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Die EU-Russland-Beziehungen: eine Ausweitung innenpolitischer Interessen?

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Anna Dmitrieva

Die EU-Russland-Beziehungen: eine

Ausweitung innenpolitischer

Interessen?

Rocznik Integracji Europejskiej nr 6, 79-87

2012

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ANNA DMITRIEVA

Poczdam

Die EU-Russland-Beziehungen:

eine

Ausweitung

innenpolitischer

Interessen?

Im Juni 2008 wurden die Verhandlungen über ein neues

EU-Russland-Koope-rationsabkommen aufgenommen, um neueRahmenbedingungen für die strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und derRussischen Föderation zu schaffen und das bestehende Format der „vier gemeinsamen Räume“ zu ersetzen. We­ nigspäter,im Jahr 2010, inspirierte Dmitrij Medvedevs Modemisierungsinitiative die Gründung der EU-Russland-Partnerschaft für Modernisierung. Die Inspirationwar je­ doch nur kurzlebig und brachtekeinen entscheidendenFortschritt bei der Vorbereitung desneuenKooperationsabkommens, da diebeiden Parteien sichauf spezielle Zielbe­ reiche der zukünftigen strategischen Partnerschaft nicht einigen konnten. Während

Russland erwartet, dass die EU technologische Unterstützung für Innovationsprojekte

sowie eine baldige Aufhebung der Visumpflicht für russische Staatsbürger anbietet,

will die EU eine Partnerschaft mit Russland aufbauen, dieauf demokratischen Werten,

Rechtsstaatlichkeit sowie der freien Marktwirtschaft basiert. Mit der WiederwahlVla­ dimirPutins zum PräsidentenimMärz2012 scheinen die Verhandlungen überein neu­

es Kooperationsabkommen zum Stillstand gekommen zusein.

Die EU scheint zunehmend unzufrieden mit denjüngstenEntwicklungen im russischen innenpolitischen und legislativen Prozesszusein1. Aus diesem Grund ist dierussischeIn­ nenpolitik wohl der wichtigste Faktor, derdie Beziehungen zur Europäischen Union am stärksten beeinflusst und dieVerhandlungenüberein neuesrechtsverbindliches Partner­

schafts- undKooperationsabkommen verlangsamt. Bei einer Diskussion über dieZukunft

der EU-Russland-Beziehungen scheint esdaherdurchaus wichtig zu sein,die Logik, die sich hinter dergegenwärtigen russischen Innenpolitikverbirgt,zuverstehen.Dieser wichti­

ge Zusammenhang zwischen Innen- und Außenpolitik spielt im EU-Russland-Kontext eine besondere Rolle und verdient eine nähere Untersuchung. Am Beispiel der

EU-Russland-Beziehungen wird in diesemBeitrag Russlandsaktuellekontroverse Außen­ politik als Ausweitungder innenpolitischenInteressen derrussischen Führungdargestellt.

1 Europäisches Parlament, Wahlen in Russland: EU-Abgeordnete fordern freie und faire Neuwahlen, 14. Dezember 2011, http://www.europarl.europa.eu/news/de/pressroom/con- tent/20111214IPR34088/html/Wahlen-in-Russland-EU-Abgeordnete-fordem-freie-und-faire-Neuw ahlen, abgerufen am 19. September 2012; Europäische Union, Statement by EU High Representative

Catherine Ashton in the European Parliament on the political use ofjustice in Russia, 11. September

2012, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_Data/docs/pressdata/EN/foraff/132370.pdf, ab- gerufen am 19. September 2012.

Nach einem kurzen Rückblick auf dieHerausbildung des gegenwärtigen russischen Regimes werden in diesem Beitrag die folgenden vermuteten Zielsetzungen der heuti- 1

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gen russischen politischen Elite diskutiert,die scheinbar nicht nurden internen politi­ schen Prozess des Landes dominieren, sondern auch einen starken Einfluss aufdas Verhältnis zu derEuropäischen Unionhaben:

1) Legitimierungund Erhalt der Macht durch die gegenwärtige politische Elite; 2) Wiedererlangung des nach dem Zerfall derSowjetunionverlorenen Großmacht-Status; 3) Einsetzung derwirtschaftlichen Stabilität(insbesondere gerichtet andie GUS-Sta-

aten) als Gegenkraft zur europäischen „softpower“.

Rückblick

NachdemZerfall der Sowjetunionschiendie Anpassung an das westlicheModell

des „democratic govemance“ die einzige realistische und wünschenswerte Option für

das neue unabhängigeRusslandzu sein. Jedoch konnteder Versuch, demokratische Re­ formenumzusetzen, im Laufe derpost-kommunistischenÜbergangszeit inden 1990er

Jahrennicht erfolgreich abgeschlossenwerden. Obwohl es nahezu unmöglich ist, die umfassenden Gründe für das Scheitern des demokratischen Übergangs in Russlandauf­

zulisten, als eine der wesentlichenUrsachenmuss hier das Fehlen einer demokrati­ schen Tradition undErfahrung genannt werden,welcheseine unmittelbare Entstehung

demokratischer politischer Institutionen (beispielsweise eines breiten Spektrums an

politischen Parteien, Interessengruppen sowiezivilgesellschaftlichen Organisationen)

offenbar verhinderte.Zu den weiterenwichtigenGründenzählen insbesonderedie feh­ lenden finanziellen Mittel nach dem wirtschaftlichen Kollaps der Sowjetunion, der

Mangelan entsprechend ausgebildetenund erfahrenen Kadern sowie das Fehlen eines funktionierenden Rechtssystems.

Somit verpassteRusslandin den 1990er Jahren die Gelegenheit, substantielle de­ mokratische Reformen zu implementieren unddamit die sogenannte Wertelücke, die das Landvom europäischen Raum trennt,zu schließen. Mangels andrerer realistischer Optionen scheint die anschließende Rückkehr zu einem hoch zentralisierten politi­ schen System vorhersehbar gewesenzu sein. Diesveranschaulichtdie tief verwurzelte

Pfadabhängigkeit („path dependence“) in der russischenPolitik2,welche inden 2000er Jahren zurKristallisierung eines personalisierten, von Vladimir Putin geleiteten „elec- toral authoritarianregime“3 führte.

2 S. Hedlund, Russian Path Dependence: A People with a Troubled History, Routledge, New

York 2005.

3 S. Levitsky, L. A. Way, The Rise of Competitive Authoritarianism, „Journal of Democracy“ 13:2 (2002), S. 51-65.

Das primäre Ziel der russischen Führung: Legitimierungund Erhalt der Macht

Der Hauptwiderspruchdes gegenwärtigen russischen Regimes besteht zwischen derdemokratischenRhetorik seitens der politischen Führung undder weit verbreiteten autokratischen Praxis. Zumindestbis September 2011, als Präsident Medvedev und

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PremierministerPutin ihreAbsicht bekundeten,dieÄmter zu tauschen, legte dierussi­ sche Führung großen Wertaufden Erhalt der Reputation ihres Landes als eines nomi­

nell demokratischen Staates sowohl innerhalb der russischenBevölkerungals auchim Ausland.Es gibt zahlreiche Bekundungen von Vladimir Putin, in denener Demokratie im Allgemeinen und einzelne demokratische Grundsätze im Besonderen lobte4. Nichtsdestotrotz wurden seitseinem erstenAmtsantritt imJahr2000 diese Grundsätze wiederholt manipuliert, offenbar mitdem Ziel der Machtkonzentration in denHänden des Präsidenten und der präsidialen Administration. Neben dem hohen Grad der Machtzentralisierung (vertikal ‘vlasti) wurdenmehrere Substitutionen demokratischer Institutionen systematischeingeführt;diese Substitutionen sollen bestimmte Funktio­

nen echter demokratischerInstitutionenerfüllen, jedoch ohnedie Macht der gegenwär­ tigen politischen Führung infrage zu stellen5. Ein gutesBeispiel hierfür ist diewährend

Putins zweiter AmtszeiteingeführteGesellschaftlicheKammer(Obscestvennajapala- ta). Entsprechend demföderalenGesetz „ÜberdieGesellschaftliche Kammerder Rus­ sischen Föderation“ soll dieses Gremiumdem Ziel dienen, eine öffentliche Aufsicht

überdie Arbeit derRegierungsbehörden sicherzu stellen6. Jedoch werdendieMitglie­ der derGesellschaftlichen Kammer direktoder indirekt vom russischen Präsidenten

ausgewählt, was dem eigentlichen SinnundZweck des Gremiums zu widersprechen

scheint.Die Idee der Substitutionen, die vonPetrov, Lipmanund Haie entwickeltwurde,

kann auch aufdie nominell oppositionellen Parteien erweitert werden, die im russi­ schen Parlament zwar vertreten sind, jedoch meist vonregimetreuen Parteivorsitzenden geleitet werden. Selbst die quasi-demokratischenParlaments- und Präsidentschafts­ wahlen, die vom Kreml-treuen Vorsitzenden der zentralenWahlkommission, Vladimir

Curov, geleitetund verwaltetwerden,könnenals weiteres Beispiel der Substitutionen

echter demokratischer Institutionen dargestellt werden. Die Hauptfunktion solcher Substitutionenbesteht darin, durch Einführungeines imitierten politischenPluralismus das demokratische Erscheinen des Landes zuschaffen und zu verstärken. Zudem zielt diese Strategieauf demokratische Legitimierung desRegimes in den Augen der russi­ schen Bevölkerung sowie derinternationalen Gemeinschaft. Darüberhinaus bieten die Substitutionen denRegimeoppositionellen eine Möglichkeit „Dampf abzulassen“, was die Entstehung einerernsthaften Opposition verhindern kann.

4 J. Siegert, Zivillgesellschaft in Russland, in: Länderbericht Russland, Hrsg. H. Pleines,

H.-H. Schröder, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 20i0, S. 180.

5 N. Petrov, M. Lipman, H. E. Hale, Overmanaged Democracy in Russia: Governance Implica­

tions of Hybrid Regimes, „Carnegie Papers“ № 106 (2010), S. 2.

6 Federal’nyj zakon Ob Obscestvennoj palate Rossijskoj Federacii, 4. April 2005,

http://www.oprf.ru/about/i391/law/4i8, abgerufen am 19. September 2012.

DiesekontroverseInnenpolitik spiegelt sich auch in der widersprüchlichen Bezie­ hungdes Landes mit der Europäischen Union deutlichwider. Mit demTriumph der Idee der DemokratieEndedes 20. Jahrhunderts wurde demokratische Legitimation zu

einer wichtigen Voraussetzung für dieLänder, die Nähe mit der westlichen Staatenge­

meinschaftsuchen. In dieser Hinsicht betontedie russische Führung bei verschiedenen Gelegenheiten zumindest rhetorischdie europäische Zugehörigkeit ihres Landes. So

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zeugung zumAusdruck, „Russland sei ein europäisches Land und es sei in der Lage,

sich gemeinsam mit andereneuropäischenLändernzu entwickeln, die den demokrati­

schen Weg für ihreEntwicklungwählten“.Er betonte auch,dass „DemokratiealsWert, alspolitischesRegime einenuniversellen Charakter habeund keine zusätzliche Interpre­

tation benötige“7. DieseAussage stehtjedoch im Widerspruch zum Konzeptder „souve­ ränenDemokratie“8,welches währendVladimirPutins zweiter Amtszeit eingeführt wurde undzurzeit ein Revival in der russischen Innenpolitikzu erleben scheint.Das Konzept wur­

de offenbar benutzt, um den besonderenWeg der russischenDemokratiezu betonen, die mit den westlichen liberalenDemokratien wederverglichen noch nachdemselbenMaßstab

beurteilt werdensollte9. Gleichzeitig wurde dieIdee dersouveränen Demokratiesowiedie

wiederholte demokratische Rhetorik von derrussischen Führung anscheinend dafürbe­

nutzt, um die westlichen Länder von der demokratischenNatur der russischenInnenpolitik zu überzeugen und eineLegitimierungseitens derEU zu erhalten.

7 D. Medvedev, Interview mit „The Financial Times“, 24. März 2008, http://www.vesti.ru/ doc.html?id=171147, abgerufen am 19. September 2012.

8 V. Surkov, Nacionalizacija buduśćego, „Ekspert“ 43:537 (2006), http://expert.ru/expert/2006/

43/nacionalizaciya_buduschego, abgerufen am 15. August 2012.

9 V. Putin, Demokratija i kacestvo gosudarstva, „Kommersant“, 6. Februar 2012, http://www.kom- mersant.ru/doc/1866753, abgerufen am 24. August 2012.

10 Siehe beispielweise Vladimir Putin, Rossija i menjajusijsja mir, „Moskovskie Novosti“,

27. Februar 2012, http://mn.ru/politics/20120227/312306749.html, abgerufen am 15. August 2012. 11 D. Rogozin, My molodaja Nacija, „Nezavisimaja Gazeta“, 4. Oktober 2002, http://www.ng.ru/

project/2002-04-10/7_rogozin.html, abgerufen am 15. August 2012.

12 Vladimir Putins Rede im Luzniki-Stadion am 23. Februar 2012, http://ria.ru/vybor2012_pu-

tin/20120223/572995366.html, abgerufen am 24. August 2012.

Andererseits, obwohldie USA weiterhinalsHauptquelle der ausdem Westen kom­

menden Bedrohung für Russlands Stabilität wahrgenommen werden, trugen die

Kreml-kontrolliertenMassenmedien wesentlich dazu bei, eine negative Wahrnehmung Europas in der russischenBevölkerung zu verbreiten.Neben derkontinuierlichen Be­ richterstattung überdie europäischeFinanzkrise, Naturkatastrophen, politischenAffä­ ren usw. durch die großennationalen Fernsehsender, wurdenauf denTitelseiten der führenden Printmedien mehrere Programmartikelvon Vladimir Putinveröffentlicht,in

denen er behauptet, Europaverweigere die Zusammenarbeit mit derRussischen Föde­

ration und versuche sich von Russland abzuschotten10 11. Andere führende Politiker spra­ chen früher von der „europäischen Russophobie“und„Europas brennendem Wunsch,

dasviel zu große Russland in Teile zusplitten“11. Als Reaktion auf die „farbigenRevo­ lutionen“ inSerbien, Georgien,Ukraine und Kirgisistan versuchte die russische Füh­

rung offenbar, den europäischenEinfluss auf dieinnenpolitische Ordnung Russlands

zu mindern,umdie Machtschwächung der gegenwärtigenpolitischen Elite zu verhin­ dern. Insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im März 2012,als die Pro­ teste der russischen Bürgergegen Putins Regime eskalierten, kritisierte der Kreml zunehmend dieangebliche Einmischungwestlicher Staaten in die internen russischen Angelegenheitenund ihreBeteiligungan der Organisation der Protestaktionen. Insei­ ner Programmrede imLuzniki-Stadion imFebruar 2012versicherte Putin, er „würde

niemandemerlauben, sich in unsereinternen Angelegenheiteneinzumischen und uns

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Es ist dahernicht verwunderlich, dass das russische Parlament im April 2012 als

Reaktionauf die vonAktivistengruppenund Nichtregierungsorganisationen (NGOs) organisierten Protestedie Einführung eines Experten- und Beratungsausschusses„zur Analyse der Bedrohungender russischennationalenInteressen im Ausland und zur Be­ kämpfung farbigerRevolutionen“ ankündigte. Laut Insidernsoll sich derAusschuss unter anderem mit der Rolle ausländischer Nichtregierungsorganisationenund Netz­ werktechnologien als Instrumente der farbigen Revolutionen befassen13. Nach dieser Ankündigung folgte im Juli 2012 die Einführung eines neuen NGO-Gesetzes, welches

russische Nichtregierungsorganisationen, diezupolitischen Themen arbeitenundihre Finanzierung ausdemAusland erhalten, als „ausländischeAgenten“ kategorisiert. In

den europäischen Medien, politischen Kreisen sowie bei den Menschenrechtsaktivis­

ten wurdedas Gesetzt als Versuchgewertet, zivilgesellschaftliche Organisationen zu

diffamieren undihrenHandlungsspielraum einzuschränken14.

13 Komitet kontrrevoljucionnych del, „Kommerstant“, 10. April 2012, http://www.kommer- sant.ru/doc/1912382, abgerufen am 17. August 2012.

14 Der Druck auf NGOs in Russland steigt, http://www.dw.de/dw/article/0„16078108,00.1itml,

abgerufen am 17. August 2012.

15 I. Torbakov, What Does Russia Want? Investigating the Interrelationship between Moscow’s Domestic and Foreign Policy, „DGAPanalyse“ 1, 23. Mai 2011, S. 9.

Möglicherweise wurde die systematische Darstellung der EU und der USA als

Quelleder externen Bedrohung-insbesondere in den staatlich kontrollierten Medien,

in den Reden führender Politiker sowie in der neuen Gesetzgebung - als Maßnahme aufgenommen, um das Unsicherheitsgefühlder russischen Bürger zu verstärkenund

somit ihrepotentielle Unterstützung füreine „starke Führungspersönlichkeit“ zu för­ dern. Gleichzeitighattediese Strategie jedoch zweifellos einen starken negativen Ein­

fluss auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland, da die negative Darstellung

der EUdurch dieführenden russischenStaatsmänner mit den Verhandlungen über eine

neuestrategische Partnerschaft unvereinbar zu sein scheint. Russlandwill als eine an­ dere Art der Demokratie anerkannt werden und eineenge Kooperation mit der EUin seinen bevorzugtenInteressenbereichenführen.Esversuchtjedoch jeglichen potentiel­

lenEinfluss derEuropäischenUnion auf dierussischeinnenpolitische Ordnung zu ver­

meiden. Wie Igor Torbakov richtigerklärt,„dieallgemeine russische Haltung kannam bestendurchdieschizophreneFormelbeschriebenwerden: „achieving rapprochement

withthe Westwhile keeping aloof of the West“15.

Wiedererlangungdes Großmacht-Status

Die Wiedererlangung des nach dem Kollaps der Sowjetunion verlorenen Groß­ macht-Status wurde zu einem wichtigen Ziel der russischen Außenpolitik unterVladi­ mir Putin. In seinem Programmartikel im Dezember 2009 beschrieb Putin die schwache sozialwirtschaftliche sowie politische Lage, in der sich das Land an der Schwelle des drittenJahrtausendsbefand, und nanntedieBildungeines „starken Staa­

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Zugleich warnte ervordem Risiko, dass Russland gemeinsam mit anderen Entwick­ lungsländern „weithinterden führenden StaatenZurückbleiben könnte“16. Sein Anlie­

gen, Russland den Status einer Großmacht wiederzu gewähren, schien eine große

Unterstützung in der Bevölkerung gefunden zu haben, da das traditionell starke Gefühl von Nationalstolz durch diedemütigende politische und wirtschaftliche Schwäche der

1990er Jahreverletzt wurde.Die wirtschaftlichen Turbulenzender Transformations­ zeitführten zur Verarmung eines großen Teils der russischen Bevölkerung, waszutiefst negative Assoziationenmitdem Begriffder Demokratiehervorrief und den Wunsch

nach Stabilitätund starker Führung förderte. Neben dem Ziel, die Reputation Russ­ lands als eines starken Akteurs auf der internationalen Arenazuetablieren,wurde die günstige Situationoffenbar auch dafür genutzt, um wieder eine hohe Machtzentralisie­

rungeinzuführen und eine quasiabsolute Konzentrationder Macht beim Präsidenten (stattderdemokratischgewählten Organe)zu erreichen.

16 V. Putin, Rossija na rubeze tysjaceletij, „Nezavisimaja Gazeta“, 30. Dezember 1999, http://www.ng.ru/politics/1999-12-30/4_millemum.html, abgerufen am 19 August 2012.

17 I. Torbakov, What Does Russia Want?, S. 10.

In der Tatist es aufgrund der territorialen Größe Russlands, seiner reichhaltigen Rohrstoffreserven (Energieressourcen, Süßwasser usw.) sowie seines Besitzes von Atomwaffen unmöglich, das Land alseinenwichtigenAkteurauf derinternational po­

litischenArenanicht zu beachten. BisMitteder 2000er Jahrekonnte Russland dank außerordentlich hoher Einnahmendurch Öl- und Gasexporte seine gesamten Außen­ schuldengegenüber westlichen Ländern zurückzahlen und einen erheblichen Stabili­

tätsfonds einrichten.Diese starkewirtschaftliche Leistung (auch wenn sie allein auf

den Einnahmen aus den Rohrstoffexportenbasiert), erlaubtedenführenden russischen

Politikern, einen neuen, zunehmend selbstbewussten außenpolitischen Kurszu verfol­

gen. Aufgrund des privilegierten Zugangs der europäischen Länderzu russischemGas bestand Russlanddarauf,von der EU als gleichwertiger Partner wahrgenommen zu werden. Es war daherkeine Überraschung, als Russlandsich gegen die Teilnahme an

derEuropäischen Nachbarschaftspolitik entschied, da es nichtdie Rolle einesJu­

nior-Partners der EU neben anderen neuen unabhängigen Staaten der ehemaligen Sow­

jetunion annehmen wollte. Im Gegenteil, nachdem Russlandseine volle Souveränität und die strategische Unabhängigkeit wieder gewann, richtete die russische Führung ihre Außenpolitik gezielt auf dieWiedererlangung des privilegiertenStatus ihres Lan­

des im post-sowjetischen Raum, den Russland alsseinentraditionellen Einflussbereich beansprucht17.

Es bestehen jedoch ernsthafte Bedenken, ob Russland seine Großmacht-Best­ rebungenin Eurasienrealisieren kann. Zu den Hindernissengehören dieschrumpfende Bevölkerungszahl, steigende Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften,

hohe Abhängigkeit der WirtschaftvondenRohstoffexporten, Schwierigkeitenbei der Implementierung einer umfangreichen Modernisierung sowie auch die mangelnde ideelle Attraktivität für dieNachbarländer.Es muss ebensoberücksichtigt werden,dass dieRussland-EU-EnergiepartnerschafteinsymmetrischesAbhängigkeitsverhältnisbleibt, da der russische Staatshaushalt in hohemMaße von den Einnahmen aus Öl-und Gasex­

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Wirtschaftliche Stabilität alsGegenkraft zur europäischen „soft power“ Gerade weil Russland über keineideelleAttraktivität verfügt, setztesauf eine star­

ke und stabile wirtschaftliche Leistung als Anziehungsfaktor für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion undversucht, diese durcheinen neuen Rahmen für Kooperationen an sich zu binden. In einer Zeit, in der die Europäische Unionineinerschweren Wirt­

schaftskrise stecktunddie Ölpreise von den Ereignissen in denarabischen Ländern in die Höhe getrieben werden, genießt Russland dank der hohen Einnahmen aus den Rohstoffexporten eine relativewirtschaftliche Stabilität.

ImOktober2011 verkündete Vladimir Putin seineAbsicht, eine EurasischeUnion zu gründen, dieerals „ein neuesIntegrationsprojekt“nach europäischem Muster dar­

stellte. Laut Putin würde die neue Union aufgemeinsamerPolitikderMitgliedsstaaten in den Bereichen Technologie, Industrie und Energie sowie aufeiner gemeinsamen Handelszone, Visumfreiheit undeiner Partnerschaft mit der Europäischen Union basie­ ren18.Dennoch lassen die Unterschiede indergeographischen Größe, der Größeder

Wirtschaft sowiedesmilitärischen Potentials vermuten, dass nichtjedesMitglied des neuen Integrationsprojektsden gleichwertigen Status erhalten wird. Die Idee derEura­ sischen Union scheintvielmehr auf dieWiederherstellung der russischen Dominanz im post-sowjetischen Raumzu zielen.

18 V. Putin, Novyj integracionnyj proekt dlja Evrazii - budusee, kotoroe rozdaetsa segodnja,

„Izvestija“, 3. Oktober 2011, http://izvestia.ru/news/502761, abgerufen am 25. August 2012. 19 U. Halbach, Wladimir Putins Eurasische Union: Ein neues Integrationsprojekt für den GUS-Raum?, „SWP-Aktuell“ 51, November 2011, S. 4.

20 Russia ’s Policy towards Post-Soviet Countries and its Impact on EU-Russia Relations, Interna­

tionale Expertenkonferenz, DGAP, Berlin, 17. November 2011.

Es bleibtauchabzuwarten,obRusslandsvorübergehende wirtschaftlicheStabilität ausreicht, um die Zielländer zum Eintrittin die vorgeschlagene Eurasische Union zu überzeugen, oder ob der Kreml den politischenDruck auf die ehemaligen Sowjetrepub­ liken schließlich erhöhen wird. Momentan lassen sich Russlands Beziehungen mitallen seinen potentiellen Partnern für das neue Integrationsprojekt ambestenals problema­ tisch beschreiben. Ukraine, Moldawien und Georgien sprachenbereits ihre Affinität

aus,die Integrationin den Westenzuvollziehen. Die autokratischen Staatschefs inden zentralasiatischen Ländern sowie in Weißrusslandwerden vermutlich nichtvon der

Aussicht angezogen werden,ihre Machtzugunstenderrussischen Führungabgeben zu

müssen.Abgesehenvon dermangelnden ideellen Attraktivität, könntedie angestrebte Integration auch durch wachsendeXenophobie und starke nationalistische Tendenzen

imKemland der zukünftigenEurasischen Union deutlich erschwert werden19. Europäische Experten betrachtenVladimir Putins Ankündigung, eine Eurasische Union zu gründen, als einen Versuch, ein Gegenmodell zurEuropäischen Nachbar­ schaftspolitik zuschaffenundsomit die Konkurrenz zwischender EU und Russland auf dem post-sowjetischen Raum zuerhöhen20. Das letztendliche Ziel desvon Putin vorgeschlagenen„neuen Integrationsprojekts“ ist esoffenbar, eine weitere Annährung

der GUS-Länder an die Europäische Union zu verhindern und Russlands Groß­ macht-AmbitioneninEurasien durchzusetzen. Die Gründung der Eurasischen Union

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kann indiesemFall alseinweiterer Schrittwegvon erfolgreichen Verhandlungen über

einenneuen Kooperationsrahmen mit der EU betrachtet werden.

Fazit

Dieoben genannten Beispielemachendeutlich,dass die aktuellen Zieleder russi­ schen Innenpolitik mitden EU-Vorstellungen übereine nachhaltige strategische Ko­ operation schwer in Einklang gebracht werden können. Während die Verhandlungen

überein neues Kooperationsabkommen bereits imJahr 2008begannen und sogar Fort­

schritte gemachtzu haben schienen, da beide Partner ein starkesInteressean einerPart­

nerschaft für Modernisierungalseinenneuen Kooperationsrahmenäußerten,hatten die

Verhandlungen bis Ende 2011zukeinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt. Mitder

WiederwahlVladimir Putins zum Präsidenten scheint es sogarnochunwahrscheinli­

cher zusein,dass Russland und dieEU zu einer baldigen, für beide Seitenakzeptablen Lösung gelangen könnten. BeideParteien sprachen unterschiedliche Vorschläge zum Inhalt ihrer zukünftigen Kooperationaus. So erwartet Russland, dass dieEU technolo­

gische Unterstützung für seineInnovationsprojekte sowie eine visumfreie Reisemög­ lichkeit für russische Bürger anbietet. Die EU im Gegenzug fühlt sich durch ihre

internen Grundlagen sowie internationale Verantwortung verpflichtet, eine Partner­ schaft aufzubauen, die auf demokratischen Werten, Rechtsstaatlichkeit und freier

Markwirtschaft basiert. Nach den Protesten rund um dierussischen Parlamentswahlen

im Dezember 2011 und die Präsidentschaftswahlen imMärz2012,und insbesondere aufgrund harten UmgangsdesKremlmit denpolitischen Gegnern, scheintdieEU kei­

ne Illusionenüber dasrussische Regime mehr zu haben. Solange Machtmaximierung und Machterhalt ultimativeZieleder russischen Innenpolitik bleiben,kannkeineum­ fassende Modernisierungstattfmden, und sowerden das russischeunddas europäische

politische Systemmiteinanderunvereinbarbleiben,was die von beiden Seiten ange­ strebte strategische Partnerschaft verhindert. In Bezug auf diegemeinsame Nachbar­ schaftund weitere Nachfolgestaaten derehemaligen Sowjetunion scheint Russlands Strategie aufKonkurrenz mit der EuropäischenUnion undnichtauf erfolgreicheInte­ gration gerichtet zusein.In diesem Kontext scheint einebaldigeHarmonisierung der EU-Russland-Beziehungen äußerstschwer zu erreichen, währenddie Zusammenarbeit

im Energiesektorder wichtigste stabilisierende Faktorin dieser Beziehung bleibt.

Summary

Relations between the European Union and Russia: the development of internal political interests?

In the paper, the author emphasizes a new stage in relations between Russia and the EU in 2008, following the election of D. Medvedev for president. This marked the beginning of inten­ sive talks on the extension of the Partnership and Cooperation Agreement (PCA) and the launch of the EU-Russian Partnership for Modernization. These activities failed, which primarily re­

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suited from how the internal situation developed in Russia. The EU observed that democratiza­ tion in Russia failed to progress, and the guiding motto of the Putin/Medvedev tandem was to gain and maintain power. The EU was particularly critical of the state parliamentary elections in 2011 and presidential elections in 2012. The EU and Russia have different points of view on the development of bilateral relations. Russia expects the EU to provide technological support and abandon visas, whereas the EU expects Russia to observe Western standards of human rights, freedom of the media and an oligarch-free economy. It will be difficult to align the interests of the EU and Russia outside the energy sector, which is the only sector that may stabilize their overall relationship.

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