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Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts und ihre Reaktion auf die Gefahren der damaligen Autokratien und des sich herausbildenden Nationalismus

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Gizela Kurpanik-Malinowska

Die deutsche Literatur des 19.

Jahrhunderts und ihre Reaktion auf

die Gefahren der damaligen

Autokratien und des sich

herausbildenden Nationalismus

Prace Naukowe. Pedagogika 8-9-10, 131-143

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G izela Kurpanik-M alinowska (Zabrze)

Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts und ihre

Reaktion auf die Gefahren der damaligen Autokratien

und des sich herausbildenden Nationalismus

Das 19. Jahrhundert beginnt für Deutschland mit dem Fall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und mit der Besetzung des Landes durch Frankreich.

Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Jahre 18061, in der Preußen eine schwere Niederlage erlitt, verstärkte sich der Einfluß Frankreichs auf deutschem Boden. Dieser Einfluß hatte zu Folge, daß einerseits die feudalen Herrscher in Deutschland sich gezwungen sahen, bürgerliche Reformen einzuführen, andererseits ist in den folgenden Jahren die nationale Volksbewegung gegen den französischen Okkupanten immer größer geworden.

Diese Ereignisse waren von so wichtiger Bedeutung und hatten so große soziale und politische Konsequenzen, daß sie die Literatur dieser Zeit in Deutschland wesentlich beeinflußten und prägten. Besonders unter dem stärkten Einfluß des wachsenden Nationalgefühls formierte sich die romantische Literatur. Ein entscheidendes Gepräge sollte dieser Literatur das stark wachsende Nationalgefühl und mit ihm die gegen die Fremdenherrschaft gerichtete Volksbewegung verleihen.

Die Verbindung der damaligen Schriftsteller mit dem Kampf gegen die Fremdenherrschaft kam am eindrucksvollsten in ihrer Hinwendung zur Volkspoesie und in der Suche nach den nationalen Idealen zum Ausdruck. Die romantischen Schriftsteller, meist junge und hochgebildete Intellektuelle, die entweder mittellosen, verarmten bürgerlichen Schichten oder dem verarmten Adel entstammten, waren bereits mit den bürgerlichen Emanzipationsideen des 18. Jahrhunderts als Vorbildern aufgewachsen und glaubten aus tiefer innerer Überzeugung an die dort formulierten Ideale und Perspektiven.

Tief enttäuscht waren sie jedoch darüber, daß die noch von der Franzözischen Revolution etablierte Wirklichkeit, die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllte. Die neue Ordnung, die aus der Revolution hervorgegangen war, brachte nicht die erhoffte Menschheitsbefreiung, sondern riß weitere Widersprüche auf und führte

'Vgl. dazu: Władysław Czapliński, Adam Galos, Wacław Korta, Historia Niemiec, Wrocław 1981, S. 435-480.

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letzten Endes zum Aufstieg Napoleons und zur völligen Unterwerfung Deutschlands durch die Franzosen.

Die Autoren sahen daher im deutschen Patriotismus, verbunden mit antifranzösischen Affekten und gerichtet auf die Wiederrichtung eines einheitlichen Reiches, ihre große zu erfüllende Aufgabe. Die Besinnung auf die deutsche Vorgeschichte als Denkmal einstiger und Garant künftiger Macht und Größe herrschte überall, Franz Mehring hat diesen Gegenstand mit seinem dialektischen Sinn für geschichtliche Tatsachen zu beschreiben versucht. Für ihn spiegelte sich in der romantischen Literatur schließlich „der Zwiespalt nieder, den die Fremdenherrschaft zwischen den nationalen und den sozialen Interessen des Bürgertums geschaffen hatte. Nationale Ideale ließen sich nur in dem Mittelalter finden ..., aber da die mittelalterlichen Ideale sich doch nicht in un verstümmelte Herrlichkeit wiederherrstellen ließen, nachdem ein revolutionärer Sinn über den europäischen Baden gefegt war, so mischten sie den feudalen Wein, den sie aus den Kellern der Burgen und Klöster holten, mit manchem Tropfen vom nüchternen Wasser der bürgerlichen Aufklärung”2. Die Förderung des nationalen Bewußtseins demonstrierte sich durch den enormen Aufschwung und Wiederbelebung verschiedener Gattungen der überlieferten Volksdichtung wie Lied, Märchen, Sage u.a. Dreißig Jahre nach Herders „Stimmen der Völker in Liedern”3 trat mit der Sammlung „Des Knaben Wunderhom”4 von Achim von Arnim und Clemens Brentano ein großes literarisches Unternehmen an die deutsche Öffentlichkeit (1806-1808).

Jedoch im Unterschied zu Herders aufklärerischer weltweiter Sicht galt hier das Interesse ausschließlich dem deutschen Liedgut. Die nationale Idee beherrschte völlig die Konzeption dieser Liedersammlung, mit der die beiden Herausgeber in der Zeit des Kampfes gegen die Fremdenherrschaft nationales Bewußtsein weckten, und ein überzeugendes Beispiel nationaler Tradition geben wollten. Diese nationale Idee des „Wunderhoms” legte jedoch ihr Hauptaugenmerk auf die Verwischung der sozialen Gegensätze, in der jene Tendenz zum Ausdruck kommt, in der einer mystischen Volksauffassung von einem „Volksgeist” und vom Volk als einer Einheit aller Stände einschließlich des Adels, gehuldigt wird.

Zugleich bedeutete diese Sammlung einen Rückschritt gegenüber den Bestrebungen der progressiven bürgerlichen Kräfte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ein antifeudales Nationalbewußtsein zu entwickeln. Der Rückgriff auf „die alten deutschen Lieder”, wie der Untertitel der Sammlung heißt, war mit einer rückwärtsgewandten Interpretation verbunden.

2Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Berlin 1961.

3Vgl. dazu: Johann Gottfried Herder, Stimmen der Völker in Liedern, Berlin 1978. 4Cleraens Brentano, Achim von Arnim, Des Knaben Wunderhom, Heidelberg 1806.

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Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.. 133 Den „altdeutschen Wandel” in diesen Liedern werteten die Herausgeber des „Wunderhoms” als einen Schutz gegen den „Wirbelwind des Neuen”5 und „das gewaltsame Vordringen neuer Zeit und ihrer Gesinnung”6.

Das „Neue” gegen das sich die beiden Romantiker wandten, fanden sie in den Ereignissen der Französischen Revolution, in der Zerstörung „der patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse”.

Auch in den Äußerungen vieler anderer Verfechter des Kampfes gegen die Na- poleonische Herrschaft, wie bei Schlegel, Arndt, Görres und Fichte, verband sich das Bemühen um Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins mit „deutsch- tümmelnden” Tendenzen. Dazu kamen schäumender Franzoßenhaß, die Schmähung der Französischen Revolution und ihrer Folgen, aber auch religiös-mystische Neigungen.

Eine weitere intensive Beschäffigung mit der Volksdichtung ist durch das „Wunderhorn” und seine Konzeption entscheidend beeinflußt worden. Besonders blieb die Orientierung auf das „alte” Liedgut für lange Zeit ausschlaggebend. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das dichterische Schaffen Ludwig Uhlands. Sowohl in seinen Gedichten als auch in den Balladen orientierte er sich an Formen, Techniken und Elementen des Volkslieds. Uhland gelang es, in seinen Werken ein Weltbild zu entwerfen, in dem das Gute und das Böse nicht deutlich zu unterscheiden sind und in dem Ehrlichkeit, Tapferkeit und Deutschheit als miteinanderverbundene Eigenschaften auftreten. Die Konflikte in seinen Balladen werden nie so verschärft, daß sie das Gefühl für die Größe der Vergangenheit ins Wanken bringen und den Leser verunsichern könnten.

Uhlands Gedichte erfreuten sich seit den dreißiger Jahren einer außer­ ordentlichen Popularität. Geschenkt wurden sie zur Konfirmation, Kommunion und Hochzeit; vermittelt in den Schulbüchern. Und so wirkten sie viele Jahrzehnte als poetischer Ausdruck einer bürgerlichen Haltung, die das „Romantische” in Natur und Geschichte verbunden sah. Zu ihrer großen Popularität und Beliebtheit trugen die vielen Vertonungen bei.

Uhlands „Der gute Kamerad”7, in der Vertonung Friedrich Silchers, gehörte lange Zeit zu den bekanntesten deutschen Liedern. Doch es hatte eine durchaus negative historische Wirkung. Das Trauern um den im Krieg gefallenen Kameraden hatte in der Zeit des Kampfes gegen die napoleonische Fremdherrschaft durchaus ihre Berechtigung. Uhland sparte diesen geschichtlichen Hintergrund im Lied aus, was es möglich machte, „Den guten Kameraden” später nationalistisch zu deuten und ihn durch den deutschen Militarismus und Faschismus zu mißbrauchen. Doch in der Zeit der Befreiungskriege erschöpfte sich die Wirkung Uhlands in der

5Achim von Arnim, Nachschrift an den Leser. In: Des Knaben Wunderhorn, 1. Teil, Heidelberg 1806, S. 438.

6Clemens Brentano, Zirkular von 1806. In: Achim von Arnim und die ihm nahestandenen, hrsg. von Reinhold Steig und Wilhelm Grimm, Bd. 1: Achim von Arnim und Clemens Brentano, bearbeitet von Reinhold Steig, Berlin 1894, S. 177.

7Ludwig Uhland, Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, hrsg. von Hermann Fischer, Bd. 1, Stuttgart und Berlin O.J., S. 13.

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Unterstützung liberalen Selbstverständnisses, welches bürgerlichen Patriotismus und Dichtung als zusammengehörige Lebenswerte zu pflegen und darzustellen versuchte.

Diese restaurativen, ja reaktionären Tendenzen in der Literatur damaliger Zeit schmälern aber keineswegs die grundlegenden philologischen Leistungen Jacob Grimms und seiner entscheidenden Arbeit zur Erforschung der deutschen Sprache sowie die Bedeutung der von Jacob und Wilhelm Grimm gesammelten „Kinder- und Hausmärchen”8 (1812-1822) und „Deutschen Sagen”9 (1816-1818). Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm erarbeiteten beim Sammeln und bei der Herausgabe der Volksmärchen wissenschaftliche Prinzipien sowie die Grundlagen der Erzähl­ forschung.

In der Zeit der Napoleonischen Kriege kam dieser Sammlung des deutschen Märchenguts auch eine starke nationale Aufgabe zu, und sie sollte sich zu einem Haus- und Familienbuch etablieren, sowie die nationale deutsche Dichtung unter den breiten Bevölkerungsschichten verbreiten. Die „Kinder- und Hausmärchen” waren für die Brüder Grimm poetische Denkmäler des „deutschen Altertums” und Zeugnisse für „die erste und früheste Geschichte eines Volkes selbst”10, und so sollten sie in eine umfassende Nationalgeschichte einbezogen werden. Die beiden Forscher demonstrierten dabei immer ihre engagierte politische Haltung, besonders als sie mit anderen Göttinger Professoren gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs protestierten, und als Jacob Grimm in die National­ versammlung in der Frankfurter Paulskirche gewählt wurde und schon am Ende seines Lebens angesichts der reaktionären Entwicklung in Deutschland im Jahre 1848 in einem seiner Briefe schrieb: „Je älter ich werde, desto demokratischer gesinnt bin ich...” 11

Die Zeit der Befreiungskriege brachte Deutschland mit Heinrich von Kleist einen großen eminent politischen Schriftsteller und zugleich einen Autor großer intimer Leidenschaften. Als einem der ersten in der deutschen Literatur gelang es ihm in seinem Werk, Entwicklungswidersprüche einer anachronistischen preu­ ßischen, vom Militarismus beherrschten Staatsräson zu erfassen und eindringlich ihre Auswirkungen auf den einzelnen Menschen zu gestalten.

Thomas Mann schrieb über ihn: „Er war einer der größten, kühnsten, höchst­ greifenden Dichter deutscher Sprache,., völlig einmalig, aus aller Herbegrachtheit und Ordnung fallend, radikal in der Hingabe an seine exzentrischen Stoffe bis zur Tollheit, bis zur Hysterie, - allerdings tief unglücklich, mit Ansprüchen an sich

8Vgl. dazu: Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen, 2 Bde, nach der zweiten vermehrten und verbesserten Auflage von 1819, textkritisch revidiert und mit einer Biographie der Grimmschen Märchen versehen, hrsg, von Heinz Rölieke, Köln 1982.

9Vgl. dazu: Deutsche Sagen, 2 Bde, hrsg. von den Brüdern Grimm. Volist. Ausg. nach dem Text der 3. Aufl. (1891), Berlin 1956.

l0Zit. nach: Waltraud Woeller, Märchen. In: Deutsche Volksdichtung, hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Hermann Strobach, Leipzig 1979, S. 119.

n Vgl. dazu: In einem Brief von 1858, Abgedruckt bei Wilhelm Scherer, Jacob Grimm, Berlin 1865, S. 206.

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D ie deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.., 135 selbst, die ihn Zermürbten, um das Unmögliche ringend, von psychogenen Krankheiten niedergeworfen alle Augeblicke und zu frühem Tode bestimmt” 12.

Kleists Welterfahrung wurde zunächst durch den preußischen Feudal­ absolutismus und seine autokrative Herrschaftsstruktur geprägt, dessen führenden Kreisen der Dichter selbst angehörte. Durch den Einfluß der Ideen der Französischen Revolution bekam sein W elt- und Menschenbild ein entscheidendes, gegen die alten Feudalstrukturen gerichtetes Gepräge. „Kleist signalisierte die Totalität der spätzeitlichen Feudalkrise, ohne (freilich) diese Totalität umfassend gestalten zu können”13. Und da er sowohl die bestehende feudalabsolutistische wie auch die sich entwickelnde frühkapitalistische Gesellschaftsordnung in Frage stellte, gab es für ihn keine Perspektive. Aus dieser inneren Krisensituation gelangte er oft zur Darstellung der Ohnmacht des Individuums, seines Ausgeliefertseins an nicht durchschaubare Mächte. Andererseits verkörperte er mit seinem Werk den großen Willen, sich selbst unter den ihn umgeben den „barbarischen” Umständen als Mensch zu behaupten.

Sein Ausscheiden aus der Armee nach siebenjährigem Dienst begründete er damit, daß es für ihn immer zweifelhaft gewesen war, ob er als Mensch oder Offizier hätte handeln müssen. Er sah es unmöglich, die Pflichten als Militär und Mensch mit seinem Gewissen, zu vereinigen.

Kleist sah in dem nach der Revolution gegründeten bürgerlichen Staat keine annehmbare Alternative zu der von ihm angeprangerten absolutistischen feudalen Ordnung Preußens. Anstelle der von der bürgerlichen Revolution postulierten Achtung des Menschen fand er nur Gleichgültigkeit und Mißachtung des Einzelnen.

H eists politische Haltung und seine Absage an Kompromisbereitschaft auf dem Gebiet der Moral kamen in seinem Drama „Prinz von Homburg” zum völligen Ausdruck. Hier stellte er tief reichende Fragen, die das Verhältnis zwischen Individuum und der über ihm Macht umreißen: „Welchen Anteil hat der einzelne an der Verantwortung für das Ganze? Wie verhalten sich individuelle Verantwortung und militärische Disziplin zueinander? Ist Gehorsam oder selbstverständliches Handeln die Grundlage für den erfolgreichen Befreiungskampf und für das Leben im Staat überhaupt? Wie weit soll und darf die Unterordnung des einzelnen unter das Gesetz, unter den Fürsten, unter den Staat, unter die Gesellschaft gehen?” 14.

In der herrschenden Atmosphäre der nationalen Stimmung gegen die Okkupierung Deutschlands übt das Stück starke Kritik an der damaligen feudalen und militärischen preußischen Staatsräson aus und ruft den Adel auf, ein höheres moralisches Niveau zu erreichen. Kleists Staats- und Adelskritik hatte zu Folge, daß

l2Thomas Mann, Heinrich von Kliest und seine Erzählungen. In: Thomas Mann, Gesammelte Werke, Bd. 11, Berlin 1956, S. 637.

l3Hans-Glinther Thalheim, Kleists „Prinz Griedrich von Homburg". In: Weimarer Beiträge 11, 1965, H. 4, S. 549.

14Geschichte der deutschen Literatur von 1789 bis 1830, von einem Autorenkollektiv unter Leitung

von Hans-Dietrich Dahnke (1789-1806 ) und Thomas Höhle in Zusammenarbeit mit Hans-Georg Werner (1806-1830), Berlin 1978, S. 547.

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das Stück „Prinz von Homburg” in Preußen von der Zensur für längere Zeit verboten wurde. Seine Uraufführung sollte erst im Jahre 1821 in Wien erfolgen.

Aber mit dem Urteil des sächsischen Offizierssohn Heinrich von Treitschke, der Kleists Stück als „die idealste Verherrlichung des deutschen Soldatetums” 15 feierte, „jenen schönen Idealismus des Krieges, der jedem rechten Deutschen unverwüstlich im Blute liegt”16, war - ganz unerwartet - der Grund gelegt, auf dem das Drama später in den Dienst des preußischen und deutschen Nationalismus und Militarismus gestellt werden sollte.

Die Julirevolution in Frankreich und ihre Auswirkungen markieren einen weiteren wichtigen Einschnitt in der deutschen Literaturgeschichte, sie kündigen den Beginn einer neuen Priode an. Der Aufschwung gegen die Wiederherstellung feudaler Verhältnisse gerichteten Volksbewegung, den die Revolution des Jahres 1830 auslöste, führte zum Erwachen des bürgerlich-oppositionellen, stark politischen Bewußtseins. Das alte, feudale, autoritäre Herrschaftsystem wird auch von der Literatur immer wieder in Frage gestellt. In Deutschland kam hinzu, daß die progressive bürgerliche Opposition sich die Aufgabe stellte, den 1815 durch den Wiener Kongreß von den Feudalmächten gegründeten Deutschen Bund in einen deutschen Nationalstaat umzuwandeln und den ausgebauten Unterdrückungsapparat zu beseitigen. Dieser Unterdrückungsapparat bediente sich einer unerbittlichen Zensur, die das progressive bürgerliche Gedankengut verfolgen und bekämpfen sollte. Die Gerichte in Deutschland wurden zur Verfolgung von liberalen und demokratischen Autoren eingesetzt. Im Zentrum dieser Repressalien stand eine Gruppe von Autoren, die sich „Das junge Deutschland” nannte.

1835 wurden alle Werke von Gutzkow, Heinrich Laube, Theodor Mundt und anderen „Jungdeutschen” Autoren verboten, weil sie sich bemüht hätten, die bestehenden sozialen Verhältnisse zu zerstören.

Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, daß für eine große Zahl von Schriftstellern der Weg ins Exil - ähnlich wie später im Dritten Reich und in der DDR - der einzige Ausweg war, um weiter veröffentlichen zu können.

Auch Heinrich Heine und Georg Büchner - die wichtigsten Vertreter der oppositionellen Literatur in Deutschland nach 1830 - mußten aufgrund eigener Werke wie auch eigener politischer Haltung ins Exil gehen. Beide sind schon früh zu der Erkenntnis gelangt, daß nach dem Untergang der feudalen Autokratien jetzt das Bürgertum eine Gesellschaftsordnung zu errichten imstande ist, die die gesellschaftlichen Widersprüche nicht lösen, sondern nur einen immer größer werdenden Widerspruch zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen verdichten würde.

Büchner wollte die Beseitigung der sozialen Konflikte durch revolutionäre Umwandlung der bestehenden Verhältnisse, was er in seiner Kampfschrift „Der Hessische Landbote” überzeugend zu formulieren vermochte. Die Losungen der Französischen Revolution aufnehmend, postulierte Büchner den Hütten Frieden und

l5Peter Goldammer, Heinrich von Kleist, Leipzig 1986, S. 72. 16Ebenda.

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D ie deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.. 137 Krieg den Palästen. Er appellierte an den Gerechtigkeitssinn der Ausgebeuteten und Besitzlosen: „Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen, und erzählt dann euren hungernden Weibern und Kindern, daß ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sie” 17.

Die soziale und politische Analyse der Situation in Deutschland bringt er mit seinem mitreißenden dichterischen Wort zum Ausdruck: „Das Leben der Reichen ist ein langer Sonntag: sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker... Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag... sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische der Reichen... Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser, die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aus-saugen, und durch eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihr sind vielleicht 10000 im Großherzogtum und eurer sind es 700000, und also verhält sich die Zahl des Volkes zu seinen Pressern auch im übrigen Deutschland. Wohl drohe sie mit dem Rüstzeug und den Reisigen der Könige, aber ich sage euch: Wer das Schwert erhebt gegen das Volk, der wird durch das Schwert des Volkes

I о umkommen...”

Heinrich Heine ist eine weitere überragende Persönlichkeit unter den in den Vormärz-Jahrzehnten schreibenden Autoren. Das reaktionäre Deutschland hatte ihn zum Feind erklärt und er mußte ins Exil gehen. Seine engagierte politische Dichtung stand im Zeichen des „offenen Krieges mit Preußen auf Tod und Leben”19, des

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„Hasses gegen Preußen” .

Einen zentralen Platz in Heines Schaffen nimmt „Deutschland. Ein Wintermärchen” ein. Das Miteinander von schärfer satirischer Kritik an den preußischdeutschen Zuständen und Hoffnung auf ein neues, ein demokratisches Deutschland zeichnet diese Dichtung besonders aus. Das Motiv der Reise bildet den Rahmen für Heines Versepos, das mit den einfachen Formen des Volkslieds nicht nur ein scharfes Bild Deutschlands vor 1848 entwirft, sondern tiefgründig die besten Traditionen humanistischen Denkens in Beziehung zu der damaligen Realität setzt. Das Miteinander von scharfer satirischer Kritik an den preußischen, deutschen Zuständen und Hoffnung auf ein anderes, demokratisches Deutschland macht den besonderen Reiz von Heines Dichtung aus. Bereits im Einleitungskapitel seines Werkes übt er eine starke Kritik an den herrschenden Zuständen aus: Dem christlich-germanischen „Entsagungslied”, dem „Eiapopeia vom Himmel”, wird das neue, das „bessere Lied” entgegengesetzt, das auch die zentralen sozialen Forderungen enthält.

17Georg Büchner, Der Hessische Landbote. In: Georg Büchner, Dichtungen, Leipzig 1975. l8Ebenda.

l9Heinrich Heine, Die romantische Schule. In: Heinrich Heine, Werke und Briefe in zehn Bänden, hrsg. von Hans Kaufmann, Bd. 5, 5. 56-57, Berlin und Weimar 1972.

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Bereits in seiner „Harzreise”21 aus dem Jahre 1826 verknüpfte er Beobachtungen und Erlebnisse einer Reise durch den Harz mit Gedanken über die Zustände in seinem Vaterland, über die deutsche Geschichte. Heines Erzähler unternimmt hier eine Wanderung von der Universitätsstadt Göttingen nach Clausthal, wo er das Bergwerk besucht, weiter geht er nach Goslar, dann hinauf zum Brokken und schließlich wieder abwärts ins Bode- und Ilsetal. Im Prolog gibt er uns seine Sicht als Denkimpuls für die weitere Lektüre mit. Dem Leser werden zwei Welten in Deutschland gegenübergestellt: die Welt der „glatten Säle” und die Welt der „frommen Hütten”. Kräffige ironisch-satirische Töne herrschen bei der Darstellung des Lebens der Bürger in Göttingen oder anderswo, bei der Darstellung ihrer Untertänigkeit und Deutschtümelei.

Noch schärfer ist Heines Kritik an den deutschen Zuständen in seinem Gedicht aus dem Jahre 1844 „Die schlesischen Weber”22. Die Weber in Heines Gedicht weben Altdeutschland ein Leichentuch:

„Deutschland, wir weben dein Leichentuch/ Wir weben hinein den dreifachen Fluch -/ Wir weben, wir weben!” Der Fluch der Weber gilt dem Gott, der sie „genannt hat”23, dem „König der Reichen”24 und dem „Vaterland”25 und damit jenen Zielen, die dieses „Vaterland” nannte, um die Arbeiter und Bauern in den Krieg zu schicken. Es heißt bei Heine „Ein Fluch dem falschen Vaterlande”, denn er weiß, daß dieses deutsche Vaterland auf die Unterjochung der breiten Volksmassen, auf die Unterwerfung des einzelnen Menschen immer mehr ausgerichtet wird.

Heines Werke sowie die Schriften anderer demokratischer Schriftsteller wurden bereits 1835 in Deutschland verboten und der Autor mußte ins Exil gehen, ähnlich wie viele deutsche Autoren im Dritten Reich und in der DDR.

Auch Ludwig Böme war 1830 ins Pariser Exil gegangen. Das Besondere seiner Leistung liegt in den mitreißenden Aufsätzen und Artikeln, in denen er sich mit treffender Satire und sicherem Gefühl für die Besonderheiten journalistischer Arbeit gegen den Despotismus in den deutschen Ländern, insbesondere in Preußen wandte und auf die dort eintretenden Diskriminierungen der Juden aufmerksam machte. Er stellte sich in seinen Schriften prophetische Fragen, die nach heutiger Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland im 20. Jahrhundert gar nicht mehr überraschen dürften:

„Wer hätte vor einigen Wochen noch daran gedacht, daß deutschen Bürgern verboten werden könnte, ihre Kinder Ferdinand, Wilhelm und Franz zu nennen? Jetzt ist es in Preußen geschehen. Gab es nicht eine Zeit, wo auch Sonne, Mond und Sterne zensiert wurden? Kann nicht, wieder einmal ein alter, geistesschwacher und frömmelnder Fürst kommen, der im Namen der Heiligen Schrift der Erde zu stehen befiehlt und diejenigen als Verbrecher in den Kerker wirft, die sie gehen heißen? In

21Vgl. dazu: Christoph Trilse, Heinrich Heine, Leipzig 1984. 22Ebenda, S. 130.

23Ebenda. 24Ebenda. 25Ebenda.

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Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.., 139 Preußen wurde die Wissenschaft, solange sie gefroren war, gepriesen und begünstigt: Kaum fing sie aufzutauen, und zu fließen an, verfolgte man sie mit Haß und Spott. Man entdeckte, daß ein guter Stil, was er auch behandle, revolutionär sei, und man setzte den Stil unter Polizeiaufsicht”26.

Als ein direkt vom Judenhaß betroffener Schriftsteller stellte er weitere, bohrende Fragen, mit denen er zugleich die Situation in Deutschland treffend umriß. Es sind bestimmt Fragen, die sich viele deutsche Juden auch in der Ähra des totalitären deutschen Hitlerstaates stellen mußten:

„In Frankfurt am Main, wo der große Goethe als Patrizierkind aufgehätschelt wurde, kam ein kleines kränkliches Kind zur Welt, der Jude Baruch. Schon den Knaben verspotteten die Christenkinder. Täglich sah er an der Sachsenhäuser Brücke das schändliche Steinbild, das Juden vorstellt, auf das Anstößigste gruppiert mit einer Sau. Der Fluch seines Volkes lastete schwer auf ihn. Als er auf Reisen ging, setzte man ihm höhnisch in den Paß: Juif de Francfort. ‘Bin ich nicht ein Mensch wie ihr andere?1 rief er aus. ’Hat Gott nicht meinen Geist ausgestattet mit jeder Kraft, und ihr solltet mich verachten dürfen? Ich will mich auf die edelste Weise rächen, ich euch kämpfen helfen für eure Freiheit. (...) Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutschen einen gelben Lappen am Hute? Könnte ich zumal gegen meine Vaterstadt noch den kleinsten Groll haben? Sind jetzt nicht alle Frankfurter, meine ehemaligen Herren, den Juden von früher gleich? Sind nicht die Österreicher und Preußen ihre Christen?”27.

Diese von Börne gestellten Fragen betreffen darüber hinaus die Beseitigung der von den autoritären Herrschaftssystemen praktizierte Unterwerfung ganzer Völker: „Nicht durch Geduld, durch Ungeduld werden die Völker frei. Ist es etwas anders, so mögen der schlesische Herr Menzel, der württembergische Herr Menzel und der preußische Herr von Raumer die für den Notfall zusammen einen Historiker vorstellen können, ihre Loyalität und ihren Scharfsinn vereinen, um uns unsere aufrührerische Torheit zu beweisen. Sie mögen in den Büchern der Weltgeschichte uns einen einzigen Fall aufzeigen, wo ein Volk dadurch die Freiheit erlangt, daß es geduldig die Knechtschaft ertragen und gewartet, bis entweder durch ein Wunder sie ihm die Ketten abfallen oder durch ein größeres Wunder sie ihm von seinen Tyrannen abgenommen werden. Sie würden aber vergebens danach suchen”28.

Die politischen und geistigen Kämpfe der Jahre vor dem Völkerfrühling 1848 bedeuten für die deutsche Literatur eine weitere Fortsetzung des Kampfes, des sich Einsetzens für das gesellschaftlich Neue, für die demokratische Bewegung in Deutschland. Die Zeit der Revolution 1848/49 war eine Zeit des Umbruchs und des Übergangs. Das gesellschaftlich Neue, das bereits von Büchner und Heine erkannt und unterstützt, bejaht und erhofft wurde, war noch zu schwach, um geschichtlich wirksam in Erscheinung treten zu können. Der Untergang der alten, feudalen

26Ludwig Börne, Menzel, der Franzosenfresser. In: Ludwig Börne, Schriften zur deutschen Literatur, Leipzig 1987, S. 205.

27Ebenda, S. 217-218. 28Ebenda, S. 218-219.

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140 Gizela Kurpanik-M alinowska

Gesellschaft war besiegelt, aber noch war sie stark genug, der Zeit ihren Stempel aufzudrücken.

Am Anfang der vierziger Jahre war das Bürgertum auch in Preußen bereit, entschiedener um seine Rechte zu kämpfen, die Opposition gegen die feudale, autokrative Herrschaft zu verstärken. In der Literatur erwies sich die Lyrik als besonders geeignet, die fortschrittlichen, demokratischen Kräfte zu vereinigen, satirische Angriffe gegen die feudale Herrschaft zu führen, einzugreifen, mobilisierend zu wirken. Auch die Möglichkeit, kurze literarische Formen auf Flugblättern in Einzeldrucken zu verbreiten, hat zu ihrer Bedeutung beigetragen. Besonderes Interesse gewinnt aus dieser Zeit das Werk Hoffmann von Fallerslebens, der zu seiner dichterischen Aufgabe die Veränderung der in Deutschland herrschenden Zustände im Interesse des Bürgertums machte. Er schaltete sich unmittelbar in die Kämpfe der Zeit ein, richtete seinen Spott und seinen ironischen Witz gegen Polizeiwillkür und Dünkel des Adels, gegen Stubengelehrsamikeit und Spießigkeit. Er griff in seinen Dichtungen Elemente des Bänkelsongs auf und bediente sich vieler Volksmelodien beim Vortrag seiner Texte. Eines der wichtigsten Ziele des Bürgertums, welches er mit seinem Werk unterstützte, war die Überwindung der deutschen Kleinstaaterei. Dieses Ziel hatte er auch vor Augen, als er 1841 das „Lied der Deutschen” schrieb. Es ist wohl das auffallendste der Verdrehung und Mißdeutung eines Textes, wenn der deutsche National-Sozialismus im 20. Jahrhundert dieses Lied als „Deutschlandlied” zum Anspruch der Deutschen, über andere Völker zu herrschen, mißbrauchte und den Text nationalistisch überheblich verfälschte.

Das Scheitern der Revolution von 1848 hatte weitreichende Folgen für das geistige und kulturelle Leben in Deutschland. Resignation und Enttäuschung, Trauer bewegten die Gefühle vieler Schriftsteller. Die von ihnen gehegten Hoffnungen auf eine demokratische gesellschaftliche Entwicklung, die von den Ideen der bürgerlichen Aufklärung bestimmt waren, konnten nicht verwirklicht werden: weder der Sturz des feudalen, autokrativen Herrschaftssystems noch die nationalstaatliche Einigung und die Errichtung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung. Das Bürgertum hatte 1848 den feudalen Herrschern die Macht nochmals überlassen müssen. Doch die Revolution, die nicht gesiegt hatte, war nicht ergebnislos. Die feudalen Herrscher sahen sich zu einigen Zugeständnissen gezwungen. Den Bauern wurden noch bestehende Feudalabgaben und Dienste erlassen; auch die 1848 in Preußen eingeführte Verfassung wurde beibehalten.

Das Bürgertum vertraute auf die ihm eigene Stärke: auf die wirtschaftliche Macht. Es war jetzt völlig unmöglich, weder die feudalabsolutistischen Herrschaftsstrukturen weiter zu führen, noch die Entwicklung und Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung ernstlich zu stören. 1851 schrieb Hoffmann von Fallersleben: „So mußten wir es denn erleben! Wie eine Welt in Trümmer fällt! Ach, unser Wünschen, unser Streben! Und unser Hoffen liegt zerschellt”29.

29H o ffm an n v o n F allersleb en , Das Lied der Deutschen, 1841. In: „ Was ist des Deutschen Vaterland".

Dokumente zur Frage der deutschen Einheit 1800 bis 1990, hrsg. V on P e te r L o n g erich , M ü n c h en 1990, S. 6 8 -6 9 .

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Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts... 141 Dieses Hoffen war nicht zuletzt auf die Möglichkeit der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst, auf das Eingreifen der Literatur in den Kampf um die Durchsetzung humanistischer Ideale gerichtet gewesen. Doch davon konnte ja nicht mehr die Rede sein. So kam es zu jenem Verhalten, das von dem Versuch geleitet war, humanistische Zielstellungen wenigstens in einem engen Kreis zu pflegen.

Der Rückzug in eine kleinere, hermetische, in sich abgeschlossene Welt, aus der Profitgier und unmenschliches Verhalten ausgeschlossen sein sollten, kennzeichnet die Position wichtiger Autoren der Jahre nach der Revolution 1848 wie Theodor Storm und Wilhelm Raabe. Dies führte aber schließlich dazu, daß die Verbindung zu breiten Volksschichten nicht völlig gelingen konnte. Raabe hat sich einmal einen „Schriftsteller ohne Volk” genannt.

Recht groß war aber auch die Gruppe der Autoren, die sich zum Kompromiß” zwischen Bürgertum und Adel apologetisch verhielt, d. h., sie verteidigte den vom Bürgertum nach der Revolution 1848 eingeschlagenen Weg. Charakteristisch war hier Gustav Freytag und sein Roman „Soll und Haben” aus dem Jahre 1856. Dieses Werk wurde für viele Jahrzehnte ein Hausbuch in bürgerlichen Familien. Es ist die Geschichte eines Bürgersohnes, der sich immer nach den von den Herrschenden aufgestellten Normen verhält, sich ihnen völlig unterordnet und es deshalb - wie der Autor zeigen will - zu großem Erfolg und gesellschaftlichem Aufstieg bringt.

In diesem von Freytag verbreiteten Muster bürgerlichen Verhaltens, der völligen Unterordnung und der Gehorsamkeit dürfen wir diese Merkmale sehen, die prägend für das Verhalten vieler Generationen des deutschen Bürgertums sein sollten.

Unter den Autoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland hat Theodor Fontane den größten Widerhall gefunden. Fontane hat sich sowohl Stoffen aus der Vergangenheit wie solchen aus seiner Zeit zugewandt. Immer geht es ihm darum, aufzudecken, welche Wege dem Menschen in der bürgerlichen Welt offen bleiben, um sich zu behaupten. Es geht um die Durchsetzung seiner Individualität, seines ureigensten Strebens nach Liebe, nach Gemeinsamkeit und nützlichem Wirken gegen erstarrte Konventionen oder den Druck einer Gesellschaft, die vom Streben nach Macht und Geld gelenkt wird.

Zu einem Meisterwerk wurde Fontanes Roman „Schach von Wuthenov” (1883), in dem der Hauptheld, ein preußischer Offizier, lieber sein Leben opfert, als nur eine der überlebten, steifen preußischen Auffassungen, mit denen er großgeworden ist, aufzugeben. Um eine Niederlage im Kampf gegen die versteinerten Konventionen geht es auch in dem Roman „Effi Briest”. Verknöcherte Ehrauffassungen in dem im Jahre 1871 gegründeten Kaiserreich zerstören einen Menschen.

Die Konventionen der vom Militarismus beherrschten Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs sind so stark, daß es bedrückend wirkt, wie sich Menschen ihnen unterwerfen und sich dabei zerstören.

Für die junge bürgerliche Generation, die seit den achtziger Jahren in das literarische Leben drängte, boten Kunst und Kultur in dem unter preußischer Vorherrschaft im Jahre 1871 gegründeten Kaiserreich ein abstoßendes Bild. Ein Teil

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der Literatur rechtfertigte mehr oder weniger offen eine Entwicklung, die Deutschland nun rasch in eine Eroberungspolitik führte, ein anderer Teil nahm nicht zur Kenntnis, was vor sich ging, und baute an einer lebensfernen, unschöpferischen Kunstwelt.

Auch die bloße Bewahrung moralischer Integrität, von persönlicher Anständigkeit, wie man sie bei Raabe und Fontane finden konnte, hatte den jungen Autoren nicht mehr genügt. Es war der Widerstand gegen die herrschende bürgerliche Kultur, der die jungen Autoren zur Opposition führte. Sie hatten kein gemeinsames Programm, waren sich aber einig, daß sie dem „Natürlichen” sein Recht geben wollten. Das bedeutet: Sie wollten die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind, von den wirklichen Zuständen schreiben. Dabei versuchten sie darzustellen, was es für die Menschen bedeutete, unter den sich damals herausbildenden kapitalistischen Verhältnissen zu leben.

Die Großstadt, das Kleinbürgermilieu, die Konflikte in Ehe und Familie, die Probleme der Emanzipation der Frauen machten sie zu den neuen, zu ihren Themen in der Literatur. In Deutschland wird die Leistung dieser Literatur des Naturalismus vor allem mit Werken der Dramatik verbunden. Der Grund dafür liegt in der sensationellen Wirkung, die die frühen Stücke von Gerhard Hauptmann erreicht hatten. In ihnen werden die Vorzüge des Naturalismus völlig sichtbar: die Wiederentdeckung des Alltags, die genaue, unbestechliche Schilderung der Vorgänge und Charaktere.

Doch vor der Gefahr, beim Beschreiben der äußeren Erscheinungen stehen­ zubleiben und lediglich die Misere abzubilden, hatte frühzeitig Franz Mehring gewarnt. Er sah die Fortschritte, die der Naturalismus für die bürgerliche Literaturbewegung brachte, aber auch die Gefahren. Und so forderte er, in der herrschenden Misere und in dem Elend auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft entdecken zu können. Die naturalistische Literaturbewegung in Deutschland war die erste die gesamte Nation erfassende bürgerliche Oppositionsbewegung seit dem Vormärz.

Eine der herausragendsten Leistungen des Naturalismus wurde Hauptmanns Stück, an dem er 1888 zu arbeiten begonnen hatte. 1892 erschien es als Buch in der niederschlesischen Dialektfassung „De Waber”. 1893 wurden „Die Weber” uraufgeführt. Mit diesem Drama aus der Zeit des Weberaufstands stellte sich der

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Dichter unmittelbar in die Tradition Büchners und Heines .

Die soziale Lage der Weber wird eindringlich dargestellt, die angebliche Gemeinschaft von Oben und Unten als Heuchelei entlarvt. Uber fünf Stationen führt der Dramatiker den Aufstand der schlesischen Weber; leitmotivisch erscheint dabei das Lied vom Blutgericht als aufklärerische, motivierende und organisierende Kraft: Von der Besinnung der Weber über das eigene Elend, dem spontanen Aufbegehren einzelner bis hin zum Ausbruch des Aufstandes, der immer mächtiger und entschlossener wird. Die Weber dringen in das Haus des Fabrikanten ein und marschieren schließlich zum anderen Ort und in den Kampf gegen das

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Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts.. 143 heranrückende, bewaffnete Militär. Im fünften Akt des Dramas stirbt einer der Weber durch eine verirrte Soldatenkugel. In diesem Drama äußert sich eine Haltung, die Hauptmann und die oppositionelle junge bürgerliche Literatur in Deutschland des ausgehenden Jahrhunderts kennzeichnete: das ehrliche Bekenntnis zu den Leidenden und Entrechteten, die Sympathie mit den von der bürgerlichen Gesellschaft Mißachteten.

G izela Kurpanik-M alinowska

Literatura niemiecka XIX wieku i jej reakcje na zagrożenia ze strony ówczesnych systemów autokratycznych i rodzącego się nacjonalizmu

Streszczenie

Tem atem artykułu jest literatura niem iecka XIX wieku i jej reakcje na zagrożenia ze strony ówczesnych system ów autokratycznych i rodzącego się nacjonalizmu.

Początek XIX w ieku to formalny rozpad C esarstw a Rzymskiego N arodu N iemieckiego oraz okupacja ziem niem ieckich przez Francję. D ruga połow a wieku to zjednoczenie N iemiec pod przewodnictwem Prus i powstanie Rzeszy Niemieckiej w 1871 roku.

N a gruncie tych procesów historycznych przedstawiono między innym i postawy takich autorów, ja k Clemens Brentano, Achim von A m im , Georg Büchner, H einrich Heine, Hoffmann von Fallersleben czy G erhard Hauptmann.

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