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Gewalt gegenuber Familien: Theologisch-ethische Herausforderungen

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Academic year: 2021

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Gerhard Marschütz

Gewalt gegenuber Familien:

Theologisch-ethische

Herausforderungen

Forum Teologiczne 16, 9-22

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ROZPRAW Y I ARTYKUŁY

FORUM TEOLOGICZNE XVI, 2015 ISSN 1641-1196

Gerhard Marschütz

Universität Wien

GEW ALT G E G E N Ü B E R FA M ILIEN .

T H E O L O G ISC H -E T H ISC H E H E R A U S F O R D E R U N G E N

Zusammenfassung. Gewalt wird im Zusammenhang mit Familie zumeist als Gewalt in der Familie verstanden. Hierzu gibt es seit einigen Jahrzehnten zahlreiche Studien. Dieser Artikel behandelt dagegen jene Formen von struktureller und kultureller Gewalt, denen Familien als ein soziales Teilsystem im Kontext moderner Gesellschaften unausweichlich ausgesetzt sind. Im Anschluss an begriffliche Klärungen zur Gewalt, insbesondere zur strukturellen und kulturellen Gewalt, werden zunächst die strukturellen, individuellen und kulturellen Pluralisierungsprozesse der Moderne in ihren fundamentalen Auswirkungen auf Familien aufgezeigt. Sodann werden zentrale Aspekte der strukturellen und kulturellen Gewalt gegenüber Familien verdeutlicht. Diese haben zur Folge, dass die Familie im Kontext moderner Gesellschaften sowohl in ihrer Gründungsbereitschaft als auch in ihrer Lebensfähigkeit immer mehr gefährdet ist. Theologisch-ethische Herausforderungen verweisen nicht nur auf die Aufgabe einer umfassenden Familienpolitik, sondern auch darauf, dass die spezifische Eigenlogik von Ehe und Familie als Lebensform von Würde begleitet und ermutigt wird.

Schlüsselworte: Familie, strukturelle Gewalt, kulturelle Gewalt, Menschenwürde, theologische Ethik.

Einleitung

Gew alt bew irkt Zerstörung - nicht nur im B lick a u f Kriege, schwere Ver­ brechen oder anders im Sinne von N aturgew alten, sondern alltäglich auch im Blick a u f Familien. Üblicherw eise w ird der Zusam m enhang von Gew alt und Fam ilie als „Gewalt in der Fam ilie“ verstanden und thematisiert. Im Fokus steht damit jen e Gewalt, die Fam ilienm itglieder einander zufugen. Solche familiäre Gewalt kann nochmals in physische, psychische, sexuelle, ökonomische und auch religiöse Form en von Gew alt ausdifferenziert und sodann speziell analysiert w erden zw ischen erw achsenen (Ehe)Partnern oder gegenüber deren Kindern, aber auch unter Geschwistern. Erst seit einigen Jahrzehnten gibt es hierzu zahl­

Adres/Address/Anschrift: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Marschütz, Katholische Fakultät der Universität Wien, Institut für Systematische Theologie, Fachbereich Theologische Ethik, e-mail: gerhard.marschuetz@ uni- vie.ac.at

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reiche, teilweise auch über das Internet zugängliche Studien1. Diese relativ späte wissenschaftliche Aufarbeitung des Them as bezeugt insgesam t eine veränderte Sensibilität gegenüber familiärer Gewaltausübung. Denn es ist nicht davon auszu­ gehen, dass fam iliäre Gew alt ein »neues« Them a darstellt. Lediglich aufgrund veränderter soziokultureller Verständnisweisen ist in der Vergangenheit vieles nicht oder n ur bedingt als Gew altanw endung angesehen worden. Was daher im historischen Vergleich heute im Gefolge von Frauen- und Kinderschutzbewegung als familiäre Gewalthandlung gegenüber insbesondere Frauen und Kindern begrif­ fen wird, w ar zuvor Jahrhunderte lang gesellschaftlich akzeptiert oder zumindest toleriert2.

Im Zentrum der nachfolgenden A usführungen steht nicht das Them a inner­ fam iliärer Gewalt. Vielmehr soll eine Form von Gewalt verdeutlicht werden, der Familien als soziales System im Kontext moderner Gesellschaften unausweichlich ausgesetzt sind. Es geht also nicht um fam iliäre Gew alt zwischen Personen (persönliche Gewalt), sondern um jen e Form von Gewalt, die der norwegische Friedensforscher Johan Galtung in den 1970er Jahren „strukturelle G ew alt“ ge­ nannt hat. D a nach Galtung sowohl die persönliche Gewalt als auch die struktu­ relle Gew alt erst durch die Dim ension der „kulturellen G ew alt“ plausibel und legitim iert wird, ist auch diese Form von Gew alt zu berücksichtigen.

A ngesichts der damit verbundenen Kom plexitätssteigerung des Them as m üssen Schwerpunkte gesetzt werden. Zunächst ist es nötig, wenigstens um riss­ haft Begriffsklärungen zur Gew alt einzubringen. Sodann sind zentrale Aspekte der strukturellen Gewalt gegenüber Familien a u f dem Hintergrund gesellschaftli­ cher M odernisierungsprozesse aufzuzeigen und im Blick auf kulturelle Dimensio­ nen zu vertiefen. Den Abschluss bilden theologisch-ethische Überlegungen.

Begriffliche Annäherungen

Jede Annäherung an den B egriff Gewalt hat vorweg zu beachten, dass - wie der von der W eltgesundheitsorganisation (W HO) im Jahr 2002 veröffentliche

World R ep o rt on Violence a n d H ealth in der Z usam m enfassung festhält

1 Vgl. etw a Gender D atenreport. D atenreport zur G leichstellung von Frauen und M ännern in der B undesrepublik Deutschland, Kapitel 10: G ewalthandlungen und G ew altbetroffenheit von Frauen und M ä n n ern , M ünchen 2005, S. 610-669, in: B undesm inisterium f ü r Fam ilie, Senioren und Jugend [online], Zugang: 27.03.2015, <http://w w w .bm fsfj.de/doku/Publikationen/genderreport/10-gew althan- dlungen-und-gew altbetroffenheit-von-frauen-und-m aennern.htm l>; Österreichisches Bundesm inisterium für Soziale Sicherheit und G enerationen (Hrsg.), Gewalt in der F am ilie, G ew altbericht 2001. Von der E nttabuisierung zu r Professionalisierung, W ien 2001, in: Bundesm inisterium f ü r Fam ilien und Jugend [online], Zugang: 27.03.2015; S. Lam nek et al., Tatort Familie. H äusliche G ewalt im gesellschaftlichen K ontext, A usgabe 3., W iesbaden 2012.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 11

- „Gewalt ein äußerst diffuses und kom plexes Phänom en [ist], das sich einer exakten w issenschaftlichen Definition entzieht“3. Je nach w issenschaftlicher Disziplin, aber ebenso in Relation zu unterschiedlichen soziokulturellen wie auch historischen K ontexten kann der G ew altbegriff verschiedene Bedeutungsinhalte aufw eisen und erw eist sich darum als vielschichtig und unscharf4.

Dem althochdeutschen Wort „waltan“ entstamm end, besagt Gew alt „stark sein, beherrschen“ und bezeichnet in historischer Sicht prim är das spezifische M erkm al eines Herrschenden, dem es obliegt, M acht ausüben und durchsetzen zu können5. Im Vergleich zu anderen Sprachen enthält der deutsche B egriff G ew alt aber keinen U nterschied zw ischen legitim er G ew alt (lat. potestas, engl. power), w ie sie in institutioneller Form von Staaten ausgeübt werden kann, und illegitim er Gewalt (lat. violentia, engl. violence). Allein letztere w ird gesell­ schaftlich durch das Strafrecht sanktioniert und sowohl um gangssprachlich als auch im wissenschaftlichen Diskurs vorwiegend als physische Gewalt aufgefasst. Diese meint eine Ausübung von körperlicher Stärke, die beabsichtigt eine Schädi­ gung oder Verletzung von Personen oder Sachen bewirkt. A uch der oben zitierte

World R eport on Violence and H ealth basiert a u f der physischen Auffassung

von Gewalt, beschränkt sie aber auf Personen und erweitert sie zugleich im Blick auf die Gew alt gegen die eigene Person und auf Form en kollektiver Gewalt. D em nach wird Gewalt definiert als der „absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer M acht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder m it hoher W ahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder D eprivation führt“6.

W ährend hier der Gebrauch von physischer Gew alt auch im B lick auf psy­ chische Schäden Beachtung findet, charakterisiert psychische Gew alt als solche prim är Kränkungen und Dem ütigungen verbaler Art, aber ebenso die gezielte Verweigerung von K om m unikation und Vertrauen, wodurch das Selbstbewusst­ sein einer Person system atisch geschädigt wird.

Dagegen bew irkt sexuelle Gew alt im m er eine Verletzung von K örper und Psyche, insbesondere in ihrer grausam sten A rt der Vergewaltigung und des se­ xuellen M issbrauchs von M inderjährigen. Fam iliär sind fast im m er Frauen und 3 W eltbericht G ew alt und Gesundheit. Zusam m enfassung, in: World H ealth Organization [online], Zugang: 27.03.2015, <http://w w w .w ho.int/violence_injury_prevention/violence/w orld_report/en/sum - m ary_ge.pdf>, S. 5.

4 Vgl. als Ü berblick: P. Imbusch, D er Gewaltbegriff, in: W. Heitm ayer, J. H agan (Hrsg.), Inter­ nationales H andbuch der Gewaltforschung, W iesbaden 2002, S. 26-57.

5 Vgl. Duden, B d 7: D as H erkunftswörterbuch. Etym ologie der deutschen Sprache, M annheim 1997.

6 W eltbericht G ew alt und Gesundheit. Zusam m enfassung, in: World H ealth Organization [online], S .6 .

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K inder von sexueller Gewalt betroffen. N icht selten w erden Frauen gegen ihren Willen zu erniedrigenden und o ft schm erzhaften sexuellen Praktiken genötigt und hierdurch zum Objekt sexueller Lustbefriedigung degradiert. Im Fall des sexuellen M issbrauchs an Kindern nutzt der Täter zudem „seine M acht- und Autoritätspo­ sition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen“7. Darüber hinaus existiert vor allem in Familien m it traditionellem Geschlech­ terverständnis w eiterhin ökonom ische Gewalt, w enn M änner als Allein- oder Besserverdiener darüber entscheiden, w ie finanzielle Mittel eingesetzt und zuge­ teilt werden. Ökonomische Gewalt kann sich auch darin äußern, dass Frauen von M ännern a u f ihre A ufgaben als M utter und H ausfrau fixiert und so in wirtschaft­ licher A bhängigkeit gehalten werden, da ihnen die A usübung einer eigenen be­ ruflichen Tätigkeit erschwert oder verw eigert wird.

Ebenso existieren Form en religiöser Gewalt. Diese können sich fam iliär in der K indererziehung durch rigide religiöse N orm en oder einseitige, A ngst einflößende G ottesbilder äußern, w elche einer Förderung der kindlichen Persönlichkeitsentw icklung entgegenstehen. A uch die Hinderung oder H erab­ w ürdigung der freien A usübung des Glaubens eines Familienmitgliedes ist unter religiöser Gewalt zu subsumieren.

Die bisher genannten Form en von Gew alt unterscheiden sich deutlich vom B egriff der strukturellen Gewalt, der die aus gesellschaftlichen Strukturen resul­ tierenden Form en von Gew alt in den Blick nimmt. Solche Gew alt kennt keinen konkreten Akteur im Sinne einer persönlichen und direkten Gewaltausübung. Die in sozialen Strukturen integrierte Gewalt existiert zwar nicht jenseits menschlicher Verantwortung, entzieht sich aber einer unmittelbaren individuellen Zurechenbar­ keit. Strukturelle Gewalt benennt einen strukturell bew irkten Dauerzustand von Gewalt. Sie liegt gemäß Galtung „dann vor, w enn M enschen so beeinflußt w er­ den, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung“8. Dieser Gewaltbegriff stellt die Folgen für die Opfer in das Zentrum und begreift diese als Differenz „zwischen dem A ktuellen und dem Potenziellen, zw ischen dem, was ist, und dem, w as a u f einem bestim m ten gesellschaftlichen Entwicklungsniveau hätte sein können“9. D a im Vergleich zur physischen Gewalt diese Differenz oft nicht als Gewalt assoziiert w ird und damit als überdehnt benannt erscheint, schlägt Galtung als Synonym auch den B egriff der „sozialen U ngerechtigkeit“ 10 vor. G leicherm aßen versteht er unter beiden Begriffen die strukturell bedingte ungerechte, w eil ungleiche Verteilung von

7 D. Bange, G. Deegener, Sexueller M ißbrauch an Kindern. A usmaß, Hintergründe, Folgen, W einheim -Basel 1996, S. 105.

8 J. G altung, Strukturelle Gewalt, Reinbek 1975, S. 9.

9 P. Im busch, D er Gewaltbegriff, in: W. Heitm ayer, J. H agan (Hrsg.), Internationales H andbuch S. 40.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 13

Chancen und Ressourcen w ie Einkomm en, Vermögen und Bildung. A u f diese Weise w erden M enschen gewaltsam gehindert, ein gutes Leben führen oder bereits Überleben zu können. Armut, Ausbeutung, Unterdrückung und Entfrem ­ dung sind somit wichtige Definitionsmerkmale des strukturellen Gewaltbegriffs.

Legitim iert w ird strukturelle Gew alt durch kulturelle G ew alt11. Diese be­ wirkt, dass diverse Form en von Gew alt in einer bestim m ten K ultur als legitim oder zumindest nicht als Unrecht gelten und demnach gesellschaftlich ebenso üblich wie akzeptiert sind. Kulturelle Gewalt impliziert, die in Begriffen, Sprache, Handlun­ gen und sozialen Strukturen eingelagerte Gewalt nicht als solche wahrzunehmen, da sie als selbstverständlich gilt und somit beschönigt oder verschleiert wird. A uf diese Weise wird Gewalt oft unkenntlich gemacht. Sie bleibt weithin unsichtbar und unhinterfragt, darum zumeist verkannt, wiewohl zugleich kulturell anerkannt.

Zentrale Kritikpunkte an dieser Ausw eitung des Gewaltbegriffs auf struktu­ relle und kulturelle Dimensionen kulminieren vor allem in der m angelnden Ope- rationalisierbarkeit und Schärfe, wenn nicht sogar Unbestimmbarkeit des Begriffs strukturelle/kulturelle Gewalt. Letztlich könnte näm lich alles als Gew alt gelten, „sobald nur vorstellbar wäre, dass es im normativen Sinne besser sein könnte“12. Dam it würde der B egriff strukturelle Gewalt auch sehr bald als Skandalisierungs- instrument m issbraucht werden können, zumal er keinen direkten Täter kennt, sondern nur die Folgen für die Opfer ausweist. D am it werde aber zudem die unhintergehbare personale Verantwortung auch für strukturelle und kulturelle Bereiche vernachlässigt.

Trotz dieser hier nicht zu vertiefenden Defizite bleibt jedoch anzuerkennen, dass eine Eingrenzung der Gew alt auf ihre direkten Form en nicht ausreicht, um Gew alt als weitaus kom plexeres Phänom en verstehen zu können. Deshalb sind unumgänglich ebenso die kulturellen Legitimationen und strukturellen Dimensio­ nen von Gewalt zu beachten - wiewohl sie schwer fassbar sind. Nachfolgend soll das im Blick auf die Lebensform Fam ilie geschehen. Voraussetzung hierfür ist, Fam ilie auch als soziales System zu begreifen.

Fam ilie als soziales System

Fam ilie ist niem als nur ein personales System, das aus zum indest zwei und nur selten m ehr als sechs Personen besteht. Zugleich ist sie ein soziales System, das unlösbar vernetzt ist m it anderen sozialen Systemen. Zw ar ist Fam ilie nicht

11 Vgl. J. Galtung, Frieden m it friedlichen M itteln. F riede und Konflikt, E ntw icklung und Kultur, O pladen 1998, S. 341ff.

12 P. Imbusch, D er Gewaltbegriff, in: W. Heitmayer, J. H agan (Hrsg.), Internationales Handbuch S. 40.

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nur als soziales Teilsystem zu sehen, niem als kann sie aber nicht als solches gesehen werden. Denn Fam ilie existiert im m er in einer je bestim m ten G esell­ schaft, die einer je bestim m ten Zeitepoche angehört, und ist daher unaufhörlich in soziale und kulturelle Veränderungsprozesse hineingenommen. Darum gibt es nicht »die« Fam ilie als isoliertes, in sich selbst stehendes System, das in über­ zeitlicher Perspektive bestim m bar wäre. Fam ilie existiert im sozialen Wandel. Trotz aller K ontinuität w ar und w ird sie stets anders.

In vorm oderner Zeit w ar Fam ilie noch als »Haus« bezeichnet. Sie war H ausgem einschaft von M ann, Weib, K indern und Gesinde (M ägde, Knechte, V erw andte...) am bäuerlichen Hof. Als Lebens- und W irtschaftsgem einschaft

konnte sie noch alle wichtigen Daseinsfunktionen abdecken und daher zu Recht als Zelle der Gesellschaft begriffen werden. Geprägt w ar sie von harter Arbeit a u f den W iesen, Feldern und Ställen sowie stets bedroht von w etterbedingten M issernten, von A rm ut und Krankheit.

Das heutige m oderne Familienverständnis konnte sich erst seit dem 19. Jahr­ hundert im Gefolge der fortschreitenden Industrialisierung und damit verbundenen U rbanisierung der Bevölkerung allm ählich durchsetzen. Viele der bislang im R ahm en der Hauswirtschaft getätigten A ufgaben erfahren nunm ehr eine A usla­ gerung in diverse soziale Organisationseinheiten, wie etwa ökonomische (M arkt­ wirtschaft) oder dienstleistende (Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen). Im Zuge dieser Veränderungen wurde Fam ilie auch verm ehrt zum Inbegriff des Privaten, in ihren Aufgaben weitgehend reduziert auf die Zeugung und Erziehung von N achkom m en und a u f die Sorge um ein liebevolles und solidarisches M it­ einander der in ihr lebenden Personen.

Als Sozialsystem des Privaten verm ag Familie aber nur in Abhängigkeit der verschiedenen öffentlichen Sozialsystem e ihr Dasein zu sichern. Dam it gerät Fam ilie gewaltig unter Druck, genauer unter den Druck der strukturellen, indivi­ duellen und kulturellen Pluralisierung, welche den gesellschaftlichen M odernisie­ rungsprozess charakterisiert13.

Strukturelle Pluralisierung besagt die Ausdifferenzierung und Strukturierung moderner Gesellschaften in diverse soziale Teilsysteme, die jew eils auf bestimmte Funktionen spezialisiert sind und hierbei eine spezifische Eigenlogik entwickeln. Primär relevant für den Modernisierungsprozess haben sich vor allem die Teilsys­ teme Wirtschaft und Technik, W issenschaft und Bildung, Politik und Recht sowie Gesundheits- und Sozialwesen erwiesen. Dagegen erscheinen die dem Privatbe­ reich zugeordneten sozialen Teilsysteme Familie und Religion nur m ehr sekundär relevant und somit m arginalisiert gegenüber den anderen Sozialsystemen.

13 Vgl. zum Folgenden G. M arschütz, F am ilie humanökologisch. Theologisch-ethische Perspek­ tiven, M ünster 2000, S. 109-121.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 15

Individuelle Pluralisierung besagt die m it der strukturellen Pluralisierung not­ w endig verbundene Herauslösung von M enschen aus ehemals vorgegebenen Sozialformen wie Familie und Dorfstruktur, da hierin nicht mehr alle Daseinsfunk­ tionen erfüllt w erden können. Diese Herauslösung verläuft parallel m it einer Einbettung und Integration der Individuen in die modernen Sozialstrukturen, ins­ besondere in die Teilsysteme Bildung (Schule, Universität) und Wirtschaft (Arbeits­ markt). Individuelle Pluralisierung bew irkt som it nicht nur einen Zuw achs an neuen Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung, die vormals durch familiäre Vorgaben oder den prüfenden Blick der Dorfgem einschaft oft nicht verw irklich­ bar waren. Sie bewirkt zugleich neue Abhängigkeiten und Zwänge, die vor allem durch die m arktförm ige D ynam ik der m odernen Sozialsysteme geprägt sind.

Kulturelle Pluralisierung verdankt sich den unterschiedlichen W erten und N orm en, w elche die ausdifferenzierten Sozialsystem e generieren, w obei diese nicht selten in erheblicher Spannung zueinander stehen. Dadurch w ird die ehe­ m alige Totalität eines kirchlich geprägten und fam iliär tradierten Werte- und N orm enzusam m enhangs aufgebrochen und w eicht einem Werte- und N orm en­ pluralismus, der divergente m oralische Auffassungen und Konzeptionen der Le­ bensführung aufweist. Ehem als eindeutige norm ative O rientierungsm uster w er­ den som it relativiert und zur Option unter vielfältig anderen. Dynam isiert w ird dieser Prozess der kulturellen Pluralisierung durch die in jüngerer Zeit beständige Zunahme von Kommunikationsmedien.

Diese stets in w echselseitiger Bedingtheit stehenden Pluralisierungsprozesse verdeutlichen zentrale Konturen gesellschaftlicher M odernität, die nicht nur unhintergehbar den Kontext familiärer Lebenswelt bilden, sondern zugleich jene Gew alt gegenüber der Lebensform Fam ilie implizieren, die gemäß Galtung als Differenz zw ischen der aktuellen und potentiellen Verwirklichung von Fam ilie identifizierbar wird. D ieser Differenz soll nachfolgend in struktureller und k ul­ tureller Sicht nachgegangen werden.

Zur strukturellen Dim ension von G ewalt gegenüber Fam ilien

In personaler Hinsicht gehört zur Idee der Familie, diese als „innige Gemein­ schaft des Lebens und der Liebe“ (GS 48) verantw ortlich gestalten zu können. Theologisch vertieft im Horizont der m enschlichen Berufung zur Liebesgemein- schaft m it Gott besagt das m it den W orten von Papst Johannes Paul II.: „Jede Familie entdeckt und findet in sich selbst den unüberhörbaren Appell, der gleich­ zeitig ihre W ürde und ihre Verantwortung angibt: Familie, »werde«, was du »bist«!“ (FC 17).

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Als soziales System erlebt Familie dagegen permanent, nicht sein zu können, w as sie sein will. Sie erfährt sich o ft w eniger als personal gestaltendes denn als von sozial vorgegebenen Strukturen gestaltetes System. Denn m oderne G esell­ schaften entfalten eine „strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familie“14, da deren dominante Teilsysteme - allen voran die Wirtschaft, in engem Verbund m it Bildung, W issenschaft und Technik - sich in ihrer Eigenlogik insofern als kinder- und elternfeindlich erweisen, als sie indifferent gegenüber dem Um stand sind, ob M enschen in Familie leben oder nicht und damit die Privilegierung einer Lebens­ form ohne K inder bewirken.

Für den kürzlich, am 1. Jänner 2015, verstorbenen Soziologen U lrich Beck ist es vor allem die für eine ökonomische Existenzsicherung notwendige Integra­ tion in die Erfordernisse des m odernen Arbeitsmarktes, welche sich rücksichtslos gegenüber einer selbstbestimmten Gestaltung des Familienlebens auswirkt. Denn das ideale „M arktsubjekt ist in letzter Konsequenz das alleinstehende, nicht part­ nerschafts-, ehe- oder familien»behinderte« Individuum “15. N ur fam ilienfr eie In­ dividuen verm ögen den A nforderungen moderner, im m er prekärer werdenden Arbeitsverhältnisse einigermaßen nachzukommen. Wer jedoch familiäre Verant­ w ortung hat, weiß um die schwierige Vereinbarkeit von Fam ilie und Beruf. Bereits ein halbw egs sicherer A rbeitsplatz m it angem essener Entlohnung, der auch stabile finanzielle und zeitliche Ressourcen für ein Familienleben ermöglicht, stellt im m er w eniger die Regel dar. Das gestiegene Risiko von Arbeitslosigkeit trifft auch viele Familien. Die Antizipation dieses Risikos bewirkt darum kinder­ arme Familien, da in ökonomischer Sicht Kinder durch die im Vergleich zu früher w eitaus längere Integration in das Bildungssystem auch einen bedeutsam en Kostenfaktor darstellen. Denn m ehr denn je orientiert sich verantwortete Eltern­ schaft an der sozial üblichen N orm , nur dann und nur so viele K inder bekom ­ m en zu sollen, w ie m an meint, verantw ortlich für sie Sorge tragen zu können - und zw ar in um fassender Hinsicht, w as partnerschaftliche Aspekte ebenso einschließt w ie finanzielle, erzieherische und psychische. Die verbreitete B e­ schränkung a u f m aximal zwei Kinder erscheint darum als praktikabler K om pro­ miss zwischen Familien- und Berufsorientierung.

Hinzu kommt, dass berufliche Erfordernisse w ie zeitliche Verfügbarkeit und M obilität den familiären Bedürfnissen zumeist übergeordnet werden müssen, um das Risiko des Arbeitsplatzverlusts minimieren zu können. D a heute mehrheitlich auch Frauen genauso w ie M änner eine Lohnerwerbsbiographie realisieren, trägt

14 F.-X. K aufm ann, Zukunft der Fam ilie im vereinten Deutschland. G esellschaftliche und p o li­ tische B edingungen, M ünchen 1995, S. 174.

15 U. Beck, F reiheit oder Liebe. Vom Ohne-, M it und Gegeneinander der Geschlechter innerhalb und außerhalb der F am ilie, in: U. Beck, E. Beck-Gernsheim, D as ganz norm ale Chaos der Liebe, Frankfurt a. M. 1990, S. 53.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 17

zudem die herkömmliche Formel „M änner haben Familie, Frauen leben Familie“ nicht mehr. Familie wird vermehrt zur Verhandlungsfamilie. Es gilt auszuhandeln, wer in w elchem A usm aß einer Lohnerwerbsarbeit nachgeht, wer m it welchem Aufwand die Kinder versorgt und wer sich in welchem Um fang um den Haushalt küm mert. Im m er öfter zerbrechen Fam ilien an den hier abverlangten Entschei­ dungen. Zum einen deshalb, weil die innerfamiliäre Aufgabenaufteilung nach wie vor eine stabile D om inanz traditioneller M uster aufweist, wonach viele M änner ihre primäre Verantwortung weiterhin im Beruf, nicht jedoch in der Familie sehen, wo sie bloß (m ehr oder weniger) ihre M ithilfe anbieten. Zum anderen deshalb, weil Frauen jene Mehrfachbelastung immer weniger als selbstverständlich akzep­ tieren, die ihnen die zugewiesene Verantwortung für Familie und B eruf auferlegt. Die zur ökonom ischen Existenzsicherung unverm eidbare Arbeitsm arktinte­ gration impliziert für Familien ein hohes Maß an Entscheidungszumutungen, die aufgrund ihres strukturellen Ursprungs nur bedingt individuell gelöst werden können. So zeigt etwa eine Studie zum Them a Elternwünsche, dass die Geburt eines Kindes die Berufstätigkeit beider Elternteile, also auch die der Frauen, imm er kürzer unterbricht, das seitens vieler A rbeitgeber ein rascher beruflicher W iedereinstieg erwartet wird und damit imm er häufiger schon K leinstkinder in einer Fremdbetreuung untergebracht werden. Diese Praxis widerspricht nicht nur den Bedürfnissen des Kindes, sondern, wie die Studie aufzeigt, ebenso den W ünschen der Eltern. Denn unabhängig von der Verfügbarkeit von K rippen­ plätzen sprechen sich „knapp zwei Drittel der Eltern gegen eine Fremdbetreuung ihrer Kinder vor Vollendung des dritten Lebensjahres“ 16 aus. A uch ju ng e Väter wünschen sich mehrheitlich die Möglichkeit einer qualifizierten Teilzeitarbeit, um speziell die frühe Entwicklung ihrer K inder m it dem Partner aktiv begleiten zu können. Doch das fam ilienadäquate M odell einer reduzierten Arbeitszeit für M ütter u nd Väter, das sich weder finanziell noch hinsichtlich beruflicher Aufstiegschancen nachteilig für Eltern auswirkt, existiert kaum.

Die strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familie findet über das Verein­ barkeitsproblem von Familie und Beruf hinaus beispielsweise auch in einer unzu­ reichenden Entlastung im Steuersystem oder in einer ungenügenden A nrech­ nung von K indererziehungs- und Pflegezeiten in der Sozialversicherung ihren

16 M. M üller-Burhop, Elternwünsche. E ine empirische Studie über Wünsche und Vorstellungen ju n g e r Eltern und daraus fo lg en d e K onsequenzen f ü r P olitik und G esellschaft, W ürzburg 2008, S. 229. D ass E ltern m it dieser Einstellung intuitiv richtig liegen, w ird m ittlerw eile von neurobiologischen Erkenntnissen bestätigt. D iese zeigen, w ie w ichtig für K inder in deren früher Lebensphase stabile B ezugspersonen sind. Das Vorhandensein sicherer Bindungen entscheidet m aßgeblich über die A usbildung und A ufrechterhaltung synaptischer N etzw erke im G ehirn und über die Empfindlichkeit des neurobio­ logischen Stressystem s - und dam it letztlich darüber, w elche C hancen später K inder vorfinden, körperlich, psychisch, geistig und seelisch gesund sein zu können. Vgl. hierzu J. Huber, Liebe lässt sich vererben. Wie wir durch unseren L ebensw andel die Gene beeinflussen können, M ünchen 2010.

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Ausdruck. Letztlich wäre es A ufgabe einer um fassenden Familienpolitik, diese Rücksichtslosigkeiten w irksam zu minimieren. Es m üssten dauerhaft soziale Rahm enbedingungen bereitgestellt werden, welche die m it der Entscheidung zur Familie und die m it dem Familienleben verbundenen Folgen risikoärmer und damit attraktiver w erden lässt. Die strukturellen Benachteiligungen von Fam ilien im Vergleich zu denjenigen, die ohne Kinder leben, wären also konsequent zu besei­ tigen. D a das nicht oder unzureichend geschieht, bleiben Fam ilien im Kontext m oderner Gesellschaften sowohl in ihrer Gründungsbereitschaft als auch n ur in ihrer Lebensfähigkeit strukturell gefährdet.

Zur kulturellen Dim ension von G ewalt gegenüber Fam ilien

Eine wirksame Familienpolitik als konstitutives Element der Gesellschaftspo­ litik stellt w eiterhin ein D esiderat dar. Das liegt vor allem daran, dass sozialer Fortschritt prim är m it dem Teilsystem W irtschaft, eng verbunden m it Bildung, W issenschaft und Technik, und den hierzu gehörenden Werten und Norm en iden­ tifiziert wird, nicht aber m it Familie. Das hat unm ittelbar zur Folge, dass die von und in Fam ilien gelebten Werte und N orm en sowie die von Fam ilien erbrachten Leistungen für die Gesellschaft oft verkannt bleiben und nur unzureichende, weil zumeist nur rhetorische Anerkennung finden. Andererseits ist auch die Politik in ihrem Gestaltungsauftrag m ehr denn je von wirtschaftlichen Interessen abhängig und vermag daher der zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche wenig entgegenzusetzen. Genau das wäre aber fam ilienpolitisch notwendig, da ökono­ m ische Logik nur ein Teil dessen ist, was zum Gelingen von Fam ilie beiträgt.

Die w irtschaftliche Prämisse des effizienten Um gangs m it knappen M itteln setzt eine bestimm te A rt von Rationalität voraus, welche heute w eithin als Inbe­ g riff der Vernunft gilt - insbesondere im Horizont der seit einigen Jahrzehnten massiv fortschreitenden Entfesselung („Liberalisierung“) und Entgrenzung („Glo­ balisierung“) w irtschaftlichen Handelns. Eine solche kulturell bereits tie f verwur­

zelte ökonom ische Vernunft entlässt eine Denk- und Handlungslogik, in der die

M arktwirtschaft tendenziell verabsolutiert w ird „zu einer totalen MarktgeseU- schaft, die alles, unser ganzes Leben und auch die Politik der »Sachlogik« des

M arktes unterwirft“ 17. Somit w ird auch die ursächlich von Liebe und Solidarität geform te familiäre Eigenlogik dieser Unterw erfung ausgesetzt und in ihrer E nt­ faltung m assiv behindert. Denn ökonomische Vernunft bewirkt einen normativen

Individualismus, der Kooperation nur eigennützig zur Gewinnmaximierung sucht,

17 P. U lrich, Z ivilisierte M arktw irtschaft. E ine w irtschaftsethische Orientierung, A usgabe 2., Freiburg i. Br. 2005, S .11.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 19

aber wenig Sinn für die wechselseitige Achtung und Anerkennung der Menschen als Person sowie für das G em einw esen fordert.

In diesem Sinne hält Papst Franziskus in der Enzyklika Evangelii gaudium fest: „Diese W irtschaft tötet“, denn für sie „spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der M ächti­ gere den Schwächeren zunichtem acht. Als Folge dieser Situation sehen sich große M assen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne A usw eg“ (EG 53). Die kulturelle Legitim ierung von ökonomischer Vernunft tötet auch Familien. Denn systemtheoretisch betrach­ tet ist Familie im Vergleich zu anderen sozialen Teilsystemen ein nur kleines und damit in ihrer Eigenlogik sehr leicht verletzbares System. Es würde daher beson­ deren Schutz und vor allem praktische A nerkennung benötigen.

Eine solche Anerkennung m üsste eine N eubew ertung fam iliärer Aufgaben bewirken. D er vorw iegend ökonom isch geform ten Sozialkultur entspricht „die rechtliche Herabstufung der Fam ilientätigkeit zu einer wirtschaftlich unerhebli­ chen Leistung“18. Diese gilt als Privatsache, weshalb Erziehungsleistungen nur in beruflich, nicht aber in elterlich ausgeübter Form als w irtschaftlicher Wert aner­ kannt werden. Dass dagegen die in Familien erbrachte Erziehungsarbeit nicht als w ichtige produktive Leistung und Investition für die gesellschaftliche Zukunft begriffen wird, ist schwer nachvollziehbar. Denn die Z ukunft jed er Gesellschaft basiert nicht allein a u f einer funktionierenden W irtschaft, der Produktion von materiellen Gütern, sondern zugleich a u f leistungsfähigen Familien, der quantita­ tiven und qualitativen Reproduktion von Nachkommenschaft sowie der Schaffung und Wahrung von immateriellen Gütern a u f der Basis von Liebe, wechselseitiger Achtung und Solidarität. N ur durch solche familiär erbrachten Leistungen, deren B edeutung oft erst sichtbar wird, wo sie nicht m ehr oder nur unzureichend erbracht werden, und - darauf aufbauend - schulischer A usbildung w ird auch eine effiziente W irtschaft möglich. W irtschaft ist und bleibt daher von familiären Leistungen abhängig.

Die ethische Frage nach dem Gelingen eines guten Lebens kann darum niem als nur ökonom isch im Sinne eines m ateriellen W ohlstands beantw ortet werden. D am it verbietet sich eine Verabsolutierung der ökonom ischen Vernunft als oberstem Prinzip sozialen Handelns. W irtschaft ist ein Teilsystem gesellschaft­ lichen Lebens, das die zur Erfüllung m enschlicher Bedürfnisse erforderlichen Güter bereitstellt. Doch die Erfüllung m enschlicher Bedürfnisse erschöpft sich nicht in solchen Gütern, da zur Entfaltung des M enschen als Person wesentlich auch andere Güter gehören, welche nicht ökonomisch, sondern prim är fam iliär

18 P. Kirchhoff, K om m t die Fam ilie zu ihrem Recht? Fam ilienrecht in der aktuellen Diskussion, in: S. M ayer, D. Schulte (Hrsg.), D ie Zukunft der Fam ilie, M ünchen 2007, S. 120.

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bereitgestellt werden. Eine N eubew ertung von Fam ilientätigkeit m üsste diese daher im Vergleich zur Berufstätigkeit gleichrangig und gleichwertig für den Aufbau einer Gesellschaft, die sich als wahrhaft menschliche Gesellschaft begrei­ fen will, anerkennen. N ur auf der Basis einer solchen N eubew ertung wäre auch eine N euverteilung fam iliärer Tätigkeiten zu etablieren, die es M üttern und Vätern ermöglicht, ohne soziale und finanzielle Benachteilung gegenüber Kinder­ losen ausreichend Lebenszeit in die fam iliäre Lebensw elt zu investieren. Denn Zeit ist wohl das kostbarste Gut, das Eltern ihren Kindern, aber auch Ehepartner einander schulden.

T h eologisch-ethischer A usblick

In seinen M inim a M oralia schreibt Theodor W. Adorno, dass es „kein richtiges Leben im falschen“19 gibt. Gilt das auch für die heutige Fam ilie? Wie kann Familie ein gutes und richtiges Leben führen inmitten einer Gesellschaft, die sich ihr gegenüber strukturell und kulturell rücksichtslos verhält? Diese Frage ist lehramtlichen Dokumenten nicht unbekannt. So hält Papst Johannes Paul II. fest: „Die U ngerechtigkeit, die aus der Sünde stammt, - welche auch tief in die Strukturen der heutigen Welt eingedrungen ist - , behindert oft die Familie in ihrer vollen Selbstverwirklichung und in der A usübung ihrer fundam entalen R echte“ (FC 9). Trotz der dam it verbundenen N otw endigkeit w irksam er fam ilienpoliti­ scher M aßnahm en, wird aber die „Bekehrung des Geistes und des H erzens“ (ebd.) als fundam entaler erachtet. Dafür gibt es gute Gründe.

Zum einen gründet M oral nicht ursächlich in Strukturen, weshalb erst eine solche Bekehrung „auch auf die Strukturen der Gesellschaft einen wohltuenden und erneuernden Einfluss ausüben“ (ebd.) wird. Zum anderen gibt es auch die em pirisch gesicherte „Erkenntnis, dass objektiv idente Strukturen und Leben­ sum stände subjektiv unterschiedlich w ahrgenom m en und bew ertet werden können sowie die Einsicht, dass subjektive Zufriedenheit und Situationswahrneh­ m ung das Handeln von Personen zum Teil nachhaltiger und unm ittelbarer beein­ flussen können, als die objektiven Lebensum stände“20. Das besagt: Obwohl m enschliches Handeln niem als losgelöst von sozialen Bedingungen reflektiert werden kann, ist es dennoch niem als nur als Reflex gesellschaftlicher Vorgaben, sondern im m er auch als genuin eigenständiges Handeln zu begreifen. Darum hat Adorno seinen oben zitierten bekannten Satz auch nicht als Verunmöglichung der

19 T.W. Adorno, M inim a M oralia, in: Idem, „G esam m elte Schriften“ Bd. 4, Frankfurt a. M. 1997, S. 43.

20 N.F. Schneider, F am ilie und p riva te L ebensführung in West- und Ostdeutschland. E ine ver­ gleichende A nalyse des F am ilienlebens 1970-1992, Stuttgart 1994, S. 38.

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Gewalt gegenüber Familien. Theologisch-ethische Herausforderungen 21

M öglichkeit von Moral aufgefasst. In seiner Vorlesung von 1956/1957 zur M oral­ philosophie betont er, dass m an stets so zu leben bem üht sein müsse, „wie m an in einer befreiten W elt glaubt leben zu sollen, gleichsam durch die Form der eigenen Existenz, m it all den unvermeidbaren W idersprüchen und Konflikten, die das nach sich zieht, versuchen, die Existenzform vorwegzunehmen, die die eigent­ lich richtige w äre“21.

Die eigentlich richtige, vorwegzunehmende Existenzform von Familie ist, eine Institution der W ürde zu sein und sein zu sollen. Ehe und Familie sind das einzige soziale System, das als umfassende Liebes- und Lebensgemeinschaft sowohl zum Ziel wie auch zum Inhalt hat, die in ihr lebenden M enschen als Person, das heißt, um ihrer selbst willen zu achten. Ein solches Ethos der Menschenwürde prägt die Idee von Familie. In der Praxis erfordert es, w ie der Philosoph Peter Bieri detailreich zeigt, „eine bestim m te A rt und Weise, ein m enschliches Leben zu leben“22. H ierzu gehört unter anderem, dass Fam ilienm itglieder einander nicht benutzen, sondern als Selbstzweck behandeln und als gleichberechtigt anerkennen und achten, dass sie einander nicht demütigen und bevorm unden oder die Selbst­ ständigkeit des D enkens und Entscheidens nehmen, ebenso vor anderen nicht zur Schau stellen, bloßstellen oder auslachen. Stets geht es in einer solchen Lebensform der W ürde darum, w ie ich andere und w ie andere m ich behandeln. Hierin entscheidet sich die Erfahrung der W ürdigung, a u f die jed e r M ensch notw endig verw iesen ist. U nd hierin entdecken christliche Fam ilien auch den Verweis a u f Gott, w enn „die G laubenden auch ihre Sache sein lassen, was Gott zu seiner ureigenen Sache gem acht hat: die W ürdigung des M enschen“23.

D er Verweis a u f die N otw endigkeit einer adäquaten Fam ilienpolitik w ird deshalb nicht unwichtig. D enn auch „im W irtschaftsleben sind die W ürde der

m enschlichen Person und ihre ungeschm älerte Berufung w ie auch das Wohl der gesam ten Gesellschaft zu achten und zu fördern, ist doch der M ensch Urheber, M ittelpunkt und Ziel aller W irtschaft“ (GS 63).

V io len ce a g a in st fa m ilies. T h eo lo g ica l eth ica l challen ges

Summary. When we talk about violence in the context of the family, we mostly consider violence within families. A fair amount o f studies have analysed this phenomenon. This article, however, deals with the forms o f structural and cultural violence families encounter in our societies. First,

21 T.W. Adorno, Problem e der M oralphilosophie. Vorlesung 1956/57 an der Universität F rank­ fu r t a. M. Zit. n. G. Schweppenhäuser, E thik nach Auschwitz. Adornos negative M oralphilosophie,

H am burg 1993, S .1 9 2 .

22 P. Bieri, E ine A rt zu leben. Über die Vielfalt m enschlicher Würde, M ünchen 2013, S. 12. 23 J. W erbick, D en Glauben verantworten. E ine Fundam entaltheologie, Freiburg i. Br. 2000, S. 396.

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we will clarify conceptions on violence, especially on structural and cultural violence. Then, we will talk about the structural, cultural and individual processes o f pluralization in our modern society, and about the way these processes affect families. Finally, we will point out the crucial aspects o f cultural and structural violence that families encounter. These aspects have proven to make it difficult for people to found a family to begin with, and for already existing families to survive. From a theological-ethical perspective, we have to call for a responsible family policy, and make sure that marriage and the family are encouraged in their specific dignity and logic. Keywords: family, structural violence, cultural violence, human dignity, theological ethics.

P rzem oc w ob ec rodzin. T eologiczne w y zw an ia etyczne

Streszczenie. Mówiąc o przemocy w kontekście rodzinnym, zazwyczaj bierze się pod uwagę przemoc wewnątrz rodzin. W wielu badaniach przeanalizowano to zjawisko. Autor artykułu zajmuje się formami strukturalnej i kulturowej przemocy nad rodzinami, którą spotyka się w naszych społeczeństwach. Najpierw wyjaśnia koncepcję przemocy, zwłaszcza przemocy struk­ turalnej i kulturowej. Następnie omawia strukturalne, kulturowe i indywidualne procesy plurali- zacji w nowoczesnym społeczeństwie oraz ich wpływ na rodziny. Wreszcie zwraca uwagę na kluczowe aspekty przemocy kulturowej i strukturalnej, na które napotykają rodziny. Aspekty te wskazują na utrudnienia w zakładaniu rodzin oraz obrazują, w jaki sposób wpływają na życie rodzin już istniejących. Analiza problematyki w perspektywie teologiczno-etycznej pozwoliła na wniosek o konieczności wzywania do odpowiedzialnej polityki rodzinnej i upewniania się, że małżeństwo i rodzina są wspierane zgodnie z potrzebami wynikającymi z godności oraz logiki. Słowa kluczowe: rodzina, przemoc strukturalna, przemoc kulturowa, godność człowieka, etyka

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