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Beschreibung des Übersetzungsexperiments

W dokumencie IN DER AKADEMISCHEN FORSCHUNG UND LEHRE (Stron 183-188)

Ein prozessorientiertes Konzept für das Übersetzen von Rechtsnormen und dessen empirisch verifizierte

3. Beschreibung des Übersetzungsexperiments

3.1. Teilnehmer und Verlauf des Übersetzungsexperiments

Das Übersetzungsexperiment wurde im Frühjahr 2015 in einer Studentengruppe von 40 Personen des 1 . Studienjahres im Studiengang Translatorik im Germanis-tischen Institut der Schlesischen Universität durchgeführt und bestand aus zwei Teilen . Im ersten sollten die Studenten einen Rechtstext in die Muttersprache übersetzen, so wie sie es in ihrem Übersetzungsunterricht gewöhnt sind . Dabei durften sie ein beliebiges Wörterbuch benutzen . Im zweiten Teil des Experiments bekamen die Studenten den Übersetzungsauftrag, denselben Text nach den Prin-zipien des weiter oben dargestellten prozessorientierten Übersetzungskonzepts zu erledigen . Dabei sollten die Studenten zunächst einen Paralleltext finden, der ihnen als Muster für die Vertextung rechtlicher Inhalte auf terminologischer, syn-taktischer und stilistischer Ebene dienen könnte .9

8| In diesem Zusammenhang spricht Hönig (1995: 62) von der Existenz einer Assoziations-kompetenz, die als kognitive Grundlage für Übersetzungsentscheidungen fungiert . 9| Unter einem Paralleltext versteht man hier Texte, die original in der Zielsprache verfasst

sind, etwa dieselbe Information vermitteln und die gleiche Funktion haben . Mehr zu

Für die Bewältigung der Übersetzungsaufgabe hatten die Studenten jeweils 15 Minuten Zeit . Nach Abschluss des ersten Übersetzungsversuchs sollten sie auf einer Skala von 1 bis 5 den Schwierigkeitsgrad des zu übersetzenden Textes einschätzen, wobei die eins den höchsten und die fünf den niedrigsten Grad be-deuteten . Außerdem sollten sie aufschreiben, womit sie bei der Anfertigung der Übersetzung besondere Probleme hatten .

3.2. Zielsetzungen des Experiments

Mit dem Experiment wurden folgende Zielsetzungen verfolgt:

ӹ

ӹ Den Studenten sollte bewusst gemacht werden, dass gemeinsprachliche Lexik in Rechtstexten fachspezifische Bedeutungen aktualisiert, die einem juristisch ungeschulten Übersetzer in der Regel unbekannt und somit nicht transparent sind . Deshalb sollte die Rechtsübersetzung die Studenten auch für terminologische Nuancen sensibilisieren .

ӹ

ӹ Die Studenten sollten überzeugt werden, dass Wörterbücher nur eine be-schränkte Hilfe bei der Bewältigung einer Übersetzungsaufgabe leisten können . ӹ

ӹ Den Studenten sollte plausibel werden, dass zielsprachliche Paralleltexte eine zuversichtliche terminologische Quelle darstellen sowie Muster der syntaktischen Vertextung von Rechtsinhalten liefern . Dies ist möglich, weil Fachtexte (hier Paralleltexte) nach Zmarzer (2003: 25) eine Form der Re-präsentanz des Fachlexikons in syntagmatischer Einbettung aufgefasst wer-den können, in wer-denen das spezifische Fachwer-denken zum Ausdruck kommt . 3.3. Auswahlkriterien für den zu übersetzenden Text

Für das Übersetzungsexperiment wurde Art . 99 des BGB mit folgendem Inhalt gewählt:

§ 99 Früchte

(1) Früchte einer Sache sind die Erzeugnisse der Sache und die sonstige Ausbeute, welche aus der Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird .

(2) Früchte eines Rechts sind die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt, insbesondere bei einem Recht auf Gewinnung von Bodenbe-standteilen die gewonnenen Bestandteile .

(3) Früchte sind auch die Erträge, welche eine Sache oder ein Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt .

Die Auswahl dieses Textes war nicht zufällig . Wegen der gesetzten Ziele und beschränkten Zeit, die den Studenten für die Übersetzungsaufgabe eingeräumt wurde, sollte er:

unterschiedlichen Auffassungen des Paralleltextes in der Übersetzungswissenschaft in Kubacki (2013) .

ӹ

ӹ und eine hohe Anzahl gemeinsprachlicher Lexik enthalten .

Eine ähnliche Auffassung vertritt in der polnischen Fachliteratur Olpińska (2009: 87), die sie folgendermaßen formuliert hat:

Pod względem „zawartości terminologicznej” dla potrzeb programu nauczania tłumaczenia tekstów specjalistycznych odpowiednie są teksty będące swoistymi

„zbiorami terminologii”, tzn . teksty o dużym nasyceniu wyrażeń nych, jednakże nie w postaci list pojęć fachowych, lecz w kontekście specjalistycz-nej wiedzy, jaką reprezentują .

Der zu übersetzende Text sollte auch beste Bedingungen für einen Mikrover-gleich im Sinne Sandrinis (1996: 177–178) schaffen .10 Auf der Mikroebene war nämlich eine Rechtsvergleichung vorzunehmen, damit auf deren Basis die funk-tionalen Äquivalente in der Zielrechtsordnung relativ schnell und zuverlässig gefunden werden konnten .

Der gewählte Text besteht aus drei, relativ kurzen Attributsätzen, dessen Satzlänge sowie die grammatischen Relationen den Übersetzungsvorgang nicht übermäßig belasten sollten . Was die Lexik betrifft, so enthält er grundsätzlich Nomen der deutschen Gemeinsprache, wie etwa: Recht, Frucht, Sache, Erzeugnis, Ertrag, Ausbeute, Bestimmung, Gewinnung, Bestandteil, Bodenbestandteil, sowie die Verben sein, gewähren und gewinnen . Ein echtes Verstehensproblem stellt die Wortform vermöge dar, wenn sie irrtümlicherweise mit dem Verb vermögen iden-tifiziert wird . Wäre das der Fall, so wäre die richtige Erschließung der entspre-chenden Textstelle unmöglich . Einem aufmerksamen Übersetzer müsste beim Rezipieren der betreffende Textstelle auffallen, dass vermöge keine Endstellung im Nebensatz einnimmt und das folgende Wort im Genitiv steht . Diese Indizien lassen vermöge als Präposition interpretieren . Aus den geleisteten Übersetzungen geht hervor, dass kein Student den Versuch wagte, diese Wortform ins Polnische zu übersetzen, da sie weder die grammatische noch die semantische Funktion dieser Wortform erkennen und folglich übersetzen konnten . Die Unkenntnis dieser Präposition kann damit erklärt werden, dass sie in den älteren Ausgaben der deutschen Grammatik von Helbig & Buscha im Katalog der Präpositionen nicht genannt wird . Im neuesten Grammatikbuch von Darski (2012: 303) Gra-matyka niemiecka z uwagami konfrontatywnymi wird sie mit dem stilistischen Vermerk „veraltet“ erwähnt, was auf ihre geringe Frequenz hinweist . In Langen-scheidts Großwörterbuch, Deutsch als Fremdsprache (1993: 1055) fungiert vermöge

10| Darunter versteht man die Rechtsvergleichung einzelner Rechtsinstitute oder Rechtspro-bleme .

als Lemma in der Bedeutung mit Hilfe von und mit dem stilistischen Vermerk

„geschrieben“ . Aus diesem Grunde bedurfte die Dekodierung der Wortform ver-möge einer aufmerksamen Zuhilfenahme eines Wörterbuchs, was allerdings nicht getan wurde .

3.4. Evaluation des Schwierigkeitsgrades des zu übersetzenden Textes

Nach der Auffassung des Versuchsleiters ist der Text trotz oberflächlicher Merk-male aus folgenden Gründen als schwierig einzustufen:

ӹ

ӹ Die Satzstrukturen sind nur scheinbar einfach: Als Prädikat der Haupt-sätze fungiert sein und in den NebenHaupt-sätzen das Verb gewinnen oder ge-währen . Sieht man sich die Sätze jedoch etwas genauer an, so kann man feststellen, dass ihre Struktur Merkmale einer Legaldefinition aufweist, mit der der deutsche Gesetzgeber den Begriff Früchte definiert . Das Besonde-re an der Struktur ist, dass im Definiens die Merkmale des Definiendum genannt werden .

ӹ

ӹ Die im Definiens genannten Gattungsbegriffe Gewinnung, Ertrag, Ausbeu-te, Erzeugnisse sind in der Gemeinsprache bedeutungsähnlich und bilden obendrein ein terminologisches Feld . Da sie alle in einem kurzen Text gebraucht wurden, legt die berechtigte Vermutung nahe, dass sie trotz Be-deutungsähnlichkeit relevante semantische Nuancen zum Ausdruck brin-gen, die für einen juristischen Laien nicht transparent sind .

ӹ

ӹ Die im Definiens genannten Substantive sind auch in der Gemeinsprache mehrdeutig, was die Selektion der im gegebenen Kontext aktualisierten Bedeutungen wesentlich erschweren kann .11

In der Auffassung der Studenten war der zu übersetzende Text diffizil . Nach der Schwierigkeitsskala wurde er der Stufe 2 zugeordnet . Die besonderen Über-setzungsprobleme ergaben sich nach deren Aussagen aus:

ӹ

ӹ der Mehrdeutigkeit und der semantischen Undurchsichtigkeit der Lexeme, ӹ

ӹ der Unkenntnis vieler Lexeme, individueller Wortschatzlücken, ӹ

ӹ geringer Effizienz in der Äquivalenzfindung mit Hilfe eines Wörterbuchs, ӹ

ӹ „seltsamer“ Syntax, ӹ

ӹ mangelnder Orientierung in der Textthematik .

Die Studenten gaben zu, dass ihnen der Text zwar verständlich, aber schwie-rig zum Übersetzen erschien . Der Eindruck der Verständlichkeit könnte mit der weitgehenden Bekanntheit der Lexik erklärt werden . Dennoch – wie sie schrieben – fiel es ihnen besonders schwer, den deutsch formulierten Inhalt in

11| Nach Duden (online) hat z .B . das Wort Ertrag folgende Bedeutungen: bestimmte Menge (in der Landwirtschaft) erzeugter Produkte; finanzieller Nutzen, Gewinn, den etwas ein-trägt .

polnischer Sprache logisch wiederzugeben . Die Ursache hierfür könnte darin liegen, dass die Studenten die zu übersetzenden Sätze nicht als Legaldefinitionen erkannt haben, in denen ein Rechtsterminus definiert wurde . Deshalb fanden sie ihre Syntax als „komisch“ .

3.5. Terminologische Zuverlässigkeit benutzter Nachschlagewerke in der ersten Experimentphase

In den abgelieferten Umfragen gaben die Studenten zu, dass sie 60–70% der Übersetzungsprobleme mit einem Wörterbuch zu lösen versuchten . Dabei be-merkten sie, dass die benutzten Nachschlagewerke sie eher in die Irre geführt hätten, anstatt ihnen zu helfen . Deshalb wollen wir im Folgenden die termino-logische Adäquatheit der Übersetzungsvorschläge in der neuesten Ausgabe des deutsch-polnischen Wörterbuchs der Rechts- und Wirtschaftssprache von Kilian

& Kilian (2014: 287) überprüfen, um die subjektiven Eindrücke der Studenten zu verifizieren . Die darin angegebenen Übersetzungsvorschläge der deutschen Ter-mini Früchte, Früchte einer Sache und Früchte eines Rechts verletzen die polnische präskriptive Norm in mehrfacher Hinsicht:

1 . Das Wörterbuch suggeriert, dass der deutsche Terminus Früchte und des-sen polnische Äquivalente owoce, płody und pożytki denotativ gleichwertig sind und folglich austauschbar gebraucht werden können .

2 . Die angegebenen polnischen Äquivalente pożytki z prawa und pożytki z rzeczy sind formal inkorrekt, da sie die polnische präskriptive Norm des Art . 53 und 54 des polnischen Zivilgesetzbuches grob verletzen . Gemäß den genannten Vorschriften haben die polnischen Termini, genauso wie im Deutschen, ausschließlich die Form einer Genitivphrase: pożytki prawa und pożytki rzeczy . Verblüffend ist die Feststellung, dass dieselben termi-nologischen Lemmata im polnisch-deutschen Wörterbuch (Kilian & Kilian 2014: 361) die korrekte Form aufweisen .

3 . Inkorrekt ist ebenfalls die Information, dass Früchte und Nutzungen griffliche Synonyme sind . Ohne entsprechendes Vorwissen über die be-grifflichen Unterschiede zwischen ihnen besteht die Gefahr, dass sie in inadäquaten Kontexten verwendet werden können .

4 . Dem juristisch erfahrenen Benutzer dieser Wörterbücher fällt auf, dass die deutschen Übersetzungsvorschläge zivilrechtliche Nutzungen einer Sache und natürliche Nutzungen einer Sache für polnische Termini pożytki cy-wilne rzeczy und pożytki naturalne rzeczy eine äußerst formale Äquivalenz kennzeichnet, da sie ihre ausgangssprachliche Struktur und lexikalische Motiviertheit kopieren und somit die präskriptive Norm des § 99 BGB ver-letzen . Die unbegründete Bevorzugung der formalen Äquivalenz bewirkt, dass die Übersetzungsvorschläge inkorrekt sind . Somit führen sie unge-wollt die Wörterbuchbenutzer in die Irre . Die terminologische Adäquatheit

würde besser gesichert, wenn die zielsprachlichen Termini nach dem Prin-zip der funktionalen Äquivalenz ermittelt worden wären . Dabei ist stets die Form sowie die syntagmatische Verbindungsart der Konstituenten der be-grifflich korrespondierenden Äquivalente zu beachten . Die beanstandeten Übersetzungsvorschläge zeigen auch, dass selbst Autoren von Rechtswör-terbüchern Probleme haben, in der Ausgangs- und/oder Zielrechtsordnung Wortfügungen als juristische Termini zu identifizieren . In solchen Fällen werden sie irrtümlicherweise alltagssprachlich interpretiert und deren prä-skriptiv festgesetzte Formen ignoriert .

Im analysierten Wörterbuch ist weiterhin zu bemängeln, dass Informationen über die Rechtsquellen eines Terminus nicht systematisch angegeben werden . Im deutsch-polnischen Band sind entsprechende Quellenangaben vorhanden, wäh-rend sie im polnisch-deutschen Band durchaus fehlen . Diese Informationen sind insofern für übersetzende Personen wichtig, als sie ihnen ermöglichen, die an-gegebenen Übersetzungsvorschläge auf die Einhaltung der präskriptiven Norm hin im gegebenen Kontext zu überprüfen . Am Rande sei hier anzumerken, dass andere Rechtswörterbücher12 entweder kein Lemma Früchte enthalten oder die darin aufgeführten Äquivalente denotativ (begrifflich) und formal falsch sind13 .

Die dargestellten Mängel der Rechtswörterbücher bestätigen, dass die negati-ve Meinung der Studenten zur Effizienz der Äquivalenzfindung in einem Nach-schlagewerk durchaus berechtigt ist . Mehr noch, wegen dieser Mängel sind Über-setzungsunzulänglichkeiten, gemilde gesagt, vorprogrammiert, was übrigens die

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