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Die Zukunft, 1. September, Bd. 32.

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Berlin, den I.September 1900.

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Schulreform

Wirdsie nocheinmalwiederkommen,dieZeit,wodieSchuleeinfchattiger HainwarundderUnterrichteinheiter-ernstesGefprächderJüng- lingemiteinem älterenFreunde, von dessenLippen sie begierigWeisheit sogen,wodieseJünglingefreiwilligkamen,oftaus weiterFerneund,wenn siearm waren, unter hartenEntbehrungen, nicht getriebendurchdieNoth- wendigkeit,sichfüreinenBroterwerb vorzubereiten,und imGenußdesgeistigen Mahles,dassie nährteunderquickte,nicht gestörtdurchdieAngstvoreiner Prüfung?WoderLehrer seinAmtauffaßtealsdenbeseligendenDienst deshimmlischenEros oderals diehöchsteKünstlerschaft,wiedennnoch Johannes ChryfostomusGriechegenugwar,zusagen: hochüber dem Bildner inMarmor stehederMann,deraus demSeelenmaterial junger Menschen schöneGestalten schaffe?Von diesem höchstenStandpunktaus dürfenwir vorläusigdiePädagogilnicht betrachten,—in unsererZeitderFabrikarbeit, dermassenhaftenZurichtungderKinder undJünglinge fürdenBroterwerb, fürdieMaschinenbedienungundfürdenStaatsdienst. Schon Herbart hat bemerkt,daß zwischendenAnforderungenderPädagogik,die denMenschen umseinerselbstwillenbilden wolle-, unddenendesStaates, dersichdie Werkzeugezurichtenlassen wolle,dieerbraucht,einfastunlösbarerWider- spruchwalte. Aberseienwirnichtundankbar! Nebenden edlenWeisheit- schulenfür Jünglinge-—unddenSophisten-undRhetorenschulen,indenen dieKunstderWortdrechfeleizurBefriedigungderEitelkeitundgeldbringende RabulistenkunstumschweresGeldverkauftwurden lagen Elementarschulen, in denen Kindern von ungeschicktenLehrerndasLesen, SchreibenundRechnen mitderRuthe eingebläutwurde, undnochamEndedesachtzehntenJahr- hunderts gingesinvielendeutschenVollsschulen recht schlimmzu. Die MassederSchülerwar unbeschäftigt,je nachArt undLaunedesSchul-

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meisterszumStillsitzeninstumpfsinnigemBrüteneingeschüchtertoderUnfug verübend,jeeinKindstand zitterndvordemThrondesZuchtmeistersund stotterteseine»Lex«(Lektion)her,mochtedieseineinerKatechismuserklärung, in einemLehrstückoderimEinmaleins bestehen,undnahmdannseineSchläge hin,derenZahl nachderZahlderverbrochenen FehleroderLückenabge- mesfenwurde. Mit diesen Folterkammernverglichen,findunsere heutigen VolksschuleneinParadies. Abgesehenvon denSchuleninzweisprachigen Gegenden,vondenüberfülltenKlassen,derenesfreilichleidernochtausende giebt,unddennicht mehr häufigenKlassen,diemitunfähigenoderzorn- müthigenLehrern gestraft sind, istdasLernen fürdie Kinder keine Qual mehr fürVielesogareineLust undderErfolg oftganzerstaunlich.

Wennin unseremVolksschulwesennoch nichtAllesinOrdnung ist, liegtdie Schuld nichtanmangelhafterPädagogik,sondernandenFinanzverwaltungen.

Weniger istman mitdenhöherenSchulen zufrieden;aberauch hier sindes;nicht MängelderPädagogik,dieeinen ganzen Rattenkönigvon Schwierigkeitenerzeugenund dieSchulezum stürmischenKampfplatzder Parteien machen,sondern zwei Dinge,dieaußerhalbderSchule liegen:der ungeheureUmfangdesheutigen WissensunddiealleLebensgebiete,daher auchdieSchule beherrschendeBureaukratie. DieausderstetigenZunahme desWissensstoffeserwachsendeSchwierigkeittistdiekleinere; sie isteinGe- spenst,dassichinNebelauflöst,wenn man esscharfinsAuge faßt. Eher konnteman nochindenZeiteneinessehr beschränktenWissens,wohundert BändeeinemehralsköniglicheBibliothekbildeten,aufdieNarrheitver- fallen,aus jedemJungeneinenUniversalgelehrtenmachenzu wollen. Heute, woeskeinenGelehrten giebt,derauchnur die Literatur seines Spezial- fachs,derpreußischenGeschichte,derNervenkrankheitenoderderGliederthiere, zubewältigenvermöchte,heute istderGedanke,daßdieSchülermitdem WissendesJahrhunderts vollgepfropftwerden solltenundkönnten,von vorn hereinausgeschlossen.DieMittelfchulekanndenSchülernnur dieZugänge zu den verschiedenen Wissensgebietenerschließen,indem sie ihnendie Elemente beibringtund siegeistigarbeiten lehrt.WerdieSchwierigkeiten desLateinischenüberwundenhat, weiß,wasSprachenlernenheißtundkann jedeandere erlernenund hatzugleichauch nochdenSchlüsselzu den vier romanischenSprachen.Esgiebt Leute,die—sogarinpädagogischenFach- schriften!—- dieAufnahmedesSpanischenindenLehrplandesGymnasiums fordern,weilesfürdieDeutschen,die inSüdamerika, inWestindien, auf denPhilippinenundKarolinen zuthun haben, sehr wichtigfei. Ja,warum fordertman nichtdasPolnische?DasbrauchendieoftelbischenGutsbesitzer imVerkehrmit ihrenArbeitern, werden baldauchdieWerkdirektoren im rheinisch-westfälifchenIndustriegebietbrauchen.Undwarum nichtdasRussische?

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Schulreform. 363 Das brauchenvieleTechniker, Lehrerund Kaufleute,dieinRußland ihr Brotsuchen.UnddasMagyarischebraucht Jeder,dernachBudapest reist unddortmitderPolizeiinMeinungverschiedenheitengeräth,denndiever- stehtkeinDeutschoderthut wenigstensfo,alsobsiekeinsverstünde.Den Jngenieuren,dieinAnatolien undamEuphratEisenbahnenbauen, und den zahlreichenKaufleuten,diesichin der Levanteniederlassen, leistetdasTürkische guteDienste,sie undunsereOstafrikaner braucheneinWenig Arabischund außerdemSuaheli, ebenfallsdasChinesische,da wirinlebhafteZwiesprache mitdenChinesen gerathen sind. Also solche Forderungen sindalsun-

sinnig abzuweisen. JndieMittelschulen gehörennur dieKultursprachen, dieuns dieWeltliteratur erschließenzwas ein Jederfür sich noch besonders braucht:Daszu lernen,muß seine eigeneSorge bleiben;undeineSprache fertig sprechenlerntman überhauptnichtinderSchule, sondernnur im Umgange,unddann auch ohneallesschulmäßigeStudium undinkurzer Zeit.Ebenso verhältessichmit denRealien. Wer dieElementarmathematik, dieElementarphysik,dieElementarchemiesoweitbeherrscht,wiesie aufdem Ghmnasium gelehrt wird,wer deninnerenBau derThiereundPflanzen unddieäußerenMerkmale ihrer Hauptfamilien kennt,wer von denver-—

schiedenenGesteinen,ihren Kristallisationformen,ihrer chemischenZusammen- setzung, ihrer LagerungeinenBegriff hat,Der istimStande, sich durch SelbststudiumallenaturwissenschaftlichenKenntnissezu erwerben. Wiesollte

erunfähig sein,esaneinerHochschulemitHilfederLehrerundeinesreichen wissenschaftlichenApparateszuthun?Wenndaher einzelneHochschullehrer übermangelhafte VorbildungderGymnasialabiturientenklagen, so istman nichtberechtigt,daraus Folgerungengegen denLehrplanderGymnasienzn ziehen;entweder diejungenLeutehaben nicht gelernt,was sie aufdem Gymnasiumlernensollten und konnten, oder dieHerren Professoren fordern Kenntnisse,dieinsFachstudiumgehörenunddiesiedenStudenten erstbei- zubringen haben. Vogt,derAffenvogt,demNiemand Geringschätzungder Realienvorwerfenwird, der aber einepädagogischeAder und einengesunden Blickfür Wirklichkeitenhatte, hatüber ganz Anderes geklagt.Voretwa fünfzehnJahren hatereinmalin derNeuenFreien PresseungefährFolgendes gesagt:Wirbekommen heutewunderbar gut vorbereitete LeutevomGymna- sium; siewissenbeinahe schon Alles;nur leiderfehltdieHauptsache:Ge- lernteshersagenkönnensie,aberselbständigurtheilen, selbstdenken,selbst forschen,Etwassindenodererfinden,Das könnensienicht; sie sind Wissens- automaten. WievielbesserhabendadochdieehemaligenschlechtenSchulen derWissenschaftgedientalsdieheutigen guten! Jch selbst, sagt Vogt, habe ein ganzschlechtesGymnasium besucht;diealtenSprachenwurden schlecht nndaußerihnenwurdeüberhauptnichts gelehrt.Aberwirhatten,was der

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heutigen Jugend fehlt: freie ZeitundBewegungfreiheit;wirtriebenuns in WaldundFeld herum, sahen, sammelten, forschten auf eigeneFaustundso sindwirdietüchtigenNaturforschergeworden,die wirheute sind.Dasalso war Bogts Meinung;undeinMann, derfür dieAlleinberechtigungder Realien und gegendie alten Sprachen kämpft, ProfessorE.Dahn, der HerausgeberdesPädagogifchenArchivs, sagtineinerdiesemZweckgewid- metenundvondenZeitungenvielbenutztenSchrift (,,Das herrschendeSchul- systemunddienationaleSchulreform«)genaudasSelbe. Jn Dahn stecken zwei Persönlichkeiten:derPädagogundderOberrealschullehrer.Mit dem Pädagogenstimme ichin allenPunkten überein;wasderOberrealschullehrer sagt, muß ichzumgrößtenTheil ablehnen,um so mehr,alsesmitDem, was derPädagogsagt,imWiderspruchsteht.Das deutscheVolk,schreibt derRealschulmann,habe »inderGesammtheit seiner führendenStändenicht mehrdieZeit,in derJugenddenbedeutendstenTheil seiner KraftundZeit aufdieErlernungdesLateinischenundGriechifchenzuverwenden;esmüsse darauf bedachtsein, günstigeHandelsverbindungenanzuknüpfenundfürden Ueberschußseiner BevölkerungKolonienzu erwerben. Ja, glaubtdenn Dahn, daß für diesebeidenZweckeseineOberrealschulennöthig seien?Wenn essichum weiternichtshandeltalsumGeldertverbundLänderraub,dann ist auchdasStudium derhöherenMathematikundderBiologie Zeit-und Kraftvergeudung Die Erfolgreichstenauf diesenbeidenThätigkeitgebieten sindHausknechte,die mitihrem Ersparten Kneipen kaufenundallerleiHandels- undWuchergefchäfteunternehmen,Börsenspekulanten,Goldsucher,dieskrupel- losWildetotschießenoderversklaven,Konquistadoren,derenEntschließungen von keines,auchkeinesmathematischenGedankens Blässe angekränkeltsind.

Habendierohen englischenArbeiter,diesichvorhundert JahrenizuFabri- kantenengrossaufschwangenunddenHandeldesErdballes monopolisirten, Differentialrechnungstudirt?Sind dieClive undHastingsmitphysikalischem undchemischemWissen beschwertnachOstindiengezogen,umdortzumKaiser- reichderViktoria denGrund zulegen?Sind nichtEton,Oxfordund Cambridgehumanistische,diebeidengenannten Hochschulenhalbtheologische Anstaltenundist nichtdieMassedesenglischenVolkesbisvorwenigen

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Jahrenin einerUnwissenheitausgewachsen,dieuns Deutsche ungeheuerlich dünkt? Wennuns dieEngländerbisvorKurzempraktischüberlegenwaren, sokamDas nichtdaher, daß sie bessereundmehrRealschulen gehabt hätten alswir-sie hatten wenigerundschlechtere—, sondern daher, daß sichihre JugendvonSchulzwangundandermZwang freiinderWeltumsehenund tummeln durfteundesJedemüberlassenblieb, sichdieMengeunddie Art desWissens,dieerzubrauchen glaubte, autodidaktischzuerwerben. Und wenn heutedieEngländeruns um unsere guten Schulenbeneiden,wennsie

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Schulreform. 365 ihr Schulwesen nach deutschemMuster reformirenundausgestaltenundwenn wirtrotzdenPrivilegien unsereshumanistischenGymnasiums Frankreichim Kriege geschlagenhaben: solltedanichtderSchlußberechtigterscheinen,daß gute Schulbildung auf humanistischerGrundlageeinVolkzwarlangsamer-, abersichereransZiel bringtalsderroheUtilitarismusimLernen? Mögen alljährlichganzeBibliothekenneuen Wissens herauskommen: darauf hatdie Mittelschulegar keineRücksichtzunehmen;wenn sie ihren Schülerndie ElementejederArtvon Wissen beibringt, so sind diese SchülerimStande, diealten wiedieneuen Bibliotheken sammtdenHochschulenzubenutzen.

WasaberdieAnpassungderSchulean dieForderungendcsso unendlich vielverzweigtenpraktischenLebensbetrifft, so isteseben ganzunmöglich,den Unterricht schon aufdenUnter-undMittelstufenaufDaszubeschränken, wasJeder fürsein Fach braucht; abgesehendavon,daß dadurchdemVolk dieEinheitdesDenkens undEmpfindensverloren gehenwürde,müßteman hundert verschiedeneSchulen einrichtenunddasUmsattelnwürde densoein- seitig gedrilltenKnabenganzunmöglichgemacht. FürdenBauingenieur ist dieBiologie, fürdenPostbeamtendasganze GebietderNaturwissenschaften, fürdenJuristendieMathematik gerade so überflüssigwiefüreinenMaschinen- baueroderVersicherungbeamtendasGriechische;man gebedocheinembeliebigen Landgerichtsratheinmal eine dertrigonometrischenAufgabenzulösen,dieer alsPrimanermitLeichtigkeitgelösthat!

NichtimUmfangedesheutigenWissens also liegtdieeigentlicheSchwie- rigkeit, sondernimBureaukratismus, dersichin demBerechtigungwesenund inderReglementirwuth geltend macht.Willman sichdavon überzeugen, daßwirwirklich schonChinesen sind, so nehmeman einsderBüchleinzur Hand,worinverzeichnetsteht,zuwelchen Laufbahnenderaus UIloder 011 oderU1jederArtvon Anstalten abgehendeSchüleroderderAbi- turient einerdersechsGattungenvon Mittelschulen »berechtigt«ist. Was gehtesdenndenStaat an, inwelcherSchule ichmirdie zumehrlichen Broterwerb seiesauchinseinemDienste erforderlichenKenntnisse erworbenoderobich siegarnichtinderSchuleerlernt,sondernimSelbst- unterrichtaus Bücherngeschöpfthabe? Wozu brauchtderMann amBillet- schalterdesBahnhofsdenPythagoräerunddieKristallsysteme?Wasküm- mert esdenStaat, wo sein Postasfistentso vielFranzösischgelernthat, daß

erdemBriefträgersagenkann,ersolledenBriefmitderAufschrift:Erd-lon- Sieur leMaire ä«Liegnitz zumOberbürgermeistertragen?Vorkommenden Falls sagters ihm nichteinmal,sondernderBriefträgersucht so langeden Herrn Lehmeier,bisihnein desFranzösischenkundigerLadenjünglingzurecht weist. MögederStaat diesichmeldendenAspiranten prüfen,obsiedas fürdenbetreffendenDienstzweigErforderliche wissen;wosieihre Kenntnisse

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undFertigkeitenhergenommenhaben,kannihmganzgleichgiltigsein.Daß dieFachprüfungskommissionenbeisolcherEinrichtungvonganzungeeigneten Personen überlaufenwürden,wärenichtzufürchten,denn sodumm sind dochdieLeutenicht, daß Einer,dervonKonstruktionlehrekeinenBegriff hat, sichzumBaumeisterexamenmelden,Einer, derwohl Sprachen könnte,aber die ElementederMathematik nichtinnehätte,LandmesserwerdenundEiner, der kein WortFranzösischverstände,diehöherePostlaufbahnwürde ein- schlagenwollen. Fachschulen hättendie sichMeldenden einerAufnahme- prüfnngzuunterwerfen,was wohlauch jetzt schon geschieht.DieHoch- schulenabermüßten Jedem ohne Prüfung offen stehen. Auch hierwäre MißbrauchderEintrittsfreiheit nichtzubefürchten.EinSohnarmer Eltern kannsowieso nichtzumbloßenVergnügendieUniversitätbesuchen.Wollten unvorbereitete reicheJünglinge,wieesfrüher wohl vorgekommenist,sichals Studenten einschreibenlassen,nur, um einpaarJahrelangein lustiges Leben zuführen,so ließesichDemdadurch vorbeugen, daßStudenten, die keineKollegienbesuchten,von derUniversitätverwiesenwürden. Eine Kon- troledesKollegienbesuchswürde alsofreilich nothwendig,abersie ließesich wohlsoeinrichten, daß sie nichtzumregelmäßigenBesuchallerbelegtenVor- lesungen zwänge.UndVorlesungenanhören, dieman nicht versteht,istein so schlechtesVergnügen,daß-lebenslustigejungeLeutedafürdankenwerden.

Unvorbereiteteundschlechtvorbereitete jungeLeutewerden,wenn ersteinige UnbesonneneschlimmeErfahrungengemachthaben,ganzvonselbstwegbleiben nndeswerdennur solche mangelhaftVorbereitete dieUniversitätbesuchen, diemitaußerordentlicherBegabung außerordentlicheEnergieverbinden und trotzmangelhafterVorbereitungausdenVorlesungenNutzenziehen,vielleicht sichsogarnebenbeiinPrivatstundendiefehlendenSprachkenntnisseaneignen.

DaßeinAbiturient derOberrealschulealteSprachen studirte,würdeja niemals,daßersichderTheologieoder derRechtswissenschaftzuwendete,nur höchstseltenvorkommen. Unddafür NaturwissenschaftenundMathematik andentechnischenHochschulenebenso gutodernoch besser gesorgt istals andenUniversitäten,sowirdvon derneuen Berechtigungnur hieundda einmaleinOberrealschulabiturientGebrauchmachen,umMedizinoderneuere

Sprachenzustudiren. Eshandelt sich alsobei derAusdehnung dieserBe- rechtigungaufdieOberrealschulen wenigerum dasPraktischealsumdas Grundsätzliche.ProfessorKaemmelhatinden»Grenzboten«gesagt: »Mag man denOberrealschulabiturientenallemöglichenmathematisch-naturwissen- schaftlichenFächer freigeben, aufdieUniversitätgehören sie nichtunddie äußerlichgleicheBerechtigungzum Studium derGeisteswissenschaftengebührt ihnen nicht,weilihnendieinnerliche fehlt-«Geradediese Auffassungistes, wasdie zumTheil sehr einflußreichenAngehörigendernicht akademischgebil-

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Schulreform. 367 betenStände noch mehrgegen dieAkademikerund gegendieGymnasien ausbringtalsdieSchwierigkeiten,die dasBerechtigungwesenihren Söhnen bereitet. Siewollenessichnicht gefallen lassen, daßsieindergeistigen,in derBildungaristokratie aufeinetiefereStufe verwiesenodergardavonaus- geschlossenwerdensollen.Sie stellendemverknöchertenAltphilologenund Grammatikpauker,denwederDionysos berauscht nochdieMusegeküßthat, denKaufmannvonweltumspannendemBlick, den alsHandwerkerausgebil- detenFriedrich Krupp,dersichzu einerWeltmachtemporgeschwungenhat, den ganzvon hellenischemGeiste durchtränktenKünstler,denfein gebildetenTech- niker, dentüchtigenGeneral,denliterarisch thätigenVolksschullehrergegen- über,Männer,von denendieEinen keinGriechischundnur einBischen Latein, die Anderenauch dieses nichtkönnen, undfragen: Auf welcherSeite istdennnun diewahrehumanistifcheBildung?Wiehochich diesestelleund fürwienothwendigich siehalte, wissendieLeserder,,Zukunst«;dochmuß ichdenRealisteneinräumen,daß siehäufigbeiihnengefundenwird,während vieleAltphilologenBanausen sind,dieohneeinenAuflugantikenGeistes die altenSprachenund denUnterrichtdarin geistlosundhandwerkmäßig betreiben. JchdenkemirdaherdieSacheso,daßzwardieKenntnißder altenSprachenzurErzielung höchsterGeistesbildungdemVolkimGanzen nothwendigist, daß aberwederxdasStudium dieser Sprachen für sichallein schon diese höchsteBildung mittheilt nochdieUnkenntnißunter allenUm- ständendavonausschließt,dasie auch durchdieBeschäftigungmitderalten Geschichte,durchdasLesenguterUebersetzungenunddieBeschauungantiker Kunstwerkeerworben werdenkann.

Jch glaube dahermitDahn,esmüsse dahinkommen,daßein Mann, derkein Lateinversteht,diehöchstenAemterimStaate bekleidendarf,aber ichgehe nicht soweit, mitihmzusagen:Lateinmaglernen,werLust hat;

dennLust hatkeineinzigerJunge. Dieser GrundsatzwürdealsodasTodes- urtheilüber die altenSprachenbedeuten, undnach einigenJahrzehntenwürde unserVolkauchnichteinmalbrauchbareUebersetzungenmehr haben.Das würdeHerrn Dahn freilich nicht sonderlichbetrüben, da wirseinerAnsicht nachheute,wowireineeigeneLiteratur haben,dieder Altennicht mehr brauchen.Ich glaubeaber mitKaemmel, daßwirsienoch brauchenundin alleZukunft brauchenwerden,unddaher mußderZwangzurErlernung fürgrößereBerufstände bestehenbleiben,zunächstselbstverständlichfürdie Lehrer dieser Sprachen,dannfürdieHistoriker, fürdieTheologen, füralle Hochschullehrerohne Ausnahmeund fürdieJuristen,weildiesemStande die LeiterundBeaufsichtigerallerVerwaltungzweige, auchderKultus- und Unterrichtsverwaltung,entnommen werden. Ganz abzulehnen istdiegeradezu phantasiischeAuffassung Dahns,daßwirnacheinerdeutschen,einernatio-

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nalen Schulezustreben hätten,dieuns bisjetzt fehle.DieRedensart, unsere Schule sollenationale jungeDeutscheerziehenundnichtjungeGriechen undRömer, istzwaraufderSchulkonferenzvor zehn Jahreneinemsehr hohenMunde entfahren,abersie ist trotzdem,wieunter AnderemKaemmel sehr hübschzeigt, recht anfechtbar. Eher,meinter,bestündedieGefahr, daß wirdurchdasUebergewichtderneueren Sprachen FranzosenundEngländer erzögen,denneinenfranzösischenundeinen englischenStaat gebees, aber keinenrömischen,keinenhellenischenmehr. Die selbe Gefahr stellt Dahn ganzernstlichinAussicht, daher soll nach ihm auchkeine derneueren Fremd- sprachen, sonderndasDeutschedenAlles beherrschendenMittelpunktdes Unterrichtsbilden. Wie einpädagogischdurchgebildeterMann, dersonstdie vernünftigstenpädagogischenAnsichtenäußert,dembekanntenLaiengeschwätz überdiesenGegenstandVorschubleistenkann,begreifeichnicht.DasDeutsche bildetjaunter allenUmständendenMittelpunktdesUnterrichts,dennin allenStunden, ausgenommenineinigen französischenundenglischen,wird deutschundnur deutschgesprochen,undwenn derLehrer seine Pflicht erfüllt, sprichtereingutesDeutschundläßtdenSchülernkeinenschlechtgebauten oderfalschenSatz durchgehen.EinebessereUebungimDeutschenalsdie Uebersetzungder altenKlassikeringutesDeutsch istgarnichtdenkbar. Und derdeutscheAufsatzwirddoch wohl auf jedem GymnasiumalsdieBlüthe dervon denSchülernerreichtenGesammtbildungmitdemseiner Wichtigkeit entsprechendenErnstbehandelt. NachdemderlateinischeAufsatzaus dem LehrplandesGymnasiums gestrichenist, läßt sichvomnationalen Stand- punktaus gegendieseAnstalten nicht mehrdasGeringsteeinwenden. Gegen dieRealschulenallerArtenvielleichtEiniges;mögen alsohierdieneueren

Sprachen beschnittenwerden! Nurwüßteich nicht,wasdannfürs Deutsche mehr gethanwerdenkönnte. Soll deutscheGrammatik getriebenwerden?

Hat Goethedeutsche,Shakespeareenglische,Danteitalienische,Homergriechifche Grammatik gelernt? DurchdasStudium derGrammatikderMuttersprache wirdman inihremGebrauchnur unbeholfenerund unsicherer;dasbeste Mittel,solchenSchülern,dienichtvonHausaus Sprachgenies sind,die zumgutenAusdruckerforderlichelogischeSchärfeundFeinheit beizubringen, ist dasStudium derGrammatik fremder, namentlichderaltenSprachen.

Oderwillman jedeWoche zwanzigStunden daraufverwenden, diedeutschen KlassikermitErklärungenbreitzutretenunddenSchülernzuverekeln,so daß sieausfreienStückenzuletztgarnichts mehr lesen?WasderSchüler ohne fremdeHilfe leistenkann,sollman ihm überlassen.Herbartmeint, imGrundegehörtennur die altenSprachenunddieMathematikinsGhin- nasium,alles Andere,auchdieGeschichte,könnesichderjungeMenschausBüchern aneignen. FügenwiralsNothwendigesnochdieElemente derNaturwissenschaften

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Schulreform. 369 hinzu,weildabeiBerechnungenvorkommen undweilsichderSchülerkeine ApparateundSammlungen anschaffenkann,und dasZeichnen,wozuAnleitung undVorlagen nöthigsind. Zum UeberslüssigenrechneichdasEnglische,weiles so leicht ist, daßman dasLesen bequemausBüchernlernenkann;zum Sprechen gehörtKonversationunterricht,derdocheigentlichderSchuleun- würdig ist. VonLaienwirdauf diesemGebietunglaublicherUnsinn durch diePresseverbreitet. So zumBeispielmeint einehrlich begeisterterund imUebrigenganzgescheiterAlldeutscher,stattmitdenNebenwinkelmdenen dochNiemand auf derStraße begegne,sollederLehrerdieKnaben mitden Uniformenbekanntmachen,diesieaufallenStraßenzusehenbekämen.Ich habedemHerrngeantwortet,eben weilUniformenaufallenStraßen her- umlaufenunddieJugend sichso lebhaft dafür interessirt, daß jeder Gassen- jungeüber diemilitärischenGradeundüberdieKennzeichenderTruppen- theile Auskunft gebenkann,wäreesheillose Zeitverschwen«dung,wenn sich dieSchuledamitabgebenwollte ; und eben weilman dieNebenwinkelnicht aufderStraße antrifft, muß siederSchülerinderSchulekennenlernen, daohne Mathematik unsererArtillerie dieschöneKanonesowenignützen würde wie dieschöneUniform.

DieReformschulemitdemgemeinsamenlateinlosenUnterbauverwirft Kaemmelgänzlich.Darin kannichihmnichtbeistimmen.Diebekannten Gründefür dieseneue Einrichtungsinddoch nicht so leichtzunehmen,wie ersienimmt;undihreSchwierigkeiten,zumBeispiel daßdemVierzehn- jährigenzurBewältigungderStoffmasfedesLateinischendasWort- und FormengedächtnißdesZehnjährigennichtmehrzurVerfügungstehtunddaß dieVerkürzungderLernzeitum dreiJahredietiefeundfeste Bewurzelung beeinträchtigt,verkenneichnicht;aberobdieseSchwierigkeitensounüber- windlichsind, wieerglaubt, muß doch erstdieErfahrung lehren.Wieder- legt hatdieEinwürfegegendenLehrplanderReformschulenDr.Kopkain der»FestschriftzurfünfzigjährigenJubelfeierdesRealgymnasiumszum Heiligen GeistinBreslau«. Kaemmel sprichtnur von derfrankfurter Goetheschule,essollenaberschonüberdreißigsolcheAnstalteninPreußen bestehenundjedenfalls haben sichbereitsdreiTypen ausgebildet:derfrank- furter,deraltonaer undderbreslauer. AmWenigsten Aussicht auf allge- meineVerbreitung hatderzweite, aufdasBedürfnißderSeeftädtezuge- schnittene. Jnderschon1878 gegründetenReformschulezu Altona beginnt dasEnglischin derQuarta. Dasist, wieKopka ausführt,ausdrei Gründen unzweckmäßig.Erstens folgendieAnfängederfremden Sprachenzurasch aufeinander, da dann,wie beimfrankfurterSystem,inUntertertia dasLatein anfängt. Zweitens istesderVerwandtschaftwegen natürlich,aufdasFran- zösischezunächstdasLateinischefolgenzulassen,wiebisher diesemdas

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