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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Volkserziehung, Februar 1918, 26. Band, Heft 1

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-M0NÄCS5CHRIFTEN DER i COMENI US"GE5ELLSCHAFT

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i Herausgegebenvon Ferd.Jak.Schinidt i Neue Folge der Monatshefte derCQ.

; Der ganzen Reihe 26. Band.

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Im B ach h an d el und b ei d er P ost beträgt d er Preis für d ie M onatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die M onatshefte d er C. G. für K ultur an d G eistes­

leb en (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die M onatshefte der C. G. für V olkserziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

E inzeln e H efte d er MH f. K!? u. G. k osten M. 2,50, einzeln e Hefte d er MH f. V. M. 1,50.

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Inhalt

Schütz, Roland, Dr., Das W esen wahrer Bücking. . 1

Müller, W ilhelm , Prof., Das parlamentarische System . 5

Manz, J. B ., Die Notlüge . . . 7

Neumann, Otto Philipp, Altlogen und Reformlogen . . . . 11

E llissen, O. A., Vom Bücherlesen und -leihen . . 13

Rundschau 14

D ie n e u e n B e s tre b u n g e n u n s e r e r V o lk s b ib lio th e k a re . — D e r K a m p f fe g e n d e n S c h u n d in d e r L ite ra tu r.

— K & hnem ann in sein e m B a c h e A ber H e rd e r. — K a rl M ärtel l, d e r M itte ls m a n n z w isc h e n d e r a n tik e n u n d m o d e rn e n g o tisc h e n B a u k u n s t

Literatur-Berichte

(Beiblatt)

S eite H e a k e l, V ic to r, D as K in d u n d se in e E rz ie h u n g 1*

S c h m le tf-K o w a ra lk , W a l t e r , D ie G e sa m tw isse n ­ s c h a lt Tom D e u tsc h tu m u n d ih r e O rg a n i­

s a tio n , e in S e h n s n c h ts ru f d r e ie r J a h r h u n d e r te 2*

F is c h e r , O s k a r , D e r U rs p r u n g d e s Ju d e n tu m « im L ic h te a lttc s ta m e n tiic h e r Z a h le n sy m b o 11k 3*

S eite t t a s e e , K a rl P a a l , G e sc h ic h tlic h e B e tra c h tu n g e n

ü b e r R e fo rm a tio n u n d W eltk rie g . . . 3*

W i tte , F r itz , K rieg sb rief« ein es d e u tsc h e * Stu­

d e n te n ...4*

Aumeldungen zur C.G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n - G r ü n e w a l d . Hohcnzollemdamm 55; dorthin sind auch die Rezensionsexemplare and Manuskripte einznsenden. — Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

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MONATSHEFTE

DER COM EN IU S~G E S E LLSCH AFT F Ü R V O L K S -,J & k E R Z IE H U N G

S C H R IF T L E IT U N G :'^^B§^HOHENZOLLERNDAMM 55 FER D - JA K - S C H M I D T ^ y ^ B E R L lN - G R U N E W A L D

VERLAG EUGEN DIEDERICHS IN JE N A

N. F. Band 10 Februar 1918 H eft 1

D ie M onatshefte der C. G. für V olkserziehung erscheinen Mitte Februar, April, Juni, Oktober nnd D ezem ber. D ie M itglieder erhalten d ie B lätter gegen ihre Jahres­

beiträge. B ezugspreis im B uchhandel und b ei der Post M. 4. E inzelne H efte M. 1,50.

Nachdruck ohne Erlaubnis untersagt.

DAS WESEN WAHRER BILDUNG

(Im Anschluß an Comenius) Von Lic. Dr. R o l a n d S c h ü tz - K ie l

aß ein Mensch gebildet sei, setzt voraus, daß er ein gewisses Maß von Wissen besitzt. Daher herrscht allgemein die Vorstellung, daß Bildung identisch ist m it gelerntem Wissen. Nur diejenigen, die es sich angeeignet haben, werden zu höheren Berufen zugelassen, und wer zu ihnen gehört, wird ohne A nstand zu den Gebildeten Diese Meinung ist aber nur zum Teil gerechtfertigt. Zwar gibt es ohne Kenntnisse keine Bildung, aber die Kenntnisse allein m achen einen Menschen nicht gebildet: Da ist ein Mensch, der zu den Besitzenden gehört, die höhere Schule besucht h a t und eine fremde Sprache spricht. Vor der öffentlichen Meinung gilt er als Gebildeter, und doch erweist er sich bei näherem Verkehr als roher, ungeschlachter Em porkömmling, dem die echte, bodenständige Bildung vom E lternhaus her unbekannt ist; ihm geht K inderstube und Gemütsbildung ab. das Angelernte ist nur wie ein Titel aufgeklebt; m it einem W ort, wir meiden ihn als Ungebildeten.

Die Merkmale, die von jenem Menschen ausgesagt werden, erweisen sich also vor genauerer Prüfung nicht als das, was sie für das U rteil der Menge sind, als Zeichen der Bildung. W as aber erhebt denn den gebildeten Menschen über andere, was ist dasjenige, was ihm K raft, Vorrang, Überlegenheit über weniger Gebildete verleiht und Sicherheit zu sich selbst ? W ir wollen fragen, worauf das eigentlich beruht, was das W esentliche daran ist. C o m e n iu s gibt auf diese Frage eine doppelte A ntw ort:

gerechnet.

1 M o n atsh eft« d e r C .6 . f ü r V o lk s e rz ie h u n jj 1918

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2. Roland Schütg Heft 1 1. D a s G e s a m tz i e l d e r m e n s c h l i c h e n B i ld u n g i s t , . v e r e d e l t e

M e n s c h l i c h k e i t “ (nach Didactica M agna und Schola ludus).

2. Es kommt darauf an, w o z u d e r M e n s c h a ls „ b i l d u n g s f ä h i g e s W e s e n “ (Didactica Magna V I) i m s t a n d e ist-

Beides zusammengenommen gibt die wesentlichen Merkmale der Bildung an.

1 . Nach einem Bilde des C o m e n iu s ist die Bildung für den Menschen d as­

jenige, was die Veredelung für den O bstbaum ist (Did. Magna V II). Ein u n ­ gebildeter Mensch wäre also ein unveredelter Obstbaum . In der T a t suchen wir die Grundlagen der Bildung im C h a r a k t e r . Da müssen von K in d an die Spuren eingegraben sein, wie das Grundwort %agarra* besagt. D ann kann der Mensch aus dem In n ern heraus gebildet werden, die wahre moralische und Herzensbildung ist nur von da aus möglich. Aus der K inderstube her stam m t der A n s t a n d , der hinterher nicht aufgepfropft werden kann. Daß U n­

bescheidenheit und Lärm en z. B. Zeichen von fehlender Bildung sind, kann m an dem nicht m ehr klar machen, dem diese Dinge von vornherein abgehen.

Daß m an Türen leise zuzumachen pflegt, ist dem Ungebildeten frem d, dem Gebildeten selbstverständlich. — E in Spiegel seiner inneren Veredlung ist daH Äußere des Menschen; Schmutz an K örper und Kleidung wird er nicht dulden oder doch richtig beurteilen. Daß den Arbeiter sein K ittel nicht schändet, ist ohne Zweifel, aber das Äußere m uß auch u nter diesem G esichtspunkt stehen.

D ann k a n n m an bisweilen einen Menschen nach seinen Fingernägeln beurteilen, ob er gebildet ist oder nicht.

Alle Ä u ß e r u n g in G e b ä r d e u n d S p r a c h e lä ß t m it einiger Sicherheit den Gebildeten erkennen, weil sie ein natürlicher Ausfluß von Bildung ist. Gesichts- ausdruck und Blick, Minenspiel un d Beherrschung des Körpers sind K en n ­ zeichen des Charakters und hängen von dem Grad seiner Bildung ab. Der Schluß ist freilich indirekt, aber oft zw ingend; es gibt H aar- u n d B arttrachten, die dem Gesicht einen Ausdruck verleihen, wie ih n wirklich nur Ungebildete zur Schau tragen können. Selbst Schritte verraten, wie der feine Tastsinn H e le n K e l l e r s bezeugt, oft ,,bis zu einem gewissen Grade C harakter und Stimm ung des Gehenden“ . Ganz besonders aber gibt d ie S p r a c h e , dieses unm ittelbarste Ausdrucksm ittel des Innenlebens, einen brauchbaren M aßstab des Urteils an die H and. Sie ist, wie Comenius sagt (Did. Magna X X II), ein W erkzeug, um Bildung zu gewinnen und an andere m itzuteilen. Daher wächst der Sprache K ra ft und W esen m it dem Maß der Bildung, der sie dient. Die Zunge regiert den Menschen wie ein Steuerruder das Schiff. (Vergl. Jacobus 3 ,4 —6.) E s ist durchaus nicht zufällig, welche W orte m an wählt und wie m an sie setzt in Rede und Schrift. Das Organ ist nicht allein N aturgabe, sondern auch P rodukt ästhetischer Ausbildung, die immer neu auf d en C harakter zurückwirkt und auf die Umgebung einen erhebenden Einfluß ausübt. Auch d e r T o n d e r S p r a c h e , der m eistens u nterschätzt wird, kann ein feines M ittel sein, veredelte Menschlichkeit zu äußern und zu übertragen: Der die W orte begleitende Gefühlston liegt noch tiefer und innerlicher als die Sprache; spiegelt diese das Innere der Persönlichkeit wieder wie ein Spiegel das Äußere, so gibt der Sprachton die C harakter- und gegenwärtige innere W esensstimmung des wahr-

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1918 Das Wesen der wahren Bildung 3N haft seelisch gebildeten Menschen wieder. E in angeschlagener Ton kann im Hörenden wiedererzeugt werden und in dessen Seele gleiche Töne m itklingen lassen. Die Stimmung kann so genau und vielleicht —- wenn der Hörer ebenso seelisch durchgebildet ist — m it derselben N otw endigksit wieder klingen, wie eine S tim m ­ gabel m it der gleichgestim m ten m itklingt. Die W orte aber sind durchaus nich t unabhängig von dem jeweils angeschlagenen Ton, sondern sicherlich ü b t dieser einen notwendigen, gesetzmäßigen Einfluß auf den Verlauf der Gedanken und W orte aus. — Wer seine S p r a c h s ti m m u n g vernachlässigt und schlecht regiert, lä ß t den feinfühlenden Mitmenschen den disharm onischen K lang seiner Seelen^- S t im m u n g heraushören. — Dem Gebildeten ziemt es, seine Seele in die Spraehe zu legen, daher h a t er eine M o ra l in d e r S p r a e h e zu erfüllen, eine S i t t l i c h ­ k e i t d e s D e n k e n s zu üben. Man soll nicht anders reden, als m an denkt und um gekehrt; es besteht eine sittliche Verpflichtung zu dieser E inheit von W ort un d G edanke; auf ihr beruht der wechselseitige Verkehr u n ter den Menschen, ihr V ertrauen zueinander, das für jenen Voraussetzung ist. (Schleiermacher.) So schöpft denn wahre Bildung aus der Sprache ihre N ahrung immer neu wie aus frischem Quell, teilt durch sie ihr Wesen und ihre K ra ft m it un d w irk t m it ihr bereichernd und befreiend auf denjenigen zurück, dem sie zum in te ­ grierenden B estandteil seines C harakters geworden ist. J e mechanischer das Bildungsm ittel, die Sprache, um so befangener und unfreier der Mensch; m it der Lebenswärme und F r e i h e i t d e r R e d e wächst die F r e i h e i t d e r P e r ­ s ö n l i c h k e i t . Voll P ie tä t schirm t der Gebildete seine Sprache als Palladium der W ahrheit und h ält sie heilig als eine H auptw urzel seines sittlichen Wesens.

2 . W ahre Menschenbildung besteht nach C o m e n iu s nicht in Vielwisserei, sondern in U r t e i l s - u n d B i l d u n g s f ä h i g k e i t . Die Schule soll umfassende Bildung von allem gewähren, d. h. den Schüler m it den Dingen der W elt so w eit bekann t machen, daß er fähig wird, überall sein bescheidenes U r t e i l a b - g e b e n zu können. Wir brauchen n ur diese Forderung des Comenius auf die Schule des Lebens zu übertragen, so ergibt sich das Wesen der Bildung von dieser Seite. E s liegt ein großer R eichtum und eine ungemeine F ruchtbarkeit darin. Der Blick soll weit, das U rteil frei und selbständig sein. Der Gebildete muß im Besitz von Fähigkeiten sein, die er vor anderen voraus hat, ohne daß m an genau festlegen könnte, es sei diese oder jene. Bei gegebenen Gelegen­

heiten muß er ein U rteil haben und sich zu dem fähig erweisen, was da erfordert wird. Ob das eine schwierige Lebenslage ist, eine Entscheidung praktischer oder theoretischer Art, ob es eine neue N achricht, ein K unstw erk ist, das sein U rteil erheischt, ob ein R ätsel aufgegeben, oder ein Vers zu „dichten“ verlangt wird, — überall muß er sich durch Einfühlen und Zurechtfinden als gebildet erweisen; er braucht weder K unstkritiker noch K ünstler oder Gelehrter dazu zu sein, aber er m uß sein U rteil wagen können, er muß das haben, was die A u f k l ä r u n g des 18. Jah rh u n d erts nach dem Vorgang S p in o z a s zum G rund­

satz des Lebens erhob: „Sapere a n d e !“ — K a n t sagte einmal, der Philosoph, der aufgefordert würde, seine Philosophie zu zeigen, könnte aufs Geratewohl n ich t herbeibringen, was er weiß; legt m an ihm dagegen Probleme vor und setzt ihn vor bestim m te Fragen, so wird er seine F ähigkeit beweisen, indem er philosophiert. Das Gleiche ist es m it der Bildung. Man kann sie nicht vor­

1*

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4 Roland Schütz, Das Wesen der 'wahren Bildung H eit l zeigen, wie m an eine Scheidemünze aus der Tasche zieht, aber m an kann sie nutzen wie ein K ap ital, dessen Zinsen bereit liegen sollen, wenn m an ihrer bedarf. E s ist dasjenige, was H e r d e r in ein anderes treffendes Bild fa ß t: „.Ist das Messer gew etzt, so kann m an allerlei dam it schneiden“ .

Diese B i l d u n g s m ö g l i c h k e i t ist wertvoller als ein S t ü c k a b g e s c h l o s s e n e r B i ld u n g auf einem Einzelgebiet. Sie h a t den ganzen Menschen im Auge.

C o m e n iu s hob sie gern hervor. E r stim m te freudig der Definition eines U nbekannten zu, daß d e r M e n s c h e i n b i l d u n g s f ä h i g e s W e s e n ist. (D id . Magna VI.) E r faß t diese formale B ildung als Ziel der Jugendbildung durch d ie Schulen dahin zusammen, „daß d as vernünftige Wesen, der Mensch, eich gewöhne, nicht durch frem den, sondern durch eigenen V erstand sich leiten zu lassen, nioht n ur frem de A nsichten über d ie Dinge in B üchern zu lesen u n d zu erkennen, auch im Gedächtnis zu behalten u n d herzusagen, sondern selbst zu d en W urzeln der D in g e Torzudringen u n d ihren wirklichen Sinn u n d Gebrauoh sich anzueignen“ , (c. 1. X U .)

W er solche Bildung erstrebt un d sich den Weg aneignet, m uß jede Gelegenheit zur Orientierung, zum W eiterlernen benutzen. Fragen nach A rt der K inder sind ihm nicht Zeichen entehrender Neugier, sondern ein natürliches M ittel, zur Erw eiterung def K enntnis, zum unbefangenen Urteil, zur F reiheit u n d W ahrheit hindurchzudringen.

Die vom Irrtu m zur W ahrheit reisen, Das sind die Weisen.

Die im Irrtu m beharren, Das sind die Narren.

So wird der w ahrhaft Gebildete a u f n a h m e f ä h i g sein für das Schöne der K ünste, für die K u lturgüter der Menschheit, für die W eisheit und Sittlichkeit, für den r e l i g i ö s e n S in n . N icht m it U nrecht legt Comenius einen besonderen Tön auf das letzte. (Did. Magna X X IV .) Denn wem die W erte der Phantasie und des Gemüts, der Sinn für Religion abgehen, der h a t doch nur auf halbe Bildung Anspruch, und mag er noch so hoch intellektuell entw ickelt Bein.

N ur die harmonische Bildung füh rt zum Gesamtziel der v e r e d e l t e n M e n s c h ­ l i c h k e i t . Bis zu diesem idealen Ziel hin ist die Möglichkeit der Ausbildung

schier unbegrenzt; auch die B egabtesten und Veranlagtesten bedürfen ihrer, und sie erst recht nach der Forderung des Comenius (c. 1. VI), denn die Gaben, wuchern, wenn die Bildung ihnen nicht Zügel anlegt.

I s t diese Auffassung der Bildung, wie ich sie im Anschluß an Comenius e n t­

wickelt habe, richtig, so fällt die Meinung dahin, der m an täglich begegnet, daß durch Intelligenz und Wissen Bildung sich zeige. Auch steht unsere Auffassung weit über den neueren V e r s u c h e n d e r e x p e r i m e n t e l l e n P s y c h o l o g i e , durch bestim m te Methoden ( E b b i n g h a u s , M e u m a n n , R i e g e r , B i n e t - S im o n u. a ) den Bildungsgrad zu prüfen, indem irgendwie die Intelligenz bestim m t wird. Die Auffassungskapazität oder den V erstand selbst zahlenmäßig festzulegen wird ein utopisches Problem bleiben, weil die Geistesbildung stets werdendes Leben ist. Sind nich t alle schulmäßigen und staatlichen Prüfungen, die den Anspruch erheben, auf B ildung zu prüfen, unvermeidliche Übel; aus

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1018 Wilhelm Müller, Das parlamentarische SyBtem 5 ökonomischen Gründen unvermeidlich, der Sache nach unzulänglich ? W ürde die Prüfung der „allgemeinen B ildung“ ein Spiel m it offenen K arten sein, oft stellte sich heraus, daß der gequälte Prüfling, über dessen A ntw orten leicht gerichtet werden kann, m ehr wahre B ildung besitzt, als d er au toritative Exam inator, dessen Spezialfragen gar keinen Bildungswert zu enthalten brauchen, sondern Zufallsprodukte sein können. Im m er deutlicher bricht sich die W e rt­

schätzung des Äquivalents Bahn. Hervorragende Befähigung auf m anchen Gebieten oder auch nur auf einem kann m it vollem R echt mangelndes Wissen auf anderen Gebieten ersetzen. Lebensweisheit ist wertvoller als Salonbildung, Lebensklugheit besser als totes Wissen aus staubigen Büchern. Der Krieg zeigt täglich m it eherner Notwendigkeit, wie unendlich viel höher die wahre W elt­

bildung des C harakters über der vermeintlichen W issensbildung der Schul­

stube steht.

DAS PARLAMENTARISCHE SYSTEM1 Von Prof. W ilh e lm M ü lle r

ler die weltgeschichtlichen Gemälde von K a r l P i l o t y in den Münchener Sammlungen einmal h a t ganz auf sich wirken lassen und auch die Schriften von R o b e r t P i l o t y gelesen oder seine V orträge gehört h at, wird die Vorzüge des Vaters im Sohne _____________ wiedergefunden haben: dieselbe V eranschaulichungskraft in der Darstellung, dieselbe Helle des Ausdrucks, der gleiche glückliche Griff beim Erfassen der fruchtbarsten Momente bedeutender Stoffe. Aber n ich t nur der große Vater, sondern auch der große Lehrer lebt in R obert P iloty fort. M ax v o n S e y d e l h at ihn in die W issenschaften vom S taate eingeführt, un d seine Lehren haben durch den Schüler eine kongeniale Fortbildung erfahren. Auch Max von Seydel gehört nach den W orten des begeisterten Schülers ,,zu den wenigen, die selbst in das dionysische Heiligtum eingedrungen sind und die Weihe der griechischen Götter empfangen haben“ . Der Verfasser h ä lt es für seine heilige Pflicht, in dieser Schicksalsstunde unseres Volkes das W ort zu ergreifen, um aus der Fülle seiner fachmännischen Erkenntnis eine Frage des öffentlichen Rechtes zu beleuchten, von deren richtiger B eantw ortung viel­

leicht die deutsche Zukunft abhängt.

Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte. Einleitend wird an die bekannten Artikel von M a x W e b e r in der „F rankfurter Zeitung“ über deutschen Parlam entarism us in Vergangenheit und Zukunft angeknüpft un d festgestellt, daß Weber bei all seinen Reform Vorschlägen das parlam entarische System nicht ausdrücklich gefordert, auch nich t eingehender untersucht hat. Der Verfasser sieht den K ern dieses Systems in dem Verfassungsrechtssatze, daß die leitenden Minister aus den Parteiführern des P arlam ents genommen werden müssen. Es 1 E in e Untersuchung seines W esens und W ertes von Dr. R o b e r t P i l o t y , O- ö. Professor der R echte an der U niversität Würzburg. Berlin und Leipzig.

Verlag Dr. W. R othschild Preis M 2 80, geb. M 4,20.

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6 Wilhelm Müller, Das parlamentarische System Höffe I wird daran erinnert, daß in Deutschland zuerst R o b e r t v o n M o h l den Parlam entarism us wissenschaftlich vertreten h at, der in seinem „S taatsrecht, Völkerrecht und P olitik“ Bd. I, S. 395 zu der A lternative gekommen ist:

„K orruption oder parlam entarische Regierung.“ In allem ändern sieht von Mohl „nur Möglichkeiten oder Flickereien, wo nicht gar bloße Phrasen“ . Er em pfiehlt dabei die englische Regierungsform, die dam als nur in Belgien nach*

gebildet war Der v. Mohlsche S tand punkt h a t Aufnahme im Program m der F ortschrittspartei gefunden. Im Gegensatz dazu v ertrat Max von Seydel in einem öffentlichen Vortrage, der 1887 zuerst in den Annalen des Deutschen Reiches abgedruckt wurde, das konstitutionelle System ; wußte er ja aus eigner E rfahrung, was das bayerische Volk dieser vor 100 Jah ren vom damaligen K ronprinzen Ludwig gegen Montgelas durchgesetzten Regierungsform verdankte.

Dabei sprach er es zuerst unzweideutig aus: „Die konstitutionelle Monarchie ist eine Erscheinungsform der Monarchie, die parlam entarische sogenannte Mo­

narchie ist eine Erscheinungsform der R epublik.“

„Inniges und verständnisvolles Zusammenwirken von Regierung und Volks­

v ertretu n g “ ist noch kein parlam entarisches System, wenn nicht der König bei der Minis tsraus wähl an den Vorschlag des Parlam ents gebunden ist, und wenn er sich nicht bei der Regierung das Program m der herrschenden P artei zu eigen zu machen braucht. Der* parlam entarische König ist der Sache nach der erbliche P räsident einer Republik, m it der W ürde, nicht aber m it den R echten eines Monarchen. Oder wie es an anderer Stelle heißt: „Der parlam entarische König ist der erbliche Träger der höchsten Würde, aber nicht der höchsten Gewalt im S ta a te .“ N ur aus Täuschung oder Selbsttäuschung wird das parlam entarische System für eine Spielart der Monarchie angesehen. E in überzeugter M onarchist wird immer das parlam entarische System bekäm pfen un d ein echter Republikaner stets für dasselbe eintreten. E s liegt deshalb ein richtiger Gedanke zu Grunde, wenn der Schriftsteller im zweiten Teile einen Republikaner zum Kritiker des konstitutionellen und zum Lobredner des parlam entarischen Systems m acht, und im d ritte n Teile m it der um gekehrten Rolle einen Monarchisten betraut.

Die dialogische Form ermöglicht es dabei, beide S tandpunkte m it plastischer D eutlichkeit und Entschiedenheit herauszuarbeiten. Eine publizistische Glanz­

leistung sondergleichen ist es, wie das kaufm ännisch-kapitalistische System Englands, die Mobilisierung der höchsten Macht, der T anz um s goldene Kalb und das Tennisspiel um die Staatsgew alt nicht geschildert, sondern m it ein­

drucksvollen F arben gem alt wird. Das deutsche Herz schwillt vor Freude, und es kom m t uns so recht Zum Bewußtsein, welche unbeachteten W erte in den deutschen Verfassungen stecken. Die vom R epublikaner als Ideal betrachtete englische Verfassung wird vom Verfasser sine ira et Studio unter die Lupe genommen, die wir nam entlich in dein W erke von Lanrencs Lowell besitzen.

Nur wer nicht grundsätzlicher R epublikaner oder M onarchist ist, kann die parlam entarische Frage rein sachlich behandeln, wie es der Verfass2r im vierten und letzten Teile tu t. E r t r i t t hier in eigener Person m it aller w issenschaftlichen Ruhe an die praktische Seite des schwierigen Problem s heran, das natürlich nich t in dieser Zeit des Existenzkam pfes gelöst werden k a n n ; aber die berufenen V ertreter der W issenschaft sollen schon je tz t die notwendige Aufklärungsarbeit*

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1918 J. B. Manz, Die Notlüge 7 in Angriff nehmen, d am it dann, wenn die Verfassungsfrage zur V erhandlung und Entscheidung stehen wird, das Volk nicht au f hohle Schlagworte angewiesen ist und ohne stichhaltige Gründe für oder gegen eine Regierungsform P artei nehmen oder sich in Gleichgültigkeit hüllen muß. Nach Beendigung des Krieges harren unser überdies so viele schwere Aufgaben, daß n ur gründliche Vor­

bereitung die Gefahr des Erdrücktw erdens einigermaßen verringern kann.

Vorm Kriege konnte noch Jallinek in seiner „Allgemeinen Staatslehre1 schreiben: „Ausgeschlossen auf G rund der geschichtlichen und der gegebenen politischen Verhältnisse ist die parlam entarische Regierung auch in D eutschland.4•

Allein der W eltkrieg h a t eben vieles, nam entlich im Osten, von Grund aus verändert. Eine gewisse Anpassung ans parlam entarische System wird ebenso unabw endbar sein, wie am Anfang des vorigen Jahrh un derts die Einführung des konstitutionellen Systems gehemmt werden konnte. Glücklicherweise ist das Reich in dieser H insicht entwicklungsfähig. E s schließt die verschiedensten Monarchien und sogar drei nicht parlam entarisch regierte Republiken ein.

Preußen steht vor der Einführung des demokratischen W ahlrechts Die Zeit muß es lehren, ob die Neuerungen in den B undesstaaten die erhofften F rüchte bringen werden. Ist es der Fall, so wird die Reichsregierung von selbst folgen, ohne daß der föderalistische C harakter des Reiches angetastet wird. Jed e n ­ falls h a t der Verfasser das Richtige getroffen, wenn er ausführt, daß alle solche Um bildungen nach den geschichtlich gegebenen Verhältnissen in den Einzel­

staaten, nicht im G esam tstaat einsetzen müssen. Schließlich freu t es uns. daß der W ahlspruch der Comenius-Gesellschaft auch der L eitstern des Verfassers ist: Absit violentia rebus, omnia sponte fluant!

DIE^NOTLÜGE

Von J . B. M anz-W ien

as Leben wird nicht nur m it R ücksicht auf die E rhaltung und Behauptung der sozialen und sittlichen Persönlichkeit ein Kam pf genannt, sondern m it ebenso viel R echt im Hinblick auf die K on­

flikte, die sich aus der gleichzeitigen Anforderung einander aus­

schließender Pflichten für den Menschen ergeben.

Einer der häufigsten dieser Konflikte im Leben ist der, an den uns das W ort

„N otlüge“ erinnert. Wir halten in unserer sittlichen Überzeugung an der Pflicht der W ahrhaftigkeit fest und suchen bei der Erziehung unserer Kinder den Hang zum Lügen m it allen M itteln zu bekäm pfen; gleichwohl sind wir gezwungen, im Leben häufig von der W ahrheit abzuweichen. Die Notlüge setzt immer einen K am pf voraus; es ist dies der K am pf zweier Pflichten, zweier Tugenden. Auf der einen Seite steht in diesem K am pf die gebieterisch auf­

tretende, unbezweifelbar heilige Pflicht der W ahrheit, die K ardinaltugend aller Sittlichkeit, der kategorische Im perativ der Aufrichtigkeit; auf der anderen Seite finden wir entweder die Rücksichtnahm e auf uns selbst, also die Pflicht der Selbsterhaltung, die Anforderung eines gesunden, berechtigten Egoismus

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8 J. B. Manz Heft 1 oder die Rücksichtnahm e auf uns teure Personen, deren Leben oder Wohl sich in »Gefahr befindet, die selbstlose Sorge um andere oder endlich unser sozial empfindendes Gewissen m it der Fürsorge für wertvolle Güter der Menschen­

gesellschaft, die Sorge um das friedliche Zusammensein und Zusammenleben der Menschen. E in K am pf liegt immer vor, wenn die Notlüge aktuell wird. Die P raxis des Lebens h a t nun ganz entschieden im großen u n d ganzen bezüglich der Schlichtung dieses Kampfes das W ort gesprochen: sie h a t die Notlüge mehr oder weniger zugelassen. W ir üben sie vielfach in der Erziehung — d en­

ken wir nur a n die Auskünfte über sexuelle D in g e! — in dem V erhalten zu K ranken, in Fällen schwerer N o t u n d Gefahr ganz unbedenklich. Die Mitleidslüge des Arztes, der den K ranken über seinen hoffnungslosen Zustand absichtlich täuscht, die pädagogische Lüge der E ltern u n d Erzieher, die dem K inde auf seine F ragen oft m it Absicht unrichtige A ntw orten geben, weil ^ K ind die richtige nicht verstehen oder nicht vertragen könnte, gelten nicht nur für erlaubt, sondern u nter U m ständen sogar für verdienstlich, ja für geboten.

Vom S tandpunkte der strengen sozialen E thik, als deren Ziel die W ohlfahrt und das Gedeihen des sozialen Organismus gilt, gibt es keine unbedingte und uneingeschränkte Pflicht der W ahrhaftigkeit. E s kann Fälle geben, wo das Aussprechen der W ahrheit sozial schädlich wäre und wo das Verschweigen, ja sogar das absichtliche Verbergen oder Verhüllen der W ahrheit unabweisliche Pflicht ist. Im Kriege und bei der Aufspürung von Verbrechern k ann die Lüge oft unentbehrlich und eine gelungene Täuschung direkt verdienstlich, eine verdienstliche Selbstüberwindung sein. P lato, der die Lügenhaftigkeit des Homerischen Zeus m it den schärfsten W orten tadelt, gibt ohne weiteres zu, daß in seinem Idealstaat wie auch im Gesetzesstaat gleichsam offizielle Täuschun­

gen zum Wohle des Ganzen wie des Einzelnen unentbehrlich sind.

Bei den sittlichen K onflikten entscheidet der gesunde Menschenverstand, der sittliche T a k t im einzelnen Fall. Freilich können diese F ak to ren auch zuweilen irren. Außerdem gibt es im Leben sehr verwickelte Fälle, in denen es auch einem normalen Menschen m it V erstand, T a k t und sittlichem Em pfinden zwei­

felhaft sein kann, wie er sich entscheiden soll, um so mehr, als im merhin durch eine unglücklich angewandte Notlüge ein großer Schaden für den einzelnen wie für die menschliche Gesellschaft sich ergeben kann, nämlich die Erschütterung des Vertrauens. Ganz besonders idt diese Gefahr denkbar, ja überaus schwer­

wiegend auf dem Gebiete der Erziehung, im Verkehr m it den K indern, einem Gebiete, auf dem wir so leicht zur Notlüge greifen, um uns aus augenblicklichen Verlegenheiten zu retten.

Mit R ücksicht auf alle diese Momente ist es nich t etwa ein müßiges Geschäft, wenn die wissenschaftliche E th ik tro tz der sich durchsetzenden P raxis des Lebens sich bem üht, zu dem Problem der Notlüge Stellung zu nehm en und die Falle der Zulassung der Notlüge darzulegen, um dadurch gewaltigem Schaden, der aus einer schrankenlosen Übung derselben für W ahrheit und V ertrauen erwachsen könnte, vorzubeugen. E s läß t sich nicht verkennen, daß, wenn die wissenschaftliche Behandlung und Begründung der Praxis des gesunden Men­

schenverstandes und des sittliohen T aktes R echt gibt, dies außerordentlich

(11)

Die Notlüge 9 erfreulich ist und beruhigend w irk t; zum al auch an der vom S tandpunkte der sozialen E th ik durchaus gebotenen und förderlichen Lüge für das feinere Gefühl ein gewisser moralisoher Makel h aftet. Auch die „N otlüge“ bleibt für uns immer ein Übel und kann höchstens als notwendiges Übel anerkan nt werden.

In den D arstellungen der E th ik stehen sich zwei Anschauungen diam etral gegenüber. Die V ertreter einer rein formalen E thik, die sich auf den S tan d ­ p unkt des bekanten Satzes: „fiat justitia, pereat m un du sl“ stellen, verwerfen die Notlüge absolut. Zu ihnen gehört K a n t , der in seiner Tugendlehre den S atz au fstellt: „Die Lüge, d .h . die vorsätzliche U nw ahrheit, ist unter allen Um ständen durch die bloße Form ein Verbrechen des Menschen an seiner eigenen Person und eine Nichtswürdigkeit, die den Menschen in seinen eigenen Augen verächtlich m acht.“ „Die Lüge ist Wegwerfung und gleichsam V er­

nichtung seiner Menschenwürde.“ Zum Überfluß h a t übrigens K a n t noch in einer besonderen kleinen Schrift zu beweisen versucht, daß m an n ich t das R echt habe, gegen ein vermeintes R echt aus Menschenliebe zu lügen. In ähnlich strengem Sinne h a t sich F i c h t e ausgesprochen: „Und wenn ich wüßte, d am it die W elt zu erlösen, würde ich mein W ort nich t breohen.“

Die unbedingte Verurteilung der Lüge, wie wir sie bei K a n t und Fichte finden, h a t für uns immer etwas Imponierendes, etwas Großes, auch wenn wir die soziale D urchführbarkeit dieser Sittenstrenge aufs entschiedenste in Abrede stellen, m it S c h o p e n h a u e r diesen Rigorismus tadeln müssen. Freilich sch ü ttet Schopenhauer das K ind m it dem Bade aus, wenn er in den „G ru nd ­ problem en der E th ik “ sich zu dem Ausspruche hinreißen lä ß t: „K an ts bei jeder Gelegenheit zur Schau getragener, unbedingter und grenzenloser Abscheu gegen die Lüge beru h t entweder auf A ffektation oder auf V o r u r te il...

Deklamieren ist leichter als beweisen und moralisieren leichter als aufrichtig sein.“

Einzig steh t die W ahrheitsliebe F r a n z G r i l l p a r z e r s da, die zu leiden­

schaftlichem H aß gegen die Lüge und den Schein wird. In seinem Lustspiel:

,Weh dem, der lügt!“ v e rtritt der Bischof K ants und Fichtes Forderung strengster W ahrhaftigkeit m it Eifer und Nachdruck, er h ä lt jede, noch so entschuldbare Lüge für eine schwere Sünde, er ist der lebendigste' P rotest gegen den Satz vom Zweck, der die M ittel heilige. E r predigt den Gläubigen:

Dein W ort soll aber sein: J a , j a : nein, nein.

Denn was die menschliche N atur auch Böses kennt, Verkehrtes, Schlimmes, Abscheuwürdiges,

Das Schlimmste ist das falsche W ort, die Lüge.

War* nur der Mensch erst wahr, er w ar’ auch gut.

W ahr ist die ganze kreisende N a tu r ;

W ahr ist der Wolf, der brüllt, eh* er verschlingt, W ahr ist der Donner, drohend, wenn es blitzt, W ahr ist die Flam me, die von fern schon sengt, Die W asserflut, die heulend W irbel schlägt;

W ahr sind sie, weil sie sind, weil Dasein W ahrheit.

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10 J. B. Mauz, Die Notlüge Heft 1 Was b ist d enn du, der du dem Bruder lüget,

Den F reund betrügst, dein Nächstes hintergehst ? Du b ist kein T ier, denn das i t t w ahr;

Kein Wolf, kein Drach*, kein Stein, kein Schierlingsgift:

Ein Teufel b ist d u ; der allein ist Lügner, Und du ein Teufel, insofern du lügst.

D rum la ß t uns w ahr sein, vielgeliebte Brüder, Und euer W ort sei: J a und nein auf immer.

Und da sein Küchenjunge Leon es sich nich t nehm en lassen will, seinen geliebten Neffen Atalus, der als Greisei bei den heidnischen B arbaren schm achtet, aus der Gefangenschaft zu befreien, g ibt er ihm in schärfster Weise zu bedenken r

U nd wenn d u ’s wolltest, wenn du*s unternähm st, Ins H aus des Feinds dich schlichest, ihn betrögst,

M ißbrauchtest das V ertraun, das Mensch dem Menschen gönnt, Mit Lügen meinen A talus befreitest;

Ich würd* ihn von mir stoßen, rück ihn se n d e n Zu neuer H a ft; ihm fluchen, ihm und dir.

Den H a u p tin h alt des Lustspiels bildet die Anbahnung und Ausführung des Befreiungswerkes, wobei freilich Verstellung, Irreführung usw. zur Anwendung kom m t un d kommen muß. Das Stück endet dam it, daß der Bischof die Erde als das „L an d der Täuschung“ anerkennt und zur E insicht gelangt, nicht allen Verwicklungen dieser „buntverw onnenen W elt“ sei m it einer starren Form so einfach und eindeutig begegnet, wie er in der Stille seiner Zelle geglaubt. Ei sieht sich bem üßigt, hienieden gewisse Mischungen aus W ahrheit und Lüge als für die Verwirklichung des Guten unvermeidlich gelten zu lassen. Mag das Ziel nicht in reinster Vollkommenheit erreichbar sein, das U n k ra u t nicht au s­

g erottet werden können, Glückauf, wenn nur der Weizen über dasselbe em por­

wächst. So erweisen sich die unpraktischen, dem Leb^n n ich t gewachsenen Grundsätze des Bischofs im Zusammenstöße m it der W irklichkeit als ungenügend, und es erm äßigt sich die einseitige E rhabenheit jener Überspannung zu einem gesunden, tüchtigen Realismus, der alle Schwierigkeiten löst und alle Be­

teiligten glücklich m acht.

So schwenkt unser Dichter, der N ot gehorchend, in das Lager der Verfechte!

der sogenannten teleologischen E th ik hinüber, die den berechtigten Trieben der Menschenseele gerecht zu werden sich bem üht, den objektiven Verhältnissen R echnung trä g t und demgemäß die Notlüge in denjenigen Fällen g estattet, in denen sie ein V ertrauen zu erschüttern nicht in der Lage ist. Sehr richtig sagt Friedrich P a u l s e n : „Die objektive Verwerflichkeit der absichtlichen Täuschung beruht darauf, daß sie die Tendenz h at, V ertrauen zu zerstören und dadurch Gemeinschaft auflösend zu wirken. K an n es Fälle geben, wo diese W irkung der N atu r der Sache nach ü berh au p t nicht stattfin d en kann, so wird auch die Verwerflichkeit im objektiven Sinne nich t stattfin d en .“

(13)

1918 11

ALTLOGEN UND REFORMLOGEN1 Von Dr. O t t o P h i l i p p N e u m a n n

eben den im deutschen Großlogenbunde vereinigten Altlogen gibt es eine Reihe nicht anerkannter Reformlogen, von denen der F rei­

m aurerbund zur aufgehenden Sonne die bedeutendste ist. Die Differenzen zwischen den Altlogen und den Reformlogen beziehen sich auf die Auffassung des Gottesbegriffs und gipfeln in folgendem : Es kom m t hier nicht auf die Frage an zu. entscheiden, ob ein G ott ist oder nicht, ob der Begriff Gottes pantheistisch oder dualistisch, unpersönlich oder persönlich aufzufassen sei, sondern es wird positiv gesagt, daß der Glaube an einen persön­

lichen G ott und Schöpfer und an die Unsterblichkeit unwesentlich sei für die Sittlichkeit. Es läuft also die Sache so, wie sich das aus dem Zusammenhang ergibt, daß es sich um das E thos ohne Religion handelt. Gewiß ist das das letzte Ziel, welches am Ende der religiösen Entwickelung liegt. Aber so weit sind wir noch nicht. Mit der positiven Statuierung, daß der Gottesbegriff für die S ittlich­

keit unwesentlich sei, werden implizite alle diejenigen ausgeschlossen, die das nicht anerkennen, sondern auf dem S tandpunkt der Altlogen stehen. N un e r­

klären zwar weder die alten Pflichten, noch die prinzipiellen Beschlüsse des d e u t­

schen Großlogentages den Begriff Gott. Sie setzen ihn aber fest voraus. Sie umschließen daher auch alle diejenigen, welche an dem Begriff festhalten und sagen daher: eine atheistische Freim aurerei ist keine Freim aurerei. Ich kann nicht finden, daß die Erläuterung des Gottesbegriffes in den letzten zwei J a h r ­ hunderten Fortschritte gem acht hat. Weder Hegel, noch Feuerbach, noch Schleier - macher, noch Nietzsche haben eine neue E rklärung gebracht. Das Dasein Gottes ist eine logische W ahrheit, ein Axiom. Mit R echt haben daher die alten Pflichten den Gottesleugner ausgeschlossen. Der als Kronzeuge berufene Br Möller sagt, daß der S tupidatheist ausgeschlossen sei: der gedankenlose Gottesleugner. Der Freimaurer, sagt Br Möller wörtlich, soll Gottsucher sein. W enn aber gesperrt gedruckt gesagt ist: der Gottesglaube sei unwesentlich, so ist das Gottsuchen ja überflüssig. Nach Br Möller ist nur der S tupidatheist ein wirklicher A theist, denn kein „vernünftiger Mensch“ , sagt Br Möller, wird das W alten einer höchsten K raft als Schöpfer des W eltalls und der sittlichen W eltordnung verneinen. B r Möller lehnt den Gottesbegriff keineswegs ab. N un wird aber der W ert gelegt auf das W ort persönlich. Um jeder D ebatte sofort die Spitze abzubrechen, legt man sich die Sache so zurecht, daß m an sagt: Daß der Gottesbegriff in uns persön­

lich lebendig wird, ist die H auptsache, aber darum d reh t es sich nicht, sondern um die Gegenüberstellung von Pantheism us und Dualismus, von Haeckel-Ostwald- scher Anschauung und der der Altlogen. Auf die Genese kann ich hier nicht ein- gehen. Das C hristentum wird als Vorstufe zum Monismus dargestellt. Die A lt­

logen haben es keineswegs abgelehnt, an die sogenannte Reform des G ottes­

glaubens heranzugehen. W esentlich scheint den Reformlogen zu sein, den Begriff des persönlichen Gottes als des Ausdruckes der dualistischen W eltanschauung auszumerzen. Das ist nicht tolerant. Denn dam it schließen die Reformlogen 1 Dieser Artikel wird zur Debatte gestellt.

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12 Otto Philipp Neumann, Altlogen und Reformlogen Heft 1 alle diejenigen aus, welchen der Begriff des persönlichen Gottes noch heilig ist.

Bej den Altlogen, nicht aber bei d en Reformlogen, ist der Gottesbegriff so au ß e r­

ordentlich w eit ausgedehnt, daß jeder, der den gebildeten Ständen angehört.

Aufnahme findet. Weder in den alten Pflichten noch in den Beschlüssen den deutschen Großlogentages von 1870 und 1878 ist von einem persönlichen oder von einem B ibelgott die Rede. Die Freim aurerei ist eben nicht der Sam m elpunkt aller möglichen W eltanschauungen vom orthodoxen C hristentum bis zum Monis­

mus, sondern sie ist religiös orientiert. Religion ist das V erhältnis der Menschen zu G ott. Es bleibt bei dem, was Comenius gesagt h a t, der a n der Wiege der F rei­

maurerei P ate stand, und bei dem, was L. Keller in die W orte folgenden Inhalts faß te: Wer die Gottesidee für überwunden hält, sollte es für die Pflicht eines ehrlichen Mannes halten, einer Gesellschaft fern zu bleiben, die auf anderer geistiger Grundlage ru h t als es die seinige ist. Die Reformlogen sagen: wer noch auf dem Boden des konfessionell-dogmatischen Kirchenglaubens steht, kann bei iins keine Aufnahme finden. Also Ausschluß von den Reformlogen für alle die­

jenigen, welche noch auf diesem S tand p u n k t stehen. Intoleranter kann m an kaum sein. Die im H um anitätsgedanken zusammengefaßte Menschheitsreligion, wi<

sie in den alten Pflichten v erlau tb art ist, das ist der tolerante S tandpunkt. Daher konnte die Auffassung der Altlogen nie in einen Gegensatz zum Kirchenchristen tum gelangen, so wie auch Comenius sich nich t im Gegensatz zu ihm befand.

Der Tempel der W eisheit um schließt alle Bekenntnisse. J a wir haben seit Comenius erst, wie L. Keller sagt, den Begriff der Toleranz. Keineswegs ist der Pantheism us ein verschleierter Atheismus. Denn der Pantheism us ist doch noch Theismus, obwohl die Namen, wie Rudolf Eucken sagt, wenig bedeuten. W esentlich ist als K ern der Religion die Verbindung des G öttlichen m it dem Menschlichen. Vom Begriff des Geistes her entw ickelt sich der Begriff der G ottheit, sie m uß dem Wesen der Dinge auf das engste verbunden sein, die G ottheit m uß als D enk­

notwendigkeit alles sein. Wer also den Gottesbegriff als unwesentlich hinstellt, der verengt den Sittlichkeitsbegriff. Noch kleidet er sich in das Gewand der Religion, und ihm dieses Gewand abnehmen, ist, wie N atorp o. J . treffend sagte.

U nrecht. Wo m an über den Gottesbegriff s tritt, s tritt m an über den W ahrheits­

gehalt der Religion. Nirgends verlangen die Altlogen, den Gottesbegriff anthropo- morphisch aufzufassen, sie lassen der ontologischen Spekulation denselben Spiel­

raum wie dem persönlichen Bekenntnis zum lebendigen Gott. Die Reformlogen leugnen diese W endung und stellen die Bekenner, wie aus W ortlaut und Sinn hervorgeht, als minderwertig hin. Das eigenschaftslose Sein der G ottheit ist nur eine Seite dieser Größe. Die esoterische Form ist ebenso berechtigt wie die exoterische, die Transzendenz ebenso zugelassen wie die Im m anenz. Auch ohne Kom prom iß bestehen beide Auffassungen, und es ist kein Grund einzusehen, weshalb die Reformlogen den Begriff des deus extram undanus verwerfen. W es­

halb steigt denn der Gedanke a n eine Überwelt auf ? Weil die nächste W elt die Aufgabe nicht erfüllt und weil schön lange nachgewiesen ist, daß die materiell - monistische Anschauung nicht befriedigt. Keineswegs wird, wie der moderne Monismus will, das W elträtsel restlos gelöst. Bei dem Ausdruck Persönlichkeit G ottes ist vieles nur W ortstreit. Jede Verneinung der Persönlichkeit Gottes

■bedingt ein ,,pantheistisches Verschwimmen des absoluten Lebens“ , jede Be­

(15)

1918 O. A. Ellisaen, Vom Büoherlesen und -leihen 13 jahung zieht den großen Begriff herab und vermenschlicht ihn. Hierbei ist es gar nich t notwendig, nur an eine Offenbarung von außen her zu denken. Auch ohne diese vollzieht sich im Wechselverkehr der Seele m it G ott als lebendige und wirksame E inheit die W endung vom farblosen Begriff der G ottheit zum lebendigen und persönlichen G ott. W ir sind uns der Symbolik hier deutlich bew ußt, und wir sehen nicht ein, weshalb die Bekenner dieser Anschauung keine Freim aurer sein sollen

Moral und Religion, sagt Rudolf Eucken, brauchen nicht um ihre Grenzen zu streiten. Die Moral ist, recht verstanden, selbst der H aupterweis der Religion.

Im Geisteskampf der Gegenwart sind diese Darlegungen nicht belanglos Es handelt sich um den K am pf für die heiligsten Güter geistiger A rt und die alte Freim aurerei ist H üterin dieser Güter gegenüber dem m aterialistisch-m onistischen Ansturm, der sich als eine seiner Form en die Reformlogen wählte. Es heiß t also wieder einmal, wie L. Keller sagte, die Freim aurer durch die Freim aurer m a tt setzen. Aber die Altlogen sind nicht veraltet. Sie sind auf Posten und wachsam xind hü ten ihr altes, schon in den „alten P flichten“ festgelegtes H eiligtum : den W ert der Religion und der Gottesidee. Dieses Besitztum werden sie zu verteidigen wissen, auch gegenüber dem versuchten Um sturz durch die Reformlogen.

VOM BÜCHERLESEN UND -LEIHEN

Von Dr. 0 . A. E llis se D

las tu t man, wenn m an ein Buch lesen, benützen oder besitzen möchte ? Vereinzelte Sonderlinge kommen in diesem Falle auf den seltsamen Gedanken, sich das Buch zu kaufen; aber sie sind, wie jeder B uchhändler bezeugen wird, überaus selten. Auch

| wird sich aus dem Nachfolgenden ergeben, wie fabelhaft töricht ihre Handlungsweise ist. Es gibt genug Menschen, die gern lesen, die Tag für Tag zwei, drei Mark für Bier und Zigarren ausgeben, die eich aber doch eher die Zunge abbissen, als daß sie 50 Pfennig für ein Buch, welches sie zu lesen wünschen, ausgäben. Der allein übliche Weg in diesem Falle ist vielmehr, sich dasselbe zu leihen. N un gibt es öffentliche Bibliotheken und Leihbibliotheken.

Die ersteren aber machen vielfach bei der Verleihung W eitläufigkeiten; auch sind sie rücksichtslos genug, die Bücher nur auf eine bestim m te Zeit, in der Regel wohl vier Wochen, abzugeben. Den Leihbibliotheken ist es wohl an sich gleich, wie lange m an ein Buch b ehält; aber sie verlangen für den Tag oder die Woche Gebühren. W eit mehr empfiehlt sich daher, das Buch von einem der Sonderlinge, die Bücher kaufen, zu leihen, dann ist man ganz in der Läge des „glücklichen Besitzenden“ ; der ursprüngliche Besitzer ist völlig rechtlos, wenigstens tatsächlich. Oder h a t je einer davon gehört, daß auf Rückgabe eines Buches geklagt wäre ? Schwerlich würden die R ichter den, der auf den Einfall käme, ernst nehm en; sie würden ihm vielmehr verm utlich empfehlen, eine Heil- und Pflegeanstalt aufzusuchen. Is t es doch uraltes Gewohnheitsrecht, geliehene Bücher nicht zurückzugeben. Dementsprechend gilt es m it R echt als äußerst

(16)

14 Rundichau Heft 1 rücksichtslos und ungeschliffen, jem anden d aran zu erinnern, daß er ein Buoh von einem geliehen oder wohl gar hinzuzufügen, daß m an durchaus selbst einmal etwas in dem Buche nachsehen m üsse; natürlich stehe es danach sofort wieder zur Verfügung. -Man setzt sich dadurch — m it F u g ! — einer recht deutlichen und unerw ünschten A ntw ort aus. In der T a t: soll der Entleiher darunter leiden, d aß der ursprüngliche Besitzer sich so schlecht einzurichten weiß? Dagegen ist der Entleiher und dam it wirkliche Besitzer n atürlich in seinem guten Rechte, wenn er seinerseits das Buch an D ritte weiterverborgt.

Das ist denn auch durchaus üblich; ja, manche treiben die Gefälligkeit so weit, geliehene Bücher anderen förmlich aufzudrängen. „D a hab* ich ein Buch von A .“ , sagt B. zu C., „das. müssen Sie notwendig auch lesen, ich werd’s Ihnen m al geben“ . So kom m t das Buch an C. Der ist natürlich höchstens in Zweifel, ob er es nun eigentlich A. oder B. — nicht zurückgeben soll. Sicherlich behält er es, falls er es nicht an D. weitergibt. D arum : ein guter R atschlag zum Schluß. Wer sich Bücher kauft, trage die Folgen seines Tuns- H a t er ein Buch, das er in seiner Bücherei nicht missen mag, verliehen, so schaffe er es sich sofort wieder a n ; dann ist es ein kurzer und n ich t ein jahrelanger Schmerz.

Sollte er dann unerwarteterweise das Buch nach fünf oder zehn Jah ren zurück­

bekommen, so spreche er: „O, Sie edler, vortrefflicher, seltener M enschenfreundl Wie rü h rt mich Ih re Handlungsweise! Aber auf so viel Uneigennützigkeit konnte ich nicht gefaßt sein. Verzeihen Sie deshalb, daß ich m ir das Buch noch einm al gekauft habe, und behalten Sie dies Exem plar zum Andenken!"

Aber wie gesagt, er wird n ich t oft in die Lage kommen, so zu sprechen. In der Regel heiß t es: L aß t alle Hoffnung fahren!

RUNDSCHAU

Bereits m eh rere Male h a t te ich G elegenheit, au f die n eu e ren B estreb u n g en unserer V o lk sbibliothekare, n am en tlich d e r W a lte r H o fm an n s in Leipzig hinzuw eisen.

D e r d a rü b e r e n tsta n d e n e S tre it h a t leider w ieder eine neue P h a se erle b t d u rc h einen in d en B lä tte r n fü r V olkßbibliotheken publizierten A ngriff des L eiters d e r S tä d ti­

sc h en B ü ch erh allen in M agdeburg, H e rrn D r. v. V inzenti, gegen die sogen an n te N eue R ic h tu n g im d eu tsch e n volkstüm lichen B üchereiw esen. A uf diese k ritisc h e S tudie a n tw o rte n P rofessor F r. H a a c k (Cöln) u n d W . H o fm an n selber in einer kleinen B ro ­ sc h ü re : ,.V on a lte n u n d n eu e n R ic h tu n g e n “ , die die Z en tralstelle für volkstüm liches B üchereiw esen in Leipzig a u f W u n sch gern v erse n d et. A ußerdem erschien vo n W a lte r H o fm an n eine kleine, g u t orien tieren d e S ch rift: „B u ch u n d V olk u n d die v o lk s­

tü m lich e B ü c h e re i“ , Leipzig 1916, 8°, in d e r alle H a u p tfra g e n noch einm al besprochen w erden. W er sich fü r die h ochw ichtige Sache in te ressiert, k a n n je tz t eine genaue F o rm u lieru n g d e r S tre itfrag e le ich t erlangen. M an h a lte d ab e i im m er im A uge, d aß es sich n ic h t u m E n tle ih e n u n d Gelesen w erden d er B ü c h er h a n d e ln k a n n , so n d ern d a ß d a s F ru c h tb a rw e rd e n d a s alleinige Ziel ist. E s w äre a b e r im In te re sse des ru h ig en F o rts c h re ite n s u n serer V olkserziehung se h r w ü nschensw ert, w enn m a n die w eit ü b er d a s M aß d er sachlichen G egensätze h in a u sg eh e n d e S p altu n g im d eu tsc h e n v o lk stü m ­ lichen B üchereiw esen n ic h t stä n d ig v e rtie fte , sondern endlich schlösse, u n d zw ar d u rc h

(17)

1918 Rundschau

A n erk en n u n g d e r w ertvollen A nregungen W . H ofm anns. D ör A m erikanism us m u ß frü h e r o der sp ä te r a u s u n se re n V olksbibliotheken doch w ieder h e ra u s, er h a t seine S chuldigkeit g e ta n u n d m u ß d e u tsc h e n Ideen des In d iv id u a lism u s P la tz m ach en ; E s

is t d azu an d er Z eit. W ö l f s t i e g

In d er „E u ro p äisch e n S ta a ts- u n d W issenschafts - Z eitu n g “ Jg . 2, 1917 N r, 51 n im m t H e rr D r. R- von E rd b erg -B erlin d en eingeschlafenen K am p f gegen den S ch u n d in d e r L ite ra tu r d a d u rc h w ieder a u f, d a ß e r die im W eltkriege erschienenen- so g en an n ten „S erie n w erk e“ — je tz t schon ü b e r 70 — u n d eine gewisse G ru p p e von K riegsrom anen k ritisc h b e le u c h te t u n d diesen K riegsw ucher am d eu tsc h e n Geiste d e r Ö ffentlichkeit d en u n z ie rt. U nsere Z eit z ü c h te t ja leider d a s B ed ü rfn is n ac h S ensationen u n d e r tö te t in u n s die F ä h ig k e it tiefen in n e re n E rleb e n s sc h o n «tn sich im m er m e h r. N u n noch d a s B ed ü rfn is m itzu e rle b en ! D as v e rste h e n sich gew issen­

lose .Skribenten u n d W inkelverleger se h r zu n u tz e zu m ach en . A b er wie d a s : v e r­

h in d e rn . d a ß d a s V olk d a d u rc h n ic h t v e rg ifte t w ird ? E s k n ü p fte n sich a n d a s V or­

gehen d e r ste llv e rtre te n d e n G eneralkom m andos gegen die S c h u n d lite ra tu r, die „K rieg u n d L ie b e“ zugleich v erz ap fte, große H o ffnungen, a b e r, d a diese v erschieden v o r­

gingen, griff d a s K rieg sm in isteriu m ein u n d en tsch ied , w ie es sc h ein t, leider falsch, zu g u n sten d e r so g en an n ten K onzessionisten, d . h . derjen ig en , die alles erla u b en , \vas sittlic h einw andfrei ist, w enn es ästh e tisc h u n d psychologisch n och so bedenklich ist.

W as n u n ? E in G esetz ? E rzieh u n g d e r Ju g e n d zu g u te r L e k tü re ? V ielleicht beides, vor allem ab e r an den P ra n g e r m it dieser S orte von V erlegern. W o l f s t i e g

Kü h n em an n sa g t in seinem B u c h e: H e r d e r S. 40: „ E r (H erder) t r a t in den F reim a u re ro rd en ein u n d erh ie lt au c h in ih m eine angesehene S tellung. D och h a t er sp ä te r in W eim ar vo n seiner Z ugehörigkeit zum Orden niem als G ebrauch g e m a c h t.“ H e rd e r w ar 1766 in d e r Loge „Z um S ch w ert“ in R ig a aufgenom m en un d h a t es niem als w eiter als zum S ch riftfü h re r d e r Loge g e b ra c h t. N ach 1769 w echselte er b estän d ig seinen W o h n sitz, k o n n te also g ar n ic h t in einer B a u h ü tte heim isch w erden, bis er sich im H e rb ste 1776 in W eim ar d a u e rn d n iederließ. D o rt w ar er a b e r g a r n ic h t in d e r L age als der erste G eistliche des H erzo g tu m s sofort d a m it zu beginnen, sich in den B etrieb d er F re im a u re re i zu stü rz e n , seit 1782 r u h te a b e r die Loge „ A m a lia“ in W eim ar u n d w urde e rst n a c h H e rd e rs T ode w ieder eröffnet. E s lag also n ic h t a n einem M angel an In te re sse , d a ß H e rd e r von d e r Z ugehörigkeit zum O rden keinen G ebrauch m a c h te , sondern a n den V erhältnissen. D enn a n sich n a h m H e rd e r a n d er F reim au rerei viel A nteil. „G erad e das G eheim nisvolle“ , sa g t K ünzel im M aurerischen H erd er- A lbum 1845, „in w elches des B u n d es U rsp ru n g g e h ü llt ist, fo rd e rte eine N a tu r wie die H erd ers au f, n ic h t allein h isto risch dem U rsp ru n g dieses B undes nachzugehen s. seine A d ra ste a . sondern au ch d en Z usam m enhang d e r U rz u stä n d e , d er F o r t­

entw icklung d er M enschheit im L aufe d e r J a h rh u n d e rte u n d ih re r Z u k u n ft zu e n t­

rätse ln . D iese großen R ä tse l zu lösen, w ar H e rd e rs eigentlichste L ebensaufgabe; d a ra u f bezogen sich alle seine S tu d ie n .“ D a ru m h a lte ich es au c h h ö ch sten s fü r h a lb ric h tig , w enn K Ü hnem ann f o rtf ä h rt: „D er B egriff d er geheim en G esellschaft schien ih m u n ­ v erträg lich m it dem W esen d er gegenw ärtigen W e lt, so wie das Spielen m it d en ver a lte te n G ebräuchen ih n a b s tie ß .“ ( ? ?) F reilich n a n n te er die G ebräuche des B undes v e ra lte t, ab e r er w ü n sch te sie n ic h t ab g esch afft, sondern n u r n e u b eleb t zu wissen.

Selbst in dem „G esp räch e ü b er eine u n sic h tb a r-sic h tb a re G esellschaft“ is t er n ic h t g anz ohne Sym bole u n d G eheim nis. D as Z u treffe n d ste sind n a tü rlic h seine in d er

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