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Die Zukunft, 17. März, Bd. 30.

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Berlin, den 17.März x900.

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Lex Heinze.

ImOktober1891wurdevordem berlinerSchwurgerichtwegenKörper- LverletzungmittötlichemAusgangegegen dasEhepaarHeinzeverhandelt.

DieFrauwar eineProstituirteniedersterOrdnung,derMann einZuhälter.

DerProzeßbrachtenichts Neues, nichts,wasdenRichteroder denauf diesem

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dunklen Gebiet bewanderten Laienüberraschenkonnte.Höchstenskonnten einzelneEpisodendieLachlustreizen.DerehrenwertheHerr Heinzehatte vonseiner Kohlrübegesprochenund damitseinen Kopf gemeint.Die Ver- theidigerhieltenesfür nöthig,imSitzungsaalSectzu trinken. Undeiner von ihnen sprachinhehrer EntrüstungvondemVersucheinesZeugen,die liebeFrauHeinze,diesichfüreinehalbeMarkunter Brücken und Stadt- bahnbögendenTrunkenen feilbot,zu einemEhebruch anzustiften. Im UebrigenwarAllesso,wiemans ausdemPitavalundausSuesGauner- romanen längstkennt. DieZuhälterzunft—- dieelegantenHerren,die gegen EntgeltoderGunstbeweiseihreFrauen verkuppeln, gehörenihr offiziellnicht an hatuns Canler,einfrühererHäuptlingderpariserGeheimpolizei, geschildertundsie hat schon1880 beiDavid inPariseinManifestveröffent- licht,dasihrLebensrechttapferversieht.Undüber dieProstitution giebt esgute BüchervonParent-Duchatelet, Secretan, Jeannel, Taxil,Tar- nowsk1j, JentschundmanchemAnderen. AuchdieZusammenhängevon ProstitutionundVerbrecherthumsind seit manchem Jahrzehnt aufgehellt und man weiß, daß sichdasHeerderVigilantenund Spitzelzum großenTheilausdemZuhälterkreisrekrutirt. Irgendeinneues,nützliches

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oderschreckendesMoment brachtederProzeßalso nicht.Abererwurdevon einzelnenZeitungenzu einerfürchterlichsensationellenSache aufgebauscht.

DieselbenHerren,diesichvongefälligenKriminalkommissarenin die Ver- brecherkellerdesNordens führenlassenundalljährlichinsicheremGeleit die Bälle der TribadenundPäderastenbesuchen,stellten sichnun höchsterstaunt undschrieben,Niemand habe bisher geahnt, daßin derNähedesheiligen deutschenHerdessolcheAbgründegähnten.WelcheVerkommenheit!Welche Menschheitschmach!DasPublikum,dasvondenewigen Verhimmelungen Caprivis gelangweiltwar, lasdieseSachengern;derstarkeWildgeruchstieg angenehm prickelndinkeuscheNasen.Sowurdedennmunter fortgeschrie- ben undesfehltenichtanherrlichenAusblickenin dasGelobte Land derEthik und dersozialenReform.DerLärmerreichtedasOhrdesKaisers,der in Rominten aufdieBirsch ging.· Daßein demAlltagslebenvonJugend ausentrückterMonarchvon denNachtseitendergemeinen Wirklichkeit nichtswissenkann, daßerin allenFragen,diemit Proftitution, Zuhälter- thumundähnlicheneklenDingen zusammenhängen,sogar völligunwissend sein muß,wirdman, ohneeineAnklage fürchtenzu müssen,wohl selbst imheutigenDeutschland noch sagen dürfen.DerKaiserwar vonErschein- ungen,dieerfürneuundfür tilgbar halten mußte,natürlichalso erschreckt undforderte, daß,Etwas«geschehe.DiePflichtderMinisterwäregewesen, ihmzusagen: Erstens sind dieseDinge soalt wiediebürgerlicheGesellschaft.

Zweitenskann dieGesellschaftdieProstitutionunddieProstitutiondieZu- hälternichtentbehren-Drittens lehrtalleErfahrung,daßStrafgesetzeüber- hauptwederprohibitiv noch auchnurabschreckendwirken.Viertens sindwir durchdieRücksichtaufdiebesitzendenKlassenschonjetztgezwungen,vonden bestehendenStrafgesetzendas gegenKuppeleiundDuldung gewerbmäßiger UnzuchtgerichtetezumwesentlichenTheil unausgeführtzulassen;sonstkönn- tendie,wiegesagt,unentbehrlichenProstituirten in Berlin alleinsindsmin- destenssechzigtausendnicht unterkommen,dieAnimirkneipenmüßtenge- schlossenwerdenundin denbesten StadtbezirkenwürdensehrvielenHaus- wirthen zahlungfähigeMiethervonMittelwohnungen fehlen.KeinMinister hattezusolcherRede denMuth,keinen trieb dasGefühlderPflichtundVer- antwortungzuoffener Warnung. Undso ergingdennam zweiund- zwanzigstenOktober 1891 an dasStaatsministerium derkönigliche Erlaß,demvierMonate späterdieallgemeinalsLex Heinzebezeich- neteVorlagean denReichstag folgte.ObderErfinderdesNamens andie LexJujja de maritandis ordinibus dachte,mit derAugustusdie

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KinderscheuseinerRömerbekämpfenwollte:Daswirdsichheutenicht-mehr leichtfeststellenlassen.Umsoleichteraber, daßderunklugeundunnützliche EntwurfderselbenWurzel entwachsenistwie diemeisten Uebel,unterdenen wirheuteimDeutschenReich seufzen. OhnedieHeucheleiderPresseund ohnediemuthlose Schwächederverantwortlich Regirenden hättenwirdie Zangengeburt dieserlächerlichenLexnie erlebt.

Siehat sichinachtjährigemkümmerlichenDasein einigermaßenver- ändert und wirdsichvielleichtnochweiterverändern. Dievorläufigletzte Berathung hat, währendich schreibe,erstebenbegonnenundNiemandweiß, wasnochwerdenmag.DereigentlicheZweckist mehrundmehrverschwun- den, Das,was zuerstHauptsacheschien, mählichin denHintergrundge- schobenworden. Dasist nicht wunderbar;denn gegen Dirnen undLonisist aufdemBodenunsererBesitzrechtsordnungnichts auszurichten.Obman denLouis alsKuppleroderalsZuhälter bestraft, ist gleichgiltig.Und ob mandasBermiethenanProstituirte,dasimmermit dreistester»Ausbeutung desunsittlichenGewerbes« verbundenist,erlaubtoderverbietet: Alles wird ruhigbeim Altenbleiben.InallengrößerenStädtengiebteseineMenge ärmlicherFamilien,die ingutenGegendennurwohnen können,wennsie mindestenseinZimmeraneineProstituirte vermiethen,dieihnen fürden Tag fünfbisfünfzehnMarkMietheoderAbsteigegeldbezahltundsiean Essen,Trinken undWäschenochWucherzinsverdienenläßt.DiePolizeikennt dieseWohnungenebensogenauwiedieinBalllokalenundSpezialitätentheatern Jedermann zugänglichenUnzuchtbörsen,dieKneipenbordelle,wodie Lo- sunglautet: Tout,maispas ca, und diestillenHotels,woman ohneGe- päckfürStunden absteigenkann.Sieschreitetdagegennicht ein,weilsiedie um ihreGrundrente zitterndenHausbesitzernicht rebellisch machenwill undsich,sehr verständig,sagt, daß dieseKehrichthäufleinnun einmalnicht wegzuschaufelnsind.Waswürdegeschehen,wenn sämmtlicheProstituirte ansBerlinverschwänden?..SolonwurdevoneinemVersschmiedgepriesen, weilerdurchdieEinrichtungvonFrauenhäuserndieathenischenDamen vordenJägergelüstendermannbaren Jugend bewahrt habe; undAugusti- nus,einleibhaftigerKirchenvater, sprachdasoffeneWort: »Beseitigtdie öffentlichenDirnen unddieGewalt dergeschlechtlichenLeidenschaftwird Alleszerstörenundzernichten.«Nach dieserRichtungist,bisdiegeschlecht- licheReinheitund dasmonogamischeLeben der Männer aus einerFiktion Wirklichkeitgeworden sind, nichtszufürchten.WerdasnöthigeGeldhat, wirdstetseineangenehme,behaglichdurchwärmte,bequemerreichbareund

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vonderhohen Obrigkeit ärztlichüberwachteProstitutionzurVerfügung haben.Der Staat wirddasfreie SpielderKräfte nicht stören,sichin die Verkehrsregelungdurch AngebotundNachfrage nichtmengen. Der Staat kränkt diekapitalistischKräftigen überhauptnichtgern. Undesistderbis- her wichtigsteZugin demBilde derHeinzeschlacht,daßdie verbündeten Re- girungen einmüthigerklärthaben,einebesonders scharfeBestrafungdes ge- schlechtlichenMißbrauchesdesArbeitgeber-undDienstherrenverhältnisses sei für sieunterallenUmständenunannehmbar. DerbeschränkteUnter- thanenverstandwirdwähnen,solcherMißbrauchderabhängigenKreatur sei dieerbärmlichsteSchändungallesMenschengefühles.Vonso Thürichten aberspricht,im Namen des hochwohllöblichenBundesrathes,derStaats- fekretärNieberding: »Die GesetzederjuristischenLogiksind ihnen natürlich weltenfern; deshalbaberdürfensie sichauchnicht erdreisten,überDingezu urtheilen,diesienicht verstehen.«Dasist schlagend,isteinMeisterstück bourgeoiserBeredsamkeitundmuß jeden NörglerzumSchweigen bringen.

Je mehrdasAnfangszieldesFeldzugesin Nebelversank,destodeut- lichertraten andereTendenzenhervor. SchonimerstenEntwurf hatteder Bundesrath Strafbestimmungengegen die Verbreiter vonSchriften,Bil- dernundplastischenWerkenverlangt,die»ohneunzüchtigzusein, durch grobe UnanständigkeitdasSittlichkeitgefühlverletzen«.Dieser tastendeVer- suchwurdewenig beachtet;mitRecht:dennauchnachdemjetztgiltigenGe- setzkannjedeStrafkammer,wenn esihr beliebt, ,,thatsächlichseststellen«, einBuchoderBild seiunzüchtigUnd dasVerbreitendeshalb mitGefängniß bis zusechsMonaten zubestrafen.Dann aberschiendieSache ernsterzu werden. DieFrommenunddieHeuchler,ProtestantenundKatholiken,thaten sichzusammen,umbeidergutenGelegenheitihrebesonderenTugendansprüche zugesetzlicherGeltungzubringen.Sie hatten aufdem plattenLande beideAugen geschlossen,hatten natürlichauchdieausgezeichnetenBücher,dieüberländliche Sittlichkeitin denletztenJahren erschienensind, nicht gelesenundfanden,in unserengroßenStädtengeheeszu wiein SodomundGomorrha schwefeligen AngedenkensDasmußteseineGründehaben.Sieforschten,forschtenunter LeibesmühundGewissensquaLDawaren in denSchaufensterndieBilder, auf manchen SchaubretterngardieKörpernackterFrauenzusehen.Da wurdenBüchergedruckt, gekauftundgelesen,in denensexuelleDinge scham- los erörtertwurden. Dagabman Theaterstücke,aus deneneinbrandiger Brunstgeruch aufschwälte.Dawar dieserNietzsche,der,wieman hört,alle ethischenWerthe umwerthenwill undder-sogarin derBossischenZeitung

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füralleJMorde,TropenkolleranfälleundSpielerausschweifungensverant- wortlich gemachtwird. Kannnichtgeduldetwerden, darf nicht geduldetwer- den.Das richtigeEmpfinden,man dürfegegen dieArmen,imSchmutz Keuchendennicht härterseinals gegen dieReichen,dieihre Unzuchtparfu- mirenundsichjenseitsvonGut undBösewähnen,wirkteauchstachelnd:man fürchtetedenVorwurfderKlassenjustiz.Undsowurde ausdemgeplanten Kreuznggegen dieProstitution undderenAffiliirte nachundnachein KesseltreibengegenKünstler, SchriftstellerundThespiskärrner.

Manmußgeduldig abwarten,wasdabeiherauskommenwird. Für diePraxisganzsicher nicht viel, selbstwenn derBundesrath sichmit dem Reichstagstugendbundder 204einigt.Dieguten Leute,diesichjetztsovor- theilhaft echauffiren,haben offenbarkeineAhnungvonAlledem,washeute schonin derdeutschenGerichtspraxismöglichist, welchengeringen Werth imGrundeallegesetzlichenKautelenhabenund wie weit das diskretionäre ErmessenderRichtergeht.Dervonden204vorgeschlageneParagraph184a ist nichtumHaaresbreitegefährlicherals derjetzigeParagraph184desStraf- gesetzbuches,derjeder willkürlichenAuslegungdenweitestenSpielraum läßt.Diefünf Richter,diejetztentscheiden,wasunzüchtigist,werdenihr Klassen-undKastenempfindennicht ändern,wenn,nachdemMusterdes outrage aux moeurs, künftigimGesetzvon gröblicherVerletzungdes Schamgefühlesgeredetwird.Und dersogenannteTheaterparagraphwürde kaumjemals wirksamwerden,weil inunserem gebenedeitenRechtsstaatedie Polizei befugtundverpflichtetist, Alles,wasauf Schaubühnenvorgeführt werdensoll, vorher auf seineSittsamkeitundUnanstößigkeitzuprüfen,und weil einpolizeilichgestattetesStück, CoupletoderKostümvomStrafgesetz ebenso wenig belästigtwerdenwirdwie einepolizeilichkontrolirte,mit dem gestempeltenDienstbuch ausgestatteteVerüberin gewerbmäßigerUnzucht.

CensorenundRichterkann keinBundesrathsbeschlußvonheute«anmorgen ändern. Undnichtin dem Wortlaut derParagraphen nistetdieGefahr, sondernin demGeist,derdiesenGesetzentwurfmöglichmachte.

Gegen diesenGeist, sowirduns erzählt,richtet sichderProtest,der währendderzwei letztenWochen solautin derZeitungwelt widerhallte.

Ich kann,zu meinemBedauern,indiesesUrtheil nicht einstimmen, viel- leicht,weil derGeistmiranderserscheintalsdem buntenHaufenderPro- testirenden.Esist sehrhübschundlöblich,wennMänner—- Frauenhaben diestolzenVertreter höchsterModernitätwohlnichtzugelassen vonRuf ausihrer Arbeitstube treten,denStrangderSturmglocke ziehenund gegen

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gemeingefährlicheMaßregelndiewafsenfähigeMannschaftzusammenläuten.

IneinemLande,wosobeispiellosunstetundunklug regirtwird wie imhohen- lohischenDeutschenReich, sind solcheBönhaseneingriffein daspolitische Getriebegarnichtzuentbehren.Daslehrt aufanderem Gebietheutedie tumultuarische Agitation fürdieFlotte,gegen dieWaarenhaussteuerund dasFleischschaugesetz.Nicht hübschaber, sondern recht beschämendist es,wenndieaufdenMarkt tretendenMännervon-RufinihrenReden klar erkennenlassen, daßsievondemFeind,densiemit vollerWucht treffen wollen,eine ganzfalsche,ganzunverständigeVorstellung haben,undwenn ihnendannirgendeinKanzleroderStaatssekretärmitüberlegenemLächeln undleider mitRecht sagen kann, sie hättenbisherunter dröhnendemGe- schreiLufthiebegegenGespenstergeführt.In MünchenundanderenStädten sind gute, erfreulich kräftigeWorte gesprochenworden,vondenenmanches denKern derSache traf.Von deminBerlinGeredeten war derallergrößte TheilleerePhraseologie. MagHerrSudermann sicheinbilden,erundsein HeerhaufehättenderdeutschenWelt,derdochHebbel,Anzengruber, Gutzkow, Heyse,Fontane,Storm undGroth lebten,zumerstenMalseitdenKlassiker- tageneinegroßeundernste Dichtunggebracht;mag er,dessenEffektstückeohne Flaubert,Zola,Dumas,FeuilletundRostandgarnichtdenkbarsind,dergläu- bigenGemeindeerzählen,vorihmunddenSeinen habediedeutscheDramatik sklavischdenFranzosen nachgeahmt;magerdieWahrhaftigkeitseinesLosung- wortes,dermoderneDichterwolle und könne Alleskausalverstehen,dadurch beweisen, daßervonProstituirten,dieDoftojewskij,die BrüderGoneourt undZolain denMittelpunkt großerEpen stellten,wievonverpestetenMiß- wesenspricht——:dasAlles maghingehen.Wasman abervoneinem be- rühmtenHerrn,deralspolitischerRednerauftritt, fordern muß,ist, daßer denGesetzentwurfwenigstenskennt,gegen denerwettert. Erdarf nichtden jetzigenlegalen Zustandmit demfürkünftigeZeitzufürchtendenvermen- gen,nichtdenPflegeväternund Ammendesneuen Entwurfes vorwersen, wasdiepreußischeKunstpolizeiverschuldet hat, nichtmitbeständiggestei- gertemPathosdarüberjammern, daßman DichterundDirnen indas selbeGesetzgebracht habe, währendimScherzzwarvoneiner Lexgespro- chen,imErnstabernichteineinheitlichesGesetz,sonderndieAenderung einzelnerStrafparagraphen beantragtwird. Erdarf auch,wenn erals GoldschmieddenndurchausfürdeneigenenJuwelenladen plaidiren muß, die Vertreter andererInteressenundWeltanschauungen nichtalsJdioten undHeuchlerbehandeln.MitsolcherLungenleistung,dereinAugenblicks-

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erfolg sicherist, erreichtman nichts, erreichtman imbestenFall, daßein SymptomvonderOberflächeverschwindetund derGeist,der dasUebel ent- stehen ließ,unter derDeckenurum so festere Wurzeln gewinnt.Soge- schahesnachdemglorreichenKampfgegen daspreußischeVolksschulgesetz, vondem allesWesentlicheseitdemgeräuschlosgerettetwurde.

Sowirdeswahrscheinlichauchdiesmal kommen. AlseinLaie,der seinLebenlangzu denGejagten, nichtzu denJägern gehört hat,binich gegenjedesneueStrafgesetz.Keinsist nützlich,fast jedes schädlich.Die Re- girenden habenbeiuns eineMachtvollkommenheit,dieauchdiealleraus- schweifendstenWünschebefriedigenmuß;siekönneneinenSchriftsteller,der ihnen nicht nachdemverehrlichenMunderedet,durcheinjeder Sittlichkeit undGerechtigkeitHohnsprechendcsBoykottgebotum einenbeträchtlichen Theil seines Arbeitertrages bringen,können einenRichter,der denUn- bequemennach RechtundPflicht freispricht,ausdemAmtärgernundeinen anderen,dersichwillfähigerzeigt,miteinerReichsamtspfründebelohnen.

Einfrevelhaftes Beginnen scheintesmir, dieseMachtzumehren, statt sie zu mindern. Und inderLexHeinzefühlte ich schonvor acht Jahren denVersucheinerRebarbarisirung; in derSaurierzeitderMoralsollteJeder, der andersdachte,empfand, gestalteteals dieherrschendeMehrheit,rechtlos, friedlosundehrlos sein, unddiese Zeit sendetunsnun ihren letzten Koprolithen.Aberden Wortlaut dereinzelnenneuen Paragraphen halte ichfür sehr gleichgiltig.Jchkannnicht finden, daßdieFragen,obdieposes plastiquesimWintergartenerlaubt undobJoundLedaausdenSchau- fenfternverbannt werden sollen,damitdiePubertät unruhigerTertianer sichnichtdaran errege,mitKunstundpersönlicherFreiheit auchnur das Allergeringstezuthun haben. Diese Fragen falleninsGebietderOrdnung- polizei,womancheBüttelthorheitfortwuchert,undsie werden,wieesstets geschah, nachdemBedürfnißderJnteressenmehrheit geregeltwerden. Der MehrheitderBesitzendennatürlich,alsoeinerwinzigenMinderheit,die aber nun einmaldieGeschäftsführungansichgerissen hatundnichtdaraner- innertseinmag,welchengeringenBruchtheilderVolkheitsieeigentlichbildet.

Den Arbeiterärgertesnicht,wenn seineKinderLedasKosenmit demSchwan begassen; sein Junge ist LehrlingoderLaufburscheundweißlängst,schon weilermitdreiSchwesternin einemZimmer schläft,wie eineFrauohne HemdaussiehtzundseinMädelhatimFabrikhofundamRinnsteindieärgsten Zoten aufgeschnapthnd demSchlafburschen,wennerseineBrautbeisichhatte morgensdenKafseeindieKammer gebracht.DieBourgeoisieaberwillihre,

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Sprossenin derReligiondes canterziehenund wirdauchohneneueLexihren Vollzugsausschuß,dieRegirung,zurSäuberungderStraßenundPlätzezu zwingenwissen.Daß sieaucheinmaldemonstrirtundprotestirt,kannnur den Kurzsichtigentäuschen,dernichtbedenkt,wienöthigjederKlassenpolitikdietö- nendePhrase ist.Undaußerdem:derLärmhat ja dieBourgeoisieindenJrr- wahn gescheucht,ihr könnte,wassieinRuhezuschmausenhoffte,genommen werden. Wattenur: balde wirdsiesichberuhigen,wenn siehört,daßsiealle gutenGottesgabenbehalten sollundessichnurdarum handelt,die Un- mündigenvorVergiftungderSinne zuschützenunddenmißtrauischDar- benden den AnblicksittenlosenReichthumeszuentziehen.

Aus demWunsch,dennichtandieTafelderKulturgenüsseGelade- nendasschmutzigeTischzeugzuverbergen, istaneinembestimmten Punkt sozialerScheidungder cant erwachsen.Gorbonschrieb,alservonEngland schied,insein Tagebuch: ,,Jn unserer Gesellschafttragenwir AlleMasken, sagen,waswirnichtglauben, essen,waswirnichtbrauchen,und redennach- herUeblesvoneinander. LieberDerwischbeimMahdi seinalsnochlängerin solcherGesellschaftleben.«Jstes garso wunderbar,wenndietiefeUnwahr- haftigkeit diesesTreibens auch aufdieAnschauungvonKunstundSittlich- keit wirkt? WerfürdasRechtdesfreien Künstlers, fürdasbesondereLe- bensgesetzderstarkenPersönlichkeitdeklamirt,wird immernochBeifallwek- ken;NeuesaberistüberdiesenGegenstandseitderHatzgegen dasJunge Deutschlandundseit Flauberts Bovary-Prozeßnicht mehrzusagen.Es bleibt beiGoethesWort:v»Die Zeit isteinTyrann,derseineLaunenhat undzuDem,wasEinersagtoderthut,injedemJahrhundertein anderes Gesichtmacht.Was denaltenGriechenerlaubt war,will uns zusagen nicht mehr anstehen;undwas Shakespeares kräftigenMitmenschenbe- hagte,kann derEngländervon1820 nicht mehr ertragen.« DiesesWort wurdeineinerEpochegesprochen,wonochnicht,wieheute,eineRenaissance christlicherSittenlehre befohlen, noch nichtdie weitüberwiegendeMehr- heitallem Mythenglauben entfremdet, noch nichtdieneue Ethikdes struggle forlifegefundenwar, diejetztJeder befolgtundKeiner be- kennt.DieFundamente unseres geistigenLebenssindausunechtemMate- rialzusammengelogen,unechterStuckistdiePrunkfassade unserer Sittsam- .keit.UndvonAllen,dieumdieParagraphenderLexHeinzeraufen, denkt,

wieesscheint,keinEinzigerdaran,denKämpfern,diesämmtlichihreTugend betheuern,dasGebotzuzuheischen:Wagt, wennJhrtugendhaft seinundim Kampfsiegenwollt,dieLehrezuleben,dieJhrfrühundspätaufderLippetragt!

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InNordamerika. 465

In Nordamerika-J

Margaanisteinekleine Stadt, mitkaumzweitausend Einwohnern,

«« die innach amerikanischerArt breitangelegten,aberschlechtenStraßen mitvoneinander entferntenHäusern wohnen. AußerderJrrenanstaltbe- findet sichdortnocheineschöne,großeTaubstummenanstalt,dieaucheine be- deutendeLandwirthschaftbesitzt.Jm Distrikt Morgantonundbis zum Mount Mitschellist durchLokal-OptionderAlkoholverkaufverboten; auch hier findet man wiedereinewohlthuendeRuheundNüchternheitinallen Orten. Mor- gantonliegtimmittleren, trockenenPlateauNord-Carolinas undist furcht- barheißimSommer undrechtkalt imWinter. Nachdem ichdiedortige- Ameisenfaunastudirt hatte,dieeininteressantes Gemischnearktischer,Das heißt:nordamerikanischermitneotropischen,also süd-undcentralamerikanischen Formenbildet,wollteichdiejenigederAlleghenniesansehenund fuhrmit derBahn nachdemwestlichundschonziemlichhochgelegenenBlack-Mountain.

Vondortgelangte ichmiteinemWagenzu derromantischmittenimWald aneinemFluß liegenden,einsamenundletzten FarmdesHerrn Tyson,der einigeLeuteinPensionnimmt,um vondaausdenhöchstenGipfelderAlle- ghennies,.denMount Mitchell(6700Fuß,etwa2000 Meter)zuerreichen-»

DieFeldwegein Nord-Carolina sindherzlichschlechtundauchanderswo nichtvielbesser.Es fehltanArmenundZeit,umsiezuunterhalten.Man fährt durch Gestrüpp,übergroße Steine,Baumästeu.s.w., ohnesich dadurch störenzulassen.DieWagen sind daher sehr leichtunddochsolid gebaut,mitsehr großen,engenRädern,undMaulthierewerdenvielver- wendet, daihreSicherheitundihreAusdauer unvergleichlichsind.

Jchwar überhauptsehr erstaunt, selbstin denNordstaatendie Land- schaftderVereinigtenStaaten viel wilder,primitiver, romantischerundstärker bewaldetzufinden,alsicherwartet hatte. Solche gepflegteWiesenmitzartem Grase,wieman siebeiuns hat, sahichdorthöchstensineinigen Paris.

Sonst bestehennochdieWiesenaus rauhem, groben Savannengras, das übrigensdemViehganzgut zubehagen scheint.Diesgiltsogar fürdie nächsteUmgebung großerStädte. Man findetzumBeispiel große Holz- ameisenaufden Bäumenmittenin denStraßenvonPhiladelphiaoderToronto.

Die ganzenSüdalleghennies,umAsheville herum,bilden sozusagen nocheinen Urwald, dessenwilde Schönheit ichnun im vollen Maße genießendurfte. BisetwaeintausendfünfhundertMeterbesteht jenerWald vornehmlichaus amerikanischenKastanienbäumen,zahlreichenEichenarten, Tulpenbäumen,Rhododendren, Ahornen, Buchen, Sassafrasundmirunbe- sc)S.»Jn Nordamerika-«inder»Zukunft«vomzehnten Februar1900.

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kannten Sorten.Seltener sinddiePlatanen,Linden und Ulmen. Unter diesenBäumen giebteszahlloseehrwürdigeRiesen,derenDicke undHöhe unsere schönsteneuropäischenBäume weitübertrifftunddieman ruhigzer- fallen läßt,denn jeneWälderwerdenweder benutzt noch geschützt.Will einFarmereineWaldstellezu einerMaispflanzung benutzen, so schneideter einfachdieRindeallergroßenBäume querdurch.Sietrocknendannab, bleibenstehenundderMais wirddarunter gepflanzt.Sowurde mirdie Entstehung größerer,öder,scharf umschriebenerStellen erklärt,woichvon fernlauter abgestorbeneBäumesah,undbaldkonnteich selbstanOrtund StellediesenBandalissmus bestätigtsehen. Auf SchrittundTritt trifft man umgefalleneBaumstämme,die denWeg versperren.

Einunangenehmer, sehr häufigerBewohneraller Wälder undGebüsche des Südens isteinehübscheSchlingpflanzemitdreitheiligenimHerbstin allen FarbenschillerndenBlättern, der Rhustoxicodendr0n. VieleMenschen bekommennacheinfacherBerührungdieserPflanzeunderst rechtnachQuetschung derBlätter,sehrEmpfindlichesogar nach bloßerAnnäherung,einenäußerst schmerzenden,auf großen Hautpartienverbreiteten erhsipelasartigenAus- schlag. Jch selbst schienimmunzusein,daichimGebüschsehrvielejener Pflanzen streifteundquetschte, ohne Folgen davonzutragen. Einzig schön inihrerArtsind dieRhododendronwäldermitihremdunklen Grünund ihrem tiefen Schatten.Siesind hochgenug,um über denWeg ihrdunkles Laubdachzubilden, nndin derBlüthezeit,dieich gerade traf,bildenihre großen,weißenundrosarothen zahlreichenBlüthendieschönsteZierdedes Waldes. Recht schöne,buntfarbigeVögel,darunter bereitseinzelneKolibris, Eichhörnchenmitetwas magerem Schweifundprachtvolle Schmetterlinge, besondersein ganzzahmer, großer,blauschwarzerPapilio,dersichalsKomo- phage aufdemWegetummelt undmitderHand fangcn läßt, sogarkaum wegfliegt,wenn man auf ihntritt, belebenjene Prachtgegend.Leiderfehlt derBogelgesangfastganz; dieamerikanischenVögel sindkeineMusikanten- UeberKlapperschlangenund Bären oderCougouarden(Fe1isooncolor) hört man zwarerzählen;vondiesen berüchtigtenunddochrecht harmlosen Thieren konnteichabernichts sehen. Befragte Kollegen mußtenmirgestehen, daß sie nochniemals inihremLebendieFolgen ihrer Missethatenzubehandeln hatten. ImmerhinkommensiedortvorundmancheDamenschmückenihren Salon mitdenKlapperringenvon getötetenSchlangen.

dellischwar esbeimFarmer Tyson,einem biederenBaptistenund echten Farmerdes Südens. DieganzeFamilie besorgtedasVieh,die Land- wirthschaftundbedientezugleichdieGäste.Alleswar recht primitiv,aber dochherzlichundgemüthlich,besserund vielbilligerals in denGasthöfen,denn man bekamPension für fünfDollars inderWoche.Einjunger Deutsch-

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