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Weg zur Kunst : Einführung in Kunst und Kunstgeschichte

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Academic year: 2022

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W E G Z U R K U N S T

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F R I T Z S T A H L

W E G Z U R K U N S T

E I N F Ü H R U N G

I N KUNST UND K U N S T G E S C H I C H T E

1 9 2 7

R U D O L F M O S S E / B U C H V E R L A G / B E R L I N

(6)

M i t 1 1$ V i e r f a r b e n t a f e l n u n d 189 A u t o t y p i e n E r s t e bi s f ü n f t e A u f l a g e

C o p y r i g h t 1 9 2 7 by R u d o l f M o s s e / B u c h v e r l a g / B e r l i n

(7)

I

GENIUS UND HANDWERK

Die Menschheit findet sich in einer Schöpfung und selbst Teil dieser Schöpfung, mit deren Erscheinungen die Gottheit zu ihren Sinnen und ihrer Seele spricht. Es ist wenig Unterschied, ob die Gottheit als eine Viel­

heit von Dämonen oder als der Einzige oder gar nur als rätselhafte schaffende Kraft gedacht wird, dieses Grundgefühl ist zu allen Zeiten das gleiche geblieben. Und hat dieselbe Folge gehabt. Der Wunsch, diese Er­

scheinungen nachzugestalten, selbst schöpferisch der Schöpfung ihr Wider­

spiel und Gleichnis entgegenzustellen, ist schon in dem Menschen der Eiszeit lebendig gewesen, wie er es in dem Künstler von heute ist. So ist neben der wirklichen eine zweite Welt erstanden, die Welt der Kunst.

Neben, nicht über, wie die Hybris, der gottlose Übermut, der den Grie­

chen als die große Sünde galt, wohl gesagt hat. Denn auch im höchsten Fall ist das Kunstwerk nur Bildung aus den Elementen der Wirklichkeit, Ordnung ihrer unfaßbaren Fülle, also Formung dessen, was sie gibt. Aus der Schöpfung spricht die Gottheit, die Menschheit antwortet mit der Kunst.

In der Gegenwart — und diese Gegenwart dauert schon länger als ein Jahrhundert — ist jede Antwort die eines einzelnen. Wo doch eine Art von Gemeinsamkeit besteht, wird sie durch das vage Element der Zeit­

stimmung geschaffen, dem man dann auch eine übertriebene Be­

deutung für die Kunst der alten Epochen beilegt. In den schönsten Zeiten der Kunst bestand eine ganz andere Gemeinsamkeit, nicht nur zwischen den Schaffenden, sondern auch zwischen ihnen und den anderen Men­

schen. Damals war Kunst nicht die Antwort einzelner, sondern einer Menschengruppe, einer Bürgerschaft, eines Stammes, eines Volkes, war Kunst innerhalb dieser Gruppe jedermanns Sache.

Das bedeutet nicht, daß jedermann den gleichen Anteil an ihr hatte.

Aber ihre Werke standen an der Straße oder in öffentlichen Bauten, ob man sie Curia und Templum oder Rathaus und Kirche nannte, oder wur­

den, im Norden, um weniges auf dem Markt feilgeboten und kamen in die Häuser, und so war die Kunst für alle da, und jeder konnte sich von ihr zu eigen machen, was seiner Empfänglichkeit entsprach. Sie gehörte zu

K u n s t ist A ntwort a u f die S c h ö p f u n g

A ntwort ei ner G r u p p e

(8)

G e n i u s H a n d w e r ku nd

den Angelegenheiten des Gemeinschaftslebens, wie der Kultus, mit dem sie oft verbunden war, als eine von dieses Lebens Notwendigkeiten. Da­

durch wurde das Kunstwerk, das ja am Ende immer die Arbeit eines Ein­

zelnen und noch dazu die persönlichste Art von Arbeit ist, zugleich der Ausdruck eines der Gruppe gemeinsamen Weltgefühls, Antwort also einer, Antwort dieser und nur dieser Gruppe.

Zwei Faktoren müssen Zusammenwirken, um ein Werk der Kunst zu schaffen, ein seelisch-sinnlicher Schöpferwille und die Fähigkeit, einen Stoff nach seiner Vorstellung zu gestalten: Genius und Handwerk. Diese These wird heute kaum noch jemanden überraschen. Vor dreißig Jahren wurde man mit ihr ausgelacht, das neunzehnte Jahrhundert hatte die Kunst vom Handwerk losgelöst und das Wort und, was schlimmer war, die Sache Handwerk entwertet. Wie sehr, das geht daraus hervor, daß wir, die wir zuerst die kunstzerstörenden Folgen erkannten, Jahrzehnte brauchten, um ihnen wieder ihren Wert zu sichern. Aber auch heute noch wird die These falsch verstanden werden. Denn, wenn es schon Gemein­

platz geworden ist, daß zur Kunst ein Handwerk gehört, so wird das doch so aufgefaßt, daß dieses Handwerk Sache des einzelnen, ist, also das per­

sönliche Können, das sich jemand lernend und arbeitend erwirbt. Und diese Auffassung ist ja auch ganz logisch, weil man auch bei dem Wort Genius an den persönlichen Willen denkt. Das Jahrhundert kennt kein anderes Schaffen als das des einzelnen, der für sein Gefühl die Ausdrucks­

mittel, der eben, wie es oben formuliert war, seine Antwort an die Gott­

heit sucht. Es soll hier dieses Schaffen, das einzige, dessen unsere Zeit

fähig ist, nicht herabgesetzt, noch weniger abgetan werden. Nur muß man

den immer verwischten Unterschied zwischen dieser Kunst und der Kunst

der alten Epochen klarstellen. Damals war der Genius des einzelnen nur

ein Teil des Genius der Gemeinschaft, und so war er auch mit seinem

Handwerk eingeordnet in eine Reihe, Erbe aller Vorgänger innerhalb

seiner Gruppe und höchstens Mehrer der überkommenen Mittel, die der

Wille dieser Gemeinschaft schon geschaffen hatte, und dann Erblasser des

vermehrten Gutes. Sagt man von der Kunst dieser Zeiten: Genius und

Handwerk wirkten zusammen, um sie zu schaffen, dann ist mit dem

Handwerk nicht das Können des einzelnen gemeint, sondern es steht da

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als eine Institution, als ein Faktor, der das Schicksal mitbestimmt.

Kunstgeschichte ist immer auch Geschichte eines Handwerks in diesem Sinne. Dieser Satz fordert Erklärung und wird sie noch finden. Er ent­

hält, wohl aufgefaßt, schon den Hinweis, daß das neunzehnte Jahr­

hundert eine Kunstgeschichte in demselben Sinn wie die alten Epochen nicht gehabt hat, weil es eben das Handwerk als Institution nicht mehr kannte. Es hat nur eine Künstlergeschichte, die man ganz äußerlich in Zusammenhang gebracht hat, durch Schlagworte, die Richtungen be­

zeichnen, aber über die Künstler gar nichts aussagen, die einmal von den Stoffen, das andere Mal von der Form hergenommen sind, so daß etwa ein Kapitel heißt: Der Kolorismus, und ein anderes: Die Bauernmalerei. Das einzige, was möglich ist, hat Meier-Gräfe getan: er vereinigt in Kreisen, was sich um einen Meister scharte, und betont damit das Persönliche der ganzen Kunstübung auf das allerschärfste. Es stehen diese Kreise, denen man sich willkürlich anschließt, die man auch eines Tages wieder ver­

lassen kann, im klaren Gegensatz zu den Kulturkreisen der alten Epochen, die wohl neben den Hineingeborenen auch einmal einen Zugewanderten aufnahmen, die aber doch durchaus der Willkür entrückt waren und schicksalhaft für Künstler und Kunst.

Ist Kunst in ihrer höchsten Bedeutung Antwort einer Menschengruppe auf die Schöpfung, so hat Kunstgeschichte zu erzählen, wie Gruppe neben Gruppe und Gruppe nach Gruppe dazu gelangt ist, ihre Antwort zu ge­

stalten. Der Vorgang ist immer derselbe. Kurz ausgedrückt: der Genius setzt das Ziel, und dann entwickelt das Handwerk die Ausdrucksmittel für das Weltbild, das ihm entspricht. Dieser Vorgang kann lange Zeiten brauchen und die Arbeit vieler Generationen. Es ist die Tragik des moder­

nen Künstlers, daß er durch die Verhältnisse und schließlich durch eigene Wahl vor die unlösbare Aufgabe gestellt ist, für seine persönliche Kunst die Ausdrucksmittel selbst und in wenigen Jahren zu schaffen.

Aber diese kurze Formulierung genügt nicht, den Vorgang richtig zu verstehen. Und da von diesem Verständnis alles abhängt, so muß er aus­

führlicher dargestellt werden.

Schon die Worte „der Genius setzt das Ziel“, können mißverstanden

werden. Es ist im Leben einer Gruppe so wenig wie in dem des einzelnen

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so, daß das Ende der Entwicklung gewissermaßen im voraus gesehen wird und dann das Ringen um die Gestaltung beginnt, daß etwa die mittel­

alterliche Menschheit oder die niederfränkische Gruppe oder auch nur einer ihrer Meister den gotischen Dom erschaute oder ahnte und nun auf eine Verbesserung der Konstruktion dachte. Vielmehr stand in diesem Fall und steht immer am Anfang nur ein unklarer Trieb, eine Sehnsucht.

Je allgemeiner man es sagt, um so besser stimmt es. Es war damals in dem Menschen Nordeuropas und besonders dieses äußersten Nordwestens ein Drang ins Weite, Hohe, Lichte. Die Meister empfinden ihn mit den anderen, und stärker, bewußter. Sie fangen an, mit den erlernten, den romanischen Formen eine solche neue Wirkung zu versuchen, und dann durch neue Mittel die Masse zu erleichtern, dem Hochdrang genug zu tun und ihn sinnfällig zu machen, die Fenster zu erweitern. Es geht Schritt für Schritt, mit einer bedächtigen Kühnheit, wie sie jede künstlerische Ent­

wicklung verlangt. Man geht, will das sagen, so weit man irgend kann, aber auch nur so weit man kann; Stillstand ist ebenso ausgeschlossen wie törichter Versuch mit untauglichen Mitteln. Das geht durch viele Men­

schenalter ohne Ermatten. Denn das Ziel wird mit jedem Schritt klarer und dadurch lockender, für die Schaffenden, aber auch für die Menge.

Die hier immer mit kann, weil es nie einen Sprung, nie einen Bruch gibt, weil die Arbeit sich vor aller Augen vollzieht, oft genug das Gesprächs­

thema zwischen den Männern dieses und der anderen Handwerke ist, Angelegenheit und Sorge der ganzen Bürgerschaft. So hat jeder Schritt einen weiteren zur Folge, bis die Konstruktion vollkommen ist, der Trieb befriedigt oder, wie man dann zurückblickend sagt, das Ziel erreicht.

Dann ist ein Kapitel zu Ende. Es geschieht nicht mehr Kunst, die er­

rungene Form wird gefühllos wiederholt und allmählich leer. An Stelle der herzhaften Rede tritt ein Geplapper, an dem nur der Mund beteiligt ist. Man macht es durch Fremdworte gern interessanter. So wird die Gotik abgelöst durch einen Mischstil, der den sinnlosen Namen der deut­

schen Renaissance erhalten hat. Und so ist er auch. Nicht italienischer Einfluß hat sie getötet, wie die gemeine Meinung sagt, sondern sie ist des natürlichen Todes gestorben, und da konnte fremder Einfluß wirken.

Dies ist die wahre Erklärung von Jugend, Blüte und Verfall jeder Kunst.

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Und es ist klar, daß ein solches Geplapper, das keine Antwort mehr ist, den Sinn der Kunst ebensowenig ästhetisch wie historisch erfüllt. Eine Täuschung darüber ist nur deshalb möglich, weil die Werke solcher spä­

ten Zeiten sehr glatt und gefällig sind und dem flachen Gefühl dadurch leicht eingehen.

Genius und Handwerk entwickeln sich gleichlaufend in der Zeit. Aber

E i n f l u ß

sie sind in ihrer Art bestimmt durch den Boden, aus dem sie auch ihre

der

Kräfte ziehen. Wie alles Wachstum. Der Glaube an die Chronologie, der

Landschaf t

unsere Kunstgeschichte beherrscht, ist ein Aberglaube. Wo sie einen zeitlichen Ablauf sieht, ist in Wirklichkeit ein anderer Boden die Ursache der Wandlung. Malerei ist nicht im Quattrocento mehr plastisch und wird dann rein malerisch, sondern sie ist auf dem Festland mit reiner klarer Luft plastisch bestimmt, und die Seeluft Venedigs bringt die ganz malerische Art hervor, die dann die Künstler anderer Orte beeinflußt.

Sie bringt sie aber erst hervor, nachdem aus einem anderen Niederland, dem nordischen, das Mittel eingeführt ist, das dort unter dem Einfluß einer gleichen Atmosphäre das Handwerk sich geschaffen hat: die so­

genannte Ölfarbe der Van Eyck. Womit dann schon gesagt ist, daß die Bindung des Handwerks an den Boden keine absolute ist.

Trotzdem kann man sagen, daß ursprüngliche Kunst immer aus einem bodenwüchsigen Handwerk entstanden ist. Denn das ist nicht zu ver­

gessen: das Handwerk ist das Frühere. Am deutlichsten wird das, wo das Material stärker mitspricht: in der Plastik. Es gibt Länder, in denen Urgestein, andere, in denen Marmor oder Sandstein, andere, in denen Holz wächst und zur Bearbeitung lockt. So lange nicht ein anderes Hand­

werk importiert wird, und dazu gehörte in diesen Fällen ein Import von Material, wie ihn erst der moderne Verkehr in größerem Maßstab ermög­

licht hat, blieb das einheimische bestimmend. Ägyptische Kunst und

Basalt und Granit, griechische Kunst und griechischer, italienische

Kunst und italienischer Marmor — die ganze Renaissance begnügte sich

mit diesem keineswegs wertvollen Material — deutsche Kunst und

Holz hängen zutiefst zusammen. Es ist absichtlich hier Kunst und nicht

nur Plastik gesagt. Aber zunächst wirkt das Material stilbildend auf

die Plastik.

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Daß auch der Genius durch den Boden bestimmt ist, braucht ja kaum gesagt zu werden. Jeder Menschenschlag, in Körperform und Gebärde eigen, durch die Eindrücke der Landschaft und der Atmosphäre auch seelisch von besonderem Gefühl, hat sein unterschiedenes Weltbild und noch mehr sein unterschiedenes Wunschbild, und das heißt eben: sein unterschiedenes Kunstziel. Es können, wie fremde Materiale und Tech­

niken, auch fremde Ideen importiert werden. Wir finden das bei allen Völkern in allen Zeiten. Ohne dies gäbe es kaum das, was wir Menschheit, kaum das, was wir Geschichte nennen. Das größte Beispiel ist die Ein­

führung der Religion aus dem Orient zu den Völkern des Abendlandes.

Aber sie haben sie ihren gemeinsamen Zügen entsprechend umgewandelt, und dann jedes noch einmal seiner besonderen Art nach, und dann immer wieder in der Zeit. Man denke an die Entstehung des Madonnenkultes und an die vielen so völlig verschiedenen Gestaltungen der Maria von der Himmelskönigin bis zur modisch gekleideten Dam e! Daß eine enge An­

schauung solche Einflüsse jetzt nicht nur beklagt, sondern nach Jahr­

hunderten ausscheiden möchte, ändert nichts an der unwiderruflichen historischen Tatsache.

Der

Der Mensch der Gegenwart — wie lange diese Gegenwart dauert, ist

K ü n s t l e r

0]jen gesagt worden — kann aus der Erfahrung seines Lebens von all diesen

des

Zusammenhängen nichts wissen und deshalb auch nicht wissen, was

19. J a h r h . 6

Kunst in den alten Epochen und was Kunstgeschichte, auf diese Epochen angewandt, bedeuten. Er sieht den Typus des Künstlers an der Arbeit, den das neunzehnte Jahrhundert geschaflen hat. Dieser Künstler ist stolz auf seine absolute Freiheit. Er ist nicht an die Heimat gebunden, weder an die Landschaft noch an die Menschen, und gar nicht an die Kunst, die hier schon gewachsen ist. Seine eigentliche Heimat ist das Atelier, mag es liegen, in welchem Land es wolle, zuerst das Atelier der Schule, oder richtiger: der Schulen, da er zumeist mehrere ganz verschiedene nach­

einander besucht, dann das eigene. Das Atelier ist exterritorial wie eine Gesandtschaft, es hat mit dem Leben ringsum nichts zu tun. Statt leben­

dig bewegter Menschen sieht der Künstler dort willkürlich ausgesuchte und zurechtgestellte Berufsmodelle. Unzählige und widersprechende Ein­

flüsse stürmen aus Museen, Ausstellungen, Büchern und Zeitschriften auf

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ihn ein. Er steht in dem ganzen grausamen Sinne des Wortes als Einzelner da, und er will so dastehen. Er will sein Thema, seinen Ausdruck selbst wählen, er stellt sich stolz auch gegen die Welt und die Zeit. Und ist also darauf angewiesen, in diesem Publikum, mit dem er durch nichts ver­

bunden ist, die Menschen zu suchen, einzelne, verstreute Menschen, zu denen seine Art spricht, und die sich, so lange er nicht berühmt ist, als seine Wohltäter fühlen und gehaben und bei der Lage der Dinge auch tatsächlich dürfen. Auch sehr vornehme und gebildete Mäzene des Jahr­

hunderts haben dieser Versuchung nicht widerstanden und große Künst­

ler dementsprechend behandelt. Die Masse wurde ihr Lebtag als Para­

sitentum behandelt, Auftrag und Kauf wie ein Almosen und gegen gesell­

schaftliche Dienste gegeben. Aber auch hinter den glänzenden Fassaden, die sich sehr erfolgreiche Künstler erbauten, um fürstliche Existenz zu spielen, sah es sehr unsicher aus. Das Leben der Besten war lange Not und schweres Ringen, war Kampf, oft Krampf. Und die Kunst zeigt die Spuren.

Das Leben des Künstlers alter Zeiten verlief ganz anders. Und es ist für diese allgemeine Betrachtung kein wesentlicher Unterschied, ob er zunächst als Klosterbruder, dann als zünftiger Handwerker und schließ­

lich in freierer Stellung als unterschiedener Bürger unter Bürgern wohnte.

Sehr jung, immer im Knaben-, oft in frühem Knabenalter trat er in eine Werkstätte ein wie jeder andere Handwerker. Der Zudrang war nicht groß, denn es gab keine besondere Verlockung: weder soziale Sonderstellung noch phantastische Honorare noch romantische Lebensführung. Auch war leicht zu übersehen, ob eines der künstlerischen Handwerke über­

füllt war; dann hatten die bestehenden Werkstätten keinen Lehrplatz frei.

Übrigens gab es auch den Begriff Künstler gar nicht. Kunst kommt nicht von Können her, wie Max Liebermann gern wiederholt, sondern von Kennen, und wie das Wort ars wurde es für alle Arten geistiger und prak­

tischer Arbeit gebraucht. Man wurde nicht Künstler, sondern Maler oder Bildhauer oder noch genauer: Steinmetz, Erzgießer, Holzschnitzer. In dieser Werkstätte arbeitete der Meister an einem Werk, das ihm in Auf­

trag gegeben war, und dessen Stoff und Ausdrucksmittel dem Wollen und Können dieser Menschengruppe in diesem bestimmten Augenblick ent­

sprach. Das war für den Lehrling die einzige Kunst, die in seinem

K ü n s t l e r - Der H a n d ­ werker

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Gesichtskreis war. An diesenW erken nahm er einen mit seinen F ortschritten wachsenden Anteil, und das setzte sich in der Gesellenschaft fort, bis er ein Stück oder wohl auch ein geringeres Ganzes selbständig ausführen konnte, womit er sich als Meister bewährte. Kam dann die Wanderung, wohl gar in ein fremdes Land, die Erweiterung des Gesichtskreises, geisti­

ges Eigenleben, so entfernte er sich wohl von der heimischen Art und Übung, aber niemals so weit, daß er die Fühlung mit der Gemeinschaft verlor. Wenigstens ist uns kein Fall bekannt. Es scheint denn auch, daß solche Veränderungen von der Gemeinschaft als neuer Reiz empfunden wurden. Zu gewaltsamen Neuerungen lag kein Grund vor, weder innerlich, weil das Persönlichkeitsgefühl nicht sehr stark war, noch äußerlich, weil es durchauskeinenZ weckhatte, Aufsehen zu erregen,Experimente zumachen.

Man muß sich die Folgen dieser ganz anderen Stellung des Künstlers klar machen, die von größter Tragweite sind. Nicht nur Laien, sondern auch Kunsthistoriker übertragen die Vorstellungen, die sie aus dem gegenwärtigen Zustand gewinnen, mit Unrecht auf die Vergangenheit und können deshalb gar nicht zum Verständnis des geschichtlichen Verlaufes Vordringen. Die Meisten halten wohl gar mit dem Künstler dieser Läufte die absolute Freiheit für das Wünschenswerte. Wo von Gemeinschafts­

kunst, gar von Zünften oder Gilden, von anonymem Söhaffen geschwärmt wird, weil doch eine Ahnung aufgedämmert ist, wie durch diese Dinge die Kunst gediehen ist, geschieht es ganz redensartlich. Das kann auch gar nicht anders sein, weil zunächst alle Voraussetzungen fehlen, um zu einem ähnlichen Zustand zu gelangen. Der erste Schritt wäre Rückkehr zu der Existenz des Handwerkers und zur Werkstättenerziehung. Und gerade daran denkt im Ernst noch niemand. Was in der Umwandlung der Schulen geschieht, ist auch in seiner radikalsten Form nur Abschlags­

zahlung. Es scheint aber jetzt, als ob die allgemeinen Verhältnisse auf diese Entwicklung hindrängen werden, indem sie den Künstlertypus des neunzehnten Jahrhunderts wirtschaftlich unmöglich machen.

Negativ ausgedrückt: es gab keinen Krampf. Der Künstler-Hand­

werker stand in der bürgerlichen Ordnung wie jeder andere, schloß ins

einzelne gehende Verträge über das, was er zu liefern und zu empfangen

hatte — sogar die Portionen wertvoller Farben, die er in einem Bild zu

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verwenden hatte, waren mitunter bestimmt —, wurde, wo Zünfte be­

standen, von der Zunft überwacht, daß er gutes Material und gute Arbeit lieferte, und durch die Beschränkung der Zahl der Meister in seinem Brot geschützt, in den Bauhütten vollends in eine festgefügte Gemeinschaft eingeordnet. Er empfing Aufträge, die auszuführen er gelernt hatte, und konnte Formen übernehmen oder leicht abändern und sich ganz auf die Ausführung konzentrieren. Aber auch wenn er neue erfand, war er um den Ausdruck als gelernter Meister nicht verlegen. Er erwartete von sich und die anderen erwarteten von ihm höchstens einen kleinen Schritt über seine Vorgänger hinaus. Es gab kein aus aller Kunst der Menschheit abgezogenes Ideal, an dem das Werk gemessen wurde. Die Forderungen bezogen sich überhaupt mehr auf das Handwerkliche, gute Zutaten, sorg­

same Arbeit, Dauerhaftigkeit als auf das, was wir künstlerisch nennen.

Deshalb war auch trotz der Bindungen durch den Auftraggeber, der ja oft die Kirche war, der Künstler doch recht frei in dem, was seine Natur interessierte. So ging die Kunst mit dem Leben, nicht gegen das Leben, wie in unseren Zeiten.

Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß es da bequem und träge zuging,

Will,’

jeder Blick auf die Werke etwa der gotischen Zeit beweist das gerade

des

Gegenteil. Der Wille ist durchaus gesammelt und gespannt, viel stärker

Kunstlers

als bei den meisten Modernen, bei denen das Ziel gerade deshalb so weit

gesteckt wird, weil sie statt dieses Tatwillens eigentlich nur ein schwäch­

liches Möchte haben, das sich leicht mit einer kleinen Annäherung be­

ruhigen wird. Für den wissenden Zuschauer hat das sogenannte Ringen des letzten Jahrzehntes oft genug an den Athleten erinnert, der unter lauter Begleitmusik mit Pappgewichten hantiert. Bei den alten Meistern war es bitterer Ernst, und sie gingen so weit, wie es bei äußerstem Auf­

gebot ihrer Kraft möglich war. Daher die starke Wirkung, auch wo die letzte Vollendung fehlt. Man kann paradox sagen: sie konnten mehr als sie konnten. Eine rätselhafte Kraft, dem Werke mitgegeben, setzt die Phantasie des Beschauers in Bewegung, Geist wirkt durch den Stoff hin­

durch auf Geist. Es war ein Gipfelpunkt der Gefühllosigkeit, als eine ratlose

Jugend darauf verfiel, gerade diese Wirkung zu suchen, und zwar durch

Nachahmung der alten Formen, indem sie absichtlich unvollkommen

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Wille M a t e r i a l sdes

blieb, also an Stelle der ganz gespannten und gefüllten Form die ganz leere setzte. Es ist kein Widerspruch zwischen diesen Sätzen und der vor­

her gegebenen Darstellung des.Fortschreitens als eines schrittweisen. Es kostet jeder Schritt vorwärts in der Kunst wirklich den ganzen Willen eines Menschen. Aber nur ein schwächliches Geschlecht nennt dieses selbstverständliche Einsetzen des vollen Menschen und eines Lebens einen Kampf.

Neben dem Ringen um die Form ist in dem Kunstgerede der Zeit, das von dem Schaffen ihrer Künstler ausgeht, auch das Ringen mit dem Material eine gern gebrauchte Wendung. Auch sie trifft nur für den vom Handwerk losgelösten Künstler zu, der ja tatsächlich in die Lage kommen kann, das Gebilde seiner frei schweifenden Phantasie, für das er erst nach­

träglich ein Material sucht, diesem aufzwingen zu müssen. Rei dem Schaffen des Künstler-Handwerkers gehen der Wille des Künstlers und der Wille des Materials von Anfang an einig.

Wille des Materials. Das klingt nun sehr metaphysisch. Und es be­

darf einer ausführlichen Erklärung, weil es ein Regriff ist, der vollkommen verlorengegangen war, und den erst sehr wenige wieder gefaßt haben.

Der Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, der ja auch heute noch der herrschende Typus ist, lehnt sich empört dagegen auf, daß ein Wille außer dem seinigen an seinem Werk mitwirken solle, vielleicht gar ein Wille gegen den seinigen. Und er hat sich auch in dem fügsamen Ton und in der fügsamen Ölfarbe Materialien geschaffen, mit denen man ganz will­

kürlich umspringen kann. Die Folge davon ist die Stillosigkeit dieser Kunst, die er von Zeit zu Zeit seihst fühlt, und der er dann durch ein ganz äußerliches und in Wahrheit barbarisches Vorgehen abzuhelfen suchte, das er „stilisieren“ nennt, und durch das er den Stil der alten Werke zu ersetzen meinte. Stil ist aber nicht Folge einer Absicht und läßt sich nicht herstellen. Stil entsteht, und entsteht eben dadurch, daß der Künstler den Willen seines Materials sich auswirken läßt.

Diesen Willen des Materials erkennt man bei seiner Handhabung.

Man gebe einem jungen Steinmetzen ein Stück Granit und einen Meißel,

und er wird nach einer Stunde und für sein ganzes Leben wissen, daß man

von diesem Gestein nicht ein Korn mehr wegschlagen soll als durchaus

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nötig ist, und daß ein Künstler, der dafür ein Modell schüfe, in dem ein Loch ist, eine wahnsinnige Vergeudung von Arbeit treibt; das sagen ihm die müde Hand und der jeden Augenblick stumpfe Meißel. Zu derselben Einsicht zu kommen, haben die allerklügsten Professoren Studium und Nachdenken von Jahrzehnten gebraucht, und dann ist doch noch ein schiefer Satz daraus geworden. So will jeder Stein, auch wenn er eine Ge­

stalt werden soll, ein Block bleiben, bald fest geschlossen, bald freier ge­

öffnet, je nach seiner Substanz; so will Marmor seine Farbe und Trans­

parenz zeigen, und man soll seine Oberfläche dazu in feinen Schwellungen bewegen; so will Bronze geschmeidig fließen und erstarrend diese Form halten und will metallisch schimmern. Wie Ibsens Borkmann die Erze aus der Tiefe rufen, sie zu befreien, so tönen die Stimmen der Materiale in das Ohr des rechten Künstlers. Sein Werk ist immer zugleich ihre Erfüllung.

Das alles klingt dem modernen Menschen merkwürdig und über-

I n h a l t

raschend, weil er sich den Schaffensprozeß des Bildners nicht richtig vor-

und

stellt, nach dem, was von ästhetischen Begriffen durch die Äußerungen

Form

der Künstler und Kunsthistoriker zu ihm dringt, gar nicht richtig vor­

stellen kann. Alle diese Begriffe sind verstandesmäßig und zerlegen einen einheitlichen Vorgang. Es gelten Inhalt und Form als Bestandteile eines Kunstwerkes, das also etwa so entstehe, daß zuerst ein Inhalt gesucht und gefunden und diesem dann die Form wie eine Art von Kleid angezogen werde. Beweis für das Vorhandensein dieser Vorstellung ist, daß am Ende eine Generation die Alternative stellen konnte: Inhalt oder Form, indem sie meinte, Rücksicht auf den Inhalt mache eine Kunstform unmöglich, und es könne Form im höchsten Sinne nur ohne jeden Inhalt geben. Es hat erst durch den Bankerott dieser Versuche den Zeitgenossen be­

wiesen werden müssen, was nie bezweifelt werden durfte, daß Form ohne Inhalt nichts ist als im besten Fall dekorative Spielerei. Inhalt und Form sind im Grunde ein und dasselbe, sie gehören zusammen wie Frucht und Schale und entstehen in einem unteilbaren Schöpfungsakt.

Diesen Schöpfungsakt des Bildners zu verstehen, ist für jeden sehr

schwer, der nicht bildnerische Phantasie hat. Und eine große Zahl der

Irrtümer über das Verhältnis von Kunst und Natur ist die Folge. Die

letzte Generation hat ganz recht gehabt, und es gehört zu ihren wenigen

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Verdiensten, daß sie wieder stark betonte, Nachahmung der Natur sei noch nicht Kunst. Das ist aber keine neue Weisheit, sondern sehr alte, die nur eben mit vielen anderen das kunstfremde neunzehnte Jahrhundert vergessen hatte. Der Ausweg, die Natur zu verzerren oder in das Reich der geometrischen Formen zu fliehen, den sie wählte, zeigt schon, daß sie die Grundeigenschaft des Bildners ebensowenig besaß wie die realistische Generation, die sie bekämpfte. Bildnerische Phantasie sieht eben ihren Gegenstand gar nicht erst als Wirklichkeit, sondern gleich als das Kunst­

gebilde, das er werden soll, das heißt, schon so umgesetzt, wie es die Mittel eines bestimmten Handwerks, zu denen auch das Material gehört, fordern.

Goethe hat einmal sehr drastisch gesagt, wenn man einen schwarzen Pudel abmale, so habe man zwei schwarze Pudel, aber immer noch kein Kunstwerk. Das klingt sehr plausibel, aber es ist nicht wahr. Sondern es kommt darauf an, ob der Maler ihn von Anfang an als dieses bestimmte Tier oder als Farbengebilde, als geschlossene Einheit von Farbe und Licht, gesehen hat. Es gibt keinen schwarzen Pudel, der ein Kunstwerk ist, aber es gibt einen „geschlachteten Ochsen“, und es ist ja ohne weiteres möglich, dieses Motiv in Goethes These einzusetzen. Hans Thoma hat das berühmte Bild Rembrandts das größte Werk der malerischen Phantasie genannt. Wie ist es entstanden? Rembrandt hat eben nicht das blut­

rünstige Stück Vieh gesehen wie der Metzger und der Bürger, sondern die reichste Abwandlung aller roten und gelben Töne, aufs schönste geordnet und in die Sphäre seines goldenen Lichtes erhoben. Welches Stück Wirk­

lichkeit ihm diese Vision gab, ist ganz gleichgültig. Aber es wird in dem Kunstwerk, das man durchaus als abstrakt bezeichnen kann, auch der Gegenstand auf das Vollkommenste dargestellt, der die farbige Er­

scheinung trägt. Maler sein heißt Bilder sehen, ganz gleich, ob der Gegen­

stand gegeben ist oder ob man ihn ersinnt, ob er in der Wirklichkeit

besteht oder nur in der Einbildung. Es wird im zweiten Teil dieses Buches

versucht werden, deutlich zu machen, was Kunstform ist und wie sie

das Gebilde in Distanz zur Natur bringt, ihre Entstehung ist nur zu

ahnen, nicht eigentlich zu verstehen. Sie ist wie alle Entstehung ein

Mysterium. Wir können nur feststellen, daß es Menschen gibt, in deren

Phantasie sich Natur in Kunst umsetzt. Es gehören aber leider durchaus

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nicht alle dazu, die ein lascher Sprachgebrauch Künstler nennt. Und diese bleiben entweder an der Wirklichkeit kleben oder betreiben eine gewalt­

same Umsetzung in einen ausgedachten Stil.

Kunst ist Schöpfung des Menschen. Die Natur kann also wohl die Disposition zum Künstler mitgehen, aber nicht eigentlich Künstlertum.

Das muß erworben werden. So ist auch die bildnerische Phantasie nicht Feengeschenk an der Wiege, nicht unbedingt und zeitlos. Sondern auch das größte Genie kann seinen Gegenstand nur in einer Kunstform sehen, deren Elemente es besitzt, als überkommen und erworben. Die jüngste Schule der Kunsthistoriker ist bis zu dem Zweifel gelangt, ob es über­

haupt eine Kunstgeschichte gibt. Es gibt eine. Wer ein Werk des größten Malergenies wie den „Geschlachteten Ochsen“ analysiert, Art der Farben, Fülle der Tönung, Führung des Lichtes, Klang des Kolorits, und jedes dieser Elemente auf seinen Ursprung zurückverfolgt, der wird schließlich die Entwicklung der Malerei in aller Welt und die Rembrandts bis zum Tage der Entstehung dieses Bildes aufrollen müssen. Selbst ein so äußer­

licher Umstand wie das Gelangen venezianischer Bilder nach Holland dürfte nicht fehlen, ohne dieses bestimmte Resultat unmöglich zu machen.

Man mißverstehe nicht! Rembrandt wäre immer ein Malergenie geworden, er hätte immer Bilder gesehen, und vielleicht auch dieses; aber seine Bild­

form wäre anders gewesen.

Anders ausgedrückt, die Kunstform, in der ein Bildner seinen Gegen­

stand sieht, ist abhängig von seinem Material, seinem Handwerkszeug, seinem Können, was alles er freilich in einem gewissen Maß verbessern kann. Wo also ein Werk aus einer bildnerischen Phantasie entsteht, kann es gar kein Ringen mit dem Material geben, sondern nur eine Schwierig­

keit der Arbeit, was aber etwas ganz Verschiedenes ist. Dieser echte Schaffensvorgang ist aber eben nur dem Künstler-Handwerker möglich, der von früh auf das Material gehandhabt hat und mit ihm vertraut ist, dessen Wille ohne Zwang mit dem des Materials einig geht.

D as Schaffen des vom Handwerk losgelösten Künstlers ist ein krampf­

haftes Ringen, das des Künstler-Handwerkers eine ruhige und feste An­

spannung. Alle Probleme, wie sie jenen bedrängen, sind unlösbar, für

diesen bestehen sie gar nicht. Indem er seinen Gegenstand in der Kunst­

(20)

T r e n n u n g K u n s t von u n d Le b e n

form sieht, die seinem Handwerk entspricht, macht er sein Werk zu­

gleich stilgerecht und zeitgerecht, ist er künstlerisch und modern. Und da sein Nachbar mit derselben Kunst groß geworden ist wie er selbst, so ver­

steht der seine Sprache, und er braucht nicht gegen ihn zu malen und zu meißeln, den er doch braucht, wirtschaftlich und seelisch, und der wieder­

um die Kunst braucht.

Denn das hängt auf das engste zusammen: hört Kunst auf, die An­

gelegenheit der Gemeinschaft zu sein, so ist sie auch nicht mehr inner­

halb dieser Gemeinschaft jedermanns Sache. Sie und ihre Sprache, der Willkür des einzelnen überlassen, werden fremd und unverständlich.

Nichts absurder — wir kommen nur nicht zu dem Gefühl, weil wir an den Zustand gewöhnt sind —, nichts absurder als der Künstler, der sich gegen den Philister gestellt hat und doch von ihm verstanden werden will.

Die Loslösung der Kunst vom Leben ist allmählich geschehen. Zuerst wurde sie in den Dienst des Luxus gestellt. Den entscheidenden Schritt taten die absoluten Fürsten, die neue Werke nur zum Schmuck ihrer Schlösser schaffen ließen und die Werke der früheren Zeiten in unzugäng­

lichen Kammern sammelten. Damit war die Kunst dem Volke entzogen, und es entfremdete sich ihr. Der Zusammenhang zwischen dieser Ent­

fremdung und dem Herabsinken des Volkes zu einer beherrschten Masse wird dadurch klar bewiesen, daß, als das neue Bürgertum am Ende des achtzehnten Jahrhunderts stark genug geworden war, sein Schicksal wieder in die eigene Hand zu nehmen, es auch zum Träger der Kunst wurde. Mehr, die künstlerische Bewegung ging der politischen voraus, be­

reitete sie vor und war selbst da stark genug sich durchzusetzen, wo kein politischer Umsturz erfolgte. Was in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist die Tatsache, daß überall und wie selbstverständlich der fürstliche Be­

sitz zum Allgemeingut, die verschlossene Kunstkammer zum öffentlichen Museum wurde und daß nicht mehr der Fürst den Ton angab, sondern das gebildete Bürgertum, für das Professoren und Kritiker das Wort führten.

Das war in keiner Hinsicht eine Herstellung des alten glücklichen Zu­

standes. Was unter diesen Verhältnissen aus dem Künstler werden mußte

und geworden ist, ist schon gesagt worden. Aber sie waren nicht nur

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schlimm für die Kunst, die keine Stelle mehr im Leben hatte, sie waren auch schlimm für das Leben, das verarmte. Der Mangel an Sinnlichkeit, der Fortfall der Berührung mit schönen Werken machte sich bald sehr bemerkbar, besonders auch darin, daß das Handwerk verfiel, das die Kunst befruchtet hatte, und aus dem ihr wiederum Kräfte zugewachsen waren. Kunst wurde ein Teil der Bildung, Gegenstand einer besonderen Kennerschaft. Die Geweihten gefielen sich darin, sie als ihre vorbehaltene Domäne hinzustellen, und die anderen glaubten, weil es erstens bequem war, und weil sie auch das immer anwachsende, immer verwirrter wer­

dende Kunstgerede nicht verstanden.

In den letzten Jahrzehnten ist hier eine Wandlung eingetreten. Es sind Kunstmenschen aufgetreten, die von diesem Privileg nichts wissen wollen, die wissen, daß Bildung weder Kunst schafft noch Kunst auf­

nimmt, daß das Kunstwerk aus Seele und Sinnen geboren wird und zu jedem spricht, der Seele und Sinne hat, die nicht dulden wollen, daß der Großteil des Volkes an dem herrlichen Menschheitsbesitz keinen Anteil hat. Es soll letzten Endes Kunst wieder jedermanns Sache werden. Dazu muß es, da das Volk ganz entfremdet ist und fast das Sehen verlernt hat, Kunsterziehung geben.

Manche Versuche in Museen und Schulen haben Anlaß zur Kritik ge­

geben, und die Geweihten möchten deshalb die ganze Bewegung aus­

lächeln. Das geht aber nicht. Und jeder Zweifel an ihrem Recht und ihrer Zukunft ist abzuweisen.

Es ist durchaus jedermann möglich, Kunst zu fühlen. (Der beliebte Ausdruck „zu verstehen“, ist falsch und irreführend.) Das bedeutet natür­

lich keine Gleichheit aller. Es wird immer dieselben Beschränkungen und Unterschiede geben wie in dem Verhältnis der Menschen zur wirklichen Welt. Es gibt Trägheit der Seele und Stumpfheit der Sinne, die kein Ein­

druck überwinden kann, es gibt unendlich viele Abstufungen der Wach­

heit und der Bereitschaft und der seelisch-sinnlichen Kräfte selbst. Es gibt leider auch soziale Zustände, die diese natürlichen Kräfte absterben lassen. Aber alle Arten der Unempfänglichkeit, das ist durch die An­

regung der Schulen zu bildnerischer Tätigkeit bewiesen, sind viel seltener

als man glaubt.

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Der Irrtum der Bewegung liegt in der Art, wie man vielfach den Weg zur Kunst weist. Viele glauben, es sei ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert, dem Volke das ästhetische Gerede zu bringen, das von den Gebilde­

ten gepflegt wird; dem Volke, das heißt hier, allen denen, die zur Kunst wollen. Damit ist aber gar nichts gewonnen.

Man kann überhaupt nicht viel bringen. Den Weg zur Kunst muß am Ende jeder allein gehen. Es hilft nur eigenes Anschauen, dessen Ver­

feinerung und Veredelung die großen Werte der Kunst dann ohne Ver­

mittlung eines Lehrers besorgen. „Erwirb es, um es zu besitzen!“ Aber steht es denn mit anderen Dingen anders? Hat nicht die Herstellung ge­

bildeter Menschen durch Eintrichterung fremder Resultate offensichtlich Bankerott gemacht? Ist man nicht dabei, das ganze System zu ändern?

Es besteht nur und doch die Möglichkeit, den Weg zu weisen. Und das

ist es, was dieses Buch versuchen will. Es will dem Menschen das sagen,

was er aus der Erfahrung unseres Lebens nicht wissen kann. Es will ihm

zeigen, was Kunst in den großen Zeiten gewesen ist, wie sie geschehen ist

und was sie geschaffen hat, und es will ihn fühlen lehren, was Kunstform

ist, denn ohne das Gefühl für die Form ist alle Kunstbetrachtung doch

nur Bilderguckerei. Wer in diesen beiden Dingen klar ist, der hat einen

festen Standpunkt und kann beginnen mit eigenen Augen zu sehen.

(23)

II

DIE KUNSTFORM

Aus der These, daß Genius und Handwerk zu der Entstehung eines Kunstwerks Zusammenwirken, ergibt sich die Folgerung, daß, wer nur den Inhalt oder wer nur die Form sieht, nicht zum Kunstwerk und, über das Einzelne hinaus, nicht zur Kunst kommen kann. Der Uberästhet, der es unter seiner Würde findet, Gegenstand und Gefühlshaltung zu beachten, ist im Grunde dem simplen Laien, der in ihrer Betrachtung steckenbleibt, nicht überlegen. Ja, es ist sehr fraglich, ob nicht dieser dem Sinn des künstlerischen Schaffens doch mehr entgegenkommt. Denn Form, soviel sie dem Künstler bedeutet und bedeuten muß, so sehr sie seinem Bewußtsein Hauptsache oder gar Alleininteresse werden kann — Form bleibt letzten Endes doch immer Mittel, die höchste Eindringlich­

keit der Mitteilung zu erreichen. Wer auch im Unterbewußtsein nicht mehr diese Eindringlichkeit der Mitteilung will, dessen Werk bleibt leer, und wenn es noch soviel formale Reize hat. Reize, die nicht in das Gefühl, das ganz einfache menschliche Gefühl dringen, sind nur dekorativer, das ist niederer Art. Wir haben jetzt eine Periode durchlebt, in der eine ganze Generation sich dem reinen Formalismus ergeben hat. Jetzt kommt die Erkenntnis, daß das bei allen großen Worten nicht neue Kunst geschaffen hat, sondern höchstens die Mittel verbessert.

Ist es nun möglich, den immer realistisch eingestellten Laien für die Kunstform empfänglich zu machen, ihn empfinden zu lassen, daß Statue, Bild, Schwarzweißblatt noch etwas ganz andres sind als Darstellung?

Das ist die große Grundfrage, die beantwortet werden muß, wenn das Ziel gestellt wird, Kunst wieder zu jedermanns Sache zu machen. Hoch­

mut der Ästheten, Minderwertigkeitsgefühl des Laien bezweifeln und

leugnen es. Mancherlei Versuche sind gescheitert. Es soll hier auf eine neue

Weise versucht werden. Nicht durch Einpaukung allgemein ästhetischer

Grundsätze und Redensarten, die vor dem Kunstwerk immer versagen

müssen, nicht durch endlose Reden über ein Werk, die es leicht zu Tode

reden. Es werden eine Anzahl bedeutender Werke kurz besprochen, nicht

um sie zu erschöpfen, sondern nur soweit, um zu zeigen, wie Inhalt und

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Der Irrtum der Bewegung liegt in der Art, wie man vielfach den Weg zur Kunst weist. Viele glauben, es sei ein Ziel, des Schweißes der Edlen wert, dem Volke das ästhetische Gerede zu bringen, das von den Gebilde­

ten gepflegt wird; dem Volke, das heißt hier, allen denen, die zur Kunst wollen. Damit ist aber gar nichts gewonnen.

Man kann überhaupt nicht viel bringen. Den Weg zur Kunst muß am Ende jeder allein gehen. Es hilft nur eigenes Anschauen, dessen Ver­

feinerung und Veredelung die großen Werte der Kunst dann ohne Ver­

mittlung eines Lehrers besorgen. „Erwirb es, um es zu besitzen!“ Aber steht es denn mit anderen Dingen anders? Hat nicht die Herstellung ge­

bildeter Menschen durch Eintrichterung fremder Resultate offensichtlich Bankerott gemacht? Ist man nicht dabei, das ganze System zu ändern?

Es besteht nur und doch die Möglichkeit, den Weg zu weisen. Und das

ist es, was dieses Buch versuchen will. Es will dem Menschen das sagen,

was er aus der Erfahrung unseres Lebens nicht wissen kann. Es will ihm

zeigen, was Kunst in den großen Zeiten gewesen ist, wie sie geschehen ist

und was sie geschaffen hat, und es will ihn fühlen lehren, was Kunstform

ist, denn ohne das Gefühl für die Form ist alle Kunstbetrachtung doch

nur Bilderguckerei. Wer in diesen beiden Dingen klar ist, der hat einen

festen Standpunkt und kann beginnen mit eigenen Augen zu sehen.

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II

DIE KUNSTFORM

Aus der These, daß Genius und Handwerk zu der Entstehung eines Kunstwerks Zusammenwirken, ergibt sich die Folgerung, daß, wer nur den Inhalt oder wer nur die Form sieht, nicht zum Kunstwerk und, über das Einzelne hinaus, nicht zur Kunst kommen kann. Der Uberästhet, der es unter seiner Würde findet, Gegenstand und Gefühlshaltung zu beachten, ist im Grunde dem simplen Laien, der in ihrer Betrachtung steckenbleibt, nicht überlegen. Ja, es ist sehr fraglich, ob nicht dieser dem Sinn des künstlerischen Schaffens doch mehr entgegenkommt. Denn Form, soviel sie dem Künstler bedeutet und bedeuten muß, so sehr sie seinem Bewußtsein Hauptsache oder gar Alleininteresse werden kann — Form bleibt letzten Endes doch immer Mittel, die höchste Eindringlich­

keit der Mitteilung zu erreichen. Wer auch im Unterbewußtsein nicht mehr diese Eindringlichkeit der Mitteilung will, dessen Werk bleibt leer, und wenn es noch soviel formale Reize hat. Reize, die nicht in das Gefühl, das ganz einfache menschliche Gefühl dringen, sind nur dekorativer, das ist niederer Art. Wir haben jetzt eine Periode durchlebt, in der eine ganze Generation sich dem reinen Formalismus ergeben hat. Jetzt kommt die Erkenntnis, daß das bei allen großen Worten nicht neue Kunst geschaffen hat, sondern höchstens die Mittel verbessert.

Ist es nun möglich, den immer realistisch eingestellten Laien für die Kunstform empfänglich zu machen, ihn empfinden zu lassen, daß Statue, Bild, Schwarzweißblatt noch etwas ganz andres sind als Darstellung?

Das ist die große Grundfrage, die beantwortet werden muß, wenn das Ziel gestellt wird, Kunst wieder zu jedermanns Sache zu machen. Hoch­

mut der Ästheten, Minderwertigkeitsgefühl des Laien bezweifeln und

leugnen es. Mancherlei Versuche sind gescheitert. Es soll hier auf eine neue

Weise versucht werden. Nicht durch Einpaukung allgemein ästhetischer

Grundsätze und Redensarten, die vor dem Kunstwerk immer versagen

müssen, nicht durch endlose Reden über ein Werk, die es leicht zu Tode

reden. Es werden eine Anzahl bedeutender Werke kurz besprochen, nicht

um sie zu erschöpfen, sondern nur soweit, um zu zeigen, wie Inhalt imd

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Form Zusammenhängen, wie auch die strengste Bindung an das Gesetz, das durch die handwerklichen Mittel gegeben ist, nicht den Willen des Schöpfers hemmt, wie vielmehr gerade durch den Gehorsam gegen das Gesetz die höchste Wirkung des Inhalts erreicht wird.

Es ist fast allen ästhetischen Versuchen gemeinsam, daß sie nur eine Art von Kunst gelten lassen. Ihre Grundsätze sind Waffen gegen alle anderen. Diese praktische Ästhetik will das Gegenteil. Was sie lehrt, soll helfen, Vorzüge stärker zu empfinden. Sie weiß von keinem Unterschied der Richtung und der Schule, von keinem Ausschluß irgendeiner Absicht, sie weiß nur von der Qualität der Leistung. Sie beruht auf dem Glauben, daß die Möglichkeiten der künstlerischen Arbeit unbeschränkt sind, daß es kein Rezept gibt und geben kann, sondern daß alle Form Sache des Gefühls ist und daß im Grunde jede Form einmalig ist. Sie will auch keine Kenner schaffen, die ein für allemal Bescheid wissen, son­

dern Betrachter, die immer wieder bescheiden aufmerken und immer frisch erleben.

Es sei ausdrücklich gesagt, daß, so entschieden die Kunstform betont ist, auch ihr Fehlen ein Werk noch nicht verdammt. Wir fühlen alle höchste Bewunderung vor Bildern und Skulpturen der alten deutschen Meister, trotzdem sie nicht Farhengebilde und Plastik in dem Sinne sind, den wir mit diesen Worten verbinden. Ihre Vitalität, die herzhafte Kraft ihres Ausdruckes sind stark genug, um trotzdem zu wirken. Wer sich Rechenschaft von seinen Erlebnissen gibt — nur der Unbefangene, Vor­

urteilslose erlebt wirklich —, wird finden, daß es ganz verschiedene Quali­

täten sind, die ihn anziehen, einmal Kraft, einmal Schönheit, hier ein Ein­

zelnes, dort das Zusammen. Nur die Doktrin schließt aus, nicht das Ge­

fühl. Es gibt Gesetze, und sie sollen gewahrt werden. Aber es gibt kein Gesetz, das den Genius unter allen Umständen bindet.

Aus dem Sinn des Kunstwerks ergibt sich ohne weiteres, daß es eine Einheit sein muß, ein in sich geschlossenes Wesen, ein Individuum, von dem man nichts fortnehmen, dem man nichts hinzufügen kann.

Aber diese Einheit kann nicht Einförmigkeit bedeuten. Einförmig­

keit ist langweilig. Es muß also innerhalb der Einheit Mannigfaltigkeit

und Bewegtheit herrschen.

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Damit ist eigentlich alles gesagt, was sich allgemein über alle Kunst sagen läßt, über Haus, Statue, Bild, graphisches Blatt. Nur die Mittel sind jedesmal verschieden. Das sollen die folgenden Besprechungen auf­

zeigen.

Vorher sei bemerkt, daß es nicht eine plastische Form gibt, von der soviel die Rede ist, sondern daß jedes plastische Material seine besondere Form hat. Hartsteinstil ist Gesetz, der sogenannte plastische Stil ist Regel, also Willkür.

Das Mittel des Bildes sind die Farben. Doch spielen, je größer die Bild­

fläche ist, auch die Umrisse mit. Die alte Malerei kannte die Landschaft als Bildmotiv nicht, weil mit ihren Elementen die Fläche nicht zu gliedern ist. Die realistische Landschaft bleibt formlos, die Luft bedeutet ein Loch, Erde und Himmel fallen auseinander. Das wahre Problem der Land­

schaftsmalerei ist, diese Dinge zu vermeiden, auch aus der Landschaft ein Bild, das heißt eine geschlossene, gegliederte, besondere und innerlich be­

wegte Farbenfläche zu machen.

D as Mittel des graphischen Blattes sind Schwarz und Weiß. Der ge­

borene Graphiker setzt nicht ein Bild in ein graphisches Blatt um. Repro­

duktion ist einNotbehelf, der mit Kunst wenig zu tun hat. DerMaler sucht ein besonderes Farbengebilde, der Graphiker ein besonderes Lichtgebilde.

Diese können kaum jemals aus demselben Motiv kommen. Das meiste, was heute als Graphik verbreitet ist, ist nur vervielfältigte Handzeich­

nung, nicht, was es sein sollte, eine reiche und harmonisch gebundene Wirkung in Schwarz und Weiß.

Dies alles sind Dinge, die vergessen worden sind, auch von den meisten Künstlern. Die junge Generation hat das Verdienst, auf die Bedeutung der Form energisch wieder hingewiesen zu haben. Aber sie hält Form irrtüm­

lich für etwas, was der Künstler künstlich schafft.

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Es fallen auf: starke A bw eichungen von der N atu r und der M angel an dem , was der Laie Leben und der B ildhauer Gelenk nenn t, das h e iß t: nicht n u r an B e­

wegung, sondern schon an M öglichkeit der Bewegung.

Diese E igenschaften w erden von dem realistisch geschulten M enschen als Fehler em pfunden und sind auch in den älteren D arstellungen ägyptischer K unst im neunzehnten Jah rh u n d ert als solche hingestellt. W odurch m an sich die Mög­

lichkeit des V erständnisses verschloß.

Sie sind nicht Folge eines N ichtkönnens, sondern sind gew ollt; eine F orm ­ absicht, bei der die B edingungen des M aterials genau dem Zweck der D arstellung entsprechen.

D as W erk soll ein M al sein, ein Zeichen, das den göttlichen K önig bedeutet, ein B ild, dem alles M enschliche frem d bleiben m uß. Also auch A usdruck und Be­

wegung. Jede Bewegung, ja schon das Gelenk, das an die M öglichkeit einer Be­

wegung denken läß t, erinnert an die Zeit und dam it an die V ergänglichkeit. U m das K önigsbild, das im m er auch ein G ötterbild ist, soll E w igkeit wehen. U nd dieser Zweck ist vollkom m en erreicht. Als diese ägyptischen Bildw erke entdeckt w urden, h a t m an den G egensatz zu aller anderen K u n st nicht gleich richtig form ulieren können, aber gleich richtig em pfunden.

N ur der K opf ist bildnishaft, wenn auch nicht in unserem Sinne, weil er, um zu dem in A rchitektur um gesetzten K örper zu passen, streng gerade gerichtet sein m uß und seine Züge durch keine Em pfindung belebt sein dürfen. D er K örper ist, wie gesagt, architek tural. Die Beine stehen wie Pfeiler, die K niee wie K apitelle.

Alle Flächen haben etw as von der W and, und nichts von organischer Schwellung.

D ie Ä gypter haben solche B ilder auch in weicherem und hellerem Stein ge­

schaffen, und w ohl gar zuerst in diesem . A ber die ganze Selbstverständlichkeit bekom m t der Stil erst in den Figuren aus B asalt und G ranit, da, wo die dunkle F arbe doch keine gewollte Schwellung w ürde zur E scheinung kom m en lassen und wo die m assige G eschlossenheit des Blocks die H ärte des Steines, die sie sichert, unm ittelbar fühlen läß t. E rst durch diesen E inklang von M aterial und Form w ird die W irkung vollkom m en. K ein G edanke an W illkür, kaum noch ein G edanke an M enschenw erk, wie eine gewachsene N otw endigkeit stehen diese B ilder da, außer aller Zeitlichkeit.

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Alle N achahm ung einer alten K unstform ist sinnlos. W enn ein K ünstler unserer Zeit einm al in G ranit arbeitet — es sei hier an H ugo Lederers B ism arck in H am burg erinnert —, so w ird notw endig eine gewisse Ü bereinstim m ung m it den ägyptischen M onum enten entstehen, die ihren G rund in den E igenschaften des M aterials hat.

D as ist keine N achahm ung. W ohl aber ist als solche jedes Ä gyptisieren zu be­

zeichnen, das an jene Form en sich anschließt, w ährend ein M aterial ben utzt wird, das ganz andere erlau bt, und von dem W illen zur Zeitlosigkeit, der jene G estaltung

d ik tie rt h a t, schon gar n icht die Rede ist.

D a diese Stilkünsteleien in der ratlosen K u n st des Jah rh u nd erts im m er w ieder auftauchen, so ist es w ichtig, au f den Zusam m enhang der K unstform m it der B e­

stim m ung des W erkes einm al m it allem N achdruck hinzuw eisen.

E s ist ein Irrtu m des A uges, aus dem viele andere Irrtü m e r entstehen, in diesem W erk „einen W idder“ zu sehen, der n u r etw a wegen der V erbindung m it einer A rchitektur und des M aterials oder gar n u r durch eine besonders ägyptisches Ge­

fühl seine n aturfrem de Form erhalten habe. W ie die ägyptischen K ünstler Tiere sehen und darstellen können, das zeigen die Reliefs in den G rabkam m ern sehr d eu t­

lich, die bei aller E infachheit der B ilderschrift randvoll von Leben und Bewegung sind. H ier ist kein T ier dargestellt, sondern ein G ott in Tierform . U nd das m uß ein em pfindendes Auge erkennen, so frem d diese V orstellung für uns ist.

D er W idder soll den G ott bedeuten. D adurch erst w ird ein realistisches Abbild unm öglich. Die christlichen K ünstler haben für das sym bolische „L am m G ottes“

niem als die rechte F orm gefunden, entw eder ist es bloß Zeichen geblieben — das ist der bessere F all — oder es ist naive W irklichkeit. Die Ä gypter treffen genau das R echte. Es ist sehr viel W ahrheit in dem T ier, in der A rt des R uhens, in der Schädel­

bildung, in dem V erhältnis von K opf und H u f zu dem Fließ. U nd doch ist es kein Tier, es ist über die Sphäre der W irklichkeit hinausgehoben durch die Größe, die Strenge der H altung, die gehobene Form ensprache, und gegen die W irklichkeit distanziert dadurch, daß das Fließ n u r durch eine O rnam entierung des Steines an­

gedeutet ist.

So ist es ein M al des G ottes gew orden. U nd es ist keineswegs künstlerisch, wie m an oft glaubt, sondern es ist törich t und gefühllos, eine solche F orm n u n für die D arstellung eines Tieres, das n u r ein T ier sein soll, anzuw enden.

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A b b i l d u n g 2

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E rst die E rw ägung der verschiedenen B edingungen des M aterials erklärt es, daß in der griechischen K u n st der M ann dem E rzgießer, die F rau dem Steinm etzen gehört. E s gibt w ohl kein M otiv, das für den M arm or günstiger ist, als die griechische F rau, deren G ew andung den ganzen K örper um w allt und doch die Bewegung durch­

scheinen läß t. D a w ird die D arstellung des M enschen, au f die ja der G rieche nie verzichtet, ohne viel A ufw and von K u n st strenge Form . In gewisser H insicht strengere Form als sie die ägyptischen S tatuen haben. H ier gibt es Figuren, die ta t­

sächlich nichts anderes sind als ein rhythm isch gegliederter Block und doch zu­

gleich belebte G estalt und sogar stofflich getreue D arstellung.

E ine solche F igur ist die griechische G öttin im B erliner M useum , die als ein W erk des fünften Jah rh u nd erts anzusprechen ist.

M an sieht eine F rau in einem faltigen U ntergew and, die ihren ganzen K örper bis fast zu den K nöcheln in einen M antel von schwerem tuchartigen Stoff gehüllt hat. E r fällt vom K opf herab, die rechte H and schlägt ihn über die linke Schulter, die in der H öhe der H üfte erhobene Linke läß t ihn über den U nterarm herunterfallen.

Alle G liedm aßen bleiben von ihm verhüllt. Die ganze Bewegung w ird n u r durch die einfachen F alten des M antels fühlbar, die ihre Folge sind. D as etw as Vorgesetzte rechte Bein m arkiert das K nie. Diese Bewegung gibt den C harakter und die P ro­

portionen der Figur, genau so w eit und n u r gerade so w eit, daß m an den lebendigen K örper und die Substanz der Stoffe fühlt. D a im transparenten M arm or eine sehr flache F alte schon w ahrnehm bar w ird, ist die B earbeitung des Steines, die V er­

m inderung seiner Masse au f ein M indestm aß reduziert. D er geringste A ufw and von A rbeit schafft aus dem M aterial das K unstw erk.

D er kultische Zweck h a t den K ünstler gezwungen, an einer Stelle aus dem U m ­ riß des Blockes herauszugehen. D ie vorgestreckte L inke sollte offenbar ein A ttrib u t der G öttin tragen. Sie w ar, da eben der Block n icht reichte, eingedübelt und ist natürlich abgebrochen. Zeit und Schicksal der Figuren üben, wie m an sieht, eine harte K ritik.

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Im B erliner M useum stehen zwei Figuren trau ern d er F rauen, als Gegenstücke entstanden. Sie saßen zu beiden Seiten des E inganges in ein attisches G rabm al, durch die T racht, das K leid ohne M antel und die abgeschnittenen H aare als M ägde gekennzeichnet. Die Figuren sind denn auch n icht sehr w ichtig genom m en, sind m ehr n u r stim m unggebendes O rnam ent, Teil der A rchitektur, m it breitem M eißel aus Steinw ürfeln, deren Größe durch die A usm aße des B auw erks bestim m t w aren, herausgeschlagen.

In solcher P lastik — und zu ihr gehören auch alle Figuren der m ittelalterlichen D om e der guten Zeit — ist tatsächlich der Block das erste, das Gegebene. D as ist für den M enschen und auch fü r den K ünstler der späteren Zeiten so schw er zu fassen, daß M ichelangelo, der es verstand, aussprach und danach handelte, daß es P lastik ist, von einem Block das Überflüssige w egzunehm en, seinerseits unver­

standen blieb. D ie Ä ußerung w urde m ehr als ein paradoxer W itz aufgefaßt. Sie ist ganz großer E rn st.

Die Steinm etzen brauchten keine Ä sthetik, um ihre Figuren richtig für ihre Stelle zu bem essen, sie bekam en die richtige Steinm asse, die m ehr als notw endig zu verm indern ihnen das einfache H andw erkergefühl verbot. So einfach w urde eine Frage gelöst, die nach der E ntstehung des „K ünstlers“ als eines der schw ierigsten Problem e gilt. M essel ist in dem W ertheim bau zu dem alten V orgehen zurück­

gekehrt, die Blöcke einzusetzen und dem K ünstler zu überlassen, und gleich saß die P lastik w ieder richtig.

D er griechische B ildhauer brauchte für den M arm or n icht die strenge Form , die dem ägyptischen der G ranit notw endig m achte. Von dieser F reiheit h a t er auch G ebrauch gem acht. E r läß t w ohl den U m riß des Blockes spüren, aber, um die H al­

tung der T rauer zu charakterisieren, w ählt er eine Stellung, die den rechten A rm von der M asse löst, um den geneigten K opf zu stützen. Es en tsteh t also w irklich ein Loch. Im übrigen bleibt der Stein geschlossen. Sitz und Figur, A rm e und K ör­

per, Finger und K opf, alles hän g t in derselben M asse zusam m en.

D ie natürliche A nm ut u nd der seelische A usdruck — sehr, sehr m aßvoll nach griechischem G efühl, aber doch deutlich w irkend — sind durch diese E ntstehung der F igur nicht unm öglich gem acht w orden. Ja , der Zwang des Blockes, den der K ünstler der neueren Z eiten fürchten, w enn nicht gar ablehnen w ürde, ist so wenig zu spüren, daß der unbefangene B etrachter ihn w ohl gar n icht em pfinden w ürde oder doch n u r durch seine W irkung, die schöne R uhe, die die beiden ein­

ander entsprechenden G estalten tro tz ihrer B ew egtheit in ihrem Zusam m en aus­

ström en.

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