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Empirische und rationale Selektionskriterien : Bemerkungen über Kulturrevolution, Biologie und Sprache

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Academic year: 2021

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O R G A N O N 24 : 1988 PR O B L È M E S G É N É R A U X

Andreas Dorschei (Deutschland)

E M PIR ISC H E U N D R A T IO N A L E S E L E K T IO N S K R IT E R IE N

B E M E R K U N G E N Ü B E R K U L T U R R E V O L U T IO N , BIO LO G IE U N D SP R A C H E

Dieser Aufsatz konfrontiert das K onzept einer darw inistisch ansetzenden funktionalen Erklärung und das einer rationalen N achkonstruktio n der K ul­ turevolution miteinander. Z unächst wird der K erngedanke der ersteren um rissen (1.). In einem zweiten Schritt wird eine hypothetische A ntw ort a u f die Frage exponiert, wie sich unter Bedingungen, die im Selektionskriterium der G esam t­ fitness (inclusive fitn ess) theoretisch ad äq u at erfaßt werden können, rationale, a u f Fitness irreduzible Selektionskriterien für H andlungen und Aussagen, nämlich: W ahrheit und norm ative Richtigkeit, herausbilden können. Diese Kriterien haben ihren Sitz in der menschlichen Sprache (2.). D eshalb wird sodann in einem Exkurs die in der darwinistischen Evolutionstheorie, speziell der „Soziobiologie“ entwickelte Theorie der K om m unikation geprüft. Sie m uß als unzulänglich zurüekgewiesen werden (3.). V or diesem H intergrund werden abschließend die Überlegungen des Soziobiologen R ichard Daw kins zur K ul­ turevolution einer genaueren Analyse und K ritik unterzogen (4.).

1.

Der substantielle Streitpunkt zwischen einer darw inistischen und einer rational nachkonstruierenden Theorie der kulturellen Evolution ist nicht, wie von einzelnen A nhängern der ersteren zuweilen suggeriert wird, ob K ultu r genetisch weitergegeben oder traditional verm ittelt wird — per defm itionem ist letzteres der Fall: Überlieferung ist es (wenn auch gewiß nicht alles), was K u ltu r von N a tu r unterscheidet. Die interessante und problem atische These insbesondere der Vertreter der „Soziobiologie“ lautet vielmehr: A uch für den Prozeß der kulturellen Evolution gelten keine anderen Gesetze als die von A npassung und Steigerung der Gesamtfitness. Im W ettbew erb der K ulturen werden diejenigen überleben, die ihren M itgliedern die besseren Ü berlebenschancen verm itteln.

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N ach Edw ard O. Wilson (1980, S. 159) ist zum indest derjenige Teil der K ultur, für den W ilson besondere Zuständigkeit reklam iert, die M oral, auch nur eine M achination der Selbsterhaltung1. U nd Friedrich A ugust von Hayek (1981, S. 209), der „die Irrtüm er der Soziobiologie“ geißelt, will gleichwohl mit seiner Evolutionstheorie in diesem Punkt exakt a u f das selbe hinaus wie Wilson: die Selektionskriterien seien auch für die kulturellen „Regeln, die er [der Mensch] nicht bewußt gewählt hat, die sich aber verbreitet haben, weil einige Praktiken das W ohlergehen bestim m ter G ruppen begünstigten und zu ihrer Expansion geführt haben“ (ebd., S. 216 f.), diejenigen der natürlichen Auslese. W ilson, H ayek und andere sehen kulturelle Eigenschaften einzig und allein nach ihrem N utzen für die Fitness derer, die G ebrauch von ihnen machen, selektiert.

2.

Dem gegenüber sei hier (mit Apel 1980) die These vertreten, daß das Wie der kulturellen W eitergabe, die menschliche Sprache, denjenigen, die sie verwenden, gewisse einschränkende Bedingungen auferlegt: sie können nicht um hin, sich an Kriterien wie norm ativer Richtigkeit und W ahrheit zu orientieren, die keines­ wegs in prästabilierter H arm onie zum Selektionskriterium der Fitness-Steige- rung stehen, ihm vielmehr durchaus zuwiderlaufen können. W er etwas sagt, m uß G ültigkeit für das Gesagte beanspruchen und gleichzeitig dem H örer die Freiheit geben, dazu m it Ja oder Nein Stellung zu nehm en — ob dies nun seine Fitness steigert oder nicht (dieses „ M u ß “ besagt, daß V ernunft ein alternativenloses Vermögen ist, wenn überhaupt Sprache verwendet wird). W enn nun erstens das Wie der kulturellen W eitergabe, die Sprache, die Entscheidungen der In terak­ tionsteilnehm er per se rationalen Beschränkungen unterw irft, und zweitens dieses Wie nicht ohne weiteres umgangen werden kann — Verständigung also nicht beliebig durch instrumentelle oder strategische Eingriffe ersetzbar ist — , so wird und bleibt die H erausbildung legitim geregelter sozialer Beziehungen auch dann möglich (möglich, keineswegs notwendig!), wenn die Gerechtigkeit a u f K osten der genstrategischen Effizienz geht.

In der T at haben menschliche Gesellschaften Selektionskriterien für H an d ­ lungen entwickelt, die sich nicht m it den natürlichen Selektionskriterien decken: etwa solche m oralischer und rechtlicher Art. Auch das Akzeptieren einer theoretischen Aussage aus dem einzigen G runde, daß sie w ahr ist, kann in dem W issen geschehen, daß ich sie akzeptiere, weil sie w ahr ist und obwohl es meiner

1 „ D a s Gehirn ist ein Produkt der Evolution. D as menschliche Verhalten ist, genau wie die tiefverwurzelten A nlagen zur em otionalen R eaktion, die es antreiben und lenken, das an Um w egen und Einfallen reiche Verfahren der N atur, durch das sie das m enschliche Erbmaterial intakt gehalten hat und intakt halten wird. Eine andere nachweisbare Funk tion hat die M oral letzten Endes nicht“ . Indessen, selbst wenn es sich so verhielte: was folgt eigentlich daraus? Ist die F rage nach der Funktion denn die einzig mögliche?

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Selectionskriterien 43

Fitness dienlicher wäre, sie wider besseres Wissen zu leugnen. Sind nun diese Kriterien — W ahrheit, norm ative Richtigkeit — , die Aussagen und H andlungen unabhängig von deren genstrategischem W ert zukom m en, also offensichtlich nicht m it dem K riterium der natürlichen Auslese zusam m enfallen, diesem letzteren gegenüber deshalb auch schon autonom ? Barash (1980, S. 297) fordert seine Leser auf, sie sollten

„anerkennen, daß das Selektionskriterium für m enschliche V erhaltensweisen die M axim ierung der G esam t-E ignung [inclusive fitness] ist“ .

W arum sollen sie dies anerkennen? Weil es w ahr ist? O der weil es ihre Fitness steigert? Dem form alen A nspruch der B ehauptung Barashs nach, weil sie w ahr ist — denn das, unter anderem , konstituiert eine B ehauptung, auch eine falsche und sogar eine erlogene: daß sie beansprucht, w ahr zu sein. Dem Inhalt der Behauptung nach aber, weil es die Fitness steigert: denn eine B ehauptung anerkennen ist eine menschliche H andlung, die als solche dem Barash zufolge einzigen Selektionskriterium unterw orfen ist: dem M aßstab der G esam t-Eig­ nung — m ag deren Steigerung oder M inderung, die das A nerkennen dieser Behauptung im Vergleich zum A blehnen nach sich zieht, auch gering sein.

Es kann — und dies genügt als kritische Pointe — Situationen geben, in denen das Anerkennen einer w ahren Behauptung tödlich ist, — gleichwohl können wir nicht um hin, für unsere Behauptungen und unsere Stellungnahm en zu bean­ spruchen, sie seien — im Sinne der K riterien von W ahrheit und norm ativer Richtigkeit — rational m otiviert, und würden nicht etwa nu r aus kluger (d.h. m ittel-zweck-rationaler Berechnung des eigenen (genetischen) Vorteils vorge­ tragen. W enn jem and etwas als w ahr behauptet, jedoch nach einiger Zeit bemerkt, es sei vorteilhafter für ihn, das Gegenteil zu behaupten, so ist er gleichwohl genötigt, den A nspruch zu erheben, er habe sich eines besseren belehren lassen oder neue G ründe gehört — und zwar nicht lediglich, weil es wiederum schädlich für ihn wäre, die Sache anders darzustellen, sondern weil die Behauptung „Dies ist unw ahr (das heißt immer: schlechthin unw ahr, für alle M enschen unw ahr), weil es für mich nachteilig ist“ , keinen Sinn hat. Das Bemerkenswerte d aran ist, daß sich unter Bedingungen der natürlichen Auslese ein M edium — die Sprache — durchgesetzt hat, das K riterien enthält, welche über bloße A npassung hinausgreifen, ihr in einzelnen Fällen sogar zuwiderlaufen können. Diese Kriterien nun sind so m it dem M edium — der Sprache eben — verbunden, daß m an nicht das M edium verwenden kann, ohne auch die K riterien zu verwenden. M an kann nicht den W ahrheitsanspruch fallen lassen, und weiter Behauptungen aufstellen. Die Sprache, m it ihren nicht a u f Fitness reduziblen Kriterien (W ahrheit und Richtigkeit), und Verständigung verhalten sich zueinander nicht wie ein ersetzbares M ittel zu einem auch anderswie erreichbaren Zweck2.

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W enn dies klargestellt ist, kann m an Barash gegenüber einräum en, daß in der T at Ü berleben in einem bestimm ten Sinne das „letzte“ K riterium ist. W enn kein menschlicher Organism us überlebt, ist es auch um die Sprache, die Richtigkeit und die W ahrheit geschehen. Insofern unterliegt jedes Verhalten, auch das sprachliche, biologischen Selektionsbedingungen. Dieses Zugeständnis ist für die hier vertretene Position keineswegs blam abel. Eine durch Überleben bezeugte funktionale Leistung ist schließlich kein M akel der R ationalität, der diese in Irratio n alität verkehren würde; Selbsterhaltung ist ja nicht per se das U nvernünf­ tige, — wenn auch Vernunft, etwa W ahrheit, nicht in ihr aufgeht. W enn jem and einen M ord begangen hat und deswegen unter Anklage gestellt wird, so ist es fitnessteigernd, wenn er selber in der Illusion lebt, er habe den M ord nicht begangen (er wird seine Richter m it vollendeter Unschuld ansehen) — und dies beweist, daß die Illusion angemessen an einen bestimm ten Zweck (den des Überlebens) ist, aber nicht, daß sie schlechthin vernünftig ist. F unktionalität kann partiell vernünftig sein, aber sie fallt erkennbar nicht mit Vernunft zusammen.

Fazit: Die R ationalität gültiger Rede, die über biologische Eignung hinaus­ liegt, ist, erstens, eine unvermeidliche Im plikation des kulturellen Prozesses. U nd zweitens: obwohl keinerlei prästabilierte H arm onie zwischen R ationalität und genetischer Fitness besteht, ist nicht ausgeschlossen, daß der Mensch auf Sprache, m ithin a u f das, was Überlebensdienlichkeit transzendiert, am Ende gerade auch um des Überlebens (des Überlebens als Mensch nämlich) willen angewiesen ist.

3.

Exkurs: Die Soziobiologie der Kommunikation

Tierisches Verhalten kann, nach einer Form ulierung Julian Huxleys (1923), „ritualisiert“ werden: das Beißen eines anderen Tieres (beispielsweise) kann durch ein D rohritual (verlängertes A nstarren, M aulaufreißen, Zähnefletschen, Ausstößen von Schreien — Demutsgeste des anderen) ersetzt werden, wenn das Ritual beiden Seiten einen Eignungsgewinn verschafft. A uf der einen Seite — der des Signalisierenden — könnte mindestens viererlei eine Rolle spielen: erstens kostet jeder A ngriff a u f einen Artgenossen Zeit und K raft, zweitens könnte das potentielle Opfer ein V erwandter sein (kin selection zugunsten eines Gens für Ritualisierung), drittens könnte sogar ein kleineres und schwächeres Tier, das um sein Leben käm pfte, schwere Verletzungen zufügen, viertens ist es in einem komplexen System von R ivalitäten nicht notwendig vorteilhaft, einen Rivalen zu beseitigen — es könnte sein, daß der Sieger dam it anderen Rivalen einen größeren Gefallen tut als sich selber. A uf der anderen Seite dürfte die Selektion auch das Erkennen des A nstarrens und Zähnefletschens als D rohung belohnen; Individuen, die entsprechend reagierten, also m it der Präsentiergeste antw or­

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teten, erzeugten verm utlich m ehr erfolgreiche N achkom m en, als Individuen, die ständig gebissen w ürden. Beiderlei F ak to ren begünstigen die E volution von Aggressionshemm ungen, in deren V erlauf langwierige innerartliche Beschädi­ gungskäm pfe partiell durch ritualisierte A useinandersetzungen, R angim ponie­ ren, D em uts-, U nterw erfungs- und Beschwichtigungsgebärden, E inordnungen in D om inanzhierarchien (H ackordnungen), territoriale M arkierungen, das Respektieren von Reviergrenzen usw. ersetzt werden. H ier schien die ältere, etwa Lorenzsche, Ethologie einen harten K ern von Phänom enen zu verw alten, der unter orthodox darwinistischen Prämissen (d.h. ohne R ekurs a u f G ruppenselek­ tion oder aufs „A rtw ohl“ ) unerklärlich schien. A u f diesem Felde hat die Theorie des genetischen Egoismus die A useinandersetzung angenom m en und für sich entschieden: die ebenso luziden wie m athem atisch fundierten U ntersuchungen von J. M aynard Smith, G. R. Price und G. A. P arker (1973, 1974,1976) gehören zweifellos zum überzeugendsten in der soziobiologischen Literatur.

Ritualisierung ist das wichtigste M om ent dessen, was Zoologen (und wohl nur sie) u nter K om m unikation verstehen (Barash 1980, S. 131). Ausgehend von den Quasi-Bedeutungen der ritualisierten G ebärden im K om m entkam pf ist in der Soziobiologie der Versuch unternom m en worden, zu einer generellen erklärenden Theorie der K om m unikation vorzustoßen. D er Soziobiologe R i­ chard D aw kins n ähert sich dem Phänom en folgenderm aßen: Z unächst definiert er M enschen als „Ü berlebensm aschinen“ (Dawkins 1978, S. V III, IX , 75 u.ö.). Ihre Interaktion gilt ihm als ein prom inenter Fall genstrategischen Verhaltens:

„Eine Vielzahl von D ingen, die die Überlebensm aschinen tun, verbessern das W ohlergehen ihrer G ene indirekt dadurch, daß sie das Verhalten anderer Überlebensm aschinen beeinflussen“ (ebd., S. 75).

Im gleichen Sinne definiert Barash (1980, S. 128f.) „V erständigung“ als eine

„Fähigkeit, das Verhalten eines anderen durch das Verhalten zu beeinflussen“ .

U nter diese Klasse von Verhalten — die einseitige M anipulation eines Organism us durch einen anderen oder die wechselseitige Einw irkung von O rganism en aufeinander — fallt auch nach Daw kins alles, was m an

„als K om m unikation oder V erständigung bezeichnen kann. M an kann sagen, daß eine Ü berlebensm aschine sich m it einer anderen verständigt hat, w enn dies ihr V erhalten oder den Z ustand ihres N ervensystem s beeinflußt“ (D aw kins 1978, S. 75).

Barash (1980, S. 131) hält es für möglich, a u f dieser Basis „den evolutionären H intergrund m enschlicher K om m unikation“ zu erfassen. Dem k ann insoweit zugestimm t werden, als die eingangs erw ähnte partielle Pazifizierung des Um gangs m iteinander verm utlich eine wichtige evolutive U rsache für die H erausbildung und Stabilisierung auch des menschlichen Sprachverm ögens w ar und ist.

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W eit unvorsichtiger äußert sich Daw kins (1978, S. 75), der V erständigung — und zwar ausdrücklich auch menschliche — geradewegs gleichsetzt m it der kausalen Auslösung von angeborenen Reflexen:

„M it Einfluß [im zuletzt eingeführten D aw kins-Z itat] meine ich einen unmittelbaren, ursächlichen Einfluß. Beispiele für Verständigung gibt es viele: den G esang der V ögel, Frösche und G rillen, das Schw anzwedeln und Sträuben der H als- und Rückenhaare bei H unden, das ‘G rinsen’ der Schim pansen, G estik und Sprache der M enschen“ .

Die erlernte und a u f Regeln und K onventionen beruhende Sprachverwen- dung des M enschen wird an dieser Stelle um standslos zusam m engeworfen m it genetisch program m ierten Symptomen. Ob jem and eine wissenschaftliche Theorie vertritt oder ob er einen H autausschlag hat, w ürde demnach lediglich einen graduellen, keinen qualitativen U nterschied machen. Auch an dieser Stelle m ündet die Soziobiologie in Nietzscheanismus: denn Nietzsche, der insofern einen deterministischen Linguistizismus vertrat, als er es für ausgeschlossen hielt, daß sich das Denken der Sprache kritisch bediene (cf. Nietzsche 1980, Bd. 6, S. 77f.), führte diese vermeintliche Tatsache a u f biologische D eterm ination zurück:

„der Bann bestimmter grammatischer F unktionen ist im letzten G runde der Bann physiologi­ scher W erthurtheile und R asse-B edingungen“ (ebd., Bd. 5, S. 35).

Die angeblich konventionellen Zeichen in sprachlichen U rteilen müssen dann genau wie natürliche Zeichen (Anzeichen) behandelt werden — so der me­ thodologische W itz von Nietzsches (ebd., Bd. 12, S. 149, ebenso Bd. 6, S. 98)

„Versuch, die m oralischen U rtheile als Sym ptom e und Zeichensprachen zu verstehen, in denen sich Vorgänge des physiologischen G edeihens oder M ißrathens, ebenso das Bewußtsein von Erhaltungs­ und W achstum sbedingungen verrathen“ .

Nietzsches reduktionistische Semiotik kann an dieser Stelle nicht a u f ihre selbstbezügliche K onsistent geprüft werden. Es fragt sich ja, wie es denn kom m t, daß offenbar n u r der Sym ptom atologe — denn dies m uß er für sich reklamieren — Symbole und nicht bloß Sym ptom e produziert. Die Verwischung des

Unterschieds zwischen beiden kann m an freilich, ehe m an die K ritik so tief ansetzt, zunächst einer konfusen Zoologie zuschreiben. Gegen Redeweisen wie die von Frischs von der „Sprache“ der Bienen ist generell einzuwenden, daß Tiere über Signalsysteme verfügen, in denen sowohl der Sender wie der Em pfänger genetisch program m iert sind. Dem gegenüber sind die konventionellen m ensch­ lichen Sprachen zunächst in einem ganz trivialen Sinne etwas vollkom men Unvergleichbares: niem and würde im E rnst die These vertreten, Deutschen sei es angeboren, D eutsch zu sprechen. D och selbst wenn m an hier pauschal von „Sprache“ reden wollte, bliebe die soziobiologische Analyse der menschlichen K om m unikation verfehlt.

Daw kins definiert Sprache ausschließlich durch die perlokutionären Effekte, die bei ihrer Verwendung entstehen können. Das aber m uß falsch sein, weil wir wissen, d aß eine Sprechhandlung, z.B. eine Behauptung, gem acht und verstan­

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den werden kann, ohne daß irgendein perlokutionärer Effekt beabsichtigt oder erreicht wird. D er Daw kins’schen Definition zufolge wäre Sprache nicht dazu da, sich m it anderen über etwas in der W elt zu verständigen, sondern dazu, andere dazu zu bringen, daß sie — etwa im Fall von Behauptungen — das glauben, was m an sie jeweils glauben m achen will. D am it aber w ürde ein w ohlbekannter Spezialfall — die sogenannte indirekte K om m unikation, in der ein Adressat von jem andes Äußerungen a u f seine A bsichten zurückschließen m uß — als allgemeine Bestimmung von K om m unikation ausgegeben. Sich-m it-jemandem-über-etwas-Verständigen und jem andem -etwas-zu-verste- hen-geben ist nicht das selbe. W er den Extrem fall indirekter K om m unikation analysiert, analysiert insofern gerade nicht den — soweit vom M enschen die Rede ist — N orm alfall direkter K om m unikation. Ersichtlich gibt es das ja auch: daß einer den anderen durch Anzeichen d a ra u f schließen läßt, was er meint. Zwischen diesem letzteren — jem and häm m ert a u f den Fußboden, um dem geräuschempfindlichen anderen zu verstehen zu geben, daß er den R aum verlassen soll — und dem sprachlich expliziten und darin unverm eidlich m it kritisierbaren G eltungsansprüchen verbundenen Befehl, der andere solle den Raum verlassen, besteht ein qualitativer U nterschied, den nicht zu berücksich­ tigen das Phänom en sprachlicher V erständigung verfehlen heißt. W er jem andem nahelegt, aus einer Ä ußerung bestimmte Schlußfolgerungen zu ziehen, handelt zweckrational: er benutzt seine Ä ußerung als M ittel zu einem von ihm gesetzten, aber nicht zur D ebatte gestellten und insofern der K ritik entzogenen Zweck. Er realisiert nicht die eigentümliche R atio n alität von Verständigung, selbst wenn er Sprache benutzt (als strategisch gebrauchte ist Sprache ein kontingentes M ittel unter anderen — Gesten, Zeichnungen, dem Bewegen eines G egenstandes &c. — , um einen Erfolg zu erzielen).

W enn tierische Signalsysteme nach dem M odell strategischer K om m unika­ tion (unter A ls-ob-Vorbehalt) analysierbar sind, da sie nicht a u f konventionel­ len, intersubjektiv geteilten Bedeutungen basieren, wie menschliche Sprachen, so ist die Versuchung durch den „G rice’schen Fehlschluß“ , wie m an die erw ähnte Verwechslung (in Grice 1957, 1969) nennen könnte, für einen Biologen besonders groß. Was menschliche Sprache vor tierischer auszeichnet, ist aber die illokutionäre K raft, der Sitz der G eltungsansprüche, und nicht, wie Apel (1986) zu Recht gegen Popper (1984) hervorhebt, die R epräsentationsfunktion. Die Bienensprache ist vor allem genaue R epräsentation des Fluges vom Stock zur Futterquelle (die Biene beschreibt bei ihrem Tanz eine Acht, deren gerader M ittelteil durch seine Richtung und Länge die G röße der entsprechenden Param eter — Him m elsrichtung und Entfernung — angibt, die von der anderen Biene zu beachten sind [Wilson 1980, S. 169 f.]). Sowohl der Poppersche Prim at der — m it Bühler zu reden — „D arstellungsfunktion“ wie die G rice’sche V erkürzung sprachlicher Bedeutung („m eaning“ ) a u f die „A usdrucksfunktion“ (was ein Ä ußernder m it einer Ä ußerung m eint, soll durch die Spezifizierung der komplexen Intention erklärt werden, m it der er die Ä ußerung vorbringt), sind schlechte Vereinseitigungen im Sprachbegriff.

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4.

Auch Daw kins glaubt, die Eigendynam ik der kulturellen Evolution gegen die orthodoxe Darwinistische Fortschreibung der natürlichen Auslese zum Zuge zu bringen; den cultural traits, die er „M em e“ nennt, schreibt Daw kins eine Art A utonom ie zu. Diese erweist sich freilich bei näherem Hinsehen m itnichten als eine Vernünftigkeit, die über bloßen K am pf ums Dasein hinausläge. Vielmehr hypostasiert Daw kins (1976, S. 214) seine „M em e“ in nachgerade obskurer Weise; ein kulturelles M erkm al entstehe, so die undurchsichtige Erklärung, weil es „vorteilhaft für sich selber“ sei3. Demzufolge dürfen wir, wenn wir beispiels­ weise eine A ckerbautechnik studieren, nicht etwa in der M anier Hayeks oder W ilsons fragen, was sie denen nützt, die sie verwenden. W ir müssen vielmehr fragen, was die A ckerbautechnik sich selber nützt. Die Meme lassen sich nicht in ihren funktionalen Leistungen für menschliche Subjekte analysieren, sondern sind, als R eplikatoren, Einheiten des „Selbstinteresses“ (self-interest). Steht etwa zur D ebatte, warum sich Beethovens K laviersonaten durchgesetzt haben, nicht aber die von Vanhal oder K rum pholz, so wäre im R ahm en einer K ulturtheorie orthodox Darwinistischen Zuschnitts zu antw orten: weil die Beethovenschen K laviersonaten durch die Stim ulation bestim m ter organism ischer Lustgefühle fitnessteigernd wirkten, die langweiligen Vanhalschen und Krum pholzschen aber nicht. Eine solche Erklärung wäre zweifellos falsch, weil ohne Rekurs auf spezifisch ästhetische K riterien keine plausible D arstellung der G eschichte einer K unst zu geben ist (anders gesagt: weil hier eine rationale R ekonstruktion au f der Basis einer Begründung von W erturteilen anhand von W erkanalysen nötig wäre). Gleichwohl k ann m an zum indest verstehen, was der D arw inist (irr­ tümlich) meint. D aw kins’ Version der K ulturgeschichte als eines Kampfes egoistischer Meme ist hingegen schlicht unverständlich. Seine Erklärung der D urchsetzung der Beethovenschen Klaviersonaten m üßte etwa lauten: „Diese (die Sonaten) sind egoistische Replikatoren, die stark zum eigenen Vorteil gearbeitet haben “ — und was soll das eigentlich heißen?

Egoistisch sind nach Dawkins auch alle anderen Meme, etwa wissenschaft­ liche Theorien — folglich auch D aw kins’ eigene. Setzte diese sich durch, so hätte eine E rklärung dieses Vorgangs sich nach Dawkins nicht — im Sinne einer rationalen R ekonstruktion — d a ra u f zu beziehen, daß die Theorie stim mt, auch nicht — nach der A rt Nietzsches — darauf, daß sie eine überlebensdienliche Illusion darstellt. Die K ulturdarw inisten, deren Pointe Nietzsche a u f die Spitze treibt, sagen naiv: ein M em, das vorteilhaft für die Leute und ihr Ü berleben ist, setzt sich durch; Daw kins hingegen will es extravaganter, — sein sibyllinisches D iktum lautet: ein M em setzt sich durch, wenn es „vorteilhaft für sich selber” (iadvantageous to itself) ist. N icht wie menschliche Subjekte von der Theorie

3 „W hen we look at the evolu tion o f cultural traits, and at their survival value, we must be clear w hose survival we are talking abou t [...] A cultural trait may have evolved in the w ay that it has, simply because it is advantageous to itself'.

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G ebrauch m achen, liefert nach Dawkins das explanans, sondern wie die Theorie, das autonom e egoistische M em, G ebrauch von menschlichen Subjekten m acht. Die Erklärung besteht dann einfach darin, daß sie das besonders gut m acht. A ber eine solche Erklärung ist schlicht leer, sie ist nicht einmal fehlerhaft wie die reduktionistische Erklärung durch den Hinweis a u f biologische N ützlichkeit, geschweige denn triftig und plausibel, wie es im Fall der Theoriengeschichte einzig eine rationale R ekonstruktion m it der norm ativen Perspektive a u f den Begriff der W ahrheit sein kann (ein Nachverfolgen der W issenschaftshistorie m ithin, das G rü nd e für die D urchsetzung von Theorien, d.h. die interne Logik der Entwicklung nachzuvollziehen sucht, und nu r sofern dies m ißlingt, psycho­ logische, soziologische, oder sogar unter U m ständen kausale E rklärungen verwendet).

Daw kins (1978, S. 71) schreibt dem M enschen zunächst ganz rationalistisch „die M acht“ zu, „gegen das D ik tat seiner Gene zu rebellieren“ . Diese M acht entsteigt der D aw kins’schen N a tu r freilich als deus ex machina. W oher sie kom m en sollte, bliebe restlos unerfindlich, wenn die zentralen Aussagen seiner A rbeit stimmen w ürden4. D aw kins’ U nternehm en ist von vornherein implizit selbstwidersprüchlich, und es kann nicht verw undern, daß dieser W iderspruch im V erlauf seines Buches auch explizit wird. Es m öchte dem M enschen eine Sonderstellung in, ja in gewisser Weise sogar gegenüber der N a tu r zusprechen — ohne diese begründen zu können. Die Rede vom M enschen als einem „ R o b o te r“ (ebd., S. 24) ist inkonsistent m it der Vision einer Revolte gegen die Gene: entweder ist jene verkehrt, oder diese unm öglich. Z u sagen, die Fähigkeit zur Rebellion gegen die eigenen Gene sei eine Sache der K ultur, gibt dem Problem nu r einen anderen N am en, erklärt aber ü berhaupt nichts. Dies gilt um so m ehr, als M oralität und Sittlichkeit — also das explanandum — als K ernstück der K u ltu r — des verm eintlichen explanans — angesehen werden m uß. Die Erklärung lautet d ann letzten Endes: A ufgrund wessen w urde die Rebellion gegen die G ene möglich? A ufgrund von Kultur! U nd aufgrund wessen wurde K u ltu r möglich? A ufgrund einer Rebellion gegen die Gene! (cf. M cG inn 1979, S. 92). Entweder beide Bezeichnungen sind üb erh au p t n u r verschiedene N am en für das selbe Phänom en, • oder zweier verschiedener Phänom ene, die für eine zirkuläre Erklärung herhalten müssen.

D as K onzept der M eme w ar von Daw kins eingeführt w orden, um der Spezies M ensch innerhalb der Theorie genau die Q ualitäten zu sichern, die der krude genetische Determ inism us, der in der K onsequenz des soziobiologischen A n ­ satzes liegt, ableugnen, für nichtexistent erklären und als illusionär denunzieren m uß. Abgesehen jedoch davon, d aß dieser R ekurs a u f autonom e, nicht-menschliche W esenheiten nu r in einer sehr losen V erbindung zu den

4 Beispielsweise die folgenden: „ D ie These dieses Buches ist, daß wir und alle anderen Tiere M aschinen sind, die durch G ene geschaffen wurden“ (ebd., S. 2), — „W ir werden das Individuum weiterhin als eine eigennützige M aschine auffassen, die so program miert ist, daß sie das tut, was im m er für ihre G en e als G esam theit am besten ist“ (ebd., S. 79).

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ausweisbaren Tatsachen steht und sich geradewegs dem M etaphysik verdacht aussetzt (der denn auch von M idgley 1979, S. 457 ausgesprochen wurde), daß überdies kein K riterium zur Abgrenzung einer kulturellen „E inheit“ , dam it aber auch keines zur Identifikation eines M ems zur Verfügung steht — abgesehen von alldem scheitert auch jene ausschlaggebende Intention von Daw kins an den Im plikationen des M em -Konzepts. W enn zunächst K ultur, als etwas, das bloße N a tu r transzendiert, der O rt potentieller Freiheit des M enschen sein sollte, wie Dawkins zu Beginn des letzten Kapitels seines Buches nahegelegt hatte, so erweist es sich im V erlauf des K apitels unter seinen Prämissen als unmöglich, diesen A nspruch aufrechtzuerhalten. Daw kins (1978, S. 2), der m eint, „daß ’N atu r, Zähne und Klauen blutigrot’ [Tennyson] unser m odernes Verständnis der natürlichen Auslese vortrefflich zusam m enfaßt“ , sieht die K u ltur schließlich keineswegs m ehr in milderem Licht: auch sie erscheint als ein A usbeutungsver­ hältnis selbstsüchtiger „R eplikato ren“ . Um auch in ihr R eplikatoren am Werke sehen zu können, geht Daw kins von der m ehr als zweifelhaften Prämisse aus, das Wesen aller K ultur sei „Im itatio n“ (ebd., S. 227). W äre diese unplausibel — und sie ist es, solange sie nicht besser begründet wird, als Dawkins es tu t — so fiele auch die entscheidende Analogie zur R eplikation der D N S u n d dam it die zwischen der Evolution der O rganism en und der K ulturgeschichte fort.

W enn nun K u ltu r d erart als ein K am p f subjektloser egoistischer Entitäten um die D urchsetzung im meme pool konzipiert wird, welche zu M enschen nu r die Beziehung haben, ihre G ehirne zu parasitieren, dan n kann sie gewiß nicht der O rt der Freiheit sein. Diese wird vielmehr d erart m it N a tu r gleichgeschaltet — trotz aller gegenteiligen Beteuerungen — , daß Daw kins a u f den letzten Seiten seines Buches Freiheit in ein Jenseits dessen verlegen m uß, was seiner Theorie zufolge ja auch bloß Meme, also nicht-menschliche M anipulatoren sind: K ultur, Sprache, W issenschaft, K unst, M oral, ideas (Dawkins 1976, S. 206) jeglicher Art. Sie alle finden sich bei Daw kins a priori a u f dem Maschinenlevel, auch ihr M edium ist das kausaler Einwirkung: „W ir alle“ seien als G en-M aschinen gebaut und würden in der E nkulturation zu M em -M aschinen program m iert5, — obschon ungeachtet dessen zugleich gelten soll, „w ir“ hätten die M acht, uns gegen unsere Schöpfer zu w enden6. Meme, so heißt es, seien egoistisch-im selben Sinne, in dem Gene es sind7 — von beiden sei nichts zu erhoffen, sondern nur alles zu befürchten: die „schlimm sten egoistischen Exzesse der blinden R eplikatoren“ (Dawkins 1978, S. 236). D a W issenschaft, M oral und K u nst nichts als M em -K onglom erate, und Meme sam t und sonders nichts als „blinde Re­ plikatoren“ (ebd.) sind, perpetuieren jene bloß „die Tyrannei der egoistischen R eplikatoren“ (ebd., S. 237). Es kann also nicht m it Hilfe vernünftiger Meme — etwa denen von rationaler W issenschaft und Ethik — sowohl eine rassistische Praxis, die prognostisch aus dem N aturgesetz der kin — directedness zu

5 „W e are built as gene m achines and cultured as m eme m achines“ . 6 „W e have the pow er to turn against our creators“ .

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deduzieren wäre, wie auch der G laube an unvernünftige M eme vermieden werden. Verglichen m it jem andem , der dies forderte, ist Daw kins ungleich rigoristischer (und seine Position im selben M aße absurder): Die Revolte, die ihm vorschwebt, soll sich — mit was eigentlich? — gegen die G ene und Meme in ihrer G esam theit richten:

„W ir sind als G enm aschinen gebaut und werden als M em m aschinen erzogen, aber wir haben die M acht, uns unseren Schöpfern entgegenzustellen. Wir allein — einzig und allein wir a u f der Erde — können uns gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen“ (ebd., S. 237).

Wie dies dem wissenschaftlichen Theoretiker Daw kins und jenen, die er als „w ir“ zu apostrophieren beliebt, gelingen könnte, wenn bislang jeder, der dies versucht hat, bekannterm aßen bloß von egoistischen M emen (einschließlich wissenschaftlichen Theorien) infiziert w orden ist, läßt sich indessen überhaupt nicht einsehen. Per definitionem wären ja selbst diejenigen, welche sich der D aw kins’schen F orderung to turn against our creators anschlössen, auch bloß von einem egoistischen M em heim gesucht, und gerade in ihrem A kt verm eint­ licher Freiheit nu r einmal m ehr cultured as meme machines.

K arl-O tto Apel (1980) schlägt, im Sinne des weiter oben ausgeführten, vor, D aw kins’ A nsatz durch die E inführung „ratio naler Selektionskriterien“ zu retten. Die Rede von „M em en“ bezieht zweifellos ein gewisses M aß an Plausibilität aus dem U m stand, daß es in der T at ganz gute G ründe gibt, den Produkten des Geistes eine Q uasi-A utonom ie zuzuschreiben — m ögen diese G ründe auch von den D aw kins’schen gründlich verschieden sein. K arl Popper (1984) unterscheidet physikalische G egenstände (Welt 1), G edanken im psycho­ logischen Sinne (Welt 2) und G edanken im logischen Sinne (Welt 3). Diesen entsprechen als M edien (ad 1) kausale Einwirkung, (ad 2) psychologische Beeinflussung und (ad 3) rationale Kritik. Die Q uasi-G egenstände der Welt 2 und 3 verm ehren sich nicht n u r „horizontal“ , wie Gene (von einer G eneration a u f die nächste), sondern auch „vertikal“ (innerhalb einer G eneration): durch Überredung und Überzeugung; daher rü h rt das schnellere Tem po der K ul­ turevolution. D a der jeweils höhere level von den niederen ab hängt und m it ihnen verschwindet (dies ist das unplatonische M om ent in Poppers K onzeption), lassen sich „M em e“ (als „G edan k en“ verstanden) nicht etwa nur durch rationale K ritik u nd psychologische Beeinflussung verändern, sondern auch durch kausale Einwirkung: m an kann Meme ausschalten, indem m an die O rganism en vernich­ tet, die diese Meme inkorporieren, z.B. indem m an K etzer verbrennt. Aber imm erhin besteht die M öglichkeit, M eme — und dies, unter anderem , u n ter­ scheidet sie von Genen — w ährend eines Lebens fallenzulassen: wer seinen irrigen Überzeugungen nicht tra u t und sie der K ritik unterw irft, braucht nicht m it ihnen zu sterben. Die M öglichkeit rationaler K ritik liegt darin beschlossen, d aß G edanken im Sinne der Popperschen W elt 3 (die „M em e“ ) in logischen Beziehungen zueinander stehen: sie sind m iteinander konsistent oder wider­ sprechen einander.

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K onzeption von M em-Subjekt-Beziehungen, wie auch — zweitens — über eine funktionalistisch reduzierte K onzeption von M em-M em-Beziehungen hinaus­ gegangen. — Zum ersten der beiden Aspekte: Die einzige Stelle, an der Dawkins die oben als leer bem ängelte A uskunft, ein M em sei advantageous to itself (D aw kins 1976, S. 214), konkretisiert, lautet:

„ D er Überlebenswert des G ott-M em s im M em pool ergibt sich aus seiner großen p sych ologi­ schen A nziehungskraft“ (D aw kins 1978, S. 227).

Diese A ttrak tiv ität hat keinen Zusam m enhang m it W ahrheit oder rationaler A kzeptierbarkeit; sie kann nur funktional erklärt werden. Selektiert werde, was die Lustgefühle steigert8. Vor der nichtssagenden Behauptung, ein Mem setze sich durch, wenn es „vorteilhaft für sich selber“ sei, hat diese These voraus, daß sie ü berh aupt einen Sinn ergibt; dies erkauft sie jedoch um den Preis des Rückfalls in den kruden K ulturdarw inism us, demzufolge sich jeweils „das Lebensdienliche“ (sei’s auch Illusion) durchsetzt. Um die M öglichkeit offen­ zuhalten, das A nnehm en und Ablehnen von M emen von seiten eines Subjekts in seinen G ründen (nicht bloß in seinen Funktionen) nachzuvollziehen, m üßten andere Selektionskriterien als bloß jene irrationale psychologische A ttraktivität zugelassen werden: W ahrheit, norm ative Richtigkeit und ästhetische Stimmig- keit. M it Popper zu reden: G edanken dürfen nicht einfach als verschieden starke empirische M otive verstanden werden: die W elt 3 ist nicht a u f W elt 2 reduzier­ bar. — U nd zum zweiten Aspekt: Zwischen den G enen innerhalb eines Genom s besteht ein funktionaler, aber selbstverständlich kein logischer Zusam m enhang. Im G ensatz eines W iederkäuers ist ein G en, das den A ufbau eines Fleischfresser­ gebisses steuert, dysfunktional und wird m it hoher W ahrscheinlichkeit zum Tod seines Trägers führen. Hingegen bestehen zwischen den Sätzen einer Theorie — also einer Sorte von „M em en“ , um in Daw kins’ Jargon zu bleiben — logische Beziehungen, zwischen Them en einer Sonate möglicherweise solche der ent­ wickelnden V ariation oder der motivischen Verwandschaft, die keinesfalls mit funktionalen (im Sinne der Bestandserhaltung) verwechselt werden dürfen. Dieser gravierende K ategorienfehler liegt jedoch D aw kins’ K ulturtheorie zu­ g ru n d e9; ihr Ansatz ist in mindestens einer zentralen Pointe unhaltbar, weil der Sinnzusam m enhang, der zwischen G edanken besteht, per se nicht nach dem kybernetischen M odell als einer von „System “ und „U m w elt“ gedacht werden kann.

8 „D ie Arm e des ewigen G ottes geben uns in unserer U nzulänglichkeit H alt, und wie die Placebo-Pille des Arztes sind sie nur deswegen nicht weniger w irksam , daß sie nur in der Vorstellung bestehen“ (D aw kins 1978, S. 228).

9 S. z.B. D aw kins 1978, S. 235: „Ich stelle die M utm aßung an, daß sich ko-adaptierte M em kom plexe a u f dieselbe W eise wie ko-adaptierte G en kom plexe herausbilden. D ie Selektion begünstigt M eme, die ihre kulturelle Um w elt zu ihrem eigenen N u tzen ausbeuten. D iese kulturelle U m w elt besteht aus anderen M em en, die ebenfalls selektiert werden. D er M em pool nimmt daher die charakteristischen M erkm ale eines evolutionär stabilen Satzes a n “ .

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