Norbert Mendecki
Jahwe Erbauer Jerusalems und
Sammler der Zerstreuten in Ps
147,2-3
Collectanea Theologica 56/Fasciculus specialis, 85-88
C o lle c ta n e a T h eo lo g ica 56 (1986) fasc. sp ecialis NORBERT M ENDECKI, W IE N
JAHW E ERBAUER JERUSALEMS
UND SAMMLER DER ZERSTREUTEN IN Ps 147,2—3
Ps 147 gehört — ähnlich w ie etw a Ps 33; 104; 145 und 146 — zu den Lobliedern1. Er beginnt mit dem hym nischen Ruf „H alleluja" in V. 1. Dieser und an d ere hym nische Rufe in W . 7.12. gliedern den Psalm in drei Teile2. N ach der Einführung in V. 1 w erden in W . 2—3 als H eilstat G ottes die Sammlung des zerstreuten V olkes und der W iederaufbau Jerusalem s genannt. V. 4 bringt als neues Thema die Schilderung G ottes als H errscher der W elt.
V. 2 beginnt m it der Bezeichnung Jah w es als „Erbauer J e ru salems". Das W ort boneh kommt im A lten Testam ent 9 M al v o r3. Es fällt auf, daß nur in unserem Ps 147,2 von Jah w e als Erbauer J e rusalem s gesprochen wird. In Ps 51,20 und in Ps 102,17 ist Jah w e noch Subjekt des V erbs banah Q4. W ährend Ps 51,20 als Bitte an Jahw e („baue d ie M auern Jerusalem s") form uliert ist, beschreibt Ps 102,17 den Bau Zions durch Jah w e5. Ps 102 und unser Psalm setzen den M auerbau N ehem ias v oraus6, deshalb sind w ohl beide nach dem Exil entstanden.
Ps 147,2—3 lautet:
2 Erbauer Jerusalem s ist Jahw e, die Z erstreuten Israels sammelt er.
3 Er ist der Arzt für die gebrochenen Herzen, er verbindet ihre W unden.
Mit dem W ort „Erbauer" greift der V erfasser von Ps 147 die V erheißung des W iederaufbaus nach der U nheilszeit in Am 9,11 ; Jer 24,6; 31,4.28; 33,7; 42,10; Ez 28,26 und 36,33—36 auf. Am 9,11
1 H an s Jo a c h im K r a u s , Psalmen, N e u k irc h e n -V lu y n 8 1978, 43.
2 B e rn h a rd D u h m sp ric h t so g a r v o n d re i v e rs c h ie d e n e n Psalm en, w eil d ie d rei T eile so d e u tlic h v o n e in a n d e r g e tre n n t sind, vgl. H an s Jo a c h im K r a u s , op. cit., 1135.
3 N äm lich in 1 K ön 5,32.32; 2 K ön 12,11; 22,6; Ez 27,4; E sr 3,10; Ps 118,22; 2 C hr 34,11; Ps 147,2, n a c h G e rh a rd L i s o w s k y , K o nkordanz zum hebräischen. A lten Testa m en t, S tu ttg a r t2 1958, 269.
4 Vgl. A. R. H u 1 s t, TH A T I, 325— 327, bes. 326.
5 .V gl. H a n s ,J o a c h im K r a u s , op. cit., 862—869, bes. 867—868. 8 Vgl. H an s Jo a c h im K r a u s , op. cit., 1136.
7 A rth u r W e i s e r , Das Buch der z w ö lf K le inen Propheten, Göttingen® 1974, 203.
8 S ieg m u n d B ö h m e r , Heim kehr und neuer Bund. Studien zu Jeremia
stam mt aus der Exilzeit7. Je r 24,6—8 w urde deuteronom istisch bear beitet8. J e r 31,27—30 stammt von deuteronom istischer H and9. W as Je r 13,4 betrifft, will Siegmund Böhmer „keine Rückschlüsse auf die H erkunft des Textes ziehen"10. Bernhard Stade, Bernhard Duhm, Carl H einrich Cornill und Paul Volz sprechen Kap. 33 dem Propheten Jerem ia ab. N ach A rthur W eiser dürfte das W esentliche von Jer 33,1— 13 auf den Propheten zurückgehen11. N ach W infried Thiel ge hört Je r 42,10—12 zur deuteronom istischen R edaktion12. Sowohl Ez 28,25—2613 als auch Ez 36,33—36 bilden einen N ach trag 14. Es ist schwer zu entscheiden, w elche Stelle aus der oben genannten Reihe dem V erfasser des Psalms konkret als „V orlage" diente. W ir können aber vorsichtig von einem Einfluß des Buches Ezechiels sprechen.
Jahw e samm elt die Z erstreuten Israels. Die Form ulierung „die Zerstreuten Israels" kommt noch in Jes 11,12 und 56,8 vor. Jes 11,12 ist spät anzusetzen15. W ir dürfen daher an eine trito jesajan isch e H erkunft der Form ulierung d enken16, w enn auch hinter ihr das Bild Ezechiels von den v ersprengten Schafen (Ez 34,4.16) steh t17.
Für „sam m eln” w ird das V erb kanas gebraucht. Dieses kommt in den späteren Texten des A lten Testam ents v o r18 und entspricht dem aram äischen kanasch19. Die Belege m it Pi finden sich, außer an unserer Stelle noch in Ez 22,21 und 39,28. In diesen drei Belegen bedeutet kanas Pi „versam m eln". Kanas Pi w urde in Ez 22,21 w ah r scheinlich nachträglich hinzugefügt20. Ez 39,23—29 bildet als Ganzes einen N achtrag, der durch den Redaktor des Buches Ezechiel ge schaffen w urde21. Da in den beiden Texten Jah w e Subjekt von kanas Pi ist, w äre ein Zusam m enhang zwischen unserer S telle und dem Buch Ezechiel denkbar. Auf eine spätere H erkunft von Ps 147 v er w eist seine V erw andtschaft m it dem Deuteronom ium und Deutero- je sa ja 22. Dazu setzt der Psalm den W iederaufbau Jerusalem s voraus, der in N eh 7,4; 11,1—2 u.ä. beschrieben wird. Daher dürfen wir
9 S ieg m u n d B ö h m e r , op. cit., 74. 10 S ieg m u n d B ö h m e r , op. cit., 55.
11 A rth u r W e i s e r , Das Buch Jeremia, Göttingen® 1969, 303.
12 W in frie d T h i e l , Die deute ronom istische Redaktion v o n Jeremia 1—25, N e u k irc h e n -V lu y n 1973, 573 ff.
13 W a lth e r Z i m m e r l i , Ezechiel, N e u k irc h e n -V lu y n 1969, 695. 14 W a lth e r Z i m m e r l i , op. cit., 874.
15 H an s W i l d b e r g e r , Jesa ja 1— 12, N e u k irc h e n -V lu y n 1972, 467. 19 V gl. N o rb e rt M e n d e c k i , Die Sammlung des zerstr eute n V olkes. Eine m o tivg es ch ich tlich e U nters uch ung anhand der V e rb e n q bs Pi und s p О (Diss.), W ie n 1980, 20. u Vgl. Ez 34.4.16. 18 V gl. Ps 33,7; P re d 2,8.26; 3,5; N e h 12,44; Est 4,16; 1 C hr 22,2 n a c h G e rh a rd L i s o w s k y , op. cit., 685. 19 J. F. A. S a w y e r, TH A T II, 584. 20 V gl. W a lth e r Z i m m e r l i , op. cit., 515. 21 Vgl. W a lth e r Z i m m e r l i , op. cit., 971, 22 H an s Jo a c h im K r a u s , op. cit., 1136.
annehm en, daß der V erfasser von Ps 147 w ahrscheinlich Ez 22,21 und 39,28 gekannt hat.
Jah w e w ird in V. 3 als A rzt bezeichnet. Es gibt n u r drei T exte im A lten Testam ent, in denen diese Bezeichnung für Jah w e vor kommt. Das sind: Ex 15,26; Ps 103,3 und unser Ps 147,3. Diese Be zeichnung Jah w es geht auf die V erheißungen der H eilung des lei denden V olkes zurück. Es sind hier besonders Dtn 32,39; Ex 15,26; Jes 57,18.19; Je r 30,17; 33,6 u.a. zu nennen. Dtn 32,39 gehört zum so genannten ,,Lied M ose" (Dtn 32,1— 44), das w ahrscheinlich in die Exilzeit zu datieren ist23. In Ex 15,25b.26 geht es um einen deutero- nom istischen Zusatz24. Je r 30,17 und J e r 33,6 stam m en aus späterer Zeit als der Prophet selbst25. Deshalb scheinen alle oben genannten Belege aus der Exilzeit zu stammen. Es ist auffallend, daß die beiden großen Exilpropheten, D euterojesaja und Ezechiel, nirgendw o das V erb rapa' Q verw enden, obwohl beide die heilbringende H ilfe Jah w es verkünden. Zusam m enfassend können w ir feststellen, daß Ps 147,3 mit der Bezeichnung Jahw es als A rzt auf die deuteronom i- stische Tradition zurückgeht, die in verschiedenen Büchern des A lten Testam entes v ertre ten ist.
Jahw e ist Arzt für die Zerbrochenen. Es gibt außer u nserer Stelle nur noch drei Belege im A lten Testam ent, die von einer H eilung (mit dem W ort тара') der Zerbrochenen (mit dem W ort schabar) sprechen. Das sind: Jer 6,14; Klgl 2,13; Ez 34,4. In J e r 6,14 verheißen die Führer des V olkes das H eil für das zerbrochene Volk, w as aber vom Propheten Jerem ia als ,,Lüge” bezeichnet wird, w eil es der W ahrheit nicht entspricht. Klgl 2,13 stellt fest, daß das Zerbrechen des V olkes groß ist und fragt, w er kann es heilen. Der letzte Beleg Ez 34,4 bildet eine A nklage der Führer des Volkes, die sich um das Volk nicht kümmern. M it dem Bild d er versprengten Schafe will der Prophet die Situation des V olkes schildern.
Es zeigt sich aber, daß Ps 147 m it dem Bild der Sammlung in V. 2 und dem der H eilung des zerbrochenen V olkes durch Jah w e in V. 3 vor allem Ez 34,16 nahesteht. Ez 34,13 beschreibt die Samm lung des zerstreuten Volkes, Ez 34,16 Jah w es Fürsorge für seine verletzte Herde. Ein ähnliches Schema „Sammlung — H eilung" gibt es in Ps 147,2—3. W ir dürfen daher w ohl von einem inhaltlichen Einfluß Ezechiels in Ps 147,2—3 sprechen.
A bgesehen davon ist der A usdruck „die zerbrochenen H erzen" m it Jes 61,1 verw andt. Diese S telle steh t aber Ez 34,16 nahe. A ußer dem ist der Prophet, im G egenteil zu unserer Stelle und zu Ez 34,16 selber Subjekt von Jes 61,1. W ir können daher n u r von einer w
ört-23 G e rh a rd v o n R a d , Das iü n ite B uch M ose. D eu tero n o m iu m , G öttingen* 1968, 143.
24 M a rtin N о t h, Das z w e ite B uch M ose. E xo d u s, Gottingen® 1978, 102. 25 S ieg m u n d B ö h m e r , op. cit., 44—45, 63.
lichen A bhängigkeit von Je s 61Д sprechen26. Inhaltlich bleibt der V erfasser von Ps 147 m it dem A usdruck ,,die zerbrochenen Herzen" unter dem Einfluß Ezechiels.
Jah w e verbindet die schm erzenden W unden. Das V erb habasch Pi kommt nur zweimal im A lten Testam ent vor: an u nserer Stelle und in Ijob 28,11. In Ijob 28,11 bedeutet dieses Verb „eindäm m en"27. Die Belege mit Q haben verschiedene Bedeutungen28. Im Sinne von „eine W unde verbinden" kommt das V erb habasch Q in Ijob 5,18; Jes 30,26; 61,1; Hos 6,1; Ez 30,21 und 34,4.1 6vor. Das Buch Ijob, wie auch T ritojesaja stam m en aus nachexilischer Zeit. Jes 30,26 w ird um 200 v.Chr. d atiert29. H os 6,1—3 erfuhr eine B earbeitung in sp äte rer Zeit30. Der A usdruck kann also von Ezechiel stammen.
Ps 147,2—2 w eist eine A nnäherung an das Buch Ezechiels auf.
Kanas Pi und die Form ulierung „ihre W unden verbinden" könnten
also aus dem Buch Ezechiels entnom m en sein. Die inhaltlichen Ein flüsse aus diesem Buch lassen sich einerseits in der Bezeichnung Jahw es als „Erbauer” und andererseits in d er Form ulierung „die ge brochenen H erzen" feststellen. Der letzte A usdruck ist allerdings w örtlich von T ritojesaja abhängig. Dazu kommt noch die tritojesa- janische Formel „die Z erstreuten Israels" und die deuteronom isti- sche Tradition m ild e r Bezeichnung Jahw es als Arzt.
Ps 147 gehört zu den Lobliedern. Jah w e w ird als H err der Schöp fung gelobt, der zugleich auch H err der G eschichte Israels ist. V. 2 nennt zwei Taten Jahw es, die den Lobpreis bestimmen: der Aufbau Jerusalem s und die Sammlung der Zerstreuten. Mit der letzten A ussage nimmt der Psalm ist Bezug auf die V erheißungen der Samm lung: Jetzt ist die Zeit der Erfüllung der V erheißungen gekommen! Darüber hinaus bildet V. 2 eine K onkretisierung der früheren V er heißungen. Das Bild der H eilung der Z erstreuten von Ez 34; M ich 4,6—7; Zef 3,18—20 u.ä. w ird hier als W iederaufbau der Stadt v er standen. Mit dieser A ussage steht der Beleg allein unter den „Sam m lungstexten" des A lten Testam entes.
23 Vgl. n o ch Ps 51,19.
27 Vgl. „S ic k e rb ä c h e däm m t er ein, V e rb o rq e n e s b rin g t e r ans L icht" (Ijob
28,11). “
28 V gl. W ilh e lm G e s e n i u s , Hebräisch es u n d a ra m ä is c h e s H a n d w ö rte r buch über da s A lt e Testament, B erlin17 1962, 212—213.
29 Vgl. O tto K a i s e r , Der Prophet Jesaja. K apit el 13- -39, G ö ttin g e n 2 1976, 188.
80 O tto K a i s e r , Einleitung in das A lte Testa m en t. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, G ü te rs lo h 3 1975, 201,