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Marie Heinrich : Roman.

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Academic year: 2022

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(1)

ROMAN

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(3)
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(5)

SRarie $einrid)

(6)
(7)

<j u I Heller

SDlarie Sjeinrid)

91 o ma n

93ergftabtverlag Qörl£. ®ottl. Äorn 93reSlau 1

PRACOWNIA ZLOlh'fCZA Piotr Zi/tiny

■ G< X i fhfat

/w fe</n:<v dh )

.48- iOO GLÜ&CZYCE

(8)

SIH« beeilte,

indbefonbere bad ber Überfettung, ber QSerftlmung, ber ©ramafifterung, bed 9?ac!)brucfö unb ber Qßiebergabe burcf) ben 9?ttnbfun! Vorbehalten.

»

©en ümfchlag jetchnefe S0?ar Obot>, ben (Eüibanb 3oachtnt 3eufchner.

(9)

Öberlanb

Einleitung

^^ie Ober ift unter ben beutfefjen glüffenwie ein

‘Bauernweib unter ©rofen unb Eblen. Sie ift nicht fo reich wie bie Elbe, nicht fo munter wie bie Qöefer, nidjt fo löniglicf) wie ber 9?l»ein, nid>t fo machtvoll wie bie ©onau. ©ie Ober ift ein

‘Bauernweib. Ä’alf unb Ä’oljlenftoub liegen auf itjrem bleibe von Sugenb an. ,^D?it rüftigen Äänben fdjlepptfieCfüter aller 2Irt in b&p ÄauSftanb. ‘Breit unb behäbig fdjreitetfie burcf)b^t. mühereichen©ag;

manchmal, jur2lbenbäeit, fummt jte'jwifchen Eichen- unb Erlenbüfc^en ein einförmiges £icb. Sn ber Siacjt ftedt fie einfame £ichter an, £aternen auf langfam bahinfddeiäjenben 'jlöfien, geuerefwn für fcfjweigfameSchiffer, bie baran ihre Suppe wärmen.

Einmal, wie jebeS Q3auernweib, fommt bie Ober aucl) nad) ber Sauptffabt, nad) ‘Breslau,

©ort hört fie bie ©omgloden Hingen unb nimmt baS ‘Bilb ber l»e^ren ©ürrne in ben Spiegel ihrer Seele auf. ‘Slber viel luftiges Sdielmenvolf treibt aud) hier Sdjabernad mit il;r mit Qtubern, Segeln,

‘Baben unb viel Eelädjter. ©ie SJiutter Ober ver­

weilt nicht lange,faurn jwei Stunben. Qßeiter trägt (ie iljre £aften an fd»weren, fruchtbaren Reibern vorbei. So tommf fie nad) £eubuS, wo in einem

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eljematß ftoljen, fagenberübmten Koffer nun bie ärmften Äinber beß ©berlanbeß wohnen, bie Srren.

Manchernon ihnenffarrt mit beigem Qluge auf ben Strom unb beult wohl: „©rinfen, trinfen! ©aß gange QBaffer ba unten auf einmal außtrinfen unb bann faft unb ftille fein!" — Sie Äügel von ©rün- bergtauchen auf. (Sin ©icbter batein £ieb auf ben

©riinberger Qöeingemacht, ©aß ©ebirfjt ift feuch­

ter alß ber Qöein. Selber ba bie£eute im weftlirfjen

©eutfcblanb faft nic£>fß von Schiefenwiffen, wollen fie wenigffenß etwaß gu lachen haben über biefeß

£anb unb fingen alfo jeneß £ieb. ©ie butter ©ber feiert baß nicf>fß. Sie läft fich mächtige Jäffer

©rünberger Sßeineß auflaben unb weif, bafj biefer Qöein nach anberen ©egenben verlieft wirb, von wo er alß ©beiwein mit berühmten Oluffcfriftenin bie Qöelt gebt, ©a lacft baß alte Qßei£>, wie alte Qöeiber fiebern, wennfte feben, baf einfältige £eute fich betrügen laffen. — Sann fommt baß langfame

©abinwanbern burdj ben märfifeben Sanb. Qßie ein33auernweib, baß vomTZarfte fommt unbferner trägt, gebt bie ©ber. 'Jähren, Sanb unb Qßiefen finb am QBege, fonft ift faum eij^ Slbwecbfelung.

9?ebe grüfen fie manchmal, ober*ein &nb auß ber fleinen Äate,bie brüben am Äiefernranbe ftebt,baut eine fleine *2£ftüf)Ie auf im rinnenben, feilten llfer- gewäffer. Sonft ift grofe Stille unb ©infamfeit.

Äeibemärcben fniftern in Sanb unb Jähren. So gebt eß weit über bie bunbertfteSteilebinauß. ©a ift baß Q3auernweib rnübe geworben. Sie ift weit gewanbert, bat gefchle^t, gefehlt, jwanjig ftarfe Äinber in ihrem Scbojje getragen, ‘zD^ü^len unb

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Äämmerbewegt,ben Q3äumenunb ben flferblumen bie <5üfje gewafdjen. Gin wenig mürrifch ift fie geworben, ba« Saufen fällt ihr fcbwer. — Ohm fommt fie nad) Stettin unb ift plötjlid) im großen

£ärm. ©ie Schiffe brängen fid), 3üge bonnern übereine lange 93rüde, am Elfer ift Sagen, ‘Jahren, Schreien, ©uten. Sirenen beulen; frembe ©viefen=

ftfjiffeftebenba; rohe ORatrofen fpudenauf fieihren

^abaffpeicbel; ein Sabemeifter fd)impft: „S^ommft bu enblich an, bu labme, fci)leftfcf>e ©rottel? Qßie lange follen wir wobl auf beine Eabung warten?"

©ie Ober fagt nichts bagegen, fie Iufcf>t fich b’n vor bem 3ornigen,fie ift mübe; faum,bafjihr 55erj-- fcbjlag noch fühlbar ift; e« pulft in ipr eben nur nod) fo, bahfteba« lebte Gnbdjjen be«Qßege« jurüdlegen fann. So fommt fie an« grofje 55aff. ®a aber webt ihr wm SDZeere herüber ber grofje QBill=

fommen«« unb Befreiung «grub ju. Eid), ba« ift 'Jrifcbe, ba« ift Älarpeit, ba« ift ®röfje, ba« ift ein gute« Gnbe! Eßeitbreitet ba« alte Eßauernweib bie Elrme au« nach red)t« unb nach linf« unb gebt fo nach getaner Pflicht im grofjen ©elfa be« Sterben«

frieblid) f)eim in« $wigeOReer. Unb fie wirb gefeiert von©eutfcben, ©änen, Norwegern,Schweben, Oluf«

fen unb ^Balten; benn beren OReeren war fte froh ihrer Stille unb E3ef<heibenbeit eine ber ftärfften

©ienerinnen.

®a« fülle 93auernweib bat merfwürbig geartete 5?inber, viele, in ihrer Elrt untergeben. ©a ift ber 23ober, ein wilber ©efell, ber in unbänbiger Sugenbluft unb überfd)äumenber 5?raft von ben Oliefenbergen fpringt unb in unzähmbaren Eaunen

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manche« Unheil anridjfef. ®a ift ber SReifjefluft ber Träumer, ber an ben ^irdjen baf>ingef>t, ber ju ben wilben (Sanbfteinfelfen ber Äeufcfieuer hinauf«

ffarrt, ber am ©nabenorte QSufje tut; ba ift ber luftige, fputbelnbe S?a^ba(f>flu^; ba iftbie QBartfie, ba$ ftiUfte, baö tjäfrticEjfteunb bocl) ba£ ftärlfte&nb ber Ober, ßin 'SRäbcljen. —

(13)

1.

Oberlaufe eineß Siebenflitffeß ber Ober XX ffredt fich ein Sorftyn, Qßiefentfwl genannt.

Qßer eß ju <5ufie burdjwanbern will, fyrt gut eine Stunbe ju geben. SRecfjtß unb linfß iftSügellanb, bißbocb bina«f mit Saaten beftellt, bajwifcben ban­

gen Qßalbfcfjlägeunb liefen. Sm Sale läuft neben ber geraben ©bauffee ber ftumme Slufh Sie Säufer ffeben alle etwaß erhöbt am Sange, ber Über- fcbwemmungßgefabr wegen, bie ftetß nach fcbweren

©ewittern ober jur Seit ber Scbneefcljmelje eintritt.

Qßenn ber S^mieb, ber jetjt aucham Sange wohnt, im ©aftbaufe eineß über ben Surft getrunfen bat, wirb er weinerlich unb erjäblt, Wie „er" (er meint ben <Jlufj) ihm feine f<höne Scbmiebe weggeriffen hätte. 9iur ben Qlmbof hätte er ftehen laffen, ber fei „bem Qlaß" bocb juferner gewefen. Sonft aber alleß weg, alleß bin! ®om SBerge auß hätte er jufcben müffen, wie feine ganjeSabe fortfcbwamm.

21m meiften hätteeß ihmum feine fcböne ftucfuctß«

ubr leib getan. Siefei fc£)on weitfortgefcbwommen gewefen, ba hätte fie noch breimal ganj tläglid)

„Ä’uctuct" gerufen.

QBenn bann jemanb einwenbet, eß fei vielleicht ein wirilitfjer Ä’ucfucf gewefen, ber gerufen habe, wirb berSchmieb wilb unb fagt, er werbe bod) wohl feine Slljr an ber Stimme erlernten, fo wie fie rufe lein einjiger S'hicluct in ber ganjen <2ßelt. ©ß fei eine wunberfcböne ß’mfucfßubr gewefen. Sille feine Sachen aber feien unten in Sßärßborfvon ben Ceuten mit Rechenberaußgefifcf)t worben. „Sfranbgut" nann­ ten baß bie Summen. Silber er gebe oft Sonntagß

(14)

burdj 93ärßborf unb£orcf>e,ob banidjt etwairgenb- wofeine 5^ududßubr rufe.QBenner feine £lfjrentbecfe, bann habe für ihren 9?äuber baß lebte Stünblein gefd)Iagen. ©ann trinft ber Sdjmieb nod) fd)Wer- wütigeinen &orn ober jwei, gebt nad) Saufe, baut wif Siegfriebßfraft auf ben Qlmbof; unb jaudjgf:

„©id) bat baß93eeftbocjnid)fwegfd)leppenfönnen, bid> bat bod) ^ein gauneriger Q3ärßborfer mit bem 9?edjenangeln tönnen. Saba!" ©er Schmieb ba$t ben 'Jlufj. Qßenner über bie 23rüde gebt, fpudter jebeßmai überß ©elänber.

“2lnbere ßeute lieben ben ’Jlufj. Olm meiften bie hinter. ©ie lebten ©age im 'SRärj waren warm gewefen, ba befcbloffen jelpnQ3übleinunb 0JZägblein, aufbem Seimwegeauß ber Schule biebarte©bauffee ju meiben unb lieberim'Jluffe,ber feidjteß ^Baffer führte, nad) Saufe ju waten. €ß würben aifo Schubeunb Strümpfeaußgejogen unb ju^ated)iß-- ntuß unb ©iarium in ben Sdjulranjen gepactt. ©aß Qöaffer war beifjenb falt unb alle fchrien „2lu!"

unb jogenbie 93einchen aber eßwar balt bod) ein Spafj, über bie großen Steine im 'Jlufjbett ju Wanbern, bie Forellen ju fcheudjen unb fid) von vorwitzigen fleinen ^ifdjdjertbie ‘Jüpe befrabbeln ju laffen. ©briftel Q3räuer rutfdjte auß unb fehle fid) platt in bie 'Jluten. ©aß gab ein fcbreienbeß ®e«

lädjter. 91ur (pjriftel weinte; benn eß war ihr

„guteß" 5?leib, unb bie butter war ftreng.

Ädauß Seinrid) ftieg brei Minuten vor bem Sein- ridjßbofe an £anb, rieb fich erft mit ©bauffeeftaub bie ‘Jüfje unb 5?nöd;el troden, fehle ftd> bann auf Strafienffein 8,7 unb jog über feinen Streufanb

(15)

Strümpfe unb Schuhe an. ®ß war heute bet 31.Sftärj. Q3or bent Seorgßtag, betn 23. <2lpril/

aber war eß ftreng »erboten, barfuß ju gehen, ge- fd»tveige int ©Baffer ju patfdjen, mochte eß nod) fo warntfein, benn „ber ®iftftecfte nod) in ber ®rbe".

9?ad> bent 23. 2lpril burfte jeher barfufj gehen, aud) wenn’S ganj falt tvar; benn „ber ®ift tvar rauß".

®aß galt in ©Biefenthal tvie in ganj Sd)lefien.

©er Äeinricb^pof tvar bie fd>önfte ©kfihung beß fauberen, ftattlid>en ©orfeß. ®inf)unberta^tjig borgen 2lderlanb, Qßiefen unb©ßalbbeftanb, fieben 'Pferbe, bet Stall voll friefifdter 9?inber, Steuern unb Ställe genau fo bli^tvei^ angeftridten unb mit fo feuerrotem <5lad)tverf gebedt tvie baß grofje, nüdjterne©Bohnhauß. 3m töofef>errfd)tepeinlid)fte Orbnung, ba tvaralleß fo fachgemäßunbvorteilhaft geregelt, bafj einembefudjenben Canbtvirt bie Äod)- a<f)tung antommenmufjteunb ber©leib, ba ja bod?

Äodjachtung unb SQcib miteinanbervertvachfenfinb tvieftamefifche3tvillinge. Stirbt eineß von ihnen, ftirbt auch baß anbere. —

it’lauß, ber 3üngfte vom ÄeinricE)öt)ofe, fam in bie grofje Qöohnftube unb fcftleuberfe bie Schultafd)e aufß Sofa, bie SPlü^e aufß ‘Jenfterbrett. Seine Sd)tvefter ©Rarie vertvieß ihm biefe £ieberlid)feit unb fagte fürs, aber beftimmt:„©ie Sd)ultafd>e an ben 9Ragel, bie ©Rüfje an ben Safen!"

„©Rad?’ bu’ß hoch!" brummte ber Sunge.

Sie fah ihn blofj ftreng an. ©ahing berSunge bie Schultafdje an ben bafür beftimmten ftarfen ©iagel, bie ©Rütje an einen ^leiberredjen neben ber ©ür.

©ann fragte ©Rarie freunblich:

(16)

„SQun, wie wat’« feute in ber Schule?"

©er Sunge fchmollte.

„QBcnn bu fo ju mir biff, erjähl’ id) überhaupt nicht«."

©urauf gab ba« etwa gweiunhswansigjährige 'EDläb- d)cnfeine Slntwort, fonbern nähte fcfjweigenb weiter aneinembefähigten Sätud). ©er Sungeftapfteim 3immer auf unb ab, pfiff, fah jum 'Jenffer hinan«

unb hätte ja ber SRarie gar ju gern erzählt, „wie eö war", aber er ärgerte fid) ju febr, baft er ihr Wieber einmalhatte felgen muffen. <£nblic£> hielt e«

ber lebhafte Q3engel bocft nicfjf länger au«.

„QBte’« war? SQa furj war’«!"

,,©a« weift icft, benn e« ift eben erft gehn."

„Sa, Sölarie, unb riefig feierlid) war’«."

„'ZRiefig feierlich, fagt man nicht", verwie« SOiarie,

„fo fprecften nur bie Stäbter; man fagt einfad) .feierlich“!"

„®nfad) feierlid) war’«. 3uerft haben wir ge­ fungen. Unb weiftt bu, wa« wir gefungen haben,

©CRarie? ,®« ift beftimmt in ©otte« S^at.“ Qßie bei einem Q3egräbni«."

©a« SJiäbd)en hob verwunbert bie Slugen auf von ihrer Slrbeit unb fagte:

,,©a« habt ihr gefungen? Sa, warum benn?"

©er Sunge ftanb vor ihr unb fagte:

„Sa, nun paft auf, Sparte; jeftt werbe ich e« bir vormachen."

(£r faltete bie Sänbe über ber SSruft, fenfte ein wenig ben .&opf unbfagtemit leifer, müberStimme:

„Siebe &inber! Sh* habt jeftt ba« fd)öne Sieb ge­ fungen ,€« ift beftimmt in ®otte« 9?at, baft man

(17)

vom £iebften,was man fyat, mufj fcheibent Qefyt, id) habe mir für meine QlbfcEjieböfeier biefeS £ieb auSgebeten. ©aS £iet>fte, waS id) auf ber Qöelt hatte, war mir bie Schule. Unb von ber mufj ich heutefc£>eiben. ©ie 23ehörbe fyat mid) penfioniert, nicht, weit id) eS wollte, nein, weil f>alt bie 9?eihe anmirift 3d) f)ätte eS mir ganganberS gewünfcht.

®ar nidjt weit weg von frier liegt bie Stabt ©olb- berg. ®a hflt im 16. 3ahrhunbert ein £ef>rer ge*

lebt, unter unS Millionen £el;rern einer ber beften unb größten, ©er hwfj QSalentin ©rofjenborf. €r hatte eine Iateinifcf>e Sdjule. ©amalS fpradjenfelbft bie ^ned)te unb Uftägbe in ©olbberg neben ihrer beutfdjenSpradje lateinifcf>. QllSnun ber Q3alentin

©rotjenborf wieber einmalin alter'Jrifdje unb 'Jreube amUnterrichtenvorfeinen Spülern ftanb,ba fühlte er plö^lid), bafj er jettf fterben werbe. Unb ba breitete er feine 2lrme auS unb rief: ,In aiiam scholam avocor‘! Unb er ftarb. Seht Äittber, WaS ber Valentin ©rotjenborf ba im Sterben fagte, heifjt in beutfdjer Sprache: ,3ch werbe ineine anbere Schule abberufen‘1 QSalentin ©rotjenborf war 663af>re alt, als er ftarb. 3d) bin 65. konnte man mir nidjt nod) ein 3af>r in ber Schule ver­

gönnen? Vielleicht, bafj ©oft eS gegeben hätte, ich tyitte auch fo einmal in ber Sdjulftube fagen fönnen: ,In aiiam scholam avocor*! So aber bin ich penfioniert."

„Äör’ auf!" rief URarie, „hör’ auf, idj fann ntcf>fS mehrhören." Sieprefjteben &opf aufbaS Sätud), fie liebteja ben alten £ehrer,ber heut« verabfdjiebet würbe, Wie einen Vater.

(18)

©er Sunge fefjfefiel) auf bie ©ifd)tante unb falj ju,wie feine SdjWefterleife weinte. ©a wollteer fie tröffen.

,,©u, SXQarie, bann war’s aber auef) noc£> weiter feierlicE>. ©er Pfarrer f)at eine 9?ebe gehalten unb gefagt: fclnferKantor, ber fei einervon ben ßelwern, von benen in ber ‘Sibel ftef)t: fie werben glänjen wie bie SterneamSimmel. Elnb ber Sd>ulinfpeftor l;at if>meinen Orben angemad)t; ic£> fage bir, einen fitnfelnben 2lbler auß Silber."

©aß ^Viäbdjen fiob wieber ben $opf.

„(Einen Orben? Qöaß fiat er benn baju gefagt?"

,,2ld), gar nid)tß. (Er f>at blofj fo facb>fe mit bem S’opfe gefd)üttelt. £lnb bannf>aben wir Sdjulfinber iljrn alle bie Sanb gegeben, unb jebeß fiat waß gutn 2lbf($iebe gefagt."

„QöaS f>aft benn bu gefagt?"

„'Sldj, id> f>abe gefagt: ,2lbje, Serr Kantor! Q3er>

binblidjften ©anf‘1" x

„®u Sbiof1" jürnte fie.

©er Sunge fprang vom ©ifd> herunter unb fagte:

„Sbiot? Qöiefo? So ein fd)öneß Qßort wie ,ver-- binblid)“ fannfonft im©orfe fein einziger Sölenfd)."

,,©u bift ein Sbiot!" wieberfiolfe fie. ©aß nafim er wieber frumm unb fetste ficf> erhoff auf baß breite 'Jenfterbrett. (Etwa nad) fünf SQlinuten fing SfXiarie wieber an ju reben.

„Ädauß, bu follteftaud) ßefwerwerben ober Pfarrer."

„Qßeil idj ein Sbiot bin?" föfmte er.

„S^ein, Weilbu bir fojumStaunen alleß wortgetreu unblei<f>f befjältft, aud> foldje Iateinifcf>eQßörter, unb weil bu alleßfoganjridjtigwieber fierfagen fannft."

„©a werb’ id) eben Sd>aufpieler werben."

(19)

„©afj bu bidj unterftebft, mit folgern ©eftnbel in 3igeunerwagen berumjufabren."

„€Sgibt ganj anbereScbaufpieler,9Jiarie, inßiegnitj unb in benanberenSaup tftäbtenber QBelt. ©ie meinen garnicht in3igeunerwagen. CieSnurinber3eitung!"

Sie gab nichts barauf, fonbern tarn Wieber auf baS Saupttbema jurüd.

„©a feib ihr wohl bann ganj füll unb traurig, bafj ibr euren berjenSguten £el;rer verloren habt, nach

■Saufe gegangen?"

©er Sunge beuchte berFenfterfcheibe einen Scbweifj an unb tribeite mit bem Fingernagel hinein. Sr tat, als ob er nichts gebärt hätte.

„9b ihr re<f>t füll unb traurig nachSaufegegangen feib?" wieberbolte bie Schwefter.

„“Sich", fagte er ba, „traurig warS ja febr, aber bie Sonne bat auch febr fd)ön gefd)ienen."

9Kit fcbarfjem Q3erbaci>t äugte Sftarie nach bem Sungen bin.

„SBift bu etwa barfufj bie Sbauffee runtergerannt?"

„9?ein!" fagte &lauS mit ber 9?ube ber Qöabr- bafügleif.

Silber ihrQ3erbad)t war jufdmeibenb geworben. Sie fprang auf unb fafjte ben 3appelnben amSBein. Sie Strümpfe waren feucht. SIRarie wufjte plötjlich alles, ©en Schub im ^atjbalgen herunter, ben Strumpf,auSbem ber Streufanbbröfelte,unb$lauS betam von bem ftarfen Stäbchen ben Strumpf fo um bie Obren gefcblagen, bafj Sanft ®eorg, ber

©ageSbeilige vom23. Qlpril, anbiefemßl. SQiärj nur ganj vonferneftehenunb lächelntonnte: klebtet mein

©atum! Q3or bem 23. 2lpril gebt man nid)t barfufj.

(20)

2.

Shutter trat inS 3immer, t>te 23auerSfrau.

ne war an bie fünfzig, bicf unb »on fchwer-- fälligem ®ang. ©rohihrerfdjledjten 93et»egli(f)feit fc^affte biefe 'Stau vorn frühen 9Jlorgen bis in bie

<Rad)t, fchleppte, trug für bie 3^rigen. 3f>r ßeben war einfame cpflidjterfüllung. 3ef>n 5?inber hatte fie geboren; vier waren Hein geftorben; bie jwei älteften ©ßd)ter hatten, als fie eben reif würben, ber

‘EXRutfer eineStühe fein ju fönnen, nad) auswärtigen

©örfern geheiratet; vierÄ’inber waren noch 3«-foaufe Äarl, EUiarie, 93ernharb unb Ä’lauS. ©iefe Stau war wie ber Oberftrom, geboren jutn (Schleppen, beftinunt für einfame Qßanberung; ihr ßebenSlauf war ohne ‘poefie, faum, bah fie abenbS einmal auf ber 'San! vor bem Äaufe ben großen Trieben ber Staturempfanb. “2luch fie war einmalim ßeben in 93reSlau gewefen, hatte verwirrt inbaS bunte, rau- fchenbe ßeben htneingefchaut. ®S war ihr bange geworben, unb fie hatte aufgeatmet, als fie wieber ju Äaufe war. £lnb wäre ihre ßebenSbahnWirtlich eine Oberfahrt gewefen, fo hätte fie ihr 3JJann nur bis ©rünberg begleitet, wäre bort in ben QBein- fdjänfen hängen geblieben unb hätte fie allein ein- fam weiterwanbem, weiterfchleppen laffen. 3l;v SlRann war eirtfrohgemuter SÖlenfd), aber er liebte baS QöirtShauS, unb wer juviel trinft, ju bem fagt ber ©ob: „Profit!" 9?od) vor vollenbetem fünf- unbvierjigften ßebenSjahre ffarb er. Sie muhte nun allein weitergehen bis anS 9J?eer. —

©er Qßirtfchafter trat inbie Stube. €r war jwifcfyen fünfzig unb fechjig, ein großer, ftarfer <3Rann. €r

(21)

batte t>a£ rotbraune, verwitterte ©efidjt ber £anb- kute, befafj nod) ganj volles, faunt angegrautes Saar, tvar beffer gefkibet als anbere 'Bauern, bie in übelgeflidten Sofen aufs 'Jelb geben.

„Qöeif jemanb,tvo A’arl bleibt? Sd) habe ib« fd»on vor jweieinbalb Sfunben mit ber 'Suchdftute nad) ber Sdjmiebe gefd)idt. Gd tvar nur ein Auf neu ju befd)lagen. Gr mufjte längft jurtidfein. QBir brau­ chen bie Stute."

„Sie Stute braudjtSb*,benÄarl braucht Sb* wohl nicht?" fragte bieBäuerinbitter. ©erQßirtfcfjafter judte bie Qlchfeln.

AlauS, ber immer nod) auf bem Senfferbrette fafj, fagte: „ 'Sßie idjvorhingerabeunter ber 'Brüde tvar, ba tarnenfie mit ber Stute, unb ber Scbutieb fpudte überS Selänber unb hätte mich beinahe getroffen."

„Qöie bu unter ber 'Brüde ivarft?" fragte bie Stau.

„£afj, Shutter", fagfe'SRarie, „baS ift fd)on abgetan."

„Sa, mit bem Strumpf", tnurrte berSunge,„fteift grob ju mir. Qßart’ nur, wenn ich grof? bin, bau’ idj ihrein ganjed Strumpfgefchäftum benÄ’opp."

©ie Srau fragte nichtd mehr. Sn Äinberftreitig-- feiten mifdjte fie fid) längft nicht mehr ein. Sie wufjte,bafjalle ihrehinter grunbverfd>ieben waren, bafjfie hoch aber alle jurShutter binftrebten, jebeS in feiner befonberen 2lrt.

„Stun",fagte ber QBirtfd>after,„fo will i<h bieStufe fud)en geben, wir brauchen fie."

Gr ging auS bem Saufe.

SlauS fafj auf feinem b>«oljen Senfterbrette wie auf einem 2luSlug unb melbete:

„Gr gebt aufs QöirtSbauS ju. ®a wirb er fie fd;on

2 'IJauC fallet:SJJatie

(22)

finben, ben Scfymieb, ben 5?arl unb bie ©tute, ©ie werben fid) alle befaufen, bi« auf bie Stufe. ©ie frifjt vor ber ©üre nur bem ©aftwirt bie OBeitt- fnofpenvom Spaliere, ©avon friegt fteaber feinen Sdjwip«."

„9?uf)ig", befahl SOiarie, „bu bift ein Sdjlingel, ber in alle« breinrebet."

©er 3unge flaueste einen Sdjweifj an bie 'Jenffer»

fc^eibe unb wollte f>ineinfd)reiben: SJZarie ift bumm!

®a war ber Schweif? aber (<f>on Weg. 9cun würbe e« il)nt langweilig.

©ie beiben grauen fafjen in fd)Weren ©ebanfen am

®ifcf)e. 9tacf> einer QBeilefagteSWarie in if>r tud> hinein: „&arl verlumpt!"

„SCQarie", jammerte bie butter.

©a« SQJäbdjen antwortete nidjt. ©er Sunge f»atte inbe« braunen auf ber Strafe ben Qllfreb Socfifdj entbedt, mit bem er einen ©ßrenljanbel au«sufedjten fjatte, naljm bie grofje „Sitegenflappe" unb faufte alfo bewaffnet au« bem Äaufe. ©ie Stauen waren allein.

„Qöa« f>aft bu gefagt, er verlumpt?"

©ie Srau fragte e« mit fo müber Stimme, wie bie Oberwellen murmeln turj vor Stettin. G« war fein 3>ul«fdjlag mel;r, fein Qlufbäumen, fein Geben«- gefalle. €« war mübe«Q3er3id)tenauf« QBeitergefyen.

©a ba« <5Räb(f)en fd>wieg, 3orn in roten Sorben aufber QBange unb im violett fdjillernben £i<f)t ber 2lugen, fagte bie Shutter, bie if>r Äinb verteibigte:

„$arl f>at feinen QSater. Srauen fönnen wilbe 3ungennitfjterjie^en. ©ie Strenge t>at il;ntgefehlt.

3d) tarnt’« nid)t!"

(23)

©a legte ba« ^äbdten ba« 'jftäfoeug weg, na^m mit beiben Äänbcn bie Ijarte S2lrbeit«Ijanb ber ©Jint- ter unb fagte:

„butter, warum f>at ber S?arl feinen QJater, ber ifm jurn 9?ecf)ten führen fann? Qöarum fteirateft bu nicfjt wieber?"

„3d) heiraten — ?"

„3a, bu!"

©a« 0Jläbd)en ftiefj ganj rafd) l;erau«:

„®en QBilf>elnt follft bu heiraten, unferen QBirt- fdjafter. €r will bic£> bod), ba« fief>ft bu bocE) 1 ©en Äof f)ält er un« in Orbnung, bie Familie fann er nid)t inörbnung galten, weiler fein9ved)tbajufiat.

‘Sßenn ber ein 9fed)t Ijätte, wäre ber &arl anber«.

finb ber Älau« f)at’« aud) fünfer ben ©Ijren, ba«

fag’ id) bir! ©er braucht aud) einen Sater, fonff wirb er aud) fd)led)t."

©ie SVZutfer fal; fie an.

„9ftarie, wie fannff bu nur fo reben? ®u biff erft jweiunbjwanjig 3af»re! QBie fannff bu benn alle«

verfielen?"

„Qöeil id) fjäfjlid) bin", fagteba« SJfäbc^en. „Ääfj»

lid>e SIRäbdjen wiffen mel)r al« bie l;übfd)en, weil fie mef>r Seit jum 9facf)benfen fjaben."

„©u biff bod) nid)t fmfflid)!"

SOJarie nafjmbie 9?äf>arbeit wieber auf unb fagte fo nebenher:

,,©a« wirb wof)l von allen 3Renfd)en auf ber Qöelt nur bie SJlutter fagen fönnen, baff id) nid)t ^äfflicf) bin. Qlber ba« ift ja hierbei egal, ©ie 3ungen brauchen eine fefte Äanb, fonft wirb nid)t« au« ihnen."

©ie SÖlutter faltete bie Äänbevor fid) auf bem ©ifdfe.

(24)

,,©u ja wfyt, SOiarie! ©u bift fing, wett über beineSabre. ©amufjtbuaberaud) einfeben,bafjidj feine fefte Äanbmehr habe. (£ß beifjt, id) feifünfzig, aber in Qöabrbeit bin id) fiebrig. Sd) habe feine ftarfe Äanb mehr für bie Sungen. (£ß wirbmitihnen leiber ©otteß fo werben, wie bu fagft."

„heiraten follft bu“, jümte baß Stäbchen, „ben Qöilbelm, bafj er SJiad)t friegt über fte."

9htn ergriff bie butter bie Äanb beß <2ftäbdjenß.

„Sief), Sötarie, idj glaube, mit bir fann man fcbon reben wie mit einer erfahrenen ffrau. ©er<2ßill;elmift gut;erift ein €l;renmann. 2llßber Q3ater ftarb vor jwölf Sabren, batten wir viel Scbulben unb bie OBirtfcfjaft war verlottert, ©a fam ber <2ßilbelm.

Seht haben wir wenig Scbulben, unb bie Qßirtfd)aft ift gut."

„9ia alfo! ©er reine Staat ift bie Qßirtfcfjaft, unb ber reine Staat fönnten unfere Sungen werben."

„€ß ift nicht baß, waß vfy eigentlich fagen wollte,

©aß wiffen wir ja alle: für jeben©aler, benwir bem

<2BilbeIm £obn geben, erwirtfcEjaftet er unß fünfzig.

®ß ift waß anbereß,waß id) bir fagen wollte. Siebft bu, eineffrau, bie§um ^weiten 9J?aIe heiratet, müfjte fid) fcbämen."

©aß Räbchen fdjaute erftaunt auf:

„Qßiefo ? ©aß iftbod)erlaubtunb alleß gau5in(?bren."

„©aß ift eß. 2lber bie ffrauen finb Wohleben ver-- fcbieben. Sch hab’ beinen Q3ater lieb gehabt, wenn er oft auch nicht war, wie er hätte fein follen; wenn ich einen anberen nehmen follte, würbe ich bod> immer an ibn benfen müffen unb würbe mich 3U ©obe fcbämen. Qlud? vor euch Stinbern."

(25)

©ie ©ocfter falj bie butter grofj an.

„Sd)ämen ?"

„9a, fc^änten!"

2luf einmal begriff ba« ©Räbel unb Würbe blutrot, fie begriff bie jarte ^eufcbbeit ihrer butter. ©a faf fte, bafj in biefem<Jrauenf)erjenmittenau«einem 3mmorfellentranje eine £ilie blühte.

Unb wa« nod) nie im £einrid)«f)ofe gefdjehen war, gefdjab jefjt — ein &inb lüfte ber 0JiutterbieSanb.

* *

QSa« bann lam,al« bie 9J?utterfort war, war f)äf- lid). G« gab Tumult im Sofe. ©er £2ßirtfd)after Qöilfelm lam mit ber «Jucföftute am Äalfter, unb

$arl, ein ftrammer 93urf$e, fdjimpfte fünfer il;m fer. 3n ber 5ür erfdjien ©fRarie.

„Qöa« ift hier lo«?" fragte fte barfdj.

„3d; fabe mir nur bie «Stufe gefolf, wir brauchen fie", fagte Qßilpelm in 9?ufje.

„^Blamiert fat er mid)", fdjrie 5?arl, ber nidjt nüchtern war, „blamiert vor allen £euten, lommt mir in« Qßirt«fau« nad). Q3in id) ber Sofm vom Sofe, ober ift e« jener &erl ba ?"

©er riefige QBirtfdjafterging ein paar Schritte auf ben ©runlenen Io«.

„halt!" rief SfRarie; „Qöilfelm, bu haft ganj redjt getan, aber laffe ifn, geh’ an bie Arbeit, finb bu, 5?arl, lommft mit mir in bie Stube!"

„'Jällt mir ja gar nidjt ein!"

©er<2öirtfdjafter jog mit ber Stute ab. ©a« ©Räb=

djenttaf m ben QSruber in fcbjärfffen 23li<f unb fagte: ,,©u willft nicht mit in bie Stube lommen?"

(26)

„9Mn, icf> Qtfyt jurüd in« Qßirt«t>au«; id> laffe mid) nici>t blamieren."

©a fagte ba« ‘50f?ät>c£>en in unenblicfyer Q3erad)tung:

„®ef)’ in« Qßirt«^au« jurüd! ©auf weiter!"

Sie warfifjrn ein 9)iarfftüd vor bie Süifie. (fr gur­ gelte wütenb vor fid) Irin. ®a«SRäbdjen verfd>wanb.

2luf ber c8anf vor berÄauöwanb fafs ber 93urfd»e unb brümmelte unb bro^te. Q3om Sanbe f>er blitste ba« Sftarfftüd im Sonnenfdjein.

Sn ber Stubefafj ba« ©[Räbchenallein. Sie laufd)te nad) ber©ür f)inunb wünfd)te, ber 23ruber möchte fommen,fie wegen ber23eleibigung mit bem Sftarf- ftüd anfafjren ober gar fie fdjlagen.

£r fam nicfjt. Smrnerfcb>ärfer laufditeSIRarie, wa«

gefdjefien werbe, ©a — jetjt erfyob er fid) braunen von ber Q3anf. Sie lugte burd)« genfter. ®a fat;

fie, wie ber QSruber ba«'JOlarfftüd auftjob unb ju- rüd nad) ^m QBirt«ljaufe ging.

„Verloren!" fd)lud)3te ba« SJJäbd)en. ®a« Sätucf) fiel unter ben©ifd).

(27)

3.

1$ auf cPfingften guging, laut SUauö auö ber Schule unb fagte gu 9Rarie:

„®u, ‘SCQarie, ein ulfiger &erl ift ber Neumann!"

„Qßer ift ^Reumann?"

„9?u, boc£> ber neue Sehrer."

„Unb bu fagff ,&erl‘?"

Sieholte gu einer Ohrfeige auö, ber aber ^lauöburdj einen Sprung aufö ‘Jenfterbrett gefcf)idt entwich.

„€r fagtaud) ,$erlö‘ gu unö. $?erlö, ihr müfjt waö werben l SHd)t fo mtefje ©ranfungen! Sö iftfebr gut unblöblich,wennihrhinter ben £>d)fen unb ^ferben hergebt, aber eö gibt nod) etwaö anbereö auf ber Qßelt, waß aud) wert ift, gelebt gu werben!"

„Saufen unbS^artenfpielen!" tarn’ö vom^ifcf>e her.

„Sät) — nu eben nidjt! ©et Neumann batgefagt:

bie alten Sauern haben gepflügt, geeggt, gefät, ge- brofchen unb finb — unb finb —"

„Äunbert Sabre alt geworben!" fam’ö vom ©ifd).

„=Ru eben nidjt 1 Söchftenö mit ber Qßafferfucht finb fie foalt geworbenunb gang verblöbef; bennihr eingigeö Sergnügen war eben Ä’omtrinfen unb

^artenfpielen. Unb baö wirb nu eben abgefdjafft.

Qßir SReuen, wir werben alleö verebeln."

„So, wie macfjt ihr benn baö?"

„©aömachenwir fo:erftenöhabenwireinenSerein gegrünbet."

„ßinen Serein?"

„Sa, guerff mufften wir einen Serein unb für ben Sereineinen Statuen haben. ,Neris', fwt ber Steu-- mann gefagt, .gertnadt eud) mal euer giemlidj be- träd^tlic^eö (Sehirn unb finnt auf einen Stamen für

(28)

einen 3ugenbbunb, in bem Sefunbbeit, grobftnn, SOtöftigfeif, Feinheit, Sport, Spiel unb Ult bie Sauptfachefinb!‘ Elch, SQZarie! Seute in ber lebten Stunbe follten wir 3?arlben ©rofjenhaben. 2lber deumann fyrt gefagt: ,Sarl ben ©rofjen wollen wir vorläufig jurüdftellen unb an unferen Sugenbbunb beulen!“ ©r batte unß nämlicE) ftatt eineß Qluffatseß aufgegeben, überben tarnen unb überbie Statuten beS neuen Sugenbbunbeß unfere ©ebanfen int ®ia- riutn nieberjulegen. 3a, nieberjulegen, fo fyat er wirtlich gefagt."

„®aß iff fontifd)", fam’ß vom Stopfftrumpf ber.

„Sa, ber deumann ift ein ulfiger5?crl. “2llfo ich b«b’ meinen Salm natürlich aud) gefdmeben."

„Eieftbu mir baß mal vor?"

®er 3unge befann fich. ©ann fragte er:

„QSerfeilft bu mich nidjt? Qluf feinen gall?"

„9iein!"

„Sag’ erft: wahrhaftig."

„3d) fage: wahrhaftig!"

„£Qa bann loß!"

€r fprang jufeiner Sdjultafche unb holtebaß „®ia*

rium".

„'Pa^ auf, ^XRarie! 3ieh’ nidjt wieber ein 0Jiaul, wenn bir waß nicht pafjt. Ellleß fann janicht ftimmen.

3d) wufjte ja gar nicht, wa« baß für ein herein werben folite, ob waß ganj'Jrommeß ober waßOBelt*

ltd)eß.3uerfthabeicbgefcbrieben:,2llopfiuß-Q3erein‘".

„Saß ift fd)ön!" fagte £D?arie.

„ Natürlich ifteß fdjön, baß bat auch berdeumann gefagt. Slber für ©unten unbUlf gebt eß nicht, batet sefagt."

(29)

„®ann weiter mit beinen Mitein."

„Qllfo, benn: ,QBanberluft‘, .Äiterifi', ,Qöir werben fchon' 1 —"

„Qöie?" unterbrach baß EOtäbcfjen. „,Qöir werben fd)on‘, baß ift hoch tein QSereinßname. ©aß war bumm von bir."

,,3ieb’ Jein SERaul — eß gebt f<hon weiter! ©u ver­

ftebft mich nicfjt, ©Jiariel ‘Sllfo, weiter: ,3nß

©rüne'l — , Gnblich mal loß'! — , ‘pfeif’ auf bie Schule' 1"

SJiarie erhob fich brobenb.

„9?ange,haftbu wirtlich getrieben: .Pfeif’auf bie Schule' ?"

„3awobl!" fam’ß behaglich) vom ‘Jenfterbrett, „Neu­ mann batben ^euchbuften gefriegt, alß er baßvor­

laß. ^a, unb baß anbere,waßid) ba noch getrie­

ben habe an Titeln, ift lauter Quatt."

„£lnb beine Statuten?"

„'Sich, bie ftnb furj. Q3erftebft bu, SPiarie, bei Sta­

tuten finb immer ‘Paragraphen."

„3a, ja, baß weif? ich."

„Qllfo, pafj auf!"

Gr laß wieber auß bem ©iarium.

„‘Paragraph einß: Saufen ift verboten.

‘Paragraph swei: ^artenfpielen aucf>.

Paragraph brei:9?audjen auch.

Paragraph vier: SERit 3J?äbelß laffenwir unß nicht ein!"

„Qöarum nicht?" unterbrach Sparte.

„Ptäbelß taugen nicijtß 1" fam’ß suriicJ.

„Sllfo Paragraphfünf: Qßer fdjlapp macht/ gilt alß tein P?ann."

(30)

Paragraph : Qöer nichts fyrt, für ben besagen bie anberen!

So, ba3 n>ar alfo mein Qluffab."

©ag SERäbdjen batte ju nähenaufgehört unbflaute auf ben Q3ruber.

©er flappte fein ©iarium sm

„Stun, unb mag bat ber ßefjrer gefagt?"

„Wfy —bu! ©er batmid) umben Ä>alg genommen unb mir aufbie Stirn einen ^ufj gegeben, ©ag mar mir febr peinlich. 2lber bann gab’g Slbftimmung."

„Qßag b^ben benn bie anbern gefdjrieben ?"

„‘Sieb fo—, QSeildjen* unb »Springingfelb'unb ,&ame=

rabenverein*. ©ie meiffen höben gar nic£>tg ge=

fdjrieben; bie müffen jebt jur Strafe bag Sinmaleing mit ber fieben zehnmal abfdjreiben."

„Unb mie mar’g bann meiter?"

©er Sunge erhob fid) unbfniete auf bem ’Jenfterbrett.

„©rofjartig mar’g. QBeifjt bu, mag für ein 5itel gemäblt morben ift? — deiner! ,Qßir merben fdjon —*, meifjt bu, mit einem ©ebanfenftridj.

Sinter einem ©ebantenftrid) fann fidjnämlich immer jeber benfen, mag er mill. Sdj batte mir gebadjt:

,Qöir merben fdjon bie 93ärgborfer verhauen*, aber Sleumann hat einen großen Senf gemadrt nnb gefagt:

,Qßir merben fcbon ein beffereg ©efdjledjt heran*

Süchten*. Qöag®efd)led>t ift, meifj ich rtic^t, .heran*

Süchten* aud) nidjt! 2lber egal—mein 5itel mürbe gemäblt. £lnb meine fämtlid)en Statuten mürben angenommen. 9?ur, fagteNeumann,ermürbe fie in eine etmag anbere 'Jorm bringen, aud) hat er bag ,fd)on* in meinem 5itelgeftrichen, ber herein Ijeifjt:

»Qöir merben!* —"

(31)

(fr [prang vom ^enfferbrett herunter.

„Qßeifjt bu, Plarie, wer vor bir fteht? ©er zweite QJorfihenbe beS 3ugenbbunbe$ ,Qßtr werben!“

(frfter QSorfihenber ift natürlich ber Oleumann."

Piarie ging mit flammenben Qßangen auf ben fleinen Pruber ju. ©er retirierte.

,,©u, wenn bu mir je^f eine Ohrfeige gibft, bift bu meineibig, bu £aft wahrhaftig gefagt."

©a£ OJJäbdjen fagte mit warmen 2lugen:

,,3d) tt>ill bid) ja nicht fd)lagen, &lauö, eS War ja atleß fo fcfjön. (finen ^uf will ic£> bir geben."

„&ufj?" fagte ber3unge mifjtrauifd). „Olein, i<h hab heutefcEjoneinen getriegf unb in meinen Paragraphen fteht:,Piit OJläbeln laffen wir unS nicht ein!“"

(fr entwich burch bie $ür.

* ♦*

OJlarie fafj lange am ©ifche, bann fuchte fie bie butter auf, bie im ©arten arbeitete. Sie führte fie nach ber Steinbanf, bie unter bem 5?irfd)baum war, unb fagte:

„PZutter, wir brauchen beine fefte Äanb nicht mehr.

Qßirbrauchen aud) nid)t ben Qßilhelm. Qßirwerben eS allein machen!"

„Qßer wirb’ö machen?"

„ü’lauö unb id). 3n $lau$ ftedt ein guter, ftarfcr Plenfcf). Qßir werben eef machen!"

„S^lauö ift baS wilbefte von allen meinen Äinbern!"

„©aS ift er Wohl, aber wir wollenihn jähmen. (fr foll ein prächtiger ORenfch werben!"

„©aS möge ber Äerr geben!"

(32)

©ie 'Stau Wollte wieber jur Qlrbeif, aber EVZarie hielt fte jurücf.

„9Mn, butter, ed ift nicht gut,bafj bunod)fo viel arbeiteft, unb boch aud) garnicht nötig. Q3leib nod) ein bifdjen bei tnir. 3d) mufj nod) mit bir reben.

Qßir müßten und viel öfter befpred>en;benn um und finb vielernfte ©inge. 3d)möd)tebidj einmal etwad fragen, SRutter; bu mufjt aber nidjt erfdjrecfenunb ed mir aud)nidjt übel beuten! butter, baft bufd)on bein ©effament gemacht?"

©ie 9rau erfdjral.

„©effament? Slaubft bu, bafjed — bafj ed fcbonfo um mich ftebt ?"

„3lein, o nein, Sülutfer, idj glaube, bafj bu noch breifjig 3ahre leben wirft unb länger, aber idj habe neulidj erft wieber gelefen: jeber Iluge 3Jienfd) be«

ftellt für £eben unb (Sterben fein toaud."

©ie 2lltefaltete bie Sänbeauf ihrer blauen (Schürje.

„©ie jwei älteften ©JJäbel finb audgejahlt, hoben Q3ater- unb 3)lutterteil. (Sie baben’d bamald ver­ langt, weil ftd) fonft ihre Männer bie Qßirtfdjaften nicht hätten laufen tönnen. ©Birhaben bamald viel

®elb borgenmüffen, jahlen jaimmernod) baran ab.

finb wenn ich nun einmalbie klugen jumadje, bann gehörteben bad ®ut euch: bir, &arl,Q3ernharbunb

&laud."

„3iein, butter,fo gehted eben nicht. ^arl, ald ber Sälteffe, würbe bad Sut verlangen. ®r würbe und brei anbere woljl audjaljlen, aber wir würben fortjiehen müffen; er Würbe in fdjweren (Sdjulbett fihen, unb nad)lurjer3eit wäre ber Äeinrichdhof in fremben Äänben. ©ad barf nicht fein!"

(33)

„Qöaö foll id) benn tun?",fragte bie tnübe Shutter,

„©in ©eftament follft bu machen. Sarin follft bu fcE>rei6en: ber Ä’arl befommt fein ^flidjtteil, fonff nichts, unb barf nicht auf bem Äeinrid)Sljofe bleiben.

©aS ©uterbt^lau^. 23ernl)arb befommt fein Seil,

©ie SCQarie erbt fein (Selb, aber fte ljat baS 9?edjt, if>r £eben lang auf bem Äeinrid^fwfe ju fein, unb befommt bortSRaf>rung unb Reibung. ©afür foll fie mit J?lauö arbeiten, unb if>r £ofm beträgt monatlich 10 0Jlarf."

„So warft bu ja enterbt."

„3$ brauche nicht meljr, als id> gefagt fjabe."

„21ber wenn bu einmal fjeirateft, waö würbe bann bein “EOZannfagen?"

„Sd) werbe nie heiraten, tiutter. Sd) fönnte nur einen SOtann befommen, ber mit meinem ©rbe redmet; für bie ßiebe bin id) ju ^äfjltcEj."

„So ein grofjeö, ftarfeS SJZäbdjen!"

„2l<^, SÄutter, frag’ nur bie Scanner, wa£ fie auf grofjunb ftarf geben. 9bi(f)tS!£)öd)ftenS eingeiziger 93auer, ber eine billige ÜRagb braudjt,gibt waS auf grof? unb ftarf. Sbein, barnit ift eönichts; id) finbe mid) fd)onab. Überlegebir’3,9Jbutter,bann fpred»en wir wieber bavon. SRutter,eS iftgut, WaS idj bir rate!"

Sie ffridj) berSalutier leife überben 5?opfunb ging,

©er ©idjbauman ber ©artenede raufd)te über ihr:

„QßaSjürnftbu über grofjunb ftarf ? Sief) mich an!

Q3in id) nidjt fd^ön, audj wenn tc£> grof? unb ftarf, fnorrig, riffigunb edig bin? Slaubftbu, id> möchte mit einer pimperlichen ^öirfe tauften ober mit einer weichlichen £inbe?"

(34)

®aö SERäbcfyen fühlte ben Stoff ntcEjf, obwohl fie einige Qlugenblicfe an ber (Stcfje fielen blieb. 3m QBobnjimmerfabfte in ben HeinenSpiegel. QBobl, fie war grofj unb gerabe gewacbfen,aber fiewaredig unb ohne ©rajie. ®ie klugen ftanben um einen

©trieb Ju weit auSeinanber, bie 9?afe war um eine 5?leinigieit ju grofj, baS Ä’inn eine ^leinigfeif ju fpifj, ber 'Sftunb eine ^leinigfeit ju breit, finb auS biefen ^leinigfeiten fehle ficb baS für ein QBeib fcbredlicbe ©efamtergebniö jufammen: Ääfjlicb!

(35)

4.

eute tommt ber deumann ju uns!" fagte SUauS ju SDtarie.

„QBer?"

„9?a, ber deumann, ber neue(Schulmeifter."

„©erSerr ßehrerSReumann heifst es! 3c£> werbebir 9?efpelt vor beinern ßehrer beibringen!"

„®u?©u fennft ihn ja garnicht! Unb ber ^Reumann braucht feinen 9?efpeft, ber madjt’S aud) ohne 9?efpeft."

„©aS mag eine fdjöne Qßirtfcfjafffeinbei euch in ber Schule."

„'Jeine Qßirtfchaft! ®S lernt fid) alle«? ganj leicEjt unb ulfig. Qßir fürchten unS bireft vor ben Serien."

9Rarie ladjte.

„<5ür<fytet eud> vor ben Serien? ®anj was SQeueS!

(Sibf’ö benn gar leine prügel?"

„Ach, viel mehr als früher, Aber ber ^Reumann felberhautnicht. Qßir hauen! ^Reumannftellt feft:

ber hat feine (Schularbeit, ber hat ben Unterricht ge- ftört, berhat fich baS Äeft mit fiepen verfaut, ber hat gelogen, ©ann treten wirin ber ^aufejueinem Ghrenrat jufammen, unb bann gibt’s Äeile. £Qeu»

manngudt bannweg. Siehft bu,9Rarie, baS nennt man QJolfSjuftij unb (Selbftverwaltung."

„©aS ift ja baS reine Affentheater. Q3ift bu benn auch im Shrenrat?"

„3d> werbe bich beaffentheatern, 9Rarie! 3a, im ßhrenrat bin ich nteiff. 23lofj vorgeftern war ich

©elinquent."

„QßaS ift baS?"

(36)

„Delinquent iftber, ber bie prügel friegt. ’Jitnf auf ben Sofenboben haben mir bie S^erlß juteilwerben laffen. Traufewar Scharfrichter. £>, Sunge, Sunge, Wiefiehft bu auß, wenn ich bicf) mal alleinerwifchel"

„Qöaß bu benn verbrochen?"

„®ar nichts! Sch fyittz gebaut, waß fich liebt,baß nedt fich, unb bem SQeumann ein SlRaiglöddjen' fträufjchen inß Dintenfah geftedt. ®rft f)at er ein bischen gelacht, bann i>at er nicht fdjreiben fönnen, bannfyat er ben Strauh hetaußgenommen unb fich baß 5?atheber befiedert, bann war bie Dinte voll

‘Jafetn unb muhte alleß außgewafchen unb neu ge­ füllt werben, unb bann hat ber SQeumann gefragt, ob fich baß vonmir wohl paffe. Da hat bie ganje klaffe mit Q3egeifterung,Olein1 gebrüllt, unb in ber epaufe haben fie mir fünf Derbe aufß £eber ver»

orbnet. Der SQeumann gudteweg. Derfriegt von mir im Eeben feine ‘SRaiglödchen mehr. *21ber ein feiner EOlann ift er."

„QSaß willer bennbei unß?"

„^Seifst bu, wegen bem jweiten QJorfitjenben im Q3erein. Dafoll erft bie Sftutter juftimmen. ®ß ift fomifd),wenn einSunge waß machenwill, muh erft immer bieSJiuttermitbem &opfe niden. “2llßwenn’ß nidjt ohne baß auch gang gutginge."

„Sa, ihr hinter habt’ß fchledjt!" lächelte Sftaric.

„Sehr fehlest", bestätigte ^lauß. „9cur in ber Schule ift’ßfein; ba winft baß fogenannte Storgern rot ber Freiheit!" —

Olm 9iachmittage fam ber ßehrer S^eumann. Die ORufter wadelte, alß fie von ber Slnfunft hätte, eilenbß bie Dreppe hinauf.

(37)

„Q3leib t>odj> ba, SJlutfer", fcEjrte $lauß. „(Er ift ja gleid) t>ier. 'Sleib bocEj!"

©ie ©Rutter verfifywanb.

„©ie fämmtfiel) oben erft nod) einmal unb macht bie neue Schürfe um", buchte Ä’lauß.

©ieumann,ber inbie Stubetrat, in ber©Rarie fafj, war ein ©Rann von fechßunbjwanjig Sauren, Ijod)- gewadjfen, fportgeftählt, mit einem frifcbjen, wenn aud) nic£?t hübfchen <Sefid)t unb einer prad)tvollen blonben S5aarmäl;ne. (Er trug einen Sportanjug unb l>atte feinen Äut bei ficE). (Er verneigte fic£>

leicht vor ©Rarie unb fragte, ob er wohl einige ©Ri«

nuten bie'Jrau©ERutter fprechenfönne. ©In ©ERarieö Stelle antwortete $lauß:

„©ie ©Rutter ift, alß wir Sie fommen fa^en, bie

©reppe hinaufgefauft. Sie fämmt fid) wegen 3l;nen erft nochmal."

„Ejinauß!" rief ©Rarie empört unb wieß mit bem Ringer nach ber ©ür.

„Äinauß!" rief auch SReumann, fibeler,alß eß hätte außfallen follen.

Älauß ging Ijinauß, frod) aber burd) einoffenftehen- beß 'Jenfter wieber in bie grojje Stube jurüd unb fetzte fid) laufchenb in einen Qöinfel. ©ERarie lub ben Eehrer jum Sitjen ein, bann fagte fie feufjenb:

„©Ich, 5?Iauß ift ein fd)redlid)er kungel"

„Sa, ein ganj fchredlidjer!" betätigte ©Reumann läd)elnb.

„ Q3orgeftern hat er inber Sd)ule ©Prügel befommen 1"

„©Ich, hat er ihnen baß erjählt?"

„(Er erzählt mir alleß. ©aß mufs id) ihm laffen, er ift aufrichtig, er lügt nicEjt unb verheimlicht nic^tß."

(38)

„©aß Will fielen, gräulein Äeinrid), er ift gefunb unb unverdorben; er iff mir ein fetjr lieber Sunge."

„21 cf), wenn nur auS if>m ein tüd?tiger, anftänbiger Sftenfd) würbe!"

„QBaö idj> alle# werben foll", bad)te &lauS in feinem Qßinfel.

„Qöarumfolite erbennnidjteinorbentlidjer SJtenfcI) werben ?"

SWarie fagte bellommen:

„Qöenn in einer Familie fein Q3ater ift, bann ftcbt eö fc^Iecfjf um bie Sungen. ^lauä war erft ein Sa^r alt, al3 ber QSater ftarb. QBerWßarb war brei."

„jl’lauö ift ein fef>r munterer, QSernljarb ein feljr ftiller Ä’nabe; er ift viel beim Äerrn Pfarrer."

„©er Pfarrer unb bie SRutter wollen, bafj 93em-- f>arb ©eiftlidjer Werbe. 'ERädjffeS Saf>r foller auf»

(Spmnafium. ©leid) inbie Quarta, fjürbie erften jwei klaffen bereitet ifm ber Pfarrer vor."

„Sie waren gewifj aud) auf einer ftäbtifdjenSdnde, Fräulein Äeinridj?"

„3a, brei Saljre."

©ie Shutter tarn. Sie begrüßte ben Seljrer un»

beholfen unb fcf>ücf>fern. deumann brachte fein 2lnliegen Wegen QSefeiligung if)teö iflauä an bem geplantenSugenbbunbe vor. Sie$rau fagte,ofme ficb> ju fetjen:

„Sie müffen 9J?arie fragen; id) verfiele mid) auf biefe ©inge nid)t."

©ann fragte fie,wie eS Wof)l miteiner ©affe Kaffee fei, unb ging rafd) wieber Ijinauö nad) ber 5?üc^e.

„Sie brüdt fic£>", badjfe &lau$ in feinem QBinfel.

„QQoäu fämmt fie fic^ erft?"

(39)

Neumanntarnnun mit SDlarie aufben Sugenbbitnb ju fpredjen; er fteUtei(;r nod) einmal bie 3iele beß Q3unbeß bar unb befragte fie um il;re Meinung.

®a fagte fie mit einem leifen £äd)eln:

„3et)f möchteicf> wofylfagen: ba müffenSie Shutter befragen, id) verfiele mid) auf biefe Singe nidjt."

„©ie brüdt fid) audj", badjfe S^lauß in feinem Qöintel.

Silber SOlarie „brüdte" fid) nid)t.

„Sie wollen eß mir nid)t übel nehmen, Äerr SQeu-- mann, mand)eß in 3I;rer Schule lommt mir ganj ungewohnt vor. 3d) weif ja alleß nur von ^lauß, unb ber ift ein bummer S^raljlljanß unb ^laufen»

madjer."

©er £aufd)er im Sfflinlel ballte bie ‘Jauftunb nafjm fid) eine wilbe 'xRacfje vor.

㨧 ift foviel <5reif)eit in 3f>rer Sdjule."

„3ft benn <3reif>eit etwaß Sdjlimmeß?"

„3d) weifeßnic£)t, aberid) glaube, bei Sungen wirb leidjt 'Jredjfeit barauß."

„©aß tut mir leib ju l)ören, gräuleinÄeinrid). 3ft benn 3f>r SBruber Ä’lauß fred)?"

„3a!" fagte SUJarie.

„Slein!" brüllte eß auß bem Qßirtfel.

©ie beiben fuhren erfdjroden jufammen. Sl’lauß er»

fd)ien auf ber Q3ilbfläd)e.

„Qßarte, SOiarie, wie bu mid) verpetseft. Qßarte, ben ^rafjlljanß jaf)l’ idj bir auß. -öerr £ef>rer 91eu=

mann, f)ören Sie nidjt auf bie! ©eljen Sie lieber jur SOlutter in bie &üdje. ©ie mafjlt gerabeSl’affee, ba ift fie immer in guter £aune."

®a 9Jiarie bebrofjlidjen ®efid)tß aufftanb, füllte

(40)

$Iauß, bafj eß günftig für ibn fei, weitere Qlußein- anberfebungen nicht erft abjuwarten, fonbern fich burcf) einen Sprung burchß genferju entfernen. —

&lauß fcfjltcb ficf> in bie Gliche, wo bie SOlutter Kaffee maflte.

®r befebwerte ficb über 07?arie, fagte, fie habe ibn foforfauß ber Stube finaußgeworfen, alß ber fiebrer laut, ©a fei er ein bifchen jurn genfer wieber bereingeflettertunb fabe ficb ganj artig hinter bie Ä’ommobe gefeff. Unb er fabe gehört, wie bie 9Jiarieauf ibn geläftert unb ifn bem ßefrer verpetjt habe. Schimpfnamen hätte fie auf ifn gebraucht.

Unb baß hätte er ficb nicht gefallen laffenwollen, unb ba h«be fte ibnnocbmalß binaußgeworfen, unb jwar bießmal nicht mal anftanbßbalber burcf) bie

©ür, fonbern jum genfer finauß. ©aß laffe er ficb nicht gefallen, unb nun folle mal bie SOlutter ficb jufammennebmen, in bie Qßobnftube geben, mit ber gauff auf ben ©if<h fauen unb fagen: „3um

©onnerwetfer, wer ift fytx ber Äerr im Saufe?

Scf>! “SRarie, ich verbiete bir, meinenSohn Ä'lauß frech ju nennen,unbjurn Sugenbbunb »QBir werben“ 1 fommt erunb wirb ^weiter QSorfifenber, unb bamit baffa! Unb wer noch waß fagt, ber foll waß er­

lebenI"

©ie SQiutter fab ben tobenben 3ungen ängftlicb, aber Särtlich an- ®r war, froh 9Jtarie, ifr ßiebiing, fyatte noch anihrer QSruft gehangen, alß ber Q3aterftarb.

Q3omKirchhofweg batteihr Qßeg bireft jurQöiege führenmüffen,wo ber hungrige kleinef<f>rie. Solch Srinnerungßlicbt lif<hf in feiner grau mehr auß.

Se$t ftreicfelte fie bem Sungen järtlich ben Äopf.

(41)

„ QBillft bu jettf reingeben unb auftrumpfen, SRutter? "

„2lcb, lafjbod), Sl’tauß!" Sie ftreidjelte ibnwieber.

©a ging ber Sunge vor bie Saußtür unb bacf)fe:

SRitSRutterift baß nid>fß. Sch mufj eß mit SRarie allein abmachen. —

Sn ber QBofmftube fagte inbeß SRarie au bem Seprer:

„Qöarbaß nunFreiheit ober'Jredjfjeit?"

„^edbeit, ©reiftigfeit, wenn Sie wollen, QSorwitj, im ganjen Sungenbaftigfeit."

„Sie urteilen fel;r milbe."

„Qöar benn Sb*eigener Se^rer hier im©orfe, mein Vorgänger, fo ffrenge?"

„Sr war gut, aber er war ftreng. Q3orwit$ unb

©reiftigfeit bulbete er auf feinen $all. Sr warein fefjr guter £eprer."

Steumannnidte mit bem &opf unb fagte:

„Seh weift eß; er war ein außgejeicpneter Setter.

Sr leibet feftr barunter, auö ber Schule verbannt ju fein."

„Sie haben ihm ja bocb feine QBopnung im Sd>ul- paufe beiaffen."

„23iß auf ein 3immer fürmid?. SRebr brauche id) nicpt. Qöaß folite id) mit ber groften Qöobnung?

Sch tyitte ja gar feine SRöbel bafür."

„Sie finb nicht reich von Sauß auß?"

„Stein, Fräulein Seinrid)! S?ein Steiger würbe jemals Q3olfßfd)ullebrer. Sfjer gebt ein ©au burcft ein Stabelölw alß ein Steiger in bie Q3olfßfchule.

Sehr viele finb Seiner geworben, weil eß wohl in ihrem Stopfe recpt gut jum Univerfitätßftubium ge­ langt hätte, aber nicht in Q3aterß deutel. Sch, ber

(42)

3üngftevon fedjs vaterlosgeworbenen Kinbern, bin

£ebrer geworben von bem, was mir meine SOlutter abgebentonnte, bie Aufwartefrau war, unbvonbem, was jwei ältere Q3rüber vom ©rubenlobn unb aus ber ©ifchlerwerfffätte jufteuerten."

„©aS ift alles febr achtbar", fagte SDlarie.

„©aS ift eS! — Aber um auf Sbren altenßebrer jurüdjutommen, ben Sie fo hoch achten — er bat mich neulich gebeten, ibn bo<h einmal wieber eine Schulftunbehalten julaffen. — Q3iblifcf>e Sefchichte»

3<h war natürlich fofort einverftanben. ©er Simmel ift hoch, ber Schulinfpeltor ift weit, unb eine 'Jrei*

ffunbe herrlich. ©S War ein fchöner 'SRorgen. 3<h fehle mich in ben ©arten, um Sefte ju iorrigieren.

©och habe ich nicht lange forrigiert. 3<h muhte bem Altenjubören. ©r fah michfihen; ich habe ibn nicht heimlich belaufcht. ©r pört mir auch oft ju, wenn ich unterrichte. A<h, eS war fcfjön! ©aS

$hema war: Sofepp tvirb von feinen 23rübern ver«

tauft. Qöie baS ber Alte machte! S^icpt Wie bie Katecheten fonff, nein, wie ein Sichter, ja wie ein

^toppet. <2Bie er ben Sammer beS vertauften Knaben fchilbert, wie bie bunte Karawane jiept, Wie bie heimatlichen QJerge verfchwinben unb ber Knabe fepnfücptig bie Sänbe nach bortbin ftrectt, wo baS 3eit beS alten Q3aferS ftept. ©aS war bunt, fcbon, ergreifenb. £lnb bann, wie bie erfte Slacpt tommt, wie baS ßagerfeuer fein £icpt wirft über bie einfameSteppe. ©er Qöinb webt taltüber bie Steppe, berfinffere Stlavenpänbler lommtnod) einmal, betaffet bie ©lieber beS Angeworbenen unb berechnet, bah er wopl an bie punbert Silberlinge

(43)

an ihm verbienen fönne. ®a tommt bem ®e- fangenen ber jammervolle©ebante, bafj er nun fein SJcenfdj mehr fei — nein, ein Stüd 9}u$vief>, eine Qöare, bie man lauft unb wieber verlauft, ©ie Äeimat ift verloren, ber 23ater ift verloren, alleß ift frembunb lalt. Slur benalten ‘Sftonb am Äimmel leimt er, ber feinen Sammer fieht, aber aucE) bie filbemen tränen beß alten QSaterß befcheint. — Sehen Sie, 'Jräulein Äeinrid), wie baß ber Sille fo vortrug, ba finb mir wirllicE) bie tränen ge=

iornmen, ben ftünbern brin vielleicht auch. Sd) fchäme mich nicht, eß ju fagen. Sd? glaube, beffercn Unterricht lann eß nichtgeben, jebenfallß leinen,ber fo unmittelbar inß Äerj geht."

„6ß tvar ein herrlicher Sehrer", fagte ‘SRarie.

„SJIan follte glauben, auß ber alten Schule eineß folchen SJlanneß tonnten nur ganj gute Sftenfchen hervorgehen."

SJlarie feufjte:

„SJlan follte meinen!"

Neumann fuhr fort:

„Stad) ber Stunbe habe id> bann bem Sillen meine aufrichtige Q3etvunberung außgefprochen. ©aß tat ihm Wohl, unb er bat mid), öfter mal eine Stunbe halten ju bürfen. Sd) verfprad)eß gern. ,Stur leine Stedjenftunbe', fuhr ber Sille lächelnb fort, ,benn fo luriofe Slufgaben wie bie vom S3arbier, bie Sie neulidj ftellten, tonnte id) nidjt geben/ <Sr fehle aber gleid) befdjeiben hinju: .Solche Slufgaben finb gut, unfere in ber alten Schule tvarenalle ju lebenß- unpraltifd)*."

SJlarie fühlte fich wohl bd biefer Unterhaltung.

(44)

„©arf ich tviffen, tvaS baS für eine Aufgabe vom QSarbier tvar?"

„Ad)", lachte deumann, „baS mache ich mir fo felber jufammen. Alfo, tvenn eS Cie intereffiert, baS tvar fo: (Sin diannin ber Ctabt buchte: tvenn einer ein richtiger, feiner Äerr feintvill, muft er ftcf>

alle Sage rafieren laffen. Alfo ging er jeben Sag jum ^Barbier. ©er Äintveg unb ber 3urüdtvcg betrug je 10 Minuten. Q3eim 23arbier bauerte cS 10 Spinnten. Aßenn nun ber diann vom jtvan- ätgffen bis jum ftebjtgffen EebenSjabre fo jumda­

fieren ging, unb tvenn tvir ben Arbeitstag beS d^enfcben mit jebn Ctunben anredjnen, tvicviel Arbeitszeit verlor ber dlann für ben bar­

bier ?"

„deunbunbertSage ober runb zweieinhalbSabre", erfcboll eS auS bem Aßintel.

„©er (Scblingel ift fchonwieber ba", fagtedeumann verblüfft.

„Aßo bift bu?" fragte dtarie frfjarf.

„Ämterber 5?ommobe! ©u triegft ja bie Aufgabe bocb nicht rauS; ba wollteich bir’S blof? vorfagen."

dlarie erhob fich unb ging auf bie ^ommobe ju;

aber baS ‘Jenfter ftanb offen, unb ba tvar nichts ju machen. Cie lehrte langfam jum Sifcb jurücf.

„Fräulein Seinrich", fragte deumann ettvaS be­ nommen, „glauben Cie, baft in ber lurjen Seif, bie ich hier bin, Sbr Gruber tvilber ober, wie Cie fagen, frecher geworben ift?"

„grech tvar er fchon immer ober bod) breift. (Sr gebt jet)t gerne jur Gchule unb pafft, glaube ich, gut auf, baS ift fchon ettvaS tvert."

(45)

„HabenSie nur einwenig Sebulb mit bem Sieuen, gräulein fieinrid)." —

QSei feinem abermaligen Sprunge burd)ß genfer Wäre ^lauß beinahe an bie Sftutter angeprallt, bie einen^affeefrug nad) berSommerlaubetrug. Sie erfcbrat, nannteibn einen böfenQßilbfang unbgebot il)m bann, Herrn Sieumann unb SKarie ju fagen, fie möchten jum Kaffee fommen.

„Qld)", fagte H'lauß, „bie buben Schule miteinanber, erft batten fie Q3iblifcbe ®efd)id)te, jebt haben fte 9?edjnen, paf auf, halb werben fte fingen."

„©ufollft baß außrid)ten, waß idj bir gefagthabe", mahnte bie SRutter.

Sa ging Ä'lauß anß offene genfer unb riefin bie Stube:

„Sftarie, laffe bid) niemalß rafieren; verlierf fonft zweieinhalb Sabre vom Sehen. Sei) laffe mir von beute an einen Q3ollbart unb bieHaupthaare wacbfen wie Simfon. 23itte zum Kaffee nach ber Sommer*

laube. SRutter wartet!"

©arauf befblof 5?lauß vorficbtßbalber, baß Väter*

liebe ® eh oft zu verlaffen.

* * ♦

6ß warein wunberfd)öner ©agim fpätenSuni. ©ie Sinben blühten, von taufenb 23ienen umfummt, ber QSauerngarten ftanb in voller 33lüte: ^fingftrofen, Sltelei, ßilien, rote Sielten, aud) ein paar Siofen.

©ieUnechteunbStiägbe brachten baß lebteHeu ein.

Seht nach ber Heuernte fam im ©orfe nod) eine furze Sltempaufe biß zu ben b^fen Slrbeitßtagen ber ®etreibeernte.

(46)

©ie 93auerSfrau fafj fd)üchfernunbfcEjeu ameigenen 5ifcf). Sie hielt fich für einfältig unbfürchteteimmer, etwas ©öridjteSju fagen. So fd)wieg fiebetlommen in ©egenwart frember £eute. 2lber Neumann brachte bie 9vebe auf QBirtfdjaftSfragen, unb ba würbe fie munterer unb gab freunblidj> 93efd>eib.

Neumann fühlte fiel) wohl in bem «einen Greife,

©a lugte ber Ä’opf eines jungen 23urfd)en über bie

©artenmauer.

„Kaffee? — 3ch will aud)— acE> je, ber neue Schul»

meifferl"

©er Äopf verfchwanb. $arl war eS gewefen, ber betrunfen heimfam.

TZarie war blutrot geworben vor Scham. £Qeu»

mann, ber Q3efd)eib über Äarlwujjte,tat, als habe er gar nichts bemerft.

®l;e er ging, fagte SQiarie mit jornfeuchten 2lugen ju ihm:

,,©aS war nun mein 93ruber &arl— einer auS ber guten, alten Schule. ®S iftfchredlich!"

„gräulein Heinrich", fagte ber junge £ehrer milbe,

„ein ^reujift in jeber Familie. Sc£> habe aud) einen 93ruber, ber jugrunbe gegangenift, obwohl wir ihm alle helfen wollten. 5?arl wirb fiel) hoffentlich nod) einmal auf waS Q3effereS befiimcn."

SRarie fchüttelte mutlos ben 5?opf. €r brüdte ihr Warm bie Sanb unb ging.

Unb eS war merfwürbig: bie beiben jungen Siften»

fchen, bie fich ebenerfttennengelernt hatten, bauten freunblid) aneinanber, ja fie bachfen gern unb bau«

bar aneinanber.

(47)

5.

ZXlfrarie Äeirtricf) fahfe ben SntfcEjlu^, nunmehr vW bie Sorge für baß Qöohl unb Qßelje ihrer Familie felbft ju übernehmen. Sie SERutter war alt,weit über ihre 3ahreßsiffer alt. £angeß Qßitwen»

tum, viel Arbeit unb Sorge, wenig Erholung unb faft gar leine Freube—für eine Frau, auf bie baß Sutrifff, wählen bie Sapre hoppelt unb breifacf;.

QBilhelm ntifchte fid) in 'Familienangelegenheiten niemalß ein, fümmerte fic£> nur um bie Qöirt-- fdjaft.

So blieb bie Sorge um bie 3h>riQeri 9Rarie Seinrid) überlaffen.

lieber hatteSERariemit ber'SRufter eine ernffe 93e=

fprechung. Sie hatte ju berIlnterrebung Wilhelm jugejogen. Qßieber fagte 3Rarie:

„C£ß finbernffe Singeum unß,eßgeht fo nicht weiter, eß geht fo mit $arl nicht mehr, (fß muh anberß werben!"

Wilhelm fenlte ben 5?opf unb fchwieg.

©ie SJlutter jammerte:

„3<h hab’ ja ben A’arl fchon fo oft gebeten — er folgt mir bod) nicht — waß foll ich benn tun?

3d? fann ihnhoch nicht halten. Sr iftjung unb ftart, ich bin alt unb fchwad)."

3Rarie fagte:

„So muh ihn jemanb anberß regieren!"

„Qßer benn?"

„3d)! Qlber baju brauche ich Vollmacht. Unb bie Vollmacht muht bu mir geben, 9Rutter!"

QBilpelm erpob fiel). €r war aufgeregt, feine Gingen ftarrten ein wenig, unb er fagte:

(48)

„®« ftnb Familienangelegenheiten — ich tvill —"

„9?ein, QBilhelm, ich bitte bi<h, bah bu bleibft; bu biftunfer befterF«unb, wir brauchen beinen9?at."

„QöaS benn für Q3oIImacht?" fragte bie 9ftutter.

„©ie Vollmacht, bah ich über alles (Selb unb ®ut in beinern 9tamen verfügen fann. Qßenn ich biefe Vollmacht habe, bann habe ich auch 9Ra<ht über

^arl. ©ann werb’ ich ihn furjhaltenunb firrfriegen.

Sab ich recht, QBilhelm?"

„€« ift Sache ber Frau!"

„©arf e« fo weitergehen, Qßilhelm?"

„9lein!"

„9hm, wenn bir ba«, wa« ich vorfchlage, nicht gefällt, willft bu un« nicht etwa« 93effere« raten?"

Qßilhelm jucfte fdjweigenb bie Slchfeln.

„®laubftbu, Qöilhelm, ich lönnte eine folche QSolb macht mihbrauchen, fönnte mir felber mehr ju- ftecfen, al« mir jufäme?"

„®u würbeft für bi<h weniger nehmen al« für bie anberen."

„9hm, warum bift bu nicht für meinen Q3orfchlag ?"

„€« geht mich nicht« an", fagte SBtlhelm bumpf;

,,e« ift Sache ber Frau!"

®r ging bavon. ©ie 9Qutter ftarrte vor fich tyn.

„Reul iftber Sttltefte I QBa«wirb er fagen, wenn ich bir alle« übergebe?"

„€« ift gleich, wa« er fagt. ®r hat nicht« ju fagen.

Sauptfache ift, bah bei un« Örbnung wirb."

„3ch fann nicht! 3<h will auch nicht!" fagte bie 9Rutter.

„9lun, bann mag alle« ©ott befohlen fein. Silber bann Iah mich in Frieben fortsiehen, 97?utter! <£«

(49)

ift ja ohne mid) gegangen, als ich auf ber Sdjule

»ar. Sd) tvill mir waS fucfjen in ber 2Delt."

,,©u willff fort?" jammerte bie Sölutter.

„Sa", fagte SERarie büfter; „ icE> will nid^funtätigunb machtlos jufeben, wie &arl über ben Äof 9lot unb Sc^anbe bringt."

♦ ♦ ♦

2lm 2lbenb beSfelben ®ageS »erfpradj bie SJlutter ju tun, WaS SJlarie wünfdjte. —

21m näcbften Sonntag, halb nad) bem SQlittageffen, war bie ganje 'Jamilie in ber großen Sfjftube »er«

fammelt. Qßilbelm war nid>t jugegen, man ^>atte

»ergebens nach ibm gefugt.

®a fagte bie SJlutter: „Sch habe waS GrnfteS ju fagen. Sd) bin alt, id) tann nicht mehr alles über«

feben; icl> übergeb’ bie 'Rührung beS ÄauSbaltS Sftarie."

„QßaS foll baS beiden?" fragte 5?arl, ber 2llteffe.

„©aS follbeiden", fagtebie Shutter mit »iel fefterer Stimme als fonft, „bafj überall, wo bis jetjt id) befohlen bab’, nun bie SSRarie ju fagen bat."

„Unb baS Selb?" lauerte $arl; „belontmf fie auch baS Selb?"

„Sa, fie befommt alles Selb; wer etwas braucht, mu§ ficf> an fie wenben."

feuerrot würbe ber23urfdje. Snjäher QSut fdjlug er auf ben $ifd> unb fd>rie:

„©aS Iaffe i<f>mir nic£>t gefallen. Sd)bin ber 2lltefte, id» binjwei Sabre älter als fie; idj werb’ mich »on einer folgen Sans bod) nicht fommanbieren unb von ibr mir $afd)engelb geben laffen."

(50)

„Qöaß willft bu benntun, wenn’ß nun bod) mal fo ift?" fragte SQJarie rubig.

„3d) fd)lag’ alleß furj unb Hein unb bid> baju!"

9Rarie blieb rubig.

„©u würbeft nicht langealleß fürsunbHein fd) lagen;

benn wir würben bid> vom Äofe runterbringen."

3etjt würbe ber ‘Surfdje weif? vor ©roll unb Sajj.

„Qöer — wer würbe micf) vom Sofe Ifetuntev bringen?"

„9d>!"

©r la<f>fe lauf.

„©u? — ©u Warft eine!"

„9hm, wenn idj’ß nid)t fann, bann am ©nbe ber

©enbarm."

©arauf fanb er feine QBorte mehr. ©r ftierte fie blofj an. ©ie 9Rutter, bereu ©nergie fdjjon wieber im ©rlöfdjen war unb bie unter ber mefferfdjarfen 2lußeinanberfebung litt, fagte bittenb:

„9Jiarie, gebe nifyt ju weif, ©iekleinen finb ba!"

„©ie kleinen follen eß miterleben. Sie müffen baß fdjledjte QSeifpiel beß 93ruberß ja alle ©age aud) miterleben. Sie wiffen bod), bafj ibr Gruber ein Süffling ift!"

©in beiferer £aut, ber junge 9Jlann fiel über baß 9Räbel bet. ©ie 9J?utter haftete weinenb jur ©ür binauß, ibr folgte 23ernbarb. Ä'lauß, obgleich er

©ränen ber 2lngffin ben ^inberaugen batte, blieb jurüd unb fcbjrie: „£af? fie, Äarl — lafj fie!" ©r bing fid> anbie 3ade beß93ruberß,wollteibn weg- zerren.

9ftarie Äeinrid) War burdj ben roben Eingriff beß 23ruberßerfdjredt worben, aber fie fafjfefid) fofort.

(51)

©aß ftarte, ferngefuitbeStäbchen Würbe rafd)Sberrin über benlotterigenSäufer. Sie ergriff feine Äänbe, bog fie nad) fünfen über, bafj ihm bie ©elenfe ju bred)en brobfen, unb er muhtevor ihr in bie j^nie.

Starr faf> fie bem $eud)enben in bie Qlugen; fe- tunbenlang lief? fie ibn fnien. ©ann fagte fie:

„9hm weift bu Q3efd)eib! 3$ bin viel ftärfer als bu! Q3ergreifft bu bic£> nod) einmal an mir, fo betommft bu fdjmäblidje prügel."

Sie lief) ibnloß, unb erlief miteinertvüften©robung auß ber Stube.

♦ ♦

©rei ©age fpäter fuhr 9Rarie mit ber SJluffer nach ber ^reißftabt. Sie felbft lenfte ben ©infpänner.

Sn ber Stabt gingen bie beiben grauen ju einem Stotar. ©ort madjte bie butter ihr ©eftament unb {teilte ihrer ©odjterSftarie eine®eneralvollmad)f auß für bie QSerwaltung beß ©uteß. ©aß alleß regte bie alte fyrau fel;r auf. fijiarie brachte fie alfo inß©aftbaußjurüd, fefte fiehinter eine S^vrtion Kaffee in einen Sofawintel unb ging allein wieber nad) ber Stabt. Sie befud)te ein 23anlbauß, mad)te einige Heine ‘Seforgungen unb taufte jum Sdjlufj eine fdjwere, eiferne ©elblaffette, bie an ben 'Jufj«

hoben anjufd)rauben ging.

Sie fuhren fcbweigenb nach Äaufe. Sang behüte fich ber QBeg jwifdjen ©rlen unb Qöiefen. Schwere

©ebanfen waren in benköpfen ber grauen. Snblid) fagte bie SRutter:

„So Wäre id) alfo jetjf fertig mit bem fieben, ©aß

^eftament ift gemadjt! ©ir alleß übergeben."

(52)

„9?eut eS bi<h, butter?"

„9tein, eS muh ja fo fein. ©u wirft eS faaffen, SRarie."

©aS 9?öf;lein fcfjlicf) langfam ben Qöeg entlang.

EOiarie fah neben ber EOlutter unb tutfcE>ierte. 3wi- faen ihnen auf bem ‘Jufjboben ftanb bocljgefantet bie fawere Stahlfaffette unb beengte ben 3Mah.

„QBarum haft buben eifernen haften getauft,Elfarie.

Q.& hat unS noch niemals jemanb befahlen."

„ElRan fann nie wiffen, waS fommt."

„Elch, ’Efarie, haft bu benn etwa einen Q3erbad)t auf &arl? Sr ift lieberlich mit ben EOfabeln unb im QBirtShauS. Elber er ift boc£> fein ©ieb."

„Eifan fann nie wiffen, waS fommt", wieberholte baS 'zDläbchen.

Sieliefj baS ^ferb unbeachtet unb wanbte fich 8«r EOZutter.

„Eöir muffen Äert werben über ihn. ©ie lebten Schulben, bie er in unferen brei QöirtShäufern ge=

macht h«t/ habe ich befahltunb ben Qöirten gefagt, bah nicht mefa ein Pfennig von unS gegeben wirb.

‘Sorgen fie ihm wieber, fo ift eS ihr Schabe. Sch habe ihnen gefagt, fie möchten nicht barauf faffen, bafj Wir unSvor Schaube fürchten. Eumpenfhulben ju machenunb Eumpenjuborgen,ift eine Schanbe, nicht aber Sünbenjahlung ju verweigern."

„Sie werben fehr böfe fein auf bi<h."

„3a, fiefinb böfe. Elberbaranfaere ich mich nicht«

3<hwerbe bemÄ’arl breiEÖZarf Qßochenlohn geben.

Sr verbient noch gar nicht fo viel, ©ie brei EOlarf wirb er Sonnabenb,wennerfie befommt,vertrinfen;

bann wirb er eine Etßoche lang nüchtern bleiben

(53)

müffen; benneß wirb if)nt niemanb borgen, unb id) werbe nid)t einen Pfennig mefw an ibn abgeben.

3d) £ab ifmt geftern baß alleß gefagt."

„®u bift ju f>art gegen Ä’arl."

„Stein, id> bin nid?t ju f>art, fonbern bu warft ju weid). ©aß wirb nun anberß,unb jwar grünblid)."

Sie alte ‘Jrau weinte fttll vor fid? f)in.

„Qßaren eß benn viele Sdjulben?"

„Sa, eß war viel."

„Qöieviel benn?"

„©aß mödjte id)nidjt fagen. ©ie Sdjulben mußten bejaht werben, unb fie finb bejal)lt."

So lauten fie nad) Saufe. ©a jeigte eß fid), bafj biefjöljerne ©rufje, inberbiß jetjtint Seiitrid)ßl)ofe baß ®elb aufbewafwt würbe,erbrochen unb beraubt War. 3n ber ©ruf)e lag ein 93latt, mit Qjleiftift befc£>rieben. 5?arl teilte mit, er halte eß ju Saufe nidjt mel;r auß, er laffe fid) von einem groben Srauenjimmer, baß jwei Safwe jünger fei alß er, nid)tß fagen;erfei nun in bie weite QOelt gegangen unb habe bie paar ©rofdjen, bie in ber ©rufie ge­ wefen feien, alß Sleifegelb mitgenommen. Selber er verjidjte auf nid)tß; er werbe wiebertommen unb fein 9ted)f alß Qiltefter forbern.

Sltarie entbedte ben Sinbrud) juerft. ©ie £abe ftanb in einer Oberftube; niemanb von ben ©ienft-- leutenbatte etwaß von bem©iebftaf)lbemerft. Äarl batte fid? gegen SJtiffag entfernt; ein ©ienftjunge batte il;m auf einem <5d)ubfarren einen Koffer jum

(54)

'Sahnhofe fahren müffen. SCRarie fc£>to^ bie £abe, nahm ben SOteifjel, mit bem fie erbrochen War, unb legte ibn unten in ben Äanbwertßfaffen jurüd.

©ann fudjte fie ‘JOilhelm auf unb fragte ibn, waß er über &arl wiffe. Qöitbetm war auf bem gelbe gewefen, alß er aber von Äarlß QOeggang erfuhr, abnte er, bafj ba etwaß nicht in Orbnung fei, er ging nad) bem Heinen Cofalbalmhof unb erfuhr, bafj

$arl eine gahrfarte nad) QSreßlatt gelöft habe.

„9tun", fagte ©JZarie mit rubigllingenber(Stimme,

„fo werben wir ibn reifen laffen müffen."

21U fie nunaber bocb ber SOlutter mitteilen muffe, waß vorgefallen war, beburfte eß allihrer QÖUlenß- traft, bie äufjere 9luhe ju bewahren.

©ie SRutterlag mit^opfträmpfen im ‘Seit. ‘EOlarie fafjbei ihr, f löffle ihr QSalbriantee ein, machte fühle Ilmfcfläge, fafj bann wieber ftill ba unb bjielt bie Sanb ber leibenben grau.

„QBarviel Selb in ber ©rufe?" fragte bie 9Jiufter.

„9^ein! Q3orgeffern war viel brin, baß ^aufgelb für ben Odjfen unb bie jwei Sd)weine unb alleß

©efparte vom Q3ierteljahr. Qlber ich habe geftern bei ben Qßirten bieSdjulben bejaflt, unb alleßan­

bere, waß wir nicht brauchen, heute auf ber 93ant eingejahlt. waren fnapp funbert ‘Sftarf ba."

„55 a ft bu eß benn geahnt, SOiarie?"

„3a!"

„0 ©oft — o ©oft — ein ©teb!"

©aß ‘■Stäbchenlegte bie fühle Äanbauf baß judenbe Äaupt ber 'SJiutter unb bat fie, nidjt mehr bavon ju reben, fonbern ju verfudjen, ein wenig juruhen,

©ie grau würbe fftller, bie SVlübigfeit machte fie

(55)

füll. Qlber bann fd)lug fte bie Qlugen auf unb fragte:

„SJlarie,inber $rulje waraud) beingolbene«5?reuj unb bein (Sranatarmbanb. Äat er ba« aud) mit«

genommen?"

©a« SQläbdwn jögerte mit ber ‘Antwort, bann fagte fie:

„Sa, ba« Sbreuj unb ba« Qlrmbanb ftat er aud) mit­ genommen. S2lb<r er wirb rtic£>t viel bafür friegen, unb id) brauche feinen Sd>mud. Scf> fürchte, er wirb halb wieber ba fein."

©ie Shutter weinte wold eine Q3iertelftunbe in itjr Riffen. Sann fagte fte:

„SJZarie, id) fwffe, bafj er halb suritdfommen wirb ober 9dad)rid)t gibt. *Jür eine‘SRutter ift e« fdjred- lid), wenn fie von einem &inbe ni<f>t weif), wo e«

ift."

©arauf entgegnete SSKarie Äeinrid) nid)t«.

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