Lech Stachowiak
Die Erforschung der paulinischen
Paränesen im 20. Jahrhundert
Collectanea Theologica 53/Fasciculus specialis, 177-194
C ollectanea T heologica 53 (1983) fasc. sp ecialis
DIE ERFORSCHUNG DER PAULINISCHEN PARÄNESEN IM 20. JAHRHUNDERT
Die z eitg en ö ssisch e E xegese p fleg t e in ig e T eile d e r p a u lin isc h e n Briefe als P a rä n e s e n zu b e z eic h n en 1. Es h a n d e lt sich h a u p tsä c h lic h um je n e B riefab sch n itte, d ie die k o n k re te G estaltu n g des s ittlic h e n Lebens d e r g e sam ten G em einde, ein z e ln e r S tänd e od er ein es je d e n G em eindem itglieds im A u g e h aben. W ie scho n d e r N am e allein sagt, su ch t d e r A p o ste l d a rin m it a u to rita tiv e n M ah n u n g en o d e r g a r m it d ire k te n A n w e isu n g e n ein e dem M assstab des M eisters e n tsp re c h e n d e H a ltu n g d e r A d re ssa te n zu erzielen. D och lassen sich n ich t a lle p a u lin isc h e n L eh rstü ck e, d ie e th isc h en In h alts sin d un d selb st m ah n e n d e n T o n aufw eisen , als P a rä n e se n b ezeichn en . D iese B ezeichnung kom m t v o r allem je n e n U n te rw e isu n g e n zu, die ü b e r die k o n k re te n A llta g sfra g en h in au s allgem ein g ü ltig e M assstä- be b ein h alten . D ie ü b rig en zeit- u n d o rtsb e d in g te n H inw eise auf jew eils a u fta u ch e n d e sittlich e P ro blem e zeig en n u r ein e p a rä n e - tisc h e T en d enz auf. Da die beid en U n te rw e isu n g sa rte n oft in ein an- d erg reifen , w ird im folgend en m eh rm als zum V o rsc h ein kom m en.
O bw oh l so v e rs ta n d e n e P a rä n e s e n bei P au lus sich vo n den ü b rig en B riefteilen d e u tlic h ab h eb en , so ist die G esch ichte d er p a r- ä n e tisc h e n F o rsch u n g v e rh ä ltn ism ä ssig jung. Die E n tste h u n g d e r e ig e n tlic h en A b h a n d lu n g e n ü b e r d iese G a ttu n g g eh t ü b e r d iese Ja h rh u n d e rtw e n d e k au m h inaus. Es ist d u rch a u s k e in Zufall, d ass die b e tre ffe n d en U n te rsu c h u n g e n g e ra d e in d e r Zeit d er e n ts te h e n d e n L ite ra rk ritik am N eu en T e sta m en t ih re n A u fsch w u n g nahm en. Die g rü n d lic h e sa ch lich e E rfo rsch u n g des P roblem s w u rd e d u rc h e in e R eihe v o n w e rtv o lle n V o ra rb e ite n — th eo lo g isc h e n u n d form k ritisc h e n In h alts — erm öglicht.
In d e r p a tristis c h e n L ite ratu r w u rd e n die P a rä n e se n k au m als b e so n d ere s K ap itel d e r p a u lin isc h e n S itte n le h re b eh an d elt. E inige H inw eise lasse n zw ar an n eh m en , d ass die c h ristlic h e n
Schrift-LECH STACHOWIAK, ŁÓDŻ-LUBLIN
1 Das W ort hat von der k lassisch en Sprachforschung her in die E xegese Eingang gefunden· ein e G eschichte der Paränese steht immer noch aus. S. aber P. W e n d l a n d , A n a x im e n e s v o n Lampsakos, Berlin 1905, 81—‘101 und R. V e t - s c h e r a l Zur griechisch en Paränese, in; Programm des Sta atsgym nasiu m s zu
S i m c h o w ,1911/12. In den alttest. Schriften kommt; das W ort parainesis nur W eish
8,9 vor (vgl. aber die Ü bersetzung von S y m m a c h u s v. Ps 119,56.100). 12 C o lle cta n e a T heo lo g ica
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s te ile r des A ltertu m s je n e n M ah n u n g en g ro sse B edeutung zuge-- m esse n h a b e n 2, d och b e sc h rä n k te n sich je n e H in w eise zum eist aut die e in zeln en z u g ru n d e lie g e n d en e th isc h en In h a lte 3 u nd d e re n Be g rü n d u n g in d e r L ehre des M eisters. N u r a u sn ah m sw eise w ird
p a ia in e sis bei P au lu s als ein e lite ra ris c h e D arstellu n g sfo rm (freilich
n ich t als ein e G attung!) e rw ä h n t4, bzw. w e rd e n p a rä n e tisc h e Q u e lle n in E rw äg u n g gezogen. Die V e rtre te r d e r a le x a n d risc h e n S chule b e d ie n te n sich m it V o rlieb e e in e r d e r P a rä n e se n a h v e rw a n d te n G at tung, näm lich des logos p ro tre p tik o s5. W e d er a b e r die K irc h e n v ä te r no ch a n d e re a ltc h ristlic h e S ch riftsteller h a b e n das P roblem d er p a u lin isc h e n P a rä n e se n m eth o d isc h aufgegriffen. M an ste llte bis zum 19. J a h rh u n d e rt kau m die F ra g e n ach d e r H e rk u n ft je n e r Re- d e a rt bei P aulus, s o n d e rn b e g n ü g te sich z u e rst m it d e r Z usam m en ste llu n g äh n lic h er Begriffe aus dem A lte n T estam en t, aus d en A p o k ry p h e n , rab b in isc h e n S chriften und aus d e r g rie c h isc h e n L iteratur. D ieses V e rfa h re n ist in d e r b e rü h m ten A u sg ab e des N T v o n J. W e tt ste in 6, bei H. G ro tiu s7 u n d a u ch in d er E rlang er S ch ule8 festzu stel len. Eine en d g ü ltig e P rä g u n g e rh ie lte n d iese V e rsu ch e in den etw as s p ä te r e n ts ta n d e n e n S y n o n y m a des N e u e n T e sta m en ts9.
D iese E rfo rsch u n g en b e tra fe n n u r in d ire k t das Prob lem der P a rän e se . Sie e rg a b e n näm lich, dass m an ch e sittlich e U n te rw e isu n g e n d e r p a u lin isc h e n Briefe dem L eh rinh alt n a c h an diesb ezüg liche a ltte sta m e n tlic h e bzw. jü d isc h e V o rste llu n g e n a n k n ü p fen u n d zum
2 V gl. K l e m e n s v. A l e x a n d r i e n , Strom ata 1,18,90; A t h a n a s i u s PG 26, 565 С 2—7.
3 V gl. K l e m e n s v. A l e x a n d r i e n , Paed. 111,12,94— 95; A*t h a n а - s i u s PG 26, 936 В 5; 26, 648 А 8.
4 D ie Bezeichnung parain esis a p o sto lik o s(e), die von den K irchenvätern g e leg en tlich verw en d et wird, hat w oh l keinen tech n isch en Sinn und m eint nicht zuerst ein e bestim m te, festgep rägte Form mit einem bestim m ten eth isch -th eolo g isch en Inhalt, sondern einfach ein e M ahnung des A p ostels. V gl. z.B. K l e m e n s v. A l e x a n d r i e n , Strom ata 1,18,90; A t h a n a s i u s PG 26, 1073 С 4 (Zitat v. Tit 3,10). In dem selben Sinne ist auch von der p a rain esis tou C hristou die Rede: Strom ata 111,4,36.
* K l e m e n s v. A l e x a n d r i e n schrieb bekanntlich ein e A bhandlung, die d iesen N am en trägt. A uch in anderen Schriften fragt er mehrm als nach der Herkunft und Eigenart der Paränese; er schreibt ihr ein e durchaus w ich tige R olle in der Erziehung zu (Paed. 1,1,1). A ls solcher ist K l e m e n s aber eher ein Z euge der W eiterbildung der Paränese als ein Kommentator der paulinischen U nterw eisungen. Er geh t auch mit V orliebe direkt auf die h eidnisch-griechischen V orbilder der Paränese zurück {Paed., 1,1—2; Strom ata IV ,20,125— 126).
3 N o vu m T estam en tu m G raecum I—II, A m sterdam 1751.
7A n n o ta tio n es in N o vu m T estam en tu m I—II, H alle2 1769.
8 V gl. insb. H. Chr. K. v . Η о f m a η n in der Samm lung: D ie H eilige Schritt
d e s N eu en T estam en ts, Erlangen2 1869— 1872.
* J. A. H. T i t t m a n n , De sy n o n y m is in N o v o T estam en to, I—II Leipzig 1829— 32; R. Ch. T r e n c h , S yn o n ym s o i th e N e w T estam en t, London12 1894 (eine A u sw ah l in deutscher Ü bersetzung v. H. W e r n e r , Tübingen 1907); G. H e i n e , S y n o n y m ik d es n eu testa m en tiich en G riechisch, Berlin o.D.
DIE P A U L IN IS C H E N P A R Ä N E S E N 179
T eil m it ein ig e n g rie c h isc h e n p o p u lärp h ilo so p h isc h e n L ehrbegriffen ü b ereinstim m en .
Zw ei F a k to re n tru g e n w e se n tlich zu r F ra g e ste llu n g n a c h d er p a rä n e tis c h e n G a ttu n g im N e u e n T e sta m en t bei. D er e rs te hing m it d e r stä n d ig zu n eh m en d en T en d en z d e r E x eg eten zusam m en, die Bibel v o n ih re r k u ltu re lle n un d a u c h relig io n sg e sch ic h tlic h e n U m w elt h e r zu v e rs te h e n ; d e r a n d e re w ie d e ru m b e tra f u n m itte l b a re r die P a rä n e se , indem d ie H y p o th e se ein es jü d isc h e n P rose- ly te n -M o ra lk a tec h ism u s m it fe stg e p rä g te n L ehrform en a u fg estellt w u rd e. W e n n a u c h m e h re re d iesb ezü g lich e V e rsu ch e nich t oh n e V o rb e h a lt an g e n o m m en o d er g a r ih re s h a ltlo se n R adikalism us w e g e n a b g e le h n t w u rd e n , so re g te n sie d en n o ch das In te re sse d e r F o rsch e r a n d e r E ig en art des sittlich e n L ehrguts bei P aulu s w e s e n t lich an. In d e r G esch ich te d e r p a rä n e tis c h e n F o rsch u n g sind diese A rb e ite n in so fe rn w ichtig, als sie zum e rs te n M al die P ro b lem atik auf ein e m eh r fo rm ale Bahn len k ten . E inen A n lass d azu gab d e r F un d v o n D idaché-T e x te n 10. Die F o rsch e r fra g te n sich, ob die d a rin e n th a lte n e n U n te rw e isu n g e n n ich t e in b e re its b e k a n n te s T hem a in s te re o ty p e n F o rm en en tw ick eln , fe rn e r w o e tw a d e r U rsp ru n g d er zu g ru n d e lie g e n d en T ra d itio n zu su c h en sei. D ie e rs te F ra g e w u rd e im b e ja h e n d e n Sinne g e a n tw o rte t, d o ch blieb die U rq u elle d ieser T ra d itio n h y p o th e tisc h u n d lag m ö g lich erw eise in d e r P ro sely ten - -U n terw eisu n g des jü d isc h e n M u tte rla n d e s o d er d e r D iaspora. D a r auf stü tz te sich die V erm u tu n g ein es fo rm ellen jü d isc h e n P rosely- ten -K atech ism u s, d er m eh r od er w e n ig e r im g an zen Ju d e n tu m zur A n w en d u n g g ekom m en s e in sollte. W a s h e u te au ch v o n d e r K atech is m us-T heo rie zu h a lte n is t11 — so kom m t ihr das V e rd ie n st zu, zum e rs te n M al die F ra g e n ach d e r V o rg e sch ic h te d e r p a rä n e tisc h e n G at tu n g g e ste llt und die p a u lin isc h e n sittlic h e n U n te rw e isu n g e n in den R ahm en d ie se r T ra d itio n u n te rg e b ra c h t zu h ab en . E inzelne U n te r w eisu n g en w u rd e n n u n m eh r als W id e rh a ll e in e r ty p isc h e n , in je d e r G em einde e rfo lg te n B eleh ru ng ü b e r die ch ristlic h e L ebensw eise an g eseh en . Die V e rm u tu n g , dass es sich d a rin n ich t um die v o n P aulus fre ig esc h a ffe n en L ehrform en h an d elt, g ew an n s e ith e r im m er m eh r an Boden. G e ra d e in d e n R eih en d e r K atech ism u s-F o rsch er w u rd e zum e rs te n M al d e r W u n sch g e ä u sse rt, die g esam te p a rä n e - tisch e L ite ratu r d e r a ltte stam e n tlic h e n , sp ätjü d isc h -ra b b in isc h en ,
10 Eine ausführliche G eschichte der D idaehé-Forschung bietet J. P. A u d e t,
La Didaché. Instruction des A p ô tre s , Paris 1958, 1—21.
11 Ein schlagender N ach w eis über die Existenz ein es jüdischen oder früh christlichen K atechism us (in der Form des Z w ei-W ege-K atechism us oder Tauf- -K atechism us) ist niem als erbracht worden. V gl. (in kritischem Sinne) E. L о h s e,
Katechism us (im Urchristentum), in: Die Religion in G es chic hte und Gegenwart,
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g rie c h isc h e n u nd c h ristlic h e n Q u e lle n e in e r g rü n d lic h en A n a ly se zu u n te rz ie h e n 12.
A n d e rseits e n th ü llte n die b e d e u tsa m e n k u ltu rg e sc h ich tlic h e n W e rk e v o n E. S c h ü re r13, E. N o rd e n 14, P. W e n d la n d 15, A. D eissm an n10, W . B ousset u. H. G re ssm a n n 17 und J. F e lte n 18 n eu e, bis je tz t u n g e a h n te B eziehungen d e r n e u te stam e n tlic h e n S ch riften zur a n tik e n K ultur. Die e th isc h en U n te rw e isu n g e n des P aulu s w u rd e n im Licht d e r g rie c h isc h e n R heto rik, d e r p o p u lärp h ilo so p h isc h e n u n d h e lle n istisch en L eh rm eth o d en e rn e u t geprüft. Eine w e se n tlich e H ilfe dazu le is te te n die klassisch -p h ilo lo g isch en A b h an d lu n g en , die sich m it H a u p tv e rtre te rn d e r k la ssisc h e n u n d h e lle n istisc h e n P a rä n e s e b e fa sste n 19. M an griff a u ch auf die ä lte re n F o rm en d e r g rie c h isc h e n U n te rw e isu n o zu rü ck, e tw a bei H esio d 20, d e n S ieben W e ise n 21 und S o p h isten 22. Z ur E rk lä ru n g des p a rä n e tis c h e n L ehrgu ts b ei P aulu s w u rd e n au ch die u m fan g reich en S am m lungen v o n In sc h riften und P a p y ri23 h eran g ezo g en . Die E rg eb n isse w a re n ü b e rra sc h e n d , fü h rte n
18 V gl. z.B. A. H a r n a c k , Lehrbuch der D ogm engeschichte, Tübingen 1909, Bd. I, 173, Anm 2 ; A. S e e b e r g, Die beiden W e g e und das A p o ste ld e k re t, Leipzia 1906.
13 G eschichte des jüdischen V o lk e s im Zeitalter Jesu Christi, Bd. I—III, Leipziq 1898— 1901.
14 Die antike Kunstprosa, Bd. I—II, Leipziq 1898.
15 Die hellenistisch-röm ische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und
Christentum, Tübingen2 1912.
16 Licht v o m Osten, Tübingen4 1923.
17 Die Religion des Judentu m s im sp äthellenistischen Zeitalter, T übingen3 1926 (Nachdruck: Tübingen4 1966).
18 N eu testam en tlich e Zeitgeschichte. Judentum und Heidentu m zur Zeit Christ
und der A postel, Bd. I—II, R egensburg 1910.
19 Einige A bhandlungen sind oben (Anm. 1) angeführt worden. V gl. auch über die Diatribe: P. W e n d 1 a n d, Die hell.-röm. Kultur, 75—81; E. N o r d e n ,
Die antike Kunstprosa, 129— 131; A. O l t r a m a r e , Les origines de la Diatribe romaine, Lausanne 1926, 9— 17; j . S t e l z e n b e r g e r , Die Beziehung der früh christlichen Sittenleh re zur Ethik der Stoa, M ünchen 1933, 439—472; W . C a -
n e I l e — H. I. M a r r o u , Diatribe, in: Reallexik on f. A n ti k e und Christentum, Bd. III, 990— 1009. Z w ei um fanqreiche Studien über die Diatribe b ietet der p ol nische G elehrte T. S i n k o , O tak z w a n e j diatrybie с у niczno-stoickiej, EOS 21 (1916) 21—63 u. d e r s., Sto lat st u d ió w nad s t a r o ż y t n y m i Cyn ik am i, ebd. 47 (19541 23—34.
29 W e r k e u. Tage 28 ff; 213 ff; 274 ff, 286 ff. Vgil. T. S t i с к n e y, Les sen
tences dans la poésie gre cque d'Homère à Euripide, D iss., Paris 1903, 78.
21 S. H. D i e l s, Die Fragmente der V ors okratiker, Berlin7 1954, 61—66. 22 Die Spuren der paränetischen Prosa finden sich b ei H i p p i a s (Troik os, vgl. P l a t o , Hippias 286A u. S. H. D i e 1 s, V ors okra tiker, II, 328, 13 ff) und P r o d i k o s (Orai, v gl. S H. D i e 1 s, a.a.O., II, 312—316). A uf die letztgenannte Schrift geht die Paraphrase des H erakles am S ch eid ew ege b ei X e n o p h o n
(Mem. I, 20—34) zurück.
23 V gl. W. D i t t e n b e r g e r , S y llo g e Inscriptionum Graecarum, Bd. I—IV, Leipzig3 1915— 1924; J. H. M o u 1 1 ο n — G. M i l l i g a n , The V oc a b u la ry of
the G reek Testa m ent illu strated from the P apyri and the поп-litera ry Sources,
London 1929 (s. auch: F. P r e i s i g k e , W ör te rb u c h der griech ischen Papyrus-
D IE P A U L IN IS C H E N P A R Ä N E S E N 181
je d o c h a u c h h ier öfters zu Ü b e rtre ib u n g e n , in d em m an das O rig i n elle a n d e n p a u lin isc h e n B riefen auf ganz s e k u n d ä re E lem en te b e s c h rä n k te 24.
B evor die fo rm g esch ich tlich e S chule d ie P a rä n e se zu e in e r b e so n d e re n lite ra ris c h e n G attu n g des N e u e n T estam en ts erho b, w u r d e n V e rsu ch e zu r W ü rd ig u n g p a rä n e tis c h e r E inzelform en u n te r nom m en. Z u e rst u n te rz o g m an e in e r A n a ly se d e re n auffällig ste Form : die L asterreih en . S chon die K atech ism u s-F o rsch er m ac h ten auf die k a ta lo g a rtig e n L asterau fzäh lu n g en in d e r D idaché, im Rab- binism us u n d im N e u e n T e sta m en t aufm erksam , ohne je d o c h den u rsp rü n g lic h e n S ta n d o rt je n e r Form m it S ich erh eit b estim m t zu h aben. Je d en fa lls ist d e r E rk lä ru n g sv e rsu c h v o n E. v o n D obschütz25 in so fern b e m e rk en sw e rt, als e r als e rs te r e in e n d o p p e lte n Einfluss auf die L astertafel an nahm : e in e n jü d isc h -a ltte sta m e n tlic h e n und e in e n g rie ch isch -o rp h isch en . Z ug leich griff m an auf d ie e n tg e g e n gesetzte, p o sitiv e Form des K atalogs: die T u g en d reih en .
W ä h re n d für die L a ste rre ih en a ltte sta m e n tlic h e Q u e lle n in B etrach t gezog en w e rd e n k o n n ten , so fand m an d a rin k e in e e ig e n t lichen P a ra lle le n zu d e n T u g e n d k a ta lo g en vor. Dies len k te die A uf m erk sa m k e it d e r E x eg eten auf die L eh rm eth o d en des h e lle n istisc h
b e e in flu ssten D ia sp o ra-Ju d en tu m s u n d auf die p o p u lärp h ilo so p h i sch en S chriften. M an su c h te z u e rst die Lösung auf b re ite re r Basis w ie p h ilo so p h isc h e r D ialog, D iatrib e bzw. M o ralp red ig t, w o rin die T u g e n d reih e n oft au ftreten . Die g rü n d lic h en A rb e ite n v o n P. W e n d la n d 26, R. B ultm ann27 u n d A. B ohnhoeffer28 h a b e n in d e n lite ra rk ri- tis c h o rie n tie rte n K reisen allg em ein e Z ustim m ung g efu n d en u n d b estim m ten au ch die R ich tung d e r k ü n ftig e n E rfo rschu ng d e r lite ra risc h e n Z usam m en hän ge d e r P a rän e se .
E inen W e n d e p u n k t in d e r E rfo rsch u n g d e r P a rä n e se im N eu en T e sta m en t b e d e u te t das W e rk v o n M. D ibelius, D ie F o im g esch ich te
d e s E v a n g eliu m s29, w o u n se r G e n re zum e rs te n M al p o sitiv in die
n e u te sta m e n tlic h e K ritik E ingang g e fu n d en hat. Die A b h a n d lu n g bezog sich h a u p tsä c h lic h au f die E vangelien; die P aulus-B riefe k a m en n u r n e b e n sä c h lic h zur B ehandlung, d o ch w a r das P ro blem der P a rä n e s e einm al g ru n d sä tz lich g estellt. Ü brigens ä u s se rte sich
Di-24 N icht ohne Übertreibung (aber doch nicht ganz ohne Grund) richtet sich A. S c h w e i t z e r (Die M y s t i k d e s A p o s t e l s Paulus, Tübingen 1930, 28) gegen einen ty p isch en V ertreter der „hellenistischen" Paulusdeutung R. R e i t z e n - s t e i n : „Ehe der arme A p o stel nur zu W ort kommt, hat er ihn schon mit Pa- rallelsteillen aus der h ellen istisch en Literatur gesteinigt".
25 D ie urchiistlich en G emeinden, L eipzig 1902.
26 Philo und die k yn isch -sioisch e Diatribe, Berlin 1895.
27 D er Stil der paulinischen Predigt und die kyn is ch -stoisch e Diatribe, G ottin gen 1910.
28 E pik tet und da s N e u e Testamen t, G iessen 1911.
29 Dritte A u flage von G. B o r n k a m m mit ein em N achtrag von G. I b e r , Tübingen 1959 (Nachdruck: Tübingen4 1961).
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belius in d en ra s c h a u fe in an d e rfo lg e n d e n A b h a n d lu n g e n und Kom m e n ta re n au ch zu d e n p a rä n e tis c h e n T eilen d e r a n d e re n n e u te sta- m e n tlic h e n S c h rifte n 30. A m v o llstän d ig ste n und w e itlä u fig ste n ist das Bild d e r P a rä n e se , w elch es D ibelius in s e in e r zw eib än d ig en G esch ich te d e r u rc h ristlic h e n L ite ratu r a u fzeich n ete31.
Z u erst b e tra c h te t d e r V e rfa sse r die P a rä n e se als eine G ru n d form d er Ü b erlieferu n g en , die d en E v ang elien zu g ru n d e lagen. D enn „die W o rte J e su sin d u n te r a n d e re n B edingungen als die E rzählu n g en v o n se in e n T a te n ü b e rlie fe rt w o rd e n " 32; m assg eb en d w a re n die p a rä n e tis c h e n A b sichten . Die p a u lin isc h e n U n te rw e isu n g e n sind n a c h D ibelius e in W id e rh a ll e in e r ü b e ra ll v o rg e tra g e n e n a p o sto li sc h en P a rän e se , die P au lu s selb st in d e n p e rsö n lic h nich t b e su ch te n G em ein den v o ra u sse tz e n k o n n te. Dies fü h rte D ibelius zur A nnah m e, dass es sich in d er n e u te sta m e n tlic h e n P a rä n e se um ein e w eit v e r b re ite te Form d e r M issio n sp red ig t h an d elt. A uf die hellen istisch - -jü d isch en V o rb ild e r g estü tzt, w ä h lte n die a p o sto lisch en P red ig er n ich t n u r e n tsp re c h e n d e Jesu -S p rü c h e aus, so n d e rn sch ö pften au ch reic h lic h aus dem tra d itio n e lle n e th isc h en L ehrgut. D ieses M a te ria l e rh ie lt auf v e rsc h ie d e n e n W eg en c h ristlic h e P rägu ng . M anchm al g en ü g te es, die F o rm el en C h iisto (oder ein e g leich w ertig e) beizu fügen, um e in e sittlich e U n te rw e isu n g frem der H e rk u n ft auf die c h ristlic h e E bene zu ü b e rtra g e n 33 u nd in d e n D ienst d e r a p o sto li sc h e n P a rä n e s e zu stellen . Eine so v e rs ta n d e n e P a rä n e se des P aulus b iete t in sg esam t „nicht w eit au sh o len de, relig iös o d er th eo lo g isch b e g rü n d e te E rö rte ru n g e n , so n d e rn e in z e ln e M ah nu ng en , oft in Spruchform , lo se a n e in a n d e rg e h ä n g t o d er u n v e rb u n d e n m itein a n d e r s te h e n d " 34. D ibelius b e to n t an d en p a u lin isc h e n P a rä n e s e n se h r s ta rk d e n M an gel an B eziehungen zu r k o n k re te n Brief- o d e r G em eind esi tu a tio n 35. Es w ird d a rin n ich t au f die s ittlic h e n M än gel des E inzelnen o d e r d e r G em einde selb st Bezug genom m en, s o n d e rn auf die aller C h risten .
Die lite ra risc h e S tru k tu r d e r P a rä n e se k en n z eic h n et ein w eit g e h e n d er E klektizism us, w obei die A n o rd n u n g des M aterials o hne 30 V gl. insb.: Zur Formgeschichte des N e u e n Testa m ents (ausserhalb der Evan
gelien), Theol. Rundschau NF 3 (1931) 207— 242; die Paränese wird hauptsächlich
auf S. 212—219 behandelt (gegen die Einschränkung der form geschichtlichen M e thode auf die E vangelien). S. auch; M. D i b e l i u s , Der Briel des Jakobus, G öttingen9 1957, 4—8. 24— 25; d e r s., An die Thessalonicher I—II, Tübingen3 1937, 19—20; A n die Kolosser, Epheser, an Philemon, T übingen3 1953, 36—38;
Die Pastoralb rieie Tübingen2 1931, passim.
31 Sammlung G öschen 934— 935, Bd. I— II, Berlin-Leipzig 1926 (insb. Bd. II, 65— 76).
32 M. D i b e l i u s , Formgeschichte..., 239. 33 Ebd., 240 Anm. 2.
34 Ebd., 239. Eine andere D efinition s. in G eschic hte der urchristl. Literatur, Bd. II, 65; „Paränese nennt man ein e A neinanderreihung verschiedener, häufig unzusam m enhängender M ahnungen mit ein h eitlich er A dressierung".
D IE P A U L IN IS C H E N P A R Ä N E S E N 183
ein en bestim m ten P la n erfolgt. E in zeln e S tü ck e w e rd e n m eiste n s d u rc h die S tic h w o rtk o m p o sitio n v e rb u n d e n . D er u rsp rü n g lic h e V e r fa sse r d e r p a rä n e tis c h e n E lem en te (bzw. d ie Q uelle) ist zum eist u nw ichtig , oft v e rg e sse n o d er v e rk a n n t, so dass d iese G a ttu n g g ru n d sätzlich an o n y m ist. In d e r A n n a h m e e in e r lite ra ris c h e n A b h ä n g ig k e it d e r P a rä n e s e n ist n ach D ibelius ä u s se rs te V o rsic h t geböten; d ie L ösung ist e h e r auf tra d itio n sg e sc h ic h tlic h em W e g e zu su c h e n 3®. A ls letztes, a b e r d u rch a u s w ich tig es M erk m al d e r P a rä n e se ist ihr ü b erk o n fessio n elles G ep räg e zu n en n en . Die U n te rw e isu n g e n sind n ich t u n b e d in g t an e in e n b estim m ten G lau b en g eb un den , s o n d e rn b iete n n a c h D ibelius allg em ein e th isc h e In h alte u n d allg em ein e th i sch es G u t37.
Es ist k a u m m öglich, d e n p h ilo so p h isch en u n d re lig io n sg e sch ic h t lich en V o ra u sse tz u n g e n v o n D ibelius h ie r nach zu g eh en . Die form g e sc h ic h tlich e M eth o d e w u rd e s e ith e r m eh rm als e in e r e in g e h e n d e n K ritik u n te rz o g e n u n d w ird g e g e n w ä rtig a n d e rs als z u r Zeit des D ibelius aufg efasst. Z.B. die P a rä n e s e als e in e d e r a n g e b lich e n Be w e g g rü n d e zur Schaffung d e r L ogien-Sam m lungen in n e rh a lb d er s y n o p tisc h e n T ra d itio n ist scho n se in e rze it in F ra g e g e ste llt w o r de n 38. Es m uss fern e r m it N a c h d ru c k b e to n t w e rd e n , dass die Exi ste n z d e r v o n D ibelius in E rw äg u ng g ezo g en en fe stg e p rä g te n p a r ä n e tisc h e n F o rm en n u r zum g e rin g e n T eil n a c h g e w ie se n w e rd e n k o n n te. Es m ag sein, dass P au lu s an die p a rä n e tisc h e T ä tig k e it a n d e re r M issio n are an k n ü p fte o d er d ass g ew isse S prüche, K atalo ge o d e r so n stig e S ch em ata als jü d isc h -h e lle n istisc h e s od er allg em ein h e lle n istisc h e s G ut zu r A n w e n d u n g kam en . Das P ro blem aber, in w iefern P au lu s d iese u n v e rm itte lt o d e r fast u n v e rm itte lt, o h ne jed e B ezugnahm e auf die k o n k re te S itu a tio n d e r G em einde w e ite rg e g e b e n habe, b e d ü rfte e in e r e in g e h e n d e n A n a ly se a lle r in F ra g e kom m en d e n P a rän e se n . M an d a rf n ich t v e rg e sse n , d ass ,,auch p a rä n e tisc h e S ch riften e n ts te h e n an ein em b estim m ten O rt u n d u n te r b e stim m ten V e rh ä ltn isse n u n d m ü sse n d e sh alb v o n dem E rd g eru ch d iese r H e rk u n ft a n sich tra g e n " 39. Das c h a ra k te ristisc h e , v o n Di belius v o ra u sg e se tz te , h a u p tsä c h lic h au f P a sto ra lb rie fe n u n d den Jak o bus-B rief g e stü tz te P arän ese-S ch em a, p a sst n ich t u n b e d in g t in e in e n Röm er- o d e r H eb räerb rief. Es ist fe rn e r m it ein em e n g e re n Z usam m enh an g zw isch en d en th eo lo g isc h e n A u ssa g e n d e r H aupt- teile d e r P aulus-B riefe u n d d e n p a rä n e tis c h e n T eilen zu rec h n e n ; es w ä re v e rfe h lt, d iese G a ttu n g als u n em p fän g lich g e g en th eo lo g i sch e G ed an k en h in zustellen . A u c h d ie A n w e n d u n g des a n sich k la re n 33 Der Briei d e s Jakobus, 19: „Ethische Im perative brauchen durchaus nicht immer auszudrücken, im D ienste w elch es G laubens sie stehen".
« Ebd.
38 V gl. z.B. P. B e n o i t , R êîlexïo n sur la Formgeschichtliche M ethode, Rev. Bibi. 53 (1946) 481—512.
184 N O R B E R T M END ECK I
U n tersch eid u n g sm erk m als d e r U nterw eisu n g , n äm lich des „ a k tu e l len" u n d „ u su ellen ” (w ovon n u r d as letzte eig e n tlic h e P a rä n e s e n b il det) , sch ein t im H inblick auf m an ch e p a u lin isc h e n s ittlic h e n M a h n u n g e n zu v e rsa g e n .
D ie s p ä te re n A b h a n d lu n g e n v o n D ibelius40 b ra c h te n k e in e w e se n tlic h n e u e n E lem ente zum P a rä n e se -V e rstä n d n is bei P aulus. A ls b e d e u tsa m d ag e g en h a t sich die A n w e n d u n g d er oben g e sc h ild e rte n M eth o d e auf die S p ezialg eb iete e rw ie se n . Ein u n m itte lb are s Echo des fo rm g esch ich tlich en P rogram m s v o n M. D ibelius ist die A rb e it v o n K. W e id in g er ü b e r die H a u stafe ln 41. D iese p a rä n e tis c h e Form b ezieh t sich auf die P flich ten d er F am ilienm itglied er u n te re in an d e r u n d ist im N e u e n T e sta m en t (bes. in P asto ralb riefen ) oft b e zeugt. Da d iese G a ttu n g dem A lte n T e sta m en t frem d ist, zieh t W e i d in g er als v e rm u tlich e Q u e lle h e lle n istisc h -jü d isc h e V o rb ild er u nd in d ire k t a u ch sto isc h e P flic h te n leh re in B etrach t42. Die H a u stafe ln fan d e n s e ith e r E ingang in die A b h a n d lu n g e n ü b e r die Sozial- u nd F am ilien eth ik des N e u e n T estam en ts, w en n sie a u ch m eh rm als auf ih re H e rk u n ft43 u n d auf ih r th eo lo g isch es G ep räg e h in 44 u n te rs u c h t w o rd e n sind. D abei k am e n a u ch die P a rä n e s e n an ein zeln e S tän de z u r D a rste llu n g 45.
A uf die A rb e ite n ü b e r P flic h te n leh re fo lg te e in e R eihe v o n S p e z ia larb e ite n ü b e r die T u g en d - u n d L asterreih en . K. F ra n c k e su c h te die H e rk u n ft d e r L a ste rk ata lo g e zu e rg rü n d e n 46. S ein Buch fand a b e r bei d e n E x eg eten w e n ig Beifall w eg en d e r U n te rla ssu n g v o n Q u e lle n a n g a b e n u n d allzu th e o re tis c h e r A rg u m e n ta tio n 47. A u c h d e r A rtik e l d es e n g lisc h en E x eg eten B.S. E asto n ging n ic h t ü b e r A n s ä tze h in au s48, obw ohl e r a u c h als e rs te r V e rsu c h g e lte n k a n n , die ein z e ln e n T u gend- u n d L a ste rk a ta lo g e au f ih re Q u e lle n h in sy
ste-40 V gl. M. D i b e l i u s , A u fsä tze zu r A p o ste lg e sc h ic h te , G ottingen8 1957; d e r s . , B otschaft und G esch ich te, Bd. I—II, Tübingen 1953— 1956.
41 D ie H austafeln. Ein S tü ck u rch ristlich er Paränese, Leipzig 1928.
42 Ebd., 23—48.
48 V gl. K. F r a n c k e , D as W o h e r der n eu testa m en tlich en L astertaleln . Eine
relig io n sg esch ich tlich e S p ezia lstu d ie,Leipzig 1930.
44 K. W . D u p a r, A S tu d y of th e N e w T estam en t H austafeln, Diss. Edinburgh 1972; E. S c h w e i z e r , D ie W e ltlic h k e it d es N eu en T estam en ts: d ie H austafeln, in: Festschr. W . Zim m erli, G öttingen 1977, 396—413. S. auch: H. D. W e n d 1 a n d,
Ethik d es N.T., G öttingen 1970, 46—47.
45 M. R. К u e g 1 e r, D ie P aränese an die S k la v e n als M odell u rch ristlich er
S o zia leth ik , D iss. Erlangen-Nürnberg 1977. Ü berdies w urden eth isch e W eisungen
für Ehemänner, Ehefrauen, Eltern, Kinder und andere Gruppen in dam aligen H äusern untersucht (vgl. K ol 3,18 ff; Eph 5,22 ff; 1 Petr 2,13 ff). Der Gehorsam ist die Grundforderung für Frauen, Kinder und S k laven Durch das H austafel- -Ethos wird ein e sehr en g e Beziehung zw isch en Gem einde und Haus h ergestellt (vgl. H. D. W e n d 1 a n d, Ethik d es N.T., 46).
46 Das W oher..., Anm. 43.
47 V gl. bes. M. D i b e l i u s , Zur F orm geschichte..., 229— 230.
D IE P A U L IN IS C H E N P A R A N E S E N 185 m atisc h zu u n te rsu c h e n . Z ugleich fan d a b e r die P ro b le m a tik d er p a rä n e tis c h e n L ite ratu r E ingang in die k ritisc h e n K o m m en tare49 zu de n p a u lin isc h e n B riefen, w o ra u f d ie E x k u rse h in w e ise n 50.
Die k a th o lisc h e E x egese zeig te v o n A n fan g an reg e s In te re s s e an d e r p a rä n e tis c h e n L iteratu r. B ereits in d e r e rs te n P erio d e d e r Par- ä n e se -F o rsc h u n g griff M .J. L ag ran g e in die D isk ussion ü b e r die L a ste rk ato lo g e ein, w obei a b e r die K o n tro v e rse s ta rk m itk lin g t51. N ach d em die H a u p tth e se n d e r fo rm g esch ich tlich en M eth o d e e in e r P rü fu n g u n te rz o g e n w u rd e n u nd d e re n A n w e n d b a rk e it u m sc h rie b e n w u rd e, sch lo ss sich die k a th o lisc h e E xegese d e r w issen sc h a ftlic h e n E rfo rsch u n g d e r P a rä n e s e m it b e d e u te n d e n S p e z ia larb e ite n an. V or. allem ist h ier die bis je tz t n o ch b e a c h te n sw e rte A b h a n d lu n g v o n A. V ö g tle ü b e r d ie T u g en d - u n d L a ste rk a ta lo g e 52 zu n e n n e n , e in e A r b eit die z a h lreic h e k a th o lish e u n d n ic h tk a th o llisc h e F o rsch e r zu w ei te re n U n te rsu c h u n g e n an reg te. D iese S tudie b o t m it ih re m u m fan grei ch en V e rg le ic h sm a te ria l aus d e r g rie c h isc h e n , s p ä tjü d is c h e n und frü h c h ristlic h e n L ite ra tu r d e n bis d a h in b e d e u te n d s te n B e itra g zum V e rstä n d n is d e r P a rän e se . A llerd in g s b e tra f die A b h a n d lu n g n u r ein ein zeln es — w en n a u c h w ich tig es — Spezialg eb iet d ieser G at tung. D eshalb feh len a u c h bei V ö g tle w e itg e h e n d die g ro ss e n P e r s p e k tiv e n d e r P a rä n e s e u n d die g e n a u e U m schreibu ng d e r Rolle, die d a rin d e n T u gend- u n d L a ste rk a ta lo g e n zukom m t.
Die E rfo rsch u n g d e r P a rä n e se w u rd e w e se n tlich d u rc h die Enzy k lik a P ius XII. D ivino a illa n te S p iritu a n g e re g t. M it b e so n d e re m W e itb lic k em pfahl d e r um die F ö rd e ru n g d e r B ibelforschung so v e r d ie n te P a p st d e n k a th o lisc h e n F o rsc h e rn d as S tudium d e r lite ra ri sc h en G a ttu n g e n d e r Bibel, das „ohne g ro sse n N a c h te il für k a th o lische E xegese nich t v e rn a c h lä ssig t w e rd e n k a n n ''53. Die F rü c h te d iese r a u to rita tiv e n A u fm u n te ru n g zeig ten sich so fo rt auf dem
Ge-49 V gl. E. L o h m e y e r , Die Brieie an die K oloss er und an Philemon, G öttingen11 1956, 152— 155; d e r s., Der Briei an die Philipper, G öttingen11 1956, 70—72. U l — 113; A. О e p к e, Der Briei d e s Paulus an die Galater, Berlin2 1960, 127— 129. 144— 145; C. S p i с q, Les Epîtres Pastorales, Paris 1947, X XVI— XXXI (die Exkurse: 257—261. 379—382); B. R i g a u x, Les Epîtres aux Théssaloniciens, Paris 1956, 183— 194; H. S c h l i e r , Der Brief an die Epheser, D üsseldorf 1957, 223—225, v g l. 177— 181. In den neueren Kom m entaren wird d ieses Them a aus führlich behandelt. A uch in den p oln isch en Kom mentaren über das N eue T esta m ent w erden die paränetischen T eile form geschichtlich au sgelegt, v gl. z.B. J. S t ę p i e ń , L isty do Tesaloniczan i Paster sk ie, Poznań-W arszaw a 1979 , 80—81
(s. auch Index).
50 S. die oben angeführten Kommentare.
51 Le cata logue d e s v i c e s dans l'épître aux Romains (1,28— 31), Rev. Bibi. 8 (1911) 534—549.
52 Die Tugend- und Lasterkata loge im N eu en Testa m ent ex egetisch, religions-
und iorm geschichtlic h untersucht, M ünster i.W . 1936.
58 A cta A post. Sed is 35 (1943) 316: „...sine m agno cath olicae e x e g e se o s de trimento n eg lig i non posse".
186 LEC H S T A C H O W IA K
b ie t d e r p a rä n e tis c h e n F orsch u ng . In B e iträ g en 54 u nd K om m enta re n v e rz ic h te t m an allm äh lich auf die ap o lo g etisch e M eth od e in den p a rä n e tis c h e n U n te rsu c h u n g e n . Die fo rm k ritisch e M eth od e g ew in n t im m er m eh r A n h ä n g e r, die a b e r ih re F o rsch u n g auf th eo lo g isc h e Bahn zu le n k e n v e rsu c h e n . G erad e an d e r P a rän e se -F o rsc h u n g k a n n m an die Ü b erw in d u n g d e r k o n fessio n ellen S c h ran k e n gu t v e rfo l g e n 55, die freilich n ich t ganz reib u n g slo s v o r sich ging.
In d en fo rm g esch ich tlich en U n te rsu c h u n g e n ü b e r d en „Sitz im Leben" d e r P a rä n e s e h a t m an d e n Stil d e r P red ig t e in e r w e ite re n A n a ly se u n terz o g en , w as dem E rk lä ru n g sv e rsu c h v o n D ibelius e n t sp ra c h , a b e r a u ch an die V o ra rb e ite n R. B ultm anns u n d P. W e n d lan d s ank n ü p fte. F ast g leichzeitig m it D ibelius b e h a n d e lte A. O e p k e 56 d as Pro blem d e r p a u lin isc h e n M issio n sp red ig t. U n te r H e ra n zie h u n g e in e s a u sfü h rlic h en V e rg le ich sm a te ria ls sc h ild e rt e r v o rzü g lich die he id n isc h e S itte n p re d ig t m it ih re n Licht- u n d S c h a tte n se ite n und su c h t (mit ein ig e n Ü b ertreib u n g en ) zu zeigen, in w elchem Sinne d iese die M issio n sarb eit des P au lu s v o rb e re ite t h a tte . N och w e s e n t lic h e re A rb e it h a t n a c h O ep k e die jü d isc h e P ro p a g an d a g eleistet, d o c h w a r sie e b en n ich t in d e r Lage, das N e u e u n d E rfrisch en d e den d am alig en M en sch en zu bieten . D arauf folgte ein k u rz e r B eitrag zu d em selben T hem a v o n D. D au be57 und ein e u m fan g reich e S tudie v o n H. T h y e n 58. E rste re r w ü rd ig t die Z u sam m en h än ge p a u lin isc h e r P a rä n e s e m it d en V o rsc h rifte n ü b er das V e rh a lte n d e r J u d e n zu P ro s e ly te n u n d H eiden; T h y e n su ch t d a g e g en in d en jü d isc h -h e l le n istisch e n ho m iletisch en Q u e lle n n ach d e n festen Schem ata, a n h a n d d e re r P a rä n e s e v o r g e tra g e n w u rd e 59. S elbst n a c h den U n
ter-54 V gl. z.B. J. A. U b i e t a - L o p e z , C a iid a d h a te r n a en las paraneseis
de Ei. 4,25— 5,2 y Col. 3,8— 15, Cuadernos Pont. Coll. Espanol 2 (Roma 1955)
65—95.
55 D ieser Prozess kann am b esten am Theologischen W ör te rb u c h zum N euen
Testa m ent (I-—X) v erfolgt w erden, das an sich ein e v a n g elisch es W erk ist, doch
in den letzten Bänden kom m en mit gleich em Recht die k atholischen Forscher zu W ort. V on den Prinzipien der Form geschichte ab geseh en galt die Paränese von A nfang an als „neutrales" Forschungsfeld.
Die M issionspredigt d e s A p o s t e l s Paulus. Eine biblis ch-theologis che und relig ionsg esc hichtlic he Untersuchung, Leipzig 1920.
57 J e w ish M ission ary M axim s in Paul, Studia Theol. 1 (1948) 158— 169; aus führlicher behandelt d ieses Them a d e r s., The N e w T esta m ent and Rabbinic
Judaism, London 1956, bes. 336—361.
58 Der Stil der jüdisc h-h elle nistischen Homilie, G öttingen 1955. D ie vom V erfasser angekündigte „streng form geschichtliche Betrachtung" (S. 7) scheint nicht ganz einw andfrei durchgeführt w orden zu sein. W enn auch zutreffen mag, dass die C hronologie in ein er form geschichtlichen Studie sekundär ist, so scheint doch die M aterialanhäufung aus ein ig en Jahrhunderten (nam entlich jüdischer und christlicher Herkunft, abw echselnd) zu w eit getrieben zu sein. Ü berdies sind die gram m atischen Formen als Einteilungsprinzip der Paränesen (S. 90— 105) m etho disch bedenklich.
D IE P A U L IN IS C H E N P A R Ä N E S E N 187
su c h u n g en v o n U. W ilck en s ü b e r die M issio n sred en d e r A p o ste l g e sch ic h te 60 sch ein t das T hem a n o ch n ich t v öllig ersch ö p ft zu se in 61. D.G. B rad ley u n te rs u c h te die P a rä n e se in stilistisc h er H insicht, doch h at e r ledig lich ein e n k le in e n B eitrag d a rü b e r v e rö ffen tlic h t62. Die k le in ste p a rä n e tis c h e E inheit in den a u sg efü h rte n M ahn un g en b ildet d e r T opos, d.h. ein zu sam m en h ä n g e n d e r F ra g en k o m p lex üb er ein bestim m tes sittlich es T hem a. K lassisch e P a rä n e se v erb in d e t diese T opoi n ich t m itein a n d e r, so n d e rn re ih t sie in loser Folge an ein a n d e r. U n te r H e ra n zie h u n g ein es u m fa n g reic h en M a te ria ls (Iso cra tes, T e sta m en te d e r zwölf P a tria rc h e n , z.T. auch Sirach), su ch t d e r V e rfa sse r d e n selb e n A u fb au in m an c h e n p a u lin isc h e n P a rä n e se n n ac h zu w e ise n (z.B. in Röm 13 u n d 1 T hes 4,9—5,11). D ennoch ste llt sich die F rage, ob die to p isch e Folge d e r P a rä n e se bei P aulus, w ie sie B rad ley in E rw ägun g zieht, n ich t im D ienste ein es O b e rb e griffes (z.B. d e r Liebe) o d er d e r H eilszu w en d u n g s te h t u n d au ch v on da h e r m itb estim m t w ird.
B ereits die e rs te n P a rän e se -F o rsc h e r w a re n sich v o ll bew u sst, d ass d ie fo rm g esch ich tlich e M eth o d e k e in e n A n sp ru c h auf ein e v ö llig e L ösung des P roblem s e rh e b e n k o n n te. U n ter A n w en d u n g d iese r M eth o d e w o llte m an e in e r th eo lo g isc h e n B ehan dlu ng d e r P a r ä n e se d e n W e g b a h n e n 63. Im H in b lick auf p a u lin isc h e P a rä n e se n w u rd e d e r e rs te d iesb ezü g lich e V e rsu ch v o n J. K ooy u n te rn o m m en64, o h n e jed o c h e in e sc h la g e n d e L ösung zu b ring en. D ie B ehand lu n g p a u lin isc h e r P a rän e se n , w ie sie in d en B riefen zu e rm itteln sind, g e rä t bei ihm e h e r in d e n H in te rg ru n d z u g u n ste n d e r rein sc h em a tisch e n A u sfü h ru n g e n 65. Ein a n d e re r V e rsu ch e rsc h ie n erst n ach 25 J a h re n u n d u n te rs u c h te die P a rä n e se n im R ahm en des v iel e rö rte rte n T hem as G esetz—E van g eliu m 66. A u ch h ier ist die B ew eis fü h ru n g e h e r d iale k tisch -th eo lo g isc h als exegetisch-bib lisch . Sie su ch t die p ra k tisc h e F u n k tio n des G esetzes bei L uther m it den n e u te sta m e n tlic h e n P a rä n e se n zu v e rg le ic h e n , w obei d e r P a rän e se - -Begriff v ielm e h r v o ra u sg e se tz t als e ra rb e ite t w ird 67.
60 Die Missionsreden der A p o stelg esch ich te. Form- und traditio nsgeschic htli
che Untersuchungen, N eukirchen 1961.
el V gl. G. S с h i 11 e, Bemerku ngen zur Formgeschichte des Evangeliums.
III: Das Evangelium als Missionsbuch, N e w Test. Studies 5 (1958— 1959) 7.
62 D. G. B r a d l e y , The Topos as a Form in the Pauline Paraeneseis, Jour nal of Bibi. Literature 72 (1953) 238— 246.
63 M. D i b e l i u s (Zur Formgeschichte..., 217) sieht ein, dass g ew isse form- gesch ich tlich e Phänom ene ein e th eo lo g isch e Lösung fordern.
64 De Paraenese van den A p o s te l Paulus, D iss. Zalt Bommel 1926.
35 Die paulinischen Paränesen w erden grundsätzlich nur in einem (dritten) K apitel behandelt.
*6 V gl. z.B. W. J о e s t, G e s e tz und Freiheit. Das Problem des tertius usus
le gis bei Luther und die neutestam en tlich e Paränese, G öttingen2 1956.
87 Beachtensw ert sind b ei J о e s t (s. oben) ein ig e H in w eise auf den Charak ter des paulinischen Im perativs.
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Eine m eh r b ib lisch -th eo lo g isch e B ehan d lun g d e r P a rä n e s e b e a b sic h tig te n je n e F o rsch er, die sich d ie A u fg ab e ste llte n , d en Sinn des p a u lin isc h e n Im p erativ s selb st zu erläutern® 8. Die E rgebn isse w a re n je n a c h d e r v e rtre te n e n th eo lo g isc h e n R ichtung v e rsc h ied e n , d o ch fü h rte bis je tz t die U n te rsu c h u n g d e r g e g e n se itig e n B eziehung v o n In d ik a tiv u nd Im p e ra tiv zu k e in e m th eo lo g isc h a n w e n d b a re n E rgebnis69.
Einen a n d e re n W e g sch lu g L. N ied er, indem e r die th eo lo g isch e T ra g w e ite d e r p a rä n e tis c h e n G attu n g d u rc h die E rm ittlung d e r M o tiv e e in z e ln e r P a rä n e s e n zu w ü rd ig en su c h te 70. D ie M o tive w e rd e n d u rc h e in e g rü n d lic h e e x e g etisc h e B ehan d lun g d e r p au lin isch en T e x te e rb ra c h t u nd d a n n in ein em sy ste m atisc h e n T eil th eo lo g isc h v e rw e rte t u nd auf das H au p tm o tiv z u rü c k g e fü h rt71. N ie d e rs Ein teilu n g sp rin z ip d e r P a rä n e s e n ist originell, obw ohl n ich t das ganze p a u lin isc h e M a te ria l zur D a rste llu n g k am 72. A uf lite ra ris c h e P ro blem e g e h t d e r V e rfa sse r w e n ig ein u nd g e ra d e d iese r A sp ek t — n a tü rlic h in ric h tig e n D im ensionen b e h a n d elt — hilft w esen tlich , die g ro sse n th eo lo g isc h e n Z u sam m en h än g e u n s e re r G attu n q zu en th ü llen .
M eth o d isch ist d e r A rtik e l v o n W . G ru n d m an n 73 b e m e rk en s w ert. D er V e rfa sse r g eh t v o n dem k o n k re te n p a u lin isc h e n Begriff
nepioi au s u n d v e rfo lg t d a n n die dam it v e rb u n d e n e p a rä n e tisc h e
68 V gl. H. W i n d i s c h , Das Problem des paulinischen Im perativs, Zeitschr. f. neutest. W issen sch . 23 (1924) 265—281; R. B u l t m a n n , Die Theologie des
N euen Testam en ts, Tübingen 1953, 544—557. Seither ist das Thema mehrmals
diskutiert worden; die vorgesch lagen en L ösungen fanden jedoch k ein e allgem eine A nerkennung der Kritik. Im Lichte moderner Ström ungen wurde das Problem nochm als von J. B l a n k (Einheit und Pluralität in der ne ute sta m entlic hen Ethik, C oncilium 17, 1981, 814—819) aufgegriffen.
69 D ie radikalen Forscher stellen die V erbindung zw isch en Indikativ und Im perativ bei Paulus oft als „paradox" hin, um dies dann dialektisch zu inter pretieren (bzw. auf ein e w eitere Erklärung zu verzichten). A. O e p k e (Der
Galaterbriei, 144— 145) sucht d iese Fragestellung zu überw inden durch den H in
w eis auf die V erw urzelung der eth isch en A u ssa g e des Paulus in seiner C hristo logie.
79 Die M o t iv e der relig iös-sittlich en Paränesen in den paulinischen Gemein-
debrieien. Ein Beitrag zur paulinischen Ethik, M ünchen 1956. Hier ist auch die
A rbeit des poln isch en N eutestam entlers K. R o m a n i u k ( M o ty w a c ja napomnień
m oraln ych w listach św . Pawia, Poznań 1971) zu nennen; v g l. auch C. R o m a
n i u k , La v o lo n tà di Dio co me m o t iv o parenetic o nelle le tte r e di S. Paulo, Riv. Biblica It. 20 (1972) 353—368.
71 L. N i e d e r , Die Motive..., 143— 145.
72 Der V erfasser beschränkte sich lediglich auf die G em eindebriefe des Pau lus. A uch die A u sw ah l der paränetischen T exte ist in Einzeilfällen bedenklich. V ie l gründlicher ist die A rbeit von W . S c h r ä g e , Die k o n k re te n Ein zelgeb ote
in der paulinischen Paränese, Gütersloh 1961; b eachtensw ert für unsere A ufgabe
ist vor allem K. I (S. 13—48), w o die grossen th eo lo g isch en Zusam m enhänge der E inzelgebote erörtert w erden.
73 Die N e p io i in der urchristlichen Paränese, N e w Test. Studies 5 (1958—59) 188— 205.
D IE P A U L IN IS C H E N P A R A N E S E N 189
T ra d itio n im H e b rä er- un d 1. P etru sb rief, um sie auf Je su s se lb st zurü ck zu fü h ren . D abei w ird das d u rch a u s w ich tig e T hem a „W ach s tum des C h riste n v o n U n m ü n digk eit z u r M an n esreife" th eo lo g isc h e rlä u te rt. D ieser V e rsu c h v e rb in d e t die tra d itio n sg e sc h ic h tlic h e F o rsch u n g m it d e r th eo lo g isch en als eig en tlich es Ziel d e r U n te r suchung.
Das Beispiel e in e r v o rb ild lic h en th eo lo g isc h e n B eh and lun g d e r P a rä n e s e n b ie te t B. R ig au x in sein em K o m m en tar zu d en T h essalo- n ic h e rb rie fe n 74. Er zieht d rei m ögliche Q u e lle n d e r U n te rw e isu n g e n d e r b e id e n Briefe in B etrach t: d en Ju d a ism u s m it b e s o n d e re r Be rü ck sic h tig u n g d e r in Q u m ran v e rtre te n e n Form en, d e n H ellen is m us, h a u p tsä c h lic h d e n v o n d e r Stoa v e rtre te n e n , u nd d en G n o sti zism us m it se in e n spezifisch en sittlich e n L ehren. D arü b er h in a u s b e d ie n te sich P au lu s e ig e n e r M e th o d e n u n d h a tte e in b estim m tes Ziel v o r A u g e n 75. Eine A n a ly se des p a rä n e tisc h e n G utes d e r b e id e n Briefe erg ib t v ie r H a u p ta sp e k te: d en c h risto z e n trisc h e n , p n e u m a to
logischen, e sch a to lo g isch e n u n d ek k le sio lo g isc h e n 76. J e d e r A sp e k t w ird im R ahm en d e r so n stig en p a u lin isc h e n P a rä n e se n g e ste llt und in die p a u lin isc h e E thik e in g eg lied ert. D am it w ä re n die ric h tig e n A n sä tze zu e in e r S y stem atik d e r P a rä n e se n g egeben, alle rd in g s n u r so w eit sie die T h e ssalo n ich e rb rie fe b etreffen.
A u c h die T ra d itio n sg e sch ic h te d e r P a rä n e se n w ird n u n w ei te rh in G eg en stan d e in e r g rü n d lic h en F orschung; das th eo lo g isch e In te re s s e rü c k t jed o c h im m er m eh r in d e n V o rd e rg ru n d . Z u vo r n o ch h at H. P re isk e r in sein em Buch ü b er das T elos-E thos77 das par- ä n e tisc h e G ut in F u n k tio n des C h ristu sg e sc h e h e n s d a rg e stellt, w o b ei er fü r dieses ein b estim m tes E n tw ick lu ng sg esetz n a ch zu w eisen su ch te: das e in h e itlic h e e th isc h e P rinzip — agape — sei d u rch E ind ring en frem d en Ü b e rlie fe ru n g sg u te s in S chw inden zu g u n ste n d e r E inzeltu g en d en. D as V o rh a b e n v o n P re isk e r ist e h e r th e o lo g isch -eth isch als tra d itio n sg e sc h ic h tlic h 78. Beide P u n k te k o m m en d a g e g en in d e r D issertatio n v o n N.L. N o rq u ist79 auf ih re R echnung; leid er ist d iese A rb e it u n se re s W issen s n ich t g e d ru c k t w o rd en. W . S c h räg e 80 su c h te d en W eg d e r o rg an isc h en E in glied eru ng des p a r ä n e tisc h e n G utes bei P au lu s in die sy ste m atisc h e E thik aufzuzei
74 Les Epîtres aux Théssaloniciens, Paris 1956. 75 Ebd., 184.
79 Ebd., 184— 194.
77 Geist und Leben. Telos-Ethos des Urchristentums, Gütersloh 1933; in der zw eiten A u flage (mit ein ig en Ergänzungen und N euerungen) u.d.T.: Das Ethos
d e s Urchristentums, Gütersloh 1949 (Neudruck: Darmstadt8 1968) erschienen.
78 Ebd., 13.
79 The Transmission ot Ethical Tradition in the Syn o p tic G ospels and th e
W r ittin g s of Paul, D iss. Hartford Sem inary 1956.
80 Zur formalethisch en D eutung der paulinischen Paränese, Zeitschr. f. evan g. Ethik 4 (1960) 207— 233, ferner ein e grössere M onographie: Die k o n k re te n Ein
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gen. A u sser d e n E rö rte ru n g e n ü b er d e n A u sg a n g sp u n k t d er neu- te sta m e n tlic h e n P a rä n e se ü b e rh a u p t, u n te rz ie h t d e r V e rfasser die B eziehungen d e r p a u lin isc h e n M ah n u n g zum E sch ato n u nd zu r k o n k re te n B riefsitu atio n e in e r k ritisc h e n A n aly se. D er Ü berg ang zw i s c h e n d e n a k tu e lle n P ro b lem en d e r G em einden u n d p a rä n e tisc h e r, a llg em ein g ü ltig er U n te rw e isu n g sei fliessend: zum eist k n ü p fen diese an je n e an. Eine sch arfe U n te rsc h e id u n g zw isch en b eid en ist je doch sich er nich t am Platze. F reilich b ra c h te S ch räg e in d e r th e o lo g isc h e n H au p tfrag e, näm lich n ach d er V e rw u rz elu n g d e r P a rä n e se im a p o sto lisch en K ery g m a bzw. D idaché, k e in e g ru n d sätzlich n e u e Lösung. Er b rin g t g leich w o h l v iel m eh r V e rstä n d n is für diese F ra g e auf als die e rs te n V e rtre te r d e r fo rm g esch ich tlich en Schule. In d iesem S inne k a n n m an w oh l v o n d e r Ü b erw in d u n g d es re in fo r m alistisc h e n S ta n d p u n k te s in d e r P a rän e se -F o rsc h u n g sprech en .
Die b ish e rig e n F o rsch u n g se rg eb n isse b lie b e n — tro tz d e n sc h e in b a r z a h lreic h e n V erö ffen tlich u n g en — ziem lich fragm en tarisch . V on den m eh r sy ste m atisc h e n V e rsu ch e n k a n n a u sse r d e r p a u li n isc h e n E thik v o n A n d re w s81 fast n u r Die sittlich e B otschaft des
N e u e n T e sta m e n ts v o n R. S c h n a c k en b u rg 82 und die E thik des N e u e n T e sta m e n ts v o n H.D. W e n d la n d 83 a n g e fü h rt w erd en . Die zw ei le tz t
g e n a n n te n W e rk e sind bis jetz t b e ste th eo lo g isc h -sy ste m a tisc h e D a rste llu n g e n d e r p a u lin isc h e n P a rän e se n , obg leich die F o rm eines „G ru n drisses" o d er „H andbuches" d e n E rw äg u n g en feste G ren zen se tz te. Im H in b lick auf die P a rä n e se n sc h ein t jed o c h eine g ru n d
sätzlich e th eo lo g isc h e B ehan d lu ng n o tw en d ig zu sein. W ie ist die p a u lin isc h e P a rä n e s e in die H au p tfo rm en d e r ap o sto lisc h e n T ä tig k e it einzu o rd nen ? W ie v e rh ä lt sie sich zum p a u lin isc h e n u n d ü b e r h a u p t u rc h ristlic h e n K ery g m a und D idaché? In w iefern k a n n m an v o n th eo lo g isc h u n te rb a u te n , sa k ra m e n ta le n P a rä n e se n sp re c h e n 84? W ie v e rh ä lt sich die p a u lin isc h e P a rä n e se zur a p o sto lisch en P a ra k ie s e 85? D a rü b e r la sse n sich in d e n b ish e rig e n V erö ffen tlich u n g en nu r g e le g e n tlich H in w eise finden.
In d esse n kam in d e n letz te n 30 J a h re n ein e fru c h tb a re A n re g u n g a u s e in e r a n d e re n Q uelle: aus d en Q u m ran -T ex ten . U n ter
zahlrei-81 M. E. A n d r e w s , The ethical Teaching of Paul, Baltimore 1934. 82 Handbuch der M oraltheoiogie 6, M ünchen 1954; v gl. d e r s., Christliche
E xistenz nach dem N euen Testamen t, Bd. I—II, M ünchen 1967.
83 Ethik des N eu e n Testa m ents, Güttingen 1970 (s. Index: Paränese).
84 Vgl. z.B. C. M a r t e l e t , Figure et parénèse sacram ente lle s fi Cor), Pa ris 1957. A usserdem w erden die Zusam m enhänge der Taufparänese im N euen Testam ent (bes. 1 Petri) untersucht, s. insb. b. P. W e n d l a n d (passim), vgl. E. L о h s e, Paränese u. K erygm a, im 1 Petri, ZNW 45 (1954) 68—89.
85 Gr. paraklesis bedeutet nicht nur „bittendes Ersuchen" bzw. „tröstende Hilfe", sondern „der m ahnende Zuspruch", und als solch e steht der Paränese b e sonders nah (vgl. lo gos p arakleseos im Hebräerbrief). S. darüber: O. S c h m i t z ,
parakaleo, para klesis, in: Theol. W ö r te rb u c h zum N.T., Bd. V, 792—794 u. auch
die H in w eise v o n R. S c h n a c k e n b u r g , Paränese, in: Lexik on i. Theol.
D IE P A U L IN IS C H E N P A R Ä N E S E N 191
ch e n H a n d sc h rifte n d e r e rs te n u n d v ie rte n G ro tte fand m an ebenfalls S p u ren p a rä n e tis c h e r G attung. Die in te re ssa n te ste n B eispiele bo t die S ek ten re g el (1QS). A u sse r k u rz e n G eleg en h eits m ah n u n g en , m an ch m al v o n T u g en d au fzäh lu n g b eg leitet, w u rd e in 1QS 3,13— 4,26 ein e form elle — m it dem ü b rig e n In h alt d er Sek- ten re g el lite ra ris c h u n zu sam m en h än g en d e — U n te rw e isu n g ü b e r die L ebensw eise d e r S ek ten m itg lied er festg estellt. Eine u m fan g reich e th eo lo g isc h e B eg rü n d u n g w a r b eilieg en d , so dass m an so fo rt den E in d ru ck h a tte , es m it e in e r offiziellen re ic h h a ltig e n B elehrun g zu tu n zu haben.
D er T ex t ist in zw eierlei H in sich t in te re ssa n t. Z u n äch st als P ro d u k t des P a lästin a -Ju d en tu m s, da aus diesem M ilieu bis jetz t k e in e d e ra rtig e n p a rä n e tis c h e n S tü cke V orlagen, u n d d a n n au ch in fo rm eller H insicht, m it se in e r a n p a u lin isc h e T e x te s ta rk e rin n e rn d e n P räg u n g . W as a b er die m eisten K o n tro v e rse n h e rv o rg e ru fen h at, w a r die s ta rk d u a listisch e F ä rb u n g des p a rä n e tis c h e n Stof fes u n d d e r b e ig efü g ten th eo lo g isc h e n B egründung. Es ist zu b e d a u e rn , d ass die re lig io n sg e sch ic h tlic h e n A u se in a n d e rse tz u n g e n des e rs te n F o rsch u n g sstad iu m s die eig e n tlic h e th eo lo g isch e B earbei tu n g des p a rä n e tis c h e n T e x tes au f d e n zw eiten P lan v e rd rä n g te n . Die e rs te n F o rsch e r b e g n ü g te n sich dam it, die P a ra lle le n oder Di v e rg e n z e n zw isch en e in zeln en Q um ran - u n d n e u te stam e n tlic h e n S ch riften au fzu zeig en 86. D er e rste , d e r d ie P a rä n e s e n in d en Qum - ra n -H a n d sc h rifte n e in e r e in g e h e n d e n U n te rsu c h u n g u n terzo g , w ar w oh l H. B rau n 87. D ie „ p a rä n e tisc h e n In h alte" b ilden e in e n der d rei P u n k te sein es F o rsch u n g ssch em as; d e r Begriff selb st ist der D ibelius' fo rm g esch ich tlich en M eth o d e e n tn o m m en u n d um fasst nich t n u r sp ezifische m ah n e n d e U n terw eisu n g , s o n d e rn alle H inw eise auf die sittlich e H a ltu n g d e r G em einde (bzw. a n d e re r relig iöser G ruppen). B rau n nim m t ein e w ese n tlich e R a d ik a lisie ru n g des p a r ä n e tisc h e n In h alts in Q u m ran in A u ssich t, b e so n d ers im V erg leich m it jen e m v o n A bot. A uf die h o c h in te re ssa n te n T ex te v o n lQ S a u nd lQ Sb, fe rn e r 1QH u n d 1QM g e h t die S tudie nich t e in 88. A u ch die B erü ck sich tig u n g e in z e ln e r S tilg a ttu n g e n in n e rh a lb 1QS w ä re für die D eutu ng des p a rä n e tis c h e n Stoffes v o n In te re sse 89. Sorgfältig
86 V gl. Ghr. B u r c h a r d , Bibliographie zu den Handschritten v o m Toten
Meer, Bd. I—II, Berlin 1957— 1965 (wird in „Revue de Qumran" system atisch
ergänzt).
87 Spät jüdisch-h äretischer und frühchristlicher Radikalismus, Bd. I—II, Tübin g en 1957 (diese A rbeit entstand im w esen tlich en 1951, also am A nfang der Qum- ran-Forschung).
88 D ie beiden lQ S a und lQ Sb (ebenso die T exte 1QM u. 1QH) w urden erst 1955 veröffentlicht, als die U ntersuchung von B r a u n bereits ab geschlossen war.
89 Darüber schrieb zuerst Bo R e i с к e, Rem arques sur l'histoire de la torme
(Formgëschichte) des te x t e s de Qumran, in: Les Manuscrits de la Mer Morte. Colloque de Strasbourg, Paris 1957, 37— 44.
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w ird d ag e g en d e r d u a listisch e E inschlag in ein z e ln e n b e h a n d e lte n S ch riften gep rü ft u n d z.T. au ch d e sse n Z u sam m enh an g m it dem T on u nd In h alt d e r P a rä n e se h e rv o rg e h o b e n . W as das V e rg le ich sm a te ria l an b elan g t, so b e sc h rä n k t sich B rau n led iglich auf d e n s y n o p ti sc h en Stoff u n d zw ar auf diie ä lte ste J e su stra d itio n , die e r w e itg e h e n d d e r G em einde zu sch reib t. Die p a u lin isc h e n S ch riften kom m en in einem w e ite re n W e rk d ieses V e rfa sse rs90 zur B ehandlung. B raun h ä lt an die frü h e re T h e se fest, dass ,Дп Q u m ran w ie bei P au lu s d ie P a rä n e se in ein e d u a listisch e G ru n d stru k tu r e in g e b e tte t ist... ab e r d e r b e id e rseitig e D ualism us ist in Q u m ran w ie bei P aulu s im e in zel nen v e rsc h ie d e n s tru k tu rie rt. Sich d er G nade G ottes a n v e rtra u e n sch liesst in Q u m ran d en b e to n te n G esetzesw eg ein, bei P aulu s d a g e g en aus... D arum e rw ä c h st d e r p a u lin isc h e Im p e ra tiv aus ein em in d ik ativ isc h en H eil, w elch es o hne die T o ra zu sta n d e kom m t; das q u m ra n isc h e In d ik a tiv d a g e g en zielt auf die b e to n te E inbeziehung d e r T o ra als des H eilsw eg es g e ra d e a b ”01. Die th em a tisch e E rö rte ru n g ü b e r die P a rä n e se in Q u m ran u n d im N e u e n T e sta m en t92 fü h rt d en V e rfa sse r zu e in ig e n b e m e rk e n sw e rte n S chlussfolg eru ng en. ,,Das Feld d e r P a rä n e se — sc h re ib t e r — liefert b ed e u tsa m e A n a lo gien eben so w ie g ew ich tig e D ifferenzen zw isch en d e r q u m ra n isc h e n und d e r n e u te sta m e n tlic h e n G em einde u n d v e rd e u tlic h t dam it, w ie k om plex das V e rh ä ltn is b e id e r S eiten z u e in a n d e r in S achen d e r P a r ä n e se ist... Die F o rd e ru n g e n Q u m ran s u n d J e su ste lle n ein e V e r sc h ärfu n g p h a risä isc h -ra b b in isch e r H alach a dar... in Q u m ran lega- listisc h er u n d sta tu ta ris c h e r R adikalism us, bei d en S y n o p tik ern A n sp rü c h e v o n F all zu Fall... g e le g e n tlich n o ch k o m p ro m isslo se r als in Q um ran, w eil die sy n o p tisc h e P a rä n e se e in e n R ek u rs vom Le g alen auf die e rs te n G ru n d lag en d arstellt... K urz: q u m ra n isc h e und n e u te sta m e n tlic h e P a rä n e s e n sind in z e n tra le n P u n k te n v o n e in a n d e r g e sch ie d en "93.
In einem w e ite re n A rtik e l v on J.P. A u d e t94 ü b e r die lite ra risc h e V e rw a n d tsc h a ft zw isch en 1QS u n d D idachê, B arnabas-B rief u n d Pa
stor des H erm as, k om m en g ew isse für die P a rä n e se ty p isc h e D ar
stellu n g sfo rm en zu r B ehandlung, d och ü b e r die B eziehung d e r „bei d en W eg e" zu Paulus-B riefen e rfa h re n w ir h ier n ich t viel.
V iel a u fsc h lu ssre ic h e r e rw ie se n sich die S p ezialarb eiten üb er d ie U n te rw e isu n g ü b e r die zw ei G eister v o n Q u m ran (1QS 3,13— 4,26) in ih rem V e rh ä ltn is zu p a u lin isc h e n Briefen, näm lich v o n J.
90 Qumran und das N eu e Testament, Bd. I—II, Tübingen 1966. 91 A.a.O., Bd. II, 298—300.
92 Bd. II, 286—301. 93 Bd. II, 299— 300.
94 A ii in ité s littéraires et doctr in ales du Manuel du Discipline, Rev. Bibl. 59 (1952) 219—238 und 60 (1953) 41—82.
