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Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform, 1938 H. 12

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Academic year: 2022

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M o n a ts s c h rift fü r K rim in a lb io lo g ie und S tra fre c h ts re fo rm

O rg a n d e r K rim in a lb io lo g is c h e n G esellschaft

29. J a h rg a n g 1938, H e ft 12__________ J . F . L eh m an n s V e rla g , M ü n c h e n -B e rlin

Seelsorge an Gefangenen.

V o n D r. M. S c h u ltz , P farrer bei dem Untersuchungsgefängnis in Breslau.

I .

D er B e g riff Seelsorge is t n ic h t so eindeutig, wie das W o rt gebräuch­

lic h is t. D ie b eg rifflich e Auffassung w ird erschwert von dem Seelen­

b e g riff her. A ls Berufsbezeichnung d ü rfte Seelsorge noch im m er ihre bestim m te Begrenzung haben. A ber n ich t auf den B eruf des Seelsorgers w ollen diese kurzen Ausführungen hinaus. In h a lt und Sinn seiner A u f­

gabe an Gefangenen sollen kurz untersucht werden.

B ei der in h a ltlich e n Bestim m ung der Seelsorge w ird man an ver­

schiedenen Stellen ansetzen können. Das d a rf n ich t wundernehmen.

Denn bei einer T ä tig k e it, die es m it dem seelischen Leben des Menschen zu tu n h at, is t der U m kreis sehr schwer absteckbar.

E in A nsatzpunkt, wenn man zur Seelsorge etwas sagen w ill, drängt sich ohne weiteres hervor. Es is t das R e lig iö s e , das zunächst in die Augen sp rin gt. Von der Auffassung oder der Theorie des Religiösen her scheint auch heute noch Seelsorge R ichtung und Sinn zu empfangen.

W elche Beziehung besteht nun zwischen dem Religiösen und der Seel­

sorge? Wenn überhaupt eine Beziehung besteht — und das is t w ohl zu r Z e it noch u n b e stritte n — , dann is t die L e b e n s p ra x is ein w ich tig er F a k to r fü r die B eantw ortung dieser Frage. Also n ic h t m etaphysische Gedankengänge können in der Frage nach der Seelsorge die allein ausschlaggebenden sein. N a tü rlic h haben solche Gedankengänge ih r R echt an ih re r Stelle (z. B. bei Lehre und Dogma). Aber wo der Mensch dem Menschen fachmännischen D ienst zu leisten h at, muß jede wissen­

schaftliche Begründung vo r allem von der Praxis her gesteuert und bestim m t werden. U nd die seelsorgerliche P raxis fo rd e rt ein Eingehen a uf vie le rle i seelische Anliegen, u nte r denen die rein metaphysischen q u a n tita tiv zurücktreten. Wem solche Gedankengänge zunächst frem d erscheinen, könnte v ie lle ic h t zu der Überlegung kommen, daß m it solchen Feststellungen dem Religiösen Gewalt angetan werde. Es werden, so mögen solche Überlegungen weitergehen, die engen m etaphysischen Grenzen des Religiösen gesprengt und vom Religiösen nun ein B e g riff s ta tu ie rt, dem man die G eltung n ich t zusprechen könne. M it solchen Überlegungen w ird man aber bald zu einem glücklichen Ende kommen, wenn man sich den In h a lt der religiösen U rkunde, d. h. unseres B ib el­

huches und dazu vie lle ich t auch des Gesangbuches ansieht. Den K ern dieser In h a lte bilden L e b e n s b e z ie h u n g e n d e r M e n sch e n . Q u a lita tiv

Mschr. f. K rim in a lb io lo g ie . 1938. H . 12. 3 6

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sind es m eist solche, die das Seelenleben in die B reite und die Tiefe ausfüllten und m ehr oder weniger E rschütterungen hervorriefen. Solche Lebensbeziehungen werden n ich t n u r dargestellt, sondern es w ird auch eine Lösung aus ihnen unternom m en. Also A u s r ic h tu n g u n d O rd ­ n u n g m e n s c h lic h e n S e e le n le b e n s is t h ie r das H auptanliegen. U nd wenn die Anliegen unseres Bibelbuches als religiöse anzusprechen sind, was w ohl zugestanden werden muß, dann is t unsere Frage nach der Beziehung der Seelsorge zum Religiösen beantw ortet. G leichzeitig is t der In h a lt der Seelsorge selber dahin bestim m t, daß es sich um das H a lte n und S tifte n von O rdnung im menschlichen Seelenleben handelt.

Diese in gedrängter K ürze gekennzeichnete Seelsorgeaufgabe d ie nt un­

leugbar völkischen und staatlichen Belangen, schon allein vermöge ih re r psychologischen A usrichtung.

W arum gerade das Religiöse dem Seelsorgerlichen beigegeben is t, bestim m t sich unschwer aus der Begrenzung und Beschränkung mensch­

lichen Könnens gegenüber a lle r G estaltungsarbeit im Bereiche des Seelischen. H ie r is t der Mensch oftm als über seine K rä fte hinaus be­

ansprucht und som it in die Vereinsamung gedrängt. U nd andererseits muß das Aufgegebene im Sinne einer O rdnung erledigt und abgelegt werden, um Seelenleben v o r Schädigung zu bewahren.

Den positiven Bedeutungsgehalt des Religiösen m it Bezug auf die Seelsorge könnte man ganz kurz nach d rei Seiten h in charakterisieren.

Erstens nach der w e lta n s c h a u lic h e n Seite h in : W eltanschauung im Gegensatz zur W elterkenntnis is t auch eine A rt der Erfassung oder Umfassung der W elt und ih re r verschiedensten T e ilin h alte . E in seelisches B edürfnis w ill auch da noch erfassen und umfassen, wo dem Erkennen die Schranken gesetzt sind. A m zentralsten spricht sich das W eltanschau­

liche im Religiösen aus. E in T e il der Seelsorgeaufgabe lie g t auf diesem Gebiet.

D ie zweite Seite an der Seelsorgeaufgabe b e trifft ein f u n k t io n e lle s Anliegen. D er seelische A pparat des Menschen is t es gewissermaßen, der nach seiner F ä higke it h in dem Seelsorger die Aufgabe s te llt. Was h ie r gem eint is t, h a t ein nam hafter Psychologe so ausgesprochen:

, , . . . . Dagegen hohe K un st oder W eisheit, vollends tie fe gesunde R e lig io s it ä t sind fru c h tb a r und machen stark, indem sie zugleich dauerhafte W ä rm e verleihen.“ 1)

U nd schließlich d ritte n s is t es die G e s ta ltu n g s a u fg a b e an be­

stim m tem M a terial, die die seelsorgerliche H ilfe wesentlich bedingt und bestim m t. Diese letzte Seite am Religiösen ru ft insbesondere die Seel­

sorge auf den Plan.

In diesem Zusammenhang wären fernerhin die Fragen erwägens­

w e rt, ob und auf welche Lebensalter Seelsorge zu beschränken und ob sie n u r bestim m ten Lebenssituationen zuzuordnen sei. Beide Fragestel­

lungen fallen u n te r den G esichtspunkt der sogenannten E rziehbarkeit.

5 6 2 M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre ch tsre fo rm 1938, H . 12

!) F e lix Krueger, Das W esen d er Gefühle, L e ip z ig 1929, S. 34.

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1938, H . 12 S chultz, Seelsorge an Gefangenen

563 M it Bezug auf unser Thema wäre hierzu w ohl das Folgende zu sagen.

W enn man „E rzie h un g “ n u r dem K indesalter zuordnen w ill, was durch­

aus zu begründen wäre, dann sind die Aufgaben an jugendlichen und erwachsenen Menschen u n te r eine andere Bezeichnung zu stellen. Also die Frage nach der E r z ie h b a r k e it is t zunächst eine Angelegenheit der N om enklatur. U nd nach der A rt der zu bew ältigenden seelischen Aufgaben gehört zweifelsohne der Jugendliche m ehr zum Erwachsenen­

ais zum K indesalter. F o r m u n g s - u n d g e s t a lt u n g s f ä h ig s in d a lle L e b e n s a lte r , s o la n g e ü b e r h a u p t e n ts p re c h e n d e K r ä f t e v o r ­ h a n d e n u n d a k t io n s f ä h ig s in d . D er A r t nach is t diese F ä higke it n a tü rlic h verschieden je nach dem Lebensalter. U nd was ihre Bedeut­

sam keit a n b e trifft, w ird man sie beim Jugendlichen n ic h t geringer bewerten als beim K in d , und beim Erwachsenen w ohl ebenso groß wie bei beiden. U nd wenn dem Erwachsenen gewiß auch größere seelische K rä fte zur Verfügung stehen als dem K inde oder dem Jugendlichen, so haben sich doch auch entsprechend dem Lebensalter die seelischen A u f­

gaben, die zu bew ältigen sind, vergrößert. Also die B e d ü r f t i g k e i t fü r G estaltungshilfe b le ib t fü r die Lebensalter die gleiche. U nd fü r den Jugendlichen und den Erwachsenen is t erfahrungsgemäß F r e m d h ilf e bei der G estaltung aus verschiedenen, auch psychologischen Gründen die zweckmäßigste. Das K in d dagegen is t w ohl am besten im Schoße des Elternhauses auch seelisch betreut. Zu dieser Überlegung sei schließ­

lic h noch darauf hingewiesen, daß von den leiblichen Bedingungen seelischer G estaltung aus gesehen der Jugendliche m it seinen frischen und blühenden K rä fte n begünstigter is t als der Erwachsene. Letzterer muß o ft schon sehr bald bei seiner seelischen A ufgabenerfüllung im Gegensatz zum Jugendlichen einem A b trie b der K rä fte T ro tz und W iderstand bieten. So scheint sich die größere B e d ü rftig k e it fü r Ge­

staltungshilfe dem Erwachsenen zuneigen zu wollen. A ber hinw iederum steht dem Erwachsenen vie lle ic h t ein Schatz von Lebenserfahrungen zu Gebote, aus dem er K rä fte fü r seelische G estaltung gew innt.

I I .

Nach diesen kurzen allgemeinen Überlegungen zur Seelsorge erhebt sich nunm ehr die Frage nach den besonderen Bedingungen, die in der Seelsorge an G e fa n g e n e n Beachtung fordern. Unser Augenm erk w ird auf alles das gerichtet sein müssen, was den gefangenen Menschen von dem freien Menschen in A nbetracht der Seelsorge unterscheidet. D re i G esichtspunkte sollen uns in dieser kurzen Untersuchung die Besonder­

h e it in der Gefangenenseelsorge beleuchten: D ie Gefangenhaltung, das F reveln w ider die Rechtsordnung und die Schuldform .

Schon durch die G e fa n g e n h a ltu n g w ird n ic h t n u r das L e ib ­ liche, sondern auch das Seelische am Menschen beeindruckt. A m auf­

fallendsten n a tü rlic h bei dem, der sie zum ersten Male an sich erlebt.

Diese Erlebensart w ird sich auch danach z. B. unterscheiden, ob es sich um einen Jugendlichen oder Erwachsenen, einen Gesunden oder K ranken,

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M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre c h ts re fo rm 1938, H . 12

M ann oder W eib handelt. Das seelische B ild w ird auch beachtlich da­

nach verschieden geform t, ob es sich um den A n tr itt einer S tra f- oder U ntersuchungshaft handelt. A lle diese m ehr oder weniger äußeren V er­

schiedenheiten verm annigfaltigen sich wiederum grundlegend durch die In d iv id u a litä t des Einzelnen. Es is t ein Irrtu m , anzunehmen, daß die gleiche äußere S itua tio n der Gefangenhaltung in d ivid u e lle Verschieden­

heiten auslösche oder u nw ichtig mache. Demgegenüber d ü rfte gerade im Gegenteil die These gelten, daß S ituationen, die als D ru ck erlebt werden, wahre Wesenszüge des Menschen m ehr als bisher hervortreten lassen. U n te r solchem D ru ck w ird allerdings mancher „W esenskern“

ausgelöscht, der in der F re ih e it n u r Schale, Maske oder F ö rm lich ke it w ar.

D ie a llg e m e in e s e e lis c h e E in w ir k u n g d e r G e fa n g e n h a l­

t u n g besteht w ohl darin, daß der Zustrom an Vorstellungen, dem der freie Mensch ausgesetzt is t, stark eingeschränkt w ird 2). D adurch w ird der seelische A pp a ra t in M itleidenschaft gezogen. Man versuche einm al, alle V orstellungen aufzuzählen, die durch Außenreize verschiedenster A rt tä g lich im freien Menschen angeregt werden! D er gefangene Mensch ersetzt diesen A u sfa ll dadurch, daß er seine Phantasie, seine E rinnerung und seine Überlegung bezüglich der T a t in B etrieb setzt. Das Gemüts­

leben e rhält dadurch besondere Färbung. D ie Seelsorge h a t h ie r eine Aufgabe, die n ic h t so le ich t abzugrenzen und zu bestim m en is t. Das zunächst grobe und einfache Z ie l dieser Aufgabe muß die G e s u n d ­ e r h a lt u n g des s e e lis c h e n A p p a r a te s sein.

D u r c h das F r e v e ln w id e r d ie R e c h ts o r d n u n g w ird das innere seelische B ild des Gefangenen n ich t m inder sta rk gekennzeichnet.

Diese seelische H a ltu ng is t n ic h t erst durch die G efangenhaltung ve r­

ursacht, sondern durch die F re ve lta t. A ber fü r die Seelsorge kom m t es nun darauf an, das innere B ild z. B. des D iebstahls, des S ittlic h k e its ­ verbrechens usw. zu gewinnen. Man h a t schwerlich Zugang zum T äter, wenn man n ic h t das seelische B ild seiner T a t kennt. Gewiß sind sie alle F re vle r gegen die Rechtsordnung. A ber so wenig es fü r den A rz t bedeutet, daß er seine P atienten K ranke nennt, so wenig kann sich ernste Seelsorge d am it begnügen, bei sogenannten Tatbeständen stehen zu bleiben. D er Weg vom äußeren Tatbestand zum seelischen B ild der T a t und des Täters gehört sicherlich m it zu den schwierigsten, unerfreu­

lichsten und w ichtigsten. Denn d ie R e in ig u n g des V o lk s k ö r p e r s m u ß a u c h in d ie s e r K le in a r b e it d e r S e e ls o rg e g e le is te t w e rd e n .

D ritte n s sind es die S c h u ld fo r m e n , die das seelische B ild des Gefangenen m itgestalten und die Seelsörgeaufgaben m itbedingen. D er F re vle r gegen die Rechtsordnung w ird je nach dem, ob er z. B. m it Vorsatz oder Fahrlässigkeit usw. schuldig wurde, also nach A rt und Maß seiner Schuld, eine verschiedene Seelsorger liehe Behandlung n ötig haben. Das H auptanliegen der Seelsorge muß in B etreff der Schuld darauf gerichtet sein, nach dem Maß der objektive n Schuld, das durch U rte il festgestellt is t, die entsprechende seelische Innenseite bei dem

2) V g l. s ta tt a lle r: Sieverts, A r t. H a ftp s y c h o lo g ie , H d k . I , S. 631 ff.

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Schuldigen lebendig und w irksam werden zu lassen. Schuld und Schuld­

bewußtsein müssen in das rich tig e V erhältnis zueinander gesetzt werden, d am it die S trafe die gesetzte W irkun g erziele. Man braucht sich n u r gegenwärtig zu halten, daß Vorstellungen, die sich aus gew ichtigen Lebenssituationen im Menschen bildeten, eine zähe und nachhaltige W irkungsdauer im w eiteren Lebenslauf des betreffenden Menschen aus­

üben, um die B e d e u tu n g s e e ls o rg e ris c h e r A r b e i t auch h ie r b e z ü g ­ l ic h d e r s e e lis c h e n S c h u ld e r le d ig u n g zu ermessen.

I I I .

Seelsorge und die sogenannte E r w a c h s e n e n e rz ie h u n g stim m en in vie le r H in sich t, was vo r allem Aufgabe und Z ie l anbelangt, überein.

B ei beiden handelt es sich um G estaltung und Form ung. B ei beiden is t L ern sto ff M itte l zum Zweck. A ber die Grenzen der Seelsorge sind w eiter gesteckt als die der Erwachsenenerziehung. W o z. B. ein „U n ­ erziehbar“ festgestellt is t, h ö rt Seelsorge noch n ic h t auf, wenigstens n ic h t ohne weiteres. Das is t so wenig ein M anko der Seelsorge wie es ein solches der ä rztlichen K u n st is t, die auch an unw ertem Leben aus­

geübt w ird . Schon in dieser H in sich t h a t Seelsorge m ehr Irra tio na le s an sich als die Erwachsenenerziehung. A ber auch der Letzteren in der Form der Selbstgestaltung und G estaltungshilfe fe h lt das irra tio n a le M om ent n ich t. Es h a fte t w ohl a lle r G estaltungsarbeit an, bei der der Mensch O bjekt und S ubjekt is t. So is t es zu verstehen, daß dieses Gebiet m enschlicher K u ltu ra rb e it den H a u p tin h a lt des Religiösen ausmacht.

E in Eingehen auf die kirch liche Seite w ie überhaupt auf das engere W issenschaftsgebiet der Seelsorge w ar h ie r n ic h t beabsichtigt. N u r U m ­ risse sollten gezeichnet werden. In diesen Umrissen sollte der O rt sicht­

b ar werden, den die Seelsorge auf dem w eiten Gebiet der B etätigung und W issenschaft in bezug auf den gefangenen und stra ffä llige n Men­

schen einzunehmen hat.

ig 3 8 , H . 12 M etelm ann, D ie T ype n le h re G erhard P fahlers usw.

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Die Typenlehre der pädagogischen Charakterologie Gerhard Pfahlers und ihre Brauchbarkeit für die

Krim inalbiologie.

E in typologischer Versuch am gewerbs- und gewohnheitsmäßigen V erbrechertum der G roßstadt.

Von K a r l M e te lm a n n , K rim in a lk o m m is s a ri. R. in B erlin . Aufgabe der K rim inalpsychologie is t es, die Beziehungen zwischen Verbrecher und Verbrechen, sowie zwischen Anlage und Um w elteinflüssen aufzudecken und insbesondere aufzuzeigen, welche praktischen Maß­

nahmen zum Schutze der Volksgem einschaft und m öglichst zur R ück­

führung des Verbrechers zur Gem einschaft zu tre ffe n sind. E. Mezger

bezeichnet es als dringendste Aufgabe, fü r eine Typologie der Verbrecher

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(K rim in a lp o litik S. 158) „P ersönlichkeitstypen zu finden, denen be­

stim m te Behandlungstypen zugeordnet werden können, also K o rre la tio n zwischen P ersönlichkeit und stra frech tlich e r und fürsorgerischer Be­

handlung herzustellen“ . Diese Forderungen haben bereits vo r einem Jahrzehnt Exner und v. Neureiter in ihren Referaten auf der Tagung der K rim inalbiologischen Gesellschaft in Dresden 1928 erhoben1).

Persönlichkeitstypen, die zugleich Behandlungstypen sind, finden w ir v o r allem in der P s y c h ia t r ie , die den seelisch kranken Menschen zum O bjekte h a t, und in der p ä d a g o g is c h e n P s y c h o lo g ie , die das Seelenleben des gesunden Menschen am Zögling untersucht. Es sind bereits psychiatrische Verbrechertypen als Behandlungstypen aufgestellt worden.

Es lie g t nun sehr nahe, den Versuch zu machen, auch Typen der pädagogischen Charakterologie zur A ufstellung von Behandlungstypen von Verbrechern zu verwenden. F ü r m ich, der ich aus der A rb e it der großstädtischen K rim in a lp o liz e i komme, w ar es das Gegebene, diesen Versuch an dem gewerbs- und gewohnheitsmäßigen V erbrechertum der G roßstadt zu wagen, dessen Bekäm pfung uns oblag. Es erhob sich fü r m ich dabei bald die Frage, ob und inw iew eit n ich t die A ufstellung der einzelnen Verbrechergruppen und ihre V erteilung auf die einzelnen D ienst­

stellen der K rim in a lp o liz e i, wie sie sich im Laufe der Jahrzehnte rein aus praktischen Bedürfnissen herausgebildet h at, eine Ü bereinstim m ung m it den Typen der pädagogischen C harakterologie zeigt.

Zunächst sei aber ein Ü b e rblick über die von m ir verwendeten Typen der pädagogischen C harakterologie gegeben. D ie Kretschmersche E in ­ te ilu n g in Z yklo thym e und Schizothym e, die von psychiatrischen Ge­

sichtspunkten her aufgestellt worden is t, h at in der pädagogischen Psychologie vornehm lich K roh und seine Schule als Grundlage verw andt, und sie h a t sich auch bereits krim inalpsychologisch fru ch tb a r erwiesen2).

A m bedeutsamsten h a t Gerhard P f ahler die Forschungen Kretschmers und Krohs w eitergeführt, er h a t v o r allem theoretisch und experim ental­

psychologisch die G rundproblem e: „W as is t Vererbung?“ und „W as w ird vererbt?“ g e k lä rt3). Pfahler le h n t eine Vererbung i n h a l t l i c h e r Anlagen, wie etwa die F ähigke it zum Rechnen oder zur künstlerischen B etätigung ab, wie niem and eine ererbte Q u a lifika tio n zum K o n d ito r oder S teinklopfer annim m t. E r beschränkt den Veranlagungsbegriff auf die Vererbung f o r m a le r Anlagen, die er als „seelische G rundfunktionen“

bezeichnet und fü h rt h ie rm it einen neuen, fü r die Vererbungslehre grund­

legenden B e g riff ein. Pfahler s te llt eine Reihe von G rundfunktionen auf, von denen er v ie r zur G rundlage seines charakterologischen Systems m acht: A ufm erksam keit, Perseveration, A nsprechbarkeit des Gefühls und V ita litä t. E r s te llt so zw ö lf C haraktertypen auf, die in seinem G rund-

1) Siehe M itt . der K rim in a lb io lo g is c h e n G esellschaft B d . I , Graz 1928.

2) K ro h , Otto, Z ie l u n d M e th o d ik ty p e n k u n d lic h e r A rb e it. B d . 1 de r experi- m ent. B e iträ g e z. T yp e n ku n d e , 1929.

3) V o r a lle m : V e re rb u n g als Schicksal, L e ip z ig 1933; W a ru m E rzie h u ng tr o tz V ererbung? 3. A u fl., L e ip z ig 1938.

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schema übersichtlich geordnet sind. C harakteristisch fü r den Einzelnen w ird im m er erst das gesamte G rundfunktionsgefüge, „das Ineinander­

greifen und Zusammenspielen der G rundfunktionen in der einen Seele“ . Dieses G rundfunktionsgefüge is t als die Voraussetzung alles seelischen Geschehens von der A rt der U m w elt unabhängig.

D ie erste G ru n d fu n k tio n , die A u fm e rk s a m k e it, h a t entw eder die enge fixie re n d e , o b je k tiv e , analysierende, d iskre te , oder sie h a t die w eite, flu k tu ­ ierende, s u b je k tiv e , synthetische F o rm . Es w ird im ersten F a lle e in engerer K re is der U m w e lt, aber d a fü r u m so genauer aufgenom m en; bei dem anderen T y p w ird aus einem w eiteren K re is v o n Gegenständen b a ld dieser, b a ld jener aufgenom m en, aber diese w erden n ic h t scharf voneinander g e tre n n t. — D ie enge fix ie re n d e A u fm e rk s a m k e it is t regelm äßig m it der zw eiten G ru n d fu n k tio n , d er sta rke n Perseveration, verbunden. D e r e in m a l aufgenom m ene B ew ußtseins­

in h a lt b le ib t bei s ta rk e r P erseveration re in e rh a lte n ; stoßen a u f ih n neue Be­

w ußtseinseindrücke, so w erden diese n ic h t m ite in a n d e r verschm olzen, es e rfo lg t v ie lm e h r eine Auseinandersetzung de r neuen u n d der a lte n E in d rü c k e . B e i schwacher P erseveration dagegen w eichen frü h e r aufgenom mene B ew ußtseins­

in h a lte le ic h te r neueren E in d rü c k e n oder w erden m ite in a n d e r verbunden. D e r T y p v o n enger A u fm e rk s a m k e it u n d s ta rk e r P erseveration w ird v o n P fa h le r als der T y p de r „fe s te n G ehalte“ , der zw eite als d er T y p de r „flie ß e n d e n G ehalte“

bezeichnet. Z u m ersten T y p gehören die Menschen, denen S tärke, Unbeugsam - k e it u n d feste B e s tim m th e it eigen sind. I n ihn e n lie g t der T rie b z u r Konsequenz, S y ste m a tik, S tra ffh e it, die N eigung zum F o rm e n h a fte n u n d A b s tra k te n . D ie Menschen v o n fließendem G e h a lt sind le ic h te r neuen E inflüssen zugänglich, die sie schnell, aber o b e rflä c h lic h ve ra rb e iten . — D ie d r itte G ru n d fu n k tio n , die A n s p re c h b a rk e it des Gefühls, is t das M e ß in s tru m e n t u n d der A nzeiger zunächst e in m a l fü r n ü tz lic h u n d schädlich m it den R ic h tu n g e n u n d Steigerungsform en L u s t u n d U n lu s t. Sie re g e lt das ganze Leben, is t die G rundlage d a fü r, was als g u t u n d schlecht, schön u n d häß lich, ü b e rh a u p t erstrebensw ert u n d verm eidens- w e rt e rfahren w ird .

B e i s ta rk e r A n s p re c h b a rk e it des G efühls unterscheidet P fa h le r seine T y p e n noch bezüglich der R ic h tu n g der G efühlsansprechbarkeit nach der L u s t- u n d U n lu stse ite. S tarke A n s p re c h b a rk e it des Gefühls nach der L u stse ite („le ic h te s B lu t u n d h e itre r S in n “ ) s tä r k t die A k t iv it ä t ; A n s p re c h b a rk e it des Gefühls nach der U n lu stse ite, S c h w e rb lü tig k e it, h e m m t die A k tiv it ä t. B e i schwacher A n s p re c h b a rk e it des Gefühls sie h t er bei de r T y p e n b ild u n g v o n einer U n te r­

scheidung nach der L u s t- oder U n lu stse ite ab. —

D ie v ie rte G ru n d fu n k tio n is t die V it a lit ä t oder A k tiv it ä t, d. h. die gesamte L e b e n s k ra ft, die A r t, w ie der Mensch ü b e rh a u p t eine Sache a n p a ckt, ob energisch oder zaghaft. P fa h le r w a rn t v o r einer schematischen A n w e n d u n g u n d S chabioni­

sierung seiner T y p e n ; zwischen alle n bestehen fließende Übergänge, u n d stets is t das In d iv id u u m m ehr als der T y p , der ja im m e r n u r eine te ilin h a ltlic h e E r ­ fassung des Ganzen g e sta tte t.

Es soll nun der Versuch gem acht werden, Typen gewerbs- und gewohnheitsmäßiger großstädtischer Verbrecher analog zu Pfahlers, pädagogisch-charakterologischen Typen aufzustellen. W ir gehen von Verbrechergruppen aus, die w ir in der W irk lic h k e it der G roßstadt v o r­

finden, und bilden von diesen durch A b stra ktio n Verbrechertypen.

Gruppen großstädtischer Verbrecher sind in allen Form en vorhanden, einige sind n u r lose zusammengefaßt, andere werden schon durch ge­

meinsame Sprache und S itte (Tätowierungen) verbunden, und es gab sogar Verbrechervereine m it festen Satzungen. B ei einer durchorgani­

1938, H . 12 M etelm ann, D ie T yp e n le h re G erhard P fahlers usw.

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M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre ch tsre fo rm 1938, H . 12

sierten Behörde, wie etwa der B erlin er K rim in a lp o lize i, lie g t die Be­

käm pfung jeder Verbrechergruppe einer besonderen D ienststelle ob.

W ir finden daher die verschiedenen Verbrechergruppen als Gegenstand der Fahndung und E rm ittlu n g dieser einzelnen D ienststellen; die Gruppen sind also le ich t soziologisch erfaßbar. D abei is t aber die O rganisation der K rim in a lp o lize i rein aus praktischen Bedürfnissen heraus entstanden und n ic h t etwa auf G rund theoretischer Erwägungen oder gar bew ußt nach psychologischen G esichtspunkten aufgebaut.

D er folgenden D arstellung sollen die Verhältnisse des Jahres 1913 zugrundegelegt werden, w eil es als statistisches N o rm a ljah r g ilt, und die O rganisation der Behörde bis dahin in langsamer E n tw icklu n g erfolgte.

D ie K r i m in a lp ° Iize i in B e rlin w a r zunächst re in ö rtlic h in K rim in a lb e z irk e e in g ete ilt, die m einer sog. In s p e k tio n , de r In s p e k tio n A , zusam m engefaßt waren I n den K rim m a lb e z irk e n w u rd e n alle G elegenheitsdelikte außer den sogenannten

a p i. a.lverbrechen b e a rbeitet. F ü r die gew ohnheits- und gewerbsm äßig ausge- fu h rte n D e lik te w aren die In s p e k tio n e n B I , B I I u n d C zuständig. I n den A rb e itsb e re ich der In s p e k tio n B I gehörten G eldschrankeinbrüche, Geschäfts- einbrüche, E in b ru ch sd ie b stä h le in W ohnungen, R e staurationen, Lauben, K e lle rn

W arenhausdiebstähle, S chaufenstereinbrüche u n d S chaukästendieb­

stante, k ahrradchebstähle u n d dergl. — D ie D ie n stste lle n der In s p e k tio n B I I b e arbeiteten vorw iegend gew ohnheits- u n d gewerbsmäßig ausgeführte B e tru g s­

fa lle w ie H e ira tssch w in d e l, H ochstapeleien, R ingnepperei, B e tte l u n te r A n ­ w endung besonderer T ric k s , aber auch Z u h ä lte re i, K u p p e le i, Erpressung. W ir

m den also hier, v o m S ta n d p u n k t des Strafgesetzes aus gesehen, b u n t zusamm en­

g e w ü rfe lte D e lik ts a rte n . In s p e k tio n B I u n d B I I h a tte es regelm äßig m it unbe- a n n te n T a te rn zu tu n . Es w a r daher die H a u p ta u fg a b e der D ienststellen, diese zu e rm itte ln . I n der In s p e k tio n C w u rd e ka u fm ä n n isch e r B e tru g b e a rb e ite t- h ie r w a r dagegen der T ä te r regelm äßig b e ka n n t, u n d es w a r die Aufgabe, ih n eines D e likte s zu üb e rfü h re n . Es han d e lte sich u m B auschw indel, D arlehens­

schw indel, betrügerischen B a n k ro tt, Meineidssachen, U rku n d e n fä lsch u n g U n ­ treue, B e tru g am Sozius u n d ähnliche D e lik te .

W ir untersuchen je tz t die einzelnen Verbrechergruppen, die den verschiedenen D ienststellen entsprechen, und suchen Beziehungen zwischen diesen Verbrechergruppen und den charakterologischen Typen in Pfahlers Hauptschem a herzustellen.

Eine besondere S chw ierigkeit m acht hier allerdings die U n te r­

scheidung der Typen Pfahlers m it starker Gefühlsansprechbarkeit nach er R ichtung der L u st- und U nlustseite. D er Pädagoge kann an seinen Schülern, m it denen er ja o ft ein Jahrzehnt und länger verbunden is t, verhältnism äßig le ich t deren vorwiegende Stim m ungslage beobachten.

er K rim in a lis t dagegen steht n u r selten in so engen und langandauernden

Beziehungen zu den Rechtsbrechern. Untersuchungen an Strafgefangenen

oder Untersuchungsgefangenen stoßen naturgem äß h ie r auch auf die

größten Schw ierigkeiten. W ertvolles M a teria l könnten h ie r am ehesten

die Fürsorger liefern. Verbrecher in der F re ih e it wissen jedenfalls o ft recht

fröhliche Feste zu feiern, wie w ir aus Veranstaltungen von Z u hä lte r- und

A thle te n vereinen wissen. In der Umgebung B erlins gab es sogar eine

Som merfrische, die sich Verbrecher Vorbehalten hatten. In dieser d u rfte n

sich aber keine gesuchten Personen aufhalten, d am it die P olizei n ic h t die

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1938, H . 12 M etelm ann, D ie T yp e n le h re G erhard P fahlers usw.

569 F rö h lic h k e it durch ihre Besuche störe. Andererseits zeigten besonders

S ittendirnen vielfach auch trü b e Stim m ungslagen, etwa zur W eihnachts­

zeit. Doch kann gerade h ie r n u r ein Psychiater urteilen.

W ir untersuchen zunächst die auffälligen Gruppen der G e ld s c h ra n k - u n d G e s c h ä fts e in b re c h e r. Diese müssen über körperliche K rä fte und G ew andtheit verfügen, ih r Körperbau is t vielfach athletisch, es ge­

hören w eiter ganz besondere A ufm erksam keitsfähigkeiten dazu, die Ge­

legenheit zum E inbruch bis ins Einzelne auszukundschaften. D ann heißt es, technisch sich den Zugang zu den Geschäftsräumen tro tz Sicherungs­

anlagen, über Dächer, Böden, durch Zim m erdecken und E isentüren zu verschaffen und schließlich den G eldschrank m it Nachschlüsseln zu öffnen, ih n zu sprengen oder aufzuschweißen. D er E inbrecher könnte sich m it diesen F ähigkeiten le ich t sozial halten, aber er is t seiner V er­

brechensart tro tz Erpressungen aus Verbrecherkreisen und ständiger polizeilicher Verfolgungen ve rh afte t. Es besteht kein Bedenken, diese beiden Einbrechergruppen dem T y p A Pfahlers einzuordnen. Sie kenn­

zeichnet starke V ita litä t, starke Ansprechbarkeit des Gefühls nach der Lustseite (H offnung auf großen Gewinn) und enge A ufm erksam keitsbreite.

V ielfach handelt es sich um V e r b r e c h e r fü h r e r . — Der G ru p p e B

Pfahlers sollen die Verbrecher zugerechnet werden, die in der Ausführung

ih re r Taten bedenklich sind. Mögen diese B edenklichkeiten auf F u rch t v o r S trafe beruhen oder auf einer inneren G espaltenheit, w eil die V er­

brecher noch n ic h t v ö llig aus der sozialen Gem einschaft ausgeschieden sind und ganz dem Verbrechertum angehören. D ie schw erblütige, o ft zu Bedenklichkeiten neigende Veranlagung kann sich aber auch in der Weise ausw irken, daß die Verbrecher in der Ausw ahl der M öglichkeiten bei A usführung des D e likts vorsichtiger sind, sie also darauf achten, daß dem R isiko auch Aussicht auf entsprechenden Gewinn gegenüber steht. Sie „a rb e ite n “ darum auch vielfach ohne M ittä te r, begehen S tra f­

ta te n n u r bei Bedarf an Geld und nehmen durchaus n ic h t jede Gelegen­

h e it zum D iebstahl wahr. H ierher gehören die E inbrecher, die als F a s s a d e n k le tte r e r oder g e f ü r c h t e t e H o te ld ie b e („schwarzes Gespenst“ ) in bewohnte H otelzim m er eindringen und ihre w ohl durch­

dachten Pläne durchführen. H ierher is t auch der h o c h in t e llig e n t e F a ls c h m ü n z e r zu rechnen, der technisch vollendet Falschgeld oder falsche Scheine h e rste llt und sie dann durch untergeordnete M itte ls ­ personen, m it denen er m öglichst gar n ich t selber in Berührung kom m t, vertreiben lä ß t. — D ie G ru p p e C bei Pfahler, die sich von A und B durch schwache Gefühlsansprechbarkeit unterscheidet, um faßt die ka lten N aturen. Zu diesem T yp gehört der R a u b m ö r d e r , der den G eldbrief­

träger in seine W ohnung lo c k t und erm ordet, der M örder, der den K autionssteller in den einsamen W ald fü h rt und h interrücks nieder­

schießt und beraubt oder der einen M ord zum Versicherungsbetrug ausübt. Es sind dies die V e r b r e c h e r , „ d ie ü b e r L e ic h e n g e h e n “ .

Diese drei Verbrechergruppen sind Gegenstand von D ienststellen

der Inspektion B I. Sie sind dadurch charakterisiert, daß sie bei ih re r

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57

« M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io io g ie u. S tra fre c h ts re fo rm 1938, H . 12

starken A k tiv itä t sich die M öglichkeiten zur Ausführung ihres D e likts selber schaffen. Sie bleiben stets bei dem einm al gewählten T ric k , zeigen also enge A ufm erksam keitsbreite; gefährdet is t jeder Volksgenosse, oder die T a t ric h te t sich sogar wie die des Falschmünzers gegen den Staat selbst. Sie w irken also zweifellos u n m itte lb a r antisozial.

B etrachten w ir w eiter den H e ir a t s s c h w in d le r . K örperliche A n ­ forderungen werden eigenartigerweise nach keiner R ichtung h in an ih n gestellt, ja er kann sogar erhebliche körperliche Gebrechen haben. E r weiß sich dann v ie lle ic h t gerade durch sie als ve rle tzte r Kriegsheld einen besonderen N im bus zu geben. E r kennt die Frauen und weiß auf ihre In d iv id u a litä t einzugehen. B ald g ib t er sich als G raf, bald als D ip lom at, K aufm ann, Farm er, A m tsrich ter, Postsekretär oder gut bezahlter P o rtie r aus. V ielfach fü h rt er eine um fangreiche Korrespondenz m it seinen O pfern, und er muß außerdem im Gedächtnis behalten, was er jeder Einzelnen vorgespiegelt hat. E r täuscht routinem äßig Liebe vo r, aber es besteht doch auch eine gewisse, v ie lle ic h t „sadistisch“ gefärbte Liebe zum Opfer, die sich in Zynism us äußern kann. Dies zeigen Sammlungen, die sich H eiratsschw indler angelegt hatten. Es g ib t auch w e ib lic h e H e ir a t s s c h w in d le r , eine Übergangsform zur H o c h s ta p le r in , die als F ü rs tin , Baronesse oder G räfin bisher noch in jeder Regierungsform die M änner d ü p ie rt h at. Sie weiß d iskret anzudeuten, daß sie sich im A ugenblick in G eldverlegenheit befindet, erregt durch Andeutungen über ihren vornehm en Stand Interesse und M itle id und m acht so ihre O pfer w illig . — D er Z u h ä lt e r n ü tz t zw ar die D irne aus, wenn auch die V or­

stellung von dem gew alttätigen Z uhälter n u r in den allerseltensten Fällen zu recht besteht. E r is t ja v ö llig von der D irne abhängig, die ih m vielfach zuerst Geld auf drängt, um ih n der Z uhälterei zuzuführen und so in ihre H and zu bekommen. Sie kann ih n in jedem A ugenblick einem S itten ­ beam ten als Z uhälter melden. S ie is t der erwerbende und werbende P artner, sie ern äh rt, kle id et, beherbergt und verhätschelt ih n . Seine T ä tig k e it besteht fast n u r im K artenspiel, Spazierengehen, Zechen und Rauchen. Gelegentlich fü h rt er m it ih r zusammen leichte W arenhaus­

und Schaufensterdiebstähle aus, um auch etwas zu leisten. — D er R in g n e p p e r sucht seine O pfer vielfach in der Umgebung der Bahnhöfe und weiß das M itle id und die H absucht seines Opfers zu erregen. E r v e rk a u ft o ft u n te r M itw irk u n g von K om plizen zu hohen Preisen wertlose Ringe und Schm uckstücke, etwa u n te r der Vorspiegelung, er w olle sich so Fahrgeld in die H eim at verschaffen. Ebenso n ü tz t der B a u e r n ­ fä n g e r die V ertrauensseligkeit und H absucht seiner O pfer aus. D ie T r i c k b e t t l e r suchen etwa Ä rzte, Lehrer oder P farrer auf und geben sich als gescheiterte Kollegen oder arme Studenten aus und haben regel­

m äßig E rfolg. Im K riege kauten B e ttle r auf der Straße u n te r einer Laterne Hundekuchen und erhielten von allen Passanten kleine Geld­

beträge, d am it „sie ihren H unger wie ein Mensch stille n könnten“ . M it

ähnlichem T ric k arbeiten die S c h u h b e t t le r , die im W in te r barfuß

von Haus zu Haus gehen. B ei allen diesen D e likte n handelt es sich um

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Schwächedelikte, es w ird auch im S c h rifttu m regelm äßig der Mangel an A k tiv itä t dieser Verbrecher hervorgehoben. Es sei aber b etont, daß alle diese T ä ter irgendw ie an L ie b e o d e r M i t l e i d appellieren und so enge a lt r u is t is c h e B e z ie h u n g e n zu ih r e n O p fe r n herstellen oder wie die E r p r e s s e r und Z u h ä lt e r , solche bereits bestehenden, o ft sexueller A rt, ausnutzen. — In die G ru p p e E Pfahlers können w ir die M asse d e r u n t e r e n g e w e rb s m ä ß ig u n d g e w o h n h e its m ä ß ig e n D ie b e u n d E in b r e c h e r einordnen. Ih re A k tiv itä t is t v ie lle ic h t noch geringer als die der letzten Gruppe, auch wenn es sich sogar um E in ­ brecher handelt. Diese stehlen doch n u r in schlecht gesicherten Räumen, w ie Böden, K ellern, Lauben oder begnügen sich m it M etallabfällen oder T ü rklin ke n , die sie von den H austüren nachts abschrauben. Diese Menschen werden im Gegensatz zu T yp A durch gemeinsame U n fäh ig ke it und Schwäche zusam m engeführt. Sie schließen sich in enge B ü n d e zusammen, die n a c h in n e n a l t r u i s t i s c h organisiert sind, sich n a c h a u ß e n h in aber a n t is o z ia l ausw irken; sie w irken durch ihre Masse.

Sie werden in den untersten Speiselokalen, W ärm ehallen, Asylen, da sie sich im sozialen Leben n ic h t halten können, zusammengedrängt, sie ve r­

b in de t gemeinsame Sprache und S itte , w ie etwa Tätowierungen. F ü r ihre geringe A k tiv itä t sp rich t, daß auch vielfach Frauen m itw irke n können, wie bei den schon erwähnten Schaufenster- und W arenhausdiebstählen.

In diesen Kreisen strandet der „verlorene Sohn“ . Manche zitieren lateinische und griechische Verse in der H offnung auf ein kleines Geld­

geschenk; sie versuchen so durch den Nachweis des gleichen B ildungs­

ganges wieder altruistische Gefühle herzustellen und auszunützen.

Zwischen den einzelnen Typen bestehen eben fließende Übergänge.

In die G ru p p e F bei Pfahler sind die in irgendeiner Form W e lt ­ f lü c h t ig e n einzureihen. H ierher gehören die k a lt e n V a g a b u n d e n , die le d iglich auf E rh a ltu n g ihres Lebens bedacht sind. Sie b ette ln zwar auch, aber doch n u r, um ih re nackte E xistenz zu friste n . Sie stellen keinerlei persönliche Beziehungen her zu den Personen, die sie auf der Landstraße wahllos anbetteln. D ie W e ltflü chtig e n brauchen aber durch­

aus n ic h t arm zu sein. Es g ib t viele solcher Menschen, die in der ganzen W e lt um herschweifen, ohne Beziehungen zu unserer subjektiven und o bjektive n K u ltu r, zu V o lk und V aterland. V ielfach haben sie ihren Lebensanker, m eist eine „schicksalhafte B indung zum D u “ verloren und haben n ich t die K ra ft, diese E nttäuschung zu überwinden. H ierher gehört aber auch der psychologisch besonders interessante S a m m le r­

d ie b . Sonst v ö llig re ch tlich eingestellte Personen stehlen dem Freunde eine B riefm arke oder einen präparierten seltenen K äfe r unscheinbarster A rt und verletzen dabei noch genossene G astfreundschaft. A ufschluß­

reich sind die Sam mlungen von B riefen Verstorbener, die uns den Schlüssel zur Seele dieser Menschen geben. Kratzm ann*) zeigt, wie das Sammeln von Naturgegenständen u. dgl. eine T ä tig k e it is t, die in ih re r 4

ig 3 8 , H . 12 M e te lm a n n, D ie T yp e n le h re G erhard P fa h le rs usw.

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4) K ra tzm a n n , E „ u n d Gabriel, E ., D ie S ü c h tig k e it. B e rlin 1936.

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M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre c h ts re fo rm 1938, H . 12

Lückenlosigkeit b efried ig t und als fest geschlossenes Ganze, als ein System, dem „N ic h ts “ gegenüber gestellt w ird . Kratzmann faß t unsere ganze K u ltu r als einen Schutz gegen das feindliche „N ic h ts “ auf. E r unterscheidet die „U rfu rc h t“ und den „L e be n strie b “ und sieht h ie r die Grundlage fü r den schizothym en und zyklothym en Form enkreis, was h ie r leider n ic h t ausgeführt werden kann. Von Liebermann und Trettin beschreiben in „K rim in a lfä lle “ auch sehr interessante F älle von Sammler­

diebstählen.

A lle diese bisher dargestellten Verbrecher sind aus der Volksgem ein­

schaft ausgeschieden, schon re in äußerlich. Sie stehen dem sozialen und Berufsleben fern, haben ihre geschlossenen antisozialen und a n tia ltru is ti­

schen Kreise, sie stehen n ic h t im sozialen Leben, sondern nehmen S tellung zu ihm , und zw ar durchweg gegnerische. Auch die le tzte harm ­ lose Gruppe is t von der Volksgem einschaft abgespalten. Schon hierdurch sind sie säm tlich eindeutig als dem schizothym en Personenkreis zuge­

h örig ch arakterisiert. — A ls gewohnheits- und gewerbsmäßiger V er­

brecher interessiert noch der k a u fm ä n n is c h e B e t r ü g e r ; dieser is t w e it gefährlicher, w irts c h a ftlic h gesehen, als etwa der a ktive Einbrecher.

N u r er kann F am ilien an den B ettelstab bringen. D er gewerbsmäßige B etrüger is t auch ganz und gar n ic h t einseitig w ie der gewerbsmäßige E inbrecher, wenn er auch den gelernten T ric k , etwa betrügerischen B a n k ro tt, w iederholt. E r steht als K aufm ann im w irtsch a ftliche n , also sozialen, Leben, h a t einen offenen B lic k nach allen Seiten und späht aus, wo sich ih m eine Gelegenheit zum Gewinn ergibt. Diese B etrüger stehen aber n ur äußerlich durch w irtsch a ftlich e B indung im Gem einschaftsleben;

ih r Mangel an G efühlsansprechbarkeit ve rh in d e rt lebhaftes Gemein­

schaftsgefühl, sie gehören wie die Gruppe C zu den Verbrechern, die k a ltb lü tig „ü b e r Leichen gehen“ . Diese Verbrechergruppe reihen w ir der G ru p p e J Pfahlers ein. — D er T y p M Pfahler s is t auch ohne G efühlsansprechbarkeit, er is t aber zugleich ziel- und k ra ftlo s , „d ie kleine harm lose N a tu r, n ic h t aufgeregt und m eist zufrieden“ . E r kom m t als Verbrecher ernstlich n ic h t in Frage. In die v ie r anderen Gruppen

Pfahlers G, H , K und L sind die anderen z y k lo t h y m e n R e c h ts ­

b r e c h e r , die Gelegenheitsverbrecher, einzureihen, die sich durch starke

G efühlsansprechbarkeit (sei es nach der L u s t- oder U nlustseite) von den beiden le tzte n Gruppen unterscheiden und w ieder starke oder schwache A k tiv itä t aufweisen können. Sie sind vo r allem durch ihre starke A b­

hängigkeit von M ilieureizen ch arakterisiert, m an könnte sie nach dem Grade der A bhängigkeit vom M ilieu unterscheiden als O p fe r d e r G e le g e n h e it und N ü t z e r d e r G e le g e n h e it. D er zyklothym e ge­

werbsmäßige kaufm ännische B etrüger s u c h t dagegen die M öglichkeit zum Verbrechen und is t am wenigsten vom M ilieu abhängig.

D ie Untersuchungen ergaben, daß alle gewohnheits- und gewerbs­

mäßigen Verbrecher außer dem gewerbsmäßigen kaufm ännischen Be­

trü g e r dem schizothym en Form enkreis zuzurechnen sind. Dies is t er­

k lä rlic h , da der Schizothym e überhaupt m it der Umgebung in

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1938, H . 12 M e te lm a n n, D ie T ype n le h re G erhard P fahlers usw.

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Spannung le b t, der Z yklothym e dagegen in lebhaftem K o n ta k t m it ih r steht.

Es e rg ibt sich eine im m erhin auffällige Ü bereinstim m ung in der O r­

ganisation der B erlin er K rim in a lp o lize i m it Pfahlers charakterologischem Hauptschem a, die noch einm al am Schluß (S. 573) tabellarisch aufgezeigt sei. Dies ' e rk lä rt sich le ich t vom soziologischen G esichtspunkt : Pfahler ste llte seine H a u pttype n an Menschen auf, die sich k u ltu re ll p o s itiv betätigen, während die O rganisation der K rim in a lp o lize i an k u ltu re ll negativen Gruppen o rie n tie rt is t. A u f der gleichen form alen C harakter­

anlage beruht eine bestim m te soziale H a ltu ng , die sich gleichartig k u ltu re ll p o s itiv wie negativ ausw irkt.

.A _____

574

M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre c h ts re fo rm 1938, H . 12

Fä lle .

E in angstgehetzter Betrüger. Zugleich ein Beitrag zur Sexualpathologie

und zur Kriminalpsychotherapie. Von D r. med. Franz Kapp1).

Im folgenden soll ein F all beschrieben werden, der in mehrfacher H in ­ sicht belangvoll ist; einmal im H inblick auf typologische Gesichtspunkte, indem sich die Persönlichkeit des Rechtsbrechers bei genauer Durchforschung ganz anders herausstellte, als es im ersten Augenblick, vor allem nach den vorliegenden Akten, schien; dann aber bietet er Bemerkenswertes in seiner forensischen Behandlung, wobei weniger w ichtig war die Frage der Zurech­

nungsfähigkeit als die allgemeine psychologische Beurteilung und die Heraus­

arbeitung kriminalpädagogischer Fragestellungen; dam it ergeben sich Aus­

blicke fü r die Kriminalpsychotherapie, wenn auch diese Seite vor anderen mehr in den H intergrund tr itt.

Es h a n d e lt sich u m einen 4 2 jä h rig e n kaufm ännischen V e rtre te r H u g o M ., der 1932/33 wegen einer großen A n z a h l B etrügereien u n te r A n kla g e stand.

Z u m g röß ten T e il w aren es Zechprellereien u n d Logisschw indel, zum anderen T e il die ü b lich e n V e rtre te rd e lik te . Sein S tra fre g iste r wies seit dem 25. Lebens­

ja h r bis 1929 n ic h t w eniger als 16 V o rs tra fe n a u f aus allen T e ile n D eutschlands, fa s t durchw eg n u r wegen B etrugs, fo rtgesetzten B etrugs, U nterschlagung, auch im R ü c k fa ll, fo rtg e se tzte r U nterschlagung, U n tre u e u s w .; e in m a l im Jahre 1923 h a tte er zw ischendurch eine kleine S trafe wegen Paßvergehens. D ie le tz te S trafe w a r wegen fo rtg e se tzte r U n te rsch la g u n g 3 M onate Gefängnis, die er im M ärz 1929 v e rb ü ß t h a tte ; dies w a r zugleich die höchste bisherige E in ze lstra fe . 1930, schon w ährend der u n te n näher zu beschreibenden Z e it der u n ru h ig e n Hetze, h a tte er noch e in m a l wegen falscher E in tra g u n g im H o te lb u c h 2 Tage H a ft bekom m en u n d s o fo rt v e rb ü ß t, h ie rb e i h a tte er sich sonst keine S tra fta t zu ­ schulden kom m en lassen.

I m ü b rig e n w urde er schon b a ld nach V e rb ü ß u n g der le tz te n 3 m o n a tig e n G efängnisstrafe wegen za h lre ich e r neuer Schwindeleien vo n den verschiedensten S ta a tsa n w a ltsch a fte n in ganz D eutschland gesucht, bis er end lich nach über 3 Jahren im S eptem ber 1932 in einer m itte ld e u ts c h e n G ro ß sta d t v e rh a fte t u n d nach K ö ln ge b ra ch t w urde. D ie hiesige S tA . ersuchte m ich u m B e g u ta ch tu n g , w e il wegen des unruhig -n e rvö se n Wesens des Mannes Z w e ife l an seiner Z urech-

x) A us de r K rim in a lb io lo g is c h e n Forschungsstelle beim Gefängnis K ö ln . L e ite r: S tra fa n s ta lts m e d iz in a lra t D r. F ra n z K a p p .

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1938, H . 12 F älle

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n u n g s fä h ig k e it entstanden waren. B e im S tu d iu m d er A k te n ergab sich aus den einzelnen S tra fta te n n ic h ts besonderes, a u ffa lle n d w a r allerdings, daß M . e ig e n tlic h nie einen falschen N am en angegeben h a tte ; auch seine W ohnungs­

angaben w aren nie a b s o lu t falsch, n u r gab er regelm äßig W ohnungen an, die er v o r Jahren e in m a l w irk lic h gehabt h a tte .

D ie U n te rsu ch u n g des M . selbst zeigt n u n ein äußerst interessantes E r ­ gebnis, w ie es nach dem A k te n in h a lt in keiner W eise zu e rw a rte n w a r; die w ic h tig s te n P u n k te w ill ich h ie r m itte ile n :

Schon äuß erlich m a c h t er den E in d ru c k eines a u ß e ro rd e n tlich nervösen, u n ru h ig e n u n d scheuen Menschen, was bereits dem U n te rs u c h u n g s ric h te r in seiner V erne h m u n g a u f fie l, so daß dieser schon die psychiatrische U n te rsu ch u n g anregte. M . is t ein ausgesprochener A sth e n ike r, h a t zeitweise Z u cke r im U rin , h a t auch eine la te n te Lues, im ü b rig e n fin d e n sich keine k ö rp e rlic h e n K ra n k ­ heiten.

M . erzä h lt, daß seine M u tte r z u c k e rk ra n k gewesen is t. Sein G ro ß va te r (v.) habe g e tru n k e n ; sein V a te r habe einen ü b e r allen Z w e ife l erhabenen E h r b e g r ff g e h a b t; ein B ru d e r des V a te rs habe auch getrunken, sei auch ein sta rk e r Schürzen­

jäger gewesen u n d sei 1918 in einer Irre n a n s ta lt gestorben (das K ra n k e n b la tt e rg ib t eine expansive progressive P aralyse u n d eine tu b e rku lö se P le u ritis ; le id e r e n th ä lt es n ic h ts über die E rb ve rh ä ltn isse , da P a t. an dem W o h n o rt z u r Z e it der A u fn a h m e in die A n s ta lt keine A ngehörigen h a tte ), ein anderer B ru d e r des V a te rs sei verschollen, nachdem er sich e in m a l „gegen das Gesetz“

(näheres weiß unser P a t. n ic h t) vergangen habe; ein w e ite re r B ru d e r des V aters habe sich sehr em porgearbeitet, sei kolossal geizig gewesen u n d sehr h in te r F ra u e n h e r; ein w e ite re r B ru d e r des V aters, ebenfalls sehr strebsam , sehr eh r­

bar, alle rd in g s auch geizig, habe einen Sohn gehabt, der sehr verschwenderisch gewesen sei, ein Lebem ann, der die to lls te n Sachen gem acht habe.

M . g ib t w e ite r an, fa s t seine sä m tlich e n Geschwister seien an T u berkulose gestorben; eine Schwester sei g e m ü ts k ra n k gewesen, depressiv, im ü b rig e n sehr b e g a b t; ein B ru d e r habe einen tro cke n e n H u m o r gehabt, habe v ie l geraucht u n d g e tru n ke n , habe z u le tz t E rregungszustände bekom m en u n d sei nach einigen W ochen gestorben. Dieser B ru d e r habe eine e igentüm liche A n tip a th ie gegen das B e tt gehabt, er habe sich n u r morgens ein p a a r S tunden aufs Sofa g e w o rfe n ; im ü b rig e n sei er sehr tü c h tig gewesen; im Sexuellen sei er gewissermaßen sein (unseres P at.) zweites Ic h , m it denselben Besonderheiten u n d P e rv e rs itä te n w ie er.

F a s t alle seine A ngehörigen seien übrigens in te lle k tu e ll g u t begabt. Seine E lte rn seien verm ögende B ürgersleute gewesen; sein V a te r sei noch v o r seiner G e b u rt an B le iw e iß v e rg iftu n g , die M u tte r b a ld nach seiner G e b u rt an Z u cke r gestorben. So sei er selbst im W aisenhaus groß geworden, jede W oche sei er e in m a l im W agen zu seinem schwerreichen O nkel (B ru d e r de r M u tte r) ab g e h o lt w orden, schon d a ru n te r habe er schwer g e litte n .

E r habe in der V olksschule m itte lm ä ß ig gelernt, sei e in m a l zurückgeblieben, im ü b rig e n habe sich die S chulzeit n o rm a l ab g e w icke lt (die In te llig e n z p rü fu n g e rg ib t eine durchaus n orm ale In te llig e n z ); er habe auch K a n t, Schopenhauer, V ir g il, H o ra z usw. gelesen. E r habe sich im m e r sehr fü r sich gehalten, noch bis heute, habe sich gern in die E in s a m k e it g e flü c h te t. I m W aisenhaus h ä tte n die Schwestern o ft m it dem S chutzm ann gedroht, de r ab u n d zu z u r R egelung d er M eldeangelegenheiten h in k a m . Schon das versetzte ih n in A n g st. E r w a r ü b e rh a u p t ängstlich. E tw a m it dem 18. L e b e n sja h r w u rd e seine A n g s t s tä rk e r u n d verließ ih n nie m ehr.

N ach der S chulzeit habe er seine L e h rz e it in der H olzb ra n ch e durchge­

m a c h t, z u fä llig bei dem K o n k u rre n te n seines O nkels; nach der Leh re sei er d a n n als V e rtre te r gegangen. A ls er gelegentlich e in m a l seine M ie te n ic h t zahlen k o n n te , habe d ann sein Leidensweg in de r K r im in a litä t angefangen; davon u n te n m ehr.

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Sexuell sei er a b n o rm ; er könne das zu rü ckve rfo lg e n bis in die K in d h e it.

M it Prügelszenen habe es angefangen, w obei er L u s t v e rs p ü rt habe; u n d er habe als Junge o ft D u m m h e ite n gem acht, n u r u m geschlagen zu werden. M it 12 Jahren habe er zum erstenm al geschlechtliche E rregungen v e rs p ü rt. Seine L e h re rin p rü g e lte ih n im m e r b e i geringen A nlässen; a n fä n g lich habe er dabei A n g s t v e rs p ü rt, aber nachher dabei W o llu s tg e fü h le bekom m en. E in e andere L e h re rin , der er sich deswegen e in m a l a n v e rtra u te , habe ih n d ann m itgenom m en, ausgezogen u n d geprügelt, ih m dabei anbefohlen, n ic h ts d a rü b e r zu erzählen, u n d ih m versprochen, sie werde ih m im m e r w ieder diese L u s t verschaffen.

Sie habe ih n auch d ire k t o n a n ie rt.

M it 18 Jahren habe ih n sein B ru d e r m it in ein B o rd e ll genomm en, d o r t habe er aber n ic h t v e rk e h rt, die D irn e habe ih n n u r m it de r H a n d b e frie d ig t Ü b e rh a u p t habe er in seinem ganzen Leben n u r einige wenige Male, m it w enig Genuß, regelrecht geschlechtlich v e rk e h rt; seine P a rtn e rin n e n dabei seien „ e h r ­ bare B ü rg e rs tö c h te r“ gewesen; daß er d a vo n seine Lues haben solle, könne er n ic h t glauben.

H om osexuelles verabscheue er. H ingegen sei seine m asochistische L u s t sp ä te r s tä n d ig größer geworden, u n d er habe o ft sein ganzes G eld d a fü r bei D irn e n ausgegeben, die seine W ille n lo s ig k e it da sehr b a ld e rk a n n t u n d aus­

g e n ü tz t h ä tte n . W e n n ein solches W e ib ih m a u f d er Straße begegne, h n durchschaue u n d sich an ih n heranm ache, sei er re ttu n g slo s ve rlo re n . (Schon h ie r m öchte ic h bem erken, daß P a t. nach seiner Angabe aber n u r einige wenige M ale d u rch solche S itu a tio n e n u n d die daraus entstandenen Geldausgaben s tra ffä llig geworden ist.) W enn er a u f de r Straße eine Dam e m it einer H u n d e ­ peitsche gesehen habe, sei er ih r nachgegangen, u m diesen A n b lic k re c h t lange zu genießen. E r habe im m e r sehr m it sich g e k ä m p ft u n d sei schließ lich doch im m e r w ieder u n te rle g e n ; u n d das habe ih n auch sehr z e rrü tte t.

D azu verspüre er in den le tz te n Ja h re n eine im m e r größer w erdende L u s t, seinen eigenen K o t zu verzehren, die L u s t steige noch dauernd, besonders in der E in s a m k e it, u n d w enn er keine feste N a h ru n g habe, w ährend sich die m asochistischen N eigungen seit einer W is m u th k u r v o r 2 Jahren etwas gelegt h ä tte n . T a tsä ch lich habe er aber n u r selten seinen K o t v e rz e h rt; denn an sich verabscheue er alles das, w ie je d e r anständige Mensch, aber er könne m anch­

m a l n ic h t dagegen ankäm pfen. A u c h seine S tra fta te n verdam m e er aus in n e rste r Ü berzeugung; aber alles, was er getan habe, sei aus der A n g s t geboren.

M it der ersten S tra fta t habe sein U n g lü c k angefangen, nachdem er schon seit dem 18. Lebensjahre in dauernder A n g s t gelebt habe. E r könne sagen, daß er k a u m 30 N ä ch te lang ru h ig u n d ohne A n g s t gewesen sei. E r fü h le sich ge h e tzt u n d v e rfo lg t; allerdings könne m an das n ic h t V erfo lg u n g sw a h n nennen;

er sei ja auch v o llk o m m e n k la r, aber er habe F u rch tb a re s e rle b t in diesen Jahren.

A u f de r F lu c h t v o r den K rim in a lb e a m te n habe er eine Sache n ach de r andern begangen, er könne sie selber n ic h t alle zählen u n d wisse sie auch n ic h t m ehr alle, u n d w enn ih m etwas vo rg e h a lte n werde, könne er n u r sagen, daß es w a h r­

scheinlich stim m e.

Seine T a te n u n d V e ru rte ilu n g e n ü b e rkre u zte n sich ständig. D e n n im m er, w enn er v e ru r te ilt w a r u n d v e rb ü ß t h a tte , lie fe n im m e r noch einige Sachen vo n frü h e r, u n d die H e tz ja g d begann v o n neuem. E r h a tte eine unsinnige A n g s t v o r allem , was m it K rim in a lb e a m te n zusam m enhängt. T ag u m T ag habe er morgens u m die Z eit, wo die K rim in a lb e a m te n gew öhnlich kom m en, z itte rn d am F enster gestanden; a u f der Straße sei jeder, der ih n anguckte, fü r ih n ein K rim in a lb e a m te r gewesen, u n d aus V e rz w e iflu n g habe er angefangen zu trin k e n . N irgends sei er diesen D ru c k losgeworden, u n d so habe er im m e r n u r wenige Tage, höchstens m a l einige W ochen irgendw o g ew ohnt u n d sei d ann im m e r w e ite r g e tü rm t, ohne zu bezahlen; er habe K o ffe r u n d alles im S tich gelassen, so habe er auch eine ku rze V e rtre tu n g nach der andern angenom m en u n d dabei im m e r w ieder neue Sachen begangen; er sei im m e r a u f der F lu c h t gewesen, 5 7 6 M o n a ts s c h rift f. K rim in a lb io lo g ie u. S tra fre c h ts re fo rm 1938, H . 12

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1938, H . 12 F ä lle

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besonders seit seiner le tz te n S trafe. E r e rz ä h lt m it höchster d ra m a tisch e r A ffe k t­

spannung, die u n b e d in g t echt is t. E r b it t e t fle h e n tlic h d a ru m , er w o lle alles a u f sich nehmen, w enn ih m das G e ric h t n u r versichere, daß je tz t auch alles aus de r V ergangenheit m it e rle d ig t sei; aber das sei nie geschehen.

U n d so sch e in t es auch nach seinem S tra fre g is te r zu sein, daß sich alle seine S tra fv e rfa h re n ü b erkreuzen; nie is t re in e r T isch gem acht w orden. G e ric h t­

lic h e B rie fe habe er nie den M u t g ehabt zu ö ffn e n ; er habe sie in de r H a n d gehalten, m in u te n - ja stundenlang, u n d habe sie schließlich doch ungelesen zerrissen oder in den O fen gesteckt. So habe er auch n u r d u rch Z u fa ll erfahren, daß er gesucht werde. N u r zw eim al habe er w irk lic h den M u t gehabt, sich zu stellen, sonst sei er im m e r zwangsweise v e rh a fte t w o rd e n ; das eine M a l w a r er im R u h rg e b ie t, da habe er es sich so lange überlegt, daß es schließ lich schon zu spät abends w ar, als er zum Gefängnis kam , u n d m an habe ih n abgewiesen;

u n d am nächsten Tage habe er n ic h t m e h r den M u t aufgebracht, noch einm al hinzugehen. Das andere M a l w a r es in S üddeutschland; w e il er da z u fä llig h ö rte , daß er gesucht werde, m eldete er sich beim Gefängnis m it der Angabe, er werde gesucht. D o rt steckte m an ih n aber fü r 2 Tage ein, w e il er sich im H o te l u n te r falschem N am en eingetragen h a tte (wie schon oben gesagt, w a r das einer de r 2 Fälle, w o er einen falschen N am en angegeben h a tte ); w ährend dieser 2 Tage v e rh ö rte m an ih n a u f G ru n d der M eldungen, die v o n ausw ärts Vorlagen, ließ ih n d ann aber w ieder laufen, w e il k e in H a ftb e fe h l vorlag, sondern gab ih m n u r auf, de r P o lize i s tä n d ig seinen A u fe n th a lt m itz u te ile n , was er d ann aus la u te r A n g s t n a tü rlic h n ic h t m e h r ta t.

J e tz t im Gefängnis, so s c h ild e rt er w e ite r, sei er ru h ig ; denn h ie r wisse er, daß morgen fr ü h k e in S chutzm ann kom m e, u m ih n zu holen. Es sei das erstem al, daß er sich im Gefängnis ausspreche (eine forensische B e g u ta ch tu n g is t noch nie e rfo lg t); w o h l habe er sich 1929— 31 d re im a l wegen seelischen Versagens in K ra n ke n h ä u se rn befunden u n d dabei allgem ein seinen seelischen Z u sta n d geschildert, ohne aber v o n seinen k rim in e lle n G eschichten zu sprechen.

D a b e i w u rd e auch seine Lues e n td e ckt.

A u ch eine L u m b a lp u n k tio n is t dam als in einem dieser K ra n ke n h ä u se r d u rc h g e fü h rt w orden u n d h a t nach den d o rtig e n K ra n k e n b lä tte rn a u ß erordent­

lic h A n g s ta ffe k te bei ih m ausgelöst. E r h a t d a n n dam als auch eine W is m u th k u r durchgem acht.

Das ganze Wesen des P a t. im Gefängnis w ährend seines je tz ig e n m e h r­

m o natigen A u fe n th a lts w a r a n g s td u rc h trä n k t. E in e nochm alige P u n k tio n w e h rte er u n te r äußerster A n g s t ab, v e rle b te mehrere fu rc h tb a re Tage; er b a t händeringend, d a vo n A b s ta n d zu nehm en; d ann ließ er es sch lie ß lich doch geschehen u n d w a r ü b e rg lü c k lic h , daß sie sozusagen schm erzfrei v o n s ta tte n ging. Es b e stä tig te sich, daß eine organische E rk ra n k u n g des Z e n tra ln e rv e n ­ systems n ic h t vo rla g , sondern le d ig lic h eine Lues latens. W e ite r w a r ziem lich als einziger organischer B e fu n d die Z uckerprobe im U r in p o s itiv .

I n v ie lfa ch er Weise zeigte sich eine große Ü b e re m p fin d lic h k e it des P a t.

Das Zusammensein m it andern Gefangenen im L a z a re tts a a l w a r ih m ungeheuer­

lic h zuw ider, ih re ungeschlachtenen Reden, ih re M a n ie re n beim Essen. E r kam so im m e r m ehr h e ru n te r u n d m u ß te schließ lich im Ja n u a r 1933 als h a ftu n fä h ig in die psychiatrische U n iv e rs itä ts k lin ik K ö ln ü b e rfü h rt werden, wo er bis E n d e A p r il blieb.

A u c h d o rt zeigte er dasselbe Z u sta n d sb ild . E r w a r m iß tra u is c h bis zum äußersten, auch w enn m an ih m g u t zuredete, a llerdings nie in fe in d lic h e r und aggressiver A r t, sondern aus seiner A n g s t heraus. I n der K lin ik w a r er zu­

nächst a u f der geschlossenen, später a u f de r offenen A b te ilu n g u n te rg e b ra ch t.

E r w a r auch d o rt äußerst e m p fin d lic h im Essen, er aß n u r, w enn ih m das Essen schön zu re ch t gem acht w urde, jedoch fa s t nie aus den ü b lich e n E ßnäpfen.

O b w o h l ih m versprochen w ar, daß er n ic h t in eine H e il- u n d P fle g e a n sta lt kom m e, w a r er im m e r stu n d e n la n g verschw unden, w enn de r T ra n sp o rtw a g e n

Mschr. f. Krim m albiologie. 1938. H . 12. 37

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