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Berlin, den 5. Dezember i903.
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s-». proz-eßkwilecka.
VierMomente habensichwährendderHauptverhandlungwideeri- leckis undGenossenin meinGedächtnißgedrückt. Aus der imvorletzten HefterzähltenProzeßgeschichteweißdergeduldigeLeser,daßdersiebenjähtige Streitvon derFrageausging,ob deramdreißigstenJanuar1897 aufdem berliner Standesamt alsJosephStanislaus AdolfGrasKwilecki ange- meldete undspätervondemPäpstlichenHausprälatenundStiftspropstLud- wigvonJazdzewsli getaufteKnabedasehrlicheKinddesGrasenund der Gräsin Wesierski-Kwileckiistodervon CaecilieParczainaußerehelichem Geschlechtsverkehrihrem Liebsten,einemösterreichischenHauptmann,geboren wurde. DerHauptmannwar ausKrakaualsZeugegeladenworden ;er sollteaussagen,oberin dem Kindesein FleischundBluterkenne.Zwischen denzweiKnabenstandervordemSchwurgericht; rechtsderkleineGras, links»derrachitischeJunge,den der edleBahnwärterMeyer,alserCaccilie Parczageheirathethatte,anKindesstatt annahm. Prüfend haftetdasAuge desZeugen aufdemKümmerlingund-schweiftdann, einBischen scheu,nach derrechtenSeitehinüber.Spannungim Saal.Wirddie StimmedesHerzens jetztsprechen? Kurze Pause, Leis hebtderZeugedieAchseln,schütteltsacht denKopf: unmöglich;erkann nichts sagen.Caeciliewar seinLiebchenundhat zweiKnabengeboren; fürdenersten haterAlimentegeliefert,sürdenzweiten nicht.DenhatdasMädchenbaldnachderGeburtanvornehmeLeute weg- gegebenundderVaterhattekeinenGrund, dreinzureden.Niemals hatder Herr-CampagniechesdieKinder gesehen;woher solleralso wissen,ob der hübscheKnirpszurRechtensein SohnistP«.DieSpannung löst sich.Ein Schaudern huschtdurchdieReihen;»derMenschheitbefterTheil«.EinGe-
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354 DieZukunft
tuschel.Dasbekundet-sichin demPlato denAnfang allerWeisheit sah·Ohne Tünche,ohnedenJsochromfirniß,den diesozialeHeucheleialsGlanzdecke über allemenschlichenBeziehungendesEuropäerkulturkreisesbreitet, zeigt sich,ingrausamster Natürlichkeit,demBlickhierdasLeben. Soists. Jahre lang hatdieser Mann dieseFrauinheißenStunden ansichgepreßt,mit brünstigemGestöhnsie umschlungen,mitgieriger Lippe ihren Athemge- schlürft:dieFrucht so zärtlicherVereinungsahernie.Dasälteste-Bübchen leidetanderEnglischenKrankheit?Dasind zehn Gulden,meinSchäfchen;
fürDoktorundApotheker.DerZweite— hattests ihn ja wohlLeogenannt?— istvoneinerfeinenDameadoptirtP RechthastDus gemacht;ihmwirdnichts abgehenundDuhastdieArmefrei.EinHaupttrefser.Servus,Tschaperli..
Nach bsterreichischemGesetzhatdasaußerehelicheKindAnspruch auseine demVermögendesVaters angemesseneErziehungundVersorgung.Wenn Caecilieaucheinartiges, bequemesMädelwar: füralleFälle ists angenehm, wenigstensdeneinenJungen loszusein. Doppelt angenehm, daßdiesüße Kleineauch nochunters Ehedachkommt. DieFolgen solchesVerhältnisses magman dochnicht seinLebenlang mitschleppen. Wahrscheinlichhatdas schöneStückGeld,dasCilchen fürdensauberenKleinenerhielt,denFreier herangelockt.EinWeichenstellerlDie Leute lennens nicht anders, sindam- Endenochstolz daraus, daß ihre FraueinemKavalier genügte.Nunist Allengeholfen.UndwessenVerdienstists denn, daßderLeoso sauberwurde undBlaublütigenkeineSchandemacht?VonwemhaterdasAdeligePHeP Geh,seinicht fad!Ausis;und ausmußteesjaeinmalsein. Kriegsteinen seschenMannundwirst michvergessen.Servus, Katzerlzichmußzum Ta- rock...DerVater,derseine ,,natürlichen«Kindernicht kennt, nichtkennen will,imGerichtssaalzumerstenMalsieht:einStoff für Tolstoi. Doch Nechljudowwaraus anderemHolzals der krakauerCompagnieches.Der reist sorgenlos nachGalizienheimundschreibt,alsernocheinmalvorgeladen wird,andasGericht,erseibeidererstenFahrtnichtaufdieKosten gekommen, habeausseinerTaschezugelegtundverzichte,damitderZeugengebührsoge- knausert werde, aufdieWiederholungdestheuren Spaßes.Ein paarTagein Berlinsindganz nett ; eineHauptmannsgagereichtabernichtsehrweit.Der BriefistderMann. AusderBühnewürdeernichtnurdieFraueneinargerVöst wichtdünken.ImSchwurgckichtgsaac,woArustikundOptik stetsanSchus- spielhäusererinnern, gehts ihmwieGretchenim Dom: »DieHändeDir zu reichen, schauertsden Reinen.« Unddoch istderOsfiziergewißeinguter Mann undeinfrommerChrist;und wie ers mitCacciliehielt, haltensaber-
ProzeßKwilecka. 855
tausendKavaliere (undBürgerlicheallerStändeundProletariersogar)mit ihren Mädchen.DerMenschheitbesterTheil ist nichts für skrupelloseGemü- ther.Schnellwieder dieGlanzdeckeher!GottseiDank: diehauptmännliche Episodeist abgethan. SchonwirdamTischderAnklägerundRichterwieder vonder,,zerrütteten«EhederGräfinJsabella gesprochen.Zerrüttetist sie, weil dieFrau manchmal schalt,derMann sichmanchmalanfremdemReiz wärmte. Andere Männerbleibenstandhaft aufdemschmalenTugendpfade derMonogamie;andereFrauen lassennieeinzänkischesWort über dieLippe:
also ist dieseEhe zerrüttetunddiesemEhepaareinKind,dieFruchtzeugen- derundempfangenderLiebe,nicht zuzutrauenIudex ergocum sedebit-, quidquid latet, adparebit DasSchaudern istderAndachtgewichen.Ganz hintennurhöhntEiner: Woher,JhrHerren,nähmederKönigseineRekru- ten,wenn alle å laKwileckizerriitteten EhenkinderlosbliebenP Undweiler schoneinmalbeim Nörgeln ist, fragterweiter:Warumriefet JhrdenHaupt- mann weither,daIhr dochwußtet,daß seinKnabein derfünftenLebens- wochevonderMutter verkauft ward,vomVateralso, selbstwennerihn je gesehenhätte,nichtwiedererkannt werdenkonnte? ZeitverlustundKosten seienEuchverziehen.AbermußtetJhrnichtdieFolgen sozwecklosenThuns bedenken ?Derarmen Frau MeyerwirdkünftigkeincGevatterinden Rück- blickaufdasMilitärverhältniß ersparen;undderHauptmannkannfroh sein,wenn ersichimdunkelstenbosnischenWinkelvorderKlatschsuchtver- steckendarf, froh,wennderWiderhallderGerichtsverhandlnngihm nichteine Braut,eineMitgift, eineErbhvsfnungraubt.DashabtJhrerreicht.Jsts nicht schonschlimmgenug,daßdieAngeklagtenwährenddesProzessesoft Rechts- güter verlieren,die derFreispruch ihnen nicht zurückbringenkann?Müssen auchnochZeugen,die zurAufhellungdesThatbestandesgarnichts beizutragen vermochten,mitihrem guten Ruf, ihrerExistenzdieGetichtszechezahlen?
ZweiteJmpression.SiebenzehnterTagderHauptverhandlungNoch immeristnichts bewiesen,noch nichtdasAllergeringste,und imSaal,in der Stadt wächstdieGewißheit,daßdieJury nachall demWortaufwand sämmt- licheSchuldsragenverneinenwird. DatrittGrafHektorKwileckianden ZeugentischDasGesumm hört auf,dieZuschauer drängenandieHolz- schranke,die denGerichtsraum abschließt,vonderVertheidigerbankrichten sechsAugenpaare sichaufdenKämmererSeinerHeiligkeit.Derist neivdser alsvordreiWochen;vonWeitemschienderSieg leichteralsnun ausder Walstatt.DieSlachta verzeiht nicht, daßdieschmutzigeWäscheaus Wro- blewovoreinPreußentribunalgeschlepptwordenist,undwird demGuts-
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356 DieZukunfts-
herrnvonKwilczdieschädlicheAusstellungeintränken. DieStimme des alten Garde-Ulanen klingt heute nicht hell.Er willEtwas »erklären«.Die Hälsereckensichhöher.WennEinerhierEtwaserklärenkann, ists dieserharte Agnatmit dengeschmeidigenVerkehrsformen. Vielleichtwillersagen,die Hauptverhandlunghabe ihn überzeugt,daß seine Anschuldigung nichtzu beweisensei; solcheChamadekönnteihmdieGunstderStandesgenossenzu- rückgewinnen.Nein.Er willsichgegenVerdächtigungwehren.Nichtunsere Schuldifts,meines Vatersundmeine, daßdieSachevordenRichter kam;wir wärenstill geblieben,wenn GrabeigniewdieKindesunterschiebungeinge- standen hätte.Staunend blicken dieNachbarneinander an. Waserzählt denn derMann da? Wassoll jetztdieRednerei voneinemGeständniß,da fasteinJahr dochschondasVerfahren schwebtundnichteineneinzigenhalt- barenVeweis ansLichtzubringen vermochthat?Wennerfte Drohung schon dieVeschuldigteninsMausloch triebe,käme esfreilichnie zulangwierigen Gerichtsverhandlungen.Gerade indiesemFallabertragendieGrafenMie- cislawundHektordieHauptschuld;statteinenneuen Civilprozeßanzufangen, haben siedieStaatsanwaltschaft aufgefordert, ,,energischundohneAnsehen derPersoneinzuschreiten«...Pst!DieErklärunggehtweiter.Wird jetztsogar ,,feierlich«;GrafHektorsagtesselbst.Erverzichtet »für seinePerson«auf dieHerrschaftWroblewo. Dieernochnicht hat.Dieihm erst zufiele,wenn Zbigniew gestorbenunddemkleinenJosephdasErbfolgerechtabgesprochen wäre.Möglich,daßdieFideikommißbestimmungsolchenVerzichtgestattet.
Dannkäme dasMajoratanHerrn HektorsSohn,bis zudessenMündigkeit derVater eszu verwalten hätte.Einungeheures Opfer alsound der,,klarste Beweis,daßnichtdasStrebennach pekuniäremVortheilmeinHandelngeleitet hat.«Saure Trauben,brummt einPolein denAssyrerbart.Das müde AugeZbiginews suchtunter denEntlastungzeugen,beiHerrenundMägden, Leidensgefährten;dasSchauerdraina,demerbeiwohnen muß,hatja manche starkeSzene gebracht: diese letzteaberwar schwach,überflüssig,ohne jeden Effekt.UmJsasMundwinkel zucktesmehrschelmischalsboshafc; dürfte sie reden, sie riefe wohlin denSaal: »DahabtJhrEuren Hektor,votre garaon trås fort! Und ganzhintenfragtderNörgler:WashatdieFeier- lichkeitdennmit demGegenstandedieserVerhandlungzuthun?Liegtein Verbrechenvor,dannbrauchtdeerilczersichderAnzeigenichtzuschämen.
Ob er, obsein SohnoderNeffeinsSchloßvon Wroblewo einzieht,ist für denWahrspruch derGeschworenengleichgiltig.WelcheRollespieltderHerr eigentlichhier?DenPrivatbetheiligten,der inOesterreichdemUntersuchung-
«ProzeßKrvilecka. 357
richterunddem Staatsanwalt dasMaterial liefert,renntunserStrafprozeß nicht.EinNebenklägerhat sichnicht gemeldet.Warum also mußHektor sichewigzuunswenden? Warum stehtsein Stuhl so nah beiderJury?Mit welchemRecht ergreift dieserGrafdasWortzu Erklärungen,die garnichtzur Sache gehören?TäglichhatderVorsitzendegesagt,dieVerhandlungdaure zulangeundmüsseinschnellerem Tempo vorwärts-geführtwerden. Jetzt- aberläßterdenkwilczerZeugen belanglosePrivatgeschichtenerzählen.
Nummer Drei. HerrDr.RosinskiausWronkealsZeuge undSach- verständiger.Einfinsteres, barsches Gesicht·Dergelbgraue Schnurrbart kantigwieeinBalken. UnterstarremBuschdasAuge;hatesje lächelnge- lernt? AusdiesendickenThränensäckenkamwohlnie eineMitleidszähre.
StraffeHaltung Fließendes,umleine Ausdrucksnuance verlegenesDeutsch.
EinMann, derzuKaisergeburtstagsfeiern geht.EinervonDenen,dieVis- marckralliirtePolennannte. Und derbesteRednerim Saal. Jede-Wirkung istvorgewo n,jedesWortsteht, ohnePhrasenbehang,anderrichtigenStelle.
Alsformale LeistungistdieAussagemusterhaft.DerersteTheil istderAnklage nicht günstig.DieGräfin,derenHausarzt RosinsliJahre langwar,hatte immer, nichtnur beiFrauenleiden,eineunüberwindlicheScheuvorjeder BetastungderschmerzendenKörpertheile;daßsie sichwährendderSchwan- gerschaftnichtuntersuchenließ,konntealsodemDoktornicht ausfallen. Jnder Wochenstube wichihmderletzteZweifel.Der Knabesahauswieeinneugebore- nesKind,die Mutter wiejxdeWöchnerin;keinGrundzum Verdacht.Auchdie Angaben,diederZ.eugeüber dieehelichenundwirthschaftlichenVerhältnissedes Grafenpaares macht,bieten derStaatsanwaltschaftkeineStütze. JnderEhe gabs RegenundSonnenschein ;schlimmernGezänlfolgtenT ageinnigerCin- tracht.DieGräfinhatkeinenungebührlichenLuxus getrieben,sondern ihre Mitgift fürdieGutsevirthschaft verbraucht;und dieGeburtdesMajorats- erbenhat aufWroblewodieGeldlnappheitnichtvermindert. Sehr günstig:
denn dieAnklagebehauptet ja,derMangelanGeld undKredit haberain den PlanderKindesunterschiebung gedrängt.Das Alles war ruhig, knapp, konzinnvorgetragenworden Nur einZug verriethdieNervositätdesZeugen:
währendermitkurzen SchrittenvordenGeschuorenen cufundabspazirte, ließereinenHaus-oderStuberschlisselumdenrechtenZeikfingcr kreisen;
vom erstenbis zum letztenVTortWiebeieinemAlltagsgesptäel,über Wetter- prognoseund Skatoerlust. VielleichtglaubtderSanitätrath so festandie Un- schuldseinerPatientin, daßdieVerhandlung ihnnichterregtPNein:ertraut der sGräfinWesierska-KwileckadieThatzu,trotzdemaucherkeineinzigessicheres
358 DieZukunft.
Thatbestandsmerkmalanzuführenvermag:nur nachderKenntnißihres Cha- rakters.DerSachverständigeRosinskihat mehrzusagenals derZeuge;und derSchlüsselkreistjetztschneller.Einesehr leidenschaftlicheFrau. Künstler- temperament.AlsSängerin hochüber demDilettantendurchschnitt. Schön, verwöhnt,stolz.UeberwucherndePhantasie.KeinenSinnfür Ordnung, für Korrektheitim Reden.DenbestenWillen zwar,dochnichtdiegeringsteFähig- keit zusparsamer Wirthschaft. Im steten Kampfums standesgemäßeDasein ist ihr ethischesEmpfinden nachundnach morschgeworden.WaszumErfolg führt,scheintihrerlaubt. DerGedanke,Wroblewo verlassenundvonfremder Gnadeabhängenzusollen, mußteihr unerträglichsein.Wassie sagt, ist nicht gelogen,aberobjektivunglaubwürdig,dennihre Gedächtnißbildersind oftim Wesentlichenfalsch.KeineBerbrecherinausGewinnsucht— dieseWendung soll,stattderZuchthausschmach,wohldie mildereStrafartoderDalldorfem- pfehlen—,sondern »einepsychischeAbn ormität«.LeichteVerbeugungSchluß
...Dasklang nicht sehr wissenschaftlich;inTraktätchenfürs gläubigeHerze magsovonGeisteskrankheitgeredetwerden.Woran soll Frau Jsabelladenn leiden?Paranoia?Foliecireulaire ? UndwassollderLaienrichtermitdieser Aussage anfangen? AlsLeumundszeugnißbietetsiewenig Wägbares; und als psychiatrischesGutachtenist sieerst rechtnichtzubrauchen.WennalleFrauen, dieschlechtwirthschaften,derenGedächtnißtrügt,derenPhantasie ohneHem- mungenarbeitetundderenZungeimAffektnichtzuzügelnist,in den dunklen BezirkderAnomalien verwiesenwürden, stündenbaldvieleNormalhäuser leer.UeberPsychosenweißman heute dochschoneinBischen mehr,alsHerr Dr.Rosinskizuahnenscheint.Merkwürdig:schonspotten verständigeAerzte selbstüber denmodischenAberglaubenanSpezialistenweisheit,überdenWahn, derNasendoktorhabedieFingervonMundundOhren zulassen;und indiesem Riesenprozeß,zudem,ohneFurchtvordenKosten,ausdreiReichendieZeugen herbeigeschlepptwerden,trittalspsychiatrisch SachverständigereinPraktischer ArztausWronkeaus.Einoffenbar klugerHerr,deraber,alsJsabella noch- unbehelligtimSchloßbefahl, seineDiagnose tiefin desBusens Tiefever- barg.Amersten Verhandlungtag hattedieGräsingerufen: »Dr. Rosinski warimmervonmeinebestenFreundel«DieseFrau hat wirklichmehr Phan- tasiealsSinn fürdie RealitätendesLebens.DerFreundfand siesittlichund seelischmorbidundeinesgemeinenVerbrechens fähig.Odersind auch seine Gedächtnißbildernichtganzzuverlässig?SaherdieHochgeboreneerst, seit sie angeklagt ward,in derSchreckenskammerder Abnormitäten? Eheer wiederSpazirgängealsSachverständigerunternimmt, sollteerdenRäthsel-
ProzeßRwilecka 359 fragenderretroaktivenSuggestion nachdenken. Jn Mußestundendaneben einfältiglicherwägen,wasdemHausarzterlaubt,wasverbotenist.
Die vierteErinnerung führtzu dem trübenTag zurück,dessenkurzer LichtscheinHektorspersönlichesMajoratsrechtim Letheversinkensah.Donars Tag,desGewittergottes.DerHimmelpechschwarzbewollt. DieGeschwo- renen sehenschon-garnichts mehr. Plötzlichwirdshell. Coupde foudre.
HerrSteinbrecht,der denTitel(nichtdasAmt)einesErstenStaatsanwaltes mitniedersächsischerWürdeträgt,hatdieSchlußsensation,dielängsterharrte, ausdenFaltenderRobegeschüttelt.DasLichtkam,natürlich,vonOsten.Aus Warschau.Dort—-denkstDu auchnochdran,lieberLeser?— lebte undstarb dieHebammeCwell,die demSchoßderGräfindenstreitigenKnabenentband.
Wirklichentband? Bisheute mußtemansglauben.Nun aber...DerStaats- anwalt hatHerrnvonTresckow,denelegantesten,weltmännischstender ber- linerKriminalkommissare, heimlichnach Warschau geschickt,auf daßerden SohnderMadame Cwellvernehme,unddieserSohn hathnderdinge ent- hüllt·SeineMutter seiimJanuar1897in Berlin gewesen,bald aberkrank und ohne daserhofftehoheHonorarheimgekehrt;siehabederGräfindasKind nicht entbunden, auchnicht gewußt,ob undwelcherErsatzin dieKaiserin Augusta-Straße74geholt ward,undsausdemSterbebett noch,leider zuspät, denWunschausgesprochen,ihreSeelevoneinemGeheimnißzuentlasten.Alles
Wtauf DerGlaubeandieFinaliiberraschung, diekommen werde,kommen müsse,hat also nicht getrogen. JstdiewarschauerBotschaft erweislich wahr, dann istdieAngeklagteimwichtigstenPunkt aufeinerLüge ertappt;dann gabs, ohneEntbinderin undohne Arzt,keineEntbindung. Jsabellablickt zur Saaldeckeempor; mitdemAusdruck spöttischerResignation,wiein einem Pflichtkonzert,währendStümperihr Wesentreiben.Wieder was Neuesalso; vordemJüngstenTagwirddieSachewohlnicht mehrenden.Hererigniew hatinseinenSchalltrichtern offenbarnur einenTheilderneuen Märaufge- fangen;blinzelndschauternach rechts, nachlinksundscheintfragenzuwollen, obindiesemmerkwürdigaltmodischenMelodrama dennzweiSterbebetten auf dieBühnegebrachtwerden.Rechts und linksaber,vorn undhinten istAlles in sroher,inbangerBewegung.DieCwellwars also nicht!JetztgehtdieGeschichte schiefHabtJhr auchgehört,wiederfeineTresckowerzählte,demSohrkderHeb ammeseifürseineAussageGeldangebotenworden,dreitausendRubelundnoch mehrPDieVertheidiger forderninunsicheremToneinePause,umüber dieneue Wendungzuberathen.EinGeschworenerverlangtdieFeststellungderPerson, die dasGeldgeboten habe;wennsiedenAngeklagtenbefreundetwar,müsse
360 DieZunme
Etwaszuvertuschengewesensein. NachderAnsichtdesHerrnSteinbrecht ist derVersuchernichtfern:HerrvonKoczorowskiwars,einJntimervonWro- blewo ;ruhigenBlutes sprichtderStaatsanwalt denVerdachtaus,dessenVe- stätigungeinenunbescholtenenEdelmanninsZuchthaus bringenkönnte.Aus jedenFall mußderSohnderHebammeschnellnachBerlin. DerGerichtshof beschließt,denMechanikerThomasCwell unddessenEhefrausMagdalenafür Montag vorzuladenundbisdahindieVerhandlung auszusetzen.Montag also wirdsendlichtagen. AufderTreppe, die,andenSchöffenniederungenvorüber, insFreie führt,summtderunbekehrbare Nörgler: ,,Jneinem Omnibus saß einMechanikus... DerMann will entweder auseiner der beidenGrasen- familien rasch nocheinBischenwasBlankes herauskitzelnodernur gratis mal dieReichshauptstadt deutscherIntelligenz besehen;vielleichtauchdasAn- denken der liebenMamavonSchmutzspritzernsäubern undsichvorVer wandt- schaftundKundschast wichtig machen; bequemeReklame: aus preußische Staatslosten.Ganz ausgeschlossen,daßcrjetztnoch Entscheidendeszusagen hat.Aberaufdrei Retourbillets Warschau-Verlin nebst Gebühr für zwei neueausländischeZeugenkommtsnun auch schonnichtmehran.Undwelche WendungdurchTresckows Fügung!Bisheute früh gehörtedie Cwell zum AbschaumderMenschheit.Einwüstes Weib; berüchtigteBordellwirthin;
fürein paar Rubel zumSchändlichsten,zujedemverbrecherischenSchwindel bereit. DaswarMonate langeinEcksteinderAnklage. Diese bescholtenePer- son, dieses allerliebsteSchmutzpslänzchenimportirtdieGräfinausRussisch- Polen,umeinezuverlässigeHehlerinihresTrugeszuhaben.DerEckstein lockertesichauchnicht,alsvon derwarschauer Polizei gemeldetwurde,die EwellseieineordentlicheFraugewesen,gegendienichts vorgelegen habe- Polakenflausen.Das kenntman schon.FünfRubel:undsolcherTshinownik giebt jedesgewünschteAttest. IUndnun VerwandlungbeioffenerSzene.Die selbeCwellwirdzurEhrensrau,derenAussagelauteresGold ist. Wahrscheinlich hatsiedieKrankheitdamalsnur simulirt,umnichtaneinemVerbrechenmit- wirkenzumüssen.Die einVordellhalten?LächerlichSie bekommteinSterbe- bett undeinganzbesonders zartes GewissenunddieKöniglicheStaatsanwalt- schastistentschlossen,ihrdenHimmelzuöfsnenMontagkannslustigwerden!«..
Es wurdenicht lustig.DasEhepaarCwellwar pünktlichzurStelle, hatte abernichts Beträchtlicheszuerzählen.Mama hatdenKindern ausBerlin nichts mitgebracht und,umnichtknickerigzuscheinen, behauptet, sieseivor derEntbindungerkrankt undmit knapper Entschädigungheimgeschicktwor- den.SohnundSchwiegertochterhieltens gleichfüreine Ausrede. AuchTniE
ProzeßKwilecka. 361
dem Sterbebett ist nichtsanzufangenDieFrauwollteihren Thomas noch einmalsehen; dochvoneinemGeheimnißundvonGewissensbissenwar nie- malsdieRede. DiedreitauscndRubelhatHerrHechelski,HeltorsVer- trauensmann, demMechanikerangeboten;erwolltesogarbis zuzehntausend
gehen.HerrvonKoczorowsli hatalleAnnäherungversucheabgelehnt.RI- mandgiebt diesem grundlos VerdächtigteneineEhrenerllärung.Niemand fragt PanHechelski,wer ihm gestattet habe,übersolcheSummen zuver- fügen.Niemand scheintfür möglichzuhalten, daßeinPrivatspitzel,derfür eineAussagezehntausendRubelanbietet,denZeugenzum Meineidverleiten will und, als eines im§159StGB mitZuchthaus bedrohten Berbrechens dringend verdächtig,inHaftgenommen werdenkönnte. Niemand. DerFall Cwellisterledigt.DieschamloseKupplerinverschwindet;nurdie»derGräfin gänzlichunbekannte Hebamme«bleibtund genügtam Endeauch fürdie Plaidoyerbedürfnisse.DasLichtausOsten hatnicht lange geleuchtet.Immer- hin siehtjetztaucheinmyopischesAuge, aus welchenTragbalkendieAnklage ruht.Sounerschütterlichwaren die»Feststellungen«derStaatsanwaltschaft, daßschondaswirreEchoeinesKleinleuteklatsches ausreichte,umdieFest- steller selbstins Wankenzubringen.Zwei Prakuratorenwaren bereit,diever- blicheneNabelentbindcrinauf feurigenArmen in denGlorienhimmelzuheben.
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Die vierSzenenausderlangwierigenKriminaliomaedie wurden hier ausführlicherzählt,weilsieparadigmatischbeweisen,wie vielüberflüssigeAr- beit indiesemProzeßgeleistetward;nur paradigmatisch: leichtwärenzwei Dutzend ähnlicherVorgängeanzuführen.DreiViertelallerZeugen,aller Kosten,allenZeitaufwandrswaren zwecklos,konntcn unterkeinenUmständen dieEntscheidungderRichterdeterminiren. Tage langwurdeverhörtundver- handelt,umfestzustellen,ob eineFrauvonfünfzigJahren nochgebärenkönne und obimvierten,fünftenMonatderangeblichenSchwangerschaftinden-Hem- den derGräfinMenstrualblutflecle gefundenwordenseienLJedes Handbuch -derGynäkologiekonnteschonimVorversahrendienöthigeAuskunft geben.
UndwerdasjuristischeStaatsexamen bestanden hat, sollte,eheersichanden Richtertischsetzt,eigentlichauch sovielMedizin gelernt haben, daßerweiß:bis zum Eintritt derMenopause kann, währendder ganzenZeitdauerderMen- strualsunktion,imbefruchtetenSchoßeiners onstgebärtüchtigenFraueinKind wachsen.DieKatamenialblutnngen sprächenalsonichtgegen,sondern sehrlaut fürdieMöglichkeitderSchwangerschaftzlautsogar noch,wenn siewirklichbis
362 DieZukuan
in denfünftenMonatgedauerthätten.SpiegelbergrechnetinfeinemLehrbuch derGeburthilfedasAufhörenderMenses nichtzu densicherenZeichender Schwangerfchaft;diesesZeichen,sagter,istzwarwerthvoll,kann aberfehlen odersoundeutlich fein, »daßesnichtzurDiagnosezubenutzenist. ,,Jn seltenen Fällen erscheinteineBlutung noch nach derKonzeptioneinmaloder mehrere Male; gewöhnlichinfchwachemGradeundunregelmäßig;dochliegen auch BerichtevonWeibernvor, dienur währendderSchwangerschaftmenstruirt gewesenfein sollen...DieMehrzahl solcherAbgängeistnur pathologifcher NaturundhäufigstammtdasBlutnichtaus demcavum uteri, sondern ausErosionenundGefäßeltasiendescollum. «Laienirrthum also leichte-täg- lich.HabendieamProzeßKwileckabetheiligtenHerrennievonden Launen derräglessurnumåraires gehört,vondenHämorrhagien,die alsFolgevon Uterusmyomauftreten,vonall denGenitalblutungen,diemit derMenstrua- tionnichtszuthun haben? Jn ihrer eigenenFamilienievonFrauen,deren Menses nochkamen,als derLeibesumfangschonunzweideutigdieSchwangere verrieth?DaßeineFrauüberFünfzigMutter wird, ist nichtalltäglich;doch auchnicht unerhört.»Frauenvonfünfzig,ja,vonsechzigJahren haben noch Kindergeboren«,sagtderberliner GynäkologeProfessorGebhardinVeits HandbuchBarkerhatvoneinerAchtundfünfzigjährigenberichtet,derein Kind entbundenwurde. Depasfehat1 891denFalleiner grossesse äcinquante- neufans beschrieben.JnEulenburgsRealencyklopädiederHeilkundegiebtder pragerProfessor KischdasResultatderUntersuchungen,dieer anfünfhundert FrauenverschiedenerNationalität vorgenommenhat;davonkamenhundert- undsechs erstnachVollendungdesfünfzigstenLebensjahresinsklimakterische Alterin neunundachtzigFällentratdieMenopause zwischendemfünfzig- stenunddemfünfundfünfzigstenLebensjahrein; »indennördlichenLändern imAllgemeinenspäterals in densüdlichen.«Alswichtiggilt:Rasse,Verebung, Klima,BeginnderPubertät, äußereLebensverhältnisse;mitschwererArbeit bepackteFrauen pflegenfrüherins Klimakterium zu kommen alsreichc,müßige Damen. GrafWesierski-Kwileckiwar1896zweifelloszeugungfähig,ists (er könnteseinetheuerbezahlteReputationgefährdetglauben!)vielleichtheutenoch.
DieGräfinhattedieMenstrua,konntealso gebären.DagegenwarmitWasch- weibergeschwätznichtsauszurichten. Freilich:»DieAngeklagtehatkeinenArzt zugezogen«.Höchstverdächtig.Warum dennverdächtig?BrauchteineFrau, derenSchwangerschaftnormalverläuft,durchauseinenArztundistdie Unter-
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suchungdesUterus einsolchesVergnügen,giebtsieauchnursolcheBeruhigung, daßdienachdemgoethifchenWortdoppeltSchöne,in derzweiLebenwohnen,
ProzeßKwilecka. 363
sichdanach sehnensollte?DieAnklagefandeinenohnedieAnnahme bösen Trachtens unerllärlichenWiderspruch darin, daßJsa gesagt hatte, siereife nachBerlin,weil dortgute Frauenärztezuhaben seien,und danndochdenPro- sessorRenvers,denihrHerrvonJazdzewski empfahl, nicht rufen ließ.Der Schwurgerichtspräsidentkam überdiesenungeheuerlichenWiderspruch(ohne das immerparate Wort»Widerspruch«gäbeesfürunsereAlltagskriminalisten überhauptkeineBeweisaufnahme)garnichthinweg.Merkwürdig.EineFrau kannwünschen,inihrer schwerenStunde fürdenNothfall berühmte Spe- zialistenin derNähezuhaben,undbrauchtsie,wenn in derWochenstube Allesglatt geht, dennochnichtrufenzulassen.VomNollendorfplatz,woPro- sessorRenvers wohnt,dauertderWegindieKaiserin Augusta-Straßeknapp fünfMinuten. GynäkologenjeglichenRanges sind durchs Telephon rasch herbeizuklingeln. Ganz so bequem hatmans in Wroblewo nicht.Darbende TokiorenersehnenvielleichteineBestimmung,diejedeSchwangereverpflichtet, beimBeginnderWeheneinenArzt »zuzuziehen«(aucheinhübschesWort;
Sprachgebrauch:Erhat ficheineKrankheitunddann einenArzt zugezogen).
Nochaberist solchePflichtvon keinemGesetzvorgeschrieben;noch gebären selbstincivilisirtenLänderngewißneunZehntelallerFrauen ohneärztlichen Beistand; noch hältman dasReisenunddieExpulsiondesKindesfüreinen natürlichenProzeß,der dengelehrtenHelfererstfordert,wenndiePuerperals vorgängevonderNormabweichen.JnWroblewowarenerwachseneTöchter, vorderenneugierigem AugeeinefünfzigjährigeMutter sichnichtgernins Wochenbett legt;warein krankesFaktotutn,eineHaussranzösin,derenGe- brestendieGräfinnierechtzurRuhekommenließen;war,wenn Kompli- kationeneintraten,einnamhafterSpezialarztnicht ohne gefährlichenZeit- verlustherbeizuschaffen;undeinenervöseDame,derenhitzigerPhantasie währendderSchwangerfchaftalleHemmungenfehlen,konntewohlzu der Zwangsvorstellunggelangen,diefeindlichekwilczerLinie werde dieMöglich- keitfinden,in WroblewodemKind oder der Mutter ein Leidanzuthun.Grün- de genug,nichtzuHausezu bleiben ;zumal fürdielaunische,excentrische,reise- lustigeJsabella.EinWochenschwindelwar, unterAsfistenzderinsolchem GeschäftersahrenenHebammeOsfowska, aufeinementlegenenpolnischen Gutleichterdurchzuführenalsim berliner Westen.DieGräfin nahmeine andere,alstüchtigempfohleneHebammeundbatihrenHausarzttelegraphisch, zukommen;nur ihrenHausarzt:denn die,,Zuziehungeiner Autorität«war ebennicht-nöthig.DasAlleskonnte in derVoruntersuchungfestgestelltwer- denundbot,alsvollkommennormal, nichtdasgeringsfeVerdachtsmoment.