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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Volkserziehung, Juni 1918, 26. Band, Heft 3

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Academic year: 2022

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MONATSSCHRIFTEN DER COMEMUSKIESELLSCHAFT

X XYII• B AN D -ö ^-ö-0-HEFT 6

m m m m m m m m m m m m m m m a m m m m m m mm-m m m m m m m m m m

iWonafshefie

A / /

IUP

Volkserziehimq

1018 Juni Heft 3

.rgcS:

Herausgegebenvon Ferd. Jak.Schraidt Neue Folge derMonatsheffe derCö.

Der ganzen Reihe 26.Band.

v e r l a g v o n e ü ö e n d i e ö ^

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur and Geistes*

leben (jährL 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehontf (jährL 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. n. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

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Inhalt

S e i t *

G erlach, H ans, Der Kleingartenbau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und seine Bedeutung für die V olksernährung... 33 V ogel, P au l, Prof. D r., Die pädagogische Staatsidee in J. G. Fichtes „Ge-

schloßnem Handelsstaat“ ...38 R u n d s c h a u... 47

H e rk u n ft d e r v o n C o m en iu s in s e in e r D id a c tic a m a g n a , c a p . X V ., 14 a n g efü h rte n V erse. — Q u e lle n s c h rifte n ü b e r d a s A u s la n d s d e u ts c h tu m fflr d ie H a n d d es L e h re rs .

G e s e lls c h a fts a n g e le g e n h e ite n... 48

K u rz e r G e sc h ä ftb e ric h t.

Literatur-Berichte

(B eiblatt)

Seite B e y s c h la g , W illib a ld , P h ilip p M ela n c h th o n u n d

sein A n te il a n d e r d e u tsc h e n R efo rm a tio n . 9*

D e ls s n e r , K a r t, L U ., P a u lu s u n d d ie M y stik s e in e r Z e i t ... 9*

O ra u l, R ie h ., E in fü h ru n g in d ie K u n stg e s c h ic h te 10*

H a r tm a n n , F r a n z , D r., Die M y stik in G o eth es F a u s t ... • • 10*

! Seite

I Ih tn e ls , L u d w ig , D r., Z e n tra lfra g e n d e r D ogm alik I iu d e r G e g e n w a r t ... 11*

| J e lk e , R o b e r t, L lz. th c o l., D r. p h tl., D as reli- i giö se A -p rio ri u n d d ie A u fg ab en d e r R eligions- j p h ilo s o p h ie ...

i S te r n , W illia m , Die m e n sc h lic h e P e rs ö n lic h k e it 12*

Anmeldungen zur C.G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n - G r a n e w a l d , Hohenzollemdamm 55; dorthin sind auch die Rezensionsexemplare and Manuskripte einxusenden. — Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

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MONATSHEFTE

DER COM EN IU S -G E S E LLSCH AFT F Ü R V O L K S -Ü B E R Z I E H U N G\

S C H R IF T U E IT U N G :'^^^^^HOHENZOLLERNDAMM 55 F E R D -JA K - S C H M I D T ^ S ^ B E R L I N -G R U N E W A L D

VERLAG EUGEN DIEDERICHS IN JE N A

N. F . B a n d 10 J u n i 1918 H e ft 3

D ie M on atsh efte d e r C. G. fü r V o lkserziehung ersc h e in e n M itte F e b r u a r , A pril, Juni, O k to b e r u n d D ezem b er. D ie M itglieder e rh a lte n d ie B lä tte r gegen ih re J a h r e s ­ b eiträg e. B e zu g sp re is im B u c h h a n d e l u n d b ei d e r P o st M. 4. E in z eln e H efte M. 1,50.

N ac h d ru c k o h n e E rla u b n is u n te rsa g t.

DER KLEINGARTENBAU

IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT UND SEINE BEDEUTUNG FÜR DIE VOLKSERNÄHRUNG

Von H a n s G e r l a c h , G artenarchitekt, D arm stadt

chon von altersher wurde vor den Toren der deutschen S täd te K lein­

gartenbau betrieben, denn die Bürger der enggebauten m ittelalter­

lichen S tädte zogen außerhalb der S tadtm auer auf eingezäuntem Gelände sich ihr Gemüse selbst heran, wie wir dies heute noch bei den kleinen Provinzialstädten beobachten können.

Mit der gewaltigen Entwicklung des deutschen. Volkes h a t sich jedoch eine große Anzahl deutscher S tädte ins Riesenhafte ausgedehnt. Es ■wurden von 70 Millionen deutscher Staatsbürger 45 Millionen Städter, von denen 15 Millionen: Großstädte m it mehr als 100 000 Einwohnern bevölkern. Die altgewohnten traulichen Außen­

gärten wurden von der großstädtischen Bebauung verschlungen, und m it ihnen verschwand der Sinn und das V erständnis für gartenbauliche Betätigung, darin die Liebe zur heim atlichen Scholle wurzelt, während gleichzeitig in den M ietskasernen das unbeschreibliche Wohnungselend eine ständig zunehmende Gefahr für die Ge­

sundheit und W ohlfahrt unseres Volkes bildete. Mit weitsichtigem Blick erkannte Dr. Schreber in Leipzig das zu einer wahren N ot sich immer weiter ausbreitend©

Übel, deshalb verm achte er um die Mi^te des 19. Jah rh u n d erts seiner V aterstad t eine nam hafte Summe m it der Bedingung, dafür Gelände zu kaufen, das in klein*

G ärtchen von etwa 200 qm aufgeteilt und an Bürger zur Ausübung des Klein- gar tenbau es verpachtet werden sollte. Der sogenannte Schreberverein nahm sich dieser Sache a-n und verwirklichte das Testam ent in G estalt der Schrebergärten.

Dem Beispiel folgten sodann der Vaterländische Frauenverein und der Volksheil-

M onatehefte d e r O.G. fü r V olkierziehm ng

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34 H a n s G erlach H e ft 3

stättenverein vom R oten Kreuz, um den Fam iliensinn und das Familienleben des A rbeiters durch gemeinsame T ätigkeit und Erholung im K leingarten zu kräftigen uijd zu erhalten. Mit 94 A rbeitergärten begann der V aterländische Frauenverein in C harlottenburg seine neue Tätigkeit, und bereits 1910 h a tte Berlin 40 000 und Leipzig 20 000 solcher K leingärten, hier Laubenkolonien, d o rt A rbeitergärten oc’er Schrebergärten genannt, auf zu weisen. Die breite Öffentlichkeit stand trotzdem diesen B estrebungen frem d gegenüber, sie betrachtete den K leingartenbau der G roßstädter lediglich als Liebhaberei, während die soziale, erzieherische und volks­

w irtschaftliche Bedeutung des G artenbaues den meisten ein Geheimnis blieb, ein Geheimnis, d arin die U rkraft unseres Volkes wurzelt.

Das L and als Spender von B lut und K ra ft ist der feste Anker der N ation ! Zu dieser E rkenntnis gelangte das deutsche Volk erst in dieser ernsten Zeit, in der wir leben. Je tz t, wo die Lebensmittelversorgung in den S tädten sich immer schwieriger gestaltet, erkannte m an, daß die Ursache dieses Übels das ungleiche Zahlen Verhältnis zwischen Gemüseverbraucher und Gemüseerzeuger innerhalb des Stadtkreises ist. Um nun den Familien, deren O berhaupt im Felde steht, die E r­

nährung durch selbstgezogene G artenfrüchte zu erleichtern, wurden überall in den S tädten K leingärten geschaffen. Von der Bedeutung dieser neuzeitlichen S chreber­

gartenbestrebungen reden folgende Zahlen eine deutliche Sprache: Der vor dem Kriege 2000 Mitglieder zählende V erband der Laubenkolonisten von Berlin zä h lt je tz t 14 000 Mitglieder. Ferner h a t zur Zeit das R ote Kreuz an 8000 Pächtern, d aru n ter ein großer Teil K riegsverletzte, K leingärten verpachtet. Die Zahl der Berliner Laubenkolonisten ist jedoch bedeutend größer und m it 60 000 wohl n icht zu hoch geschätzt. Infolge des Aushungerungsplanes unserer Feinde gingen Goethes W orte:

Nimm H ack und Spaten, grabe selber, Die B auernarbeit m acht dich groß, U nd eine H erde goldener Kälber Die reißen sich vom Boden los ! gleich einer M ahnung durch das deutsche Volk.

Insbesondere brachten allerorts die Kriegsschüler gärten neues Leben in den d e u t­

schen K leingartenbau. M it Hilfe der Schulkinder wurde im S tadtgebiet brachliegen­

des Baugelände in ertragreiche G ärten verw andelt, und ist es nur zu wünschen, d aß diese Rriegsschülergärten eine ständig bleibende Einrichtung für alle Zeiten werden, denn soll unsere G roßstadtbevölkerung, die dem Gartenleben m eist fremd gegen­

überstand, wieder dazu erzogen werden, so muß hier meines E rachtens bei der E r ­ ziehung der Jugend dam it begonnen werden. Die Elem entarlehren des Gartenbaues muß der heranw achsende Mensch von der Schulbank m it hinaus ins Leben nehmen.

Der Deutsche Verein für W ohnungsreform sagt m it R echt in einer Flugschrift: Den Schulverw altungen falle eine besonders bedeutsam e Aufgabe zu, durch Betrieb ge­

eigneter Schulgärten in der Jugend den Sinn für G artenbau zu wecken und die F ähigkeit und K enntnisse für ihn zu entwickeln. Gehen diese W orte in Erfüllung, dann w itd die Zeit nicht ferne sein, da jeder Stadtbew ohner Selbstversorger ist*

d. h. den Bedarf an Gemüse für seinen H aushalt selbst heranziehen kann, sofern das dazu erforderliche K leingartenland vorhanden ist. In kommender Zeit ist es des­

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1918 D er K lein g arten b au in V erg an g en h eit, G egenw art u. Z u k u n ft usw. 35

halb für die S tädte selbst eine wichtige Aufgabe von volkswirtschaftlicher Bedeu­

tung, bei der unbedingt erforderlichen Kleingartenreform tatk räftig zu helfen und gleichzeitig dabei die gesunde Entw icklung der Jugend zu sichern; denn alle bisher getroffenen M aßnahmen und Einrichtungen dieser A rt sind leider mehr oder weniger ein Notbehelf geblieben, demzufolge jegliche Organisation unterlassen wurde.

P rü ft m an die Kleingartensiedelungen im Umkreis unserer S tädte auf ihren W ert, so em pfindet m an, daß derselbe stets durch zwei große Fehler wesentlich ver­

m indert wird.

1 . Tragen die Kleingartensiedelungen in ihrer jetzigen G estalt nicht zur V er­

schönerung des S tadtbildes b e i;

2 . ist die Bewirtschaftung der einzelnen K leingärten heute so mangelhaft, daß die gewinnbringende N utznießung oft mehr als fraglich wird.

Die nun einsetzende K leingartenreform m uß also die Fehler durch praktische N utzbarm achung der Kleingartensiedelungen für alle Schichten der Bevölkerung und durch Schaffung verschiedenartiger Spielwiesen, Sportplätze bei großmöglich­

ster Schlichtheit und Einfachheit, dabei doch m it geringen M itteln beseitigen, so daß der K leingarten seinem P ächter die für dessen H aushalt erforderlichen G arten- erzeugnisse liefert und jung und a lt dortselbst eine wahre E rholungsstätte findet.

Wie ist dies Problem restlos zu löSen ? Vor allen Dingen ist zu berücksichtigen»

daß von den heutigen K leingartenpächtern dem weitaus größten Prozentsatz jeg­

liche praktischen K enntnisse und Erfahrungen des G artenbaues fehlen. Einige dies­

bezügliche Folgeerscheinungen sind übermäßige Saatverschwendung durch za dichtes Säen, Pflanzenvergeudung durch zu enges Setzen der jungen Pflanzen. Ver­

nachlässigung des Obstbaues, dabei ist für Spalier-, Zwerg- und Beerenobst der K lein­

garten wie geschaffen. So bleibt denn der erhoffte Gewinn aus, die F reude am G arten siecht dahin, und die Begeisterung, m it der anfangs an die G artenarbeit ge­

gangen wurde, geh t zum N achteil der K leingartenbestrebungen verloren.

Es gilt also zunächst dem G artenkolonisten die erforderlichen Anweisungen u n d Belehrungen zur praktischen und zweckmäßigen B etätigung zu geben. Jedoch ge­

nügen hier nicht die V eranstaltungen von belehrenden Vorträgen, wie solche von G artenbau vereinen abgehalten wurden, sondern praktische Vorführungen im G arten selbst sind, unerläßlich. Der A nschauungsunterricht h a t sich noch immer und überall als der erfolgreichste erwiesen, denn: grau, teurer F reund, ist alle Theorie. In e r­

höhtem Maße gilt dies beim G artenbau, insbesondere bei der G artenbestellung un d Spalierobstpflege, dabei ist die R en tab ilität des K leingartenbaues von der richtigen Bestellung und der möglichst vielseitigen Verwendung von Zwerg-, Spalier- und Beerenobst abhängig. Bei der Aufteilung des Kleingartengeländes ist demzufolge die Anlage eines Lehr- und Versuchsgartens von größter B edeutung; dieser G arten ist die Seele der Kleingartensiedelung, denn d o rt finden die G artenpächter einen unerschöpflichen Quell segensreicher Anregungen. Das G artenhaus des Lehr- und Versuchsgartens wird zur Lesehalle ausgestaltet, daselbst sämtliche G artenbau­

zeitungen offen zur freien E insicht ausliegen. Eine Leihbücherei, nur Schriften der G artenbauliteratur enthaltend, vervollständigen diese Einrichtung. Gleichzeitig dient der R aum zur A bhaltung von Vorträgen.

Eine A nzuchtsgärtnerei gliedert sich dem Lehr- und Versuchsgarten an, woselbst von einem angestellten Fachm ann, dem die Leitung des Lehr- und Versuchsgartens, 4*

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36 H an s Gerlacli Heft 3

sowie die Aufsicht über sämtliche K leingärten zu übertragen ist, die Gemüse­

pflanzen für die G artenpächter sachgemäß herangezogen und gegen entsprechende V ergütung m it kurzer K ultur an Weisung an dieselben abgegeben werden. Hier wird ferner der gemeinsame Bezug von D üngem itteln, Sämereien und sonstigen Hilfs­

m itteln geregelt. H ieraus ergibt sich, daß der Lehr- un d Versuchsgarten zum Z entralpunkt der Gesam tanlage wird und den G rundstein der bisher fehlenden O r­

ganisation bildet.

N un zu den K leingärten selbst:

Die Größe der einzelnen P achtgärten rich te t sich nach der Fam ilienstärke der verschiedenen P ächter, denn der G arten soll für deren H aushalt die erforderlichen Gartenerzeugnisse liefern, ohne dem Pächter und dessen Fam ilienm itgliedern zur L a st zu fallen. Das Gelände der Siedelungen wird folgedessen in K leingärten von verschiedener Größe, aufgeteilt, deren Flächenraum 200 bis 300 qm und mehr ber träg t. Bei der Ausgestaltung und Bepflanzung der einzelnen P achtgärten ist auf möglichst vielseitigen N utzen hinzuwirken. Zum ,.eisernen“ Pflanzenbestand ge­

hören:

a ) Zwerg- und Spalierobstbäum e: Äpfel, Birnen usw.,

b) B eerenobststräucher bzw. H ochstäm m e: Johannis- und Stachelbeeren, c) als H ecke: H im beeren u n d Brombeeren,

d ) zu W egeinfassung: Erdbeeren,

e) als S tauden: R habarber und Küchengewürzkräuter,

Die Anordnung dieses „eisernen“ Pflanzenbestandes h a t so zu geschehen, daß für die Gem üsekulturen hinreichend L and zur Verfügung steh t und dieselben durch jenen Pflanzenbestand nich t behindert, noch beeinträchtigt wird. Im übrigen sollen auch persönliche Liebhabereien der P ächter, die Anpflanzung von Rosen, Dahlien, S tauden und Sommerblumen n ich t unterbunden werden, allerdings darf der eigent­

liche N utzw ert des K leingartens nicht d arunter leiden.

Von besonderer W ichtigkeit ist auch die W asserversorgung. E s genügt keines­

falls, daß m an, wie bisher üblich, am H auptverbindungsw eg einen H ydran ten au f­

stellt, von d o rt sich jeder das W asser in K annen m ühsam herbeischleppt, vielmehr m uß jeder G arten ein Schöpfbecken haben. Um bei dieser E inrichtung möglichst sparsam zu w irtschaften, em pfiehlt es sich, die Becken im W inkelpunkt von vier P ach tg ärten aufzustellen, so daß je vier P ächter von ihren G ärten aus gemeinsam aus einem Becken das Gießwasser schöpfen, ohne sich gegenseitig dabei zu behindern.

D as in jedem G arten unentbehrliche G artenhaus m uß als das einzige architekto­

nische Schm uckstück dem entsprechend ausgestaltet un d zweckmäßig eingerichtet sein. Das Aufstellen von W ellblechbaracken, geschmacklosen K istenbretterbuden usw. ist in Z ukunft zu verhindern. Dagegen sollten K aninchenställe in keinem K leingarten fehlen. W ie in der L andw irtschaft die Viehzucht unentbehrlich ist, um die E rtragfähigkeit des B etriebes zu erhöhen, so gilt das gleiche von der K leintier­

zucht im K leingartenbau. Ausgenommen sind H ühner und Tauben, welche mehr Schaden anrichten, als sie N utzen bringen, deshalb ist die Geflügelhaltung im K lein­

g arte n nich t ratsam .

Bei der Anlage der Wege innerhalb des P achtgartens beschränke m an sich auf da«

für die erforderlichen Zwecke benötigende Mindestmaß unter Vermeidung jeglicher

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1918 D er K lein g arten b a u in V ergangenheit, G egenw art u. Z u k u n ft usw 37

Schlängelwege, die das Gelände unnötig zerschneiden und die G artenbear bei tung erschweren.

W erden bei allgemein durchgreifender Reform die Schreber-, Lauben- und K lein­

gartenkolonien in der geschilderten Weise ausgestaltet und unter fachm ännischer Leitung bew irtschaftet, d ann sind sie für die Pächter eine wahre E rholungsstätte, die gleichzeitig Gewinn bringt ; sagt doch R ückert:

Den ]£ohl, den du dir selbst gebaut,

D arfst du nicht nach dem M arktpreis schätzen.

Du h a st ihn m it deinem Schweiß betaut, D i e W ürze lä ß t sich durch nichts ersetzen.

Für das Spiel der Jugend* die nich t allein in der G artenarbeit Befriedigung findet, die sich auch im goldenen Sonnenschein unterm freien Himmel austollen will, sind die R aum verhältnisse des K leingartens zu beschränkt. Um auch nach dieser R ich­

tung hin die Schrebergärtenanlagen auszugestalten, ist die Schaffung einer Sport- und Spielwiese inm itten der Kleingartensiedelung unerläßlich.

Um das Schönheitsempfinden vollends zu befriedigen, ist das Einfügen eines öffentlichen Roseil-, Dahlien- und Staudengartens zu erwägen. Ebenso können die öffentlichen Verbindungswege zwischen den Reihen der K leingärten zu beiden Seiten von B lütenstaudenrabatten begleitet werden. Die Wegekreuzungen bieten Gelegenheit zur Aufstellung von Laufbrunnen, Anpflanzung von Ziergehölzgruppen, während eine Baum reihe die Spielwiese um säum t. So wird die Kleingar tensiedelung hinreichend m it schmückendem Grün und heiteren B lütenfarben durchsetzt, wo­

durch jene Eintönigkeit, die bisher das Kleingartengelände beherrscht, für immer verschwindet.

Bei einer derartigen N eugestaltung der Kleingartensiedelungen ist wirklich etwas Ersprießliches zu erreichen. In Zukunft wird den städtischen Gartenverw altungen durch den K leingartenbau die größte Möglichkeit geboten, den sozialen und volks­

wirtschaftlichen Forderungen der Zeit folgend, öffentliche städtische Anlagen zu schaffen, die nie geahnte N utz- und Schönheitswerte in sich schließen, denn die Erfahrungen der Kriegszeit haben zur Genüge bewiesen, daß die Volksernährungs­

frage am einfachsten zu lösen ist, indem jeder die w ichtigsten Lebensm ittel auf eigener Scholle oder auf P achtland selbst erzeugt.

Um die Kleingartensiedelungen planm äßig und organisiert der Allgemeinheit nutzbar zu machen, sind im B ebauungsplan der S täd te entsprechende Freiflächen als G artenland für die inneren Stadtbew ohner vorzusehen, so daß dem Kleiii- gartenbau eine bleibende S tä tte innerhalb des Stadtkreises zuteil wird, womit je­

doch nicht gesagt sein soll, daß dies Gelände gänzlich der Bebauung entzogen wird.

,1m Gegenteil, die streng durchgeführte K leingartenreform soll den K leingarten­

pächtern die Möglichkeit bieten, das betreffende G artenland in E rb pach t erwerben und darin eine feste W ohnstätte errichten zu können. Indem so allen Volksschichten die Möglichkeit geboten wird, sich ein Eigenheim zu gründen, das ihnen ein freudiges Gfortenleben beschert, wird die Entwicklung der G artenvorstädte in gesunde B ahnen gelenkt, und der bekannte G rundsatz der alten Röm er: „E rst pflanzen, dann bauen !“ kom m t wieder zu seinem Recht.

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38 P a u l Vogel Heft 3

JJeben den S tädten selbst bietet sich den Bürger- und Bezirksvereinen, den Kirchengemeinden, den G artenbauvereinen Gelegenheit, tatk rä ftig und fördernd bei der Kleingartenreform einzugreifen. Auch den Gewerkschaften und Großindustriellen ist durch die Kleingartenreform ein neues Feld zur sozialen Fürsorge für ihre Be­

am ten und Arbeiter geboten. Die B eam ten- und Arbeiterkolonien industrieller W erke erhalten durch die Kleingartensiedelungen, welche nunm ehr das Anfangs­

stadium bilden, eine gesunde Grundlage. In gleicher Weise sollten sich auch die K riegerheim stätten, wie die weitere Ausdehnung der S täd te entwickeln; denn nur allein so wird es möglich sein, unserem Volke gesunde W ohnstätten zu schaffen, von denen m an sagen k a n n :

Hier ist des Volkes wahrer Himmel, Zufrieden jauchzet groß und k lein : Hier bin ich Mensch, hier darf ich ’s sein !

DIE PÄDAGOGISCHE STAATSIDEE

IN J. G. FICHTES „GESCHLOSSNEM HANDELSSTAAT“

Von Prof. Dr. P a u l V o g e l

Sri Gegenwart h a t ein lebendiges Interesse an J . G. Fichte. Seine ,,Reden an die deutsche N ation“ in alter und neuer Form verkündigen w^e(^er dem deutschen Volke den sieghaften Glauben an die m ensch- / 1 heiterlösende Bestimm ung des D eutschtum s. Es ist so, als ob sich ag in der gegenwärtigen W ende der Menschheitsgeschichte Fichtes W eis­

sagung erfülle. Mit ihr scheint eine zweite W irklichkeit geworden zu sein, die auch von einer weltbesiegenden Glaubenszuversicht getragen wird, aber anscheinend der erstgenannten nicht entspricht. R. Kjell&i schreibt in seinem neuesten Buche:

„D er S ta a t als Lebensform“ : „Die M ittelm ächte wären schon län g st auf die K nie gezwungen, wenn sie in der S tunde der N ot nicht im stande gewesen wären, sich beinahe in den „geschlossenen H an delsstaat“ zu verwandeln, den F ichte schon im J a h re 1800 prophezeit h a t.“ Dieser Satz ist mißverständlich für den, der Fichtes A bhandlung über den geschlossenen H andelsstaat nicht kennt, die neben den

„R eden“ unter allen W erken Fichtes die am meisten zeitgemäße ist. Tatsächlich sind D eutschland und die m it ihm verbündeten Länder im gegenwärtigen Krieg gegen ihren eigenen Willen durch die Gewalt ihrer Feinde zu nahezu geschlossenen H andelsstaaten geworden. Hinsichtlich der Abschließung ist das erreicht, was F ichte erstrebte. Auch die Mittel werden m it großem Erfolg angewendet, die nach Fichtes Ansicht eine freiwillig^ völlige Schließung des H andelsstaates ermöglichen.

Die inländische F abrikation und die Erzeugung aller echten P rodukte ist ganz im Sinne Fichtes soweit gefördert worden, als es das Land zuläßt. Die Herstellung der stellvertretenden P rodukte, von der Fichtes Sehergabe überraschend prophe­

tisch redet, h a t der deutsche Erfindungsgeist in so genialer Weise gesteigert, daß Fichtes kühnste Hoffnungen in den S chatten gestellt sind. Fichtes Abhandlung en th ält zahlreiche Gedanken, die sich unm ittelbar auf die Gegenwart anw enden lassen.

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Dennoch wäre es falsch, verstünde m an den angeführten Satz Kjelleus so, als ob der geschlossene H andelsstaat im Sinne Fichtes tatsächlich sich verwirklicht habe. Fichte red et von einem idealen V ernunftstaate, der bestehende geschlossene H andelsstaat der M ittelm ächte ist ein Zwangs- und N otstaat. Er ist m it vielen groben Mängeln behaftet, weil eine unvorbereitete, aus der geschichtlichen E n t­

wicklung ganz herausfallende, durch einen Außendruck plötzlich aufgezwungene radikale staatliche Umformung innerhalb einer kurzen Zeitspanne inm itten fu rch t­

barer Kriegsnöte nur sehr unvollkommen durchführbar ist.

Die bleibende Bedeutung der Abhandlung Fichtes liegt nicht in ihrer Zeit­

gem äßheit, sondern in ihrer Überzeitlichkeit. Gewiß h a t Fichte an die Verwirk­

lichung seines V ernunftstaates geglaubt, und unverkennbar h a t sich diese in der Staatsentwicklung des verflossenen Jah rh u n d erts angebahnt, aber ihre restlose Erfüllung ist nicht auf einen gewissen Zeitraum beschränkt, sondern erfordert den gesam ten Ablauf menschheitlichen W erdens. N icht einen geschichtlichen, vielmehr einen philosophischen Entw urf nennt Fichte seine Schrift. Als rein logische Begriffskonstruktion erhebt sie den Anspruch auf Gültigkeit, sofern sie sich als widerspruchsfrei erweist. Das Entscheidende ist, ob innere Gründe gegen diese Staatsidee sprechen.

W enn ich dieser Frage nachgehen will, indem ich diese Staatsidee als pädago­

gische betrachte, so bedarf dieser mein eigener S tandp un kt einer sachlichen R echt­

fertigung. Fichte red et in seiner Abhandlung gar nicht von der Erziehung. Aus­

drücklich erklärt er wiederholt in der Schrift, daß er sogar sittliche Erwägungen .ausschalten will. Diese Absicht g ibt der Abhandlung innerhalb des durchaus ethisch orientierten philosophischen Systems Fichtes eine ganz eigenartige Stellung.

Die Darlegung soll sich im Bereich rein rechtsphilosophischer Begriffe bewegen.

Doch eben diese unhaltbare rigorose Trennung von R echt und S ittlichkeit lä ß t es fraglich erscheinen, ob Fichte sein Vorhaben wirklich auszuführen im stande war, zumal das sittliche P athos seiner G eistesnatur dem zuwiderlief. Soweit ich zu sehen vermag, ist der Gedankengang dieser Abhandlung in seiner Tiefe nicht er­

faßbar, wenn nicht zu seiner Deutung die Fichtesche E thik, deren System gleich­

wie die mehrfach bearbeitete Wissenschaftslehre vor 1800 da waren, zu Hilfe ge­

nommen wird. Der Politiker Fichte, der im „geschloßnen H and elsstaat“ eine

„Probe einer künftig zu liefernden Politik“ dem preußischen Staatsm inister von Struensee zueignete, war niem and anders als der große Menschheitserzieher, der von w eittragen d en G esich tsp u n k ten aus den g esam ten K ultur Organismus ein sch ließ ­ lich des S taates einstellte in den Dienst höchster ewiger Zwecke. Pädagogisch im engen und engsten Sinne ist die Staatsidee des „geschloßnen H andelsstaates“

nicht, wohl aber pädagogisch in der weitesten und gehaltvollsten Bedeutung, die die gesamten K ulturtätigkeiten in sich begreift, die eine Em porbildung der Mensch­

heit erstreben. F ür diese Auffassung will ich den Nachweis zu erbringen versuchen, indem ich zuerst den Staatszweck des „geschloßnen H andelsstaates“ prüfe.

Der ganze Gedankengang der Abhandlung spricht dafür, daß eine überzeitliche Bestimmung vom Wesen des S taates ihr zugrunde liegt. Der S ta a t soll sich so ge­

stalten, daß er der Versittlichung und Vergeistigung des Volkes und der Mensch­

heit dient. Der S ta at h a t nicht genug getan, wenn er seinen Bürgern B rot d a r­

reicht, seine höhere Aufgabe ist die Veredelung und Vervollkommnung des ganzen 1918 D ie p äd ag . S ta a tsid e e in J . G. F ic h te s „G eschloßn. H a n d e ls s ta a t“ 39

(10)

40 P a u l Vogel H e ft 3

Volkes durch die Pflege aller Betätigungen einer geistigen K ultur, die höchster Selbstzweck sein soll. Ausgesprochen werden diese Sätze in dem W erke nicht, das in seinem letzten Teile nur sehr flüchtig die höheren Aufgaben des K ultur - staates an deutet, aber alle in ihm dargestellten Gedanken drängen auf sie hin.

Dies lehrt eine B etrachtung der Grundbegriffe, die den Gedankengang Fichtes beherrschen.

Die dreigliedrige logische Begriffsreihe, die Fichtes Ableitung des geschlossenen H andelsstaates in sich schließt, setzt ein m it dem Begriff der freien Tätigkeit. Diese wird als das schlechthin Grundlegende vorausgesetzt, durch das alle menschlichen W erte Zustandekommen. F ichte will diesen apriorischen Grundbegriff der freien T ätigkeit als reinen Rechtsbegriff aufgefaßt wissen. I n W irklichkeit wurzelt er in Fichtes Fundam entalsatz von der sittlichen Freiheit. Darum ist eine Ableitung n ich t möglich. Die Lehre von der sittlichen Freiheit ist nach Fichtes eigenem Geständnis ein philosophischer Glaubenssatz. Die W ahrheit des ganzen Gedanken- ganges über den geschlossenen H andelsstaat ist letzten Grundes bedingt durch die Annahm e dieser m etaphysischen Voraussetzung. Fichte gebärdet sich so, als ob er voraussetzungslos rede. Aber die ganze rechtsphilosophische Begriffskonstruk­

tion wird hinfällig, wenn nicht das Dasein sittlicher Menschen angenommen wird.

Diese Annahme erfordert der zweite Grundbegriff der Fichteschen Abhandlung, der Vertragsbegriff, der den ersten ergänzt. Die freie T ätigkeit h eb t sich selbst auf, wenn sie sich nich t durch V erträge bindet. Diese begrenzen durch allgemein- verpflichtende Bestimmungen, die das R echt ausmachen, der freien T ätigkeit mög­

liche Erscheinungsweisen, die die Stände begründen, so daß jede Erwerbsgem ein­

schaft und jeder einzelne wissen, was sie zu tu n und zu lassen haben. Dieses ausschließende R echt auf eine bestim m te freie Tätigkeit, nicht aber der au s­

schließende Besitz einer Sache, ist das Eigentum . Das ist der d ritte grundlegende Begriff der Fichteschen Abhandlung. E r ist wiederum durchaus sittlicher N atur gleichwie Fichtes Vertragsbegriff. W ird die edle Gesinnung sittlicher Menschen nicht vorausgesetzt, so kommen entweder die Rechtsgesetze gar nich t zu stan de oder sie werden unablässig durchlöchert. Die Bürger des S taates müssen nach dieser Vertragslehre soweit sittlich reif und einsichtsvoll sein, daß sie freiwillig die V erträge als für sie bindend erklären. Denn die K lugheit und die Rücksicht auf den eigenen möglichst großen Vorteil, die das H andeln des empirisch gegebenen Menschen vornehmlich bestimmen, sprechen gegen die V erträge im Sinne Fichtes.

Der geschichtliche Mensch glaubt am angenehm sten leben zu können, wenn er wesentlich mehr besitzt als andere. Er ist darum auch ein Gegner des Fichteschen Eigentum sbegriffs. Fichte kenn t diese Feindschaft. W iederholt erklärt er au s­

drücklich, daß er d en Eigentumsbegriff der N ützlichkeitsm oral ablehne, die für den ausschließenden Besitz der Sache ohne Rücksicht auf die A rt des Erw erbs ein tritt. Fichtes Eigentumsbegriff ist erhaben über den des Alltags. E r ist m eta­

physisch verankert und bezweckt letzthin das Daseinsrecht un d die Daseins­

m öglichkeit der sittlichen F reiheit auch im Reich der Erscheinungen. E r bekäm pft die Selbstsucht, das radikal Böse der E th ik Fichtes.

Die Daseinsmöglichkeit des Eigentum s im Sinne Fichtes bedingt die Daseins­

notwendigkeit des Staates. Dieser ist nicht Selbstzweck, sondern nur M ittel zu einem höheren Zweck. Zu dieser Ansicht bekannte sich F ichte bereits 1794 in den

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1918 Die p äd a g . S ta a tsid e e in J . G. F ic h te s ,,G eschloßn. H a n d e ls s ta a t“

Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, und er behielt diese Auffassung bei in den W erken nach 1800, die den S ta at bloß als „das M ittel für den höheren Zweck der ewig gleichmäßig fortgehenden Ausbildung des rein Menschlichen', betrachten. Der dienende Zweck des geschlossenen H andelsstaates besteht darin, daß er einen Zusammenschluß einer unbestim m ten Menge Menschen darstellt, die m ittels allgemeiner Verständigung gebrauchsfähige Verträge zwecks Bestimmung des Eigentum s schließen. Das dem Einzelnen zugesprochene Eigentum kann nach Fichtes Ansicht im wesentlichen u n angetastet bleiben nur unter der Bedingung, daß sich der S ta a t völlig schließt. N ur in diesem Falle sei es möglich, unter be­

ständiger Rücksicht auf die heimische Produktengew innung und auf das unbedingt Notwendige die weitestgehende Arbeitsteilung und die im Lande höchstmögliche, Arbeitsleistung zu erreichen und das wirtschaftliche Gleichgewicht fortdauernd zu erhalten. Diese wirtschaftliche Stetigkeit äußert sich in den festen Preisen aller Dinge, deren W ert sich bem ißt nach der Arbeitsleistung der freien Tätigkeit, die zu deren Erzeugung nötig war und die die Möglichkeit, eine gewisse Zeit davon, zu leben, in sich schließt.

Der also begrifflich konstruierte' W irtschaftsstaat, der dem C harakter des em pi­

risch gegebenen W irtschaftsstaates völlig w iderstreitet, h eb t sich als solcher durch die sittliche Zwecksetzung selbst auf. E r verurteilt das W irtschaften im Sinne von Profitm achen, Fichtes W irtschaftsmensch ist keine R einkultur, weil er ganz sozial ist, ökonomisches Streben im Sinne von M achtstreben ist ihm fremd, er kennt nicht die W irtschaft als H errschaft über Sachen im D ienst der eigenen Zwecke, als Konkurrenz. Das soziale Prinzip schränkt die ungehem m te W irkung des ökonomischen Prinzips ein. Der N utzen wird beiseite geschoben, dam it aber das Motiv aller W irtschaft. Alle wirtschaftlichen Unebenheiten werden aus­

geglichen. Die Gleichheit herrscht, die m it der allen zuzusprechenden sittlichen Freiheit begründet wird.. Die Eigentum ssphäre jedes einzelnen wird bestim m t durch eine rein m athem atische Divisionsaufgabe, die keinerlei Irrationale in die Rechnung einstellt. Innerhalb dieser Gleichheit fällt aber auch das V orw ärts­

drängende der freien Konkurrenz, un d die Gefahr einer gewissen philiströsen Schlaffheit liegt nahe. Fichtes R ech tsstaat ist angewiesen auf den F ortschritt des H andelns nur um des Guten willen.

W enn dieser W ohlfahrtsstaat die Möglichkeit zu leben als den wahren inneren W ert jeder freien T ätigkeit bezeichnet, so ist dem entgegenzuhalten, daß diese Lebensmöglichkeit schlechthin nicht einmal den äußeren W ert bestimmen kann.

In einem von N atur reich gesegneten Lande machen die günstigen Lebensbedin­

gungen die T ätigkeit zur Befriedigung der niederen Bedürfnisse nahezu überflüssig.

Das Leben als bloßes Dasein kann nicht als W ertm aßstab dienen. Der Sklave leb t auch. Die freie T ätigkeit ist nicht die Voraussetzung des Lebens schlechthin.

Fichtes Logik ist nur haltbar und verständlich vom Standpunkt seiner tra n s­

zendenten E thik, die von der höchsten Bestimmung der menschlichen W ürde aus­

geht.

Dieser w irklichkeitsentrückte S tandpu nkt m acht sich auch darin geltend, daß der Fichtesche V ernunftstaat m it seinem Vertragssozialismus auf der G rundlage der absoluten Gleichheit ein R echtsstaat ist und nicht ein M achtstaat. Sein wesent­

liches Merkmal ist der R echtsfaktor, nicht aber der M achtfaktor, der das C harak­

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4 2 P a u l Vogel H e f t 3

teristikum des geschichtlichen S taates ist. Die Lebensfähigkeit des geschlossenen H andelsstaates beruht auf dem bew ußten Zusammenwirken zu rational erkannten Zwecken. E r setzt bei allen die gleiche Bewußtseinslage, gleiche sittliche E rkenntnis, gleiche politische Einsicht, eine hohe Bildungsstufe voraus.

Vom sozialen Trieb red et Fichte nicht. Die Bürger verbindet die Liebe nur im Sinne von moralischer Achtung. Es ist nicht ersichtlich, woher dieser V ertragsstaat die M acht nim m t, die V erträge zu schützen, wenn gegen sie verstoßen wird, was Fichte für möglich hält, obwohl die voraus­

zusetzende Id e a litä t der Bürger das nicht verständlich m acht. Stillschweigend d en k t sich F ichte wohl die schützende M acht von der Allheit der Regierung zu­

gesprochen. D as aber ist nur eine geliehene Macht. Zwar besteht in diesem Ver- n u n ftsta a t auch ein W ehrstand; woher er aber seine Daseinsberechtigung nim mt, ist nicht rech t einzusehen; denn der geschlossene H andelsstaat begründet den ewigen Frieden. Fichtes V ernunftstaat h a t nur die M acht des rationalen Gedankens und des Ethos. Dieser R echtsstaat ist von Anfang an dazu verurteilt, sich überflüssig zu machen und sich aufzuheben. Wie die sittliche Zwecksetzung und das soziale Prinzip dem geschlossenen H andelsstaat den C harakter eines W irtschaftsstaates nehmen, so löst ihn der Gleichheitsbegriff als R ech tsstaat auf. W enn die Gleichheit herrscht, h eb t sich die M acht auf. Der eine gilt soviel wie der andere, eine über den einzelnen wirklich herausragende M acht ist nicht da. Der S ta a t ist Ausdruck des Gesamtwillens, er ist daseinsberechtigt nur als das Sehorgan, das das Ganze ü b er­

schaut, was dem einzelnen nicht möglich ist. Eines solchen S taates Verwirk­

lichung fällt zusammen m it der in sich abgeschlossenen Erziehung des Menschen­

geschlechts. Eine solche Staatsidee ist gleich wie die fortschreitende Versittlichung der Menschheit ein P ostulat der praktischen V ernunft. Nur ein starker Glaube an die M acht der V ernunft kann für einen solchen S ta a t leben.

Fichte m acht den Versuch, durch eine geschichtlich anm utende Beweisführung den geschlossenen H andelsstaat als den adäquaten Ausdruck einer fortgeschrittenen Vernunftentwicklung darzustellen. E r bezeichnet die Anarchie des freien Handels des offenen Handelssystems als ein unberechtigtes Überbleibsel aus der weit zurück­

liegenden Zeit, da die Völker des neuen christlichen Europa als im N aturzustande lebende H albbarbaren eine N ation gebildet und einen ungehinderten Verkehr ge­

pflegt h ätten . Dieser sei gestört worden, als nach Einführung des römischen Rechts un d nach der Vernichtung der vereinheitlichenden geistlichen Gewalt durch die Reform ation sich die einige große, jedoch nur schwach verbundene Menschen­

masse sich tren n te und zerteilte und sich durch ,,das blinde Ohngefähr“ bestim m te Stücke des ehemaligen Ganzen losrissen und moderne S taaten bildeten, deren E n t­

stehung noch im Anfangsstadium verharrt, was die noch bestehende H andels­

anarchie beweist, die durch geschlossene H andelsstaaten h ä tte verdrängt werden müssen.

F ichte lä ß t keinen Zweifel darüber auf kommen, daß sittliche Forderungen den geschlossenen H andelsstadt erheischen. Das bestehende Handelssystem ist u n ­ sittlich. Die unbeschränkte wirtschaftliche F reiheit aller Individuen ist eine ge­

fährliche N ichtgebundenheit an gemeinschaftliche Interessen. Jeder jag t nach dem größten Vorteil. Dadurch--wistk-die Ungleichheit des Besitzes verm ehrt, der W irt­

schaftskrieg verschärft, das schreiendste U nrecht, großes Elend erzeugt, die das

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1918 D ie p äd a g . S taa tsid e e in J . (!. F ic h te s ..(leschloßn. H a n d e ls s ta a t' 43

Dasein eines jeden gefährden. Die Handelsfreiheit ist in W ahrheit das w irtschaft­

liche sich gegenseitig Zugrunderichten. Die Regierungen sind auch nur geschäfts­

süchtige Einzelpersonen. Das System der unvollständigen Schließung, wozu „die N a tu r“ die S taaten zwingt, h eb t die Nachteile eines durchaus freien Handels nicht auf und fü h rt zu neuen Übeln. Alle S taaten wollen sich vor Verarmung schützen,

■die die H erabsetzung der Abgaben, die Schwächung der Staatsgew alt, eine immer schlechtere N ationalw irtschaft, eine fortdauernde Entvölkerung, die Auswanderung,

•den U ntertanenverkauf oder gar den Verkauf des S taates selber zur Folge h at.

Alle S taaten wollen möglichst viel Geld im Lande erhalten und möglichst viel Geld

■des Auslandes ins Land ziehen m ittels Vermehrung der Ausfuhr und der Ver­

hinderung oder Erschwerung der Einfuhr und der Beförderung des Zwischen­

handels. So en tsteh t ein allgemeiner geheimer Handelskrieg, der oft blutige Kriege verursacht un d auch die inner politischen Zustände beständig beunruhigt.

Seiner Denkgewohnheit gemäß stellt Fichte diesem W irklichkeitsstaat m it seinen abstoßenden Übeln den Id e alsta at gegenüber, der die Vollendung menschheitlicher Gemeinschaftsbildung darstellt. Der geschlossene H andelsstaat sichert sich vor seiner völligen Schließung den fortdauernden Genuß der Güter der großen europäi­

schen Handelsrepublik m ittels kräftiger Zueignung dessen, was Gutes und Schönes auf der ganzen Oberfläche der E rde ist. E r eignet sich rechtzeitig die natürlichen geographischen Grenzen an, die seine* produktive Selbständigkeit ermöglichen. Er beseitigt dam it jeden Anlaß zu Eroberungskriegen und beschränkt den Verkehr d e r S taaten untereinander auf den durch Gelehrte und K ünstler verm ittelten geistigen Austausch. Die Reibungen der äußeren und inneren Politik fallen hinweg, die großen stehenden Heere sind überflüssig, der Druck der vielen Abgaben h ö rt auf, das Volk lebt in einem glückseligen Zustande, zwischen ihm und der Regierung bildet sich ein patriarchalisches Verhältnis, die in sich abgeschlossene N ation e r­

w irbt sich eine hohe N ationalehre und einen scharf bestim m ten N ationalcharakter, und der ewige Frieden zwischen den Völkern ist begründet, wenn alle H andels­

städten dem ersten Beispiel folgend sich geschlossen haben.

Die verlockenden Verheißungen, die der ideale V ern un ftstaat erfüllen soll, weisen auch hin auf den pädagogischen Charakter der Staatsidee Fichtes. Ih re Forderungen umschreiben den Zustand des Seinsollens, der zunächst in einer ideellen Ordnung w irtschaftlicher Verhältnisse besteht. Geschichtlich angesehen steh t der S ta a ts­

gedanke Fichtes im Zusammenhang m it dem pädagogischen A ufklärungsjahrhundert, d a s an der Um gestaltung des S taates tätig war zum Zwecke der Veredlung der Menschheit. Fichte ist m it dieser Zeit darin einig, daß gegen den mangelnden Rechtsschutz im Staatsleben des achtzehnten Jah rh u n d erts und gegen die groben staatlichen Mißstände dieser Zeit, auf die Fichte an einigen Stellen seiner A bhand­

lung sehr deutlich hinzeigt, angekäm pft werden muß. Noch deutlicher sichtbar w ird die Verankerung der Staatsidee Fichtes im Aufklärungsdenken durch eine Be­

trachtun g der geistigen S truktur, die sie erzeugte.

F ichte ist Aufklärungsphilosoph in seiner Hochschätzung und Überschätzung de»

R ationalen, in seiner fast völligen Verkennung der Urgewalt des Däm onisch-Ir­

rationalen und in seinem unerschütterlichen Glauben an die V ernunft, der durch das Gehaltvollste seines innersten Wesens freilich bedeutsam vertieft und weit über d en utilitaristischen und eudämonistischen Vernunftglauben der Aufklärer er-

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44 l'a u l Vo.ce! H e f t 3

hofcen wurde. Diese geistigen Grundzüge wirken zusammen in dem Radikalismus, der Fichte zeitlebens eigen war und auch den Gedankengang des ,,geschloßnen H andelsstaates“ beherrscht. Fichtes Radikalismus ist eine seltsam e Mischung von m annhaft-trotziger Logik und kindlicher Gläubigkeit. Jen e rationalisiert alles D a­

sein und ist in ihrer geradlinigen S tru k tu r ganz ohne Sinn für alles Irrationale, für das Verschlungene und Verwickelte, für das Elem entarische und Dämonische des Lebensprozesses; diese, deren Gegenstand die sittliche Freiheit ist, erfaßt diese apriorische Voraussetzung, die sich der begrifflichen E rkenntnis entzieht und so­

m it ein Irrationales ist, das aber Fichte doch m it dem Schein des R ationalen iiber- kleidet, m it einer solchen gefühlsstarken Überzeugungskraft, daß sich logisch d a ­ gegen nicht ankäm pfen lä ß t und der Eindruck entsteht, als sei die sittliche V ernunft etwas nicht Anzuzweifelndes, dem sich nichts auf die Dauer widersetzen könne. In diesem Sinne ist gewiß nicht zu leugnen, daß F ichte an die R ealität seines V ern u n ft­

staates glaubt. E r m eint, ,,der wirkliche S ta a t lä ß t sich vorstellen als begriffe« in der allmählichen Stiftung des V ernunftstaates“ . Diesen h a t freilich Fichte noch nicht m it der Hegelschen K larheit und U niversalität gedacht, wohl aber ist er d a ­ von überzeugt, daß es innerhalb des geschichtlichen Geschehens ein geistiges Prinzip gibt, das er sich als ein dem Zeitverlauf Sichwidersetzendes und als ein Sichaus- wirken der F reiheit vorstellt. Wie sich dieser Vorgang in einer für die E rfahrung zugänglichen Weise vollzieht, das interessiert Fichte nicht. E r will Philosoph sein und nicht H istoriker. E r ist unempfänglich für das Irration ale und steh t fern der Geschichte als Erfahrungswissenschaft. F ichte wendet seine Begriffskonstruktion nicht auf den wirklichen S ta a t an. Die E ntstehung des geschichtlichen S taates im Sinne der konstruktiven R echtslehre leh n t er ausdrücklich ab. Wo F ichte von dem

„blinden Ohngefähr“ und der „ N atu r“ re d et und wo er grobe staatliche M ißstände und ihre grauenhaften Folgen sehr realistisch darstellt, da n äh e rt er sich in einer für sein die E rfahrung fliehendes Denken ungewöhnlichen und unerw arteten Weise der empirischen geschichtlichen Auffassung. Diese Annäherung wird bew irkt durch die Em pfindlichkeit des Fichteschen Denkens für das dem W irklichkeitsgeschehen a n ­ haftende N ichtrationale, das aber Fichte nicht als etwas Eigenes würdigt. Die E n t­

wicklung, von der Fichte als Geschichtsphilosoph redet, ist die der rationalen V e r­

n u n ft im m anente. Dieser Gedanke einer transzendenten Entwicklung als Ver- nunftäusw icklung kom m t aber noch nicht in der alles W eltgeschehen um fassenden W eite zum D urchbruch, weil Fichtes „Ich “ die fruchtbare schöpferische Negation Hegels noch fehlt. Dieses Nochnichtgedachtsein m acht sich in dem geschlossenen H andelsstaat deutlich bem erkbar. In ihm ist, wenn W orte Kjellens gebraucht werden dürfen, „das antarchische Prinzip zum Fetisch geworden, dessen Anbetung gegen die B edeutung und das Bedürfnis eines wirtschaftlichen Verkehrs zwischen den Völkern blind m a c h t ... E in derartiges System verhindert die Entwicklung nnd spricht sich dam it selbst sein U rteil. Das w irtschaftliche Sichselbstgentigen darf nich t auf K osten des eigenen W achstum s der Volksseele, dessen Bedingung norm aler Verkehr m it anderen S taaten und Völkern ist, erkau ft werden.“ Der geschlossene H andelsstaat h a t nicht nur eine Eintönigkeit un d E rstarru ng des W irt­

schaftslebens, sondern auch eine Lähm ung der Vernunftentw icklung zur Folge, die den K am pf in irgendeiner Form bedingt. W enn Gelehrte und K ünstler allein die geistige Entwicklung der Völker hinüberleiten sollen in das Geistesleben des

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1918 D ie p äd ag . S taa tsid e e in J . G. F ic h te s ..G eschloßn. H a n d e ls s ta a t“ 45

Einzelstaates, so wird es verküm m ern. W enn der W etteifer um wirtschaftlicher Vorteile willen keinen R aum mehr h at. so ist d e r F ortsch ritt durch den geistigen Interessenaustausch nach Begründung des ewigen Friedens beschränkt auf den des

■Guten um des G uten willen. W enn die Reibungen zwischen den N ationen weg­

fallen, wenn ein S ta a t dem ändern in der Schließung folgt, wenn die gleiche W irt­

schafts- und Gesellschaftsform allen gemeinsam ist, so entstehen nicht N atio n al­

staaten, sondern ein U niversalstaat. Die Nationalbildung, von der Fichte im ,,ge- schloßnen H an delsstaat“ nur flüchtig und ohne tiefere Begründung redet, wird durch die B erührung der N ationen weit tiefer bestim m t als durch deren Abschließung. Eine völlige Schließung im Sinne Fichtes drängt die allen gemeinsamen M enschheits­

aufgaben weit mehr in den Vordergrund als die besonderen der einzelnen Nation, deren begrenzte Ausdehnungsfähigkeit sich nur bis zu einem gewissen Maße vom geschlossenen H andelsstaate entfernen kann.

Die Enge des transzendenten E n t w i c k l u n g s g e d a n k e n s m acht sich auch in dem Sittlichkeitsbegriff geltend, den Fichte im „geschloßnen H an delsstaat“ durch blicken läßt. Fichte ist ängstlich darauf bedacht. R echt und S ittlichkeit zu scheiden.

Diese noch ganz formale S ittlichkeit bew'egt sich in den engen Bahnen der M oralität.

Sie schwebt in ihrer Transzendenz über dem Leben und ist noch nicht in es ein­

gegangen. Ihre ausgleichende M acht auch in den K onkurrenzkäm pfen des offenen Handelssystem s h a t Fichte nicht erkannt.

Wo er hingegen vom Id e alsta at redet, da setzt er die verpflichtende und bindende K ra ft der S ittlichkeit voraus, ohne daß er sich dessen bew ußt wird. 1793 h a tte T’ichte in seinen „Beiträgen zur Berichtigung der Urteile über die französische R e­

volution“ aus der staatsauflösenden V ertragslehre richtig gefolgert, daß jede R e­

volution etwas Rechtmäßiges ist. W enn Fichte den geschlossenen H andelsstaat a u f der Grundlage eines rationalistischen Vertragssozialismus aufbaut, so kann diesem Idealstaat ein dauernder B estand nur zukommen, wenn sittliche K räfte den Verträgen innewohnen. Die Verträge werden von den Individuen abgeschlossen, die Individuen also bauen m it ihrem bew ußten Veriiunftwillen den S ta a t auf. Der S ta a t verbürgt die freie Tätigkeit der Individuen, ist also um der sittlichen I n ­ dividuen willen da, der Schutz der selbstsüchtigen Interessen der Einzelnen ist nicht seine Aufgabe. Der S ta a t dient dem nach über individuellen Zwecken, der objektiven Sittlichkeit. Trotz seiner individualistischen Begründung wächst er sich aus zu einer das Individuum überragenden Größe. Doch zu einem ganz selbstän­

digen Gebilde, das von einer organischen Eigenbewegung beherrscht wird, gestaltet

«r sich nicht. D arum kann sich der vertragschließende sittliche Wille der Individuen stärker hervorwagen, weil seine K ra ft n icht geschwächt wird durch das B ew ußt­

sein von dem unlösbaren Verwachsensein der Einzelnen m it dem Ganzen und der verwickelten und verschlungenen Abhängigkeit der Individuen vom S taat. Dieser sittliche Wille kann glauben, daß sein Wollen und die Ausführung seines Wollen«

sich decken. E s kom m t ihm insofern auch zugute, daß ihm die psychologisch©

Einsicht m angelt. E r sieht in den anderen Willen nur immer sich selbst. Die U n ter­

schiede, die der psychologische Individualismus lehrt, kennt er nicht. F ichte h a t zeitlebens den vollausgewachsenen, Fleisch und B lut gewordenen Individualität«- begpriff nich t gedacht.

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W enn auch F ichte den Beziehungen zwischen W irtschaft, Gesellschaft, S ta a t und IVfenschheitsentwicklung nachgeht und die Innigkeit dieser Beziehungen nicht gerirg einschätzt, so löst er sich doch nicht von dem Gedanken, daß R echt und S ittlichkeit stärker sind als alle ändern Gewalten der menschlichen N atu r. Im m erhin wird er sich durch diesen Gedankengang der V erkettung der einander w iderstreitenden Lebensm ächte deutlich bew ußt. Mit bew undernsw ertem prophetischen Seherblick h a t F ichte den unlösbaren Zusam m enhang zwischen W irtschaftspolitik und Sozio- politik erk annt, deren aufeinander prall ende Interessen er richtig einschätzt. D ie Staatengeschichte des 19. und 20. Jah rh u n d erts ist ein tastendes Suchen nach d er ' Auflösung oder Milderung dieser Gegensätze, und der W eltkrieg wird entscheiden, welche Wege für diesen Zweck fernerhin gangbar sind. Vielleicht schafft er erst die Grundlagen für die H andelsstaaten, die einer Schließung fähig sind. Wenn F ichte sagt, d aß die m odernen S ta aten sich noch im V ersuchsstadium bewegen, so spricht er mehr geschichtliche W ahrheit aus, als er sich dessen wohl selbst bew ußt wurde. Die soziale Gesetzgebung des 19. Jah rh u n d erts m it ihrer vorwiegend p ro ­ phylaktischen B edeutung würde F ichte als eine B estätigung seiner Ansicht a u f­

fassen, daß „die N a tu r“ die Regierungen am eigenen Vorteile über die engen Grenzen hinausführt, die sie ihrer V erw altung setzen und ihnen durch den N utzen ein I n te r ­ esse gibt, das sie schon um des R echts willen haben sollten. Fichtes Idee des g e­

schlossenen H andelsstaates ist der Ausdruck dessen, was K jell6n das große Gesetz der A ntarchie nennt, d. i. „das Streben der S taaten ein so geartetes N aturgebiet zu sein, daß für angemessene Selbstherrschaft im Sinne der Selbstversorgung gesorgt is t.“ Dieses Gesetz ist eine der bewegenden K räfte im gegenwärtigen Krieg. Da»

Verlangen nach M itteleuropa oder einem großen zusam m enhängenden K olonial­

reich ist nur ein Beispiel. F ichte h a t bereits klar erkan nt, daß „in einer a n a r c h i ­ schen Entw icklung auch die größte B ürgschaft für die Ausbildung einer* wirklichen W irtschaftssolidarität innerhalb des Erw erbslebens eines S taates liegt.“ (Kjellen.) F ichtes E insicht in das W esen eines idealen sozialen W irtsch aftsstaates en th ält einen Irrtu m , von dem er sich zeitlebens nicht befreite. F ichte irrte, wenn er d as Heil der M enschheit nur vom S taate erw artete und die sich selbst erlösende M acht der einzelnen Menschenseele unbeach tet ließ. Gelänge es, den Id e a lsta a t Fichtes zu verwirklichen, so wäre d am it die F rage nach dem höchsten Glück auch noch nicht beantw ortet. F ür dessen Dasein kann der S ta a t wohl günstige Vorbedingungen schaffen, aber Sein und Nichtsein edelsten Menschenglückes ist schließlich doch ge­

bunden an die K ultur der einzelnen Menschenseele. Diese feingestim m te Seelen­

kultur planm äßig zu fördern durch die häusliche und schulische Erziehung ist eine D enknotw endigkeit für jede soziale Gedankenfolge. Es ist darum nicht Zufall, d aß der ältere F ichte die Erziehungsfrage i. e. S. eifrig aufgriff, deren Verwachsen­

sein m it der sozialen Frage ihn frühzeitig Pestalozzi gelehrt h a tte . Freilich d er Gefahr der Ü berspannung des Staatsgedankens ist F ichte nie entgangen. W enn er auch m enschheitbeglückende W irkungen nur dem idealen V ern u n ftstaat zu ­ schrieb und selbst diesen n ich t als höchsten Zweck b etrachtete, so u n tersc h ätzte er doch den A nteil des Individuum s an der Ausbildung einer gehaltvollen Mensch­

lichkeit. Sich dessen bew ußt zu werden ist auch der G egenw art von nöten, die wieder zwecks politischer und sozialer U m gestaltung eine neue Erziehung ford ert und Gefahr läuft, einem nationalen U tilitarism us das W o rt zu reden. W enn bei

4 6 Paul Vogel, Die pädagog. Staatsidee in .1. G. Fichtes „Geschloünem H andelsstaat“ H e f t 3

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1918 R u n d s c h a u 47

fortschreitender M aterialisierung des Daseins der S ta a t immer mehr in A rbeit und Nahrungssorgen aufgeht, so kann eine Erziehung für einen solchen S ta a t n ic h t höchster Zweck sein, schon darum nicht, weil der S ta a t nicht für immer auf diesem S tan d p u n k t verharren, sondern nach einem höheren Ziele hinstreben muß. Zu dieser A nsicht bekennt sich auch die biologische Staatsauffassung. Kjellen schreibt:

„W ir glauben an einen höheren S taatstypu s, der einen Vernunftzweck klarer e r­

kennen lä ß t und diesem Ziel m it sicheren Schritten entgegenstreben w ird.“

F ichte h a t diesen höheren S taatsty p u s prophetisch geschaut. Seine Idee des ge­

schlossenen H andelsstaates bezeugt es. Gewiß sprechen innere Gründe gegen diese Idee. Aber die logische W iderspruchsfreiheit einer Idee entscheidet nich t allein über ihren realen W ert. Theorien, gegen die ernste wissenschaftliche Bedenken sprechen, können nichtsdestoweniger unermeßlich wirksam sein. W enn die S ta a ts­

entwicklung des 19. und 20. Jah rh u n d erts auch nicht den geschlossenen H andels­

s ta a t Fichtes verw irklicht h at, so ist doch innerhalb dieser Zeit unendlich vieles geschehen, was den rechtlichen C harakter der m odernen S taaten außerordentlich gefördert h at. Der W eltkrieg h a t die Frage des geschlossenen H andelsstaates aus ganz nüchternen W irklichkeitsinteressen heraus lebendig gem acht, was Fichtes Ideal auch zugute kom m t. Der ethische und pädagogische G ehalt in Fichtes S ta a ts ­ idee ü berdau ert jede Zeit. Zusammenfassend lä ß t sich darum sagen: So sehr die Sehnsucht der Gegenwart nach einer möglichst erfahrungsgem äßen Auffassung des S taates verlangt, so wenig sie Freude h a t an apriorischen K onstruktionen, so muß sie doch, wenn sie eines gerechten geschichtlichen Denkens fähig ist, anerkennen, daß diese von der E rfahrung losgelösten Erw ägungen, die Fichtes Abhandlung über den geschlossenen H andelsstaat enth ält, mehr sind als ein Spiel auf dem Schach­

b re tt logischer Begriffe; daß die Ideen Fichtes sich als sehr reale M ächte erwiesen haben, ohne die der S ta a t der Gegenwart schlechthin n ich t zu begreifen ist und daß diese Ideen höchste Forderungen in sich schließen, die auch eine empirische B e­

trachtungsw eise als letztes Ergebnis ihres Denkens aufzustellen sich genötigt sehen kann. Der gegenwärtige Krieg, der vom einzelmenschlichen S ta n d p u n k t aus aller V ernunft zu widersprechen scheint, dient der Verwirklichung der V ernunft, indem er K onstellationen schaffen wird, welche die S taaten m it zwingender Notw endigkeit zur weiteren Ausbreitung des R echts nötigen werden. Fichtes geschlossener H andels­

s ta a t wird W irklichkeit, insoweit V ernunft in ihm w ohnt; er wächst über sich h in ­ aus, insofern begrenztes Zeitdenken an ihm haftet. D eutschland steh t vor u n ü b er­

sehbaren Entscheidungen. W enn diese unter besonnener und doch nicht unfreier Einschätzung der geschichtlichen Entw icklung von dem starken Lebensglauben F ichtes getragen werden, der doch das Edelste seines W esens ist, so wird die rüstig vorw ärtsschreitende Mündigwerdung des deutschen Volkes sich fähig erweisen, Fichtes Weissagung von der weltm issionierenden K ra ft des D eutschtum s zu erfüllen.

RUNDSCHAU

H

e r k u n f t d e r v o n C o m e n i u s i n s e i n e r D i d a c t i c a m a g n a , c a p . X V ., 14 a n g e f ü h r t e n V e r s e . — E u g e n P a p p e n h e im b e m e r k t in sein er in G reß lers K lassik e rn d e r P ä d ag o g ik (B an d XV) erschienenen Ü b e rse tz u n g d e r „ G ro ß e n L eh r-

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