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Zu einigen Gedichten von Christiart Morgenstern

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Academic year: 2021

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A C T A U N I V E R S I T A T I S L O D Z I E N S I S ______________FOLIA LINGUISTICA 13. 1986______________

Wolfhard Kluge

(Justus-Liebig-Universität• Gießen) ZU EINIGEN GEDICHTEN VON CHRISTIAN MORGENSTERN

Grammatiktheoretische Anmerkungen und aprachdidaktiache Überlegungen

»

1696 hot der 25jährige Christian Morgenstern in seinen Aufzeichnungen notiert t

"Oft überfällt dich plötzlich eine heftige Verwunderung über ein Wort t Blitzartig erhellt sich dir die völli­ ge Willkür der Sprache, in welcher unsere Welt be - griffen liegt« und somit die Willkür unseres Weltbe - griffes überhaupt"'' .

Hier spricht der philosophische und sensible Denker цтИ schriftsteller und zu einer Zeit, in der viele der eensi •» belsten Geister unter Ihrer "Skepeis gegenüber der Sprache"lit- ten. Zu erinnern,ist hier an den Lord-Chandoa-Brief Hofmanna - thala (1902) 2 und Rilkes t "Ich fürchte mich so vor der Men­ schen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus"

"Oft überfällt dich plötzlich eine heftige Verwunderung über ein Wort ..." Wenn uns das nicht in gleicher Heftig- und Häu­ figkeit passieren sollte wie Morgenstern, Rilke, Hofmannsthal, werden wir doch wenigstens ab und zu von ähnlichen Aufmerken oder Schrecken angeführt ; vor allem aber sind es die Kinder, die une mit ihren Fragen und Deutungen immer wieder an länget vergessene Zeiten des Nachdenkens erinnern ;

"Wes macht der Wind, wenn er nicht weht ?" ist eine solche Kin­ derfrage, mitgeteilt von Hermann Ammann in seinem Buch über "Die menschliche Rede"

Der Erwachsene wird antworten : "Her Wind schlaft" oder t "Er ruht sich axis, damit er wieder wehen kann".

Wir antworten mit Sätzen, und aus Sätzen haben auch das Kind und wir alle den 'Wind* gelernt. So bleiben wir in der Praxis der Sprache, wo die einzelnen Elemente sich wechselseitig kon­ stituieren.

Wir können freilich auch eInhalten t Was hat das Kind wissen wollen ? Hat es nioht eine erkenntnistheoretische Frage

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ge-Stellt ? Die Frage : Was "ist" der Wind ?

Wie sollen wir antworten?'<Vörterblicher lassen uns hier im Stich. Sie verweisen nur auf die Verwandtschaft mit 'wehen' und ge­ ben phraseologisch Gebrauchsbeispiele. Sollen wir es selbst versuchen ? 'Wind' ist die gerichtete und schnelle OrtвVerän­ derung großer Luftmassen ? Oder müßten wir nicht sagen : Als

'Wind* bezeichnet man ..., womit wir schon wieder auf das Sprachliche zurückwiesen, und müßten wir nicht ebenso einfü - gen i Als ’Wind' bezeichnet man die wahrnehmbare gerichtete schnelle Ortsveränderung großer Luftmassen ? ; womit wir die ursprüngliche Abhängigkeit von unserer Erfahrung mit in die De­ finition hineinnähmen ? In der Gondel des Ballonfahrers gibt es keinen Wind !

Wind ist also in erster Linie die sprachliche Bezeichnung für eine vom Menschen wahrgenommene Luftbewegung, wobei Bewegung wieder etwas nur in Relationen zu Erfassendes ist.

Die erkenntnistheoretische Frage kann nur in Bezug auf die Sp­ rache beantwortet werden, was wiederum der Ausgangspunkt lan­ ger sprachkritischer und sprachskeptischer Diskussionen gewor­ den ist. (Ich erinnere an den Kampf der Wort-Realisten gegen die Nominalisten im lateinischen Mittelalter, für Deutschland an Kant und Nietzsche, für Polen - soweit es mir bekannt ist - zumindest an Kazimierz Twardowski und an Mauthner und Wittgen­ stein 5.

Was das philosophische Kind erfaßt hat t daß wir - ganz der Ety­ mologie entsprechend - den Wind nur haben als das Wehen, wir andererseits aber - durch die Sprache angeleitet - mit ihm als einer Größe rechnen. Es handelt sich um das Phänomen der sprachlichen Hypostasierung Als Problem kann es nicht nur das philosophische Kind, sondern alle von der Religionswissen­ schaft bis zur Ethnologie und auch die Naturwissenschaften be­ schäftigen. Sprachskoptische Philosophen werden gezwungen, von der systematischen Irreführung durch die Sprache zu reden ^ , und nur mit einer Gebärde, die man eine pragmatische Sanktion nennen könnte, kann dieses Problem als für die Kommunikation belanglos beiseite geschoben werden - nämlich in der Weise Wittgensteins :

"Ist es nicht gleichgültig, welohes wir sagen ? Wenn wir nur Q

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Als Grammatiker brauchten wir, was den Philosophen ein Probien und den Sprachskeptikern ein Ärgernis ist, nur zu konsta­ tieren :

Unsere Sprachen des indogermanischen Typs kennen "keine Wörter an sich. Jedes Wort gehört zu einer bestimmten Wortart. Und "mit jeder Wortart verbindet sich", wie es H.Brinkmann formu­ liert hat und was immer wieder zum Diskussionspunkt wird,"Zwei­ erlei i 1. eine eigentümliche Auffassung der Welt 5 2. eine eigentümliche Formenwelt, die sich in der menschlichen Rede entfaltet" 1

Gedacht ist dabei - die Dienstwörter übergehend - an die"höhe- ren Wortarten" s Substantiv, Adjektiv und Verbum, die relativ

Q "unabhängig vom Satz die ’.Veit auf eigene tfeise" "fassen" .

Rein grammatisch sind sie zu beschreiben als Lexeme, die je­ weils bestimmte Morpheme annehmend, eine kategoriale Prägung erhalten, die sie für bestimmte Aufgaben in Sätzen qualifizie­ ren.

Die Grammatik braucht daher nicht die 'irreführenden' Begriffe dt. "Dingwort" oder dt. "Tätigkeitswort" und damit semanti­ sche Kriterien zur Grundlage der Wortartenteilung zu machen, sondern kann sich ( - Brinkmanns Punkt 2 -) "ausschließlich auf innersprachlich-grammatische (morphologische und/oder syntak­ tische) Kriterien stützen" 10.

Mit diesen grammatischen Prägungen und den daraus folgenden

Distributionsverhältnissen befaßt sich auch die Schulgrammatik.

Aber - und das mein didaktischer Kommentar - sie sollte sich nicht darauf beschränken. Sonst werden bald die philosophi­ schen Fragen verstummen, Kinder (und die so erzogenen Erwach­ senen) ihr Recht auf Fragen nicht mehr wahroehmen, die Antwor­ ten unartikuliert und die Einsichten unerfahren bleiben. Ein wichtiger Schritt zur Mündigkeit würde dann nicht gegangen wer­

den. Ich komme darauf zurück.

Was wir in der Grammatik die "kategoriale Formgebung" nennen können, ist - wie Fr. îâauther es genannt hat - verantwortlich für eine durchgängige Hypostasierung s die drei Wortarten ver­ mitteln uns nach Mauther "Drei Bilder der Welt" .

"Die Herstellung", sagt er (I2298), "einer objektiven Welt .im Verstände" 1 2 sei "nur eine Deutung der subjektiven

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Empfin-dungsweit". "Natürlich", d.h. unseren Sinnen entsprechend,kön»- ten nur "adjektivisch zu bezeichnende Empfindungen" sein. Sub­ stantive aber und Verben entsprächen "der menschlichen Ver­ nunft", seien also eben nicht "natürlich", sondern " mensch - lieh", und wenn wir sagen "Die Sonne scheint", dann gehöre dieser dauernde Vorgang doch zu den Erscheinungen, die uns"als Eigenschaften", ich wiederhole $ "als Eigenschaften der Wirk­ lichkeitswelt in die Sinne kommen".

Und Mauther folgert, daß unser Verbum historisch "als ein den menschlichen Denkgewohnheiten angepaßtes Eigenschaftswort" zu betrachten sei.

Man kann nun diese Versprachlichung als den Anfang einer kollektiven gegenseitigen Täuschung entlarven und kritisie­ ren. Im Extremfall kann das zum Haß gegen die Sprache führen. Man kann aber auch die Arbeit der Formgebung durch die Spra­ che als die große Leistung der Menschheit bewundern, die uns "die Welt in Eigentum des Geistes umschafft" (so das bekannte Humboldt-Wort).

Die eingangs genannten Dichter,alle direkt oder indirekt durch Nietzsche und Mauthner beunruhigt, haben ihre Verunsicherung durch die Sprache artikuliert und die Sprache als ein Gefäng — nis empfungen - aber sie haben weitergedichtet. Sonst wäre ihnen nur Todessehnsucht und Schweigen geblieben.

Christian Morgenstern hat in dieser Situation mit einer Spiel- Art der Poesie reagiert, den Galgenliedem

Unter der Überschrift "Galgenberg" (IN ME IPSUM, Stufen S. 38) notiert er u.a. "Der Hauch über den Dingen ist das Beste", was er als Übersetzung ausgibt für den pathetischen Wahlspruch per aspera ad astra, und "Humor ist die äußerste Freiheit des Geistes".

In diesem Sinne sind seine Galgenlieder zu verstehen,von denen wir als erste s betrachten wollen s

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DER LATTENZAUN

Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da

-und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm, mit Latten ohne was herum.

Ein Anblick gräßlich und gemein. Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh hach Afri-odAmeriko.

Auf die sehr ernste Frage: "Was macht der Wind, wenn er nicht weht ?" folgt nun die Frage des Humors, ob mit dem Zwischen - raum, statt nur hindurchzuschaun, nicht auch noch etwas Ge­ scheiteres anzufangen sei. Und so wird ein im Bild des Sub­ stantivs, des "Dingworts", gefaßter Zwischenraum zu etwas nicht nur fest Umgrenzten, sondern zu einem Festkörper, aus dem der Vertreter des Neuen und Fortschrittlichen, der Archi­ tekt, ein großes Haus errichtet. Nur der Lattenzaun muß es büßen. Der Architekt jedoch wird mit einem sprachlichen Scherz und das bestätigt die Sprach!ichkeit des Themas, aus dieser Welt entlassen.

NB : Die Stelle des ehemaligen Zwischenraums (mit "Stelle" nun auch von mir wieder substantivisch gefaßt) wird bei Morgen­ stern folgerichtig mit einer Proform und mit Relationsparti- kein bezeichnet : ohne was herum .

DIE NÜHE

Die Nähe iet wiederum ein solch sprachkritisches Exempel : Der Relationswert 'nahe bei', zum substanzhaften 'die Nähe* hypo- stasiert, wird nun als Person erlebt - voller Sympathie ;

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DIE NÄHE

Die Nähe ging verträumt umher ... Sie каш nie zu den Dingen selber. Ihr Antlitz wurdo gelb und gelber, und ihren Leib ergriff die Zehr.

Doch eines Nachts, derweil sie schlief, da trat wer an ihr Bette hin

und sprach t 'Steh auf, mein'Kind, ich bin ! der kategorische Komperativ !

Ich werde dich zum Näher steigern, Ja, wenn du willst, zur Näherin t' Die Nähe, ohne eich zu weigern, sie nahm auch dies als Schicksal hin. Als Näherin Jedoch vergaß

sie leider völlig, was sie wollte, und nähte Putz und hieß Prau Nolte und hielt all Obiges für Spaß.

Die Heilung soll aus der Sprache kommen. Das semantisch be­ dingte Leiden wird diagnostiziert und soll entsprechend durch eine sprachliche Operation gelindert werden t durch Transfor­ mation -in den Komperativ.

Hier könnte freilich eine sprachliche Schizothymie drohen , da •näher* sich als Eelationsbegriff nicht substantivisch erleben läßt, die Nähe ihr Persongefühl verlieren könnte.

Was der selbsternannte Arzt, kein Dr. med., sondern Dr. ling. et phil., sehr wohl sieht. Er nimmt die morphologische Gleich­ heit als hinreichende Qualifikation, nun wieder substantivisch

einen Näher zu konstituieren und korrigiert den auftretenden kleinen Unterschied durch eine letzte Transformation, um der Nähe *hT Geschlecht nicht zu nehmen.

Der Heiler scheint als Arzt jedoch ein Scharlatan gewesen zu sein, indem er Diagnose und Therapie nach Oberflächensymptomen ausrichtete. Die Nahe, nun Näherin, hat schließlich dooh ihr* Identität verloren - die Sprache trägt also nicht -, und

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wirft-__________Zu einigen Gedichten von Ch. Morgenstern________ 83 lieh heilend ist nur Morgensterns Humor i

"und hielt all Obiges für Spaß". Nahe ans Tragische führt uns der nächste Text «

DER «ER'.YOLF

Ein Werwolf eines Nachts entwich von Weib und Kind und sich begab an eines Dorfschullehrers Grab und bat ihn г "Bitte, beuge mich !" Der Dorfschulmeister stieg hinauf auf seines Blechschilds Messingknauf und sprach zum Wolf, der seine Pfoten geduldig kreuzte vor dem Toten s "Der Werwolf", sprach der gute Mann, "des '.Veswolfs, Genitiv sodann, dem Wemwolf, Dativ, wie mans nennt, den Wenwolf, - damit hats ein End". Dem Werwolf schmeichelten die Fälle, er rollte seine Augenbälle.

"Indessen", bat er, "füge doch

zur Einzahl auch die Mehrzahl noch !"• Der Dorfschulmeister aber mußte gestehn, daß er von ihr nichts wußte. Zwar Wölfe gäbe in großer Schar, doch "Wer" gäbs nur im Singular. Der Wolf erhob sich tränenblind - er hatte ja doch Weib und Kind ! Doch da er kein Gelehrter eben, so schied er dankend und ergeben.

Interessant für den Sprachdidaktiker » daß hiér ein Dorfschul­ meister zum Verweser der Grammatik gemacht wird. Und ganz ge­ wiß hat der Schulmeister, haben die Schulmeister ein gehöriges Stück ihrer Autorität aus ihrer Verwaltung der Disziplin

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Grammatik gezogen. Und ihren Schülern eine bleibende Autori- tätsgläubigkeit anerzogen

Gut getan hätte es dem Rat-Suchenden und gut angestanden dem Schulmeister, wenn er dem armen Werwolf etwas hätte sagen kön­ nen über die strukturelle Besonderheit, daß es die Leerstellen setztenden Pro-Formen wer/wo/wie/wann usw. nur in einer Ge­ stalt, nur als e i n Morphem gebe und das auch ganz plausi­ bel sei.

Ihm hätte aber aufgehen müssen, was unser Werwolf eben auch gespürt hat, daß die wer-Formen in ihrem Morphembeetand doch eine kategoriale Prägung besitzen, die keineswegs so neutral ist, wie es scheint. "Neutral" oder rein grammatisch könnte man noch die Deklinationestufen nennen, die der Rektion fol­ gen ! wer/wes/wem/wen, und daß der Numerus nicht relevant wird, es also keine Singular-Plural-OppositIon gibt. Aber gar nicht mehr so neutral ist es, daß wir neben ’wer' noch ein 'was' ha­ ben, aber nur ein 'was'.

Ich nehme an, daß die Frage des Wer-Wolfs auch darauf ging ; auch wenn das nicht zusätzlich artikuliert 1st. Nicht nur daß der Plural fehlt, der den Werwolfs entsprechen könnte.Sondern: Er hatte ja doch Weib und Kind. Das Werwolf - Kind hätte der Herr Schulmeister wohl noch als Was-Wolf bezeichnen können ; er würde aber scheitern, eollte er auch das Weib benennen. Der Philosophischere ist unser Werwolf. Der Schulmeister be­ gnügte sich mit der Konstatierung. Er bleibt ganz im Horizont der Sprache.- und merkt es nicht und hat es nie gemerkt.

Was aber seine Aufgabe gewesen wäre : wenigstens gelegentlich über den Horizont hinauszublicken, selber und zusammen mit seinen Schülern. Denn die Kinder stellen schon die Fragen ! Es geht um das Wahrnehmen, das bei Gelegenheit geschieht, und um das gelegentliche Raisonnieren, Nachdenken, Extrapolieren. Wird der Fragende abgespeist, werden die Fragen verstummen, wird aus v/ahraehmen Nicht—mehr—Wahrnehmen»

Nach dem Blick über den Horizont aber sieht man auch Altge­ wohntes zuhause wieder neu — und vielleicht anders.

Eine versäumte Grammatiklektion war es in früherer Zeit,nichts über die Frage nach Weib und Kind raisonniert zu haben. Nun aber haben die Ausgesparten, an der Schule vorbei, die Dis

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-kussion aufgenommen, nachgeholt.

Ich spreche von einem "heißen" Thema augenblicklicher Sprach- kritik : der Aufdeckung der am Bild der Männerwelt orientier­ ten sprachlichen Strukturen. Denn auch hier haben wir Hyposta­ sierungen, die unser Denken bestimmen, unsere Sehwëise. • und unser Wissen festlegen.

Ich rede nicht von so kleinlichen Disputen wie denen um das gremmatische Geschlecht einzelner Wörter wie 'der Mut' , aber ♦die Feigheit', denen man, denen Frau ja mit Charme und Leich­ tigkeit entgegensetzen kann, ja, ja 'der Mut' und 'der Schiß', aber 'die Tapferkeit*.

Nein, es geht um mehr und um Subtileres.

Senta Trömel-Plötz hat auf etwas aufmerksam gemacht, was wir viel weniger wahrnebmen und das doch wie ein Mechanismus wirkt und unser Sprechen (und Handeln ?) bestimmt : Die Begel der männlichen Interpretation. Sie lautet i Alles ist so lange män­ nlich, bis etwas anderes bewiesen ist. Mit unserem Werwolf-Bei­ spiel könnte ich formulieren t

Wer sich hier benachteiligt ‘fühlt, der muH eine Frau sein.

Trömel-Plötz verweist neben vielen anderen Beispielen auf die sog. neutralen Ausdrücke, die im Plural stehen und selbstver - stendlich Frauen mit einschließen. Dennoch kann sie sehr v e r ­ d ä c h t i g e Formulierungen anführen. An der Kasse eines Sport­ platzes : "Erwachsene 5 DU. Frauen und Kinder frei". Aus der Klage eines Pfarrers : "Immer mehr Leute treten aus der Kirche aus und lassen ihre Frauen und Kinder drin" ^ .

Hier sind wir wieder bei des Werwolfs Weib und Kind.

Trömel-Plötz meint hoffnungsvoll feststellen zu können, es sei schon etwas erreicht. Dank der Aktionen und Argumentationen der sprachaufmerksamen Frauen werde das Deutsch plötzlich wahrge­ nommen als eine männlich oeientierte Sprache, in der Frauen nicht Vorkommen. Und dieser Zustand werde geändert. Ich zitie­ re j. "Zuerst von den Frauen", sagt sie, "dann von den starken Männern, und wir können hoffen" - noch immer Trömel-Plötz - "daß die Mehrheit der Männer folgen wird".

Der Sprachkaurpf der feministischen Frauen deckt auf,wie Sprach­ gebrauch ganz konkrete gesellschaftliche Folgen haben kann.

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Bei Sprachkritik (in der Form praktizierter Sprachaufmerksam- keit), für die ich hier als Sprachdidektiker plädiere, geht es also nicht nur um Philosophisches, sondern sehr wohl auch um Politisches.

Schüler sollen nicht nur Grammatik lernen.Grammatik als For­ men- und Satzlehre. Sie sollen auch sehen und immer wieder auf­ decken, daß Sprache Wirklichkeiten schafft. Und damit umgehen. Distanziert und kritisch, um den anderen nicht so schnell auf den sprachlichen Leim zu gehen oder dem Flötenspiel des sprachlichen Rattenfängers zu folgen.

Die Sätze von Trömel-Plötz waren zitiert aus ihrem Vortrag bei den Frankfurter Römerberg-Gesprächen 19S4 zum Thema "Sprache und Macht". In eben dieser Veranstaltung hat Bruno Liebrucks formuliert t "Die meisten Politiker lügen - mit der Wahrheit, das heißt î mit der Zusammenstellung von Tatsachen,die uns da­ zu bringen sollen, die von ihnen, den Politikern, gewünschten Schlüsse zu ziehen, und zwar so, daß wir uns einbildon.daß wir die selbständig vollziehen". Eine Bemerkung, der man nichts entgegensetzen, die man nur wiederholen kann. Und dennoch wollen wir das so pointiert nicht stehen lassen.

Neben dem Verführen durch politisches Reden gibt es ja auch das verantwortliche Führen, das Entwerfen von Programmen und Konzeptionen. Beides geschieht durch Umdeutung, Neufüllung be­

kannter Wörter und oft auch ganz neue Wörter,so daß kaum merk-17

licher Sprachwandel eintritt •

Und natürlich sind an dem Prozeß nicht nur die Politiker be­ teiligt, sondern alle, deren Wirken öffentlich wird : die Phi­ losophen und die Kritiker, die Lehrer und die Theologen, die Journalisten und die Werbefachleute, die Schriftsteller und die Redner und, wie gesagt, die Politiker, aber auch die "Ba­ sis" jeder Art, also auch die jeweilige Jugend.

Wie also Politiker "lügen" können, ich würde sagen s "etwas in die Vielt setzen können", Politiker und Nachbarn und die sog. guten Freunde, Dichter, Rattenfänger und geietige Führer, das zeigt - mit Morgensternchem Humor - der letzte von . unseren Texten :

(11)

DAS HASOBEU

Auf seinen Nasen schreitet einher das Nasobem

von seinem Kind begleitet. Es steht noch nicht ia Brehm. Es steht noch nicht im Meyer. Ond auch im Brockhaus nicht. Es trat aus meiner Leyer

P'

sum ersten Mal ans Licht. Auf seinen Nasen schreitet (wie schon gesagt) seitdem, von seinem Kind begleitet, einher das Nasobem,

Ich verwende diesen Text gelegentlich in meinen Seminaren. Wir selten daran, wie etwas "in die Welt gesetzt" werden kann, das dann nicht mehr so leicht wegzudenken ist. Schon die alten Rö­ mer sagen dazu i semper quid haaret.

Sehen Sie j Auch wir sind nun eine Gesellschaft, eine Sprachge­ meinschaft, die das Nasobem kennt. Für die es das Nasobem"gibt"

Oder ?

loh komme zum Schluß : So wie ich es hier dargestellt habe und mir vorstelle, sollte Sprachkritik die Uuse der ars grammatica und auch der Schulgrammatik sein.

Sie soll, wie Uauthner es einmal von seiner Arbeit sagte, fra- gen lehren «

(12)

Anmerkungen

1. Morgenstern,Christian: Stufen. Eine Entwicklung in Aphoris­ men und Tagebuch-Notizen, München 1946 = Sämtliche Dich­ tungen II, Bd. 15, Basel 1977, S. 112 (Ich zitiere nach dieser Ausgabe.)f

2. Erschienen ata 18. u. 19. Okt. 1902 in der Berliner Zeitung "Der Tag".

3. Sämtliche Werke, Frankfurt (Insel), 1926, Bd. 1, S. 194 4. Darmstadt (Wies. Buchges.) 1962. Erstmals Lahr l.B. 1925 u.

1928

5. Stichwort "Nominalismus" in: Mauthner, Fritz:Wörterbuch der Philosophie, München u. Leipzig 1910

Twardowski,K.: 0 tzw. prawach względnych, ln: Księga pamiąt­ kowa Uniwersytetu Lwowskiego, Lwów 1900. dt. Über die soge­ nannten relativen Wahrheiten. Archiv für systematische Phi­ losophie. Berlin 1902

6. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 384 :

"Ich behaupte nun : daß alle Schwierigkeiten, die man bei diesen Fragen vorzufinden glaubet, und mit denen, als dog - matischen Einwürfen, man sich das Ansehen einer tieferen Einsicht ln die Katar der Dinge, als der gemeine Verstand wohl haben kann, zu geben sucht, auf einem bloßen Blendwer­ ke beruhen, nach welchem man das, was bloß in Gedanken exi­ stiert, hypostasiert, und ln eben derselben Qualität, als einen wirklichen Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjek­ te annimmt, nämlich Ausdehnung, die nichts als Erscheinung ist".

ähnlich Nietzsche : "Aber das 'Ding' an das wir glauben,ist nur als Unterlage zu verschiedenen Prädikaten hinzuerfunden" Werke, ed. Schlechte, III S. 500

7. Dazu: Gustafsson, Lars : Sprak och lögn, Stockholm 1979,Dt. Sprache und Lüge, München o.J. (1980) Kap. 2.4: Die Sprache als systematisch irreführendes Zeichensystem.

8. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, § 48 9. Brinkmann,Hennig : Die Wortarten im Deutschen.Int Wirkendes

Wort I, 1950/5 1, S. 65, = Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik, hrsg. von H.Moser, Darmstadt 1982, S. 101

10. Helbig,Gerhard, S. 94, in: G.Helblg (Hrsg.) t Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten, Leipzig 1977

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11. Mauthner,Fritz : Die Drei Bilder dor '.Veit. Ein Sprachkri - tischer Versuch. Aus dem Nachlali hrsg. von Monty Jacobs, Erlangen 1925

Dieser Titel war mir leider nicht zugänglich. Die Rede von den "Drei Bildern der Welt" findet sich aufgenommen bei L. Weisgerber, Von den Kräften der deutschen Sprache 11,2,2 : Vom Weltbild der deutschen Sprache, Düsseldorf 1954,S.128 ff.

12. Mauthner,Fritz : Beiträge zu einer Kritik der Sprache,3 Bd Leipzig 1901-1902. Zitiert wird hier nach der 2. Auflage,

1906

.

Walter,Jürgen : Sprache und Spiel in Christian Morgensterns Galgenliedern, Freiburg/München 1966. (Dort S.12/13 weite­ re Literatur)

Die Galgenlieder erschienen erstmals 1905.

Mit den Sammlungen "Palmström", "Palma Kunkel" und "Gin - ganz" und um einige Gedichte aus dem Nachlaß erweitert seit 1933 und 1938 von Margerita Morgenstern als "Alle Galgenlieder" zusammengefaßt.

Alle Galgenlieder, Wiesbaden (Insel) 1947 (dort S. 59, 79, 90 eus den "Galgenliedem" die Gedichte "Der Lattenzaun" , "Das Nasobem" und ''Der Werwolf" und S. 203 aus ’Talma Kun­ kel" : "Die Nähe".

14. Wie sehr Zwischenraum von der Begrenzung konstituiert wird, zeigt das Lateinische : inter - vallum !

15. Dazu i W.Kluge : Lehrziel Sprachaufmerksemkeit, in: Braun/ Krallmann (Hrsg.) : Handbuch Deutschunterricht, Band 1 , Düsseldorf 1983, S. 33 ff

S. 42: "Grammatik-Unterricht der herkömmlichen Art mit sei­ nem Aufzeigen und Wiederholen und Abfragen von Formen, die einerseits für den Sprachgebrauch obligatorisch, anderer­ seits aber für den muttersprachlichen Angehörigen dieser Sprache weder fraglich noch schwierig sind, hat immer ein gefährliches Gefälle hin zur Festlegung und Bevormundung ,

zur Dressur und zur Unfreiheit".

16. Nach einer vom Hessischen Rundfunk am 5*7.84 in der Reihe "Die Tribüne" gesendeten Zusammenfassung der 11. Römer - berggespräche in Frankfurt/Main zum Thema "Sprache und Macht - Macht der Sprache".

(14)

17. Dazu : W.Klugei Wortbeetand und Wortbildung : Neue Wörter.- In: Praxis Deutsch, H. 38, S. 46 ff, besondere : S.50, Ziff. 3 » "Sprachkritik".

18. Kritik der Sprache, I2 620

Wolfhard Kluge

00 ROBI WIATR, GDY NIE WIEJE... Lingwistyczne i dydaktyczpe uwagi o językowym artykułowaniu rzeczywistości

Artykuł poświęcony jest znanej skądinąd tezie, że . Język jest nie tylko narzędziem porozumiewania się.o otaczającej nas rzeczywistości, lecz że tworzy również własną "rzeczywistość Ję­ zykową", wszak nazwa jakiegoś zjawiska - tj. jej Językowy obraz - może budzić skojarzenia z nazwą innego, obiektywnie zupełnie odmiennego zjawiska. Autor ilustruje to na przykładzie wybra­ nych wierszy Ch. Morgensterna, które - acz w sposób przejaskra­ wiony - doskonale pokazują autotematyzm Językowy.

Fakt, że językowy obraz rzeczywistości ma w znacznej mierze charakter kreatywny,-niesie z sobą niebezpieczeństwo manipulaoji szczególnie widocznej w języku polityki. У tym kontekście autor formułuje kilka ogólniejszych uwag dotyczących krytyki Języko - wej.

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