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Das G lücks* und Leidensäquivalent

W ir sprachen so o ft von einem Leidensäquivalent, ohne bisher näher präzisiert zu haben, was w ir dar#

unter verstehen.

Jedermann hat ein durchaus berechtigtes Streben nach G lück. A ber dieses G lück stellt sich fast jeder anders vor. Für den einen ist es die beschauliche Ruhe, das epikuräische Ideal, das nichts als ungestörten Lebensgenuß fordert, und im Sterben nur unangenehme Tage oder Stunden erblickt. Für den anderen ist es die E rfüllung ehrgeiziger Wünsche, Stellungen, Orden, T ite l, kurz B eifall und Bewunderung der M itw e lt, Macht, „H eroenglück“ , wie man es nannte. W ir werten eine Sache desto höher, je größere Anstrengungen ih r Erwerb kostete. L u ft und Wasser schätzten w ir, wie#

w o h l w ir ohne sie n u r kurze Z e it leben könnten, ge#

rin g , w e il genug davon da ist. Ein Diam ant steht wegen seiner Seltenheit hoch im Preise. D ie Stellung eines M inisters w ird höher geschätzt, als die eines Sekretärs, w e il es schwerer ist M inister zu werden, als Sekretär, w e il man sich im ersteren Falle sein Leben lang plagen mußte und w e il es nur wenige Minister#

posten gibt.

Schon hier erkennen w ir ein ganz genaues Ä q ui*

valent: in der Regel — Ausnahmen werden sehr selten sein — steht der E rfo lg im geraden V e rh ä ltn is z u r a u fg e w a n d te n A rb e it. H andelt es sich um Geburts*

Stellungen, dann hatten eben die Vorfahren diese A rb e it aufwenden müssen, aber auch dieser Geburtsstellung gegenüber g ilt Goethes W o rt: „E rw irb sie, um sie zu besitzen“ . Denn aller Augen sind auf die Fürsten und die Angehörigen ihrer Fam ilien gerichtet, jedermann stellt an sie hohe Anforderungen, deren E rfüllun g man fü r selbstverständlich hält, während man ein N icht*

wissen, eine menschliche Schwäche hart zu beurteilen geneigt ist.

Der Epikuräer w ird leichter glücklich sein können, als der Ehrgeizige, dafür w ird er aber auch niemals Heroenglück genießen.

Je leidenschaftlicher w ir eine Person lieben, desto unglücklicher sind w ir, wenn diese Liebe nicht erw idert w ird , oder wenn ih r Gegenstand stirb t, ja wenn w ir nu r vorübergehend getrennt sind. Sei es, daß die Qualen der Eifersucht uns foltern, sei es auch nur, daß uns das G efühl des Alleinseins, des Trennungsschmerzes, peinigt. Buddha hat m it seinen großen Leidenswahr*

heiten v ö llig recht, d. h. genau zu 50 Prozent. Denn das Leben is t genau z u r H ä lfte L e id e n , z u r H ä lfte F re u d e , z u r H ä lfte L u s t, z u r H ä lfte U n lu s t.

Ich zitiere die großen Leidenswahrheiten nach dem W erke von Herm ann Oldenberg „B uddha“ .

Bekanntlich handeln die vier heiligen W ahrheiten des Buddhismus vom Leiden, von der Entstehung des Leidens, von der A ufhebung des Leidens, und vom

Wege zur A ufhebung des Leidens. Denn daß alles Leben Leiden sei, stand ihm fest. Er spricht es so aus: „D ies, ih r Mönche, ist die heilige W ahrheit vom Leiden: G eburt ist Leiden, A lte r ist Leiden, K rankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, m it U nliebem vereint sein ist Leiden, nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden, kurz, die fünferlei Objekte des Ergreifens (d. h. das Haften an der K örperlichkeit, an den Empfindungen, Vorstellungen, Gestaltungen und an dem Erkennen) sind Leiden.“

Buddha hatte selbstverständlich dadurch, daß er die unleugbaren ^Vahrheiten konstatierte, die Absicht, die Menschen glücklicher zu machen. Denn wenn seinen Gläubigen etwas Böses zustieß, dann mußten sie es fü r etwas Selbstverständliches, fü r den naturnot*

wendigen In h a lt des Lebens halten. Eine Freude wer*

den sie schon ganz von selbst gerne hingenommen haben, von wenigen törichten Ausnahmen abgesehen, die sich der Askese, die Buddha durchaus nicht fordert, m it H aut und Haaren verschrieben hatten.

Ebenso w ahr, w ie diese Leidenslehre, wäre aber auch ih r Gegenteil. Denn wenn G eburt und Leben Leiden ist, dann kann es der Tod nicht sein, sondern höchstens das Sterben, wenn K rankheit Leiden ist, dann kann es Gesundheit nicht sein, wenn von Lieben getrennt sein Leiden ist, dann kann es m it Lieben ver*

eint sein nicht sein usf.

D ie Lust* und U nlustgefühle, Freude und Leid, G lück und U nglück halten sich in der organischen W elt ganz genau die Wagschale. In der Menschheit könnte es auch so sein, während durch U n vern un ft

tatsächlich das Leiden hier überwiegt. Das Leben ist weder ein Drama noch ein Lustspiel, sondern eine Tragödie, weder Leiden noch Genuß, sondern beides zu gleichen Teilen. So könnte es doch sein nach dem W ille n der N atur.

Was aber fü r die Menschheit als Ganzes g ilt, trifft keineswegs fü r die einzelnen In d ivid u e n zu. H ie r ist jeder seines Glückes Schmied. Jeder hat w iederholt, wie Herkules, die W ahl. A m meisten leiden müssen w ir Denker, die Schaffenden, die Genies, die sittlichen Persönlichkeiten. N ich t nu r, daß unser B eruf m it Schmerzen verbunden ist — im Gegensatz etwa zu dem des Bauern oder Tagelöhners —, daß w o h l nu r außer*

ordentlich selten die M itte l zur Erreichung unserer Ideale, und darin sehen w ir doch unser G lück, aus*

reichen: die äußere Anerkennung, der äußere Erfolg, der materielle Lohn bleiben auch in der Regel aus.

Dabei leisten w ir doch am meisten fü r die Mensch*

heit. Sicherlich aus Egoismus, aber aus einem ge*

läuterten Egoismus. Mag es nun das Schicksal sein, das uns diese Neigungen bestimmte — und das ist meine Überzeugung —, mag es auch das Schicksal sein, das uns zw ingt, der A llgem einheit zu dienen, tatsächlich tun w ir es. D ie A llgem einheit tu t aber nicht das Ih re , uns zu belohnen. Ich benötige und fordere durchaus keinen D ank noch Lohn. Letzteren werde ich m ir schon selber nehmen, und was ersteren be trifft, so muß sich erst zeigen, ob ich auch w irk lic h das erreiche, was ich m ir vorgenommen habe: mög*

liehst vielen Menschen m öglichst v ie l Gutes zu tun.

H ie r entscheidet der Erfolg. Ist er einmal da, dann

w ird auch der D ank nicht fehlen und b leibt er aus(

dann habe ich darauf auch keinen Anspruch.

W ie wunderbar weise ist es doch in der W e lt eingerichtet: wer keiner großen Leiden fähig ist, wer durch sein ruhiges Temperament gegen heftige Er#

schütterungen gefeit ist, hat es vie l leichter glücklich zu sein, als der Mensch m it reichem Innenleben. Der Bauer, der U ngebildete, das K in d , sie alle überlassen sich zügellos einem Schmerz, und nach wenigen Tagen ist das frühere G leichgewicht wieder hergestellt. Das bezeugen die Leichenschmäuse, die fast überall auf dem Lande und bei ha lbkultivierten V ö lke rn Sitte sind.

W ir beherrschen uns, und darum nagt der Kummer, die Sorge usw. lange an uns. D afür fördern die Leiden unsere sittliche Persönlichkeit, erhöhen unseren W ert als Mensch — und das ist doch die Hauptsache , und erschließen uns den Weg der inneren Erfahrung, des Erlebens, der zwar dornenvoll ist, aber uns der abso#

luten W ahrheit, die man nicht lernen, sondern n u r er#

le b e n k a n n , näher bringt. D ie andern müssen uns eben glauben. U n d wenn sie es nicht w o lle n, dann bleibt ihnen w o h l nichts anderes ü b rig , als unseren Leidensweg auch zu gehen. A ber die Allerw enigsten nu r werden so w eit kommen, wie w ir.

Der G läubige, der Religiöse, der M ann, der in der Beichte sein beladenes H erz erleichtert, sie haben es alle viel, v ie l leichter, als w ir. A b er dafür werden sie sich w o h l kaum der menschlichen V ollkom m enheit, die a lle s begreift und zu verzeihen bemüht ist, noch der absoluten W ahrheit so w eit nähern, wie w ir Z w eifler.

A ls ich den W eltgeist schauen durfte, da hätte ich

am liebsten allen Leuten zugerufen: so freut euch doch eures Lebens! Es ist ja alles so wunderbar weise in der N a tu r eingerichtet! Ih r alle habt ja vie l mehr Freude und Lust und G lück, als das Gegenteil, oder ih r könntet es doch haben, wenn ih r verständig wäret, nur w ir wenigen, „d ie was davon erkannt“ , haben es nicht.

U n d wenn ih r trotzdem unglücklich seid, dann ist es fast im m er eure eigene Schuld. Ih r verzichtet auf die harmlosen Freuden der Liebe, deren Genuß im W ille n der N a tu r lie g t, ih r macht euch törichte Sorgen um das Jenseits, statt euch zu bemühen, gute und anstän*

dige Menschen zu sein, und das übrige der W eisheit des Schicksals zu überlassen. Ih r werdet durch Ent*

täuschungen verb ittert und w undert euch dann, wenn die andern den Menschenfeind nicht lieben. W ürdet ih r sagen: „Ic h tra f es schlecht. Darum sollen es an*

dere besser haben,“ dann w ürdet ih r bald keine Ursache zur V erbitterung mehr haben. Ih r krankt an der tö*

richten V orstellung, daß w ir fü r die Gesetze, w ir fü r die M ora l da seien. Es ist doch umgekehrt. D ie Ehe, das R e cht, d ie M o ra l s in d d o ch fü r d ie M e n s c h h e it da! Das Gute ist die menschliche W ohb fahrt, euer Gewissen sagt euch schon, was ih r zu tun habt!

Es g ib t eine a b s o lu te ird is c h e G e re c h tig k e it.

Die gute Tat findet ihren Lohn in sich, das Böse seine Strafe in sich. W er die Laufbahn des Vagabunden ergreift, wer sich nicht mühen w ill, der muß von der H and in den M und leben, und b rin g t es zu nichts.

Der Verschwender w ird m it dem größten Einkommen eines Tages au f der Straße sitzen und der Sparsame

m it dem kleinsten mehr haben, als er braucht. Es gibt ein v ie l einfacheres M itte l, als rastlos dem G eld nachzulaufen: seine Bedürfnisse einzuschränken. Dem Ehrgeizigen geschieht es ja ganz recht, wenn er nie zu*

frieden sein w ird . D afür leistet er aber wieder mehr als andere.

Tatsächlich hat der K önig dasselbe G lück oder doch dieselbe G lücksm öglichkeit, als der Tagelöhner, aber er muß sich mehr plagen, er hat einen w eit schwierigeren Beruf. Den schwersten aber haben w ir.

Jetzt bin ich glücklich, soweit ein denkender Mensch es überhaupt sein kann, w e il ich hoffe und zwar m it begründeten Aussichten — m ir und anderen noch sehr vie l Gutes tun zu können. W e il ich überzeugt bin, daß ich die U nsterblichkeit in Händen halte. Es werden noch sehr, sehr viele Kämpfe, Prüfungen und Versuchungen, Gefahren und Leiden zu überwinden sein. A ber unser Leben ist nun mal eine zu lösende Aufgabe und zwar eine sehr schwierige, kein Kinder*

spiel. Ich hätte ja einen anderen B eruf wählen können.

Nach meiner N eigung würde ja die Z u ku n ft an*

ders sein: in Ruhe würde ich die Resultate meiner A rb e it genießen, ich und andere, ich würde lieben und geliebt werden, wonach ich m ich mein ganzes Leben lang gesehnt habe, o ft vergeblich. A ber das Schicksal, das m ir das D aim onion verlieh, w ird es w o h l besser wissen, als ich. Ich bemühe m ich meine A rbe it, meine Aufgabe so gut zu lösen, wie es in meinen Kräften steht und werde im m er glücklich sein: habe ich M ißerfolg, dann tröste ich mich m it meinem guten W ille n , habe ich Erfolg, dann brauche ich keinen Trost,

sondern nu r die K raft, das G lück m it Anstand und ohne Selbstbeweihräucherung zu ertragen. Stößt m ir ein schweres Leid zu, dann habe ich dafür als Äqui#

valent eine geniale W elle, die meine Erkenntnis för#

dert und anderen dient, und wenn ich keine W elle mehr bekomme, dann bin ich dafür von großen Leiden frei. Verliere ich einen A rm , dann freue ich mich, daß ich den anderen noch habe, und sterbe ich früh, dann freue ich m ich — darin bin ich besonders egoi#

stisch —, daß ich die Personen, die ich liebe, nicht überleben muß.

A b er ich werde mich meiner H aut wehren und tun, was in meinen Kräften steht, die Aufgabe durch#

zuführen, zu der mich das Schicksal bestimmte.

Das w ird sich ja alles bald zeigen. Denn die Menschheitsmoral, die der fernsten Jahrtausende, for#

dert es, daß je d e r bestrebt ist in seinem Kreise, als Tagelöhner oder K önig, seine Anlagen auszubilden, sich durchzusetzen, so w eit es in seinen Kräften liegt, tunlichst vie l W erte zu schaffen, d. h. sich se lb st nach Kräften zu nützen, niemand mehr zu schaden, als es nötig ist, aber einen K am pf durchaus nicht zu scheuen, noch die V ernichtung des Gegners, wenn es kein milderes M itte l gibt, seiner H e rr zu werden. D ie le tz te In s ta n z is t d ie M a c h t: des G eiste s, des W ille n s , o d e r des K ö rp e rs.

G lück hat m it Lust und U n lu st w enig zu tun;

es ist der Zustand innerer Zufriedenheit, der aequitas anim i, die H eiterkeit der Seele. Ich gab manchen Fingerzeig, wie w ir ih n uns erhalten können, aber es handelt sich doch nu r um M ittelchen. Das W ichtigste

ist, m öglichst frühzeitig seine Neigungen zu erkennen und nach Kräften sich bemühen, ihnen gemäß zu leben.

Der Träumer, der einen praktischen B eruf ergreift, etwa als M ilitä r oder Kaufm ann, muß notw endig un#

glücklich werden, während er als Philosoph, D ichter oder M usiker vielleicht sehr glücklich sein könnte.

A us der Beamtennatur kann man keinen zufriedenen Künstler machen usf. Darum w ird im wesentlichen die Aufgabe der Eltern darin bestehen, die Neigungen ih rer K inder m öglichst frühzeitig zu erkennen, und sie fü r einen B eruf zu erziehen, der diesen entspricht, nie*

mals aber die K inder in einen B eruf zu zwingen, der den Eltern entspricht.

W er ein äußerlich glückliches Leben fü h rt in Reichtum, Glanz, Ansehen und Ehren, w ird aller V or*

aussicht nach den Tod fürchten. W er ein unglückliches Leben fü h rt, ih n aber erhoffen. W er sich m it großer Rücksichtslosigkeit, indem er seinen Trieben und nie#

deren Idealen fo lg t, durchsetzt, skrupellos Existenzen vernichtet, ohne zu bedenken, daß man das, außer in N otw ehr, nu r darf, wenn man sich se lb st n ü tz e n d auch z u g le ic h d e r A llg e m e in h e it W e rte z u fü h rt, w ird vielleicht E rfolg im Leben erzielen, aber das Ge#

wissen w ird sich da und d o rt regen, er w ird verhaßt sein und persönliche Feinde sind unbequem. W er sich fü r andere bemüht — ohne sich natürlich dabei zu ver#

gessen —, w ird dagegen von vielen geliebt werden, und das halte ich fü r das Beste im Leben.

Jeder kann seiner Veranlagung, seinen Neigungen nach wählen, aber dazu muß man in te llige nt und willens#

stark sein, sich stets vo r Augen halten, daß jede W are

K e m m e r ic h , Das Kausalgesetz. I I 5

bezahlt sein muß, und die kostbarste natürlich auch am teuersten. Das machen sich aber die wenigsten Menschen klar. A lle s verläuft nach Ursache und W irkung, a lle s muß bezahlt oder verdient werden. Darum gehe ich m it vollem Bewußtsein den größten Unannehm lichkeiten entgegen, w iew o hl das m it meinem Berufe gar nichts zu tu n hat, denn die U nsterblichkeit wäre m ir auch sicher bei einem beschaulichen Leben, nu r w e il ich lieber der Stimme des Daim onions folge, als sie über#

höre, und w e il ich überzeugt b in , daß ich einmal ein sehr, sehr schönes A lte r haben werde, w ie ich es m ir wünschte: geliebt von sehr vielen Menschen, denen ich sehr v ie l Gutes tat. Dazu angesehen — das ist auch ein hohes G ut, aber fü r m ich nicht das höchste - , reich und mächtig.

Is t die Summe der Lustgefühle in der Menschheit gleich der der U nlustgefühle, das G lück dem U nglück, die Freude dem Leid nach dem W ille n der N a tu r genau gleich, so ist doch durch menschliche T orheit in W ahrheit das Leiden w eit überwiegend.

A ls ich meine geschilderten inneren Erlebnisse hatte und durch das innere Auge die verborgenen Kümmernisse gewahr w urde, sah, daß fast ausnahms#

los alle, alle etwas drückte, und am meisten die Reich#

sten und M ächtigsten, die M inister und M illio n ä re — das konnte ich in diesen W ochen ja ganz genau be#

urteilen —, da hätte ich ihnen allen zurufen mögen:

so seid doch nicht so tö rich t, und freut euch doch eures Lebensl W ie wunderbar weise ist alles ein#

gerichtet, w ie gerecht ve rte ilt die N a tu r ihre Gaben, wie hat ein jeder von uns, w o und wie er auch ge#

boren sei, welchen B eruf er ergriffen haben mag, genau die gleiche G lücksm öglichkeit, w ie irgendein anderer.

M acht er von ih r keinen Gebrauch, so ist es in erster Linie seine eigene Schuld.

A ber sehr viele Leiden werden auch ganz un#

nötigerweise, d. h. so, daß es weder die N atur, noch das allgemeine Beste, die W ohlfahrt der Gesamtheit erfordert, erzeugt. W ie viele Verärgerung w ird etwa durch die Polizei, durch törichte Gesetze und mora#

lische oder gesellschaftliche V o ru rteile in die W e lt ge#

tragen! W ie manche sittliche w eibliche Person w ird geächtet, w e il sie dem W ille n der N a tu r folgte, und die Freuden der Liebe genoß, w e il sie noch mehr tat, und sogar einem Kinde außerhalb der Ehe das Dasein gab, ja, dieses K in d treu behütete! W ieviel müssen die Unehelichen, die doch bei gleicher Tüchtigkeit auf die#

selbe A chtung Anspruch erheben können, wie irgend#

ein anderer, unter den Verfolgungen der moralischen Meute leiden.

Es ist eine Experimentalaufgabe der menschlichen Gesellschaft, das M inim um ihrer Forderungen an den Einzelnen m it dem M axim um der ihm ohne Gefahr#

düng des Ganzen einzuräumenden Pflichten zu ver#

einbaren. Das g ilt natürlich als Forderung auch vom Staat, der bestrebt sein muß, jedem Bürger soviel Be#

wegungsfreiheit zu gewähren, als sich m it seiner Selbst#

erhaltung, m it seinen Interessen verträgt.

Ich betrachte es als großen Irrtu m , anzunehmen, daß jem and, der widerstrebend irgendeine P flicht e rfü llt, das doch letzten Endes nu r deshalb tu t, w e il ihm das Bewußtsein der P flichterfüllung eben doch

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lieber ist, als das Gegenteil. D ie armen Leute, die w id e rw illig einen B eruf ausüben, wo sie doch zu einem anderen Neigungen hätten, in ihm m it dem Lustgefühl der P flichterfüllung zugleich die Freude an der A rb e it verbänden, sind M ärtyrer. So wenig ich einen Hasen loben kann, w e il er Gras friß t, den Löwen aber tadeln darf, w e il lebende Tiere seine N ahrung bilden, so wenig kann ich ohne weiteres dem sanften Menschen vo r dem Draufgänger den V orzug geben. Beide folgen ihren Anlagen und Neigungen, diese aber sind an sich jenseits von gut und böse, erst der Gebrauch, der von ihnen zum Segen oder Unsegen der Menschheit ge*

macht w ird , ordnet sie diesen W erturteilen unter. Die Gesellschaft aber entscheidet, ob sie ein In d ivid u u m in ihren Reihen belassen, oder ausmerzen w ill.

W ie es Krankenschwestern und Asketen aus Nei#

gung g ib t, so auch solche aus P flichtgefühl bzw. aus Berechnung: in der H offnung auf jenseitige Vergeltung.

M uß die Gesellschaft den ersteren — natürlich nicht den Asketen, die m it ihrem Pfunde nicht wuchern, sich künstlich vertieren — ein Ä q uiva le nt bieten, genau wie den andern, so ist doch die menschliche W ertung beider sehr verschieden. Denn, so tö rich t es auch ist, ungezwungen einen unseren Neigungen und Ver#

anlagungen nicht entsprechenden B eruf zu ergreifen, so verdient doch die ständige Selbstzucht und Selbstver#

leugnung Bewunderung.

Daß ich das Leben eines Denkers dem eines Lebe#

manns und Schürzenjägers vorziehe, tro tz der vielen Leiden, die es m it sich bringt, verdient gar keine An#

erkennung menschlicher A rt. Denn dam it folge ich

nur meinen Neigungen, wie der Gras fressende Hase.

nur meinen Neigungen, wie der Gras fressende Hase.

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