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Deutschland in Europa. Eine neue Rolle nach der Finanzkrise?

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Academic year: 2021

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Erhard Crome

Deutschland in Europa. Eine neue

Rolle nach der Finanzkrise?

Rocznik Integracji Europejskiej nr 6, 7-15

2012

(2)

ROZPRAWY

I

ARTYKUŁY

ERHARD

CROME

Berlin

Deutschland

in

Europa.

Eine

neue

Rolle

nach

der

Finanzkrise?

Prognosengelten alskompliziert,besonders,wennsie die Zukunftbetreffen. Der Satz wird zuweilen KarlValentin oder Winston Churchill zugeschrieben,stammt wohl aberdochvon Mark Twain. Seit Ausbruch der Weltfinanz-und Weltwirtschaftskrise,in

der wir uns noch immerbefinden, beschäftigen sich damitWissenschaftler, Publizisten und Politiker.EinEU-Gipfeljagtden nächsten, ohne dass eine nachhaltige Lösung der

Probleme erreicht werden konnte. Wahrscheinlich gibt es auch keine, solange keinSys­

tembruch mit dem Denken und Handeln sowie den Institutionalisierungen erfolgt, die die neoliberaleStrömung in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebrachthat.

Aus der Finanzkrise seit 2008 wurdeeine Wirtschaftskrise und dann eine Eurokrise, weil die „Bankenrettung“ zum Erhalt der überschüssigen Finanzkapitale der Spekulan­

ten und zur Explosion der Staatsverschuldung geführthatte.Die fiktivenSchulden der

Spekulation wurden in reale Schulden der Staaten verwandelt, für diedieSteuerzahler aufkommensollen, auch umden Preis der Absenkung von Löhnen und Renten. Weil die überschüssigenKapitaleüber dieKrise gebracht und gerettet wurden, zugleich aber

inder „Realwirtschaft“nicht die entsprechenden Anlagemöglichkeiten finden, richtete sichdie Spekulation nun gegen die Staatshaushalte der schwächeren EU-Staaten.Die

Gründungsfehler derEU, die Freiheiten des Kapitalszu vergemeinschaften, nichtaber dieWirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik, einegemeinsameWährung inGestalt des Euro zu schaffen, abereine gemeinsame Haftung der teilnehmenden Länderauszu­ schließen, haben diese Flanke geöffnet. Die Finanzkrise hat zur Kenntlichkeitgebracht, was in der Konstruktion der EU längst angelegtwar. DieOpfer dieser Entwicklungen sind nun vorallemdie Bevölkerungen in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und

Italien, denen immer neueSozialkürzungen - in den Medien euphemistisch„Sparpro­ gramme“genannt - aufgenötigtwerden.Auf diesem Wege wird in immermehrLän­ dern aus der Wirtschaftskrisenun eine soziale Krise, die schließlich in eine Kriseder politischenRepräsentation mündet.

Die Krise, die EU und Deutschland

Die Krise hat die EUnicht nurals Institutionengefüge auf denPrüfstandgestellt, sondern auch ihren ursprünglichen Entstehungszweck.Die Ausgangsidee- erinnert sei

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Erhard Crome RIE6’12 nur an Jean Monnet und RobertSchuman - war die Schaffung einereuropäischen Frie­

densordnung durch Einhegung Deutschlands. Die sollte durch Interessenverschrän­ kung nicht nur mitFrankreich, sondernauch unter Einbeziehung von Italien sowie der Benelux-Staaten erfolgen, und zwar auf demWegevon supranationaler Institutionali­

sierung - die Montanunion(ab 1950), dann dieEWG (ab 1957),EGund schließlich EU

waren die Konsequenz dessen. Deutschland, das mit den beiden Weltkriegen des 20.Jahrhunderts unendliches Leidüber Europa und dieWelt gebracht hatte,mit seinen

Versuchen, den Kontinent zu beherrschen, sollte gehindert werden, einen dritten Ver­ such zuunternehmen. Hinzu kam die deutsche Teilung: die drei westlichen Sieger­ mächte kontrolliertendie BRD, die seit Anfang an in Montanunionund EWG/EG/EU

eingeordnet war, und dieSowj etunion die DDR.NATOund Warschauer Vertragsorga-

nisationwaren nicht nur gegeneinander gerichtet, sondern dientenebenfalls der Kon­ trolleder Deutschen.

Diese Nachkriegskonstruktionwar mitdem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/91

erledigt. In der MitteEuropas erstand das vereinigte Deutschland neu, alshabe esden Kalten Krieg gewonnen. DerSchweizerische Journalist Eric Hujer beschrieb die verän­ derte Lage so: „Die Bundesrepublik steht nicht mehr unter Kuratel und ist nicht

mehr existenziell auf den Schutz ihrer Verbündetenangewiesen“. Die Umbrüche von

1989/1991 nennt er eine „Revision der Nachkriegsordnung“. Deren Folge ist, sie „brachte Russland, aber auch den alliierten Siegermächten Frankreich und Großbritan­ nien einenBedeutungsverlust. DieBundesrepublik zählt hingegen zu den Gewinnern

der neuen Weltordnung.Sie zieht ihreStärke nicht mehr wie im KaltenKrieg allein aus

ihrer wirtschaftlichen Potenz. Gemeinsammit einer Handvoll anderer Staatenhatsie die kritische Größe, um internationale Politik zu gestalten. Das wiedervereinigte Deutschlandist zueiner Großmacht herangewachsen, und siebeginnt,dieMöglichkei­

ten zu nutzen“1.Das war vordemAusbruch der Finanz- und Wirtschaftskrisegeschrie­

ben. Und diehat Deutschland genutzt,um ebendiese beschworene Großmachtpolitik zurealisieren.

1 E. Hujer, Schluss mit der Heuchelei. Deutschland ist eine Großmacht, Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2007, s. 9.

Bereits seit der deutschen Vereinigung hat eine schrittweise Verselbständigung der deutschen Außenpolitik stattgefunden. Grundsatz bundesdeutscher Außenpolitik, schon der westdeutschen vor1989, war stets, Alleingängezuvermeiden und immer im

Bündnis bzw. im Rahmen internationaler Organisationenzuhandeln, sei es dieEuro­ päischeUnion, die NATO oderauchdie UNO. BesondereBedeutungwurde der„West­

bindung“ beigemessen. Nach dem 11. September 2001 erklärte der deutsche Bundeskanzler, GerhardSchröder, die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA. Kames zu einer Differenz in der Positionierung der USAoder Frankreichs, entschied sichdie bundesdeutsche Außenpolitik dann für eine der beiden Positionen. So verwei­ gerte die Schröder-Regierung 2003die Teilnahme DeutschlandsamIrak-Krieg derUSA, für den die Bush-Regierung „Willige“gesucht hatte,sah sich dabei aberin demonstrati­ ver Übereinstimmung mit Frankreich. Die deutscheEnthaltung im UNO-Sicherheitsrat zurResolution 1973 (17. März 2011),die den Wegzum Krieg westlicher Länderin Li­ 8

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byenöffnete, war der erste Fall, dass Deutschland nicht mit den USA, Frankreich und

Großbritannien, wohl aber mit China, Russland, Indien und Brasilien stimmte- den aufstrebenden Mächtendes21. Jahrhunderts. Auf der Ebene der symbolischen Politik wardies das Signal an die früheren westlichen Besatzungsmächteund langjährigen

Verbündeten in derNATO und der EU,dass Deutschland nur dann mit ihnenüberein­ stimmt, wenn es seinen Interessen entspricht. Oderanders gesagt, seit 2011 gilt: Die deutsche Interessenwahmehmungin der internationalenPolitik ist keine abgeleitete Funktion von „Bündnisverpflichtungen“, die andere definieren.

Die Frage nun ist, ob das so auch für diedeutsche EU-Politik gilt. Für Kanzlerwie

Adenauer, Brandt, Schmidt oder Kohl war völlig klar, dassdieeuropäischeIntegration deutsche Staatsraison ist, ein Ziel an und für sich. ImZuge derdeutschenPolitik inder „Schuldenfrage“ heuteist dies nichtmehrklar.Vielmehr entsteht das Bild, als werde die EUheute aus deutscher Sicht als Voraussetzungbetrachtet, die das Streben nach

neuerWeltgeltung möglich machen soll. Deutschland für sich genommen kann mit

China nicht auf gleicher Augenhöhe reden,mitder EUals HinterlanddeutscherPolitik sehr wohl. Der Kollaps desUS-amerikanischen Unilateralismus ruft nicht nur „neue“ Mächte auf den Plan,wie China oder Indien, und„alte“wie Russland,sondern auchdie

EU,und hier militärisch auch die anderen „alten“ Mächte,wie FrankreichundGroßbri­

tannien im Libyenkrieg, oder politisch und wirtschaftlich Deutschland als eigenständi­

ge Macht mit global ausgreifenden Interessen.

Eine neue deutsche Hegemoniedebatte

Die Zeitschrift„Merkur“ eröffnete den Jahrgang 2012 mit einem Text unter der

Überschrift:„Hegemon wider Willen“.DerAutor,Christoph Schönberger, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz, beschrieb diemit der Finanzkrise

veränderte Lage so: „Nichts vonden mühsam-kunstvollen Konstruktionen, die West­ europa nach 1945 entwickelt und der wiedervereinigteKontinent nach 1989 bestätigt

undvertieft hat, erscheint indereuropäischen Staatsschuldenkrise noch selbstverständ­ lich. Diese grundlegende Verunsicherung trifft die Bundesrepublik besonders, war

dochder erstaunlicheWiederaufstieg Deutschlands nach demZweiten Weltkrieg mit der Eingliederungineinverdichtet integriertes europäisches Staatengefüge untrennbar

verknüpft. Zugleichzeigt sich jetzt deutlicher denn je, wie sehr die Bundesrepublikzur Hegemonialmacht Europas gewordenist. Siemuss führen...“2.Es folgt derinzwischen

oftobligate Hinweis auf die vorgebliche Unfähigkeit derpolitischen Führungdieses

Landes: „Die Anforderungen,diesich ausderdeutschen Hegemonialstellung innerhalb der Europäischen Union ergeben,sind groß; die Bundesrepublik wird ihnen aber nur

unzureichend gerecht. Dabei verketten sich mentaleund institutionelle Faktorenauf unglückliche Weise“3.

2 Ch. Schönberger, Hegemon w ider Willen. Zur Stellung Deutschlands in der Europäischen Union, „Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“, Heft 752, Berlin, Januar 2012, s. 1.

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10 Erhard Crome RIE6’12

Das war zwar 1914ff. und 1939ff. ebenfalls so. Den Vergleich jedoch würde derAu­

tor wahrscheinlich weit vonsich weisen. Abervielleicht ist es dasdeutscheSchicksal, sich zur Hegemonie berufen zufühlen, und ihre Realisation schließlich doch zu verfeh­

len? Am EndespürtSchönberger selbst die Analogie: „Die Hegemonie inder Europäi­ schen Union fordert von den deutschen Eliten und der deutschen Öffentlichkeit etwas,

dasDeutschlands Lage in der Mitte Europas von ihnen schon immer verlangt hat: den Verzichtauf nationaleIntrovertiertheit; die aufmerksame Kenntnis,Beobachtung und Beeinflussung der europäischen Nachbarn; die Definition der eigenen Interessen unter

Einbeziehung derInteressenlageder Partner; das Voraus- undMitdenkenfür Europa

insgesamt“.Die Pointeschließlich lautet: „Einmentales und institutionelles Sich-Ein-krümmen, ein selbstbezognenes Verwalten der eigenen Besitzstände... kann sich die

Bundesrepublik nicht erlauben.Sie mussdieBürde der Hegemonie tragen,auchwenn

sie diese schmerzhafter aufihren Schultern spürt“4.

4 Ibidem, s. 8.

5 Deutschlandradio Kultur, 11. Juni 2012. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politische- sfeuilleton/1779725/.

6 Ch. Seils, Merkel und der Euro. Wann wird „Madame No " weich? „Der Tagesspiegel“, 25. Juni 2012.

Damitmeint er gewisslich nichtdie Erträge, die das deutsche Kapital aus der Ein­

führungdes Euro und der Artund Weise der Integration innerhalb der EU in den ver­ gangenen zwanzig Jahrengezogenhat, sondern die politische Herausforderung.Ulrike

Guerot, dieseit 2007 das Berliner Bürodes EuropeanCouncilonForeign Relations lei­

tet, kommentiertein gleichem Sinne die Rede von Wolfgang Schäuble zur Entgegen­

nahme des Karlspreises der Stadt Aachen 2012 mit der Feststellung: „Europawird deutscher, Deutschland wird HegemonEuropas. Das muss nicht schlecht sein“, um dann ebenfalls zu folgern: „Deutschland muss nun Weitsichtund strategische Füh­ rungsqualitäten beweisen... Deutschland ist durchden Euro zur Weltmacht geworden. Trotzdem ist das Land dabei, ihn zu verspielen, weil es nicht versteht - oder nicht ver­

stehen will-, dass der Euro in seinerEssenz politisch ist“5. Auch im „Tagesspiegel“ wurde etwa zur gleichenZeitdas Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel der Hege­

monie und der Befürchtung, es zu verfehlen, zum Ausdruckgebracht: „So groß die Angstvor einer deutschen Hegemonie in Europa ist, sogroß sind gleichzeitig die Er­

wartungen anBerlin, und die sind beileibenicht nur finanzieller Art. Alleerwarten, dass Deutschland handelt, sowohl seine politische Führungsrolle in Europa als auch

seine finanzielle Verantwortungfür Europa wahmimmt“6.

All diese Einschätzungen zeigen dreierlei: 1) eine deutscheHegemonie in Europa

wird zwanzigJahre nach der deutschenVereinigung für völlig normal gehalten; 2) die

wirtschaftliche Kraft Deutschlandswird als Grundlage seiner hegemonialen Stellung

angesehen, die Herausforderungselbst jedochals politische akzentuiert; 3) Einigkeit besteht darin, dass dieFinanz- und Wirtschaftskriseeine Veränderungdahingehendge­

bracht hat, dass Deutschland in diese dominierende machtpolitische Rolle eingerückt ist. Nunkönnte eingewandt werden,dassesauch andereStimmeninDeutschlandgibt. Demgegenüber ist festzuhalten: Es ist diesaugenscheinlich das Denken eines wichti­

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dungsprozessenin diesem Lande gewiss nicht femsteht. Bernd Ulrich,stellvertretender

Chefredakteur der Hamburger „Die Zeit“ und deren Ressortcheffür Politik, hatte be­ reits 2011 geschrieben: „Deutschland ist eine Mittelmacht, das heißt stärker als die meistenLänder in Europa, aber längst nicht so stark wie die USA oder heuteChina“.

Und weiter: „Bis zur Einheit und noch darüber hinauslag es imdeutschen Interesse,die

eigene Stärkenichtzu zeigen,umnicht die historischenVorbehalte zumobilisieren.An diese Maxime hielt sich jede Regierung, auch die jetzige. Allein, so funktioniert es

nicht mehr. Schon in der Finanzkrise, erst rechtmit dereuropäischen Währungs- und Schuldenkrise,wurde von Deutschland als wirtschaftlich gesundester Macht Führung verlangt, und spätestens hierließ sichdie Stärke nicht mehrcamouflieren. Damit aber verändertsichdie Rolle Deutschlands insgesamt. Vom Bösewicht der Weltgeschichte

hatte man sich zu Everybody’s Darlingemporgearbeitet,um nun in Europa zu etwas zu werden, was die USAlange Zeit für die Welt waren: die Nation, die allesregeln soll unddiejederhernachbeschimpfendarf, wiesiees geregelt hat, einerseits Retter und

andererseits Imperialist“7. Hier sind zusätzlich zwei Punkte interessant: Man vergleicht

sichmit den USA und hat keine Skrupel, „Imperialist“ zu sein.

7 B. Ulrich, Wofür Deutschland Krieg führen darf Und muss, Reinbek bei Hamburg 2011, s. 64-66.

8 H. Kundnani, Paradoxon Deutschland. Eine geoökonomische Macht in der Zwickmühle, „In­ ternationale Politik“ 2012, Heft 6, s. 62, 67.

Hans Kundnanivom European Councilon Foreign Relations (London) stellte Ende

2011 in derZeitschrift „Internationale Politik“ ebenfallsfest:„Die Euro-Krisehat eine

neue, bestimmende Bundesrepublik hervorgebracht. Dieeinstige Zivilmacht Deutsch­

land wird zu einer geoökonomischenMacht“. Bei der Erörterung dessen, was diese Charakterisierung bedeutet, bezieht er sichzunächst wieder auf denNahenOsten (das Entscheidungsverhalten in Sachen Libyen-Resolution war noch frisch) und siehteine

„wachsende Spannung zwischen denwirtschaftlichenund politischen Interessen des

Landes“. Dann meint er:„Nunmagein Streben nach Schutz nicht mehr im Vordergrund

stehen, sonderneinerDefinitionnationalenInteresses vornehmlich in wirtschaftlicher Hinsicht gewichensein. Trotzdem wird Deutschland sich nicht vollständig vom Westen

trennen. Das Land wirdsich weiterhin auf NATO(für Sicherheit) und EU(für Absatz­ märkte) verlassen.Im geopolitischen Ganzen ist das Land gutmütig. Dennochkönnte diedeutscheWirtschaftihrer Umgebung entwachsen sein.Die Nachbarn können nicht

mehr mithalten, aber Deutschland istauch nicht großgenug, um Hegemon zu sein. Eine neue geoökonomische Varianteder deutschen Frage steht imRaum“8. Abgesehen da­

von,dass Kundnani stärker alsdie anderenAutorenbezweifelt, ob Deutschland dieser hegemonialen Rolle gewachsen ist, ist doch die Inhaltsbestimmung der„geoökonomi­ schenMacht“ konzeptionell bedeutsam. Es ist eine Macht, die auf den globalen Markt, dieWeltwirtschaft gerichtete Interessen hat, dievorallem wirtschaftlich gestützt sind.

DieregionalenEinbindungen in Europa, einschließlich derer in die EU, wie auchdie

Beteiligung an der NATO oderdas Agieren inder UNO undanderen internationalen Organisationen,die internationalePolitik in einem politisch-diplomatischen Sinne sind

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12 Erhard Crome RIE6’12

Wirtschaftliche Entwicklungen

Nach den aktuellen Zahlen des Internationalen Währungsfonds für 2011 (Stand

April2012)hatte das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) einnominales Gesamtvo­ lumenvon etwa 69,66 BillionenUS-Dollar. Damit war es im Vergleichzu 2010 um

3,85 Prozent gestiegen.Dieses Wachstum verteilte sich aber weiterungleichmäßig:das

BIP Chinaswuchsum 9,24 Prozent, Indiens 7,24 Prozent,Russlands4,30 Prozent und

Brasiliens 2,73 Prozent, währenddas derUSA bei 1,74 Prozent lag und der EUbei 1,62 Prozent. Gleichwohl ist dieEU miteinemBIP von 17,58 BillionenUS-Dollarder

größte Wirtschaftsfaktor der Welt.Innerhalb der EUträgt Deutschland mit einem BIP von nominal 3,58 Billionen US-Dollar 2011 zu etwa einem Fünftel zur Gesamtleistung

der EU bei9.

9 de. wikipedia. org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Bruttoinlandsprodukt (abgerufen am 3. Au­ gust 2012).

10 Statistisches Bundesamt: Außenhandel. Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (mit Umsatz und Saldo) 2011, erschienen am 12.07.2012 (abrufbar un­ ter: destatis.de).

11 Statistisches Bundesamt: Außenhandel. Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (mit Umsatz und Saldo) 2010, erschienen am 10.03.2011 (abrufbar un­ ter: destatis.de).

12 Angaben nach EUROSTAT, 14.02.2012, und UNCTADstat.

13 Eigene Berechnungen. Allerdings ist hier der Exporterlös für 2010 nach den neueren UNCTAD-Zahlen zugrunde gelegt; nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Fußnote 10) wa­ ren das 2010 79,8 Prozent EU und 55,8 Prozent Eurozone.

14 Eigene Berechnungen nach: Statistisches Bundesamt 2011.

Derdeutsche Außenhandelsumsatz erreichte2011 ein Volumen von 1,96Billionen Euro, die Exporte überstiegen erstmals die 1-Billion-Euro-Marke; der Exportüber­

schuss lagbei 158.086,3 Millionen Euro10 11. 2010betrugender Umsatz 1,77Billionen Euro und der Exportüberschuss 153.333,3 Millionen Euro11. Damitist die deutsche Wirtschaft weiter „Export-Vizeweltmeister“ (seit 2005 hinter China - hier müssen die

Umsätze und Salden der Volksrepublik, Hongkongs und Makaus addiertwerden,was

in vielenStatistiken nicht geschieht). Die neuen Debattenum deutsche Weltgeltung ha­ ben,dies sei zunächst festgestellt, einen realwirtschaftlichenHintergrund.

Nachden Zahlen seit der Finanzkrise verzeichnete das deutsche BIP 2008 gegen­

überdemVorjahrnochein Plus von 1,1 Prozent, 2009 ein Minus von 5,1 Prozent und

2010bzw. 2011 wieder ein Wachstum 3,7und 3,0 Prozent. Die maßgebliche Wirkung

der weltweitsinkendenNachfrage war 2009 ein Einbruch der deutschen Exporte um

18,4Prozent, bereits 2010 ein Anstiegum 18,5 Prozentund 2011 um 11,4 Prozent, das

heißt 2011 war der Höchststand von 2008 wieder überschritten12. Der deutsche Außen­ handelsüberschuss stammte 2010 zu 79,0 Prozent aus den Exportenin die anderen EU-Länder, zu55,22 Prozent aus der Euro-Zone13. ImJahre2011 resultierteder deut­ scheAußenhandelsüberschuss zu 75,6 Prozent ausder EU und zu 50,83 Prozent aus der

Euro-Zone14.

Hierist es sinnvoll, sichbestimmte Verschiebungen innerhalb der EUanzuschauen. Vergleicht man die nominelle BIP-Leistungder EU-Länder (in diese Berechnungen

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2007 und2011, so ist der deutsche Anteil von 19,79 auf20,35 Prozent angestiegen, der

Frankreichsvon 14,89 auf 15,79, die AnteileItaliensund Spaniensbliebenmit etwa 12,5bzw.8,5 Prozent etwa gleich, während derAnteil Großbritanniens von 16,66 auf

13,75 gesunken ist und der Irlandsvon 1,55 auf 1,24 Prozent.Die Anteile Großbritan­

niens und Irlands an derWirtschaftsleistungder EU insgesamtsindjeweilsumetwa ein Fünftel gesunken. Dasbedeutet, dass dieLänder, deren Wirtschaft eher von der Real­

wirtschaft getragensind, besserüberdie Krise kamen,alsjene,diesich auf„Finanzpro­

dukte“spezialisierthatten, mit anderen Worten: die Schauplätzeder Spekulationsind.

Politische Konsequenzen

Die deutschen Exportüberschüsse sind die Kehrseite der Schulden der anderen

EU-Länder. Angesichts der „Sparpolitik“ gegenüber den Schuldnerländem ergibt sich die Frage: Werden die Kunden geschlachtet,nurum den Euro zu retten(z.B. Griechen­ land), und Deutschlandzerstört seine eigenen Märkte? Hörigkeit der Politikgegenüber „den Finanzmärkten“reichtals Erklärung nicht aus. Es geht offenbar umdenEuroals zweite Weltwährung inKonkurrenz und Auseinandersetzung mitdem US-Dollar. Inso­

fernals der EuroGrundlage der deutschen Stellung in der Weltwirtschaft und damit in

der Weltvonheute ist, liegtdie Priorität darauf, dass der Eurogerettet undstabilisiert werden soll,auch wenn dies auf Kosten anderer EU-Länder, ihrer sozialen Lage und

Stabilität geht. Damit zeichnet sich bereits jetzteinSpannungsverhältnis zwischenden globalendeutschenInteressen als geoökonomischerMacht und den Erfordernissender

Gestaltung der Europäischen Unionals einesIntegrationsverbundes von Staaten,Völ­

kern und Regionen ab. Die Entwicklungsunterschiede innerhalb der Union sollten aus Sichtder Integrationszieleverringert werden, während sieaus Sichtder deutschenGlo­

balinteressen irrelevantsind, sofern sie die Funktionalitätder deutschen Exportwirt­ schaft nicht stören.

Das Sinken derAnteileder anderen EU-Länder bzw. der Euro-Zoneam Exportüber­

schussDeutschlands von 2010zu2011 scheint diese Strategie zubestätigen: DieErlöse der deutschen Wirtschaft aus dem fernen Welthandel steigen auch bei sinkendem

EU-Handel. Esentsteht eine neue Peripherie nichtnur in der globalisierten Welt, son­ dern auch innerhalb Europas - Deutschland undeinige andere Länder,die zur„harten“ Eurozone gehören, stellen im eigentlichen Sinne das Zentrum der EUdar, während die

verschuldeten Länder imMittelmeerraum und am „Rande“ der EU (Irland,Portugal,

Griechenland,Italien und Spanien) dieschwächelndePeripherie bilden.Die Frage nur ist, ob die EU als Integrationsverbund das aufdie Dauer verkraftet. Der schon zitierte Hans Kundnani schrieb im Sommer 2012: „Deutschlands gewachsene Macht und

Frankreichs verhältnismäßige Schwäche haben es Berlin erlaubt, seine Präferenzen in

der Euro-Zone und der EUdurchzusetzen“. AmEnde aber wird „das Europa, das inder

Krise entsteht, weniger ein deutsches, denn ein chaotisches“ sein15.

15 H. Kundnani, Was für ein Hegemon ? Berlins Politikführt zu keinem deutschen, sondern einem chaotischen Europa, „Internationale Politik“ 2012, Heft 3, s. 25.

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14 Erhard Crome RIE6’12

Zur gleichen Zeit habenwir es innerhalb der EUzwar einerseitsmitder Herausbil­

dung einer EU-weiten politischen Struktur und „Elite“ zutun, und die Kapitalverflech­

tungennehmeneuropaweitzu. Gleichzeitig aberbestehen weiterhinnationalorganisierte „staatsmonopolistischeKomplexe“ der Macht, und damit unterschiedliche Interessenträ­ ger - das deutscheKapital und diedeutscheRegierung, das französische Kapital und die französischeRegierung,das britische und die britische Regierung(mit den Sonderinter­

essen in Sachen „Finanzplatz“ London) -, die innerhalb der EU identifizierbar sind. In diesem Sinneist einerseitsdavon auszugehen, dass dieInstitutionalisierung der EU und

die Vergemeinschaftung ihrerPolitik voranschreiten, andererseits aberMachtverschie­

bungenvor sich gehen, die den Nationalstaaten zugeordnet werden müssen. So ist esana­ lytisch trotz EU-Integration sinnvoll, vondeutschemDominanzstreben zusprechen.

Damit abersteht die „deutsche Frage“ wiederneu. Deutschland ist Hauptnutznießer der Euro-Einführung, eswäre auch der Hauptleidtragende seines Zusammenbruchs.

Die Rettunggeht abernicht überHegemonie, sondern überKooperation. Die EU, wie

sie institutionell seit 1950 geschaffen wurde, steht einer Hegemonialordnunggrund­ sätzlich entgegen.Versuche,sieinformell auszuüben, scheitern an ihrer gesatzten Ord­ nung. Wenn es Zweck der EU war, innerhalb der Institutionen jene Widersprüche zwischen denStaatenfriedlich undsatzungsgemäßauszutragen,die zuvorinmehreren Kriegenin den Schützengräben ausgetragenworden waren,so muss sichdies eben jetzt

bewähren. Die starke deutsche Position innerhalb der EU war informell ziemlichunan­

gefochten, solange der französischePräsident Nicolas Sarkozy derPolitik von Kanzle­

rin Angela Merkel nahezu widerspruchslos folgte, währendein französischer Präsident

Francois Hollande,der sichmitdem spanischenunddem italienischen Ministerpräsi­ denten abstimmt, eine vergleichsweisestarkePositionindenInstitutionen einzuneh­ men in der Lage ist, durchdiedie faktische StärkeDeutschlands ausbalanciertwerden

kann. DaDeutschland weder an einer Schwächungoder gar einem Zusammenbruch

desEuronoch der EU interessiert sein kann, nutzt die starke exportwirtschaftliche und

finanzpolitische Positionen dagegen letzten Endeswenig. Das institutionelle Gefüge der EUistfür Hegemonie, wessen auchimmer, nicht gemacht undsteht jedem Hege­ moniestrebengrundsätzlich entgegen.

Die Kämpfeumdie Zukunft der Europäischen Union werdendemzufolge auf drei

Ebenenausgetragen: 1) essind nach wie vor - und unterden Bedingungender Wirt­

schafts- und Finanzkriseverschärft-Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital, zwischen

abhängig Beschäftigten und Kapitaleigentümem; 2) es sind Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen „staatsmonopolistischenKomplexen“und es ist 3) ein Widerstreit zwischen deutscher Hegemonialpolitik und dem institutionellen Arrange­ ment der EU. DieWidersprüche undAuseinandersetzungen, dieauf diesen drei Ebenen

ausgetragen werden, sind untereinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig.

ImEndergebnis entscheidetder AusgangdieserKämpfe in erheblichemMaße überdas

Schicksal Europas. Es ist offen in dem Sinne, dass die „objektiven Bedingungen“ ver­

schiedenste Resultanten möglich machen. Am Ende entscheidet die politischeFähig­ keit der real agierenden Akteure - und das sind nicht nur Regierungen und die Hochbürokratie in den Brüsseler Amtsstuben, sondern auch die Menschen in allen EU-Ländern mit ihrenpolitischenBewegungen und Parteien, Gewerkschaften und Or­ ganisationen und mit ihrer Zivilcourage.

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Summary

Germany in Europe. A new role after the financial crisis?

The main proposition of the author of the paper is that the role and importance of Germany in Europe has increased during the financial crisis of the eurozone. In the opinion of the author, since the government of Chancellor Gerhard Schroder, and especially since his refusal to take part in the anti-Iraq coalition in 2003, German foreign policy has been marked by assertiveness and followed exclusively German national interests. The cabinet of Angela Merkel continues this approach, and the solutions to solve the eurozone’s financial crisis Berlin has proposed and promoted are primarily subordinated to the needs of the German economy. In the author’s opin­ ion, in the future, Germany will treat the European Union instrumentally as what is termed a hin­ terland (backup facilities) for emerging German ambitions to become a great power.

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