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Illustrirtes Sonntags Blatt 1887, 4 Quartal, nr 13

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Academic year: 2021

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(N^änri'ck Vcr'-vteii.^

Eberhard im ZLarte. (Zu unserem Bilde auf S e ite 97.) Gefeiert in Geschichte und S a g e, im Volksliede, in W ort und B ild wie kein anderer der Fürsten W ürttem bergs ist G raf E berh ard , der erste Herzog des jetzigen K önigreichs, der im J a h re 1482 die ehedem ' gethcilten württembergischen Lande zn einem S taatsv erb an d e auf ewige Zeiten vereinigte.

W er kennt nicht Ju stin u s K erners Lied:

„Preisend m it viel schönen Reden", in welchem

„W ürttem bergs geliebter H err" den ersten Ruhm aller in W orm s versammelten Fürsten erntet, weil sein Land zwar arm , sein Volk aber das treueste sei, sodaß er „sein H aupt kann kühnlich legen jedem U nterthan in Schoß." D ie W orte des schwäbischen S ä n g e rs haben einen schwäbischen B ildhauer, P a u l M üller aus S tu ttg a rt, zu einem herrlichen Kunst­

werk begeistert, dessen Abbildung w ir unseren Lesern bringen. D er „G raf im B a rt" hat im wilden Ja g d - gehege bei der Verfolgung des Rothhirsches sich ver­

irrt und hat endlich in ärmlicher H ütte ein erstes Unterkommen gefunden. Todmüde ist der fürstliche H err auf dem schlichten Ruhesitz zusammengebrochen, der B au ersm ann aber hat das H aupt des Erschöpften auf seinen Schoß gebettet, auf das beste Lager, über das er gebieten kann. D ie schöne Gruppe, in welcher die bildende Kunst einen ihrer größten Trium phe gefeiert h at, ist eine Zierde des Schloßgartens in S tu ttg a rt, Einheimischen und Frem den frei zugäng­

lich. I n dem Werke vereint sich das Ebenm aß und die Reinheit der Linien m it der K raft und Fülle des Ausdrucks zu einem harmonischen Ganzen, das zwischen der rein idealen und der realistischen Auffassung die richtige M itte hält.

Wie die Eingeborenen in Huyana yeiratyen.

Nirgend ist wohl die A rt und Weise, sich zu ver­

ehelichen, einfacher und von weniger Ceremonien be­

gleitet, als unter einem Theile der Eingeborenen in G uyana. W enn eine junge In d ian erin dieses Landes für einen Krieger ihres S tam m es N eigung fühlt, so bietet sie ihm des Abends Holz zum Feuermachen unter seiner H ängem atte an. Verweigert er diesen Dienst von ihr, so ist dies ein Zeichen, daß ihre Gefühle nicht erwidert werden, und die auf solche Weise Abgewiesene entfernt sich; im entgegengesetzten Falle aber richtet sie ohne W eiteres ihre H ängem atte neben der seinigen auf und das B and der E he ist geschlossen. Am nächsten M orgen bringt die junge G attin ihrem nunm ehrigen H errn und Gebieter zu essen und zu trinken und fängt an. ihn zu bedienen, wie es fü r die Zukunft ihre Pflicht erheischt. D a s Loos dieser Armen ist oft ein sehr beklagenswerthes.

Nicht selten läßt der M an n die wütheudsten Aeuße­

rungen seiner Eifersucht über sie ansprechen und hält sich berechtigt, sie nach G efallen, selbst ohne allen G rund, wieder zu verstoßen. Trotz dieser M iß hand­

lungen muß die Unglückliche sich den härtesten A rbeiten und mühseligsten Verrichtungen unterziehen, ja sogar das W ild. welches der M an n auf der J a g d erlegt hat. a u s den W äldern herbeiholen, zu welchem Zweck derselbe ihr den W eg vermittelst abgebrochener Zweige, die er m itbrin gt, andeutet und es ihr überläßt, sich danach in der W ildniß zurechtzufinden.

Selbstlose Schadenfreude. M eister (zu seinem Lehrjungen, den er eben durchgebauen): „ E s thut m ir wirklich weh, Dich im m er schlagen zu müssen."

— Lehrjunge: „S o , weh th u t's Ih n e n ? D an n prügeln S ie mich gleich noch e in m a l!" .

Zerstreut. Professor A.: „S agen S ie , H err Kollege, wann stehen sie denn des M orgens eigentlich im m er auf?" — Professor B .: „S o b ald ich M orgens erwache, stehe ich sofort auf. M anchm al erhebe ich mich allerdings auch schon bedeutend früher."

Aas wirksame Mittel. Arzt: „N a , Christian, sind von dem C hloroform , daß ich Eurem S o h n verschrieben, die Schmerzen fortgeblieben?" — B au er:

.-Ja, H err Doktor, mein Ju n g e aber auch."

Kauswirtyschaftliches.

U m ü b e le n G e ru c h a u s frisc h g e w e ih te n Z i m m e r n zn entfernen, schäle m an Zwiebeln ab und lege sie an verschiedene S tellen des Zim m ers, oder m an bringe ein großes Becken m it frischem W asser, das m it 2 Loth V itriolöl vermischt worden, oder auch ein Gefäß mit Chlorwasser in die S tube, au s der man den ungesunden Geruch vertreiben will.

H aben diese M ittel nicht das erste M a l gewirkt, so erneuere m an Zwiebeln und Wasser. Zu bemerken ist jedoch, daß der A ufenthalt in einem Zimm er, wo Chlorkalk in P u lv e r und Chlorwasser aufgestellt sind, für Menschen ungesund sein würde und frische Luft dabei unerläßlich ist.

Naheliegende Keflirchtnilg.

D am e: „M ein H err, hören S ie endlich auf mit dem Geständniß und den B e feu eru n g en I h r e r glühend heißen Liebe."

H err: „Aber weshalb denn?"

D am e: „Ich könnte m ir sonst leicht die Lippen verbrennen."

In der ZLitdergalerie. (E in H err und eine D am e stehen vor einem Bilde, das ein Pärchen dar­

stellt. das sich küßt.) S ie (zu ihm ): „S ieh ', theurer E duard, wie w ahr, wie treu, wie so ganz nach dem Leben!"

Auflösung der Schachaufgabe Wr. 12.

W e iß . S c h w a rz . 1) P 2 - I? 3-j- . . 1) K. - 2) T . 0 5 - 0 6 . . 2) K. - 3) T . 0 3 - 0 5 -h . 3) Beliebig.

4) T . setzt M att.

Auflösung der Würfelaufgave aus Ar. 12:

A uflösung der Scherzaufgabe au s voriger N'i'nruer:

Dem Nachtwächter.

Auflösung der R äthsel au s voriger N um m er:

Stock. - Altar, Tatar.

ALe Masteibrücke. (Zu unserem Bilde auf S eite 100.) D a s reizende Stück Erde, welches die Elbe oberhalb D resdens von der böhmischen Grenze bis zum O rte Liebethal durchströmt, gehört zum M eißener Hochlande und ist als „Sächsische Schweiz" in der ganzen W elt bekannt und fast während des ganzen J a h re s von Touristen durchwimmelt. F els und W ald, B erg und T hal. Land und Wasser sind hier zu einem grotesken und romantischen Durcheinander zusammengemischt, wie man es auf einem so kleinen Flächenraum — etwa 14 Q uad rat- meilen — nirgends sonst vereinigt findet. D arum ist der Sachse, und insbesondere der D resdener, der ja in seinem „Elbflorenz" schon eine H auptattraktion besitzt, auch nicht wenig stolz auf seine „Schweiz".

I n dem Ilnterlande der sächsischen Schweiz ist die Bastei genannte Felseupartie, die sich m it einer sieben- bogigen Steinbrücke 700 Fuß hoch in gewaltiger Schönheit hoch über dem Elbfluß aufbaut, ein G lanz­

punkt, den unser B ild wiedergiebt. D er Rundblick von der Bastei auf das nähe und ferne Fluß- und W aldgebiet, über das der Lilienstein und die B erg ­ feste Königsteiu als stolze W arten em porragen, ist außerordentlich lohnend.

Zur Verwendung des Luftballons im Ariege.

E s besteht vielfach die Anficht, daß die Verwendung des Luftballons im Kriege eine Errungenschaft der neuesten Zeit sei. A us einem sehr interessanten Aufsätze von E ric S tu a r t Bruce in der „D ublin Review" erfährt m an jedoch, daß bereits im J a h re 1793 die französische Regierung von gefesselten B allo ns Gebrauch machte. E s w ar Guyten de M erveau, welcher dem Sicherheitsausschuß den Gebrauch solcher B allo n s empfahl. D ie auf A n­

regung der Regierung unter der Leitung G uyten's, Cöntelle's und C on ts's in M eudon angestellten V er­

suche w aren so erfolgreich, daß eine Gesellschaft gebildet w urde, die „Äerostiers". D er erste B allon erhielt den N am en „L 'E ntreprenant". E r fand bei der B elagerung von M aubeuge und Charleroi und auch in der Schlacht bei F leu ru s Verwendung.

Bei dieser letzteren Gelegenheit soll er zehn S tund en hintereinander in der Lust geblieben sein. wobei jede Bew egung des Feindes beobachtet und gemeldet wurde. E r wurde alsd ann auch bei der B elagerung von M ainz benutzt. I m J a h re 1796 ließ der fran ­ zösische Kriegsausschuß noch einige K riegsballons anfertigen und sandle sie zu den Heeren, die bei Düsseldorf und S tu ttg a rt standen. N apoleon förderte den Fortschritt in dieser Beziehung nicht. E r legte auf die V erwendung der Luftballons im Kriege keinen großen W erth, wie d araus hervorgeht, daß er n u r auf einem seiner Feldzüge (dem ägyptischen 1796) B allo ns m it sich führte, von denen er nicht einm al Gebrauch machte. E tw as von dem B allon- geräth fiel den E ngländern in die H ände. E inige J a h re später wurde die Ballonabtheilung aufgelöst, und erst im J a h re 185!) wurden die Versuche wieder aufgenom m en. Gefesselte B allo ns fanden ferner im amerikanischen Bürgerkriege. 1861. Verwendung, und später rüsteten die Föderirleu eine Ballonabtheilung aus. D ie B allo ns standen m it dem Erdboden in telegraphischer V erbindung, w as eine wesentliche Verbesserung im Vergleich mit der von den Franzosen angewendeten Verkehrs weise bedeutete: letztere bestand nämlich darin, daß m an Zettel an Ballastsäcke heftete und Herabwarf.

Hut instruirt. H err: „M eine F ra u hat S ie als Stubenm ädchen eugagirt, liebes K ind; kennen S ie auch schon I h r e H aupt-O bliegenheiten?" — H a u s­

mädchen: „Jaw ohl, Ih n e n , gnädiger H err, möglichst aus dem Wege zu gehen!"

Medenkliche Ileidsüchtigkeit. „N un, Therese, w as hat Ih n e n denn I h r V erehrer eigentlich zu Weihnachten geschenkt?" — „ E r hat um meine H and angehalten." — „E i w as, ist das aber geringfügig!"

Scherzfrage. „W ie wird m an auf Reisen stets von^guter W itterung begleitet?" — A ntw ort: „W enn m an einen guten H und m it sich sührt."

Hedankensptitter. Aller A nfang ist schwer, und die N arrheit ist aller W eisheit A nfang. — Erbärm lich sind die Menschen, die keinen festen G rundton halten, sondern wie die W indharfen von jedem neuen Hauche sich umstimmen lassen.

Alle Rechte vorbehalten.

Bedruckend Rediairt von C. Döbel in T^rlii:. Schweriu's ___ t und " - . ^ .

Verlag t > in Berlin VV. Behrenstr. 22.

Ellinor.

N o v e l l e v o n K . Z1 i e d e l.

(Schluß.)

(Nachdruck verboten.)

^ » ^ c h wollte D ir auch A lles nehmen," fuhr E llin o r fort, „und es einem Anderen geben — aber in der schwachen S tu n d e kam mir der liebe G ott zu H ülfe und ich konnte mich überwinden. Ich sah Dich im G eist, wie D u w arst, ehe D u in das W elt­

getriebe hineingeriethest, wie in einen S tr u d e l, gegen dessen G ew alt D u machtlos warst. Und alle m eine bösen Vorsätze schwanden. — K uno, ich habe einen B ruder, D u mußt es w issen, der D ir und den D ein en Vernichtung gedroht hat, — aber ich w ill und werde es ihm wehren!"

S i e stand hochaufgerichtet da und suchte K uno's A uge, aber er w en­

dete den K opf zur S e ite .

„Ich kam, um Abschied von D ir zu

nehmen, E llinor,"

sagte er, und aus seiner S tim m e klang es w ie ein schmerz­

liches V er­

zichten.

„W ohin w illst D u gehen?" fragte sie, und es schien, a ls stockte der Athem in ihrer B rust.

„W ohin?" - - wiederholte er träumerisch.

— D ie S o n n e neigte sich dem U ntergänge zu und er schaute ihr in 's Angesicht, a ls suchte er hier eine A ntw ort aus EUinor's Frage. „ Ja , wohin? — Ic h w ar hier nie recht zu Hause,"

sagte er dann langsam , nach einer W eile —

„wenigstens seit dam als nicht, a ls w ir, zwei glückliche Kinder, zusammen spielten. W o sind die Zeiten hin." — E r schwieg, wie in E r­

innerung verloren, und E llin or umklammerte seinen Arm.

„Kuno," rief sie a u s, „ich verstehe Dich nicht — hast D u die E ltern gesprochen?"

O hne ihr sogleich zu antworten, fuhr er in

Eberhard im Aarle. M arm orgruppe von P a u l M ü l l e r . (Text S . 104.)

demselben T one fort: „ E s w aren im Ganzen traurige Jah re — die Vorbereitungen zu einem ungeliebten B eru f — dann dies unruhigeTreiben aus den W ogen des Lebens. — Ich wunderte mich manchmal, wie w enig wahre Lust mir das Reichsein gab, jetzt weiß ich's mir zu erklären.

— Und dann diese innige Liebe zu D ir im

Herzen, E lly, und einer Andern angehörend — oh! dieses schwankende Herz! E s hat kein besseres L oos verdient! Und es ist besser so, wie es nun gekommen. Und die S ü n d en der E ltern sollen heimgesucht werden" — er brach plötzlich ab, so wie der S on n en b all, dem er u n ­ ablässig m it den Augen gefolgt war, hinter den B ergen versank. Und nun wandte er sich E llinor zu, die m it einem unbeschreiblichen Ausdruck in ihren beredten Zügen zu ihm aussah, und die Augen B eider blieben in einander haften.

— „D u w eißt, E llin o r , w ie sehr ich meine M u tter geliebt. S a g ' ihr, daß ich sie des­

halb nicht wiedersehen konnte. D en V ater hab' ich noch gesprochen, er war w ie immer in seine Zeitung vertieft, so daß er nur wenig Augenblicke für den S o h n übrig hatte. Und nun ist es Z eit," rief er aus. „Noch ehe der T ag völlig weicht, muß ich meiner

Verpflichtung nachgekommen

sein."

D ie S o n n e hatte beim Scheiden ein purpur­

rothes Licht über den G arten und den beiden jugendlichen Gestalten ausgebrei­

tet. ' „N ie geboren wäre besser, aber gut auch ist der Tod,"

flüsterte er die W orte des schwermüthigen D ichters nach und machte einen Versuch, sich von E llin o r loszureißen. S ie aber schlang die Arme nur fester um ihn.

„Kuno, w as willst D u thun? I s t es mein

B ru d er, der die mörderische Kugel auf Dich

richten w ill, aus D ich, meinen G eliebten? —

(2)

98

W er giebt ihm d as Recht dazu? — D u bist

unschuldig. Und w as ist Schmach, w as ist be­

fleckte E h re im S in n e der M enschen? — V or G ottes A ugen gilt es nichts. Und die Menschen?

— W a s kümmern u n s sie? — D ie Liebe ist höher als Alles. — Laß u n s fliehen, laß u n s dort in der F ern e, in der H eim ath meiner E ltern , unser Glück suchen!"

E r athm ete hoch auf. I n dem jungen Herzen loderte die Liebe noch einm al siegreich, alle S tim m en übertönend, m it A llgew alt empor.

D ie Augen und Lippen fanden sich, und die A rm e schlössen sich so fest um einander, als ob sie sich nie m ehr lösrn wollten.

„ S o wußtest D u um A lles, und hast nie aufgehört, mich zu lieben?" hatte er zwischenein geflüstert. Und wie einen letzten T run k schlürfte er die B estätigung von ihren Lippen — lang­

sa m , T ropfen für .T ro p fe n ..— E in leichter W indzug hob die W ipfel d r B ä u m e , — der G lanz, den die S o n n e zurückgelassen, w ar ver­

blaßt, kühl und grau legte sich die D äm m erung über den G arten . Und kühl und fröstelnd über- jchlich es m it einem M a l die Herzen der Beiden

— noch . einige M om ente standen sie sich gegen­

über, H and in H and.

„N un ist's genug," sagte er, „und mein T ag zu Ende. E s ist unmöglich, daß ich ein neues- Leben beginne."

„B leib '!" flehte sie ihn an.

E r antw ortete nich'. E r sah ih r n u r noch einm al tief in die A ugen — und m it einer plötzlichen B ew egung hatte er sich von ihr lo s­

gerissen und enteilte, so schnell ihn feine Füße trugen, dem Paradiese feines Lebens.

E llin o r sah ihn fliehen. — B is an das E n d e ihres Lebens gedachte sie des Schauders, der sie vom Kopf bis zu der S o h le durchrieselte, a ls es in ih r m it lauter S tim m e schrie: „H att' ihn zurück — oder er ist dem Tode geweiht"

— und sie die F üße hob, um ihm zu folgen.

U nd n u n w ar es wie ein K am pf um Leben und Tod, dies D ahinstürm en der beidenschlanken, jugendlich kräftigen G estalten. Keine U neben­

heit des W eges achtend, durch den G a rten da­

hin, über die Landstraße, über die G räben und frisch aufgeworfenen Sturzacker, am W aldes­

rande, nun zwischen dem G estrüpp dahin.

Jetzt sah sie ihn zwischen den niedrigen Fichtenstäm men im hohen H eidekraut, sah es deutlich, wie er sich nach ihr umblickte — jetzt verlor sie ihn bei einer B iegung des W eges aus- den A u.,en — eine ungeheure A nstrengung und die Waldesecke w ar erreicht, — dort huschte es- wie ein S chatten über den W ieseaplan, der Hochwald nahm ihn auf. —

I h r Athem stock e, ihre F ü ß e trugen sie nicht m ehr — noch ein S p ru n g über den M o o r­

grund — sich anklam m ernd an das schwankende Weidengebüsch jen eitS, suchten ihre Blicke die dahinfließende G estalt — sie w ar verschwunden.

I m grauen G eäst derK iefern nichts als S chatten, dunkler und dunkler. —

E in p a a r Augenblicke stand sie da m it wogender B ru s t, das Antlitz leichenhaft blaß im Zwielicht, die Augen glühend vor gewaltiger E rregung und das T e rra in rastlos überfliegend.

— „G u ter G o tt, sei barm herzig! G ieb m ir K raft, n u r noch einige Augenblicke!"

Und sie fühlte einen neuen Lebensstrom sie durchdringen, es gelang ih r, dcn Hochwald zu erreichen, nun legte sich auch um sie der S chatten.

— Und nun ertönte ein scharfer, kurzer K nall, dann ein N achhall, geisterhaft verklingend — und d ann lag's still und schweigend über der Gegend.

Z u r selben Z eit ungefähr rollte ein W agen im raschesten Tem po vom B ah n h o f her der V illa M ü lln e r zu. Noch w ährend des F a h re n s öffnete die In sassin die T h ü r und behielt die­

selbe in der H and, un, keine M in u te beim A us­

steigen zu verlieren. S ie fetzte den F u ß auf den T ritt und sprang, kaum vor der V illa angelangt, a u s dem W agen. I h r Kleid w ar an dem T ritt angehakt, sie riß es gewaltsam los und stand im nächsten Augenblick auf der Treppe. D ie T h ü r w ar verschlossen. E s schien ihr ein zu langer A ufen th alt, die H and nach dem K nopf der K linget auszustrecken — sie erfaßte den Thürdrücker und rüttelte ihn, zugleich stieß sie mit der Fußspitze gegen die T hür, welche nun, von innen geöffnet, aufflog. Aber ohne einen Blick auf den vor ihr stehenden D ien er zu w erfen, stieß sie rasch die F rag e hervor: „ Is t mein S o h n hier?" — Und d a n n , ohne eine A ntw ort abzuw arten, ging sie nach dem Zim m er ihres M an n es.

D e r Kom m erzienrath hatte noch immer die Z eitung vor sich auf dem Tische liegen, aber er sah nicht hinein. Auch die C igarre w ar ihm ausgegangen, und seine H ände bewegten sich ruhelos eine um die andere. „K uno w ar hier," rief er seiner F ra u entgegen, ohne sich über ihr uncrw aitetes Erscheinen zu w undern.

„ E r machte m ir einen wunderlichen Eindruck.

— Doch, wie siehst D u aus, A gnes," unterbrach er sich, die veränderte Erscheinung seiner F ra u in's Auge fassend. A ufspringend eilte er zu einem Nebenlisch. „H ier, trinke einen Schluck W asser," bat e r, ihr ein G la s darreichend, —

„ist D ir besser?"

S ie w ar aui einen S tu h l niedergesunken, dcn K opf auf die B ru st niedergebeugt, und hielt in ihrer zitternden H and das G ^ s , es von Zeit zu Z eit an ihre trockenen Lippe»

führend. I h r G em ahl stand tiefathm end neben ihr und leg e seine kalte H and zaghaft auf ihre glühende S tir n . D ie B erü h ru n g schien ihr w ohlzuthun.

„ E s ist furchtbar," stöhnte sie endlich auf,

— „n un w ir so hoch gekommen und unsere S eelenruhe acopfert — jetzt dieser S tu rz in so bedenkliche Tiefe! O , diese Angst, diese Angst

— sie schnürt m ir die B n ist zusammen wie m it ehernen Fesseln. Diese qualvolle U ngew iß­

heit. — W o ist unser S o h n ? — W eißt D u es?

— N icht? — Ich w ill es D ir sagen, er geh:

in den Tod! E r kann die Schmach nicht über­

leben. W eiht D u nichte-? L in d noch keine Gerüchte aufgetaucht? N ein? — N un, es kommt, es- kommt unaufhaltsam Alles über u n s , die Entdeckung unserer T h a t, m ir sagt's mein G e­

wissen. — D ie E rben treten in ihre Rechte, w ir sind gebrandm artt und mein S o h n ist verloren.

M ein S o h n , mein einziger S o h n ! Und unsere Schuld ist es-, meine Schuld — oh!" — E in S eufzer w ar e s, entsetzlich anzuhören fü r das O h r ihres M a n n e s.

D a n n plötzlich tra t in ihre erschlafften G lieder rasche B ew egung. E in Blick a u s d m Fenster

— der W agen stand noch vor der T h ü r. I m nächsten Augenblick h atte sie ihn wi der be­

stiegen und er sauste m it ih r davon. W ohin?

— Nach dem W äldchen, in dem ja imm er die blutigen Ehrenkäm pfe ausgefochteu w urden.

A n einem Dornbusch neben der S tra ß e flatterte ein Heller S tre ife n auf und nieder, als ob es ihr winkte m it weißem F in g er in der tiefen D äm m erung. S ie ließ den W agen halten und sich die Laterne hcrunterreichen.

D a n n , ohne dem Kutscher weitere Befehle zu geben, sich ringsum sehend, entdeckte sie einen Fußw eg, der zum W äldchen führen mußte. E s schimmerte unheimlich dunkel au s der F erne herüber! D ie Laterne vor sich herhaltend, das wilde Klopfen ihres Herzens bemeisternd, er­

reichte sie in fliegender H ast den W aldec-rand.

S ie ging v o rw ä rts, tiefer hinein, psadlos — sie horchte — , es w ar A lles still da drinnen.

S ie hob die L aterne hoch em por, ih r rother Schein lief an den B aum stäm m en gespenstisch aus und nieder und zuckte in unregelm äßigen

S p rü n g e n am Boden h in , ih r im m er voran, bald h ier, bald da, und sie folgte diesem un- stäten S p ie l m it den Blicken. E s w a r, als schwindelte ihr, sie schloß die Augen fü r einen M om ent und ihr F u ß strauchelte.

S ie sah erschreckt vor sich nieder und leuchtete über den B oden hin. E s w ar der F u ß eines Menschen, der ihr im Wege gelegen, ein feiner, schmaler F u ß . —

D ie L aterne entsank ihrer H and, aber sie erlosch nicht. Heller n u r flackerte ihr Schein empor und zeigte ih r deutlich dielang hingestreckte G estalt eines M a n n e s , an dessen S e ite ein junges M ädchen kniete. S ie sah m ir ihn, ihren S o h n . S till und bleich das schone, geliebte A ntlitz, die dunklen Augen geschlossen — eine seiner weißen H ände hielt den G riff der tödt- lichen W affe fest u m span n t, die andere ruhte schwer auf der B ru s t, als ob sie den hervor­

quellenden Lebensstrom hätte dämmen wollen.

— „A rm er, schwer gekränkter Knabe!" drang es in erschütterndem K lagelaut von den Lippen der M u tte r — und dann sank die stolze G estalt u n ter der W ucht des Schm erzes zu­

sammen.

„ E rle b t! M u tter, M u tte r, so höre es doch, er lebt! — Ic h habe ihn m ir gerettet. — I n dem 'Augenblick, in dem er die W affe gegen die B ru st gerichtet, fiel ich ihm in den A rm , und die K ugel hat, so hoffe ich zu G ott, keine edleren Theile verletzt. O , M u tter, beug' Dich her und vernim m den leisen Schlag seines Herzens. E r lebt!" E llin o r rief es, halb in jubelnder Z ä rt­

lichkeit, halb in leidenschaftlicher Besorgnis;

bangend, denn sie sagte sich, daß die größte E ile noth th a t, den T ra n sp o rt nach Hause zu unternehm en. „M u tter, schaffe H ülfe!" bat sie flehend. Aber die F ra u , welche dort so reglos zu dcn F üß en des S o h n e s hingestreckt lag, hörte sie nicht. D e r jähe, furchtbare Schm erz beim Anblick des scheinbar leblosen S o h n e s hatte sie getödtet. —

W as nun folgte, w aren Tage der T rauer, aber auch der Hoffnung, des wiedererwachenden Lebensm uthes. E llin o r w ar K u n o 's treue, u n ­ ermüdliche P flegerin w ährend langer Wochen, in denen die Ju g e n d tra ft m it dem Tode rang.

Z u lange hatte es gew ährt, ehe dem Schw er­

verw undeten die so dringend nöthige H ül,e ge­

leistet wurde. E rst, nachdem der Kutscher, dem das lange Fortbleiben der K om m erzienräthin auffällig w urde, nach der S ta d t zurückgekehrt und dort dcn K om m erzienrath aufgesucht, wurden Nachforschungen angestellt und dann beim M orgengrauen die düstere G ruppe gefunden:

E llin o r, in Verzw eiflung um den G eliebten be­

schäftigt und zugleich bei seiner M u tte r, die Todteiiwacht haltend, in der schweigenden M o n d ­ nacht! G rausige Eindrücke, die sich allm älig erst verwischten, a ls K uno langsam genas und durch feine unbegrenzte Zärtlichkeit E llin o r ver­

gessen zu machen w ußte, w as sie um ihn ge­

litten. W ie eine düstere Wolke freilich lag der plötzliche Tod der K om m erzienräthin m it seinen ihm vorangegangenen Ereignissen über dem M orgenroth des jungen Liebesglückes. Auch wollten A nfangs au s K uno's umdüsterlem G e­

m üth die Zweifel nicht weichen, ob er, nachdem er einm al dem V e rh ä ltn iß verfallen, noch w eiter leben dürfe. Aber die S on n en strah len , welche au s E llin o r's A ugen ihm entgegenleuchteten, zertheilten allm älig das dunkle Gewölk. D e r K om m erzienrath w ar zum gebrochenen Greise geworden, der beständig W orte der nagenden Reue vor sich hinm urm elte und nichts sehn­

licher wünschte, als m it seiner G a ttin vereinigt zu sein. S e in einziger Trost w ar es, daß E llin o r nicht aufhörte, ihm die G efühle einer Tochter zu widm en. E in es T ages hatte E llin o r die gefürchtete U nterredung m it ihrem B ru d er, die jedoch zur Folge h a tte , daß sich wenige Z eit darauf ein junges, gl ckliches E h ep aar an B o rd

/

103

„ M a m a , denke D ir n u r, H ans hat den W agen zurückgeschickt und ist m itten auf dem W ege ausgestiegen; Friedrich sah ihn in die Gebüsche stürzen. O , G ott! wenn er sich n ur kein Leid an th u t!"

U nter diesen Jam m erau o ru fnn g en w ar Helene hereingestürzt und w arf sich jetzt in die Arm e ihrer M u tter.

„C la ra , ist dieses schone Mädchen D eine Tochter?"

„ J a , und S ie weint, daß sich ih r Geliebter- au s G ram , daß er sie u.cht besitzen dürfe, todten könnte! S e i ru h ig , meine Helene, D u sollst glücklich werden. Kein D ritte r soll sich zwischen Diel) und H an s stellen, w e n n --- "

„W enn D u , liebes M ädchen, mich als D einen V ater ein wenig lieb haben w illst," sagte der B a u ra th hinzutretend.

„O , von Herzen, von ganzem Herzen," rief Helene, indem sie erst den B a u ra th und dann die M u tte r um arm te.

„W enn n u r noch H an s hier w äre."

„D er isr da," rief eine S tentorstim m e von der T h ü r aus und zwei starke A .m e umfingen das glückstrahlende M ädchen.

Vergänglichkeit.

(B crraäulm g auf dem Friedhose von Aden.) Vergänglichkeit! ich steh' an deiner Pforte E in düster Schw eigen ruht auf deiner S a a t, N ur rin gs umher les' ich die Schauerw olte:

„W aS wird und ist geht diesen Pfad."

D a ruht der Mensch, der Schöpfung höchstes Wesen, Zu S ta u b zerrollt ist hier sein stolzer B au.

O b er ein Bettler oder Fürst gewesen, E r schlummert hier auf der Verw esuugs-A u.

Und wer gegeizt, in Nim m ersatten Zügen D er Erde'Lust zu trinken und zu schau'n.

E r muß hier kalt im Todesschlaf sich wiegen, E in O pfer des Zerfalles voller G ra u n ! Verschwunden ist das mächtige Getriebe, D aS einst vielleicht zu Göttern Dich erhob.

I m Wellenschlag der Zeiten, öd' und trübe.

Versank D ein mächtig Wirken, wie D ein Lob.

I n enger G ruft zerfließet all' der Flitter, D en eitler W ahn und Täuschung hat erdacht.

Verwesung nur. des S a r g e s morsche S p litter, Und W ürmer sind des S to lzes letzte Pracht.

W ohl sott ein kalter S te in der Nachwelt sagen, W as tiefen S ch lafs der grüne H ügel w iegt;

Allein, bald wird auch ihn die Zeit zernagen, lind tu Vergänglichkeit, du

hast

gesiegt! N .

D o n C a r l o s .

(Nachdruck verboten.)

S chiller hcit durch seine D ichtung „D on C arlo s" ein so bleibendes Interesse für diesen Stoss der Geschicbte erweckt, daß selbst die größten Kreise des P ublikum s dafür gewonnen sind und gern etw as N äheres über das wirk­

liche Leben und Wesen seines Helden erfahren möchten.

D ie spanische Spezialgeschichte w ar u n s, wie bekannt, lange vielfach verschleiert, sogar in so wichtiger Zeit, wie die große T y ran n en- epocbe P h ilip p s

II.

A ls die Hüllen im m er mehr durch die H and der gründlichen Forschung fielen, zeigt/sich, daß der P o e t die G estalt des In fa n te n von S p a n ie n noch viel gewaltsam er idealisirt, ja gänzlich um gew andelt h atte, als sein dramatischer V orgänger den nicht m inder beliebten E gm ont. W ährend der historische C gm ont wenigstens doch ein tüchtiger M a n n

und wirklicher Freiheitsheld blieb, aus dem Shakespeare wahrscheinlich ohne wesentliche A enderung seiner Person und F am ilienverhält- nisse einen tragischen H eros gemacht haben w ürde, w ar der echte D on C arlos zur Poesie gar nicht zu gebrauchen. Schiller hielt sich, obwohl ihm an und für sich vollkommen dichterische F reiheit selbstverständlich zu Gebote stand, wahrscheinlich an eine französische D a r­

stellung des Abbe de S t. R eal, die geschichtlich falsch, überschwenglich und romantisch geschrieben ist und den jungen P rin zen als M ä rty re r glonfizirte.

S p ä te r gab der berühm te Geschichtsschreiber der spanischen Jn q u sitio n , Llorente, einiges Licht in die S ache, und der deutsche, Ranke, vervollständigte diese F akta noch durch H ervor- ziehung bis dahin unbenutzter und angedruckter Q uellen.

D ie neuesten, ausgezeichneten Arbeiten, welche diesen Gegenstand wohl für alle Zeiten abschließen, ließen de M ong in P a r is und der B elgier G achard erscheinen. S ie haben alle Archive durcharbeitet und nach allen ihren ausführlichen D e ta ils ist das vorliegende deutsche Werk in kürzerer Form durch S o rg fa lt und Fleiß entstanden. E s ist m ehr für das große, gebildete Publikum , als für Fachm änner berechnet, da sich letztere den O riginalquellen selbst zuwenden kennen.

Unumstößlich fest steht nun unter Anderem, daß D on C arlos m it seiner jungen und schönen S tiefm u tter keinerlei Liebesverhältnis; hatte.

E r, der S o h n P h ilip p s

II.

und M a ria 's von P o rtu g a l, die vier Wochen nach seiner G eburt, wahrscheinlich durch unzweckmäßige B ehandlung der Aerzte, starb, w ar noch ein unreifer Knabe, als Elisabeth seinen V a te r heirathete. Diese scheint den Letzteren sogar geliebt und in treu er, aufrichtiger E he m it demselben gelebt zu haben. S ie hegte eine m ü tte rlic h e /z a rt­

weibliche T heilnahm e für D on C a rlo s, und wenn sie auch nicht hindern konnte, daß der­

selbe in sie verliebt w ar, so hatte doch P hilipp schwerlich G ru n d zur Eifersucht, denn der J n fa n t soll auch später gegen das weibliche Geschleckst von angeborener Ungefährlichkeit gewesen sein.

Jedenfalls litt dieser unglückliche F ürst aber nicht blos an großer Exzentrizität, sondern an partiellem W ahnw itz, der durch ein auf­

brausendes N atu rell, welches über einen schwächlichen Jün g lin g sk örp er doppelt dominirte, bis zur allgemeinen Unzurechnungsfähigkeit gesteigert wurde.

E in schwerer S tu rz und in Folge dessen eine Kopfverletzung und scheinbare G ehirn ­ erschütterung, von einer tödtlichen K rankheit begleitet, veranlaßte die Aerzte zur T repanirung.

S ie w ar vielleicht überflüssig, da sich das G e­

h irn unversehrt erwies, und hat schwerlich der nervösen Reizbarkeit gut gethan.

Uebrigens zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß P h ilip p eine so große Liebe zu D on C arlos h atte, wie m an sie gewiß nrcht von jenem grausam en A utokraten erw artet. I m Einklang dam it ist es nu n auch faktisch erwiesen, daß der V ater seinen S o h n später n u r gefangen setzen ließ, niem als aber seinen Tod veranlaßte, geschweige denn einen M ord an ihm beging.

E s ist daher bald zu ersehen, wie natürlich es w ar, daß der n u r m ittelm äßig begabte, aber doch m it fünf gesunden S in n e n versehene P h ilip p eine sehr tiefstehende M einung von den A nlagen seines S o h n e s fassen und diesen nicht blos zur Nachfolge für unfähig, sondern sogar fü r den S ta a t und sein R egim ent für gefährlich erachten mußte.

D er zerrüttete, aber offenherzige D o n C arlo s stand einem verschlossenen, gleißnerisch komödiantischen, schweigsamen V ater gegenüber, wie ihn u n s S chiller, n u r m it zuviel G eistes­

anlagen. richtig geschildert hat. V on dieser mißtrauisch abstoßenden K raft fühlte sich der gedrückte J n f a n t verletzt, verkannt, tyrannisirt, ja , in seinen liebsten, oft überschwänglichen Wünschen gedemüthigt. D a er es weder durch­

setzen konnte, die Erzherzogin A nna von Oesterreich zu heirathen, noch es dahin zu bringen vermochte, daß ihn sein V ater nach F landern schickte, oder ihn überhaupt eine K arriere machen ließ, die seinem ungemessenen Ehrgeiz kitzelte, so wurde er verbissen, gehässig, ja ge­

heimer P alastrevolutionär. A ls er endlich nach vielen an Tollheit grenzenden S treichen en t­

fliehen und viele der vornehmsten S ta a tsd ie n e r und P rovinzialstände u n ter eigenmächtigen Versprechungen seinem V ater abwendig machen wollte, erfolgte seine G efangennahm e.

M a n darf wohl annehm en, daß diese n u r ein G ew altakt der N othw ehr von S e ite n des V aters w a r, da sich g ar nicht ermessen ließ, welche P lä n e in dem verdunkelten Jü n g lin g s ­ gehirn noch ausgebrütet werden konnten.

D ieser Akt setzte alle K abinete von E u ro p a in B ew egung und auch S p a n ie n gährte, so daß es P h ilip p nicht so leicht gemacht wurde, wie P e te r dem G roßen bei dessen Unschädlich­

machung seines S o h n es.

Diese von einem gewissen M ystizism us umgebene Historie des unglücklichen D o n C arlo s bleibt ein für alle M a l eine der fesselndsten, uns durch unseren W eltdichter so nahegerückten P a rtie n der Universalgeschichte;

sie läßt einen tiefen Einblick in die eigenthüm ­ lichen V orgänge jener Z eit thun. Zugleich bietet sie ein Stück R o m a n , indem sie u n s m it wichtigen Personen und V erhältnissen vertraut macht und u n s die Charaktere des­

selben eröffnet. 8.

A eihnachten.

M ^

K^Murch des Winters Sturm und Braus Geht ein freundlich Klingen,

Leise soll's von Haus zu Haus Frohe Botschaft bringen:

Den Königen weiset der lichte Stern Nach Bethlehem die Pfade,

Den Hirten singen die Engel vom Herrn,

Verkündend Frieden und Gnade.

E in Himmelswunder die Welt um- webt,

Die menschgewordene Liebe lebt!

Festlich tönt der Glocken Schlag, Tausend Lichter glänzen,

Freude will den Wintertag Lenzesgrün umkränzen.

Und unter dem schimmernden Weih­

nachtsbaum, D a bauen sich auf die Gaben,

Dem Alter erneuert den Jugendtraum Der Jubel von Mädchen und Knaben.

E in Himmelswunder die Welt um- webt,

I n allen Menschen die Liebe lebt!

(3)

m ir T e in armer Vetter. Ic h war auch darauf gefaßt, daß die Tante andere Pläne m it D ir haben könne. Aber ich baute auch auf die Stärke Deiner Liebe! Ahnte nicht, daß D u , Waukelmüthige, schon beim ersten Treffen zum Feinde übergehen könntest! S ie h , in jenes Bouquet dort ließ ich Rosen, Veilchen und Vergißmeinnicht m it einbinden, allein D ir ge­

hörten Disteln und Haidekraut, denn T u hast m ir jetzt das Herz m it.D o rn e n durchbohrt!"

„D u häßlicher, aufbrausender Hans, was redest D u nur und machst m ir dabei mein schönes Bouquet entzwei," rief Helene, indem sie die B lum en nahm und die zerdrückten B lä tte r sorglich zurechtzuzupfen suchte.

„Vielleicht ist es m it uns noch gar nicht so schlimm, als w ir es in der Angst sehen."

Und Helene erzählte dem Geliebten, was sie von ihrer M u tte r gehört hatte. Aber ihre M itth e ilu n g erregte den jungen M a n n nur noch mehr.

„Helene, ich muß die Tante augenblicklich sprechen. Ic h muß wissen, wer mein Neben­

buhler ist, wie er heißt und — "

„Hans, D u erschreckst mich. O , wie ich schon zittere!"

„M eine Helene, ach, D ein liebes Gesicht ist auch ganz bleich," rief der junge M a n n , sich schnell mäßigend. Aber in dem Augenblick, als er die Geliebte wieder umschlingen wollte, wurde die T h ü r geöffnet und F ra u von E ttin g tra t m it hochrothen Wangen in das B o u d o ir ein.

„Ach, H ans, D u bist schon da! D as ist m ir heute doppelt lieb, denn ich muß Dich m it einem sehr delikaten Auftrag behelligen," sagte sie freundlich, indem sie dem Neffen die Hand reichte. „Vielleicht hat D ir Helene schon von unseren zu erwartenden lieben Gästen erzählt?"

" „J a , Taute, ich weiß Alles," entgegnete der junge M a n n m it verfinsterten Zügen.

„D a s ist herrlich, dann brauche ich nur noch zu sagen, daß der B a u ra th und sein Sohn be­

reits hier sind," entgegnete die Dame harmlos, ohne die herausfordernde Haltung des jungen Mannes zu bemerken. „Aber die Herren sind im Hotel abgestiegen und der B aurath, der erst jetzt erfahren, daß ich W ittw e b in, v e rw e rt sogar feinen Besuch. D as soll nicht sein. Meine Gaste sollen in meinem Hause wohnen und an einem Tisch m it m ir essen. Daher, lieber Hans, w irst D u unverzüglich den B aurath und seinen (Lohn aufsuchen und den Herren meine Wünsche vortragen. S ie wohnen im Hotel Petersburg und unsere Equipage steht schon vor der Thür.

D ie Herren werden also gleich m it D ir hierher fahren. S a g ', ich verlangte unbedingten Ge­

horsam und erwartete sie zum D in e r."

„Aber, liebe M am a," rief Helene unvorsichtig aus, erschreckt vom Aussehen ihres Geliebten,

„m it einem solchen A uftrag betraust D u Hans?"

„W arum soll die Tante das nicht thun?"

warf der junge M a n n bitter ein.

„ B in ich denn nicht der Geeigneteste dazu, um V ater und Sohn hierher zu führen? O, ich w ill es Beiden schon klar machen, wo sie ih r Glück zu suchen haben, das schwöre ich, so wahr ich Hans von Ettingen heiße."

Nach diesen W orten stürmte der junge M ann hinaus und Helene blieb m it niedergeschlagenen Augen vor der M u tte r stehen.

Aber wunderbarer Weise erschien F ra u von E ttin g sehr ruhig, als sie nach einer längeren Pause zuerst anhob:

„Helene, was war das? Was bedeuteten die W orte, welche Hans sprach und die wie eine Drohung klangen. Oder habt I h r Euch Beide vorgenommen, vor m ir Komödie zu spielen?"

„N e in , M a m a , er sprach im Schmerz, er sprach die Wahrheit, denn w ir lieben im s! D u würdest unsere Herzen brechen und uns fü r das ganze Leben elend machen, würdest D u mich

zwingen, das Weib jenes fremden Mannes zu werden, den ich nie lieben, sondern eher hassen lernen könnte!" rie f Helene, in Thränen aus­

buchend, während sie vor ihrer M u tte r in die Knie sank.

„Verzeih' m ir, wenn ich so lange ein Ge­

heimniß vor D ir barg und Scheu tru g , D ir meine Liebe fü r Hans zu bekennen. Aber ich folgte ihm , er bat darum! E r w ar zu stolz, jetzt schon bei D ir um mich zu werben, da seine Lebensstellung noch nicht gesichert ist. Nun ist aber das große Unglück geschehen, D u selbst schickst ihn zu seinem Nebenbuhler, und jetzt weiß ich nicht, was noch werden kann. — D u weißt, Hans ist sanftmüthig, ist nie so leicht aus seiner Ruhe herauszubringen; allein hier, wo es sich um mich und um das Glück seines Lebens handelt, w ird er sich wohl dem Feinde gegenüber zu einem T iger verwandeln." D as junge Mädchen hatte unter steigender B e ­ wegung gesprochen und sah jetzt flehend zur M ü tte r empor. Doch diese regte sich nicht.

Erst als Stim m en im Nebenzimmer hörbar wurden, sagte sie:

„D eine Freundinnen sind gekommen, geh, empfange sie!"

„M a m a , in diesem Augenblick, wo ich ein liebendes W o rt von D ir erwarte, soll ich Dich verlassen?"

„D eine Freundinnen sind zur G ratulation gekommen, es wäre taktlos, sie warten zu lassen!"

„Aber ich darf D ir doch wenigstens noch die Hand küssen?"

Dieser B itte vermochte sich die M u tte r nicht zu erwehren, sie zog die Tochter an sich und küßte sie, aber drängte sie doch m it sanfter Ge­

w alt bald von sich.

Während dieser inhaltsschweren Scene hatte Hans won E ttingen in der Equipage seiner Tante das Hotel Petersburg erreicht.'

„ I s t der H err B aurath Herbich zu sprechen?"

fragte er unten in die Portierloge hinein.

„N e in ," schallte ihm von unten eine Stim m e z u , „der Herr B anrath sind soeben aus­

gegangen."

„N u n , so werde ich seinem Sohne meine A ufw artung machen. Welche Nummer wohnen die Herren?"

„Entschuldigung, ein S ohn des Herrn B a u - raths wohnt nicht in unserem Hotel."

„ I s t auch gar nicht hier angekommen?"

„N ein."

Hans begann leichter zu athmen. Wenn der Nebenbuhler noch nicht in der Nähe war, so konnte die Gefahr auch noch nicht so groß sein. Jetzt galt es nur, die Tante zu gewinnen und dem Verhaßten fü r immer einen Riegel vor die T h ü r aller seiner Hoffnungen zu schieben. Aber wie mußte der Anfang gemacht werden?

Unter diesen Betrachtungen stiegHans wieder in den Wagen seiner Tante ein und befahl dem Kutscher, nach dem Thiergarten zu fahren. E r wollte Zeit gewinnen, um m it Ruhe zu über­

legen, wie er vor die Tante hinzutreten habe.

S ie sollte ih r Vermögen behalten, er wollte nichts, nichts, als seine Helene haben.

Inzwischen der Liebende unter diesen V o r­

sätzen dem Brandenburger Thore zufuhr, schritt ein stattlicher, großer H err, etwa M itte der vierziger Jahre, schnell durch die vornehmsten Straßen der Hauptstadt hin, bis sein Fuß plötz­

lich steckte und er die Fensterreiheu eines palast­

artig großen Hauses zu mustern begann. Es war das Haus der Frau von E ttin g , die sich jetzt wieder wie am Morgen allein in ihrem Boudoir befand. D as Liebesbckenntniß ihrer Tochter hatte sie zu unerwartet getroffen. D ie Kinder liebten sich schon lange und sie, unter deren Augen diese aufgewachsen waren, hatte sie Beide noch fü r K inder gehalten. D as Un­

glück war allerdings nicht groß. Hans war

fleißig und strebsam, hatte es bei seinem emi­

nenten Wissen schon weit gebracht und konnte vielleicht einstmals noch die höchsten S tufen ersteigern Freilich besaß er kein Vermögen, aber war seine B ra u t nicht reich genug? Und w ar sie etwa eine M u tte r, der das Geldinteresse über das Glück ihres Kindes ging? Nein, ihre Helene sollte glücklich werden. Aber, o Himmel, wo blieb Hcrbich's S o h n ! Sein V a te r, dem sie kein Gluck bereiten durfte, soll nun auch alle Wünsche fü r den Sohn begraben. — Freilich tra t hier kein Herzweh ein, da sich die Kinder noch nicht einmal persönlich kannten. Aber peinlich blieb es doch, wenn V ater und Sohn jetzt vor sie hiutraten und der eifersüchtige Hans in ihrer M itte . —

„D e r Herr B aurath Herbich wünschen der gnädigen F ra u die A ufw artung zu machen,"

meldete jetzt der D iener, indem er die T h ü r des B oudoirs weit offen hielt.

„D e r Herr ist nur willkom m en!"

„W irklich?" ru ft eine S tim m e schon von draußen und der stattliche H err von der Straße t r if t über die Schwelle.

„V e rw ir rt, bewegt und den Blick halb zur Erde gesenkt, so steht Frau von E ttin g vor ihrem Gast. Aber auch dieser steht traum- umfangen da. E r kann nickt fassen, daß er diese unm uthige, schlanke Gestalt in dem grauen Seidenkleide schon vor fünfundzwanzig Jahren gekannt habe, so mädchenhaft jugendlich er­

scheint sie ihm noch.

„C la ra , theure Freundin," unterbricht er endlich die S tille .

Jetzt ist sie gezwungen, den Blick auf ihn zu richten.

„W illkommen, E w a ld !"

„E w a ld ! D as ist der Ton aus alten Tagen.

S o konnte meinen N a m e n 'n u r ein einziger M u n d aussprechen," rie f Herbich, indem er die kleine Hand erfaßte, welche sich ihm entgegen­

streckte.

„C lara, hätte m ir ein G o tt noch vor einem Jahre gesagt: Geh nach B e rlin , das Weib Deines Herzens, D einer ersten, D einer tiefsten Liebe ist frei, frage sie, ob sie noch jetzt D ein sein möchte, bei dem Glücke unserer einstigen Liebe, wahrhaftig, ich wäre wieder der seligste Mensch auf Erden geworden."

„Und jetzt ist es zu spät!"

„W arum zu spät? W er w ill S ie m ir zum zweiten M a le entreißen?" rief Herbich er­

bleichend aus, hielt aber die kleine Hand, welche noch immer in der seinen ruhte, jetzt m it festem Drucke.

„M e in Freund, vergessen S ie unsere Jahre, wenigstens die meinigen?"

„W ie? D as blühend frische Weib, das hier in mädchenhafter Scheu vor m ir steht, spricht von ihren Jahren? W as sollte ich denn wohl sagen?"

„O , der M a n n in den Vierzigern steht im schönsten A lte r!"

„-Nun, und mein Herz ist ganz jung ge­

blieben und schlägt fiu S ie noch eben so stür­

misch, wie damals, als I h r harter V ater uns Nennte! Aber heute stehe ich auf festeren Füßen, wie damals, heut' kann ich m it S tolz fragen: Clara, w illst T u mein Weib werden?"

„A ber unsere Kinder, E w ald?" fragte F rau von E ttin g , sich nur schwach gegen die A n ­ näherung des Werbers wehrend.

Dock jetzt w ar die Reihe an den B aurath, ein wenig verlegen drein zu schauen.

^ „Liebe C la ra , in Betreff meines Sohnes habe ich zu schnell gehandelt. G ünther liebt nämlich schon. D as Mädchen ist m ir als Schwiegertochter auch ganz willkommen; allein, er hätte m ir sein Herzensgeheimniß früher an­

vertrauen müssen."

„A ber das ist ja ganz wie bei meiner Helene!" —

eines s.tönen, stattlichen Schiffes begab, das die Woaen des Oceans vertheilte, um dem fernen Westen entgegenzusteuern. D er Kom- merzienrath hatte sieb nickt entschließen können, die Seinigen zu begleiten. Wo er gelebt, wollte er sterben, einsam, das sollte seine Sühne sein.

Arm in Arm standenKuno n n d E llin o r, deren Augen Thränen der Wehmuth verschleierten, und immer mehr entschwanden die heimischen Ge­

stade Beider Blicken. — Lustig flatterten die Wimpel von den Masten hernieder, in wolken­

losem B la u lag über ihnen der Himmelsdom, und die grünen Wogen rollten auf und nieder, und jede von ihnen schien zu sagen:

„Vergeht, was gewesen, - - seht, wie w ir dahinströmen in ewigem Wechsel, — blickt hoffnungsvoll dem neuen Leben entgegen!"

Jugendliebe.

E r z ä h l u n g v o n ? y. A l m a r .

(Nachdruck verboten.)

- ^ ^ ^ r a u von E ttin g war eine reiche W ittw e und hatte nur eine Tochter. Gram und Sorge waren ih r bisher fern- l ^ geblieben, allein heute, am Geburts­

tage ihrer Tochter, lag doch ein kleiner Schatten auf ihrer S tirn .

Nachdenkend, und mechanisch die Falten ihres grauseidenen Kleides betrachtend, saß sie in ihrem B ou d o ir und dachte nur an die Tochter.

Helene w ar heute achtzehn Jahre a lt, war ein schönes Mädchen und wurde auch schon viel umworben. A lle in , wo war der M ann, dem eine besorgte M u tte r ih r theuerstes Kleinod, anvertrauen konnte. — Frau von E ttin g war keine M ännerfeindin, aber nach ihren E rfa h ru n ­ gen hielt sie das starke Geschleckt ohne A u s­

nahme fü r die eingefleischtesten Egoisten und freute sich, daß ihre Helene sich noch vollkommen unbefangen unter der reichen Anzahl ihrer B e­

werber bewegte. D ies konnte aber fü r die D auer nicht bleiben. M i t der Zeit würde auch das Herz der Tochter sprechen, und dann sollte ih r einziges K ind auch kein alterndes Mädchen werden.

Aus diesem Dilem m a mütterlicher Sorgen ward Frau von E ttin g durch den E in t r itt ihres Dieners aufgeschreckt, der ih r auf silbernem Teller einen B rie f präsentirte.

„A n meine Tochter?"

„N ein, an die gnädige Frau selbst."

„E s ist gut, D u kannst gehen!"

Zerstreut und immer noch in Gedanken m it der Zukunft der Tochter beschäftigt, blickte die Dame auf die Aufschrift des Briefes.

„S eltsam !" rief sie m it halblauter Stim m e aus. „W e r kennt mich in F rankfurt a. M .?

Wer kann m ir von dorther nur schreiben? Ich habe eigentlich gar nicht Lust, den B rie f zu öffnen. Unangenehmes kommt immer früh ge­

nug und Angenehmes — nun, auf jeden F a ll ist es dock wohl gut, wenn ich erfahre, was mein Unbekannter von m ir w ill."

S o m it sich einig, erbrach sie das Couvert, sah aber zuerst nach der Unterschrift des B n /fe s . E in leiser Aufschrei entfuhr ihren Lippen, während brennende Nöthe ih r noch immer schönes A ntlitz bedeckte. Endlich leuchteten ihre Augen und in freudiger Erregung las sie lelbst- vergessen laut und m it steigender S tim m e:

„Theure Freundin! M e in Herz sagt m ir, S ie haben den M a n n noch nicht vergessen, der S ie einst so hochverehrte. W ir haben uns fast nach einem Menschenalter wieder erkannt und m it der S tim m e aus alten Tagen begrüßt, wie sollte ich daher zaghaft sein und unsere B e ­ ziehungen nicht freundschaftlich erneuern. Nach

unserem leider nu r flüchtigen, aber doch so schönen Begegnen vermuthe ich, daß auch S ie nicht unglücklich geworden sind. — W as mich betrifft, so muß ich allerdings gestehen, daß ich meiner sanftmüthigen, geduldigen F rau nicht gleich mein ganzes Herz schenken konnte. Aber die Jahre, mehr noch das engere Familienleben hatten sie m ir so theuer gemacht, daß ih r Tod m ir recht schmerzlich war. Doch nun, theurc Freundin, lassen S ie mich zum eigentlichen B e ­ weggrund meines Schreibens übergehen. Wie S ie wissen, ist m ir von vieren meiner Kinder nur ein S ohn am Leben geblieben. Günther ist ein stattlicher, junger M a n n , verzeihen Sie, daß ich als V ater Ih n e n dieses schreiben muß, doch wie soll ick Ih n e n denjenigen anders em­

pfehlen, dem ich von Ih r e r Seite so gern einen mütterlichen Empfang bereiten möchte. — Meine theure Freundin, habe ich es nöthig, noch deut­

licher zu sein? — S ie malten m ir das B ild Ih r e r liebenswürdigen Tochter m it so reichen, schönen Farben aus, daß ick m ir im Geiste gleich nock) ein anderes daneben malte. — Wohl stieg Anfangs in m ir das Bedenken auf, I h r H err Gemahl könne an den künftigen Gatten seiner Tochter andere Ansprüche stellen, allein, wenn sich unsere Kinder lieben lernen, so w ird ihm das Glück seiner einzigen Tochter doch wohl über alle anderen Interessen gehen. — Diesem Glücke soll auch mein S ohn entgegen­

gehen. Von diesen meinen Hoffnungen bin ich so e rfü llt, daß ich nicht erst Ih r e freundliche A ntw ort erwarte, sondern schon m it dem nächsten Zuge m it meinem Sohne abzureisen gedenke, möglich, daß ick gleichzeitig m it meinem Briefe in der Residenz eintreffe. Inzwischen genehmigen S ie die Versicherung der tiefsten Verehrung von Ih re m treu ergebenen Ewald Herbich."

D as A ntlitz noch immer vom hellsten Noth überzogen, aber schon weniger erregt, legte Frau von E ttin g endlich den B rie f auf den Tisch nieder. Wieder neigte sie ih r Haupt, aber dies­

mal schien der Blick mehr nach innen gekehrt;

denn ih r Geist weilte in der Vergangenheit bis zum Elteruhause und ihrer Jugend zurück.

D er V ater, ein höherer Beamter, war ein wenig prachtliebend, hatte Bedürfnisse, welche sein Einkommen weit überstiegen. Um diese Lücken nun auszufüllen, mußte die sparsame M u tte r aus allerlei M itte l sinnen und suchte es endlich beim stolzen Vater durchzusetzen, daß er ih r gestattete, Pensionäre aus guten Fam ilien bei sich aufzunehmen. Unter diesen befand sich Ewald Herbich. E in stiller, bescheidener, an­

spruchsloser junger M a n n , der sie, die älteste Tochter des Hauses, bald m it der ganzen G luth seiner Seele lieben lernte. Auch sie theilte seine Gefühle und gab sich dem Glücke der Gegen­

w art m it vollster Begeisterung hin. M e in der Himmel ihrer jungen Liebe sollte sich schnell umwölken.

Eines Tages stellte ih r der Vater einen älteren M a n n vor, der einige Tage später um ihre Hand warb. S ie durfte nicht wagen, sich dem W illen des strengen Vaters zu widersetzen, der in ernsten Angelegenheiten unerbittlich war.

S o entsagte sie dem Geliebten und folgte dem fremden M anne zum A lta r. Anfangs in Re­

signation, m it Entsagung aller Wünsche. F ü r alle Aufmerksamkeiten, die ih r der liebende Gatte erwies, hatte sie nur ein flüchtiges, weh- muthsvolles Lächeln auf den Lippen und glaubte nie, nie mehr glücklich werden zu können. A ll- mälig aber begann die E isrinde zu schmelzen, ih r Gatte w ar ein zu liebevoller M a n n , um fü r die Dauer nur m it Kälte belohnt zu werden.

S ie lernte seinen Werth schätzen, ihn hochachten und als ihre Helene geboren wurde, w ar sie auch eine glückliche Frau. Aber bleibt das Menschenherz nicht ewig ein unaufgelöstes Räthsel? — A ls G a ttin und M u tte r hatte sie

den Traum ihrer ersten Liebe vergessen; aber gleich wie ein einziger Funke eine ganze P u lve r­

mine sprengen kann, so bedurfte es in ihrer Seele nur der Erinnerung, um diesen Traum wieder zu beleben. I h r Gatte, der damals schon leidend war, wurde von seinem A rzt nack der Nordsee geschickt, selbstverständlich unter ihrer Obhut. 'S ie fuhren über Hainburg und mußten dort mehrere Stunden auf das D a m p f­

schiff watten. D er Tag war aber so schön und der gute E ttin g fühlte sich so wohl, daß sie an seinem Arm langsam am Hafen auf und nieder- promenirte. Plötzlich gehen zwei Herren in lebhafter Unterhaltung m it einander an ih r vorüber. S ie wurde aufmerksam, die Stim m e des älteren weckt verklnngene Töne in ihrer Brust, sie hemmt ihre Schritte und der Name

„E w ald Herbich" kommt unwillkürlich über ihre Lippen. Jetzt bleiben beide Herren auch stehen, der ältere sieht sie an, ist betroffen, fix irt sie scharf und endlich spricht auch er ihren Namen aus. — „J a , ja, ich bin es," ru ft sie ihm freund­

lich zu — „doch heiße ich heute C lara von E ttin g . Lieber E ttin g , das ist Herr Ewald Herbich, der bei meinen E ltern mehrere Jahre in Pension war. W ir haben zusammen eine schöne Juaendzeit verlebt. — Also, Herr Herbich

— me n M a n n ."

D as war ein sehr kritischer M om ent, aber er ging schnell vorüber, die M änner maßen sich nicht m it feindlichen Blicken, sondern sprachen m it einander wie alle Bekannte und wären vielleicht noch Freunde geworden, wenn die Zeit damals m it ihnen i n 'B u n d e gestanden hätte.

Aber das Dampfschiff rief und sie mußten fort.

- Dock der gute E ttin g sagte noch kurz vor seinem Tode: „C la ra , wenn D u eines männ­

lichen Beistandes fü r Dich und unser K ind be­

dürftig sein solltest, so wende Dich an Niemand anders, als an Deinen Jugendfreund, den B a u ­ rath Herbich." —

„Liebe M a m a , darf ich bei D ir bleiben?"

B ei diesen Worten beugte sich ein schönes, junges Mädchen im duftigen, weißen Kleide über Frau von E ttin g 's Nacken. Ih r e großen, blauen Augen strahlten voll Wärme und Leben und da.' siine Antlitz, fast ganz umrahmt von goldig blonden Locken, bildete einen eigenen Liebreiz zu dem graziösen, biegsamen Körper, der sich immer mehr an die gedankenvolle M u tte r an­

schmiegte.

„M am a, D u hast mich wohl garnicht kommen hören?"

„N e in , mein K in d ," entgegnete Frau von E ttin g , indem sie die Tochter auf die S tir n kühle.

„M am a, D u sahest so ernst aus."

„Ic k w ar in Gedanken versunken, liebe Helene."

„Ueber wen? Verzeih' m ir die Frage, ich dachte eben nur an Vetter H ans, dem doch nichts passirt sein w ird? E r ist nämlich noch gar nicht hier gewesen und hat auch nicht brief­

lich g ra tu lirt. Ic h vermuthe, er ist krank oder ihm ist sonst ein Unglück zugestoßen."

„Aber, Helene, wie zeigst D u dich nur heute wieder, wie kannst D u noch so kindisch denken,"

entgegnete F ra u von E ttin g verweisend. „Hans wird schon zur rechten Zeit d i sein."

„S o ? H at er an Dick geschrieben? I s t das etwa sein B rie f, der auf dem Tisch liegt?"

fragte das junge Mädchen m it aufleuchtendem Blick, w ird aber betroffen, als die M u tte r erust entgeguete:

„Laß den B rie f liegen, er ist nicht von Hans! Uebrigens w irft D u Dich von heute an gegen Deinen Vetter etwas gesetzter be­

nehmen. D er Himmel weiß, daß ich den Sohn meines Schwagers liebe, gleichsam als ob er der meinige wäre; aber dessen ungeachtet bin ich weder blind fü r seine, noch fü r Deine Fehler.

Wie leicht kann er D ein Gebaren falsch auf-

(4)

fassen und sich's in den Kopf setzen, sein kindi­

sches Cousinchen sei in ihn verliebt und dies neueste Geheimniß seinen Freunden mittheilen!

Also daher noch einmal: Benim m Dich von jetzt an auch gegen Hans wie einejunge Dame, das ist mein Wunsch und mein W ille ," endete Frau von E ttin g ihre ungewöhnlich lange Rede, welche die Tochter

m it unverkenn­

barem Erstaunen angehört hatte.

S ie lächelte aber doch und schmiegte sich abermals an die M u tte r.

„Herzeusmama, D ir muß heute etwas ganzAußer- ordentliches pas- sirt sein, denn D u hast m ir ja eben eine S tra f- rede gehalten,"

sagte sie m it schel­

mischem Lächeln.

„D a ra n hat ge- lviß nur der böse B rie f Schuld, der da vor m ir auf dem Tisch lie g t!"

„D u kommst der W ahrheit nabe. Durch die­

ser. B rie f w ird es m ir vielleicht noch heute ver­

gönnt sein, Dich m it dem schönsten Geschenk fü r D ein ganzes Leben zu überraschen."

„W ie, noch ein Geschenk,während im Saale schon alleTischevon Ge­

schenken strotzen?

M am a, ich weiß wirklich nicht m ehr, w om it Deine Liebe mich jetzt noch über­

raschen könnte!"

„Vielleicht noch mit der Krone, die zu Deinem Königreiche ge­

hört," sagte Frau von E ttin g be­

deutungsvoll.

„D u wirst näm­

lich bald, möglich noch heute, den M a n n kennen lernen, den ich D ir zum Gatten wünsche. E r ist der Sohn meines Jugendfreundes.

— Beide, Vater und Sohn, werden hier eintreffen und ich möchte, daß sie auch bei

uns wohnen, da w ir der Gastzimmer ja genug haben. Aber ich wünsche auch, daß D u zum Empfang unserer Gäste ein wenig elegan ere Toilette machst. D as weiße Kleid wäre wobt sonst genügend, allein fü r eine B ra u t gehört doch wohl eine etwas glanzvollere Toilette."

„W enn D u es wünschest," entgegnete Helene M it gepreßter Stimme.

Aber Frau von E ttin g , sonst jeden Zug in dem Gesichte ihres Kindes beobachtend, war jetzt zu zerstreut, um auf deren Stim m e zu achten.

„J a , meine herzige Helene, ich wünsche das;

denn D u weißt nicht, wie theuer m ir der Vater Deines künftigen Gatten einst war. Doch das

Z>?e Masteivrücke. ( M it Text auf Seite 104.)

Alles erzähle ich D ir einmal später - jetzt aber w ill ich nachsehen, ob in den Fremdenzimmern nichts fehlt; ich möchte unseren lieben Gästen doch gleich ein trauliches Heim in unserem Hause bereiten."

Hier küßte die Dame ihre Tochter noch ein­

mal, dann verliöß sie das B oudoir.

D as junge Mädchen stand mehrere M inuten

wie eine Statue da; Freude und Frohsinn waren aus ihrem liebreizenden Antlitz gewichen und endlich blinkte sogar eine Thräne in ihren Augen. Aber zu einem Strom e sollte diese nicht anschwellen, denn nach einem kleinen Ge­

räusch an der T h ü r stand ein junger M a n n auf der Schwelle, dem sie wie ein Reh in die Arme flog, wäh­

rend er sie fest umschlang und zahllose ' Küsse auf ihre Lippen drückte.

„M eine Helene, D u bist so lieb, so hold, wie ich Dich ja noch nie gesehen habe."

„Ach, Hans, und doch ist m ir's so weh nm 'sHerz!

Ic h wünschte, w ir wären längst ver- heirathet."

„E in Wunsch, den ich am leb­

haftesten m it D ir theile," sagte der junge M a n n , in ­ dem er die zarten Hände des M ä d ­ chens abwechselnd küßte.

„Doch Geduld, mein Lieb', die Stunde kommt auch."

„D ie Hoffnung ist schwach. Aber es geschieht D ir schon recht, daß D n Dich jetzt zum Kampfe rüsten mußt. W arum wolltest D u durch­

aus, daß unsere Liebe geheim bleibe, bis D u den Doktor ab- solvirt hast. Nun hat die M u tte r mich fü r einen

Anderen be­

stimmt."

„Und D u könn­

test der M u tte r gehorchen?"

„D ü rfte ich ihr, der besten aller M ü tte r, ungehor­

sam werden?"

„ I n diesem Falle, ja !"

„D azu gebricht es m ir an M u th !"

„S o g ilt D ir meine Liebe so wenig, daß D u nicht einmal darum kämpfen könntest?

Also betrogen, getäuscht, dem Gehorsam der M u tte r aufgeopfert!" rief der junge M a n n gereizten Tones aus, während er ein schönes, großes B o u q u e t. das er bis jetzt noch immer in der Hand gehalten batte, auf den Tisch schleuderte.

„W ohl gab ich mich nicht dem Wahne hin, Deinen Besitz ganz ohne Kampf zu erringen, denn D u bist ein reiches Mädchen, und ich bin

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