• Nie Znaleziono Wyników

Die Zukunft, 5. September, Bd. 44.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Die Zukunft, 5. September, Bd. 44."

Copied!
40
0
0

Pełen tekst

(1)

««.,««.:«,f:i--.s,.. .Q»

chv)’-«««

q,« rs

. m

«--

v

,A

ALTMAng« -.«t-, JIX

Berlin, den 5. September i905.

fj sss A

Witte.

z)orzehnJahren,in grauerHerbstdämmerstunde,zeigteHerrSergej JulitschWitte mir die BilderseinerVorgänger.JndemmitOrange- farbeangestrichenenRiefensteinkasten,deraneinem dünnenWasserärmchen dieVerwaltungderFinanzen,desHandelsundderIndustrie herbergt, hingen in einemBorsaal elfMännerportraits. ,,RußlandsFinanzministerz elfinfast hundert Jahren: eigentlichists nichtviel.« Er nannte die Namen

einzelne,Reutern, Abasa, Bunge,kannteich undstandeinWeilchen stummvordemgelben,faltigenSpekulantenkoprwansWyshnegradsthdes Letztenin derReiheder»HohenExcellenzen«.Dann wiessein Finger auf denweißenFleckander Wand. »EinPlatz istnochfrei. Inein paarMonaten, vielleichtauch erstineinpaar Jahren—werweiß?—werdeichdaalsZwölfter hängen«. Jetztwird dasBildbestelltwerden. Serow, dessenfeinfarbiges Damenportraitin derBerliner SezessiondenKennern gefiel,würde Wittegut malen ; denwägendenBlick,dieechtrussischgestülpteNase,dielangen, schmalen Hände,die beredtersindalsAugeundZungedesinstrengerSelbstzuchtge- kühltenMannes.Zethahre undeinhalbes hat derZwölstesichgehalten.Jetzt istSergejJulitschnichtmehr Finanzminister.ErsollnochdenHandelsvertrag mitDeutschlandabschließen,istaberschonamvorletztenAugusttagentamtet undzum PräsidentendesMinisterkomiteesernannt worden. ZumMinister- präsidenten,lasmanineinzelnenZeitungenundvernahm, solcheBeförderung seieinBeweishöchsterGunst.DasisteinEuropäerirrthum.EinenMinister- präsidentengiebtesinRußland nicht,kann es inkeinem selbstherrischregir- tenStaat geben.Titelund VollmachteinesMinisterswaren imZarenreich

28

(2)

876 DieZunme

bis 1802 überhauptunbekannt. Peter »derGroße«hatte für seinenachwest- lichemMustergebauteStaatsmaschinenureinGestängezurTransmissiondes kaiserlichenWillens gebraucht;derSenat undein paarKollegienmußtendie motorischeKraft des Alleinherrschersaufdie Räder undRädchenderReichs- verwaltung übertragen. Erst Alexander Pawlowitsch, Laharpes leichtbe-

stimmbarer Schüler,den die Krüdenerzumystischem,dieNarishkinzu eroti- schemSpiellockenkonnte, entschloßsich,unter derEinwirkung Speran- skijsundKotschubeijs,dieseMaschinezumodernisiren.Napoleon,denAlex- andersirrlichtelirenderSinn wie einenGottanstaunte, hatteeinen Staats- rathundMinister:einso großesVorbild mußteNacheiferungwecken. Der Reichsrath(Gossudarstvenij sovet)wurdegeschaffen;ersolltedenSenat ersetzen,dermählichzumReichsgerichtwurde,dasBudgetprüfen,dasRech- nungwesenüberwachen,dieneuen Gesetzeredigiren, ungefähralsodie Arbeit leisten,die inunserer KulturzonedenParlamentenzufällt.Dasging nicht.

Erstens istimReichsrathdasVolknichtvertreten undnebenHofschranzen undmüdenGreisensitzenStreber,die gern wieder ins Amtmöchtenundsich deshalb mitallenerdenklichenKünstenbei denMachthabern einzuschmeicheln suchen.UndzweitenshatdieserReichsrathnureineberathendeStimme undnicht einmal,wieunserarmes Parlament, dasRecht, Vorlagender Regirung abzulehnen; nichtBeschlüsseseinerMehrheit,sondernalle imLaus derBerathung geäußertenMeinungenwerden demZaren vorgetragen- NichtvielstärkeristdieStellungderMinister,denenein UkasvomJahr1802 dieArbeitderKollegialbehördenPeters übertrug.Damals schriebGrasWo- rontsowwarnend anKotschubeij,dieneue Institutionkönnesichnicht be-’

währen;dennjeder Ministerwerdeeinunbeaussichtigter,unbeschränkterAuto- kratsein.Ganz so schlimmists nicht geworden. AuchdieMinister sindnur willenlose WerkzeugeinVäterchenseisernerHand;derUebereiferbureau- kratischer Vormundschast läßtaberdenVortheil strafferer Centralisation kaumnochzurGeltungkommen.Den Neuerern erstand früheinmächtiger Gegner. Karamsin,der 1803 zumHoshistoriographenernannt wordenwar, warnte in einerDenkschrist,dieals Panslavistenbibel fortlebt: jedeEin- schränkungderSelbstherrlichkeitundalleVerfassungsiktionenmüßteneinem

’VolkvonAnalphabeten unverständlichbleiben;esseiunklug, künstlichBe- dürfnissezuwecken,dieungestörtnochJahrhundertelangschlummernkönn- ten;und dieStaatsraison heischeschleunigeRückkehrzur nationalen Ueber- lieserung. Vonaparte hatte sichalsungetreuenFreunderwiesenundAlex- andersStimmungwardemSlovenevangelium günstig.Speranskijwurde

(3)

Witte. 377

nach Perm verbannt,die dünneEuropäertüncheabgekratzt,dieFensteraus- sichtgenWestenvermauert. Solche Wandlungen haben sichnachdemTode Nikolais desErsten und AlexandersdesZweiten wiederholt.DerReichs- rathund dieMinister sindabergeblieben. UnschädlicherModeputz. Russland hatMinister;einMinisteriumkanneseinstweilennicht haben.Das komitet ministr0w, dessenNamedenEuropäerirrthumerzeugt, istnurein engerer Staatsrath. Jn diesemKomiteesitzennebendenMinistcrndieSektion- chefsderkaiserlichenKanzlei,dieHäupterdesReichsrathessderProkurator desHeiligenSynod,WürdenträgerallerArt,sogarderDirektordesReichs- hauptgestütes.Mitsolcherschwerfälligen,uneinheitlichenund unverantwort- lichenGesellschaftist nichtszumachen.AlexanderderZweitestellteWalujew, denbegabtcnGegnerderSlavophilen, AlexanderderDrittedenfrüherentüch- tigenFinanzministerReuternandieSpitze:vergebens; dasMinisterkomitee blieb einReichsornament ohneBedeutungund diePräsidentschafteineSinc- kurefüreinenGünstlingoderverbrauchtenMinister,dem derZar,alsLohn fürtreueDienste,einefette Pfründe gewährenwill.Auch Wyihnegradskijs

«VorgängerBungewarPräsidentdesMinisterkomitees;undihn lösteDur- nowo ab, dersichalsMinister deannern unmöglichgemachthatte. Dieser Thatsachen mußteman sicherinnern,als dieKunde kam, SergejJulitsch WitteseizumMitgliededesReichsrathesernannt und zurLeitungdesMi- nisterkomiteesberufenworden. RußlandszwölfterFinanzminister,der kiihnste,modernsteundstärkstederReihe, ist politischbisaufWeiteres tot;

undseinBild kannfürdieLeichenhallederHohenExcellenzengemaltwerdenJ BisaufWeiteres. .. Erist,mitallfeinen SchwächenundWesens- sprüngen,einschöpferischerGeist;undderaufSpiritistenweisheiischwörende Monomachos,derihn,mitderRücksichtlosigkeitdesreichen Erben,aus fruchtbarerArbeitriß,ähneltinmanchemZugdemliebenswürdigschwäch- lichen Alexander,derseinenSpcranskijbaldaus derVerbannung zurück- holte.Witte kann einesTages eristerst fünfundfünzigJahrealt undhat Zeit wiedermächtigwerden;demneuen RangaberwirderdieMacht nichtverdanken.FüreinenRichelieuoderBismarck,einenPeeloderCavour istinRußlandkein Raum.Dashat schonLeroy-Beaulieugesagtundandas WorteinesrussischenJournalistenerinnert:»UnserPremierministerkönnte nureinGroßoeziersein-«Ungefährso haben ja auch GortschakowundLo- risMelikowihrAmtaufgefaßt.MitnochgeringeremRechtalsinPreußen (woderMinisterpräsidentdenRessortchefsnichtdreinreden darf)kannman inRußlandvoneinemhomogenenMinisteriumsprechen.JederMinister

28’

(4)

378 DieZukunft.

arbeitetfür sich,suchtbeimJmmediatvortrag seineSonderwünschedurchzu- setzenunderfährtvondenPlänen derKollegen gewöhnlicherst,wenn siege- lungenodergescheitertsind. Fastimmer arbeiten dieRessorts, meist auchnoch diepolitischenPersönlichkeitengegen einander. Nicht seltenkommtszuoffe- nemKrieg,wie 1881 unterAlexanderdemDritten,wodasmilde Trium- viratLorisMelikow-Milutin-Abasa vonPobedonoszewundJgnatiew, denen derGroßfürstWladimir undKatkowhalfen,überrannt wurde. Jn stillerenZeitenbleibts beimMinenkrieg. Der Zar hört heutedeneinen, morgenden anderen Ministerundmüßte,wieBonaparte,dreiAtlanten im Kon haben,umstets voraussehenzukönnen,welcheWirkungdieMaßregel, dererzustimmt, aufdieverschiedenenZweigederLandesverwaltungüben wird. EinWille soll herrschen,einerallein;·dochdieEinheit diesesWillens, dertäglichvonheterogenenWünschenumbuhltundumschmeicheltwird, ist gelähmt,dieRäderderStaatsmaschine laufen sichheißunddieewigeRei- bung,aus derwarmes Lebenentstehensollte,gebiertschließlichnureinkraft- losschwülesChaos.DasistdieunvermeidlicheFolge jedes Absolutismus;

undNikolaiAlexandrowitschhatfeierlichgelobt,dieAutokratie unangetastet- zubewahren.EinrussischerMinister mußvorjederLaune desHerrn,vor jedemEinfall desflinkerenKollegenzitternunddarf nichteinmalseineEnt- lassung erbitten;denndie ErbendesGroßkhanatesderGoldenen Horde denkenheute noch,wie weilandderBeyvonTunis,ein Sklavesei nichtbe- fugt,vondemPostenzuweichen,ausden desHerrnGnadeihn rief.Und gegendieseZuständesolldaszurOhnmachterschaffeneMinisterkomiteemit

seinemRathgeberstimmchenaufkommen? Unmöglich;selbstdieleuchtende GeniekraftdesstärkstenStaatsmannes würde danutzlos verglimmen.

DarübertäuschtsichWittegewißnicht-.Erhatzulangeunter diesen Verhältnissengelitten; auchin denTagen,dader Neidihn allmächtighieß.

DerMann,derPhysikundMathematik studirt,überEisenbahntarifeund überFriedrich List Brochuren veröffentlichthatteundmitneununddreißig Jahren schonMinisterialdirektor gewordenwar, wurdeimmer innigge- haßt.EinDeutscher,dersichals Slaven vermummt (derMinister,deraus Tiflis stammt, sagtemir,erkönnemit einigerMühezwarunsereZeitungen entziffern,aberkeinendeutschenSatz sprechen,undseineBokalezeugten für dieWahrheit dieserAngabe).EinAbenteurer,einRoturier,denschonseine Mesalliance unmöglichmachensollteund der ganz in denHändendesjudi- schenBankdirektors Rothstein ist.EinGrobian,der Männernvom Range Wanowskcjs,Jermolows,Abasasüber den Mund fährtundmit demBunge

(5)

Witte. 379

nichtszuthun habenwill. Soredetemanin Petersburg schon1893 inver- riegeltenStrebenüberihn.Underwaffnete noch gefährlichereFeindewider sich.SeinUkas gegen dieBaissespekulationin Rubelnoten trafdierussischen Bankiersempfindlichundärgerteauchin BerlinmanchengroßenArbitrageur.

Seine ReorganifationderReichsbank hinderte zahllose Wuchergeschäfte, zu denenGeldzwischenhändlerdenStaatskredit benutzt hatten.Wennim MinisterkomiteeeinVorschlag umständlichbeschmutztwurde, sagteerruhig:

»Wozu?Ich weißja,wiederKaiserdarüberdenkt.« Erwußteeswirklich.

DiezäheEnergieundder praktischeBlick desMinisters gefielenAlexander demStillen under hielt ihmdieTreue, trotzallemGewühlundGezetteL Späterzog Witte sich nochdenHaßderArmeehäupterzu, die inihmden AnftifterderFriedensaktion sahen. Nicht ohneGrund. SergejJulitfch hattealsBeamter derSüdwestbahnunterJohann Bloch gedient,derihn schondamals fürdenGedanken desWeltschiedsgerichteserwärmt haben mag.Jedenfalls hatWirtedemjungenHerrnNikolai dasBuch Blochs über dieKriege derZukunft gebrachtund alsFinanzminifterinjederBud- getdenkfchriftbetont,daßdemhungerndenVolknichtzuhelfenfei, so langedie Kostenlaftfürdas-HeerinsUnerträglichewachse.DaswareinneuerTon. Bis- herhattederGlaubegeherrscht,derAnspruchderArmeemüsseallenanderenvor- gehenundfürsMilitärhabe selbstderUnterthanpflichtgemäßzuschwärmen, der,wieinCustines TagenderGroßfürstKonstantin,denKrieg verabscheut,

»weilerdieMannszuchtunddieWaffenröckeruinirt«... AnGegnern fehlte esdemFinanzminister also nie;abererwurdemitihnenebenso bequem fertigwieeinstmitdenTshinowniks,dieihm aufeinerentlegenenBahn- stationdieDienstwohnungdesVorstehers verweigertunddenlästigenChef gezwungenhatten, achtWochenlangineinemWaggonzuhausen.Und all- mählichsprachen seine Thaten solautfür ihn, daßsieallesGeraun über- tönten.Daß seineEisenbahntarifpolitikeinMeisterwerk afiaiischerSchlau- heitist, hatunserWirthschaftkörperseit1894 oftgenugerfahren. Daßerden ExportvonPapierrubeln verbot, ist ihmvonberlinerSpekulanten verdachi, vonseinenLandsleutenaber alsnützlicheLeistungangerechnetworden. Er hatdieSchwankungendesRubelkurses beseitigt,die Valuta verbessert, für die demNotenumlauf genügendeGolddeckegesorgt,dieReichsbanksanirt, imBudget wenigstensäußerlichdasGleichgewichthergestellt,wichtigeKonk versionenmitErfolg durchgeführtund dieTranssibirischeBahn gebaut. Für zehn Jahre ists nicht wenig; ohnedieKraftraubenden illltagsfriktionen wäre das Werknoch beträchtlichergeworden.Immerhin:einenMann,den

(6)

380 DieZukunft.

solcheSchöpferarbeitlobt, mußteauchderFeind vorsichtigbehandeln.Was

SergejJulitschwill, geschieht,hießesinPetersburgundMoskau. Erschien unangreifbar. Undwars dochnicht mehr, seitNikolaiAlexandrowitschdie weiteMützedesMonomachos auf seinemunklarenSchwärmerköpfchentrug.

JndenZeitungenwirdihm nochimmernachgesagt,ersei eigentlich einDeutscher, gebesichfüreinenRufsennuraus. KeinPsychologekönnte so urtheilen. In seinemHandelnistWitteeinechterRüsse:Einer, der,bei allernüchternenZähigkeit,dieschwereKunstdesWartens nie zu lernenver- mochte.Rußland, sagt Custine, istdasReichderKataloge:alleTitelsindange- geben,nur fehlen dieBücherzunterdeningroßenLetternprangendenUeber- schriften suchtderLeservergebensdieverheißenenKapitel. Jm Grundbesitz- verzeichnißstehenWälder,woderWanderer nichtdaszu einerPfeife nöthige Holzfinden würde,in derRangliste Regimenter,derenCadres derWind umblasen könnte,aufderLandkarteStädte, fürdie kaumerstdieParzellen abgestecktfind.Dasgilt heute noch beinahe sowie 1839. Wasnicht rasch wachsenwill,wirdvonderUngeduldins Leben dekretirt.SohatteesPeterge- machtundsosollteesbleibenBorhundei tundfünfzigJahrenerschieninPeters- burgeinBuch,das,unterdemTitelOrigines gen-aisetnominis Russorum, nachwies,dieMoskowiter seienkeinslavischerStamm.Unerhört;und obendrein wurdedieKetzerbehauptungeinesdeutschenDr. MüllernochdurchdieZustim- mungeinesurrusfischenAkademikers gestützt.Das durfte nicht geduldet werden. Der Akademikerbekam, aufBefehlderKaiserin Elisabeth, hundert PeitschenhiebealsLohnfür seine Ethnologiezund der wackereMüller,den man,alseinenAusländer,mitso treffenden Argumenten nicht überzeugen konnte,wurde eingesperrt,bisersichzu demZugeständnißentschloß:die RusfenseienEnkel der edlenRoxolanen, die demKönigMithridatesdasLeben sauer gemachthatten.Seitdem standesfest:dieRussen sind Roxolanen.

Als dannwieder,abermals voneinemdeutschenGelehrten,dieThesevon derfinisch-tatarischenAbstammungderRufsenversochtenwurde,dekretirte Katharina einfach:»DieserGlaube irrt. DenbestenBeweisdafür,doßwir mit denFinen nichts gemein haben, liefertderAbscheu,denuns schonderGe- dankeansolcheGemeinschaft einflößt.«Damit war derFall erledigt;und nureinsoargerSchalkwieMirabeau ließsichvonKatharinas Erlaßzu der Glosseverleiten: Les Russes ne sont Europeensqu’envektu d’une definition declaratoire deleurSouveraine DiegenialeAskanierinhatte sichfchnelldemrusfischenGeistesklima angepaßt.DieStaatsahnentafelge- nügte ihr nicht;dieFremden, besonders ihre FreundesvonderEncyklopädie,

(7)

Witte. 381

sollten erfahren, welcheHöhedieVolksbildunginRußlanderreichthabe.

Geschwindwurden überallSchulen gegründet. Natürlichbliebensieleer.

Katharinaaberwies alleKlagenmit dempompösenWort ab: »Nichtfür uns,sondern fürdieöffentlicheMeinung Europas,dieunsdenRang giebt, habe ichdieSchulengeschaffen;daßNiemandhineingeht,isteinunschätzbares Glück: wennunsereBauernanfingen,Etwaszulernen,würdensiemichbald vonmeinemPlatz jagen.« Potemkins Liebste brauchte wirklichkeinenHof- dekorateur. Der ganzePeter-,wie er,auf Falconets prachtvollkeckem Denk- mal,imGaloppdenFelsen stürmt,stolz aufdie Newaund dieFestungdeutet undgarnichtzuahnenscheint,daßeinFlußundeineBurg nochkeine-Haupt- stadt machen.Aberauchder ganze Witte. Rußlands zwölfterFinanzminister hatdie alte«,bewahrteMoskowitermethodezuneuer Ehre gebracht.Sie gab seinemNamendenhellstenGlanz.Siehat ihnvonsteilerHöhegestürzt.

VielleichtsprachMitleidinseinerAsiatenseeledasersteWort.Ersah dasElenddesVolkes:hungernde Bauern,verarmende Grundbesitzer;ein HäufleinsteinreicherGroßkausleute,dieihrGeldunverzinstinderTruhe bewahren.UndkeineHilfe,ringsumkeineMöglichkeit,diesesbreitstirnige Millionenheer, »das so geduldigistundsovollKraft«,zusättigen,ihmaus- rnmlichenErwerbzusichern. KeineMöglichkeitP..VonWesten her drang einZauberwortinsaufhorchendeOhr: JndustrieiWiewarGroßbritanien, Amerika, Deutschlandreichgeworden?SergejJulitsch verfügte:Wirmüssen inkürzesterFristeinenationale Großindustriehaben.So hatte Peterdie MongolensittenderBartrussenmitEuropäerlackgefirnißtundseineMosko- witer miteinerfunkelnagelneuenSumpfhauptstadtbeglückt;sohatteElisabeth eineStammeslegende, KatharinaeineVolksbildungdekretirt. DieSache würdeschon gehen.UndanEifer ließderFinanzministeresnicht fehlen.

ErstärktedenStaatskredit, setztedieTarife für PersonenundFracht herab, bauteneue Verkehrswege,radirtedasalleGläubiger schreckendeDefizitaus demBudget,milderte denPaßzwang,griff sogar nachdemBranntwein- monopol. Geld,Unternehmer, Arbeiter,Absatzgelegenheit:Das Alles würde sichmitderZeitfinden.DasAlleshättesichauchgefunden.DieRechnungschien richtig.DerrussischeJndustriekrachbedeutetnichtviel ;solcheKinderkrankheit hat fast jedes Großgewerbedurchgemacht. »ImBoden desZarenreiches schlummernMärchenschätze.GanzAsienstehtuns offen,wenndieTranssibir- ischeBahn fertig ist.NurausreichendenZollschutzfürdieerstenJahrzehnte:

unddasRiesenwerkmußgelingen.Und dannbefruchteteinGoldstromdas Land« Einschöner,reiflichbedachterPlan,denmannichtvonobenherabeine

(8)

382 DieZukunft.

Utopienennen darf.NurEinshattederklugeRechnervergessen: diebesonderen LebensbedingungenderAntokratie. KatharinavonAnhalt-Zerbstkannte die RassenbesseralsdcrtifliserParvenu; siewußte,daßihrThronwankenwürde, wenndieBauern ausfrommer Thierheit erwachten.DerFinanzministerNiko- lais,diesermoderne, raschauffassende undafsoziirende,inTheorieundPraxis erfahrene Geist, begriff nicht, daßIndustrienurauf einer bestimmtenKut- turftufe möglichist, daß sie selbst sicheineKulturzone schafftunddaßim Klima dieser ZoneeinSelbstherrscherallerReußennicht athmenkann. Er wähnteamEndewohlgar,in demindustrialisirten ReichwerdedasZar- thum festerwurzelnals in demmorschenAgrarstaat,deranGeldmangelund rückständigerWirthschaft dahinfiechte. Diesen Wahn büßternun. Daßdie Staatsschuld sichhäufte,dieStaatsbahnenJahrzehntelangkeineRenteab- werfen konnten,in Nord und Südneue Unternehmungenzusammenbrachen, wardihm verziehen.UngehörtverhalltedieKlagederGrundherrenüberMiß- ernten,Kreditnoth, Landpauperismus, ungehörtdieBeschwerdenderAlt- .moskowiter,derFinanzminister habenur nochfürdieReichsperipherie,fürs fernste Asien RathundGeld.NachallenFehlschlägenderletztenJahrewar Wittenochso stark, daßerdiemilitärischeEroberungderMandschurei hin- dern und dieWahldesstilleren Merlantilistcnwegesdurchsehenkonnte.Das war sein letzterSieg.AlsdiemandschurischeDiktaturverkündetwurde,blieb ihm nichtszuhoffen.DieArbeiterbewegunghatte begonnen. JnMoskau undOdcsfa,inJelisewetgrat undBaku,inKiew,demrussischenRom: über- allentstanden Organisationen,Gewerkvereinr. Zum erstenMalhörteder MushikdasFremdwort ,,Strike«,vernahmer,daßauchdieSchwachen,wenn sie sichzusammenschaaren, mächtigwerden. DieAnfängederIndustriali- sirung hattendieAermstenin die Städtegelockt":RekrutenfürdieProletarier- bataillone,derenMuthdiesozialistischenWerbermitlistigeroderlyrischüber- schwingenderRedeschiirten.»Das warWittesWerk. Undnun war dereinst allmächtigGescholtenenicht mehr unangreifbar,nun brauchtekeinPlehwe ihninGatschinaanzuschwärzenSergejJulitsch mußtefallen.

Erfielweich.VielgeringereSündewiderden-HeiligenGeistderTheo- kratie wurdeoft schonein LebenlangimsibirischenTotenhaus gesühnt.Sergej JulitschWittehatdemErzfeindedesAbsolutismus dieGrenzengeöffnet:der durchDampsoderelektrischeKraftbewegtenmodernenMaschine.Wassindda- gegen alleGrauelthatenderNihilisten?Unter dasBild deszwölftenFinanz- ministers solltemanschreiben:»Der OrganisatorderrusfifchenRevolution«.

»L-

(9)

Zur PhysiologiederMoral· 383

Zur Physiologie der Moral.

Wir Christen.

WirAlle,getauftoderungetauft,bekennenuns zu der einenSittenlehre derEvangelien.Undwirübensieaus inunserer Weise, nämlich so, daßwirmitunserem Nächstenuns nicht befassen;gegenunsere Feinde scharfvorgehen;Reichthümersammeln, sovielunsAnderenicht wegschnappen;

Den, deruns aufdenrechtenBacken schlägt,niederschießenund über die geistigArmen lächeln. Diese Thatsachen sindbekanntundinBüchernbe- schrieben.Die DiskrepanzzwischenVorschriftundHandlungweife pflegen Einigevon uns mehrmalsinjedem Jahr sichzuGemüthzuführenund dieAbweichungen,diewirnach orientalischerSitte Sünde nennen, zu lon- statiren.Solches Erlebniß ist häufigvoneinemgewissentheoretischenUnlust- gefühl begleitet,dasdiekirchlicheSprachemitdemAusdruckZerknirfchung bezeichnet. Aufdiefernere Lebensführungist dieserZustand ohne Einfluß, währendandere, reuevolleSorgen,wieerlitteneKränkung,leichtsinnigeGeld- schulden, ZurücksetzungoderVerluste, oft ernste, manchmal verhängnißvolle Entfchlüssewecken.

WiedieZopfdefpotenvon ehedem ihr BildnißimrömischenImpera- torenhabit meißelnodergießenzulassenliebten,währendsie dochniemals

eingewilligthätten, aufdemMarktplatz ihrer ResidenzsichmitbloßenArmen zuzeigen: so wünschenwirdieMißgestaltunserer Menschlichkeitvon dem Himmelsmantel christlicherSittlichkeitumflossenzusehen, wenn man uns portraitirt. Esistaberbesser,wenn unsereEnkelerfahren,wie wirunser LebenlanginmodefarbigenErdenkleidern umhergelaufensind,zufrieden, wenn sie haltbarundundurchdringlichdieBrustumschlossenundnur denKopf freiließen.Was verschlägtesuns, daß noch heuteeinMann imOstenlebt, derpolternddieSittenlehreneinesreinen Christenthumespredigt? Welcher Staatsmann wirdumseinetwilleneineNoteseiner Kanzlei, welcherGeschäfts-

mann eineZiffer seinerKontenrevidiren? Papierwirdbedruckt,gelbeUmschläge erscheinenin denLäden, und derConnaisseur goutirtdasliterarifcheOpus.

Das praktischeChristenthum istuns, was esuns immer war und immer seinwird:dekorativeKunst.

Sicherlich habenniemals dieSittenlehreneinerReligioneinefounbe- kümmertePassivität, ja,einesovollkommene Gleichgiltigkeitbei denBe- kennerngefundenwiedieBotschaftendesChristenthumes.Undniemals hat eineReligion, ohneBlut und Kriegzuverkünden,einenso unerhörten Siegeslauf vollbracht.WiekamDas?

29

(10)

384 DieZukunft.

Jnethische-:HinsichtverlangtendieReligionen darfman Götter- sagenundPriesterkultesonennen? desHellenismus so gutwienichts- Sie bliebeneinSpielzeugundwurden zumUeberdruß

DasJudenthumbauteGesetz auf GesetzundumzäuntedenBau mit Vorschriften, LehrenundAuslegungen.Seine Dogmatikwar plausibelund deshalb uninteressant, seine Gesetzekomplizirt, doch eiserner Willenskraftund eifernder Glaubensstärkenicht unerfüllbar. WehederReligion,dieerfüllt werden kann!Jhre Pharisäer müssenHeiligeundWunderthätersein,wenn sie nicht sammt ihrer Lehre selbstzumSpottwerdensollen.Diejüdischen Heiligenaberwaren den VölkerneinAbscheuundAergerniß;daherkonnte dasJudenthumkeineProselytenbekommenundbliebStammeserbschaft.

Ewig unerfüllbarbleibtnur dasChristenthum. Hier wehtderAether- hauchderhöchstenTransszendenz.EineWelt,so düster,daßnur derStern derErlösung ihr Licht beschert.EinLeben,so werthlos, daßnur ein Jen- seits sein Daseinrechtfertigt.EinGott,so fern,daßnur einMittler seinenWillen kündet.EineLehre, so erhaben, daßnur dieHandderGnade derSchwächeemporhilft.AlleGeisteskräftewerden gebändigt:durchdas OpferderWeltfluchtderWille, durchdasOpferderLiebe dasHerz, durch dasOpferdesGlaubens derVerstand.Die schlechtesteSchwächeundder schönsteTrieb derSeele war gewonnen: derTropfenSklavenblut, derin uns Allenkreist, lechztnach Unterwerfung,daslodernde Streben nachdem Unerfüllbaren,dasuns adelt,verlangt Transszendenz.Wiemußtedas feine OrientgiftdesSündgedankensdiereinen Völkerdes Nordlands er-

greifen! ZwischenSünde undErlösung eingespannt,wiezwischenZügel undSporn,bebten dieerregtenSeelenundbegehrtennichtnachanderen Jochen.

SosiegtedenndasDogma durch seine Transszendenz. Großerkann dieErhabenheitdesintellektuellenOpfers nicht dargestelltwerdenalsdurch diekirchenväterlichenWorte: Verisimile est, quja ineptum est,ver-um, quia impossibjle;oredo,qujaabsurdum.

Niemalswird, so langederSternenflugdesGeistesdaranverzweifelt, tieferin denWeltenraum derJenseitigkeit einzudringen, achtungloserdie erischkeitunter sichentschwindenzusehen,niemalswirdchristlicheDogmatik undSittenlehreneuen Verkündigungenweichen.AberebendieseErdenflucht verschließtihrdieWeltdesHandelns. Des Mittlers Reich ist nichtvon dieser Welt; nichtdassoziale, nichtdasmythische,nochwenigerdassittliche Reich.Seine Lebenslehrehatnur Märtyrer gezeugtund Jndifferente;

Jüngerwaren ihr nicht beschieden.KeinethischesMerkmal unterscheidetden ArierchristlichenGlaubensvondemmoslemitischenoderbuddhistischenStam- mesbruder. Von christlicherLehreoderLebensanschauung,besondersvon

(11)

Zur PhysiologiederMoral. 385 christlichemGemüthszusiandemagman sprechen,abernichtvon christlicher

praktischerSittlichkeit. ek:

Its

Sittenbekenntniß.

Unddennoch sindwirnichtmorallos. Tausend ungeschriebeneGesetze lenken undzügelnjeden Schritt unseres Handelns.Viele dieser Gesetzesind denchristlich-orientalischenSittenlehren,viele denrömischgabendländischen Rechtssatzungenfremd, ja, entgegengesetzt-KeinkategorischerJmperativ,kein Daimonion, keinEhrenkodexundkeinGewissensinventariumkann dieKasuistik diesergeheimenLehren erschöpfenunddennoch sind sieallenStämmen ari- sirenderKultur gemeinsamund eigenundimStrom derZeiten, Bräuche undReligionenstarr undstandhaft geblieben.

NurzweiWege scheinenmirzu einemUebersichtpunktezuführen,zu dessen Füßensichdieverworrene MengederEinzelfälleordnet: derWegder BewunderungundderWegdesAbscheues.Giebt esHandlungen,diewir

·

Alle undimmer lieben? Giebtessolche,dieJeder verurtheilt?

Wir, dieimNorden wohnen, sindimBewunderu, selbstim Aner- kennenkarg.Wirdemonstrirennicht:odernur imUnwillen. Dielobende Stimme desVolkesvernehmenwirkaum imTheater,esseidennbeiRing- kämpfen,PossenoderVirtuosenstücken.AuchistderEinzelneimBeifall allzu suggestibel:man läßt sichvon einerschöngeschildertenMildthätigkeitrühren, dieman grundsätzlichthörichtfindet,oderman ergötzt sichbeiLampenlicht

aneinemMartyrium,dasman beiTage unsittlichundabgeschmacktschilt.

UnbestechlicherscheintmirdasUrtheildesMißfallens,derEntrüstung, desAbscheues. Oft habenwirdiePflicht,nichtseltendieNeigung,eszu hörenundauszusprechenDieKunstdesErziehens,desRegirensundleider dieKunstderUnterhaltung hat unsere Verurtheilungsähigkeitalsofleißig geübtundabgeschliffen,daßwirkaumineinemPunktmitunserenMit- menschenuns so einig fühlenwieindiesem. Ja,eswillfast scheinen,als seidieVerachtung,dieeigenewie die der Anderen, daseigentliche vielleicht zuletztdaswahre—- Agens unseres sittlichenThuns.

di- Ok-

Jl- Die eine Todsünde.

Wiebeschafer sindnun dieHandlungenundZustände,die wir Alle ichmeineMenschenwestlicherKultur verabscheuen,hassen, verachten?

DieVerbrechenund Vergehungender göttlichenund menschlichen Codices sindesnicht;einTotschlägerkanneinHalbgott,einRäuberein Held sein.Ehebrechersind besungen,AufrührernDenkmälererrichtetworden.

EinMann, deraufein StückPapiereinZeichenkritzelt,dasdenNamen 29«·

Cytaty

Powiązane dokumenty

Eine klassische Konstruktion aus der algebraischen Zahlen- theorie ist folgende: Zu jedem algebraischen Zahlk¨orper K kann man ein sogenanntes System idealer Zahlen S zuordnen,

, da sich dieselben nicht woiten abeisen ins- seni sie nlsofdrt in die dortige : emnitzen einzuschliessenj nachgehends aber- bey der«. Woßlassung zu warnensdaßs sals

Wenn man jedoch beriicksichtigt dass Luyet und Gehenio (4) die Akklimati- sierung unter den Faktoren zahlen, welche die Widerstandfiihigkeit der Tier- und

schen Gränze erwartete, streckte hierauf das ganze Corps die W affen und überlieferte sich der Großmuth und Milde der Sieger, die, wie w ir vor­. aussagen können, diese H offn u n

Combined scenarios show how the number and location of crossings and turning basins in the layout of a port can affect to the performance of the traffic inside its network.

Taking into consideration the fact that during rescue oper- ations, fire-fighters may be exposed to terrorist situations, the aim of this study was to determine whether or

Die medizinische Fachsprache muss für den Patienten verständlich in die Alltagssprache übersetzt werden, weil Kommunikation ein zentra- ler Bestandteil jeder ärztlichen Tätigkeit

Was solche Themen wie Äußeres, körperliche Behinderungen, Verletzungen und Krankheiten anbelangt, muss man erwähnen, dass es für die Menschen charakteristisch ist, über das zu