• Nie Znaleziono Wyników

DIE GLEICHFÖRMIGKEIT DES PSYCHISCHEN GESCHEHENS UND DIE ZEUGENAUSSAGEN

V O N

JO HANN DAUBER.

I N H A L T .

Seite

§ 1. Über die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens... 83

§ 2. Beziehungen der Gleichförmigkeit zum Problem der Zeugenaussage 90

§ 3. Nachweis gleichfalscher Aussagen aus den Experimenten zur Psychologie der Zeugenaussage ... 92

§ 4. Nachweis gleichfalscher Aussagen in G e ric h ts fä lle n ... 103

§ 5. Nachweis gleichfalscher Aussagen mittels neuer V e rs u c h e ... 107

§ G. Der E influß der Gewohnheit auf die Entstehung gleichfalscher Aussagen 122

§ 7. Der E influß der Geläufigkeit auf die Entstehung gleichfalscher Aussagen 126

§ 8. Gewohnheit, Geläufigkeit, B e r e its c h a ft...129

§ 9. Zusammenfassung der R e s u lt a te ...190

§ 1. Ü BER D IE G L E IC H F Ö R M IG K E IT DES PSYCHISCHEN GESCHEHENS.

Psychische Tatsachen weisen unter genügend gleichförmigen Be­

dingungen bei verschiedenen Personen größere Übereinstimmung auf, als man zu erwarten geneigt wäre. M a r b e 1) hat Untersuchungen darüber angestellt, wie sich die geistigen Vorgänge bei verschiedenen Versuchspersonen unter gleichförmigen Bedingungen gestalten. Er zeigte 40 Versuchspersonen je zwei bzw. drei Spielkarten m it der Aufgabe, von den gezeigten Karten eine zu merken und deren Namen niederzuschreiben. Aus diesem Versuche ergab sich, daß, wenn w ir einer größeren Anzahl von Versuchspersonen einige Karten vorlegen und sie auffordern, irgend eine Karte zu merken, bestimmte Karten

i) k. M a rb e , Zeitschr. f. Psychologie. Bd. 56. 1910. S. 241 ff.

Fortschritt« der Psychologie II. 7

bevorzugt werden. In einer zweiten Versuchsreihe ließ M a rb e von jugendlichen Versuchspersonen jeweils eine beliebige Zahl von 1 bis 10, von 11 bis 20, von 21 bis 30, von 31 bis 40 und von 41 bis 50 notieren. Auch dieser Versuch ergab eine überraschende Gleich­

förmigkeit des psychischen Geschehens. Es wurden am häufigsten unter allen Zahlen aufgeschrieben, deren Endziffer 5 war; die anderen notierten Zahlen traten um so seltener auf, je mehr sich ihre End­

ziffer von 5 entfernte. Eerner ließ M a rb e von einer großen Zahl von Versuchspersonen Farbennamen niederschreiben. Unter 561 Ver­

suchen wurden rot und blau 279 mal und 22 andere Farbennamen zusammen nur 282 mal niedergeschrieben. In einem weiteren Ver­

such ließ M a rb e von den Versuchspersonen beliebige Wörter auf­

schreiben, wobei 57 % der notierten Wörter mehr als einmal Vor­

kommen. M a rb e zeigte auch, daß die von ihm festgestellte Gleich­

förmigkeit des psychischen Geschehens unter dem Einfluß der Sug­

gestion wesentlich vergrößert werden kann und erörterte die Bedeu­

tung der Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens für die Ge­

schichtswissenschaft J) und die Völkerpsychologie 1 2).

Die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens spielt auch eine sehr eigentümliche Rolle im Gebiet des Strafmaßes, m ittelst dessen die Richter die Vergehen der Schuldigen vergelten, wie K. M a r b e 3) auf Grund der Arbeiten von W in e s , E llis und G a lto n neuerdings betont hat.

Bevorzugung einzelner Zahlen, nämlich Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens in Protokollen von vermeintlichem Gedanken­

lesen, hat Ch. S. M i n o t 4) festgestellt.

1) Über voneinander unabhängige Übereinstimmungen in der L ite ra tu r handelt neuerdings E. S te m p lin g e r , Das Plagiat in der griechischen Literatur.

Leipzig u. Berlin 1912. S. 279 f. Über Übereinstimmungen in der Musik vgl.

E. S te m p lin g e r a. a. O. S. 280.

2) Über die Bedeutung der Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens fü r die Völkerpsychologie und Rechtswissenschaft handelt ausführlich W. B rö n n e r, Zeitschrift fü r Philosophie und philosophische K ritik . Bd. 141. 1911. S. 1 ff. >

Über den Zusammenhang der Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens m it der allgemeinen Gleichförmigkeit der N atur handelt K . M a rb e , Vierteljahrs­

schrift fü r wissenschaftliche Philosophie u. Soziologie. Jahrg. 36. 1912. S. 69 ff.

Vgl. auch K . M a rb e , Fortschritte der Psychologie. Bd. 1. 1912. S. 7 ff. und S. 41 ff.

3) K . M a rb e , Fortschritte der Psychologie. Bd. 1. 1912. S. 63 ff.

4) Ch. S. M in o t, Proceedings of the American Society for Psychical Research.

Bd. 1. 1885— 1889. S. 86 ff.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 85

Auf dem Gebiet der Massenschätzungen läßt sich ebenfalls eine auffällige Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens nachweisen.

F. B. D r e s s la r 1) und E. C. S a n fo rd 2)'haben von vielen Versuchs­

personen größere Mengen von Körnern und Bohnen schätzen lassen, wobei gewisse Zahlen deutlich bevorzugt wurden. Auch beim Schätzen von Zehnteln durch verschiedene Beobachter im Gebiet astronomi­

scher und physikalischer Untersuchungen zeigt sich eine auffällige Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens, was K . M a rb e 3) be­

reits betont hat, und was in einer Arbeit von M ic h a e l B a u ch ausführlich erörtert werden wird.

In den Schriften der griechischen, römischen und m ittelalter­

lichen Annalisten finden w ir viele Zahlenangaben über die Stärke der Kriegsheere, über die Einwohnerzahl der Städte und über die durch Krieg, Hungersnot und Seuchen, namentlich durch die Pest herbei­

geführten Menschenverluste, welche durchwegs zu groß sind, wie D a v i d H u m e 4) und andere5) gezeigt haben.

Nach K . L a m p r e c h t 6) spielen in den Zahlenangaben der Dichter und Historiker des Mittelalters die germanischen Zahlen­

symbole eine ganz besondere Rolle. Die Geläufigkeit dieser Zahlen ging so weit, daß sich die Volksprediger des Mittelalters nicht der

!) F. B. D re s s la r , Popular Science M onthly. Bd. 54. 1898/99. Diese A rbeit war m ir im Original nicht zugänglich. B in ausführliches Exzerpt daraus wurde fü r d.as Würzburger In s titu t vor einiger Zeit von Herrn D r. G e is s le r , damals In stru kto r an der Cornell University, angefertigt.

2) E. C. S a n fo rd , American Journal of Psychology. Bd. 14. 1903.

S. 383 ff.

3) K . M a rb e , Vierteljahrssehr. f. wissenschaftl. Philosophie u. Soziologie.

Jahrg. 36. 1912. S. 75f. und Fortschritte der Psychologie Bd. 1. 1912. S. 7 f.

4) D. H u m e , Essays moral, political and literary. Edited by T. H . G reen and T. H. Grose. London 1889. Bd. 1. S. 381 ff.

5) K . B ü c h e r, Zeitschrift fü r die gesamte Staatswissenschaft. Bd. 37.

1881. S. 535 ff. — J. J a s tr o w , Die Volkszahl deutscher Städte zu Ende des M ittelalters und zu Beginn der Neuzeit. Berlin 1886. — J- B e lo c h , Die Be­

völkerung der griechisch-römischen Welt. Leipzig 1886. H . P a a sch e , Jahr­

bücher fü r Nationalökonomie und Statistik. Neue Folge. Bd. 5. 1882. S. 303 ff.

K . Th. E h e b e rg , ebenda. Neue Folge. Bd. 7. 1883. S. 297 ff. H . D e l­

b r ü c k , Geschichte der Kriegskunst. I. Das Altertum . Berlin 1900. S. 7 ff. — E. M e y e r im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Bd. 2. 3. A ufl. Jena 1909. S. 898 ff. — v. In a m a -S te rn e g g im Handwörterbuch der Staatswissen­

schaften. Bd. 2. 3. Aufl. Jena 1909. S. 882 ff.

6) K . L a m p r e c h t, Deutsches Wirtschaftsleben im M ittelalter. Leipzig 1885. Bd. 2. S. 9 ff.

7»

biblischen Zahlensymbolik, sondern der germanischen bedienten. Die geistlichen Schriftsteller haben außer den deutsch-symbolischen Zahlen noch die Zahl sieben, welche als kirchlich-symbolisch anzusehen ist m it Vorliebe verwendet.

B e l och x) sammelte die Angaben über das Alter der verstorbenen Personen aus den im Corpus Inscriptionum Latinarum enthaltenen Grabschriften aus der ersten, zweiten und zehnten Region Italiens.

Hieraus gewann er eine Tabelle 2), die w ir gekürzt wiedergeben, wobei wir, im Gegensatz zu B el och, das Geschlecht der Verstorbenen nicht berücksichtigen.

Unsere labeile enthält in je zwei zusammengehörigen, neben­

einander gedruckten Vertikalkolumnen links die vollendeten Jahre und rechts die zugehörige Anzahl von Personen, die nach Vollendung dieser .Jahre starben. Wenn also zum Beispiel in der ersten Zeile die Zahlen 0 und 18 stehen, so heißt dies, daß sich bei den Unter­

suchungen Bei ochs 13 Inschriften zeigten, denen zufolge die Ver­

storbenen noch kein Lebensjahr zurückgelegt hatten.

Tabelle 1.

J. B e l° ° h , Die Bevölkerung der griechisch-römischen W elt. Leipzig 2) J. B e lo c h , a. a. O. S. 49.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 87

Anzahl der Anzahl der Anzahl der

Lebensjahre Personen Lebensjahre Personen Lebensjahre Personen

39 8 60 47 80 22

40 63 61 4 81

41 6 62 2 82 1

42 6 63 i 83

43 4 64 i 84 1

44 5 65 17 85 5

45 37 66 2 86 •«—

46 6 67 2 87

47 5 68 4 88

48 4 69 89

49 2 70 23 90 7

50 33 71 3 91

51 1 72 1 92 1

52 5 73 1 93 3

53 2 74 2 94

54 3 75 8 95

55 23 76 1 96 2

56 4 77 97 1

57 4 78 3 98

58 7 79 99 3

59 3

Ich stellte nun fest, wie oft in der B e l och sehen Tabelle eine Lebensdauer angegeben ist, deren Endziffer gleich 0 ist, wie oft eine solche angegeben ist, deren Endziffer gleich 1, 2, 3 usw. ist. Dann ordnete ich diese Zahlen nach der Größe. Die folgende Tabelle zeigt, wie oft bei den B e l och sehen Feststellungen die Zahlen 0, 1, 2, 3 usw.

die letzte Ziffer der auf den Denkmälern angegebenen Lebensjahre bildeten.

Tabelle 2.

An der Einerstelle steht die Ziffer:

An der Einerstelle steht die Ziffer:

0 385 mal 7 149 mal

5 308 „ 6 131 „

8 170 „ 4 130 „

2 150 „ 9 118 „

3 150 „ 1 118 „

Aus dieser Tabelle können w ir den Satz ableiten, daß sich auf den von B e l o c h untersuchten Grabinschriften am häufigsten die End­

ziffern 0, dann 5 und dann 8 finden. Es ist nun höchst interessant, daß w ir zu demselben Resultate gelangen, wenn w ir die Mitteilungen von A. W illia m s 1) über die Altersangaben beim Zensus in Alabama und den Vereinigten Staaten einer Untersuchung unterziehen.

W i l l i a m s hat aus den Volkszählungslisten vom Jahre 1880 nachgewiesen, daß die Altersangaben der Personen gewissen Gesetzen folgen, die sich in sehr souveräner Weise von den Tatsachen der Be­

völkerungsstatistik unabhängig machen. Ich lasse diese Tabelle, welche sich auch auf die Feststellungen im Staate Michigan be­

zieht, folgen.

Tabelle 8.

Die Altersangabe von

erfolgte in Alabama in den Vereinigten

Staaten in Michigan

28 Jahren 19 229 mal 850 083 mal 30 021 mal

29 11 276 „ 621 852 „ 23 113 „

30 30 997 „ 1 094 324 „ 32 567 „

31 8 445 „ 492 530 „ 18 929 „

32 12 409 „ 654 874 „ 24 472 „

33 10 649 „ 580 952 „ 21 946 „

34 10 009 „ 546 263 „ 21 072 „

35 22 373 „ 871 065 „ 26 326 „

36 10 514 „ 581615 „ 21 864 „

37 8 720 „ 495 187 „ 19 213 „

38 11 352 „ 594 500 „ 21 303 „

39 7 323 „ 458 052 „ 17 761 „

40 23 237 „ 922 610 „ 26 058 .,

41 4 600 „ 323 608 „ 12 695 ,.

42 6 858 „ 458 949 ,. 17 551 „

Die ganze Tabelle zeigt, daß z. B. das Alter von 30 Jahren viel häufiger angegeben wird als irgend ein unmittelbar niedereres oder höheres, und andere auffällige Erscheinungen. Ordnen w ir die Zahlen, die sich auf die Angaben der Jahre 28 bis 37 beziehen, nach ihrei Häufigkeit, und stellen w ir fest, wie oft ein Lebensalter m it der Endziffer 1, bzw. m it der Endziffer 2, bzw. m it der Endziffer 3 usw.

angegeben wurde, so gelangen w ir zu folgender *)

*) A. W illia m s , Scientific American Supplement. Bd. 27. 1889. S. 11008f.

Tabelle 4.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 89

An Stelle der Einer steht:

in Alabama in den Vereinigten

Staaten in Michigan

am häufigsten 0 0 0

dann folgt 5 5 8

8 8 5

2 2 2

t t tt

9 9 9

3 6 3

6 3 6

4 4 4

7 7 7

t t t t 1 1 1

Aus dieser Tabelle können w ir für den Staat Alabama und die Vereinigten Staaten folgendes feststellen: Am häufigsten sind die Altersangaben m it der Endziffer 0, dann folgen die m it der Endziffer 5, dann die m it der Endziffer 8 und dann folgen die Angaben m it den übrigen Endziffern. Betrachten w ir die letzte Kolumne der Tabelle 4, so sehen wir, daß sich im Staate Michigan die Sache ähnlich verhielt.

Es zeigt sich also bei den Volkszählungen in Amerika und bei den Feststellungen Bei oc hs über die Angaben der Lebensalter in der römischen Zeit eine ganz auffallende Übereinstimmung, wie noch deut­

licher aus folgender Tabelle 5 hervorgeht, in welcher die Tabellen 2 und 4 verbunden sind.

. Tabelle 5.

An Stelle der Einer steht:

bei Be lo c h

bei W i l l i a m s

fü r Alabama fü r die Ver­

einigten Staaten fü r Michigan

am häufigsten 0 0 0 0

dann folgt 5 5 5 ö

8 8 8 5

2 2 2 2

3 9 9 9

7 3 6 3

6 6 3 6

4 4 4 4

9 7 7 7

t t t t 1 1 1 1

Die experimentell nachgewiesene Gleichförmigkeit des psychi­

schen Geschehens unter ähnlichen Umständen erweist sich somit als em Faktor, der auch in praktischen Gebieten des Lebens wirksam ist.

Die Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens erklärt auch die allgemeine Überschätzung der Bergeshöhen in der älteren Zeit, als noch keine exakten Messungen möglich waren. 0. P e s c h e i 1) füh rt einige Beispiele für die übertriebenen Vorstellungen, welche man von den Höhen der Berge hatte, an. Nach P l i n i u s 2) ragen einige Spitzen der Alpen fünfzehnmal höher als der Montblanc empor.

A r i s t o t e l e s 3) ließ die höchsten Gipfel des Kaukasus noch vier Stunden im Sonnenlicht glänzen, nachdem für die Ebene die Sonne unter­

gegangen war. Noch im 17. Jahrhundert gab B i c c i o l i 4) dem Mont Cenis die vierfache Höhe des Montblanc. Unter den Höhenangaben scheinen bei den Griechen manche besonders beliebt gewesen zu sein.

Nach H. B e r g e r 5) war die Höhenangabe von „zehn Stadien“ be­

vorzugt.

§ 2. B E Z IE H U N G E N D E R G L E IC H F Ö R M IG K E IT ZUM PRO BLEM DER ZEUGENAUSSAGE.

Die erwähnte Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens unter gleichförmigen Bedingungen wäre auch für die Psychologie der Zeugen­

aussage bedeutsam, wenn sich zeigen ließe, daß die fragliche Gleich­

förmigkeit auch im Gebiet der falschen Aussage im hohen Maße be­

steht. Nun hat schon E. C l a p a r è d e 6) eine Übereinstimmung der falschen Antworten (accord dans l ’erreur) bei seinen voneinander un­

abhängig aussagenden Versuchspersonen nachgewiesen. Bei den A n t­

worten auf Schätzungsfragen stellte er fest, daß die richtige A ntw ort nicht immer die relative M ajorität der Stimmen e rh ä lt7). Auch unter den Aussagen über das Signalement eines Eindringlings konstatierte E. C l a p a r è d e 8) übereinstimmende falsche Aussagen. Bei den Schätzungen räumlicher Verhältnisse und Mengen 9) zeigte sich eine

ł ) O. P e s c h e i, Geschichte der Erdkunde. München 1865. S. 57.

a) P lin iu s , Naturalis historia. I I . 102.

3) A r is t o t e le s , Meteorológica. I . 13. p. 350a. 2 8 ff.

4) O. P e s c h e i, a. a. O. S. 381.

°) H . B e rg e r, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen.

Leipzig 1891. I I I . A bt. S. 53.

c) E. C la p a rè d e , Archives de psychologie. Bd. 5. 1906. S. 386.

7) E. C la p a rè d e , a. a. O. S. 365f.

8) E. C la p a rè d e , a. a. O. S. 377 ff.

9) E. C la p a rè d e , a. a. O. S. 372.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 91

Tendenz zum Über- oder Unterschätzen, je nach den gegebenen Größen. Kleinere Mengen und Strecken wurden vorzugsweise über­

schätzt und größere Mengen und Strecken'unterschätzt. Höhen wurden vorzugsweise überschätzt. Ähnliche Resultate hat schon vor E. Cla­

p ar ède W. S t e r n 1) gewonnen. Die Übereinstimmung der falschen Aussagen erklärt E. C l a p a r è d e 2) unter anderem aus der Tendenz, das Ungewöhnliche, Zufällige zu übersehen, und im Sinne des Wahr­

scheinlichen auszusagen. Die Erklärung übereinstimmender falscher Aussagen über räumliche Verhältnisse glaubt e r 3) in der Tendenz, die Erinnerungen über diese Verhältnisse zu verkleinern, finden zu kömien; da w ir uns in dieser Arbeit m it der Schätzung räumlicher Verhältnisse nicht befassen, so wollen w ir auf diese in dem Material Cl apar èdes wenig begründete Ansicht nicht näher eingehen.

Unter anderen Autoren weist gelegentlich H. G r o s s 4) auf die Übereinstimmung falscher Aussagen hin, indem er bei Besprechung von Zeugenaussagen sagt : ,,Das Bedenklichste an der Sache ist noch der Umstand, daß in solchen Fällen viele Zeugen ü b e r e i n s t i m m e n d falsch aussagen.“

Die Ansicht E. Cl apar èdes, daß die Zeugen das Ungewöhnliche unbeachtet lassen und im Sinne des ihnen Geläufigen aussagen, wurde auch von anderen Forschern ausgesprochen. S. J a f f a 5) sagt: „Viele Fehler sind dadurch entstanden, daß die Herren an gewisse Formen der Unterhaltung etc. gewöhnt waren und daß die abweichende Form sich ihrer Erinnerung nicht deutlich genug eingeprägt hatte . „Auch hier sehen w ir also den Satz bestätigt, daß das Normale leicht das Gedächtnis täuscht, wenn der Vorfall sich anormal abgespielt hat.“

H. G r o s s 6) weist darauf hin, daß der Papst Sixtus auf einem Gemälde von Raffael sechs Finger zu haben scheine. Wenn viele Beobachter die Täuschung nicht bemerken, so liegt das daran, daß

1) W. S te rn , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 2. Folge. H e ft 1.

1904. S. 62 u. 66.

2) =) E. C la p a rè d e , a. a. O. S. 386 f. — Kürzere Mitteilungen über den­

selben Gegenstand gibt C la p a rè d e , Beiträge zur Psychologie der Aussage.

2. Folge. H e ft 4. 1906. S. 111 ff. und Archivio di Psichiatria, Neuropatologia, Antropologia criminale e Medicina legale. Bd. 28. 1907. b. 345 f.

4) h. G ro ss, Archiv fü r K r i m i n a l-Anthropologie und K rim in a listik. Bd. 10.

1903. S. 109 ff.

5) g. J a f f a , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 1.

1903. S. 95.

6) H . G ro s s , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 2.

1903. S. 117 ff.

viele an einen Fehler Raffaels überhaupt nicht glauben. „D ie aller­

meisten Menschen sehen die Dinge m it einer gewissen Voreinge­

nommenheit und schablonenhaft, nicht aber in ihren Einzelheiten an.“ In ähnlicher Weise äußerst sich auch R. S e c k e l1): „Es zeigt sich sonach hier das unbewußte Bestreben, ein beobachtetes Ereignis in den typischen Verlauf der Dinge einzureihen.“ Auch C. M in n e ­ m a n n 2) sieht unter andern die Gewohnheit als Fehlerquelle an.

E r sagt auch: „Schwerer wiegend jedenfalls als die notwendige Sche­

matisierung ist die Verfälschung des Eindruckes durch Einordnung in subjektive Gedankengänge.“ Auch P lü s c h k e 3) erklärt die falschen Aussagen seiner Schüler als durch die Gewöhnung bedingt 4 *).

Außer C la p a rè d e hat sich keiner der genannten Psychologen eingehender m it den übereinstimmenden und zugleich falschen Aus­

sagen befaßt. Und nur C la p a re d e und H. G ross betrachten die Gewohnheit als Ursache übereinstimmend falscher Aussagen, während die anderen Autoren lediglich die Falschheit der Aussagen auf den Einfluß der Gewohnheit zurückführen.

Ich untersuche nun, in welchem Umfang die übereinstimmend falschen Aussagen auftreten. Ferner versuche ich den empirischen Nachweis zu erbringen, worin man gewisse Ursachen für die über­

einstimmend falschen Aussagen zu erblicken hat. Die überein­

stimmend falschen Aussagen sollen im folgenden kurz als gleich­

falsche bezeichnet werden. Mehrere falsche, aber unter sich ver­

schiedene Aussagen sollen verschieden falsche genannt werden.

§ 8. N A C H W E IS G LE IC H F A LS C H E R AUSSAGEN AUS D EN E X P E R IM E N T E N ZUR PSYCH OLO G IE D ER AUSSAGE.

Obgleich die Autoren, welche die Psychologie der Aussage be­

handelt haben, nicht alle falschen Aussagen m itteilten, so lassen sich doch, wie in diesem Paragraphen gezeigt werden soll, aus der

bis-1) R. S e c k e l, Beiträge zur Psychologie der Aussage. 2. Folge. H e ft 3 1905. S. 144.

2) c - M in n e m a n n , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge H e ft 4 1904. S. 100.

!) P lü s c h ke, Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 1

1903. S. 122. 6

b Vgl. auch O. L ip m a n n , Zeitschrift für angewandte Psychologie. Bd. 2. 1909. S. 433 und W . B a a d e , Zeitschrift für angewandte Psychologie. Bd 4 1911. S. 189 ff.

herigen Literatur viele gleichfalsche Aussagen nachweisen. Zunächst behandle ich einige sogenannte Wirklichkeitsversuche.

Aus dem Bericht über ein psychologisches Experiment im k ri­

minalistischen Seminar der Universität B erlin1) lassen sich gleich­

falsche Aussagen zusammenstellen. Als Herr K . aufstand, um zum Referat zu sprechen, sagte Sch.: „Bas fehlte noch gerade. Bie größte Zahl der Versuchspersonen schrieb nieder: „Bas fehlte gerade noch.“ Br. K . sagte: „Seien Sie gefälligst ruhig“ , statt dessen sagen fast alle Versuchspersonen: „H alten Sie gefälligst den Mund. Br. K.

hatte sich erhoben, ohne um das W ort zu bitten. Zwei Zeugen sagten aus, er habe um das W ort gebeten.

L. W. W e b e r 2) te ilt folgenden Versuch m it: Während eines Referates stürzen zwei Masken in das Vortragszimmer, es kommt zu einer kleinen Rauferei, worauf sich die Masken wieder entfernen.

Vierzig Versuchspersonen wurden neun Fragen vorgelegt. Zwei be­

zeichnen die Gesichtsfarbe einer der Masken fälschlich als braun.

Mehrfach wurden ihre Haarschöpfe für eine Mütze m it drei Zipfeln oder Quasten gehalten; andere gaben gemeinsam, aber falsch an, sie sei m it Zylinderhut, runder kleiner Mütze oder dgl. angetan ge­

wesen. Bei der anderen Maske haben mehrere irrtüm lich einen hohen H ut, einen Zylinder gesehen, obgleich auch sie keine Kopfbedeckung trug. Zahlreiche Antworten geben ein und denselben falschen An­

zug an: Roter Frack, braunes Kostüm, Hemdärmel, gestreifte Bein­

kleider usw. Burch eine Frage W e b e r s sollte festgestellt werden, was die beiden Personen in der Hand hatten. Bie eine Maske (A) hatte eine Schweinsblase, die andere (B) einen Revolver. Je drei Beobachter wollen bei A den Revolver und bei B die Schweinsblase gesehen haben. A nahm im Getümmel B den Revolver weg. Dieser Vorgang wurde nur von sechs Personen beobachtet; die meisten gaben an, nichts davon gesehen zu haben. Als ein Herr auf Grund dei Aus­

sagen das ganze Geschehnis rekonstruierte, gelangte er, in em er den gleichfalschen Aussagen folgte, zu falschen Annahmen.

C. M in n e m a n n 3) berichtet ebenfalls über einen W irklichkeits-1) S. J a ffa , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 1.

1903. S. 89.

2) L . W . W e b e r, Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 4.

1904. S. 44 ff.

3) C. M in n e m a n n , Beiträge zur Psychologie der Aussage. 1. Folge. H e ft 4.

1904. S. 60 ff.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 9d

versuch. Unter den wenigen von ihm angeführten falschen Aussagen stimmen sieben teilweise unter sich überein.

Ich lasse nun einen Versuch von W. S t e r n 1) folgen. Während einer Seminarübung t r it t ein Herr L i. ein, wünscht S te rn zu sprechen und übergibt m it wenigen Worten ein Manuskriptpaket, sodann bittet er um die Erlaubnis, die im Seminarzimmer aufgestellte Bibliothek benützen zu dürfen; er entnimmt ein Buch, liest fünf Minuten darin und geht unter Mitnahme des Buches fort. S te rn ersucht ihn, vor der Türe zu warten. Unter den mitgeteilten Aussagen befindet sich eine Anzahl objektiv falscher, aber doch von mehreren Personen gleich abgegebener Antworten. Soweit sich unter den Mitteilungen S te rn s gleichfalsche Aussagen feststellen lassen, seien sie hier auf­

geführt. An dem Versuch beteiligten sich fünfzehn Versuchspersonen.

Es ergaben sich folgende gleichfalsche Aussagen:

11 Versuchspersonen sagen aus, L i. habe gleich nach dem E in tritt um die Erlaubnis zur Benützung der Bibliothek gebeten;

3 mal wird unrichtig eine kurze geflüsterte Unterhaltung er­

wähnt ;

3 Versuchspersonen behaupten, S te rn habe den Brief einge­

steckt ;

7 Versuchspersonen geben an, S te rn sei sitzen geblieben;

7 Versuchspersonen sagten aus, das Buch sei zurückgestellt worden;

2 Versuchspersonen schätzten das A lter des L i. auf 30 Jahre;

3 Versuchspersonen bezeichnen die Haare als schwarz;

2 Versuchspersonen gaben blonde Haarfarbe an;

2 Versuchspersonen gaben an, L i. habe ein blaues,

4 Versuchspersonen gaben an, er habe ein braunes Jackett ge­

tragen ;

4 Versuchspersonen sagten aus, der H u t sei schwarz gewesen;

2 Versuchspersonen gaben an, Li., der in W irklichkeit einen Spitz­

bart trug, hätte einen Schnurrbart getragen;

3 Versuchspersonen wollen einen Vollbart bemerkt haben;

2 Versuchspersonen bezeichneten L i. als bartlos;

5% Aussagen bezeichneten die Stimme als tief. S te r n 2) rechnete eine Aussage als eine halbe, wenn sie ,,vag oder unbestimmt“ war;

L W. S te rn , Beiträge zur Psychologie der Aussage.

1904. S. l f f .

-) W . S te r n , Beiträge zur Psychologie der Aussage.

1904. S. 12.

2. Folge. H e ft 1.

1. Folge. H e ft 3.

Die Gleichförmigkeit d. psych. Geschehens u. d. Zeugenaussagen. 95

2 Versuchspersonen glaubten, L i. habe ein Augenglas getragen,

2 Versuchspersonen glaubten, L i. habe ein Augenglas getragen,

Powiązane dokumenty