Ing. H. Binek und Dr.-lng. E. Müller
161. Mitteilung der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau e. V., Duisburg Institut an der Rheinisch-Westfaischen Technischen Hochschule, Aachen
Aufgabenstellung:
Die Schräganströrnung eines Schiffes kann verursacht werden durch Abdrift infolge Seitenwind, durch Einleiten eines Drehmanövers oder durch Schrägschleppen. Dabei treten Kräfte bzw. Momente am Schiffskörper in al-len 6 Freiheitsgraden auf. Diese Kräfte und Momente verändern die Schwimm-age eines Schiffes gegenüber der Ge-radeausfahrt. Es stellen sich so lange Bewegungsänderungen ein, bis wieder Gleichgewichtszustand bei einer gegen-über Ruhelage veränderten Schwimm-lage erreicht ist. Eine theoretische Be-handlung dieses Problems kann nur unter sehr vereinfachenden Annahmen durchgeführt werden, so daß daraus resultierende, quantitative Ergebnisse mit Vorbehalt betrachtet werden
müs-sen. In der Binnenschiffahrt treten Schräganströmungen von Schiffsein-heiten recht häufig auf (z. B. Querfah-ren in einer Flul3strömung). Es ist wich-tig, die Größe der auftretenden Kräfte und Momente bzw. deren
Auswirkun-gen, d. h. die Bewegungsänderungen gegenüber Geradeausfahrt zu kennen, um ihnen erforderlichenfalls wirksam begegnen zu können. Zu berücksichti-gen ist dabei die Vielfalt der möglichen Parameter wie Schiffstyp, Tiefgang, Wassertiefe, Fahrgeschwindigkeit, Schräganströmungswinkel.
Modellversuche sind z. Z. die einzige Möglichkeit, um systematische, zahlen-mäßige Ergebnisse zu erhalten. Diese Ergebnisse werden zur Beurteilung des Manövrierverhaltens von Schiffen mit herangezogen.
Versuchstechnik, Meßgeräte: In der VBD wurde ein Meßeinrichtung konstruiert und angefertigt, die es er-möglicht, Kräfte und Momente in der *) Die Mittel zur Durchführung dieser Un-tersuchung stellte in dankenswerter Wei-se das Ministerium für WisWei-senschaft und Forschung des Landes NIRW zur
Verfü-gung.
Kräfte und Momente bei
Schräganströmung*
x-y-Ebene zu messen (Abb. 1). Trimm, Parallelabsenkung und Krängung der Modelle können während der Kraft-messung ungehindert ausgeführt und mit Hilfe geeigneter Aufnehmer eben-falls gemessen werden.
Abb. I
Sämtliche Meßgrößen wurden während der Versuchsfahrten fortlaufend ge-messen und registriert. Im einzelnen sind bestimmt worden:
Q uerkraft vorn- Yv Querkraft hinten Yh Längskraft X Tri mm -C Parallelabsenkung sz Krängung -I, Versuchsdurchführung: Fünf verschiedene Binnenschiffstypen wurden im Maßstab 1:16 auf
unter-schiedlichen Wassertiefen und mehre-ren Tiefgängen im großen Tank der
Mod,!I
Abb. 2
VBD untersucht. Alle Versuche erfolg-ten ohne Eigenantrieb. Die Ruder wa-ren eingebaut. Der Ruderwinkel betrug = O, d. h. die Ruder lagen in Mitt-schiffsrichtung. In Abb. 2 sind die Sil-houetten der Schiffsmodelle darge-stellt.
Abmessungen der Schiffstypen:
1. Einspurig-eingliedriger Schubver-band Lges. = 108,5 m; Lges./ 9,69 Schubboot L.0. = 32,0 m B
=11,2 m
T= 165m; B/I
6,79 LeichterL.0 = 76,5 m
B = 1113mIi
2,0 m;Vi = 1563m3;B/I = 5,57
T2 2,5 m; V2 = 1971 m3; B/T = 445 T3 = 2,8 m; V3 = 2218 m3; B/T = 3,98 Kimmform: abgerundet 2. Binnenfahrgastschiff L.0. = 91,0 m B = 15,2 m (9,0 m ohne Sei-ten körper) T= 122m
V = 724,0 m3 L/B = 5,99 (10,1) B/T = 12,46 (7,38)3. Gütermotorschiff Typ ,,Europa"
Kimmform: unter 450
abge-schrägt L,.0. = 85,0 m B
= 946m
5. Gütermotorschiff Typ ,,J. Welker L.a. = 80,0 m B
= 946m
LIB = 8,47
Ti= 2,0 m;Vi = 1286m3;
B/T = 4,73 T2 2,5 m;V2 = 1633m3; BIT = 3,78 T3 = 2,8 m;V3 = 1843m3; B/T = 3,38 Kimmform: abgerundet 5. Küstenmotorschiff Lu.a. = 55,0 m B = 1066mLIB = 5,16
T= 3,66m
V = 15220m3B/T = 2,91
Kimmform: abgerundetSchubverband- und Motorgüterschiffs-modelle sind auf den Wassertiefen h = 313 mm und 219 mm entsprechend 5 m und 3,5 m in Großausführung bei Anstellwinkeln zwischen
= 0°
und 30° geschleppt worden. Die Winkelva-nation betrug A = 2° H- 5°. Das Fahr-gastschiffsmodell ist nur auf einer Was-sertiefe von h = 313 mm 5 m unter-sucht worden, während das Modell des Küstenmotorschiffes wegen seines gro-ßen Tiefgangs auf h = 313 mm und 496 mm 5,0 m und 7,5 m Wassertiefe getestet worden ist.Die obere
Ge-schwindigkeitsgrenze war durch die maximale Belastung der Meßglieder festgelegt.
In der nachfolgenden Tabelle sind die metazentrischen Höhen GM für vier der fünf untersuchten Modelle zusammen-gestellt. Da die Modelle wie für einen normalen Widerstandversuch geballa-stet wurden, ergeben sich hohe GM-Werte. Die Werte des Fahrgastschiffes konnten nicht ermittelt werden, da wäh-rend der Krängungsversuche das Mo-dell nicht mehr verfügbar war.
*) Die gesamten Ergebnisse sind im
VBD-Bericht 733 enthalten, der gegen Unko-stenerstattung von der VBD zu beziehen
ist.
kräfte gemessen worden. Es deutet sich aber ab = 15° eine Verringerung der Längskräfte an. Der Tiefgang T 2,8 m, h/T = 1,79 bringt ab 22° ne-gative Längskräfte, d. h. die Längskraft wirkt als Vortrieb.
Ein merklicher Geschwindigkeitseinfluß ¡st für den Typ Europa bei Driftwinkeln
<20° auf dieser Wassertiefe nicht
feststellbar, erst bei größeren Winkeln kommt diesem Parameter Bedeutung
zu.
Die Ergebnisse auf der niedrigeren Wassertiefe h 3,5 m (Abb. 4) zeigen beim geringen Tiefgang T 2,0 m ebenfalls nur positive Cx-Werte im ge-samten untersuchten Geschwindigkeits-und Driftwinkelbereich, obwohl das Wassertiefen-Tiefgangs-Verhältnis h/T = 1,75 bereits kleiner ist, als das klein-ste untersuchte h/T-Verhältnis auf der größeren Wassertiefe, und in jenem Fall schon ein Vorzeichenwechsel statt-fand. Demzufolge ist also nicht das hIT-Verhältnis allein
für die Größe der
Längskraft maßgeblich, sondern die Wassertiefe selbst beeinflußt diesen Wert unmittelbar. - Weiterhin ist fest-zustellen, daß bei den großen unter-suchten Tiefgängen auf der kleineren Wassertiefe ein merklicher Geschwin-digkeitsenfluß und ein deutlicher Vor-zeichenwechsel der Längskräfte auftritt. Die Vorzeichenänderung der Längs-kraft setzt mit größer werdendem Tief-gang bei immer geringeren Driftwinkeln ein (vgl. h/I = 1,4 und 1,25). Es zeigt sich aber auch, daß mit größeren Ge-schwindigkeiten bereits wieder eine Abnahme der negativen Längskräfte eingeleitet wird.Die Querkräfte (Abbn. 5 u. 6) liegen mit ihren Maximalwerten um eine Zehner-potenz höher als die Längskräfte. Vor-zeichenwechsel findet
bei der
Quer-kraft nicht statt. In der gewählten Auf-tragungsart zeigen die Beiwerte Cy eine relativ gleichmäßige Zunahme mit ansteigendem Driftwinkel. Ebenfalls klar zu erkennen ist der Geschwindig-keitseinfluß. Auf der größeren Wasser-tiefe liegen die Querkraftbeiwerte des Gütermotorschifftyps Europa" deutlich höher als die des Typs J. Welker",
eine Folge der abgeschrägten Kimm des Typs Europa" gegenüber der ab-grundeten Kimm des Typs J. Welker". Auf der geringeren Wassertiefe ist die-ser Unterschied in den Querkräften kaum noch bzw. nicht mehr festzustel-len. Hier überwiegt der Einfluß des sehr flachen Wassers. Der Kimmeinflul3 wird kompensiert einspu rig- 175 225 eingliedriger 156,3 246 Schubverband 125 290 Gütermotor- 175 289 schiff Typ 156,3 239 Europa" 125 254 Güte rm oto r- 175 182 schiff Tp 156,3 189 Johann Welker" 125 218 Küsten moto rsch if f 288,8 160 4. Ergebnisse:
In den Abbn. 3 ±14 sind die Versuchs-ergebnisse am Beispiel des Gütermo-torschiffes Typ Europa graphisch dar-gestellt. Längs- und Querkräfte wur-den mit dem Quadrat der
Geschwindig-keit und dem Lateralplan normiert, während die Momente um die Hoch-achse zusätzlich durch die Länge der Wasserlinie dividiert wurden. Alle Auf-tragungen von Trimm,
Parallelabsen-kung und Krängung geben die umge-rechneten Absolutwerte für die
Groß-ausführung wieder. - Die
auf dasmodellfeste (schiffsfeste) Koordinaten-system bezogenen Kraftbeiwerte Cx und Cy sind ohne Mühe in das schlepp-wagenfeste (ortsfeste) System über-zuführen durch die Beziehungen CD = Cysin + Cxcos
CL = Cycos - Cxsin.
Abb. 3 und 4 geben die am Gütermotor-schiff Typ Europa auf den zwei
unter-suchten Wassertiefen ermittelten Längskraftbeiwerte Cx wieder. Abzisse ist der Driftwinkel , Parameter die An-strömgeschwindigkeit V. Auf der grö-ßeren Wassertiefe h 5,0 m (Abb. 3)
sind für den kleinsten Tiefgang T
2,0 m, h/I = 2,5 nur positive
Längs-Modell- Metazen-tiefgang trische
T Höhe GM
Model typ (mm) (mm)
Abb. 5
X.6
/4
Abb. 7
Abb. 8
Die Momentbeiwerte CN werden in ihrer Größe und Richtung im wesent-lichen durch die Querkräfte bestimmt. Demzufolge ist ihr Verlauf auch ver-hältnismäßig kontinuierlich (Abbn. 7 u. 8). Für Störungen in der Kurventendenz sind die in einigen Fällen großen nega-tiven Längskräfte
verantwortlich.
-Der Einfluß der Geschwindigkeit auf die Momente ist klar ausgeprägt.
In den Abbn. 9±14 sind die
Ergeb-nisse der Bewegungsmessungen, also
T,jro'op Schròg3chleppwersuche M 763 G ,,,,00,00h,f! Typ .,Ppypp.p A = ¡5 20 30 O,,,,..,O« P kl Abb. lo SChrdgsch!eppversuche M.7'oP ,mOTo,sth,fi Typ 5,opo
A.!G
7"POMP. P
Trimm, Parallelabsenkung und Kran-gung über dem jeweiligen Driftwinkel aufgetragen.
Trimm und Parallelabsenkung zeigen auch bei Schrägschlepp den aus Wider-standsversucherì bekannten Verlauf, nämlich kopflastigen Trimm und paral-leles Tiefertauchen mit klarer Ge-schwindigkeitsstaffelung. Gestört wird der gleichmäßige Kurvenverlauf bei kleinen h/T-Verhältnissen und großen Geschwindigkeiten infolge Flachwas-serein fluß.
Abb. 12
T,
Po,cp.(obsn,k400
chrsgschlepp versuche
M 763 GGG,moo,,4,jG Typ ,,Eo,opo
A '6 ,oIIeTabse*wng r4gçbJppversuae M 763 Gpfr,moPo,o,h,If .5pppo A. 76 30 ""'°'L P O',PPPOPM$. P [*1
Wesentlich bemerkenswerter sind die Ergebnisse der Krängungsmessung. Bei größeren hIT-Verhältnissen kräri-gen alle Modelle nach Oberstrom (in Schlepprichtung) entsprechend dem
Verhalten auf praktisch unendlich tie-fern Wasser. Bei niedrigen
hiTVerhältnissen dagegen etwa h/T = 1,4
-krängen sie nach Unterstrom (entgegen der Schlepprichtung). Das ist ein aus Momentenmessungen bei Querschlepp-versuchen mit anderen Schiffsformen erwartetes Ergebnis. Es findet hier beim Schrägschleppen seine Bestätigung.
!.
P 04
Pq,a7e(qbenkong I -- T 5chrògj2Leppveruthe
-M.763 G,,!,7s7J,,f7 'P..6T9PO A. 6 mmm or-Ei ni ge Schiffsu nfäl le bei niedrigem Wasserstand müssen jetzt unter die-sem Aspekt geprüft werden. Ein un-mittelbarer Zusammenhang zwischen der Angriffsrichtung von Quer- oder Längskraft und der Krängungsrichtung ist jedoch nicht zu erkennen.
Es zeigt sich auch, daß bei bestimmten Konstellationen von Driftwinkel, Ge-schwindigkeit und h/T-Verhältnis die anfängliche Krängung nach Unterstrom zu einer Krängung nach Oberstrom
werden kann und umgekehrt, wie die Versuche mit dem Fahrgastschiff zeig-ten. Sie beweisen, daß kein einfacher, alleiniger Zusammenhang zwischen h/T und Krängungsrichtung besteht,
son-dern daß die Schiffsform und die An-strömungsgeschwindigkeit diesen Zu-sammenhang beeinflussen.
Abschließend kann zu den Ergebnissen dieser Arbeit gesagt werden, daß die z. T. unerwarteten Fakten einer Klärung bedürfen. In einem weiteren, bereits
bewilligten Vorhaben soll durch um-fangreiche Druckmessungen am Schiffskörper und an der Wassertiefen-begrenzung (Schlepptankboden) die Analyse ermöglicht werden.
5. Zusammenfassung:
Mit vier Binnenschiffsmodellen .nter-schiedlicher Form und einem Küsten-motorschiff sind im großen Flachwas-sertank der VBD Schrägschleppver-suche bis zu einem Driftwinkel von 300 auf mehreren Wassertiefen mit mehre-ren Modelltiefgängen bei
verschiede-nen Geschwindigkeiten durchgeführt worden. Abb. 14 2O SchrgçJJLeppVer3tJthe 74763 G74.rfl,74O'iff Typ.y_mp n. 2,67 ,,,, 7. 75 nm j6 7,7 'Lfl À 76 PET7!!/ 76745k079 PL""L o V2/, FLOI Längskraftbeiwert
cy=
YGemessen wurden Längskraft, Quer-kraft, Moment um die Hochachse, Trimm, Parallelabsenkung und
Krän-gung.
Wichtigste Ergebnisse sind:
die Längskraft kann bei niedrigen h/T-Verhältnissen ihr Vorzeichen wechseln. Maßgeblich dafür sind aber außer der Schiffsform die ab-solute Wassertiefe und die An-strömgeschwindigkeit,
die Krängung wechselt ebenfalls bei niedrigen h/T-Verhältnissen das Vorzeichen, d. h. die übliche
Nei-gung nach Oberstrom geht in eine Neigung nach Unterstrom über, wo-bei ebenfalls Schiffsform und abso-lute Wassertiefe maßgebliche Para-meter sind. 6. Symbolverzeichnis: B [L] Schiffsbreite, Modelibreite CN= N h [L] Wassertiefe hIT
E]
Wassertiefen-Tiefgangs-verhältnis Lu.a. [L] Schiffslänge, Modellänge über alles LWL [L] Schiffslänge, Modellänge in der Wasserlinie L [LMT-2] Auftriebskraft im schlepp-wagenfesten Koordina-tensystem N [L2MT-2]Moment um die Hoch-ach se bezogen auf L/2
R [LMT-2] Resultierende Kraft S [L] Absenkung T [L] Schiffstiefgang, Modell-tiefgang VM [LT-I] Modellgeschwindigkeit Vs [LT-i] Schiffsgeschwindigkeit X [LMT-2] Länçiskraft im schiffsfe-sten Koordinatensystem Y Y + Yh [LMT-2] Querkraft im schiffsfesten Koordinatensystem
[-1
Driftwi nkel[-1
Krängung X[]
Modellmaßstab p [ML-3] Dichte Süßwasser T[]
Tri mm ki = kopflastig stl = steuerlastig 7. Literaturverzeichnis: Thieme, H.:Schleppversuche bei Queranströmung Schiff und Hafen, Heft 6/1954 Brix, J.:
Schrägschleppversuche und einige Er-kenntnisse, die hieraus gewonnen
wer-den können
Schiff und Hafen, Heft 9/1 973
V/j
Ftat Lwi Momentenbeiwertcx =
X P/2 . V/M FLOI Querkraftbeiwert D [LMT-2] Widerstandskraft im schleppwagenfesten ordinatensystem F101 [L2] Lateralplan Abb. 13 Heuser, H.:Widerstand und Stabilität von Wasser-fahrzeugen in Queranströmung
Ko- Teil 1: Schlepper HANSA November 1971
Teil 2: Pontons, Mehrzweckfahrzeuge Heft 15/16 1972