup t im B e re ic h d er W iss e n s ch a ft liegen , eine h altbare G renze d anach zu ziehen, ob irgend w elche P a rte ie n sie zu A gitation szw ecken ausbeuten kön n ten , wird sich beim geringsten V ersu ch unausfü hrbar zeigen. D ie W isse n sch a ft soll n ich t auf den B o d en des P a rte is tre its h erabsteigen, ab er die sachlichen F ra g e n , au f w elche die K ä m p fe d er P a rte ie n sich b e ­ zieh en , m uss sie allerd ings vor ih r F o ru m ziehen, wenn anders man ih r den B e r u f zu trau t, au f die K ä m p fe des T a g e s se lb st klären d und verm en sch lich en d einzuw irken.

W e lch e B ed en k en ab er auch gegen den P la n in d er vor­

liegenden G e s ta lt obw alten m ögen, an sich is t d ie T h a tsa ch e , dass die L e h re r d er grössten U n iv e rs itä t des R e ic h s in so lch er Ü b e rz a h l fü r die V . H . K . e in treten , von ein er T rag w eite , die sich heute noch gar n ic h t erm essen lässt. E s w ar ja m it m athe­

m atisch er G ew issh eit vorauszusagen, dass in dem A u g en blick , wo e in e grosse akadem ische K ö rp e rs c h a ft oder nur eine nam h afte Z ahl ih rer M itg lied er die S a ch e der V . H . K . zu d er ihrigen m achen würde, von S e ite n d erer, die in der g eistig en B efre iu n g d er unteren V o lk sk la sse n die tö tlich ste G e fa h r fü r ihre Son d er­

re ch te in stin k tiv erkennen, ein w ahres Z eterg esch rei gegen die B e ­ drohung des V o lk s m it „ H a lb -“ und „A fte rb ild u n g “ und gegen den „Sozialism us“ des P rofessoren tu m s sich erheben würde. G egen die H albb ild u n g der P a rte iw isse n sch a ft und der T ag esp resse — n i c h t n u r der soziald em okratischen — g ilt gerade d er F e ld z u g ; es g ieb t daw ider kein e w irksam ere W a ffe als die Z u ch t d er W issen sch aft. U n d dass d ieser seh r wohl zugänglich is t , w er red lich es S tre b en , gesunden V ersta n d und eine ord entlich e V o lk s ­ schulbildu ng m itbringt, h at die E rfah ru n g en tschied en , wo im m er der V ersu ch g em ach t wurde. D ie p o litisch e V erd äch tig u n g so w eiter K re is e d er H o ch sch u lle h re r ab er k ann n ich t anders als le ic h tfe rtig g enannt w erden. D ie D o z e n te n , die fü r die K u rse e in tre te n , sin d , sofern sie sich um P o litik überhaupt küm m ern, w ah rsch ein lich säm tlich G eg n er d er Soziald em okratie. A b e r sich er ohne jed w ed e A usnahm e sind sie d er M einung, dass B ild u n g und W iss e n s ch a ft die S a ch e k ein er P a r te i, sondern die gem einsam e S a ch e der N ation is t ; d ass, wie in d er W isse n sch a ft, so in den B ild u ngsangelegenheiten der N ation einzig die P a rte i der V e rn u n ft und W a h rh e it g elten d arf. I n d ieser H altu n g wird die V o lk s ­ h o c h s c h u le wegung allen A n fech tu n g en , sei es von re ch ts oder lin k s, ruhig entgegensehn und ihren fried lich en G an g u n beirrt fo rt­

setzen. U n d sie w ird das V ertrau e n des V o lk s , ab er auch einer jed en R eg ieru n g gew innen, die der V erp flich tu n g , ü ber den P arteien stehend die S a ch e der N ation zu v ertreten , eingedenk ist.

D a rf m an also der B ew eg u n g eine Z u k u nft m it aller S ic h e r­

h e it Vorhersagen, so b ed arf es d esto e rn ste rer B esin n u n g , w elche b estim m ten Z i e l e sie sich zu steck en und w elche W e g e sie einzuschlagen h a t, um ih re r grossen A u fg ab e g e rech t zu werden.

1*

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4 N atorp, N r. 1 u. 2.

Je d e ern ste und sachkundige E rö rteru n g d arüber fo rd ert in diesem A u g e n b lick doppelte A u fm erksam keit. U n d so soll heu te die Ä u sseru ng eines L eip z ig er P ro fe sso rs, der an der d ortigen B e ­ w egung (und zwar, w enn w ir re c h t u n terrich tet sin d , als F ü h rer) b e te ilig t is t , F r i e d r i c h R a t z e l üb er „ W i s s e n s c h a f t u n d V o l k s b i l d u n g in D e u t s c h l a n d " 1) einer kurzen P rü fu n g u n ter­

zogen w erden. E s lie g t m ir besond ers nahe, m ich m it R a tz e l über unsere F ra g e au seinanderzu setzen, nachdem kü rzlich in diesen B lä tte r n (N ov.-D ez. 1 8 9 6 , 4. Ja h r g . S . 1 53) G . H a m d o r f f zw ischen sein er und m ein er A u ffassu n g einen G egen satz angenom m en hat, der, wie ich glaube, nur in b esch rän k tem M asse vorhanden ist.

R a tz e l is t durchaus k ein unbed ingter B ew u n d erer aus­

län d isch er E in rich tu n g e n od er V e rä c h te r der E ig e n h e ite n unseres heim ischen B ild u n g sw esen s; er versäu m t je d en fa lls n ich t sie g e­

nau zu b erü ck sich tig en , und das kann ihm nur als V o rzu g ange­

re ch n e t w erden. S o w idm et er fa s t die H ä lfte seines V o rtra g s d er B ek äm p fu n g des blinden V o ru rte ils fü r die en g lisch -am erik a­

n isch en B ild u n gsein rich tu n gen und dem B ew eise, dass th a tsä ch lich b ei uns d er E in flu ss der h öh eren , w issen sch aftlich en B ild u n g auf die untern V o lk ssch ich te n n ich t geringer, v ie lle ich t g rö sser is t als andersw o. D e r B ew eis is t zwar in einigen P u n k te n an fech tb ar.

S o h e is s t es S . 5 : U n sere H o ch sch u len seien „n ich t von S ch ra n ­ k en u m g eb en, die dem A rm en oder Unem pfohlenfen den Z u tritt ersch w eren ; Stip en d ien und Stu nd u ng m achen es erfahru ngsm ässig dem ab so lu t M itte llo se n m öglich, zu stu d ieren , w enn er tü ch tig und en erg isch is t". J a , „da es k ein e K o n tro lc der H ö rsäle gieb t, is t der Z u tritt zu den V orlesu n g en th a tsä ch lich jed em anständigen M en sch en m öglich". D a s wäre durch s ch lich te T h a tsa ch e n zu w iderlegen. V ie lm e h r g eh t s e it geraum er Z eit die vorherrschend e Ström u n g zw eifellos dahin, den Zugang zur höheren B ild u n g schon vom G ym nasium und d er V o rsch u le an M ittello sen au f je d e W e ise zu ersch w eren , d er E n tste h u n g eines „ G e leh rten p ro letariats", w ie m an beschön igend sa g t, vorzubeugen. R ic h tig , ab er fü r unsere F ra g e n ich t entscheid en d i s t , dass d eu tsch e W iss e n s ch a ft und B ild u n g einen u n v eräch tlich en A n teil g eh ab t h a t an der p o litisch en E in ig u n g D e u ts c h la n d s , dass unzünftige G e le h rte b ei uns wie and erw ärts an d er W iss e n s c h a ft se lb st m itarb eiten , und dass auch die zünftige W iss e n s c h a ft noch n ich t so aristo k ratisch gew orden is t , w ie es A u ssenstehend en o ft ersch ien en ist. S ie würde fre i­

lic h dem V e rd a c h t, es zu se in , sch w erlich en tgeh en , wenn sie sich den überaus dringend en A u fgab en der nied eren und höheren V olksbild u ng fortd au ernd so w ie b ish e r entziehen w ürde. In d er B ew egu ng fü r die V o lk sh o ch sch u lk u rse glauben w ir se it lan g er

*) Vortrag auf der Gen.-Vers. d. sächs. Volksbildungsvereine zu Plauen am 28. Juni 1896. S.-A. aus d. Beil.. zur Allg. Ztg., 12 u. 13. Okt. 1896.

München, Buchdr. d. Allg. Ztg. 24 S.

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1 8 9 7 . Zur Frage der Volkshochschulkurse. 5

Z eit das erste Z eich en eines U m schw ungs in d ieser B ezieh u n g zu erkennen.

K a n n ich dem nach die th atsäch lich e L a g e n ich t so ro sig ansehen wie R a tz e l, so em pfind et and erseits auch e r, dass dem h o ch en tw ick elten B ild u n g sb etrie b in D eu tsch lan d jed en falls n ich t eine so g leich m ässig e V erb re itu n g der B ild u ng in den v e rsch ied e ­ nen S ch ich te n des V o lk s e n tsp rich t, als man erw arten würde.

Z w ischen den H ö h e rg e b ild e tc n , die b e i uns gleich m ässiger als irgendw o son st üb er das L a n d hin v e rte ilt sin d , und der b reiten S c h ic h t der m inder G e b ild e te n b esteh e die innige Berühru ng, die man verm u ten sollte, n ich t (S. 11). D e r E n g lä n d e r oder Ita lie n e r, obw ohl w eit w eniger schulm ässig g e b ild e t, zeigt sich g esch ick ter, sich in neue L eb ensb ed ingu ngen z. B . als A u sw and erer hineinzu­

fin d en , als der D eu tsch e. E in viel g rö sserer P ro zen tsatz von D e u tsch e n , als z. B . von E n g län d ern , k a n n l e s e n , ab er gew iss kein g rö sserer l i e s t w i r k l i c h . V ie lle ic h t lie g t es d aran , dass der D eu tsch e von N atu r sch w erfälliger i s t ; ab er m ehr su ch t R a tz e l den G ru nd in der „ G e w o h n h e i t b u r e a u k r a t i s c h g e ­ l e i t e t zu w e r d e n “. W ie anders lebend ig is t die allgem eine T eiln ah m e an der P fle g e d er V o lk sb ild u n g in der S ch w eiz, als etw a in P om m ern. „ E s is t n ich t die Z ahl der höher G ebild eten , die so seh r den U n tersch ie d b ed in g t, als der G eb rau ch , den sie von ihren G ed an ken und K e n n tn issen m achen . . . E s ste llt sich a llzu leich t ein Z ustand e in , in dem d ie , die etw as w issen , sich stolz oder schüch tern iso lieren , w ährend alles rings um her sich m it ausserordentlich wenig G e is t begnü gt.“ A u f G ru nd langer B eo b a ch tu n g u rte ilt R a tz e l: in allen T e ile n D eu tschland s g elte die m erkw ürdige R e g e l, dass die hohen und tie fe n S ch ich te n von den B ild u n g sb estreb u n g en am w enigsten e rre ich t werden. D ie G e b u rts- und G e ld a risto k ra tie stehe in D eu tsch lan d überhaup t geistig en In te re s se n teiln ah m loser g egen ü ber, als in irgend einem anderen L a n d e AVest- oder M itte le u ro p a s; d aher die u n verhältnis­

m ässige S e lte n h e it g rö sser Zuw endungen fü r B ild u n g szw eck e, worin se lb st Ö s terreich -U n g a rn uns voraus ist. A u ch is t ihm m erk ­ würdig, wie wenig von d er B ild u n g , die d er D eu tsch e sich m it so g ro ssen O p fern errungen h a t, in der stark g e p fleg te n , häus­

lich en wie au sserh äu slich en , G e sellig k e it zum V o rsch e in kom m t;

das g e lte b eson d ers von den S tu d ie rte n , deren B ild u n g sk u rv e im A bitu rien ten exam en eine son st in d iesem A lte r u n erreich te H öh e erschw inge — um sich dann rasch zu senken und auf einem un­

erw artet nied eren N iveau w eiter- und auszulaufen. D a h e r erk lä rt sich ihm die Z u rü ck g eb lieb en h eit der B ib lio th ek e n , die dem L e s e ­ b ed ü rfn is d er M assen zu dienen h ab en , und viele äh nlich e E r ­ scheinungen (S. 14).

D ie B eo b ach tu n g en R a tz e ls wird jed er, der sich in diesen D in gen um gethan h a t, im allgem einen b estä tig e n ; und als en t­

scheid ender G rund is t die lange G ew öhnung an bu reau kratisch e

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6 N atorp , N r. 1 u. 2.

B ev orm u nd u n g zw eifellos rich tig erkannt. E b e n d arauf ab er gründen wir unsere H o ffn u n g ein er sicheren und n ich t zu fern en B esseru n g . D en n die E n tw ick lu n g der m odernen V ö lk e r drängt unw iderstehlich zur S e l b s t v e r w a l t u n g auf allen G eb ieten . D u rch d iese w ird das B ed ü rfn is nach B ild u n g in allen V o lk sk re ise n un­

a b seh b ar g e ste ig e rt, und zugleich die allgem ein fre ie r e n tfalteten K r ä f te der E in z e ln en auch fü r die freiw illige V o lk sb ild u n g sp fleg e m ehr entbu nd en und in T h ä tig k e it gesetzt. D ie von R atze l b e ­ to n ten günstigen U m stän d e, wie nam entlich die schon je tz t vor­

handene gl eich m assigere V erb re itu n g einer höh er geb ild eten S c h ic h t ü b er das ganze L an d , w erden dann erst re c h t ihre W irk u n g en t­

falten . S ie bew eisen n ich t, dass w ir die „U n iv ersitätsau sd eh n u n g“

n ic h t n ötig h ä tte n , ab er sic b ew eisen , dass die U n iv ersitä tsa u s­

dehnung, wenn w ir sie e rs t haben w erd en, fü r D eu tsch lan d noch eine ungleich tie fe re und allgem einere B ed eu tu n g gew innen kann, als fü r E n g la n d od er N ordam erika. B ild e t das H aupthem m nis d ort die D ü rftig k e it des E le m e n ta ru n te rrich ts , so kom m t d ieser Ü b e lsta n d b ei uns, w enigsten s in den S tä d te n , kaum e rn stlich in B e tra c h t. D eu tsch lan d v e rfü g t, s o b a l d e s w i l l , über einen q u an titativ w ie q u alitativ überlegenen S ta b von O ffizie re n der B ild u n g , und zugleich ü b er schon b esser vo rg eb ild ete M ann­

sch aften . E s fe h lt das E in z ig e , dass die O ffiz ie re die Füh rung, zu d er sie b eru fen sind, auch w irk lich übernehm en, so w erden w ir ein H e er, wie es die W e lt noch n ich t gesehen h a t, b e re it stellen können zum frie d lich sten d er K r ie g e , zum K rie g e w ider g eistige und sittlich e V erw ah rlosu n g.

D a m it is t ab er auch schon g e sa g t, dass die T eiln ah m e der H och sch u len an der freien B ild u n g sp fleg e sich b e i uns vielfach anders als im A u sland g estalten wird. Ü b ern eh m en lä s s t sich h öch sten s die äussere O rg an isatio n ; ab er diese is t das G le ic h ­ gü ltigste an d er S a ch e und k ann sich je n ach ö rtlich en oder sonstigen U m stän d en etw a auch ganz abw eichend g estalten . A lles andere h in g e g e n : d ie T eiln ah m e der B e v ö lk e ru n g , die Ausw ahl d er V o rtrag en d en und V ertra g sg eg e n stä n d e, häng t von dem ge­

gebenen B ild u n g sstan d e so ganz und gar ab, dass sich allgem eine V o rs c h rifte n darüber schw erlich geben lassen. In E n g lan d und N ordam erika h at die „U n iv ersitätsau sd ehnu ng“ vielfach als n ot­

d ürftige A b h ü lfe fü r den M angel o rd en tlich er M itte lsch u le n dienen m üssen. D avon kann b e i uns natü rlich n ich t die R e d e sein.

D ie A u fg ab e kann v ielm eh r, wie R a tzel (S. 15) sa g t, nur die sein , „ausserhalb d er Sch u len je d es G rad es ein regeres g eistiges L e b e n zu p fleg en “. A b e r doch w ohl zu eng b eg ren zt er die A u fgab e d er V . H . K . , wenn er sie n ich t oder nur nebenbei in d er „V erm eh ru n g des W iss e n s “, w esen tlich nur in d er „ V e r­

edelung d er L eb en sg en ü sse“ sieht. „In d er B e sch ä ftig u n g unseres G e iste s m it D in g en , die von den T ag e sin te re sse n n ich t bew egt werden, is t ein ä sth e tisch e r und eth isch er G ew inn, d er sich n ich t

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1 8 9 7 . Zur Frage der Volkshochschulkurse. 7

einm al an dem m isst, was einer aus einem V o rtra g P o sitiv e s m it n ach H au se trä g t.“ U n d dam it hängt zusam men, dass R a tz e l die zusam m enhängenden K u r s e n ich t ganz in dem M asse sch ätzt, wie die A n häng er des en g lisch -am erik an isch en System s, und auf

„schön ab geru nd ete“ E in ze lv o rträg e eigen tlich grösseres G ew ich t leg t. D ie M ein u n gsversch ied en h eit is t indess n ich t so gross, wie sie zu n ächst s c h e in t; denn R a tz e l verw irft n ich t die K u rs e , wie ich n ic h t die E in zclv o rträg c. B e id e haben ihre B ed eutu ng. A b er ich m ein e, gerade wo die E in z e lv o rträ g e als „A nregung“ ihre W irk u n g th u n , da m uss das V erlan g en nach vo llstän d ig erer, zu­

sam m enhängenderer B eleh ru n g sich von selb er einstellen, dem dann die K u rs e entgegenkom m en m üssen. S o fa s s t R a tz e l selb st die S a c h e au f (S. 1 8 — 19). E s is t das (wie R . sagt) eine „te ch n isch ­ päd agogische“ F r a g e ; ab er sie is t le ich t zu en tsch eid en : W ird w eiter n ich ts als ein edler G enuss b ezw eck t, so reich en E in z e l­

vorträge au s; soll dagegen in W a h rh e it etwras im H ö rer sich „b il­

den“, so m uss A n leitu n g zu g e r e g e l t e m F o r t a r b e i t e n gegeben, so muss das V erstä n d n is g ew eck t werden fü r w eitere und w eitere, g e istig b eh errsch te Z u s a m m e n h ä n g e , so m uss d er B lic k sich aufthun fü r die G e s e t z m ä s s i g k e i t e n in N atu r und M en sch en ­ leb en , in den W e l t e n d er E rk e n n tn is , der S itte und d er K u n st, so m uss d er Sinn erschlossen w erden fü r das F ra g e n nach den G r ü n d e n und nach den G ründen der G ründe. D as is t n ich t b lo sse V erm eh ru n g p ositiven „W isse n s“, in der man eher bestim m te G renzen nach R ü ck sich te n des irgendw ie V erw en d b aren ziehen d ü rfte ; sondern es ist, im re ch ten Sin n des W o rts, „B ild u n g“ der geistigen K r ä f t e . A u ch eine ernste eth isch e und ä sth etisch e W irk u n g is t ohne das n ich t zu erreichen. D ie K u rs e haben zugleich das G u te, nur solche, die ein ech tes V erlan g en n ach B il ­ dung m itbringen, dauernd anzuziehen. Zum al wo fü r „anregende“

E in z e l vorträge ausserdem geso rg t ist, wird sich naturgem äss eine Sch eid u n g vollziehen, die nur erw ü nscht sein kann. D en n m it den eifrig eren und fähigeren H örern is t d ennoch n ich ts R e ch te s zu erreich en , wenn eine S ch a a r von M itläu fern und gar A b - und Z uläufern hinzukom m t, die an d er gem einsam en A r b e i t keinen T e il nim m t.

A u ch die A usw ahl der G e g e n s t ä n d e und dam it der L e h r ­ k r ä f t e hängt ganz und g ar davon ab, was b ezw eck t wird. F ä llt d er N ach d ru ck au f eine g eistig ere A r t des G en iessen s und allen ­ fa lls au f „A nregu ng“, so is t d ie b u n teste F o lg e von G egen ständen und V o rtrag en d en v ie lle ich t am erw ü nschtesten, w eil am v ie lse itig ­ sten und a n re g e n d ste n ; and ernfalls w ird die genaueste A u slese notw endig. M an h a t b ish er den sch lich ten pädagogischen G rund­

satz zu wenig b ed ach t und b e fo lg t, dass die B ild u n g sa rb eit, wie hohe Z iele auch sie sich ste ck en m ag, doch stets an die b i s h e r e r r e i c h t e B ild u n g sich an sch liessen und au f ih r sich planm ässig aufbauen muss. H in terh er m ach t man dann aus der N ot eine

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8 N atorp, N r. 1 u. 2.

T u g e n d ; m an b eo b a ch te t m it Sch m erz, dass von dem V o rg e tra g e ­ n en , tro tz des sch e in b ar leb h aften „In te re sse s“, gar w enig haften b le ib t; m an trö s te t sich m it der A u sre d e : es sei auch g ar n ich t n ö tig , dass es h a fte , die b losse A nregu ng des „ In te re sse s“ lohne schon die aufgew andte M ühe. I c h sage durchaus n ic h t, dass es sie n ic h t lo h n e ; ab er man m uss sich vö llig d arüber k lar sein, dass das n i c h t B i l d u n g , sondern led iglich eine b essere A r t U n t e r h a l t u n g w äre. D as h at auch sein R e c h t; ab er es m uss der g e fäh rlich en T äu sch u n g en tg eg en g earb eitet w erd en, als sei dam it d er A u fgab e der höheren V o lk sb ild u n g auch nur irgend genügt.

G erad e desw egen legen w ir auch so grosses G e w ich t auf die T e i l n a h m e d e r H o c h s c h u l l e h r e r . N ich t als sollten diese u n ter allen U m ständ en, wohl g ar au ssch liesslich , die K u rs e ab­

halten. V ie le von ih n e n , ja die gro sse M eh rzah l, w erden dazu vo rerst g ar n ich t die L e ic h tig k e it und G e m e in v erstä n d lich k eit des V o rtra g s m itb rin g en , die sich wohl nach lan g er Ü b u n g e rst ein­

stellen w ird; u n ter den L eh rern der V o lk s - und M itte lsch u le n sind dagegen v ie le , die gerade diese F ä h ig k e it in ausgezeichnetem M a sse besitzen. N ich ts w äre tö rich te r, als wenn man deren H ü lfe

— die w eit m ehr im V o lk e stehen als w ir — hochm ütig zurück­

w eisen würde. G erad e in diesem P u n k te erfreu e ich m ich v o ller Ü b erein stim m u n g m it R a tz e l (S. 2 0 ) ; n ic h t m ind er ab er and erseits in d er Ü berzeugung, dass den H och sch u len die e r s t e V e r p f l i c h ­ t u n g allerd ings zufällt. A uch er ist davon durchdrungen, dass

„die W iss e n s c h a ft in einem organischen Z usam m enhang m it dem ganzen g eistigen L e b e n ih rer Z eit s te h t, aus dem sie sich n ich t lösen d arf“, und dass „gerade die H o ch sch u len b eru fen sind, den hum anen C h arak ter der G e istesb ild u n g in ein er Z e it der Z erk lü f­

tu n g d er V ö lk e r, S tän d e, B e ru fe zur G e ltu n g zu brin g en und zwar durch unzünftige und unbefohlene T h ä tig k e it, deren W e r t durch ih re F re iw illig k e it erhöht w ird“. D ie H o ch sch u len allein scheinen ihm die unsch ätzbare „ G ew äh r ein er den P arteiten d en zen und Z eitström un gen m ö g lich st en trü ck ten T h ä tig k e it“ zu b ieten . U n d es sei „ s o z i a l e P f l i c h t , den Sam en so lange auszuw erfen, als m an hoffen d a rf, dass n och K e im e au fg eh en , ein erlei wann und wo“. D ie B e fü rc h tu n g , dass die rein e W iss e n s c h a ft gesch äd igt werde durch ih re V erb re itu n g ins V o lk , g ilt ihm „durch die G e ­ sch ich te w id erleg t“ (S. 2 1 f.). I n solchen Sätzen find en w ir nur ganz unsere G esinnu ng ausgesprochen.

In der A n erk en n tn is so lch e r „sozialen P flic h t“ lä ss t sich R a tz e l auch d urch die so b elie b te Zusam m enw erfung m it den B estreb u n g e n e in e r v erfeh m ten P a rte i n ich t beirren. E r u rte ilt durchaus ungünstig üb er deren b ish erig e B em ühu ngen, dem B il ­ dungsbed ü rfnis d er arb eiten d en K la s se n abzuhelfen. D ie A r b e ite r­

b ild u ngsvereine haben n ach sein er A n sich t „durch den Ü b e rg an g in die soziald em okratische L eitu n g an eigener K r a f t ebenso viel gew onnen, w ie an W e rt d er L eistu n g verloren. D a ss den A r­

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1 8 9 7 . Zur Frage der Volkshochschulkur.se. 9

b eite rn d ie se ich te ste und ungesundeste geistige N ahrung so o ft gerade re c h t is t, wo sie nur nach dem B esse ren und B e s te n zu g re ifen b rau ch ten (?), g eh ört zu den unsinnigsten K onseq u enzen der A b sch liessu n g nach oben. A n g eb lich will sie gleich m ach en , in W irk lic h k e it ern ied rig t sie das N iveau der unteren K la s se n und verg rö ssert so den sozialen A b stan d rein zu deren N ach te il.“ E s tre ib e n da o ft „p latte D ile tta n te n “ ih r W e se n , „die die W isse n ­ s c h a ft bew u sst oder unbew usst fä lsch en “ ; ein U rte il, w elches w'ohl h ier und d a , ab er sich er n ich t allgem ein zu trifft. In d essen , „so­

bald die T rä g e r und V e rm ittle r der B ild u n g sich b e re it zeigen, den A rb eitern in u n i n t e r e s s i e r t e r W e i s e entgegenzukom m en“, w erde sich „d er W e rt dessen, was sie zu b ieten haben, ganz von s e lb st zur G eltu n g bringen“. M an solle nur die von d er heutigen 'A rb e itersch a ft auch in B ild u n g sfrag en errungene S e l b s t ä n d i g ­ k e i t a c h te n ; so w erde es d er W isse n sch aft schon g elingen, eine V erb in d u n g w iederzugew innen, „deren W e rt au f d er ändern S e ite doch noch höh er g esch ätzt w ird , als die L o b red n e r der W isse n ­ s c h a ftlic h k e it eines E n g e ls oder B e b e l glauben lassen “ (S. 16 f.).

D ie se U rteile sind fü r die ganze S te llu n g n ich t bloss R atzels, sondern der heutigen d eu tschen „U n iv ersitäts-A u sd eh n u n g “ über­

haupt bezeichnend. S ie v erraten d e u tlich , dass man üb er das Stad iu m g eg enseitig en M isstrau en s noch n ic h t hinaus is t ; ab er auch, dass es, und zwar au f beiden S e ite n , an gutem W ille n n ich t fe h lt, w ieder V ertra u e n zu einander zu fassen , n ich t aus W illk ü r oder um des lieben F ried e n s w illen — dazu is t die Z eit w ahrlich n ich t angethan — , sondern aus zw ingender s a c h l i c h e r N o t ­ w e n d i g k e i t . D en n W iss e n s c h a ft und B ild u n g b ed arf ebenso des gesunden E rd gru n d es des V o lk stu m s, w ie das V o lk , je m ehr es V o lk sein w ill und V o lk zu w erden durch die G e sch ick e b e ­ ru fen ist, um so w eniger d er B ild u n g b is zur H öh e der W isse n ­ s ch a ft entbehren kann. W ir erw arten n ich t W u n d er und Z eichen, w ir erw arten a llein , was als in der N otw en d igkeit d er D in ge liegend von jed em , d er die Augen o ffen hat, erk an n t werden kann.

U nd so glauben w ir n ich t e n ttäu sch t zu werden.

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Fortschritte der Bücherhallen-Bewegung.

Von

D r. C. N ö r r e n b e r g .

Im Folgenden berichten wir kurz über die Fortschritte der Bücher- und Lesehallen in Deutschland bis zuin Schlüsse des Jah res 1 8 9 6 , soweit wir davon K enntnis bekommen haben.

D ie Stadtbibliothek zu A a c h e n (Bibliothekar: D r. E m i l F ro m m ), welche wissenschaftlichen Charakter hat, soll am 1. April n. J . ihr neuerbautes eigenes Heim beziehen; im L e s e s a a l , der bei elektrischer Beleuchtung auch abends offen sein wird, sollen ausser der H and ­ bibliothek sämtliche gehaltenen Zeitschriften wissenschaftlichen, populär­

wissenschaftlichen und allgemeinen Inhalts offen liegen; die übrigen B e ­ stände werden, da auch das Magazin elektrische Beleuchtung erhält, gleichfalls in den Abendstunden zugänglich sein. R ich tet sich die Bibliothek auch nicht auf die breiten Volksschichten als Leser ein, so wird sie doch die erste Bedingung erfüllen, die man an eine Bücherhalle stellen muss, indem sie ihre Benutzungseinrichtungen vervollkommnet.

In A l t o n a , wo es bisher gar keine öffentliche Bibliothek gibt, wird jetzt die Propaganda durch F r e i h e r r n H . v. F i r c k s (H olsten­

strasse 1 4 5 ) vorbereitet und in A ngriff genommen.

In B e r l i n steht die von der G esellschaft für Ethisch e K u ltu r geschaffene und Neujahr 1 8 9 5 eröffnete E rste öffentliche Lesehalle, Neue Schönhauserstrasse 1 3 , jetzt im zweiten D aseinsjahre; sie ist unseres W issens die einzige Lesehalle in D eutschland, die den Vorzug hat, unter Leitung eines wissenschaftlich gebildeten Fachm annes zu stehen, der nicht blos verlangte Bücher herausgeben kann, sondern aus der F ü lle seiner Litteraturkenntnis den Benutzern R atgeber und L ehrer zu sein weiss. B ibliothekar ist D r. E r n s t J e e p , A ssistent an der K öniglichen U niversitäts-Bibliothek; assistierende Bibliothekarin ist Fräulein B o n a P e i s e r . D ie Lesehalle hat bekanntlich Bücher, Zeitschriften und politische Zeitungen a l l e r R ichtungen; sie wurde 1 8 9 5 von 4 9 6 2 5 Besuchern benutzt; gelesen wurden ausser den Zeit­

schriften und Zeitungen 2 1 4 8 2 Bände. Im laufenden Ja h re erhält die Lesehalle von der Stad t B erlin eine Unterstützung von 3 0 0 0 Mk. *)

*) Gleichwohl ist es fraglich, ob die Fortführung des Unternehmens in der bisherigen Weise möglich sein wird, (Anm. d. Schriftleitung.)

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1 8 9 7 . Fortschritte der Biicherhallen-Bewegung. 11

F ü r die Stadtverwaltung war der E rfo lg dieser L esehalle der A n lass, unter Mitwirkung des Leiters der M agistrats-Bibliothek, Dr.

A r e n d B u c h h o l t z , zur Gründung s t ä d t i s c h e r L e s e h a l l e n über­

zugehen. D ie erste ist am 19. Oktober 189G eröffnet worden; sie steht in Verbindung mit der ersten städtischen V olksbibliothek, Mohrenstrasse 4 1 , wo 2 Klassenzimmer eines städtischen Schulhauses für sie hergerichtet sind. D ie V olksbibliothek, durch die Lesehalle jetzt auch täglich zugänglich (früher nur zweimal in der "W oche), ist im letzten Sommer mit neuer Litteratur reichlich versehen worden; die Auswahl der Bücher der H andbibliothek im Lesesaal lässt sofort er­

kennen, dass man eine A n stalt nicht nur für elementare Bildung, sondern auch für höhere hat schaffen wollen; es liegt u. a. aus die Sammlung Geisteshelden (Führende G eister); Stengels W örterbuch des höheren V erw altungsrechts; Schönbergs Handbuch der politischen Oekonomie und W erke ähnlichen N iveaus; ferner 5 9 Zeitschriften belehrenden, technischen und unterhaltenden Inhalts, worunter auch die sozialdemo­

kratische Neue Zeit (nicht zu verwechseln mit der übel beleumundeten Neuen W e lt), dagegen keine politischen Zeitungen. Die Benutzungs­

ordnung ist liberal. D ie Ausleiheziffer der V olksbibliothek ist seit E röffnung der Lesehalle auf mehr als das vierfache gestiegen. Die Stad t Berlin beabsichtigt weiter, in dem Erdgeschoss dreier in der Ravene-, Duncker^ und W ilm sstrasse geplanten V olksschulen Bücher­

und Lesehallen einzurichten. Noch wichtiger als diese Lesehallen wäre eine grosse Zentralbibliothek zur Nutzbarmachung der grossen brach­

liegenden Büchersammlungen der Stad t Berlin, vor allem der M agistrats­

bibliothek und der Bibliothek der G öritz-L ü beck-Stiftu n g.

In B o n n wird von dem liberalen Bürgerverein die Gründung einer Bücher- und Lesehalle geplant. D ie zur Zeit in Kisten ver­

packte Bibliothek des dortigen BildungsVereins soll dabei wieder zur Verw ertung gelangen.

In C h a r l o t t e n b ü r g hat sich im März 1 8 9 6 ein Comite für die Errichtung einer öffentlichen L esehalle gebildet und im H erbst dem M agistrat die Summe von 2 3 0 0 0 M k. (auf 3 Ja h re verteilt) zur V erfügung gestellt für den F a ll, dass bei Errichtung einer städtischen Bücherhalle bestimmte Grundsätze befolgt würden, u. a. dass Bücher, Zeitschriften und Zeitungen von fachm ännischer Seite ohnejede T en ­ denz ausgewählt und dass Leitung und Betrieb in den H änden eines wissenschaftlich gebildeten, fachmännisch geschulten Bibliothekars liegen sollten. Inzwischen, am 3. November, hat die Stad t in der Orangen­

strasse eine „Städtische V olksbibliothek“ ohne Lesesaal der Benutzung übergeben; der von dem Comite vorgelegte P lan schwebt n o ch 1).

Ganz besonders günstig für ein zielbewusstes Vorgehen lagen die V erhältnisse in D a n z ig . D ie Stad t besitzt eine alte reiche Stad t­

x) Vergl. den V ortrag von Dr. E rn st Je e p : Centrale Volksbibliothek.

Charlottenburg. Richard Münch. 1896. 22 Seiten. Preis 30 Pfg., in Partien 20 Pfg.

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12 Nörrenberg, N r. 1 u. 2. /

bibliothek wissenschaftlichen Charakters und fünf in Schulräumen aufgestellte V olk sb ib lioth ek en , sämtlich mit ganz ungenügenden B e ­ nutzungseinrichtungen. Im vergangenen Sommer sollte die Stelle des Stadtbibliothekars neu besetzt werden, und die Stad t hätte es in der H and gehabt, bei dieser Gelegenheit ihre Bibliotheksverhältnisse mustergültig reformieren zu lassen nach den Grundsätzen, die kurz vorher ausgesprochen waren von der Generalversammlung der G e­

sellschaft für V erbreitung von V olksbildung unter dem Vorsitz von H e i n r i c h R i c k e r t , der in Danzig grossen E influ ss hat. V or allem hätte man aufhören müssen, das Am t des Stadtbibliothekars und des Stadtarchivars in einer H and zu vereinigen; denn einmal ist das H isto­

rische Archiv der Stad t Danzig eines der ältesten und bedeutendsten in Norddeutschland und würde von einer Stadtverw altung, die für W issenschaft und ihre eigene grosse Vergangenheit etwas übrig hätte, längst mit eigenem Beam tenpersonal ausgestattet worden sein, und zweitens sind, wie jeder Kundige weiss, Bibliothek und Archiv zwei von Grund aus verschiedene A nstalten. A ber man trennte die V er­

waltung beider A nstalten in D anzig nicht und schrieb die Doppelstelle aus mit gut der H ä lfte des G eh alts, das in F ran k fu rt a. M. als A nfangsgehalt für die einfache S te lle , die des Stadtbibliothekars, bezahlt wird. E s ist das um so befrem dlicher, als gerade Danzig die Stelle des Leiters eines K rankenhauses kürzlich mit so hohem G ehalt ausschrieb, dass sie dafür einen ordentlichen U niversitäts­

professor gewinnen konnte. E s lässt das auf eine sonderbare U nter­

schätzung der geistigen G üter schliessen. Jed en falls ist R ickerts E in ­ fluss nicht zur G eltung gekommen und die Stad t D anzig vorläufig, bis zur A btrennung des Archivs, um die M öglichkeit, ihr Bibliotheks­

wesen zu reformieren.

In D a r m s t a d t — wo bekanntlich durch die Grossherzogliche (öffentliche) H ofbibliothek für wissenschaftliche L itteratur gesorgt ist

— fand auf V eranlassung des V olksbildungs-V ereins und des Bezirks- Lehrervereins am 2 6 . November eine Versamm lung statt, welche die Gründung einer Freilesehalle zum Zwecke hatte. B ü r g e r m e i s t e r K ö h l e r hatte den V orsitz, Gym nasiallehrer L e r c h als V ertreter des einen, L eh rer E l i a s als V ertreter des anderen Vereins begründeten den P la n , der u. a. vom Reichstagsabgeordneten D r. O s a n n befür­

wortet wurde. D er D irektor der H of bibliothek, D r. N i c k , erwartete von der V olksbibliothek, sie werde in weiteren Kreisen den W unsch, die Q uellen kennen zu lernen, wecken und dadurch auch den V erkehr bei der H of bibliothek fördern. M an sprach die Erw artung aus, dass die Stad t das Unternehmen unterstützen werde, nahm eine Resolution zu Gunsten des Planes an und wählte aus den V orständ en der beiden einladenden Vereine einen Ausschuss mit Zuwahlrecht.

In D ü s s e l d o r f ist durch Schenkung eines wohlhabenden M it­

gliedes an den dortigen Bildungsverein eine Lesehalle zu Stande ge­

kommen und am 10. August eröffnet worden. E s stehen Bücher und über 6 0 Zeitschriften zur V erfügung, politische Zeitungen liegen nicht

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1 8 9 7 . Fortschritte der Bttcherhallen-Bewegung. 13

aus. D ie Benutzung ist ganz frei und von A nfang an sehr stark;

die Ziffer betrug bis zum 5. Dezember über 1 8 0 0 0 Bände. D ie S t a d t Düsseldorf hatte bereits drei städtische Y olksbibliotheken ohne L ese­

räume : nun sind solche bei der ersten V olksbibliothek in der Bleich­

strasse eingerichtet und am 2 2. November der Ö ffentlichkeit übergeben worden. Diese Bücher- und L esehalle wurde bis zum 10. Jan u ar

1 8 9 7 von 7 8 0 1 Personen benutzt.

In F r a n k f u r t a. M. besteht seit dem 8. Oktober 1 8 9 4 die von der dortigen Zweiggesellschaft der G esellschaft für Ethische K u ltu r aus gegründete Freie Bibliothek und L esehalle; dieselbe führt Bücher, Zeitschriften und Zeitungen aller politischen Richtungen. D a in F ran k fu rt ausserdem eine stark benutzte städtische V olksbibliothek besteht, ferner die wissenschaftliche Stadtbibliothek (Bibliothekar D r.

F r . C I. E b r a r d ) , in deren nunmehr auch abends geöffnetem grossen Lesesaal auch Zeitschriften und Zeitungen ausliegen, und schliesslich die populär - wissenschaftliche R othschild’sche Ö ffentliche Bibliothek (Bibliothekar Dr. C h r. B e r g h ö f f e r ) vorzügliche Benutzungseinrich­

tungen hat, so darf man getrost sagen, dass die Bücherhallenfrage in F ran k fu rt so gut wie gelöst ist.

Die gleichfalls von der G esellschaft für E thische K u ltu r ge­

gründete V olksbibliothek und Lesehalle in F r e i b u r g i. B r . hatte im H erbst 1 8 9 5 eine K risis zu bestehen. Aus A nlass der bekannten A rtikel in sozialdemokratischen Zeitungen gelegentlich der vorjährigen Kriegsgedenkfeier hatte der V orstand gegen eine Minderheit beschlossen, keine politischen Zeitungen mehr aufzulegen, und die Folge war, dass das Lesezimmer verödete trotz der Zeitschriften. Nun hat aber jetzt, nach einem Ja h r e , der Vorstand die W iederauflegung der Zeitungen aller Parteien beschlossen. D ie Benutzung ist stark, obwohl das L okal sehr abseits liegt. D ie im Gegensätze zu dieser V olksbibliothek ge­

gründete katholische V olksbibliothek legt in ihrem Lesezimmer Zeit­

schriften und Zeitungen ausschliesslich katholische R ichtung aus. Beide Bibliotheken beziehen städtische Unterstützung.

In G r e i f s w a l d ist Gymnasialprofessor D r. M. S c h m i d t bemüht, eine Bücher- und L esehalle zu Stande zu bringen. (Erstere, die „V olks­

bibliothek“ wurde am 2. Febru ar 1 8 9 7 eröffnet, die Lesehalle soll am 1. April eröffnet werden.)

In G ü s t r o w i. M. ist auf Anregung des Dompredigers W i l ­ li e lin i eine V olksbibliothek entstanden; im Frü hjahr d. J . hat ein kleiner K reis von A r b e i t e r n daselbst eine W ohlthätigkeitsVorstellung veranstaltet und den E rtrag für die Drucklegung des K atalogs be­

stimmt. Dieser liegt jetzt vor; er verzeichnet über 1 0 0 0 Bände.

In H a g e n i. W . gibt es mehrere kleine städtische V olksbiblio­

theken bei den V olksschu len; in dem dortigen Comenius - K ränzchen (Prof. B ö t t i c h e r ) ist die Gründung einer Lesehalle angeregt worden.

In H a m b u r g ist zwar bei der (rein wissenschaftlichen) Stad t­

bibliothek ein auch abends offenes Zeitschriftenlesezimmer eingerichtet worden, aber der allgemeinen B ild u ng ist damit wenig gedient, da

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14 Nörrenberg, N r. 1 u. 2.

eben nur wissenschaftliche Zeitschriften ausliegen. D a V olksbiblio­

theken in H am burg gar nicht existieren (ausser einer im Vorort E im s­

büttel), so steht diese grosse Stad t in dieser Beziehung ziemlich in der letzten L inie aller grösseren deutschen Städte. Nun wird von verschiedenen S e ite n , die sich hoffentlich vereinigen, die Gründung von Bücher- und Lesehallen geplant: von der G esellschaft zur B e ­ förderung der K ü n ste und nützlichen Gewerbe (sogen. Patriotischen G esellschaft), von dem V erein für V olkskaffeehallen und von den H am burger Bürgervereinen, die dazu von dem Hohenfelder B ürger­

verein (Dr. H . Erdm ann) angeregt worden sind.

In J e n a hatten sich die Com enius-Gesellschaft und die G esell­

schaft für Ethische K u ltu r zusammengethan, um eine Lesehalle ins L eben zu ru fen ; man gründete einen besonderen Lesehallenverein, dem es gelang, von der K a rl Z eiss-Stiftung einen Jahresbeitrag von 4 0 0 0 M k. und die B estreitung der Einrichtungskosten zu erw irken;

so konnte denn die Lesehalle und V olksbibliothek am 1. November feierlich eröffnet werden. A cht Räum e des ersten Stocks eines günstig gelegenen H au ses, U nterer Löbdergraben Nr. 1 5 , dienen als B ü ch er­

und Leseräum e und sind täglich von morgens 9 bis abends 10 U hr geöffnet; es liegen etwa 1 6 0 Zeitschriften und Zeitungen aller poli­

tischen Richtungen aus. D ie Benutzung ist sehr stark.

In K i e l giebt es seit dem Ja h re 1 8 7 4 eine sehr gute V o lk s­

bibliothek im H ause der seit 1 7 9 3 bestehenden G esellschaft freiwilliger Armenfreunde und wird von derselben unterhalten. Um, womöglich in Verbindung mit derselben, eine L esehalle zu schaffen, hat sich auf Einladung des hiesigen evangelisch - sozialen Arbeitervereins, die an alle Vereine und an viele Privatpersonen ergangen war, ein Kom itee gebildet, aus dem dann eine „G esellschaft L eseh alle“ hervorgegangen ist. Diese G esellschaft, in deren V orstand auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter vertreten sind, steht im Begriff, die M ittel für die L esehalle zu sammeln. D ie genannte G esellschaft hatte 1 8 9 3 bei ihrer Ju belfeier 6 0 0 0 0 M. ausgesetzt als Ju biläu m sgabe, um damit zur Erinnerung etwas dauerndes zu stiften. E s ist nicht ausgeschlos­

sen, dass eine Bücher- und L esehalle davon geschaffen wird.

In K ö n i g s b e r g i. P r. ist auf Anregung der G esellschaft für E thische K u ltu r (Dr. Jessen) und mit städtischer Unterstützung am 1. November die erste L esehalle eröffnet worden; dieselbe ist an den W ochentagen von 6 — 9 , Sonntags von 4 — 8 geöffnet. E s liegen etwa 1 0 0 Zeitschriften und Zeitungen aller politischen Richtungen aus.

In M a i n z hat der Verein für Volksw ohlfahrt in Folg e einer Stiftung des H errn P . K ä u f f e r am 2. O ktober 1 8 9 5 eine Freie L esehalle eröffnen können, die unter Leitung des städtischen O ber­

bibliothekars D r. W . V e l k e musterhaft eingerichtet worden ist. G e­

öffnet ist dieselbe W ochentags abends von 6 bis 1J 21 0 , Sonntags von 10 bis 1/ 2 1 vormittags. E s liegen 2 3 vermischte, 71 Zeitschriften für Gewerbe, Industrie und H and el, sowie 3 2 politische Zeitungen

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1 8 9 7 . Fortschritte der Bücherhallen-Bewegung. 15

aller Richtungen aus; eine H andbibliothek steht zur Verfügung, jedoch werden keine Bücher ausgeliehen.

In M a n n h e i m besteht ein V erein für Beschaffung einer V olks­

bibliothek, Vorsitzender Rechtsanw alt Dr. T h . A l t ; die Stad t hat demselben 2 0 0 0 M. und zwei Säle eines Schulhauses zur unentgelt­

lichen Benutzung überwiesen, so dass die am 13. Oktober 1 8 9 5 eröffnete A n stalt auch ein Lesezimmer besitzt. E in dauernder städti­

scher Zuschuss von jährlich 1 0 0 0 M. steht in Aussicht.

D ie am 2 0. Oktober 1 8 9 5 eröffnete V olksbibliothek mit L ese­

halle zu S c h w e i d n i t z erfreut sich andauernd einer starken B e ­ nutzung; im ersten H albjahr wurden nahezu 15 0 0 0 Bände nach Hause entliehen. D a die A n stalt von der Stad t nur mit 3 0 0 M.

jährlich unterstützt wird, ist dieselbe der H auptsache nach dauernd auf die freiwilligen Beiträge der Bürgerschaft angewiesen. Allerdings sind die Leistungen derselben, wenn man die Zahl und M ittel der Einwohner in A nschlag bringt, ganz hervorragende, geradezu vorbild­

liche gewesen. D ie Seele des Unternehmens ist Gymnasialprofessor D r. L . H u e b n e r .

In W i e s b a d e n bestehen, von dem Zweigverein der G esell­

schaft für V olksbildung (Vorsitzender Prof. K . K ü h n ) gegründet, drei V olksbibliotheken, — die dritte seit dem 2. Ju li 1 8 9 6 — und eine V olkslesehalle, die am 1. November 1 8 9 5 eröffnet worden ist.

E s liegen in der letzteren jetzt 2 4 politische Tagesblätter aller Parteien ausser der sozialdemokratischen aus, ferner 2 4 Zeitschriften unter­

haltenden und belehrenden In h alts und etwa 5 0 Fachzeitschriften.

E in e Vervollständigung ist zu Neujahr 1 8 9 7 beabsichtigt. Die H and­

bibliothek zählt etwa 8 0 0 B än d e; eine Ausleihebibliothek besteht nicht, da die Lesehalle nicht mit einer der Volksbibliotheken zu­

sammenliegt. Aus diesem Um stande, dem F ehlen der sozialdemo­

kratischen Presse und aus dem erhobenen Lesegelde (den T ag 2 P f., den M onat 10 P f., das Ja h r 1 M.) erklärt sich wohl die bisher nicht sehr starke Höhe des Besuchs. D as Lesegeld soll mit N eujahr 1 8 9 7 in W eg fall kommen. D ie Stad t unterstützt die V olksbibliotheken und die L esehalle mit 2 0 0 0 M. jährlich. E in e V erbindung mit der (wissenschaftlichen) Landesbibliothek, wie R eyer eine solche in Graz erwirkt hat, besteht nicht.

Die Ottendorfersche Freie V olksbibliothek in Z w it t a u (Mähren) versendet soeben ihren vierten Jahresbericht. In den benachbarten Dörfern sind Sammelstellen errichtet. D ie Bücherentleihung ist von 55 0 9 6 Bänden des V orjahres auf 5 9 5 0 3 gestiegen, der A nteil der populärwissenschaftlichen W erke hat gegen den der unterhaltenden etwas zugenommen; im V ortragssaal wurden 27 V orträge gehalten.

Die Verw altungskosten, etwa 12 0 0 0 M ., trug wiederum der Stifter der B ibliothek, H err Oswald Ottendorfer, Besitzer der N ew -Y orker Staatszeitung in New -York.

D er V e r b a n d R h e i n i s c h - W e s t f ä l i s c h e r B i l d u n g s - V e r ­ e in e hatte am 2 7. September 1 8 9 6 seinen Verbandstag zu Rem scheid;

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1 6 N örrenberg, Büch erh allen-B ew egun g. N r . 1 u . 2 .

H auptgegenstand war die Bücher- und Lesehalle, über welche Schreiber dieses V ortrag h ie lt.*) D a im G ebiet dieses Verbandes von 26 Städten mit mehr als 2 5 0 0 0 Einwohnern sechszehn weder V olksbibliotheken noch Bücherhallen haben, darunter drei Städte mit mehr als 1 0 0 0 0 0 Einw ohnern: Crefeld, Elberfeld und E ssen, ist ein E rfo lg der A n­

regungen besonders dringend zu wünschen.

D as Gesam tbild der Bücherhallen - Bewegung lässt sich recht günstig a n ; eine A nzahl Städte unterstützt die von Privaten oder Vereinen errichteten L esehallen (Berlin, Frankfurt, Freiburg, K önigs­

berg, M annheim , Schweidnitz), eine Anzahl kommt dem Bedürfnis mit städtischen A nstalten entgegen, so Berlin, D üsseldorf, F ra n k fu rt;

und das öffentliche Interesse an der Sache wächst zusehends. W as noch sehr feh lt, ist die K lärung der öffentlichen Meinung über die universellen und hohen Aufgaben der L esean stalten ; die hergebrachten Vorstellungen von der elementaren Aufgabe der „V olksbibliothek“

und der gelehrten der .„Stadtbibliothek“ sind sehr tief eingenistet.

A n vielen Orten feh lt die wünschenswerte Zusammenarbeit dieser beiden A n stalten , die doch nur verschiedene Stufen einer und der­

selben A n stalt sein sollten, so in Brem en, L ü b eck , D anzig, K öln, K önigsberg, M annheim ; das zu bessern wird eine H auptaufgabe der Com enius-Gesellschaft sein. Und wenn ich von den K ieler Erfahrungen aus eine A nsicht aussprechen darf über den besten W eg zur G rün­

dung von Bücher- und L esehallen, so möchte ich dringend empfehlen, dass nicht ein bestehender Verein die Gründung selbst in die H and nimmt, sondern dass ein solcher — etwa ein Comenius-Kränzchen — sich an alle Vereine der Stad t wendet, an alle K reise, Konfessionen, Richtungen und Ständ e; so bildet sich ein Biicherhallen-A usschuss und dieser, in dem alle K reise vertreten sein müssen, nimmt dann die Gründung in die H and , der moralische E rfo lg bleibt dem an­

regenden Vereine doch. Im K ieler Kom itee sind Arbeiter von drei verschiedenen politischen Richtungen, Lehrer, Professoren' Geistliche, Techniker und K aufleute u. s. w. vertreten. So hoffen wir die G e­

währ zu sichern für volle Tendenzlosigkeit bei der Auswahl vor allem der periodischen Litteratur. D arin liegt wohl überhaupt mit der grösste W ert der freien V orarbeit der Vereine und Privatpersonen verschie­

dener K reise, dass sie diese U nparteilichkeit von vornherein sichern und ihre W ahrung den Communen als eine moralische P flich t hinter­

lassen, wenn die letzteren die Bücherhallen selbst übernehm en; denn da in den Communalverwaltungen bestimmte Bevölkerungskreise ein entschiedenes Übergewicht zu haben pflegen, wird es bei von A nfang an rein communalen A nstalten schwerer halten, jene Unparteilichkeit durchzusetzen.

*) Die Bücher- und L esehalle, eine Bilduugsanstalt der Zukunft. Zu beziehen von Gnevkow & v. Gellhorn in Kiel.

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