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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Volkserziehung, Februar 1915, 23. Band, Heft 1

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MONATSSCHRIFTEN D E R COMENI URGESELLSCHAFT

Monatshefte der Gamenius- Geselfechaft

für V o lk s e rz ie h u n g

1 9 1 © Februar H eft 1

Herausgegefcen von Ludwig Keirer Neue Folge der Monatshefte derCQ.

Der ganzen Reihe 23. Band.

V E R L A G V Ö N ^ i®1®

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Moaatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

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Inhalt

S«it*

Dr. W ilh. Steffens -B erlin-H alensee, R. Kosers G eschichte der brandenburgisch- preußischen P o l i t i k ... 9 Dr. V alentin Scherer, B ü c h ereifr a g en ...13

Der Zentralausschuss für V olks- und Jugendspiele in Deutschland 18 Zur Soziologie des K in o ... 19 Soziale Zukunftsaufgaben. Vortragsabend der C. G. in Berlin am 8. Februar 1915 20

R u n d s c h a u ... ... 22

Schaffung einer O rganisation z u r H ebung des G em üsebaus in un d um Grofi-Berlin. — Zwei neue Jugendzeitschriften (Freideutsche Jugend u n d V ortruppjugend). — Der G roß-B erliner K alender fü r 1915. — K riegsschriften des K aiser W ilhelm-Dank im Verlag „K am eradschaft“. — Von d er freideutschen Jugend. — Die K riegsvorträge des H am burger Volksheims. — Der A lkohol un d die deutsche H eeresverw altung.

G ese llsc h a fts-A n g e leg e n h eite n ...24 Unsere Z i e l e ... 1 Die Comenius-Gesellschaft im Jahre 1914 ... 3

Literatur- Berichte

(B eiblatt)

C lau sew ltz, Vom Kriege

K. W . F rie d ric h s, Nationalbew egung un d Schule A lb. H ellw lg, K ind un d K i n o ...

O tto H oetzsch, Rußland . . • ...

A lfred Je re m ia s , H andbuch d e r altorientalischen G e is te sk u ltu r...

R. K jell6n, Die Großm ächte d er G egenw art . . K rieg sd ep e sch en 1 9 1 4 ...

F rie d ric h M ann, Pädagogisches M agazin. . . . H einz M arr, Von den G rundlagen d er V ater­

landsliebe ... 4*

Seite O sk a r A. H. S chm itz, Die W eltanschauung d er

H a lb g e b ild e te n ...S*

Alice S ch reib er, Die F ra u un d die A rbeit . . . 5*

F ra n z S tru n z , Die Vergangenheit d er N atur- f o r s c h u n g ... 6*

J. T ew s, G rundzüge d er deutschen Schulgesetz- g e b u n g ...6*

A ndrew D lckson W h ite, Geschichte der Fehde zw ischen W issenschaft un d Theologie in der C h r i s t e n h e i t ...7*

N eues W u n d e r h o r n ... 7*

E b e rh a rd Z schim m er, P hilosophie d er Technik 8*

Seite

1* 1*

2*

2*

3*

3*

4*

4*

Verzeichnis der im Text besprochenen und erwähnten Schriften

Seite R. Koser, Geschichte d er brandenburgisch-

preußischen P o l i t i k ... 9 H llteb ran d t, Preußen u n d die röm ische K irche 13 B üchereifragen... 13 P. L adew ig, Z ur System atik d e r Ausleihe . . . 13 E . Ja e sc h k e , Vom Büchereiw esen d er M ittel­

u n d K leinstadt, sow ie des D o r fs ... 14 A. H eldenhelm , Büchereibetrieb u n d Bücherei­

beam te ... 14 O. F litz , O rganisationsfragen der m odernen

B ü c h e re i... 14 E . A ck erk n ech t, Jugendlektüre u n d deutsche

B ild u n g s-Id e a le ... 14

Seite E m ilie A ltenloh, Z ur Soziologie des Kino . . . 19 F reideutsche J u g e n d ... . 2 2 V o rtru p p -J u g e n d ... 22 E rn s t F rle d el, G roß-Berliner K alender fü r 1915 . 22 Kriegsschriften des K aiser Wilhelm-Dank . . . 23 F rle d r. M elnecke, Um welche G üter käm pfen w ir? 23 Herrn. O ncken, U nsere Abrechnung mit England 23 E rn s t T ro eltsch , D eutscher Glaube und deutsche

S itte ... 23 K riegsvorträge des H am burger Volksheims . . 23 S teen b erg , B o g sa m lin g sb la d e t... 24

Anmeldungen zur C. G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n -

C h a r l o t t e n b u r g , B e r l i n e r S t r a f i e 22. Die Bedingungen der Mitgliedschaft

siehe auf der 4. Umschlagseite.

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MONATSHEFTE

DERGOMENIUS-GESELLSCHAFT

FÜR V Ö L K S tÄ v E R Z IE H U N G

S C H R I F T L E I T U N G ^ I f p i ^ B E R L I N E R STRASSE 22 vt CR.LUDWIG K E L L E K ^fe^ BERLIN'CHARLOTTBG

VERLAG EUGEN D1EDEK1CHS IN JENA

N. F. Band 7 Februar 1915 Heft 1

Die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung erscheinen Mitte Februar, April, Juni, Oktober und Dezember. Die Mitglieder erhalten die Blätter gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im Buchhandel und bei der Post M. 4. Einzelne Hefte M. 1,50. — Nachdruck ohne Erlaubnis untersagt.

U N SE R E ZIELE

Ruf, den wir an dieser Stelle seit länger als zwei l Jah rz e h n te n im m er von neuem haben hinausgehen I E S to ) ] lassen> näm lich der R uf nach i n n e r l i c h e r n K y J n a t i o n a l e r E r n e u e r u n g , scheint endlich u n ter den E rschütterungen, die der große Krieg m it sich bringt, m ehr Gehör und m ehr V erständnis zu finden, als ihm bisher beschieden war. Alles Sinnen und T rachten galt bisher (und keineswegs bloß in Deutschland) dem F o rtsc h ritt der wirtschaftlichen Entw icklung und die, die sich darüber hinaus geistige Ziele gesteckt h a tte n , pflegten diese im nationalen Chauvinismus m it alldeutschem Einschlag, in der W erbearbeit für den Entw icklungsgedanken im Sinne des modernen N aturalis­

mus, in der Begeisterung für die Idee einer intoleranten Scholastik oder im K am pfe für K lassen-lnteressen zu finden.

U nd was wurde neben diesen vornehm sten Kam pfzielen nicht sonst noch alles d er innerlich unbefriedigten Menschheit als H eil­

m ittel em pfohlen! Gewiß waren d a ru n te r m anche Dinge — m an denke nur an die gewaltige Geistesarbeit, die der H eim atku n st un d dem H eim atschutz gewidmet worden ist —, die durchaus des Schweißes der Edlen w ert waren, die aber doch den K ern-

1 Monatshefte der C. G. für VolkeerziehuDg 1915

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2 Unsere Ziele Heft 1 p u n k t des geistigen Bedürfnisses n ich t trafen. U nsere groß­

artige wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Entw icklung, die gewiß die höchste Bew underung verdient, entbehrte des i d e e l l e n U n t e r b a u s , ohne den die wesentlichste Seite der m enschlichen N a tu r, die Seite des Gem üts, verdorrt. N icht als ob es an Personen gefehlt h ä tte , in denen dieser U nterbau festen Boden gewonnen h a tte , aber es m angelte eine durch das ganze Volk gehende Gem einsamkeit des Em pfindens und die Gem einsam keit der Grundgefühle, die den Stim m ungen des einzelnen erst ihre befreiende K ra ft verleiht, zumal wenn sie in kultischen Form en einen erhebenden A usdruck findet.

E ben auf die Schaffung oder auf die Erneuerung un d A us­

b reitun g dieses U nterbaus ist die A rbeit unserer Gesellschaft seit Jah rzeh n ten gerichtet gewesen un d ist sie noch heute gerichtet, wo sich endlich die E insicht in die W ah rh eit dessen, was wir früher tau b e n Ohren gepredigt haben, m ehr und m ehr B ahn zu brechen scheint, u n d wo auch unser weiteres Bem ühen als richtig erk an n t wird, auf dem Wege der Jugendpflege und der Volkserziehung den denkenden Zeitgenossen diese geistigen un d religiösen G rundgefühle allm ählich wieder n äher zu bringen, weil eben die Ju g end für Ideale dieser A rt den fruchtbarsten Boden bietet.

Bei den unendlichen Schwierigkeiten, die sich der D urchsetzung gerade solcher B em ühungen entgegenstellen, würden wir geglaubt haben, ganz vergeblich zu arbeiten, wemi wir uns nicht auf stark e und alte Überlieferungen h ä tte n stützen können — Ü ber­

lieferungen, die gerade im deutschen Volke, so sehr sie zeitweilig zurückgedrängt waren, doch niemals völlig erloschen sind.

Die alte u n d doch neue Bewegung, die uns geeignet schien, dem tro tz wachsender R eichtüm er m ehr u n d m ehr verküm m ernden geistig-religiösen Leben der gebildeten D eutschen den gemeinsamen U n terb au zu geben, der uns fehlte, haben wir seit fünfundzwanzig Ja h re n u n ter dem N am en des N e u i d e a l i s m u s weiteren K reisen zu verm itteln gesucht, u nd zwar sind wir bei unserer A rbeit von dem G rundsatz ausgegangen, daß jede geistige Ström ung der O rientierung an verw andten Geistern der V er­

gangenheit un d an den Quellen der Volksseele selbst bedarf,

durch deren Stim m ungen jene Geister einst zu ihrer großen

W irkung gekommen sind.

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1915 Die Comenius-Gesellschaft im Jahre 1914 3

Sollte dem deutschen Volke infolge der großen Ereignisse, die wir m itdurchleben, ein stärkerer Einfluß auf die Menschheits- Entw icklung beschieden sein, so wird sich noch m ehr als früher die R ichtigkeit des von uns eingeschlagenen Weges erweisen, diesem Neuidealism us, d er auf dem M enschheitsgedanken und dem H um an itätsid eal ru h t, von neuem lebendige A usbreitung zu geben. K ein Volk besitzt die F äh ig k eit zur W eltherrschaft, dem der gemeinsame g e i s t i g e U n t e r b a u fehlt, wie groß auch sonst seine m ilitärische, technische, industrielle oder wissen­

schaftliche T a tk ra ft sein mag.

D IE COM ENIUS-GESELLSCAHFT IM JA H R E 1914 1 ■— iwei T atsachen sind es, die für die W irksam keit der

Comenius-Gesellschaft im Ja h re 1914 wichtig und be­

stim m end w aren: D as J a h r 1914 ist das F i c h t e - G edenkjahr, und es e n th ä lt zugleich den Beginn des W e l t k r i e g e s . Das letzte im Ja h re 1913 erschienene H eft unserer M onatsschriften brachte eine B etrachtung: „W erden die Gedenkfeiern für 1813 den Geist von 1813 w ecken?“ Diese B etrachtung h a tte , wie sich nun erweisen sollte, größere Be­

rechtigung u n d Bedeutung als dam als geah n t werden konnte. Es hieß in ih r: „W enn m an die W erturteile un d das W unschleben der Gegenwart b etrach tet, so m uß m an sich sagen, daß gerade heute ein stärkerer Zusatz des Geistes von 1813 dringend erw ünscht wäre. K ennzeichnend für das Zeitalter, das wir nach 1870 durch­

lebt haben, ist jener sogenannte Realismus, dessen F ührer lehren, nu r das sei w ahr und wertvoll, was sinnlich erfahrbar un d wirklich ist und die den Genuß des äußeren Lebens als den w a h r e n Genuß un d die w ahre F r e u d e des Lebens betrachten. J e m ehr es sich zeigte, daß solcher Genuß n u r durch die Mehrung des Besitzes und der Sachgüter dauernd zu gewinnen sei, um so wilder wurde die Ja g d nach diesem Besitze. Das, was im Zeitalter der deutschen Erhebung in erster Linie den M anneswert ausm achte: Opferm ut, Überzeugungstreue, Selbständigkeit der Meinung und sittliche Selbstachtung, verlor h u n d ert J a h re später seinen W ert, sobald m an Aussicht h a tte , durch die Preisgabe dieser W erte in die Klasse der Besitzenden em porzusteigen.“

1*

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4 Die Comenias-Gesellschaft im Jahre 1914 Heft 1 Diese W orte bringen bereits zum Ausdruck, was die Comenius- Gesellschaft u n ter w ah rhaft deutscher G esittung und Bildung ver­

s te h t: W erte, die gerade in der Zeit eines wesentlich um W irt­

schaftsfragen en tb ra n n te n Krieges als ständige Forderungen hoch­

zuhalten sind, wenn nich t eine Periode eines neuen „R ealism us“

u nd seiner Begleiterscheinungen aberm als folgen soll.

E s ist eine wesentliche un d kennzeichnende Tatsache für die Geistesrichtung, die die Comenius-Gesellschaft seit ihrer Be­

gründung verfolgt: daß sie zu Beginn des Krieges n i c h t u m ­ z u l e r n e n brauchte. So war es n u r folgerichtig, daß wir F i c h t e s G e i s t , den wir stets zu verbreiten bem üht gewesen waren, auch je tz t wieder zu unseren Freunden u n d A nhängern sprechen ließen. In der Schlußrede der „R eden an die deutsche N atio n“ , die w ir in dem b ald nach K riegsausbruch heraus­

gegebenen H efte zum A bdruck brachten, wollten wir jener E m pfindung ihren klassischen A usdruck geben: es gib t etw as Höheres als die persönliche E xistenz u n d als den Besitz des Lebens, näm lich d a s L e b e n u n d d ie F r e i h e i t d e r N a t i o n , deren Teil wir sind u n d die erst dem Einzelleben seine notwendige E rgänzung, seinen Zweck un d seinen W ert gibt.

In F i c h t e , dessen N am en neben denen des Comenius, H erders u n d K an ts schon in den ersten K undgebungen der Gesellschaft genan n t worden ist, sahen wir stets den eigentlichen V ertreter der

„Gesellschaften der P a trio te n “ , die der Realism us vor 100 Jah ren, an seiner Spitze der große R ealist Napoleon als „Ideologen“ und

„E n th u siasten “ ab zutu n pflegte, die m an an ihrer eigenen T orheit zugrunde gehen lassen sollte. Diese u n d die heutigen R ealpolitiker übersahen eben, daß U topien, an die m an glaubt, sich noch imm er als die stärk sten A n t r i e b e erwiesen haben, um R e a l i t ä t e n zu erkäm pfen, daß sie die stärk sten B i n d e m i t t e l sind, um der­

artige an sich unerreichbare Ideale gleichsam als Fahne und Feld­

zeichen aufzurichten, um die eine G e m e i n s c h a f t ihre Glieder samm eln kann.

Diese G edanken schienen sich vor allem in der deutschen J u g e n d der letzten J a h re zu verwirklichen, und so begrüßten wir es als eine stark e Hoffnung, als sich im H erb st 1913 die F r e i ­ d e u t s c h e J u g e n d zum F est auf dem hohen Meißner versam m elte.

W ir bewiesen unsere starke A nteilnahm e durch die E ntsendung

unseres Geschäftsführers, der in m ehrfachen Ansprachen vor allem

dem G edanken der Comenius-Gesellschaft A usdruck gab.

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1915 D ie Comenius-Gesellschaft im Jahre 1914 5 D a es der Gesellschaft aber schien, daß um der außerordentlich wertvollen K räfte willen, die sich in der Jugendbew egung zeigten, eine g e i s t i g e K l ä r u n g ihrer Ziele eine erw ünschte Aufgabe sei, so m achte sie die Bewegung zum Gegenstände ihrer Ende 1913 stattfin d en d en H a u p t v e r s a m m l u n g . H err U niversitäts­

professor P a u l N a t o r p (Marburg), unser langjähriges V orstands­

mitglied, sprach vor einer d ich t gedrängten Zuhörerschaft über

„ H o f f n u n g e n u n d G e f a h r e n d e r J u g e n d b e w e g u n g “ . Die dreistündige Erörterung, an der sich 26 R edner beteiligten, tru g viel zu einem geistigen Sichkennenlernen und V erständigen bei. B ald darauf gab die Comenius-Gesellschaft den V ortrag in der Sammlung ihrer „V orträge u nd A ufsätze“ (X X II, 1. Stück), Jena, Diederichs, 5. bis (>. Tausend, 1914, heraus, der eine außer­

ordentlich günstige Aufnahme, un d zwar bei den verschiedensten R ichtungen innerhalb der Jugendbew egung, fand, ein Zeichen dafür, daß es gelungen war, untergeordnete Gegensätzlichkeiten auf den Boden höherer E inheit zusam m enzuführen. D er V ortrag ist bisher in fast 5000 Exem plaren verb reitet worden und an eine sehr große Anzahl von behördlichen Stellen zur Inform ation versand t und der freideutschen Jugend, wo imm er sie ihn brauchte, kostenlos zur Verfügung gestellt worden.

Die Gesellschaft h a tte von vornherein darauf hingew irkt, daß sich die Freideutsche Jugen d u n ter Zugrundelegung tragender Ideen zur p r a k t i s c h e n A r b e i t zusammenschließen m üßte, um so ihrem Gem einschaftsgeist und ihrer vornehm lich nach innen ge­

richteten K u ltu r auch nach außen Ausdruck zu geben. Dies traf ganz besonders auf die U n i v e r s i t ä t s j u g e n d zu. So durften wir besonders erfreut sein, als sich bald nach der H auptversam m lung die Freideutsche Jugend in Berlin zu einem A r b e i t s v e r b a n d e zusammenschloß, u n d ihre erste gemeinsame T at, der Anregung unseres Geschäftsführers entsprechend, eine F i c h t e - G e d e n k ­ f e i e r in der U niversität war.

Eine nach der praktischen Seite hin vielleicht noch stärkere

Verwirklichung nahm en Fichtes Volks- un d M enschheitsgedanken,

aber auch seine vielfach vergessenen religiösen Gedanken, auf die

F r i e d r i c h G o g a r t e n in unseren H eften nachdrücklichst hinwies,

in der s o z i a l e n J u g e n d b e w e g u n g , die eine besondere un d

stark anwachsende Ström ung innerhalb der allgemeinen Jug en d ­

bewegung darstellt.

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6 Die Comenius-Gesellschaft im Jahre 1914 Heft 1 Sie t r a t zum ersten Male selbständig nach außen hin hervor, als unser G eschäftsführer E r n s t J o e l , der in unserem A ufträge den 14. D e u t s c h e n F r e i s t u d e n t e n t a g in W eim ar besuchte, eine Rede über „Die Ju g en d vor der sozialen F rag e“ hielt, die er später auf Einladung der Freien S tudentenschaft zu Königsberg u n d vor der Berliner akadem ischen Freischar w iederholte und die auch im D ruck erschienen ist.

Diese Bewegung fand ihre praktische Ausw irkung einerseits in den S o z i a l e n Ä m t e r n der D eutschen Freien Studentenschaft, deren H a u p ta m t der Geschäftsführer leitete un d die hauptsächlich den bestehenden Einrichtungen freiwilliger sozialer H ilfsarbeit S tu­

denten und Studentinnen zuwiesen, u nd die ferner Studiengruppen, V orträge, E rörterungsabende u n d W anderfahrten zur sozialen E r­

ziehung der akadem ischen Ju g en d einrichteten. A ndererseits h a tte die Comenius-Gesellschaft durch die im Sommer 1913 erfolgte Be­

gründung des D e u t s c h e n S i e d l e r b u n d e s die A kadem iker an ihre sozialen Pflichten zu erinnern versucht, wie sie es im F rü h ja h r 1898 v o r der Begründung der akadem ischen A r b e i t e r - U n t e r r i c h t s ­ k u r s e bereits g etan u n d d am it der sozialstudentischen A rbeit ü b e rh a u p t den ersten A nstoß gegeben h a tte . Die B estrebungen des Siedlerbundes w aren von besonderem Erfolg begleitet. Zunächst gelang es in der gesam ten akadem ischen Presse u n d in einer großen Zahl akadem ischer O rganisationen die Besprechung der Frage einer n a c h b a r l i c h - s o z i a l e n H i l f s a r b e i t von S tudenten in A rbeitervierteln anzuregen u n d d am it zunächst der Gewissens­

weckung zu dienen. Sodann regten sich in einigen S täd ten die ersten Anfänge zu Siedlungsheimen, die u n ter der unm ittelbaren Einw irkung der Comenius-Gesellschaft im C harlottenburger A rbeiterviertel besonders günstig verliefen. Im J a n u a r 1914 konnte d o rt das e r s t e S i e d l u n g s h e i m eröffnet werden. Die Bewegung h a t in ihm einen sichtbaren A usdruck u n d gleichsam ein M uster erhalten. Es kann hier n ur weniges erw ähnt werden;

ausführlicher berichten die besonderen D rucksachen des Siedler­

bundes u n d des V e r e i n s S i e d l u n g s h e i m , der sich am Schluß des Geschäftsjahres zur finanziellen V erselbständigung des Char­

lottenburger Heimes bildete. Es sei n ur noch m itgeteilt, daß der

Siedlungsbewegung in sozial arbeitenden und akadem ischen

Kreisen lebhafteste Hoffnungen entgegengebracht werden, und

daß die p r a k t i s c h e n Z i e l e , die die Comenius-Gesellschaft seit

ihrer G ründung verfolgt, im Siedlungsheim eine weitere V er­

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1915 Die Comenius-Gesellschaft im Jahre 1914 7 wirklichung gefunden haben, d aru n ter der z w a n g l o s - g e s e l l i g e V erkehr zwischen Menschen verschiedener Klassen, die S e l b s t ­ v e r w a l t u n g d e r J u g e n d , die J u g e n d b ü h n e als E rziehungs­

m ittel u nd p r a k t i s c h e B e k ä m p f u n g d e r S c h u n d l i t e r a t u r , der W e r k s t ä t t e n u n t e r r i c h t , der H e i m g e d a n k e als solcher und die Pflege k ü n s t l e r i s c h e r V o l k s e r z i e h u n g , für die sich übrigens im abgelaufenen G eschäftsjahre u n ter M itwirkung der Comenius-Gesellschaft eine eigene Organisation, die G e s e l l s c h a f t f ü r k ü n s t l e r i s c h e V o l k s e r z i e h u n g gebildet h a t. D a der Vorsitz des Vereins Siedlungsheim, die Leitung des Siedlerbundes und die G eschäftsführung unserer Gesellschaft in einer H an d ver­

einigt sind, so besteht gute Gewähr für eine weitere D urchführung der für uns wesentlichen G esichtspunkte.

Um dieser praktischen A rbeit eine sichere theoretische G rund­

lage zu geben un d ihre Zielpunkte möglichst zu klären, h a t die Comenuis-Gesellschaft auf einem ihrer winterlichen E rö rterun gs­

abende des abgelaufenen Geschäftsjahres H errn Dr. W e r n e r P i c h t aus Heidelberg, der als bester deutscher K enner der englischen Settlem entbew egung gilt, eingeladen, über „ D a s P r o b l e m d e r S e t t l e m e n t s b e w e g u n g “ zu sprechen. Seine geistvollen Ge­

danken sind in den M onatsheften der Comenius-Gesellschaft ver­

öffentlicht worden u nd werden in nächster Zeit als selbständige Schrift in den „V orträgen u n d A ufsätzen aus der C. G .“ im Verlag von Eugen Diederichs erscheinen. Auch die anderen E r ­ ö r t e r u n g s a b e n d e w andten sich besonders an die studierende Jug end und ihre Freunde, wie denn die Gesellschaft von jeher deren Rechte, vor allem aber auch deren Pflichten besondere Auf­

m erksam keit gewidmet h a t, z. B. bei Gelegenheit der E inrichtung der akadem ischen U nterrichtskurse für A rbeiter, der Propaganda für S t u d e n t e n h e i m e , der Bewegung für K ö r p e r k u l t u r u n d gegen den M i ß b r a u c h g e i s t i g e r G e t r ä n k e . Es sprachen im vorigen W inter noch W i l h e l m B a u m aus Leipzig, Herausgeber der Akadem ischen Rundschau, über „ D i e H e r a u s v e r l e g u n g d e r U n i v e r s i t ä t e n a u s d e n G r o ß s t ä d t e n “ . F erner sprach P asto r F r i e d r i c h D a a b über „ P a u l d e L a g a r d e u n d s e i n e B e d e u t u n g f ü r d i e g e i s t i g e E n t w i c k e l u n g d e r G e g e n ­ w a r t “ . Bei dieser Gelegenheit seien auch das C o m e n i u s - K r ä n z c h e n in Lissa u n d die C o m e n i u s - Z w e i g g e s e l l s c h a f t i n S t u t t g a r t erw ähnt, die beide auch im abgelaufenen Geschäfts­

jahre Versam m lungen abhielten. In S tu ttg a rt sprachen Professor

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8 Die Comenias-Gesellschaft im Jahre 1914 Heft 1 T h . Z i e g l e r (F rank fu rt a. M.) über den „gesunden M enschen­

verstand in der Schule“ u n d Professor O t t o H a r n a c k über

„Lessings Stellung zur F reiheit u n d Überlieferung“ . — W as die M i t g l i e d e r b e w e g u n g anlangt, so wurde bereits im vorigen G eschäftsbericht darauf hingewiesen, daß der w irtschaftliche N iedergang der letzten Ja h re viele zur Z urückhaltung zwang, die an sich die A ufgaben unserer Gesellschaft gern u n te rstü tz t h ä tte n . N ach A usbruch des Krieges wurde die Öffentlichkeit von schlim m sten N otständen so in A nspruch genommen, daß auch unsere Gesellschaft die W irkungen zu fühlen bekam . H ierzu m uß noch bem erkt werden, daß wir in A n b etrach t der Lage gegen Schluß des Jah res nich t wie sonst üblich in eine M itgliederwerbung eingetreten sind. W ir ersehen übrigens aus Berichten verw andter Gesellschaften, daß es sich hier um eine allgemeine Erscheinung handelt, die nach Beendigung des K rieges hoffentlich ihr ebenso natürliches E nde findet.

Schon deshalb erscheint uns dies dringend erw ünscht, weil der Frieden unserer Gesellschaft eine Fülle neuer Aufgaben stellen wird. Zu diesen Aufgaben gehört die Propagierung des G e n o s s e n s c h a f t s - u n d d e s H e i m s t ä t t e n g e d a n k e n s , den wir seit J a h re n in unseren H eften v ertreten haben und den nunm ehr die Zeit auch in weiteren Kreisen zur Reife gebracht h a t. W ir erinnern hier daran, daß die Comenius-Gesellschaft es war, die E r n s t A b b e zur D urch­

führung seines Planes eines Jen aer V o l k s h a u s e s angeregt h a t. Es besteht d o rt je tz t auch eine E rnst-A bbe-K ultur- Gesellschaft. Neuerdings sind wir auf diesem Grebiete dem Verein für soziale K olonisation D eutschlands näher getreten, in dem unser Geschäftsführer auf W unsch des dortigen Vorsitzenden einen Studienkursus einrichtete. Von wie ungeheurer volkserzieherischer B edeutung diese Gedanken sind, ist hier nicht der O rt darzulegen;

es wird dies Aufgabe besonderer Veröffentlichungen sein. Es ist aber im m erhin bem erkensw ert, in wie seltener E inm ütigkeit die verschiedensten politischen Parteien diese Gedanken je tz t als höchst erstrebensw erte Ziele hinstellen. Viele, die je tz t für das V aterland käm pfen, sind in W ahrheit Vaterlands- oder jedenfalls heim atlos; es gilt, ihnen ein Heim und wenn möglich ein Stück deutschen Bodens zu schaffen, d am it sie sich wirklich ein V ater­

land und eine H eim at erobert haben. Im geistigen Sinne g eht es

der draußen käm pfenden d e u t s c h e n J u g e n d ähnlich. Sie be­

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darf m ehr als je eines g e i s t i g e n H e i m e s , d. h. einer sicheren Grundlage ihrer Lebensanschauung. Unsere Schulen zum w ahren geistigen H e i m der Ju g en d zu m achen, m uß eine der ersten Auf­

gaben eines neuen D eutschlands werden.

W ir haben unser W erk u n ter das P a tro n a t eines Nam ens und eines Mannes gestellt, der durch seine Absichten und Schicksale allen Klassen un d allen Völkern gleicherweise angehört. Aber es kam bei der Begründung der Gesellschaft n icht allein darauf an, den K ultu rn atio nen durch die Erinnerung an diesen ihnen allen gehörigen M ann das Gefühl der geistigen Gem einschaft zu stärken, sondern es galt auch, den Klassen und Völkern zum B ew ußt­

sein zu bringen, daß alle ihre Glieder, so verschieden ihre m ateriellen Interessen auch sein mögen, in erster Linie M e n s c h e n sind. A n­

gesichts des gegenwärtigen Krieges m uß indessen beto n t werden, daß die Gesellschaft den Gedanken internationaler Bindungen nie vertreten h a t, daß sie vielm ehr das Einigende u n ter den N ationen in der höheren Sphäre eines neuen Idealism us gesucht h a t. So wird sie auch ferner der B arbarei des Hasses, der aus der Menschen­

verachtung stam m t, den Geist des Comenius un d dam it zugleich den G e d a n k e n d e r M e n s c h l i c h k e i t entgegensetzen und die

„ E r z i e h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s “ auch w eiter für ihre vornehm ste Pflicht halten.

R. KOSERS GESCHICHTE DER BRANDENBURGISCH- PREUSSISCIiEN POLITIK

B esprechung von D r. W i l h . S t e f f e n s , Berlin-Halensee in — m an ist versucht zu sagen — tragisches Ge­

schick scheint über der Geschichtschreibung der aus­

w ärtigen Politik des brandenburgisch-preußischen S taates zu w alten. D em ersten, der sie auf G rund tiefgehender Forschung aus den A kten in breit aus­

ladender Schilderung darzustellen u nternahm , Jo h a n n G ustav

D roysen, entw and der Tod die F eder: in der M itte des 18. J a h r ­

h und erts b richt das 14 Bände um fassende, grundlegende W erk

ab. Ja h rz e h n te später, nachdem ein großer Teil jener A kten, die

D roysen in m ühevoller A rbeit e rst ausgraben, ordnen un d sich

dienstbar m achen m ußte, in trefflichen Ausgaben vorliegen,

Einzeluntersuchungen über vieles helles L icht verbreitet haben,

1915

Steffens, R. Kosers Geschichte der brandenburgisch-preufiischen Politik

9

(12)

1 0 Steffens Heft 1 ging Droysens Schüler, der Biograph Friedrichs des Großen, der G eneraldirektor der preußischen S taatsarchive, R e i n h o l d K o s e r . daran, von neuem diese Geschichte zu schreiben. In drei B änden sollte seine D arstellung von dem Anfang der A skanier bis zur E inm ündung der preußischen P olitik in die des D eutschen Reiches führen. Am 25. A ugust h a t auch ihn, der wie wenige zur Lösung dieser Aufgabe befähigt war, der Tod abberufen. N ur den ersten B an d „Die Geschichte der brandenburgischen P olitik bis zum W estfälischen F rieden“ h a t er uns schenken können1; und dieser B an d m acht uns den V erlust besonders fühlbar, denn er lä ß t e r ­ messen, was das G esam twerk uns geworden wäre. —

L. v. R anke h a t in seinen „Zwölf B üchern preußischer Ge­

schichte4* auch diesen Z eitabschnitt behandelt, u n d zw ar hier ebenfalls im wesentlichen die ausw ärtige Politik. E r wollte — im Gegensatz zu D roysen — n ich t die E inzelheiten d er politischen A bsichten un d Verwickelungen auf zeigen, sondern die lebendigen Elem ente in der Entw ickelung dieses Staates, das Zusam m en­

w irken des universal-historischen u n d des territorialen Elem entes.

So entw arf er ein großzügiges Gemälde von seinem äußeren W erden, das als eine Schöpfung seiner universalen Betrachtungsw eise im m er seine A nziehungskraft bew ahren wird.

A ber unsere K enntnis von den Einzelvorgängen wie von den Zusam m enhängen ist seitdem außerordentlich erw eitert worden.

Das F u n d am ent dazu h a t D roysen gelegt. E r begann sein W erk, als der E in heitstraum von 1848 zerronnen war, die R eaktion h e r­

einbrach u nd P reußen sich entschieden von deutscher P olitik ab- w andte. D a u n ternah m es Droysen, der begeisterte V orkäm pfer für D eutschlands Einigung u n ter Preußens V orherrschaft, zu zeigen, d aß diese Schwenkung einen Abfall von der Vergangenheit und dem W esen des S taates bedeute. E r wollte den deutschen Beruf Preußens in der Geschichte nachweisen. Dieser Gesichts­

p u n k t, die U ntersuchung, inwiew eit die H ohenzollem u n d ihre R atgeb er — nach seiner M einung — Reichspolitik getrieben oder sie, sei es unbew ußt oder bew ußt, vernachlässigt oder g ar be­

käm pft h ä tte n , w urde ihm zugleich das K riterium für die preußische Politik, die er n un aus den A kten in allen Einzelheiten in steter Beziehung zu den deutschen V erfassungskäm pfen zu schildern unternahm .

1 J. G. C ottasch e B u ch h an d lu n g. 12 M.

(13)

W enn Koser d aran ging, die A rbeit Droysens wieder auf zu - nehm en, so sta n d es bei ihm fest, daß er von vorn beginnen müsse.

D en Stempel jener längst abgelehnten Tendenz konnte u n d d u rfte seinW erk nich t tragen, u n d schon allein aus diesem Grunde konnte von einer Fortsetzung der Droysenschen A rbeit n icht die Rede sein. Koser stellte sich n u r die F rag en : „wie die F ü rsten unseres Staates und ihre B erater ihre Aufgabe jeweilig auf gef a ß t haben, ob die Stellung der Aufgabe den wechselnden Bedürfnissen ihrer allm ählich zu einer Staatspolitik ausreifenden H auspolitik e n t­

sprach. und ob die M ittel zur A usführung zweckmäßig gew ählt w urden“ (S. V II).

Auch darin unterscheidet sich seine D arstellung von der seines Vorgängers, daß er nicht die Politik in alle ihre verschlungenen Pfade u n d Irrwege verfolgt, sondern „ n u r die großen Richtlinien, die entscheidenden W endungen u n ter zusam m enfassender Gegen­

überstellung des E rstreb ten u n d E rreich ten “ heraushebt. Die V erw andtschaft m it der Anschauungsweise R ankes ist unverkenn­

bar. E r konnte diesen Weg um so unbedenklicher einschlagen, da, wie erw ähnt, das gewaltige M aterial zur K ontrolle gedruckt vorliegt. U nd er h a tte eben durch die V erfügung über diesen R oh ­ stoff den Vorteil, auch in gedrängter D arstellung viel reicher m alen zu können als Ranke.

So ist ein W erk entstanden, aus dem der F achm ann wie. der gebildete Laie gleich hohen Genuß u n d tiefe Belehrung schöpfen können. Ganz besonders gelungen erscheinen m ir einzelne Cha­

rak teristik en ; so, um n u r einige zu nennen, die des A lbrecht Achilles, Joachim s I. M it feiner K u n st weiß der Verfasser hier anschauliche Bilder vor uns erstehen zu lassen. Die Harm onie u n d K larheit, welche die D arstellung auszeichnen, w ar natürlich n u r möglich bei völliger H errsch aft über den Stoff.

Man könnte Bedenken tragen, ob es ratsam ist, eine Geschichte der ausw ärtigen P olitik B randenburg-Preußens für sich zu schreiben, losgelöst von der äußeren P olitik der anderen Staaten, losgelöst von der eigenen inneren. Koser h a t gezeigt, daß es mög­

lich ist, wenn m an n u r beides nicht aus dem Auge verliert. So h a t er an wichtigen Stellen auf die Vorgänge in der inneren Ge­

schichte hingewiesen, besonders da, wo sie bedeutsam en Einfluß auf die äußere gewannen oder diese auf sie herüber w irkte. So h a t er die P olitik B randenburg-Preußens eingespannt in den R ahm en der deutschen u n d europäischen. U m diese u n d ihre Be­

1915 R. Kosers Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik H

(14)

deutung für die preußische P olitik recht k lar h erv o rtreten zu lassen, h a t er zu dem M ittel gegriffen, jedem der vier B ücher seines W erkes „V orbem erkungen“ vorauszuschicken. Diese vier Bücher, welche die großen Perioden der Zeit bis 1648 bezeichnen, trag en die Ü berschriften: D er S ta at der A skanier und sein V er­

fall. — Die drei ersten Hohenzollern. — H undertjährige Friedens­

zeit. 1486—1591. — Im K am pfe um die A nw artschaften. 1591 bis 1648. Besonders lehrreich ist es, zu beobachten, wie der V er­

fasser die V erbindungslinien zwischen den einzelnen Phasen der P olitik zieht; k lar sieht m an da, wie Pläne von einem Geschlecht gehegt, m it Eifer verfolgt, von dem nächsten vielleicht schon fallen gelassen w erden; sp äter tauchen sie dann plötzlich wieder auf, u m womöglich wieder zu verschwinden, bis sie endlich — die nächsten B ände h ä tte n das sicher ganz besonders gezeigt — d urchgeführt werden. Ich nenne als ein Beispiel hier n u r die schon von den A skaniem verfolgte u n d in Zwischenräumen im m er wieder aufgenom mene baltische Politik. W enn Friedrich der Große geschrieben h a t, die Geschichte seines Hauses gewinne erst seit der Zeit des K u rfü rsten Jo h a n n Sigism und ein Interesse, so ist es Koser gelungen, den Königlichen Geschichtsschreiber bis zu einem gewissen G rade zu widerlegen. —

Im einzelnen werden die A nsichten m ancher Leser natürlich von denen Kosers ab weichen. D er eine wird hier, der andere d o rt einen P u n k t stä rk e r oder weniger betonen oder überh aupt einen neuen hervorheben wollen. Man kann sich z. B. fragen, w arum K oser die frühere Geschichte des Ordenslandes Preußen, die R anke sta rk herangezogen h a t, so g u t wie garnicht erw ähnt, dagegen die der fränkischen Lande in verhältnism äßig großem Umfange.

Die B edeutung des Ü b e rtritts Jo h a n n Sigismunds zum refor­

m ierten B ekenntnis scheint m ir der Verfasser doch zu gering be­

w ertet zu haben, wenn er sie n u r in der daraus notw endig sich ergebenden Toleranz sehen will. Sicher ist das ein sehr wichtiger G esichtspunkt, u n d u n te r Jo h a n n Sigismund u n d Georg W ilhelm, den schwachen Regenten, haben sich auch keine anderen W ir­

kungen gezeigt. A ber in den Ü b e rtritt von dem verknöcherten, flügellahm en L u th e rtu m jener Zeit zu den kräftigen, vorw ärts­

drängenden, kam pfesfrohen R eform ierten w urden, wie m ir scheint, doch Keim e gelegt, die sich u n ter dem starken, w esensverw andten Großen K urfü rsten sehr bedeutungsvoll und segensreich en t­

faltet haben.

12

Steffens, R. Kosers Geschichte der brandenburgisch-preußisehen Politik

Heft 1

(15)

1915 Scherer, Büchereifragen 13 Zum Schluß will ich n u r noch betonen, daß wir n atürlich auch m anche neuen Aufschlüsse erhalten, besonders für die erste H älfte des 17. Ja h rh u n d e rts, für die Koser die noch nicht veröffent­

lichten Protokolle u n d R elationen des Geheimen R ats aus dieser Zeit b en u tzt h a t. In neues, ungünstigeres L icht wird die viel um strittene G estalt Schwarzenbergs, des G ünstlings Georg W ilhelms, gerückt. Besonders haben dazu die M itteilungen bei­

getragen, die H ilteb ran d t aus den A kten des Archivs der K on­

gregation de propaganda fide zu Rom gem acht h a t1; sie beweisen, daß Schwarzenberg seinen H errn zum K atholizism us hinüber­

ziehen wollte und ihn zu diesem Zwecke „in die H ände zelotischer Bekehrer zu überan tw o rten “ sich n ich t scheute. Auch sonst er­

scheint die R echtlichkeit dieses Vorkäm pfers des Absolutismus n icht u n a n ta stb a r un d das M ißtrauen des Großen K urfürsten gegen Schwarzenberg som it sehr begründet. E in abschließendes G esam turteil zu fällen, leh n t Koser allerdings ab, d a Schwarzen­

bergs hinterlassene Papiere, die wichtige Aufschlüsse h ä tte n geben können, von seinen A nhängern vernichtet worden sind. —

So möge denn diese Besprechung schließen m it dem D ank an an den verewigten Verfasser für das, was er m it diesem u n d all seinen übrigen W erken für die historische W issenschaft g e ­ leistet h a t !2

B e r l i n - H a l e n s e e , am 15. Dezem ber 1914

BÜCHEREIFRAGEN

Von Dr. V a l e n t i n S c h e r e r

iter dem T itel „B üchereifragen, Aufsätze zur Bildungs­

aufgabe und O rganisation der m odernen B ücherei“

ist im Verlag der W eidm annschen B uchhandlung im vergangenen Sommer ein Buch erschienen, das v er­

d ient, w eit über die Grenzen, die ihm nach seinem T ite l gezogen scheinen, B eachtung zu finden. Von den sechs Auf­

sätzen des Büchleins scheiden für unsere eingehendere B etrachtung als m ehr dem rein bibliothekstechnischen Gebiet angehörig aus:

P . L a d e w ig -L ic h te rfe ld e „Z ur System atik der Ausleihe“ , der für den F achm ann ein reiches und g u t gruppiertes M aterial bietet,

1 H i l t e b r a n d t , P reu ß en u n d d ie R öm isch e K irche (1910). 2 V gl. den

N achruf in den M H . f. V . 1914, H e f t 4, S. 120.

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14 Scherer Heft 1 E. J a e s c h k e -D ü s s e ld o rf „Vom Büchereiwesen der M ittel- und K leinstad t sowie des D orfes“ , d er eine wichtige Hilfe für die so notwendige breite B odenständigkeit der V olksbüchereiarbeit ge­

w äh rt, und A. H e i d e n h a i n - B r e m e n „B üchereibetrieb und B üchereibeam te“ , der den Laien vortrefflich in den Aufgabenkreis der Volksbücherei einfüh rt und nam entlich denen zu em pfehlen ist, die die B ibliothekslaufbahn ergreifen wollen oder der Ver­

w altu n g von Volksbüchereien nahestehen.

Von den drei übrigen A rbeiten führt der A ufsatz von G. F r i t z - C harlottenburg über „O rganisationsfragen der m odernen B ücherei“

hinaus aus dem Spezialgebiet in die allgemeinen Fragen des Lebens.

An der H an d einer historischen B etrachtung u n d der seiner Zeit von P reusker 1839 veröffentlichten G rundgedanken über öffent­

liche B ibliotheken u n d die auf diese fruch tbaren Ideen gefolgte R eaktio n der vierziger un d fünfziger J a h re w endet sich der Ver­

fasser gegen die eng sozialpädagogische M ethode, die neuere

„R eform er“ wieder als die alleinseligmachende anpreisen. D enn die Bedürfnisse, die eine große öffentliche B ibliothek zu befriedigen h a t, sind zu m annigfach, um in dieser einen Aufgabe um schrieben zu werden. „E ine großstädtische allgemeine öffentliche Bücherei w ird ihre Aufgabe n u r in der Form einer großen Z entralbibliothek m it m öglichst zahlreichen, ih r angegliederten Zw eiganstalten (Quartierbibliotheken) erfüllen k önnen.“ Dabei wird jene diesen im m er übergeordnet sein müssen, und w ichtig bleibt die R ücksicht auf die jeweiligen V erhältnisse u n ter A ngliederung der v er­

schiedensten Zweige, wie Jugendbücherei, M usikbibliothek usw.

u n d besonders der Lesehalle, die eine notwendige Ergänzung bietet.

Freiheit un d Beweglichkeit in der Organisation, tüchtige D urch­

bildung der Beam ten, n ich t nu r des leitenden Bibliothekars, sind auch hier Bedingungen, die ein E rsta rre n un d rückläufige Be­

wegung verhindern werden. N ur so kann die Beziehung der m odernen Bücherhalle zu dem Leben selbst, dessen m annigfache Erscheinungen sie befördern und befruchten soll, wirklich gew ahrt bleiben.

W elch große B edeutung die m odernen B ücherhallen gerade in

Beziehung auf die Forderungen dieses Lebens selbst haben

un d wie eng sie m it dem Fühlen und W ollen unseres Volkes in

Zusam m enhang stehen, erkennen wir am deutlichsten aus den

beiden A ufsätzen von E. S u lz -E s s e n „ F o rtsc h ritt un d R eaktion

in der D eutschen Bücherhallenbew egung“ , un d E. A c k e r k n e c h t -

(17)

1915 Büchereifragen 15 S te ttin ,,Jug endlektüre u n d deutsche Bildungsideale“ . E in Feind jeglichen dogm atisierenden Schulm eistertum s, stellt S u lz der ein­

seitigen V ertretun g des Q ualitätsgesichtspunktes folgende L eit­

sätze gegenüber: „1. Die volkstüm lichen Bibliotheken sind ein Glied des s o z i a l e n O r g a n is m u s . Sie verdanken ihre wachsende Bedeutung einem im m er stä rk e r zum Lichte drängenden geistigen K ulturbedürfnis d er m enschlichen Gesellschaft. D am it ist ihnen die R ichtung gewiesen. Sie erfüllen ihren Zweck am besten, wenn sie dieses K u lturbedürfnis m ö g l i c h s t in a l l e n E r s c h e i n u n g s ­ f o r m e n befriedigen. D er W ertm aß stab für gute und schlechte L ite ratu r ergibt sich aus dieser natürlichen Zwecksetzung, er wird d a m it fü r jede einzelne B ibliothek in H insicht auf die von ihr zu versorgenden Gesellschaftsschichten bestim m t. 2. Die eigentliche T ätig keit des Bibliothekars b esteht darin, die nach oben strebenden K ulturbedürfnisse des einzelnen Lesers zu er­

kennen u nd zweckmäßig zu befriedigen. Es ist zweifelhaft, ob durch eine technisch noch so durchgebildete Ausleihepraxis E r­

ziehung, d. h. Erw eckung schlum m ernder geistiger Bedürfnisse oder ihre Erzeugung möglich is t.“

Im Gegensatz zu der deduktiven Methode der „neuen R ich tu n g “ , die m it der Form el des „guten Buches“ , im Sinn der L ite ra tu r­

p äpste nach einem ganz bestim m ten Schema arb eitet, em pfiehlt S u lz die indu ktiv e M ethode, die m it den Bedürfnissen des Volkes selbst in nächstem Zusam m enhang ste h t und aus ihnen heraus ih r U rteil für die B rauchbarkeit und N otw endigkeit eines Buches, d. h. aber fü r seine „ G ü te “ , seinen erzie­

herischen W ert, in der Volksbücherei gew innt. D abei erhalten die von der „neuen R ich tu n g “ so verpönten Rom ane einer Marli tt, H eim burg un d W erner, ebenso die Reiserom ane (nur die des Verlags Fehsenfeid) und Jugendschriften (S tu ttg arte r Unionvertag) K arl Mays und G erstäckers einen im m erhin relativen W ert, näm ­ lich den : „den organischen Zusam m enhang der Volksbibliothek m it dem Volk aller sozialen Schichten in seiner breiten Masse, nicht n u r in ein p a a r A ußenseitern, zu v erm itteln “ . M it schlagender Bew eiskraft u n d n ich t ohne scharfen Sarkasm us beweist S u lz den organischen Zusam m enhang dieser W erke gerade m it gewissen von der „neuen R ich tu n g “ durchaus gebilligten Entw ickelungs­

rom anen und D okum enten einer sterilen H eim atkunst, sowie m it

den doch n u r die H albbildung fördernden Reisebeschreibungen

und sogenannten volkstüm lichen philosophischen und naturw issen­

(18)

16 Scherer Heft 1 schaftlichen W erken. Als oberstes Gesetz für die Ausleihepraxis ste llt S u l z die Forderung auf, daß die beratende T ätigkeit des V olksbibliothekars sich stets auf genaue K enntnis des Buches selbst stütze u n d n ich t auf U rteile aus d ritte r H and. D ann mag es ihm gelingen, den sogenannten „Q ualitätsleser“ , der nach S u l z n u r 1. v. H . ausm acht, wirklich zu einem höheren literarischen U rteil u n d Geschmack hinaufzuführen. N icht aber für diesen Q ualitätsleser allein ist die Volksbücherei da, sondern für die zahl­

reichen „N orm alleser“ , die nach dem dogm atisch erzieherischen S ta n d p u n k t der „neuen R ich tu n g “ eigentlich völlig unberück­

sichtigt bleiben, in W ahrheit aber das H au p tk on ting ent stellen.

Dabei tre te n jedoch gerade jene eben angeführten W erke in den V ordergrund, und wenn auch eine Geschmacksbildung im Sinn des Hinauflesens hier n ich t erreicht werden kann, so wird dem Norm alleser doch eine ihm gemäße Befriedigung seines K u ltu r­

bedürfnisses geboten.

E. A c k e r k n e c h t führt uns tief hinein in das Seelenleben des K indes und gib t dabei ganz neue psychologische G esichtspunkte von zwingender Ü berzeugungskraft. „W orin unterscheidet sich die seelische H altu n g des K indes wesentlich von der des E r­

wachsenen 1 Doch unzw eifelhaft dadurch, daß im kindlichen Seelen­

leben die T r i e b e (un ter Trieb ist jeweils die Strebungsseite eines Gefühls zu verstehen) eine viel größere Rolle spielen als der Wille, ja daß sie rech t eigentlich die Sphäre des kindlichen Bewußtseins sind, innerhalb deren sich die ih r wesensfremde Sphäre des urteilenden und wollenden Geistes erst allm ählich e n tfalten .“

D abei spielt der beim norm alen K inde n u r la te n t vorhandene G eschlechtstrieb als seelischer F a k to r zunächst keine Rolle; das h e iß t aber, daß vor dem E in tre te n der P u b e rtä t die w urzelhaft ästhetische W ertung eines Buches durch das K ind ausgeschlossen ist. D aher entscheidet keineswegs, wie heute von m anchen in der Jug end lektü re auftretenden R ichtungen b e h au p tet wird, der k ü n s t l e r i s c h e W e r t einer Erzählung über ihren B i l d u n g s w e r t . D as H auptinteresse des Kinderpsychologen h a t sich vielm ehr in diesem Zusam m enhang den anderen „Trieben m it ausgesprochenem H ingebungscharakter, also m it wesentlich irrationaler F ärb u n g “ (Bew underungstrieb, V erehrungstrieb, Begeisterung, Liebe und den

„m oralischen T rieben“ ) zuzuwenden.

In der trie b h aft m oralischen Auffassung des Kindes sieht

A c k e r k n e c h t geradezu die Schrittm acherin des künstlerischen

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1915 Büchereifragen 17 Em pfindens. D am it s te h t er in schroffem Gegensatz zu den Jugend- schriftenreform ern, die die Pflege der rationalen Triebe sowie die unm ittelbare ästhetische Erziehung in den V ordergrund stellen.

E r sieht darin m it R ech t eine unheilvolle Ü berstürzung des Tempos der „R ationalisierung des m enschlichen Trieblebens“ und dam it eine Gefahr für unser deutsches Bildungswesen. D enn die Stärke unseres deutschen W esens liegt gerade in der B etonung des Irrationalen, das uns die schöpferische Fähigkeit des seelisch Be­

wegtwerdens gew ährt und sich in ihrer beispiellosen Fülle und Vielgestaltigkeit seelischer Erlebnism öglichkeiten m it dem W illen und dem In te lle k t g ep aart h a t un d n ich t diesen, wie eine neu­

zeitliche Forderung so gern m öchte, die V orherrschaft gönnt. N icht das von Am erika gekommene W ort „W issen ist M acht“ , sondern das viel tiefere „B ildung ist G lück“ , m uß der entscheidende L eit­

satz für unser K ulturleben sein und bleiben. Deshalb h a t gerade d er verantw ortliche Pfleger der Jugendlektüre darau f zu dringen, den irrationalen G efühlskräften des Kindes nach M öglichkeit e n t­

gegenzukommen, und hier bieten wieder, im Gegensatz zu den dogm atischen Forderungen der „neuen R ich tu n g “ und ihr ver­

w andten B estrebungen, die so viel geschm ähten früheren Erzähler, wie Chr. v. Schmid un d ähnliche, freilich in einer gründlichen B earbeitung, ebenso wie die A benteuerlektüre in richtiger Auswahl, eine reiche Fülle von N ahrung für das Gefühlsleben des Kindes.

Gerade jene schlagen die Brücke von dem gegen die anders geartete rationale Forderung m it allen M itteln für die K inderstube zu er­

haltenden M ärchen hinüber zu der realistischen bezw. ästhetisch zu w ertenden L ektüre der reiferen Jugend. U nd ebensowenig wollen wir geeignete B earbeitungen von W erken wie D on Quixote oder H om er für die K inderstube verm issen, da ihr G ehalt an großen und spannenden Ereignissen dem K ind nicht vorenthalten bleiben darf, w ährend es für die dem Erw achsenen wesentliche künstlerische F orm aus den angeführten G ründen noch kein Ver­

ständnis haben kann. Von einem V erderben des Geschmackes kann dabei keine Rede sein, un d m it R echt weist A c k e r k n e c h t darauf hin, daß auch die besten Geister in ihrer Jug en d m it großem Genuß jene W erke gelesen haben, die von der „neuen R ich tun g“

so h a rt v e ru rteilt werden. B edeu tet doch die L ektüre bei der weiteren Entw ickelung zum reifen Menschen nicht ein Hinauf-, sondern ein H inauslesen aus einem Stoff in den anderen. W ir müssen es uns versagen, auf alle Einzelheiten näher einzugehen

2 Monatshefte der C. G. fttr Y olkieraiehung 1916

(20)

und wollen n u r noch erw ähnen, daß A c k e r k n e c h t neben der E igenlektüre des K indes, besonders auch das Vorlesen und als Gregengewicht gegen die Vielleserei Spiele, körperliche B etätigung u n d M usik eindringlich em pfiehlt.

DER ZENTRALAUSSCHÜSS

FÜR VOLKS- UND JUGENDSPIELE IN DEUTSCHLAND

or kurzem tagte in Berlin der Vorstand des Zentral­

ausschusses, um über seine Aufgaben in dieser kriegerischen Zeit zu beraten, obwohl einige der Mitglieder durch militärischen Dienst am Erscheinen verhindert waren.

Es waren anwesend der Vorsitzende, Abgeordneter Dr. v o n S c h e n c k e n d o r f f , der Geschäftsführer Prof. Dr. K o h l ­ r a u s c h , Geheimer Regierungsrat Landrat Dr. H a g e n und S tad t­

schulrat Dr. S i c k in g er . Der verwundete Schatzmeister, Oberbürger­

meister D o m i n i c u s , war durch Stadtsekretär L a s t vertreten.

D e r V e r e in Z e n tr a la u s sc h u ß h a t s ic h im le t z t e n J a h r e g ü n s t ig e n t ­ w ic k e lt u n d is t g e w a c h s e n a n Z a h l d e r G e m e in d e n , V e r e in e ; F ö r d e r e r u n d M itg lied er. E in v o n d e m S ta d ts e k r e tä r L a s t v o r g e le g te r V o r ­ a n s c h la g fü r 1 9 1 5 /1 6 w u rd e g e n e h m ig t.

Den Hauptanteil der Besprechung bildete die Beratung über die Einführung eines verbindlichen Spielnachmittags in Verbindung m it der durch den Erlaß der drei Minister geforderten militärischen Jugend­

erziehung. Die Aufgaben des seit Jahren vom Zentralausschuß für alle Schulen geforderten verbindlichen Spielnachmittags, dessen Forderung er bei seinem letzten Kongreß in Altona wieder begründete, sind ähnlich wie die der militärischen Vorbildung der Jugend. Auch durch Spiele, Märsche, Schwimmen und sonstige Leibesübungen in freier Luft sollen die Schüler kräftig, gewandt, mutig und zu tüchtigen mannhaften Persönlichkeiten entwickelt werden zur allgemeinen Hebung der Ge­

sundheit und Wehrfähigkeit unseres Volkes. Zur Vornahme solcher Übungen ist neben den regelmäßigen verbindlichen Turnstunden mindestens ein Wochenachmittag freizugeben. An dieser Forderung hält der Zentralausschuß jetzt um so mehr fest, als er darin den G r u n d ­ s t e i n aller militärischen Vorbereitung sieht. Diese ist daher mit dem verbindlichen Spielnachmittag organisch zu verbinden.

Der Zentralausschuß für Volks- und Jugendspiele hatte im Verein mit der Zentralstelle für Volkswohlfahrt eine Erhebung zur Spiel­

platz-Statistik in neun Städten (Barmen, Bonn, Dresden, Hamborn, Heilbronn, Königsberg i. Pr., Mannheim, Neumünster, Wiesbaden) ver­

anstaltet. Diese Erhebung ist, wie Herr Dr. C h r i s t i a n von der

18 Der Zentralausschuß für Volks- u. Jugendspiele in Deutschland Heft 1

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1915 Zar Soziologie des Kino 19 Zentralstelle für Volkswohlfahrt berichtet, gut verlaufen, und die Frage­

bogen können nach den Erfahrungen dieser Probestatistik versandt werden, doch will man hierzu den E in tritt ruhigerer Zeiten ab warten.

Ob im Jahre 1915 ein Kongreß, wie er für Karlsruhe geplant war, wird stattfinden können, erscheint zweifelhaft. Da diese Stadt aber ihre Jubiläumsfeier und die Einweihung eines neuen großen Spielplatzes bis zum Jahre 1916 verschoben hat, so wird voraussichtlich auch der Kongreß des Zentralausschusses um ein Ja h r verschoben und dann in Karlsruhe abgehalten werden. Lassen die Kriegsverhältnisse es zu, so wird für 1915 die Abhaltung einer Hauptversammlung, etwa im Osten oder in der Mitte Deutschlands, in nähere Erwägung genommen werden.

Spielkurse sollen im Jahre 1915 wie seither abgehalten werden, und die Spielkursleiter sind dazu aufgefordert.

Das Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele wird in etwas gekürzter Form als K r i e g s j a h r b u c h 1915 zum halben bisherigen Preise er­

scheinen.

Der Zentralausschuß plant die Bildung von Provinzial- und Landes­

verbänden. Doch muß dieses in der Kriegszeit vorläufig zurückgestellt, soll aber zunächst in geringerem Umfange vorbereitet werden.

ZUR SOZIOLOGIE DES KINO

ST Kino ist nicht n u r das t y p i s c h e P rodukt, sondern Xj jL /^ r k y i auch das n o t w e n d i g e P ro d u k t unserer Zeit. W as

m 1 ^eute T heater, K onzert un d sonstige höhere Vergnü- /I K tS r A S™ «“ 1 111 °k t haben: Sensation und spannende H and- eL-SEE^deB lung, die die aufgepeitschten N erven des modernen Menschen in ständiger V ibration erhalten, das bietet der Kino.

Dagegen verlangen jene im Gegensatz zum Kino noch besondere K onzentration, die dem geistig nich t Regsamen nicht Erholung gibt. Insofern füllt also der Kino eine Lücke aus, die vom Volke wahrscheinlich schwer em pfunden werden würde.

Diese Zusam m enhänge sind je tz t zum ersten Mal wissenschaftlich un tersu cht worden von E m i l i e A l t e n l o h , einer jungen Soziologin der Alfred W eberschen Schule, in einem Buch über die Soziologie des K ino1. Die Verfasserin des Buches h ü te t sich auf das peinlichste vor jeder Ü bertreibung, was m an umso m ehr anerkennen muß, als heute der K am pf gegen den Kino oft gerade m it den m aßlosesten

1 E m i l i e A l t e n l o h , Zur S oziologie d es K in o, Jena, D iederichs.

P reis geb. M 3,50, brosch. M 2,50.

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2 0 Soziale Zukunftsaufgaben Heft 1 Ü bertreibungen geführt wird. Ganz v erkehrt! Dieses Buch, das fast nüchtern, aber doch auch infolge seines In h alts fast spannend, die Z ustände schildert u n d die Schlüsse daraus zu ziehen dem Leser oder einer späteren Zeit überläßt, kann viel eher etwas in diesem K am pf bedeuten, als die üblichen Produkte. Es wird vor allem — un d d arin sehe ich die schönste F ru c h t dieser A rbeit — diejenigen, die im Kino ein pädagogisches M ittel sahen, vor einer solchen Ü ber­

schätzung zurückschrecken. Zwar ü b t der Kino auf die un ­ bem ittelte Bevölkerung, besonders die Jugend, eine sehr große A nziehungskraft aus, aber dies viel weniger wegen seiner Billigkeit und bequemen E rreichbarkeit, als wegen seiner antipädagogischen Eigenschaften. Es m uß uns doch aufm erken lassen, daß nerven- aufreizende Stücke, seien sie erotischen oder verbrecherischen In ­ halts, nich t n u r am m eisten angeboten, sondern auch am m eisten begehrt werden, daß dagegen N aturaufnahm en fast stets abgelehnt werden. Vielmehr bleiben diejenigen, die über derartige Geschmack­

losigkeiten, wie sie der Kino h eutzutage bietet, hinaus sind, dem Kino ü b erhaup t fern, auch wo ästhetisch Beachtensw ertes geboten wird. Man gew innt daher die Überzeugung, daß der Kino n u r dadurch bekäm pft werden kann, daß m an die kulturelle Bildung seines Publikum s hebt. N ur sie k an n ja eine sam m elnde W irkung auf den Menschen ausüben gegenüber den zerstreuenden Tendenzen unserer Zeit. Alle K ultivierung des K ino hingegen kann n u r für einen Ü bergangszustand Geltung haben.

SOZIALE ZUKUNFTSAUFGABEN

V o r t r a g s a b e n d der C. G., abgehalten in Berlin am 8. Februar 1915

einer Anwesenheit von nahezu 400 Personen — zum größeren Teil Studenten und Studentinnen — fand am

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Montag den 8. Februar in der Universität ein öffentlicher [ Vortragsabend der Comenius-Gesellschaft unter dem Ge­

samtthema Soziale Zukunftsaufgaben statt. An Stelle des gesundheitlich behinderten Vorsitzenden hatte Herr Professor Dr.

W o l f s t i e g die Leitung des Abends übernommen. Den ersten Vor­

trag hielt Fräulein Dr. G e r t r u d B ä u m e r über das Thema: ,,Die Einheitlichkeit unseres Volkes, ein Kriegsgewinn — eine Friedensauf­

gabe.“ Wie man von einer vormärzlichen Zeit spreche, um eine

bestimmte Periode des vorigen Jahrhunderts zu bezeichnen, so sollte

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1915 Soziale Zukunftsaafgaben 21 man nunmehr von einer voraugustlichen Zeit und Stimmung reden.

Die Vortragende suchte sodann zu zeigen, w ie alle Einheitsbewegungen v o r dem Kriege zu schwach gewesen wären, etwas auszurichten, ja wie der Krieg selbst hier das Richteramt übernommen hätte, und p r a k t i s c h Hoffnungen beseitigt hätte, die theoretisch nicht hätten widerlegt werden können; so die der internationalen Klassen Verbrü­

derung. Sie machte schließlich auch auf die Gefahren aufmerksam, die in der jetzigen Zeit lägen, indem das Stimmungmäßige allzusehr überschätzt werden könnte und empfahl als heilsame geistige Diät hiergegen, in bestimmten, wenn auch kleinen praktischen Taten dem neuen Geist der Einigkeit immer wieder Bestätigung und Dauer zu geben. Dann erst wird die Zukunft wirkliche Werte aus der augen­

blicklichen Stimmung ziehen können. Sodann sprach der Geschäfts­

führer der Comenius-Gesellschaft E r n s t J o e l über „religiös-soziale Zukunftsaufgaben“. Auf bauend auf den beiden großen Sozialisten Platon und Fichte führte er etwa folgendes aus: Die neue Volksein­

heit ist nicht an sich selbst gewachsen, sondern am Völkerzwiespalt, Geltung und Dauer kann dagegen nur eine aus dem G e i s t gewordene Einheit haben. Er versuchte sodann, innerhalb der bestehenden sozialen Bewegung das religiöse Element aufzudecken und zu werten und stellte fest, daß nur ein Sozialismus, der nach der Verwirklichung seiner w i r t s c h a f t l i c h e n Forderungen zur g e i s t i g e n Sozialisierung fort- schreite, Bedeutung für den Lebenszweck haben kann, der darin be­

steht, das Geistige bewußt zu machen. So käme auf die Befreiung des Geistigen im Körperlichen alles an, und Volk, Staat, Klassen­

kampf und Sozialismus sind Formen, die sich der Geist zu seiner Selbstbefreiung geschaffen habe. Der Sinn aller S i c h t b a r k e i t e n aber liegt beschlossen in dem W ort: ,,Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ Diese Bewußtwerdung des Geistes, dieses G o ttese rle b n is führt zur Befreiung der inneren Spannung und zum G ottesd ien st, zur Tat. Es g i b t eine soziale Bewegung der A r b e i t e r , es muß g e s c h a f f e n werden eine soziale Bewegung des Geistes aus der Gesinnung der Jugend heraus. Der Klassenkampf dieser Jugend wird ein Kampf g e ge n die Klassen sein, denn er ist die Sehnsucht nach dem Menschen und dem Menschentum schlechthin. Das auf Anregung der C. G. in Charlottenburg geschaffene S i e d l u n g s h e i m soll eine Stätte sein, in welcher dieser religiös-soziale Wille lebendigen Ausdruck findet, eine Stätte, in der Menschen losgelöst von ihrer Klassen­

gebundenheit sich finden, die ihr höchstes Recht zur höchsten Pflicht erweitern: Mensch zu sein. Beide Vorträge wurden beifällig auf­

genommen.

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22 Heft 1

RUNDSCHAU

F iter der L eitu n g der G em ahlin d es K riegsm inisters, F rau W i l d v o n H o h e n b o r n , u n d d es M inisterialdirektors B r ü m m e r fand im L an d w irtsch aftsm in isteriu m ein e B esprechung über d ie F rage s ta tt, w ie n eben den V ertretern der L auben k olon isten -V erein igu n gen und neben anderen sach k u n d igen B e te ilig te n freiw illige H elferinnen zur H e b u n g d e s G e m ü s e b a u e s in u n d u m G r o ß - B e r l i n gew onnen w erden k ön n en . A n d en V erhandlungen nahm en außer anderen D a m en d ie Ober- h ofm eisterin der K aiserin Gräfin v o n B rockdorff, d ie H o fsta a tsd a m e F räu lein v o n Gersdorff u n d d ie G em ahlin d es verstorbenen S taatsm in isters v o n B ö ttic h e r teil. A llgem ein e Ü b erein stim m u n g h errschte darüber, daß in der gegen w ärtigen K riegszeit alles a lte G artenland u nd alles v erw ert­

bare B au gelän d e so vollk om m en u n d einw andfrei w ie irgendm öglich zu m A n b a u v o n G em üse, insbesondere F rühgem üse, a u sg en u tzt w erden m uß.

D ie se s Ziel w ird nur dann ganz erreicht w erden k önnen, w enn genügend H ilfsk rä fte gew onnen w erden, d ie den G em üselandpächtern — L au b en - K olonisten — m it R a t u n d T a t zur H a n d gehen, d ie also B elehrungen über den G em üseanbau erteilen u n d zu gleicher Z eit d ie leich teren A rbeiten da selb st ausführen, w o es an A rbeitskräften feh len so llte. G eeignete H elferinnen w erden h o ffen tlich au s der Zahl der D a m en zu gew innen sein, d ie sich für Z w ecke d es R o te n K reu zes zur V erfügung g estellt, d ort aber bisher V erw en d u n g n ic h t gefu n d en hab en . A ußerdem w erden zw eifellos andere, im G artenbau erfahrene D a m en gern b ereit sein, an d em W erke der a u s­

reichenden E rnährung d es V olk es m itzu arb eiten . D ie H elferinnen sollen v o r B eg in n ihrer T ä tig k eit ein e kurze k osten lose U n terw eisu n g u. a. in d er K ön iglich en G ärtnerlehranstalt in D a h lem erhalten. D ie V eran staltu n g d er U n terrich tsk u rse ist in d ie H ä n d e der G enossenschaft zur la n d w irt­

sch a ftlich en V erw ertung v o n B au gelän d e in B erlin geleg t w orden, d ie m it der E rfü llu n g dieser A u fgab e einen Sonderausschuß un ter d em N am en

„K riegsau ssch u ß für G em ü seb au “ b etra u t h at. Seine G esch äfte w ird der D irek tor der G enossenschaft, R egieru n gsrat H o e p k e r , B erlin, L in d en ­ straß e 28, führen.

Z w e i n e u e J u g e n d - Z e i t s c h r i f t e n . K urz vor u n d n ach der J a h res­

w en d e erschienen zw ei n eue Z eitschriften für die J u g en d , d ie gerade je t z t zur A ufrech terh altu n g d es Z usam m enhanges zw ischen F eld u nd H e im a t w ich tig sein k ön n en : „ F r e i d e u t s c h e J u g e n d “ , eine M on atssch rift im V erlage v o n A dolf S aal, H am b u rg 23, h erausgegeben v o n der H am burger F reid eu tsch en Ju gen d , u n d „ V o r t r u p p - J u g e n d “ , m o n a tlich e B eilage zu m „V ortru p p “ , herausgegeben v o n H a n s P aasch e. Ü ber A rt u nd W ert beider Z eitschriften lä ß t sich vorläu fig n och n ich ts B estim m tes sagen.

M erkw ürdig ist, daß in b eid en Z eitschriften die Ju gen d s e l b s t w eniger als ihre F reunde zu W ort zu k om m en scheinen.

D e r G r o ß b e r l i n e r K a l e n d e r f ü r 1 9 1 5 is t d en gegen w ärtigen E r ­

eign issen besonders an g ep a ß t und b rin gt eine F ü lle hübscher u n d g e ­

fälliger B eiträge u n d B ilder. D ie Freunde der B erliner G eschichte m öch ten

Cytaty

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