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Das Kausalgesetz der W eltgeschichte

A ls bestimmte Ind ivid ua litä te n, bestimmt durch vieltausendjäbrige E inw irkung der im vorigen Kapitel betrachteten Faktoren (Ernährungsweise, Klim a, Boden*

Beschaffenheit, geographische Lage, Nachbarn) auf die schon v o rh a n d e n e n seelischen Anlagen, über deren W urzel w ir gar nichts wissen, da alle Psychologie ja von der Voraussetzung des Vorhandenseins einer Seele ausgehen muß, treten die V ölker zu verschiedenen Zeiten in das Licht der geschriebenen Geschichte. Sei es, daß sie es selbst lernten, ihre Taten aufzuzeichnen, sei es, daß fortgeschrittenere Nachbarn, etwa die Römer als solche der Germanen, über diese berichten. Reden w ir daher von einer „geschichtslosen Z e it, so heißt das nur, daß w ir diese Geschichte nicht oder doch nur sehr unvollkom m en kennen. Die sogenannte „Geschichte nim m t einen winzigen B ruchteil der tatsächlichen Ver*

gangenheit der Rassen und V ölker ein.

W ir w ollen nun die Ursachen und den M odus aufdecken, die die W eiterentw icklung dieser Völker*

Individualitäten bestimmen, das heißt, analog der In*

dividualpsychologie zeigen, wie bestimmte Reize aut sie entsprechend der V e rs c h ie d e n h e it ihrer Charak*

tere, Anlagen und Reaktionsgeschwindigkeit w irken, was,

wie w ir sahen, die Feststellung einer gleichen Reaktion auf gewisse andere Ursachen nicht ausschließt.

Unsere Gesetze gelten demnach zunächst nur fü r in das Licht der Geschichte bereits eingetretene V ölker, nicht aber fü r N aturvölker und kleine V olkssplitter, sind aber trotzdem sow ohl auf die Vorzeit, als auch auf die Z u ku n ft anwendbar. Denn es handelt sich um Naturgesetze, gewonnen, wie alle, aus der Erfahrung.

Es ist ein großer Irrtu m der modernen Forschungs*

methoden anzunehmen, daß nur das w illk ü rlic h wieder*

holbare Experim ent einer Beobachtung Beweiskraft ver*

leihe. D am it würden w ir etwa die Astronom ie, die älteste aller Wissenschaften, entthronen, da ja sie sich ausschließlich auf Beobachtung der Erscheinungen be*

schränken muß. Daß sie trotzdem die A ufstellung von Gesetzen erlaubt, weiß jedermann. Dasselbe g ilt von der Geschichte. Es g ilt auch von der In d ivid ua l*

psychologie, in der die Anw endungsm öglichkeit des Experimentes außerordentlich beschränkt ist. W enn nicht jeder in gleicher Weise auf gleiche Reize reagiert, nicht zum zeitlichen oder räumlichen Fernsehen, zum Gedankenlesen oder zu Telepathie veranlagt ist, so er*

laubt das bei Nachprüfung doch nur diesen Schluß, nicht aber den, daß deshalb die genannten Fähigkeiten überhaupt nicht existierten. U nd wenn V ölker auf gleiche Reize nicht gleich reagieren, so kann das doch auch nu r den Schluß zulassen, daß sie eben andere A n la g e n besitzen, als diejenigen, auf G rund derer die bisherigen Resultate erm ittelt wurden.

W enn w ir daher nachstehend versuchen die Ge*

setze der Mechanik, Biologie, Individualpsychologie usw.

auf die Geschichte anzuwenden, im Glauben dam it A lb gemeingültiges gefunden zu haben, so liegt es auf der H and, daß die obigen Erwägungen zu beachten sind.

Z u r Zukunftsberechnung kom m t es vo r allem auf eine richtige A n w e n d u n g der erm ittelten Gesetze und Regeln an. Es leuchtet ein, daß diese, genau wie die ärztlichen H e ilm itte l, nur auf G rund einer sehr ge#

nauen Kenntnis der Verhältnisse, auf die sie Anwen#

düng finden sollen, m öglich ist. Die Befürchtung, daß man m it meinen Gesetzen sehr wenig w ird anfangen können, g ilt nicht fü r m ich, wie w ir später am Bei#

spiel Deutschlands, das eingehend betrachtet werden soll, sehen werden.

W ir bewiesen im vorigen Bande, daß es ein Fatum gibt.

Die Individuen, wie die Völker, glauben an abso#

lute W illensfreiheit. Dieser Glaube aber ist Illu s io n . Es gibt nur eine ganz b e sch rä n kte W a h lfre ih e it, fü r den Einzelnen so gut, wie fü r die V ölker. N u r daß beide in den allerseltensten Fällen wissen, wann das u n e n trin n b a re Schicksal ihnen gegenüber steht.

Das w iderspricht der Kausalität durchaus nicht, wie w ir sahen. Es würde ih r auch nicht widersprechen, wenn die W ille nsfre ihe it absolute Illu sio n wäre und es keinerlei W ahlfreiheit geben würde, denn wenn das Schicksal (Kism et, Fatum ) uns dann auch unentrinnbar alles und jedes zugewiesen hätte, so wären w ir trotz#

dem noch Herren über unser Karma.

Da es aber, wie früher ausgeführt, keine absolute W illensfreiheit, selbst in scheinbar noch so w illkü rlich e n Handlungen gibt und geben kann, da, wie jedermann weiß, die „Verhältnisse“ stärker sind, als der Mensch,

da es auch einen Z u fa ll gibt, mag dessen Bereich auch noch so w inzig kle in sein, so ist W ahlfreiheit vorhan#

den, fü r die Einzelnen, wie fü r die Völker, wenn ih r Bereich auch m inim al sein mag. A ber, wie betont, dieses w in z ig e E tw as is t das A u ssch la g g e b e n d e .

A ls Gelehrte haben w ir selbstverständlich stets die Kausalität, die Ä quivalenz von Ursache und W irkung, zu betrachten. Denn nur die wirkenden Ursachen in der Vergangenheit können w ir teilweise oder ganz er#

m itte in , während w ir hinsichtlich des Schicksals auf Vermutungen angewiesen sind.

Abweichend von den andern Geschichtsphiloso#

phien w ollen w ir hier lediglich die Frage ins Auge fassen, wie die Nationen und Staaten wachsen und vergehen, d. h. auf G rund welcher Gesetze sich ih r Leben abspielt, um dadurch Handhaben zu gewinnen zur B e re ch n u n g ihrer Z uku nft. W ir lernen es da#

durch einerseits dem Unentrinnbaren gefaßt ins Auge zu sehen, andererseits aber vermeidbares U n h e il ver#

nunftm äßig zu bekämpfen.

Denn wie O stwald rich tig erkannte, muß es eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft sein, die Z u ku n ft zu berechnen, möglichst w eitblickend zu er#

kennen, welche Folgen sich aus bestimmten Erscheinungen oder Maßnahmen ergeben.

Das war bisher nicht oder doch nu r sehr unvoll#

kommen der Fall, wenn auch nicht verschwiegen wer#

den soll, daß Ratzel den Untergang der Burenrepubli#

ken aus ihrer geographischen Lage zu erschließen ver#

mochte. M it einer solchen einzelnen E rm ittlung ist jedoch nicht v ie l gewonnen.

W ir müssen es lernen, analog den divinatorischen Wissenschaften, die aus gewissen Anzeichen die Zu#

ku n ft der Individuen m it großer W ahrscheinlichkeit zu erm itteln gestatten, auch die der V ölker und Staaten vorherzusehen, denn nur dann w ird die P o litik zu einer erlernbaren Wissenschaft, die es nicht mehr nötig hat, in den meisten Fragen im D unkeln zu tappen und auf Kosten des W ohles der V ölker zu experi#

mentieren.

Gewisse Ä hnlichkeiten der beginnenden römischen Kaiserzeit m it der Gegenwart, die Aufeinanderfolge vieler politischer, w irtschaftlicher und ku ltu re lle r Er#

scheinungen in der Reihenfolge: England — Frankreich

— Deutschland sind zwar bekannt, in ihrer außer#

ordentlichen praktischen Bedeutung jedoch noch nicht im entferntesten erkannt.

W enn auch eine mechanische A nw endung der in diesen Ländern gemachten Erfahrungen sich m it Rück#

sicht auf die Verschiedenheiten der Anlagen der ge#

nannten Nationen verbietet — so verläuft etwa die m ittelalterliche Geschichte Frankreichs zentripetal, die Deutschlands zentrifugal, im ersteren Lande vollzie ht sich die E ntw icklung im Sinne einer Stärkung der königlichen G ewalt, in Deutschland aber einer Erstar#

kung der lokalen Gewalten — so da rf und muß der H istoriker doch die Nutzanwendung aus vielen Ver#

gleichsmomenten ziehen.

Doch so w ichtig, ja unentbehrlich zur Zukunft#

erm ittlung diese V o rb ild e r auch sind, w ir versuchen, ohne sie natürlich aus den Augen zu verlieren, auf anderem Wege uns der Lösung zu nähern.

Kemmerich, Das Kausalgesetz. I I 11

V

Betrachten w ir zunächst die Ursachen fü r den Unter*

sang von Staaten und Völkern.

W ie der körperliche Tod der In d ivid u e n zwar eine durch lückenlose In d u ktio n erhärtete Erfahrungstatsache ist, jedoch nicht auf zwingender Kausalität beruht, so ist auch der Untergang von Staaten und V ölkern weiter nichts, als eine Erfahrungstatsache. Im Unterschiede zum Tode des Individuum s beruht diese aber nicht aut lückenloser In d u ktio n .

Es gibt Staaten und V ö lker, die niemals ve rtilg t wurden und w o h l auch niemals ve rtilg t werden. Sei es, w e il die A nzahl der In d ivid u e n so groß ist, daß diese Masse allen Erschütterungen und Eingriffen von außen standzuhalten vermag - das g ilt etwa von den Chinesen - , sei es, daß eine günstige geographische Lage, die U nzugänglichkeit oder A rm u t des Gebietes, die dem Eroberer keinen A nreiz gewährt - etwa bei den Basken, Albanesen oder in Atropatene (Äser*

beidschan) — ihre Dauer garantiert. Oder auch, daß das feste Gefüge der Rasse in Verbindung m it religiösen Momenten die Nationen m itten unter fremden V ölkern und in fremden Staaten ih r Sonderdasein führen laßt, was fü r die Juden oder Zigeuner zu trifft. Endlich w ird die Kom bination verschiedener beharrender Faktoren auch kleinen V olkssplittern Dauer verleihen.

Im m erhin sind Staaten und V ölker, die im W andel der Zeiten sich behaupten konnten, relativ selten. Die Erfahrung le h rt vielm ehr, daß auch diese ähnlichen Gesetzen unterw orfen zu sein scheinen, wie die Ind i*

viduen, daß auch hier auf eine Blüte der V e rfa ll folgt.

V on einer generellen N otw endigkeit ist allerdings keine

Rede. Vielm ehr besteht begründete Aussicht, daß m it E rm ittlung der Ursachen des Verfalles auch die Mög*

lichke it oder gar W ahrscheinlichkeit besteht, ihm zu steuern oder doch ih n zu verzögern. Das aber ist bei Kulturstaaten von ausschlaggebender Bedeutung, vom höchsten Werte fü r den Fortschritt der Menschheit, da durch dieses Verzögern m inder entwickelte V ölker Z e it haben, sich auf eine höhere Stufe der G esittung zu erheben.

Jede N ation und jedes Staatswesen kann sich nur behaupten oder doch entwickeln im Kampfe m it an*

deren Nationen und Staaten. Diese Konkurrenz, dieser Daseinskampf b ild et verschiedene Eigenschaften aus, die sie zu diesem Kampfe befähigen, dem Gegner über*

Cgei f macEen‘ Es tr itt eine Spezialisierung ein, die nach dem Gesetz der progressiven Vererbung leicht zu einer H y p e rtro p h ie führen kann, die eine Rückbil*

düng und dam it Anpassung an die im Laufe der Z e it gewandelten Verhältnisse unm öglich macht.

. ^ ery Ete etwa Spartas Daseinsmöglichkeit inm it*

ten feindlicher Völkerschaften auf ganz einseitiger Aus*

bildung der kriegerischen Tüchtigkeit. D urch Lykurgs Gesetzgebung wurde alles ferngehalten, was irgendwie geeignet erschien, diese kriegerischen Talente zu gefähr*

i ef ' W7lr seEen> daß diese sich zwar in außerordent*

licher Weise entfalteten, die andern Fähigkeiten aber 7ef ummerten. W ährend das übrige Griechenland eine beispiellose Blüte von Kunst und Wissenschaft, von t e und Industrie erlebt, stagniert Sparta, w ird

a urc im W irtschaftskampfe überflügelt und muß esto sicherer zugrunde gehen, als die fortgesetzten

l i *

Kriege m it einem Menschenverlust verbunden waren, den die kleine N ation auf die Dauer nicht bestreiten konnte. Sparta ging also an H ypertrophie der gleichen Eigenschaften zugrunde, denen es seinen Bestand und seine Größe einst zu danken gehabt hatte.

Ä h n lich in Rom: im Kriege erstarkt, durch fort*

gesetzte Eroberungen und Unterwerfungen fremder Länder sieggewohnt, dehnte sich das Reich immer weiter aus. Es fraß Länder, zu deren Verdauung ihm auf die Dauer die Kräfte fehlten. Die Bevölkerung Italiens, groß und tüchtig genug, das eigene Land gegen alle A n g riffe zu verteidigen und die Nachbarn zu unterwerfen, konsumierte sich in ununterbrochenen Kriegen. Die Z a h l der U nterworfenen besiegte die geringe Z ahl der Herren, rein mechanisch. Schließlich blieb fast nur mehr der römische Name, die römische Organisation übrig, ein Adernsystem gefüllt m it frem*

dem Blute. Es gab in den ersten Jahrhunderten um serer Zeitrechnung zwar noch ein römisches Reich, aber kein römisches V o lk mehr.

Ä h n lich w ird voraussichtlich in absehbarer Z eit das Schicksal Englands sein. A uch dieses W eltreich, in seiner Ernährung ganz abhängig von den unter*

worfenen Ländern, w ird m it dem M om ent zugrunde gehen, w o die Provinzen ihm entrissen werden. Dieser A ugenblick muß aber m it N otw endigkeit eintreten, da die numerisch zu schwache Bevölkerung des Insel*

reiches v ie l zu große fremdrassige Volksmassen unter*

w arf. W enn aber die W eltherrschaft zusammengebro*

chen ist, dann w ird es zu spät sein im engeren Rah*

men die alte Tüchtigkeit neu zu entfalten. Das V o lk

verlernte die Bestellung der Ackerscholle, diese Vor*

bedingung dauernder K raft.

Auch Preußen wurde inm itten von Feinden und im Besitz eines armen Landes groß durch die hohe moralische Tüchtigkeit seiner Bürger. Kriegerischer M u t und m ilitärische D iszip lin , peinliche bureaukrati#

sehe Gewissenhaftigkeit des Beamtenheeres, Unterord#

nung jedes Bürgers unter den Staatsgedanken bilden das Fundament dieses Staatswesens, die Voraussetzung zu seiner welthistorischen Bedeutung.

A ber die Z e it schreitet fo rt und m it der Wand#

lung des Zeitgeistes vo llzie h t sich auch eine solche der zu lösenden Aufgaben, der M itte l, die diesem Zweck angemessen sein müssen. Wenn die m ilitärische und organisatorische Tüchtigheit der Preußen, ganz wie die gleichen Eigenschaften der Römer, auch heute noch und in Z u ku n ft w e rtvo ll und unentbehrlich sein wer#

den, so hat sich doch der bureaukratische Geist der Pedanterie überlebt. G elingt es nicht, ih n noch recht#

zeitig abzulegen, die Bevorm undung der Bürger auf das Notwendigste zu beschränken, dann w ird Preußen an denselben Ursachen zugrunde gehen, denen es seine Größe zu danken hat. Denn es macht sich dadurch im In# und Auslande ganz unnötig unbeliebt, erzeugt Spannungen, ohne die Ventile zu öffnen.

Es ist fü r alle Zeiten eine Experimentalaufgabe der Regierungskunst, m it einem M in d e s ta u fw a n d von M itte ln einen m öglichst großen Nutzungskoeffizienten zu erzielen. Das heißt Staatskunst. Sie ist unvollkom m en, wenn der Staat dem In d ivid u u m so große Freiheiten einräumt, daß dadurch die höchste Ausnutzung seine r

Kräfte gefährdet w ird . Das geschieht etwa, wenn die Gestattung der Latifundienw irtschaft weite Landstriche entvölkert, oder wenn das Manchestertum zur Vernich#

tung ganzer Volksschichten fü h rt, die zwar Wirtschaft#

lieh schwach, in te lle ktu e ll mäßig begabt sind, aber in ihrer Masse doch w ertvolle Bestandteile der Allgemein#

heit bilden.

Die griechischen Kleinstaaten gingen zugrunde an der übermäßigen Freiheit, die dem Einzelnen auf Kosten des Gesamtorganismus b e w illig t wurde. Die Gefahr einer Pöbelherrschaft auf der einen Seite, die einer bru#

talen Vergewaltigung der Massen auf der anderen, ist groß, wenn der Staat dem Einzelnen zu vie l Aktions#

freiheit einräumt. Der Zusammenbruch der Türkei 1912 war eine Folge der mißverstandenen „F re ih e it“

und „G leichh eit“ .

Andrerseits ist die Regierung eines Landes mangel#

haft, wenn durch sie die Freiheit des Bürgers derart eingeschränkt w ird , daß dadurch die höchste Ausbil#

düng seine r Anlagen verhindert w ird . So in Polizei#

Staaten m it ihrem Bevormundungssystem.

Ideal ist jene Regierungsweise und Regierungsform, die z u g le ic h höchste Energieentfaltung von Staat u n d In d ivid u u m verbürgt. D ie englische nähert sich die#

sem Ideal, hat jedoch durch Schwächung der M acht des Oberhauses, dieses notwendigen stabilen Faktors in jedem Staatswesen, bereits den abschüssigen Weg beschritten. Die beste Regierung ist im m er die, von der man am wenigsten m erkt, deren Apparate ohne Reibungen und Geklapper funktionieren.

Es handelt sich jeweils um die experimentelle Fest#

legung der G renzlinie, die die vitalen Staatsinteressen von den Individualinteressen scheidet. Diese ist von der Psyche der Untertanen abhängig. Da sich aber auch sie im Laufe der Z e it ändert — trotz relativer Konstanz der Rassencharaktere —, so m uß sich die Ver#

fassung und Regierungsweise den veränderten Verhält#

nissen anpassen. Es tob t ein ununterbrochener latenter Kam pf zwischen den sich wandelnden Faktoren und der Konstanz der Staatsverfassung. Dieser Kam pf ist segensreich, wenn er Kräfte weckt, ohne zugleich be#

deutende W erte zu vernichten.

W enn die Inkongruenz zwischen der Staatsform, den Gesetzen und deren Handhabung einerseits und den Bedürfnissen der Bevölkerung, ihrem Drang zur Entfaltung der In d ivid u a litä t groß w ird , wenn sich also Regierungsform und #weise m it dem In h a lt nicht mehr decken, dann entstehen innerpolitische Spannungen, die zur Explosion treiben.

Z u den törichtsten Phrasen, die als Ursachen fü r den Untergang von V ö lke rn und Staaten geprägt werden, gehört die vom „S itten verfall“ , zumal wenn dam it, wie dies die Regel ist, sexuelle Unm äßigkeit oder Perversi#

tat gemeint ist. W ie beim In d ivid u u m Ausschweifungen sehr w o h l ein Zeichen überschäumender Lebenskraft sein können, so auch bei V ölkern. Die kraftstrotzende Z e it der italienischen Renaissance le h rt das zur Genüge.

Im Gegenteil geht ein gesteigerter Sexualdrang regelmäßig H and in H and m it den Erhebungsperioden derVölker. Man denke an die französische R evolution, das Kraftm eiertum der Reformationszeit, das sich auch hier in der Kleidung, diesem vortrefflichen Spiegel des Zeitgeistes,"kundgibt.

W ie läßt sich das heldenhafte Verhalten der preu#

ßischen Garde bei St. Privat, derselben Garde, die in der Garnison sehr w o h l W ein und W eiber zu schätzen weiß, verstehen, wenn w ir das Eunuchentum als Voraus#

Setzung der völkischen Tüchtigkeit anerkennen w ollen?

W ie läßt sich das H eldentum der christlichen R itter in Syrien und Palästina unter dem Gesichtswinkel der sexuellen M oral betrachten? K raftvolle Naturen und kraftvolle V ölker betätigen ihren Lebens# und Expan#

sionsdrang selbstverständlich, und zwar m it in erster Linie, auf sexuellem Gebiete.

W ollen w ir den Krypoeunuchen alias M oralisten glauben, dann hätte die mohammedanische W e lt m it ihrem Haremsleben schon längst vom Erdboden ver#

tilg t sein müssen. Statt dessen nim m t sie numerisch mehr zu, als die abendländischen V ölker und das, wie#

w o h l A btreibung gesetzlich erlaubt ist!

A ber nicht nur der Maßstab der sexuellen M oral ist ein ganz falscher, wenn er an die Tüchtigkeit der V ö lker gelegt w ird , auch die Verw eichlichung, das Luxusbedürfnis ist niemals Ursache des Verfalls.

D ie m ittelalterlichen Ritter, die gepanzerte Barbaren gewesen sein mögen, waren ganz gewiß keine Schwäch#

linge. A ber sie trugen sich weibisch, sie badeten m it Rosenblättern, ließen sich von Frauen im Bade bedienen.

U nd die Römer, vo r deren Namen der Erdkreis von den Säulen des Herkules, bis ins ferne Indien, von den Katarakten des N il bis in die Hochmoore Schott#

lands erzitterte, sie waren gewiß Freunde des Luxus.

U n d die Engländer? Stammt nicht unser K om fort von ihnen?

W eit entfernt den sogenannten Sittenverfall haft*

bar zu machen fü r den Niedergang der V ölker, erblicken ich in ihm eine Reaktionserscheinung. Der Luxus, die häusliche Bequemlichkeit dienen dazu, den Kräftever*

brauch durch große körperliche Anstrengungen schneller zu decken. Die Prunkliebe, die Neigung zu Tafel*

freuden und denen der Liebe, die w ir gerade bei krie*

gerischen V ölkern so häufig finden, sind ein Ä quivalent fü r ihre Entbehrungen im Felde, fü r die ständigen

O pfer und Gefahren im Berufe.

N ich t das V o lk geht zugrunde, das am meisten zu den Freuden der Liebe und der Körperpflege, zu Genuß und Spiel neigt, sondern jenes, dessen moralische, altruistische d. h. k o n s e q u e n t egoistische Ideale wurm * stichig wurden. Das das Einzelleben überschätzt, vergißt, daß der Kam pf Vater aller Dinge ist, das in Gefühlsduselei schwelgt, von ästhetischer Weltanschauung und ähnlichem U nsinn faselt, das der m ilitärischen D iszip lin abhold w ird , das es verlernt, den In h a lt über die Form zu stellen, die höheren sittlichen Werte m it K lugheit zu erkennen und m it W illenskraft an ihnen festzuhalten, das w ichtig und unw ichtig nicht mehr unterscheiden kann, über läppi*

schem konfessionellem — oder Parteihader die höhere Einheit des Staates vergißt, das zu zim perlich und feige ist, um im gegebenen A ugenblick va banque zu spielen.

Ein V olk, das seine Energie unnötig vergeudet, das geht zu Grunde, nicht eines, das dem Geschlechtstriebe, die*

Ein V olk, das seine Energie unnötig vergeudet, das geht zu Grunde, nicht eines, das dem Geschlechtstriebe, die*

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