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Die neuen geometrischen Auffassungen von Riemann bis Poincaré

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Academic year: 2021

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ORGANON 25:1989/1993 PROBLÈMES GÉNÉRAUX

Luciano B o i* (France)

D IE N E U E N G E O M E T R IS C H E N A U F F A S S U N G E N V O N R IE M A N N B IS P O IN C A R E

1. E inleitung

D iese A rbeit beinhaltet zwei verschiedene Teile, die m iteinander in B e­ ziehungen stehen: Ich habe die A bsicht, einige B etrachtungen ü b e r die geo ­ m etrischen M ethoden und ihre A nw endungen bei R iem ann und Poincare vorzustellen wie auch eine kurze philosphische A nalyse darüber darzulegen.

B ernhard R iem ann1 (1826-1866) und Henri P oincare2 (1 8 5 4 -1 9 1 2 ) w aren zwei große M athem atiker des 19. Jahrhunderts. Sie haben die allge­ m eine Struktur der M athem atik um gew älzt und vollständig neue G ebiete für die M athem atik erschlossen. D ie Bedeutung ihrer A rbeiten liegt nicht so sehr in der genaueren A bgrenzung und besseren B egründung schon b este­ hender m athem atischer Betrachtungen, sondern in der B egründung einer neuen T heorie, die eine überragende philosopische und w issenschaftliche B e­ deutung in der M athem atik erlangte.

R iem ann und Poincare w aren nicht Praktiker, sondern in erster Linie Entdecker. Ihre W erke stellen einen H auptbeitrag für verschiedene G ebiete der W issenschaft dar: der A nalysis, d er G eom etrie, d er T opologie, der Physik, der M echanik, der A stronom ie und schließlich der E rkenntnistheorie. M an kann sagen, daß keines dieser G ebiete so geblieben ist, w ie es voher gew esen war, nachdem Riem ann und Poincare ihre A rbeit aufgenom m en

* Centre d’Analyse et de Mathématique Sociales, École des Hautes Études en Sciences So­ ciales, 54, boulevard Raspail, 75270 Paris Cedex 06.

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hatten. N icht nur das; R iem ann und Poincare sind die B egründer der m o­ dernen Topologie, die m an vor ihnen als "A nalysis Situs" bezeichnet hatte. Riem ann w ar der Entdecker des Teils der G eom etrie, der sich m it d er M an ­ nigfaltigkeit der n-D im ension beschäftigte, und Poincare w ar der E ntdecker der "Fuchs’schen Funktionen" sowie der H auptteile der G ruppentheorie.

Die erste grundlegende A bhandlung von Riem ann ist aus dem Jahre 1851, "G rundlagen für eine allgem eine T heorie der Functionen einer verän­ derlichen com plexen G rösse", vorgestellt in G öttingen als eine Inaug ura l­

dissertation. W as diese A bhandlung betrifft, darüber schrieb der M athem a­

tiker C harles H erm ite in der französischen A usgabe der W erke von Riem ann: "Les principes de Riemann sont d ’une originalité saisissante; ils donnent, comm e instrument à l’Analyse, ces surfaces, auxquelles est attaché le nom de l’inventeur, qui sont à la fois une représentation et une force nouvelles; ils m ettent en pleine lumière, par les notions profondes de classes et de genres, la nature intime, restée ju sq u’alors inconnue, des fonctions algébriques..."3

M an kann sagen, daß in dem Fall der Entdeckung der oben angespro­ chenen Theorie die "geom etrische A nschauung" und die "geom etrische E r­ schaffung" eine entscheidende Rolle gespielt haben. D ie A uffassung, die Riem ann und Poincare von der M athem atik hatten, was philosophisch b e­ gründet und reich an philosophischen Im plikationen: Sie w ar nicht b e­ schränkt a u f eine deduktive und analytische M athem atikbetrachtung (wie die L ogizisten gedacht hatten) und sah andererseits die M athem atik nicht m ehr als einen Teil der Physik an, also wie eine N aturw issenschaft. Für R iem ann und noch eindeutiger für Poincare w ar die M athem atik eine abstrakte und exakte W issenschaft, und w ir werden im folgenden durch die A nalyse ihrer geom etrischen A uffasungen sehen, daß die G rundsätze der m athem atischen O bjekte vollständig verschieden sind von denen der N aturw issenschaft.

2. Erläuterungen zu Riem ann

M ehrere Autoren haben besonders den em pirischen C harakter der R iem ann’sehen A uffassung herausgehoben. So R ichard C ourant in einem Artikel von 1926, "Bernhard Riem ann und die M athem atik der letzten H undert Jahre". Er schrieb:

"Riem anns Funktionstheorie ist ihren inneren M otiven nach, w ie w ir sahen, auf engste m it den Vorstellungen der m athem atischen P hy siker ver­ knüpft; aber auch in ganz anderen G ebieten und noch direkter hat R iem anns vielseitiger Geist die m athem atische Physik m ächtig vorw ärts getrieben. Es liegt natürlich heute nahe, dabei zunächst an die je tz t als "R iem ann’sche G eom etrie" bezeichnete D isziplin und ihre Zusam m enhänge m it der R elati­ vitätstheorie zu denken. In seinem H abilitationsvortrag "Ü ber die H y pothe­ sen, w elche der G eom etrie zugrunde liegen" hat Riem ann diese großartigen

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Die neuen geom etrischen A uffassungen 15 G edanken entw ickelt, denen erst nach Jahrzehnten volle W irk sam k eit be- schieden w ar. Schon das W ort "H ypothese" im Titel verrät den p h y sik ali­ schen U ntergrund der Ideenbildungen. D ie G eom etrie erscheint nicht im K antischen Sinne als Lehre von der reinen A nschauung, sondern als W is­ senschaft, deren Z usam m enhang m it der Erfahrung für ihren A ufb au ent­ scheidend sein soll. Es ist hier nicht der Ort, diese R iem an n ’sche A uffassung vom philosophischen Standpunkt zu diskutieren."4

Als noch viel bedeutungsvoller stellte sich die Interpretation der R iem ann’sehen A uffassung von dem M athem atiker Felix K lein heraus. - Es ist in diesem Z usam m enhang vielleicht notw endig zu bem erken, daß K lein lange Studien- und Lehrtätigkeitsaufenthalte nach dem Tode von R iem ann in G öttingen verbrachte, und daß ein Teil seiner m athem atischen A rbeiten ausdrücklich au f die Fortführung dessen W erkes ausgerichtet war. Klein fühlte sich daher nicht nur in der w issenschaftlichen Interessensgem einschaft m it dem A utor, sondern auch in Ü bereinstim m ung m it einigen seiner w ich­ tigsten philosophischen G esichtspunkte. - In einer G edenkrede an R iem ann "R iem ann et son influence sur les m athém atiques m odernes", gehalten am 27. Septem ber 1894 in W ien, drückte sich K lein folgenderm aßen aus:

"Elevé dans la grande tradition dont les nom s réunis de Gauss et W ilhelm W eber sont le symbole, influencé d ’autre part, par la philosophie de Herbart, il a toujours, et à maintes reprises, travaillé à la recherche d ’une fo rm e m a ­

thématique sous laquelle pourraient être exprimées, d ’une manière unique, les lois auxquelles tous les phénom ènes naturels sont soumis. Ces recherches,

paraît-il, ne sont jam ais arrivées à term e déterminé et l ’on ne trouve sur ces sujets que de courts fragments dans l’oeuvre posthum e de Riemann. Il y est question de quelques principes qui n ’ont en commun que cette idée aujourd’hui bien généralem ent adoptée, du moins par la nouvelle école de physiciens qui suit la trace de M axwell dans sa théorie électrom agnétique de la lumère. C ’est l’hypothèse d ’après laquelle l ’espace est rempli d ’un fluide répandu d ’une manière continue et qui est, en même temps, le véhicule des m anifestations de la lumière, de l’électricité et de la gravité. Je ne m ’arrêterai pas sur ces points qui n ’ont aujourd’hui qu ’un intérêt historique. M ais je veux faire observer, en y insistant, que c ’est dans cet ordre d ’idée q u ’il fa u t chercher la source des

développements mathématiques purs dus à Riemann..."

Und an weiterer Stelle, wo die geometrische A nw endungstheorie von Riemann in seiner Theorie der Flächen zur Sprache kommt, schreibt Klein noch:

"... A ussi, n ’en ajouterai-je que plus volontiers ceci: ces m éthodes, que Riem ann a tirées de l ’intuition physique pour les appliquer aux M ath ém ati­ ques pures, sont devenues vice versa de la plus haute im portance po u r l ’étude de la Physique m athém atique."5

D ie U rteile von Courant und Klein, auch w enn sie nur einen H auptaspekt der W erke von R iem ann herausstellen, belegen in der T at, daß eine der

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A ufgaben der m athem atischen T heorie diejenige ist, ein vertiefendes W issen der physikalischen N atur der Dinge zu erm öglichen, wobei klar ist, daß m an in diesem W issen nich voranschreiten kann, w enn die m athem atische Theorie nicht zunächst eine exakte W issenschaft w äre. Auch wenn die Problem e der Physik die m athem atische A rbeit beeinflussen können, bedeutet es nicht, daß der eigentliche Inhalt der M athem atik das Ergebnis einer V erallgem einerung solcher Problem e ist.

In der Realität hat der B egriff "H ypothese" (Riem an verw endet "V or­ aussetzung") eine viel tiefergehende Bedeutung, als einen nur für die N atur­ w issenschaften benutzbaren Begriff. Es ist bekannt, daß R iem ann den B egriff "H ypothese" in einen bestim m ten Z usam m enhang eingeführt hat, näm lich in seiner berühm ten H abilitationsarbeit über die G rundlagen d er G eom etrie. Es ist notw endig darüber hinaus festzustellen, daß das V erständnis von dieser A rt B egriff nur aus dem V erständnis des gesam ten m athem atischen K onzepts von R iem ann resultieren kann.

Am A nfang seiner H abilitationsarbeit m erkte R iem ann an, daß die e in ­ fachen G rundbegriffe der G eom etrie und ihre B eziehungen untereinander nicht geklärt seien, also m an nicht verstehen könne, w elches ihre N atur sei und ihre V erbindungen seien. W as w ar der G rund dafür?

"Es hatte dies seinen G rund wohl darin, daß der allgem eine B eg riff m ehrfach ausgedehnter Größen, unter w elchem die R aum größen enthalten sind, ganz unbearbeitet blieb. Ich habe m ir daher zunächst die A ufgabe g e­ stellt, den B egriff einer m ehrfach ausgedehnten G röße aus allgem einen G rö­ ßenbegriffen zu konstruieren. Es wird daraus hervorgehen, daß eine m ehrfach ausgedenhnte G röße verschiedener M aßverhältnisse fähig ist, und d er R aum also nur einen besonderen Fall einer dreifach ausgedehnten G röße bildet. Hiervon aber ist eine notwendige Folge, daß die Sätze der G eom etrie sich nicht aus allgemeinen Größenbegriffen ableiten lassen, sondern, daß diejenigen denk­ baren dreifach ausgedehnten Größen unterscheidet, nur aus der Erfahrung ent­ nom men werden können. Hieraus entsteht die Aufgabe, die einfachsten Tatsa­ chen aufzusuchen, aus denen sich die M aßverhältnisse des Raum es bestim m en lassen - eine Aufgabe, die der Natur der Sache nach nicht völlig bestim m t ist; denn es lassen sich m ehrere Systeme einfacher Tatsachen angeben, welche zur Bestim mung der M aßverhältnisse des Raum es hinreichen; am wichtigsten ist für den gegenwärtigen Zw eck das von Euklid zu Grunde gelegte. D iese T at­ sachen sind wie alle Tatsachen nicht notwendig, sondern nur von em pirischer Gewißheit, sie sind Hypothesen."6

D iese A usführungen stellen schon einige w esentliche Punkte der A uf­ fassung von R iem ann vor. Zuerst präsentiert Riem ann einen neuen m etho­ dologischen G esichtspunkt, der aber den m athem atischen E ntdeckungspro­ zeß betrifft. W ir m üssen m it einem abstrakten B egriff beginnen, - in diesem Fall handelt es sich um allgem eine Begriffe m ehrfach ausgedehnter G rößen,

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Die neuen geom etrischen A uffassungen 17 oder, um eine m odernere A usdrucksw eise zu gebrauchen, um die M an n ig ­ faltigk eit der n-fachen D im ension - um die besonderen F älle bestim m en zu können, in unserem Beispiel eine R aum größe. D ie allgem ein en B egriffe m ehrfach ausgedehnter G rößen sind fähig, die untersch iedlich en M aß v er­ hältnisse zu bestim m en, wobei der R aum nur einen besonderen Fall ein er dreifach augedehnten G röße bildet. Das K onzept des R aum es in dieser neuen A rt und W eise beinhaltet eine bedeutende V erallg em eineru ng b ezogen a u f die A uffassungen der V ergangenheit. D er R aum ist nich t m ehr der O rt, wo es m öglich ist, die Figuren so zu konstruieren w ie sie in der euklidischen G eom etrie erscheinen, denn in den A uffassungen von R iem ann (beeinflußt von G auß) gibt es eine innere G eom etrie des R aum es, die auch in der F läche abbildbar ist. D iese innere G eom etrie ist durch ein e so ge­ n annte differenzielle M ethode definiert.

Ich will jetz kurz erklären, w as diese innere G eom etrie bedeutet7.

3. Die differenzielle M ethode von R iem ann

R iem ann ließ sich d irek t von den schon von G auß e rz ie lte n E rg e b ­ n issen insp irieren, u n ter anderem auch von d er d iffe re n z ie lle n G eo m etrie ü b er die F lächen. D iese E rg eb nisse w urden in dem berü h m ten W e rk "D is- q u isitio n es g enerales circa su p erficies curvas" von 1827 v e rö ffen tlic h t. M it d iesem W erk stellte G auß eine völlig neue R ich tu n g d e r d iffe re n z ie l­ len G eo m etrie vor, die darin bestan d , daß e r den E ig e n sc h a fte n e in e r F läch e den V orrang gab. G ew isse V erfahren d e r g eo d ä tisch e n D re ie c k s­ m essu ng en haben G auß dazu veran laß t, a u f eine b elieb ig e F lä c h e zw ei b elie b ig e G ruppen von K u rv enk o o rdinaten ein zu fü h ren , um d ie v e rsc h ie ­ denen P un k te zu finden. D esw eiteren haben sie ihn dazu g e fü h rt, die d if­ feren zielle G eom etrie der F läche u n te r B e rü ck sich tig u n g z w e ier P a ra m e te r "u" u nd "v" zu begrün d en , w elche ih rerseits die K urven d e r zw ei G ru ppen d efinieren. D iese P aram eter w erden w ie K o o rd in aten an g eseh en , b ezo g en a u f d en P un kt der F läch e oder als T e ilstü c k d e r F lä ch e b e tra ch te t, w o sich die k o rrespon d ieren d en K urven teilen. D ie erste d iese r zw ei F ig u ren stellt das Q u ad rat der E ntfern un g "ds" der zw ei u nen d lich b e n a ch b a rte n P u nk te "M " (u, v) und "M ’" (u + du, v + dv) d er F läch e "ds = E d u 2 + 2 F d udv = G d v 2) d ar (E, F, G g eh ö ren zu den F u n k tio n en v o n "u" und "v"). V on diesem A u sd ru ck hängen alle P ro b lem e ab, die die M a ß v e rh ä lt­ nisse d e r L än gen, d er Fläch en und d er W inkel b etreffen , die fü r die F läch e angenom m en w erden können, w enn m an sie schon w ie ein en v ö llig f le ­ x iblen, nich t dehnbaren S ch leier ansieh t, w obei m an nur je n e E ig e n sc h a f­ ten in E rw ägung zieht, die u n ab h än gig von b eso n d eren F o rm en sin d , die fü r die F lexio n genom m en w erden k ö nn en (so g en an n te u n v e rä n d e rb are E ig en sch aften info lg e d er V erform ung).

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D er fundam entale L ehrsatz, auch "Theorem a egregium " genannt, aufge­ stellt von Gauß in seinem W erk, sagt aus, daß die totale K rüm m ung eine U nveränderliche der V erform ung einer Fläche "S" ist. A nders ausgedrückt:

die totale K rüm m ung einer O berfläche ändert sich nicht in einem P unkt f ü r eine beliebige Flexion der selben Fläche. D iesen L ehrsatz kann m an auch

folgenderm aßen ausdrücken: W enn zwei O berflächen abw ickelbar sind, haben sie notw endigerw eise gleiche K rüm m ungen in übereinstim m enden Punkten. D. h.: D ie geodätische Krüm m ung einer Linie, die über eine Fläche gezeichnet ist, behält in jed e m Punkt der Fläche den gleichen W ert, wenn die Fläche sich durch Flexion verbiegt. W ährend also die F läche sich im allgem einen ändert, wenn sie sich beugt, und deshalb die zwei K rüm m ungen der K urve sich ändern, verbleibt die geodätische K rüm m ung unverändert.

In seiner A bhandlung aus dem Jahre 1854 legte Riem ann die G rundlagen für eine V erallgem einerung des R aum begriffs, der sich durch eine beliebige Anzahl von D im ensionen (n) definiert, abgeleitet von einer w illkürlich qua­ dratischen differenzielle Form:

Die Form el bestim m t die D istanz zw eier beliebiger unendlich b enach­ barter Punkte (xp und (Xj + dx¡) und begründet so (wie es G auß für die Fläche eines gew öhnlichen euklidischen R aum es getan hatte) die ganze d if­ ferenzielle G eom etrie des Raum es in H inblick auf diese differenzielle Form . A ber folgen w ir w eiter dem R iem ann’schen G edankengang. G ehet m an von einer elem entaren M annigfaltigkeit von 3 oder m ehr D im ensionen aus, in der ein K oordinatensystem Xj, x2 x3,...,xn als gegeben Vorausgesetz wird, so kann m an eine M aßbestim m ung in der M annigfaltigkeit aufstellen und dann auf ihr eine differenziale M aßgeom etrie definieren, indem m an als A us­ druck für die Entfernung zw eier unendlich benachbarter Punkte nimm t:

wo X ajkdXjdxk e >ne w esentlich positive quadratische Form bezeichnet. Dieses Prinzip (das später auch von H. v. H elm holtz der verallgem ei­ nerte Pythagoräische Satz genannt wurde) bietet sich als das E infachste dar, wenn m an die M aßbegriffe in einer n = (Xj, x2, x3,...,xn) durch D ifinition der Länge einer Linie x; = Xj(t) festsetzen will, die in einem von Null v er­ schiedenen Intervall durch stetige und derivierbare Funktionen in der W eise dargestellt wird, daß sie

a) einen w esentlich positiven W ert hat, ■j

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Die neuen geom etrischen A uffassungen 19 b) stetig und derivierbar von den Endpunkten und von d er G estalt der L inie abhängt,

c) die additive Eigenschaft besitzt.

A u f G rund dieser Bedingungen erhält m an die Funktion, die die Länge einer Linie darstellt, durch Integration des L inienelem entes ds, und der A u s­ druck von ds hängt nur von den K oordinaten xj5 x; + dx; zw eier unendlich benachbarter Punkte ab.

D er A usdruck für ds darf jedenfalls keine lineare F unktion d er xj; dx; sein, weil er dann infolge der Stetigkeit negative W erte annehm en m üßte, w enn m an eine L inie um einen Punkt stetig so w eit variieren läßt, bis sie w ieder m it sich selbst zusam m enfällt, und dam it ihren Sinn um kehrt. D agegen ist ds2, ds4 und überhaupt jed e von ds2 eindeutig abhängende F u n k ­ tion als G rundlage für die B ildung eines A usdrucks für das L inienelem ent zulässig. W enn m an nun voraussetzt, daß ds2 so w eit derivierbar sein soll, als für die E ntw icklung der M aclaurin’schen R eihe bis zum dritten G liede nötig ist, und unendlich klein von der zw eiten O rdnung in den D ifferentialen dXj, so erhält m an gerade

d s 2 = X ajk dxi dxk.

M acht man dagegen irgend welche anderen Annahm en hinsichtlich der Derivierbarkeit von ds2 im Anfangspunkt, so kann man auf andre und höhere Art eine M aßbestim m ung in unserer M annigfaltigkeit festsetzen, indem m an z. B. als. Ausdruck für ds4 eine wesentlich positive Form vierten Grades in den dXj annimmt, die sich nicht auf ein vollkommenes Quadrat reduziert. D ie M ög­ lichkeit solcher Fälle ist bereits von Riemann hervorgehoben worden, der dann aber seine Betrachtungen auf den einfachsten und wichtigsten Fall einge­ schränkt hat, in dem der verallgemeinerte Pythagoräische Satz gelten soll.

W ie bei den Flächen, so kann m an auch bei den M annigfaltigkeiten von n D im ensionen, in denen eine M aßbestim m ung durch den A usdruck für

d s2 definiert ist, die geodätischen Linien oder L inien kürzester L änge b e ­

trachten, von denen jeden in geeignet begrenzten G ebieten durch zwei Punkte völlig bestim m t ist.

In diesem Sinne zeigt der R aum begriff eine seiner E ig enschaften und ist nich m ehr ein leerer Sam m elpunkt, nicht m ehr ohne Inhalt. D ie E infüh­ rung der M aßverhältnisse diente dazu, analytisch und m athem atisch den R aum begriff zu bestim m en, ansonsten wäre d er R aum eine am orphe Entität. Nun, der Raum ist nur ein besonderer Fall einer dreifach ausgedehnten M an ­ nigfaltigkeit. Trotzdem reicht die M etrik allein nicht aus, um vollständig den Raum zu kennzeichnen, insofern er auseinanderlaufende E igenschaften besitzt, bezogen auf irgend eine dreifach ausgedehnte M annigfaltigkeit. Um nur diese Eigenschaften kennenzulernen, ist es notw endig, auf eine p h y si­ kalische U ntersuchung zurückzugreifen.

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W ir haben deshalb zu diesem Problem folgenden Aspekt: E r besteht in der B estim m ung der M aßverhältnisse des Raum es, insofern er eine dreifach ausgedehnte M annigfaltigkeit ist, d. h., m an m uß die einfachsten Prinzipien suchen, durch die sich die M aßverhältnisse des Raum es bestim m en können, und diese Prinzipien w erden m athem atisch bestim m t. Sie sind insofern not­ w endig, da wir m it ihrer H ilfe alle w eiteren Sätze und Folgen ableiten können. A ber sie sind nicht absolut notw endig, weil w ir verschiedene M aß­ verhältnisse aufstellen können. In diesem Sinne sind sie nur logisch notw en­ dig. Sie haben eine em pirische G ew ißheit, nicht, weil sie der E rfahrung ent­ springen, sondern, w eil, wie Riem ann sagte, der Raum eine unbegrenzte dreifach ausgedehnte M annigfaltigkeit sei. Dieses

"ist eine V oraussetzung, w elche bei je d e r A uffassung der A ußenw elt angew andt wird, nach w elcher in jed em A ugenblicke das G ebiet der w irk­ lichen W ahrnehm ungen ergänzt und die m öglichen O rte eines gesuchten G e­ genstandes konstruiert w erden und w elche sich bei diesen A nw endungen fortw ährend bestätigt. Die U nbegrenztheit des Raum es besitzt daher eine größere em pirische G ew ißheit, als irgend eine äußere Erfahrung."

Die A nnahm e, daß der Raum eine unbegrenzte dreifache M annigfaltig­ keit sei, ist eine A nnahm e, die durch die Erfahrungen m öglich gem acht wird; sie ist eine abstrakte A nnahm e, eine Art vorausgehende B edingung, um die G eom etrie darzustellen. A ber sie ist nicht in jed em Fall eine w issenschaft­ liche A nnahm e. Aus der Annahm e, daß der Raum unbegrenzt sei, kann nicht geschlußfolgert werden, daß der Raum unendlich ist, wie intuitiv gedacht w erden könnte. Im G egenteil: V ielm ehr w ürde der Raum , w enn m an die U nabhängigkeit der K örper vom Ort voraussetzt, ihm also ein konstantes K rüm m ungsm aß zuschreibt, notw endig endlich sein, so bald dies K rüm ­ m ungsm aß einen noch so kleinen positiven W ert hätte. M an w ürde, wenn m an die in einem Flächenelem ent liegenden A nfangsrichtungen zu kürzesten L inien verlängert, eine unbegrenzte Fläche m it konstantem positivem K rüm ­ m ungsm aß, also eine Fläche erhalten, w elche in einer ebenen, dreifach aus­ gedehnten M annigfaltigkeit die G estalt einer K ugelhälfte annehm en würde und w elche folglich endlich ist.

4. D er G rundsatz der R iem ann’schen H ypothese

W ir können m indestens drei verschiedene E igenschaften herausstellen, die die A nnahm en von Riem ann untersuchen: Die ersten, verbunden m it seiner sehr abstrakten Theorie w ie die O berflächentheorie und die "Analysis Situs", sind von theoretischer Natur. Sie sind verbunden m it den grundle­ genden intellektuellen A nschauungen, m it gew issen V oraussetzungen der Begriffe (wie das M aßverhältnis) und m it der E ntw icklung der topologischen Lehrsätze. W ie z. B. solche Annahm en, die wir, da sie notw endig sind,

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her-Die neuen geom etrischen Auffassungen 21 aussuchen, um die M aßverhältnisse zu bestim m en. Sie erfordern die U n ab­ hängigkeit der Größen von den O rten, und diese U nabhängigkeit kann man auf verschiedene W eisen realisieren. Z. B. a u f der G rundlage, daß das M aß­ verhältnis eine m ögliche W ahl darstellt, um analytisch die A m orphität des Raum es zum Ausdruck zu bringen.

Im folgenden wollen w ir nun einfache und allgem eine P rinzipien der differenzierten M aßverhältnisse von Riem ann vortragen, angew andt a u f den Raum. Die erste H ypothese, die er betrachtet und entw ickelt, ist diejenige, gem äß der die Länge der Linien unabhängig von ihrer Position ist. D am it ist jed e Linie durch alle anderen meßbar.

Die M aßbestim m ungen erfordern eine U nabhängigkeit der G rößen vom Ort, die in m ehr als eine W eise stattfinden kann; die zunächst sich d arbie­ tende A nnahm e ist wohl die, daß die Länge der Linien unabhängig von der Lage sei, also jed e L inie durch jed e m eßbar sei. W ird die O rtsbestim m ung auf G rößenbestim m ungen zurückgeführt, also die Länge eines Punktes in der gegebenen «-fachen ausgedehnten M annigfaltigkeit durch n veränderli­ che Größen Xj, x2, x3,...,xn ausgedrückt, so w ird die B estim m ung einer Linie darauf hinauslaufen, daß die Größen "x" als Funktion ein er V eränderlichen gegeben w erden. Die A ufgabe ist dann, für die Länge der L inien einen m a­ them atischen A usdruck aufzustellen, zu w elchem Z w ecke die G rößen "x" als in Einheiten ausdrückbar betrachtet w erden m üssen.

R iem ann behandelte diese A ufgabe nur unter gew issen Einschränkung und arbeitete zu solchen Linien, in w elchen die V erhältnisse zw ischen den G rößen "dx" - den zusam m engehöringen Ä nderungen der G rößen "x" - sich stetig ändern. M an kann sich dann die Linien in E lem ente zerlegt denken, innerhalb deren die V erhältnisse der G rößen "dx" als konstant betrachtet w erden dürfen. D ie A ufgabe ist folglich, daß für jed en Punkt ein allgem einer A usdruck des von diesem ausgedehnten Linienelem ents "ds" aufgestellt w erden m uß. Jeder Punkt wird also die G röße "x" und die G röße "dx" ent­ halten.

Riemann nahm zweitens an, daß die Länge des Linienelem ents, von Größen zweiter Ordnung abgesehen, unverändert bleibt, wenn dessen sämtliche Punkte dieselbe unendliche kleine Ortsänderung erleiden, worin zugleich enthalten ist, daß, wenn sämtliche Größen "dx" in demselben Verhältnis wachsen, das L i­ nienelement sich ebenfalls in diesem Verhältnis ändert.

U nter dieser A nnahm e wird das Linienelem ent eine beliebige hom ogene Funktion ersten Grades der Größen "dx" sein können, w elche unverändert bleibt, wenn säm tliche G rößen "dx" ihr Zeichen ändern, und w orin die w ill­ kürlichen K onstanten stetige Funktionen der G rößen "x" sind. U m die e in ­ fachsten Fälle dafür zu finden, suchte R iem ann zunächst einen A usdruck für die (n-7)-fach ausgedehnten M annigfaltigkeiten, w elche vom A nfangspunkt des L inienelem ents überall gleich w eit abstehen, d. h. er suchte eine stetige Funktion des Orts, w elche sie von einander unterscheidet. D iese w ird vom

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A nfangspunkt aus nach allen Seiten entw eder ab- oder zunehm en m üssen; m an m uß annehm en, daß sie nach allen Seiten zunim m t und also in dem Punkt ein M inim um hat. Es m uß dann, wenn ihre ersten und zw eiten D if­ ferentialquotienten endlich sind, das D ifferential erster O rdnung verschw in­ den und das der zw eiten O rdnung darf nie negativ w erden. M an nim m t an, daß es im m er positiv bleibt. D ieser D ifferentialausdruck zw eiter O rdnung bleibt dann konstant, wenn ds konstant bleibt, und w ächst im quadratischen V erhältnis, wenn die G röße "dx" und also auch "ds" sich säm tlich in dem ­ selben V erhältnis ändern; er ist also = const. ds2 und folglich ist "ds" - der Quadratw urzel aus einer im m er positiven ganzen hom ogenen Funktion zw eiten G rades der G rößen "dx", in w elcher die K oeffizienten stetige Funk­ tionen der G rößen "x" sind. Für den R aum wird, wenn m an die Lage der Punkte durch rechtw inklige K oordinaten ausdrückt, ds = yX (dx) ; der Raum ist also unter diesem einfachsten Fall enthalten.

Ein Beispiel für die zw eite H ypothese, die R iem ann in seiner H abilita­ tionsarbeit m achte, behandelt die U nterschiede zw ischen "U nbegrenztheit" und "U nendlichkeit". Es handelt sich dabei um folgendes: W enn m an die Bestim m ungen des Raum es au f das "U nm eßbargroße" bezieht, ist es n ot­ wendig, eine U nterscheidung zw ischen der U nbegrenztheit und U nendlich­ keit zu m achen, wobei die erstere zu dem A usdehnungsverhältnis und die zw eite zu dem M aßverhältnis gehört. Daß der R aum eine unbegrenzte drei­ dim ensionale M annigfaltigkeit sei, ist eine V oraussetzung, die bei jed e n A uf­ fassung der A ußenw elt angew andt wird. N ach ihr w ird in jed em A ugenblick das G ebiet der w irklichen W ahrnehm ungen ergänzt und die m öglichen Orte eines gesuchten G egenstandes konstruiert, wobei sie sich bei diesen A nw en­ dungen fortw ährend bestätigt. Die U nbegrenztheit des Raum es besitzt daher eine größere em pirische G ew ißheit, als irgend eine äußere Erfahrung. M an könnte sagen, daß die oben genannte H ypothese die grundlegende E igen­ schaft hat, zugleich eine theoretische A nnahm e zu sein, die uns nützt, über die N aturerscheinungen und die physikalischen Erscheinungen nachzuden­ ken, d. h. wie ein geom etrisches Substrakt, w elches die w esentlichen E igen­ schaften der Festkörper gestaltet. Anders ausgedrückt, solche A nnahm en, auch w enn sie nicht in die Erfahrungen eingehen, w erden trotzdem auf sie angew andt und erm öglichen so eine rationale Erkenntnis. - W ir w erden auf solche Problem e in K ürze zu sprechen kom m en. - Jedoch können w ir solche A rt von A nnahm en nicht brauchen, um davon B ehauptungen m it m athem a­ tischen Inhalt abzuleiten. Aus der Tatsache, daß in unserem Fall der Raum eine unbegrenzte M annigfaltigkeit ist, folgt in keiner W eise, daß er auch unendlich ist, wie bis dahin der größte Teil der M athem atiker und Philoso­ phen geglaubt hatte. Im Gegenteil: W enn m an verm utet, w ie R iem ann e r­ klärte, daß die K örper unabhängig vom O rt seien, und m an dem Raum ein konstantes K rüm m ungsm aß zuschreibe, dann w ürde er notw endig endlich werden, sobald dieses K rüm m ungsm aß einen noch so kleinen positiven W ert

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Die neuen geom etrischen Auffassungen 23 hätte. M an würde, w enn m an die in einem Flächenelem ent liegenden A n ­ fangsrichtungen zu kürzesten Linien verlängert, eine unbegrenzte F läch e m it konstantem positiven K rüm m ungsm aß, also eine Fläche erhalten, w elche in einer ebenen, dreifach ausgedehnten M annigfaltigkeit die G estalt einer K u­ gelfläche annehm en w ürde und w elche folglich endlich ist.

Schließlich gibt es noch eine dritte Art von H ypothesen, die die Form von w issenschaftlichen V erm utungen annehm en können, w enn m an v erm u­ tet, daß die Bedingungen, ins V erhältnis zu den ausgedehnten M an n igfaltig ­ keiten und zu den M aßverhältnissen ins U nm eßbargroße gesetzt, nicht n o t­ w endigerw eise w eiter gültig seien. Die H auptbedingung w ar, daß die K örper unabhängig vom O rt bestanden und daß deshalb das K rüm m ungsm aß überall konstant war. Aber, wenn diese U nabhängigkeit zw ischen den K örpern und den Orten nicht besteht, dann können w ir nicht die bekannten M aß verhält­ nisse des M akrokosm os übertragen. Also, es kann dann in jed em P unkt das K rüm m ungsm aß in drei Richtungen einen w illkürlichen W ert annehm en, vorausgesetzt, daß die totale K rüm m ung in jed e m m eßbaren T eilschn itt des Raum es nicht m erklich von Null verschieden ist. Es ist außerdem m öglich, daß noch kom pliziertere M aßverhältnisse eintreten können, w enn m an nicht w eiter voraussetzt, daß das L inienelem ent durch die Q uadratw urzel eines D ifferentialausdrucks zw eiten G rades darstellbar sei.

N ach dem , w as w ir je tz t besprochen haben, verlieren die em pirischen Begriffe, auf w elche die V erhältnisbestim m ungen der ausgedehnten M ann ig ­ faltigkeit begründet sind, d. h. der B egriff des Festkörpers und des L ic h ts­ trahls, ihre G ültigkeit im U nendlichkleinen. G em äß R iem ann ist es legitim vorauszusetzen, daß die M aßverhältnisse des R aum es im U nendlichkleinen nicht m ehr den H ypothesen der G eom etrie entsprechen, die m an au f unseren gew öhnlichen Raum anw endet. Dazu schrieb Riem ann:

"Die Frage über die G ültigkeit der V oraussetzungen der G eom etrie im U nendlichkleinen hängt zusam m en m it der Frage nach dem innern G runde der M aßverhältnisse des Raum es. Bei dieser Frage, w elche w ohl noch zur Lehre vom R aum gerechnet werden darf, kom m t die obige B em erkung zur A nw endung, daß bei einer discreten M annigfaltigkeit das Princip der M aß ­ verhältnisse schon in dem B egriff dieser M annigfaltigkeit enthalten ist, bei einer stetigen aber anders w oher hinzukom m en muß. Es m uß also entw eder das dem R aum zu G runde liegende W irkliche eine discrete M annigfaltigkeit bilden, oder der Grund der M aßverhältnisse außerhalb, in d arau f w irkenden bindenden K räften, gesucht werden." (R iem ann, S. 2 8 5 -2 8 6 )

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5. Schlußbem erkungen zu Riem ann

W ir w ollen im folgenden die w esentlichen Punkte von R iem anns A uf­ fassungen zusam m enstellen. D enen zufolge können w ir über den Raum sagen, daß er, wenn w ir nicht die Erfahrungen m iteinbeziehen, eine der m ög­ lichen unterschiedlichen G attungen der M annigfaltigkeit ist. E r kann aber auch eine diskrete M annigfaltigkeit sein. Riem ann jedoch betrachtete grund­ legend nur eine kleine Reihe der M öglichkeiten, d. h. die ausgedehnten M an­ nigfaltigkeiten einer endlichen Zahl d er D im ension, w elche genau die diffe­ renzierbaren M annigfaltigkeiten einer endlichen D im ension sind. Riem ann unterschied zwischen zwei Arten von E igenschaften der M annigfaltigkeit: den A usdehnungsverhältnissen und den M aßverhältnissen. Ü ber die M aßver­ hältnisse haben w ir schon gesprochen. D ie A usdehnungsverhältnisse werden wie die V erhältnisse betrachtet, die durch die differenzierbare S truktur der M annigfaltigkeit bestim m t werden. Sie beziehen die Topologie der M annig­ faltigkeit und die sogenannten topologischen Eigenschaften (z. B. die E igen­ schaften, die durch einen H om öom orphism us unverändert bleiben8) m it ein, aber das ist nicht alles, was sie m iteinbeziehen.

Riem ann hob einen wichtigen Unterschied zwischen den zwei Arten der Eigenschaften hervor: Die M annigfaltigkeiten der Ausdehnungsverhältnisse sind diskrete, während die M annigfaltigkeiten der M aßverhältnisse stetige sind. Daraus folgt, daß die empirischen Aussagen die erste Art der Eigenschaften betreffen, obwohl sie hypothetisch sind und sich als exakte erweisen. So müssen wir gewöhnlicherweise annehmen, daß der Raum drei D im ensionen hat, und falls es sich als falsch offenbaren sollte, dann könnte der Raum vier, fünf, oder eine gänzlich andere Zahl der Dimension haben. Im Gegenteil: Em pirisch ver­ ifizierbare Hypothesen, die die M aßverhältnisse des Raum es betreffen, sind not­ wendigerweise ungenau, obwohl sie eine annährende Gew ißheit haben. Daraus ergibt sich, daß die Aussage, der Raum sei euklidisch und seine Krümmung gleich Null, nicht wie eine wissenschaftliche Annahm e akzeptierbar ist. W ir können maximal voraussetzen, daß die Krümmung des Raumes in dem Abstand (-£, e) besteht, wobei gilt, daß für beliebige reelle Zahlen e > 0 ist. Diese Schlußfolgerung, von Riemann nicht dargelegt, aber deutlich in seinen Betrach­ tungen enthalten, hat eine bedeutende W ichtigkeit: Die Geom etrie von einer M annigfaltigkeit ist nicht-euklidisch - sowohl sphärisch als auch hyperbolisch - wenn seine konstante Krümmung auch nur ein wenig von Null abweicht. In dem Fall, daß die Annahme die Krümmung des Raumes betreffen, können sie nur ihm die Abstände zuschreiben und nicht die festen W erte, auch wenn die Vermutung, daß die Krümmung des Raumes konstant sei, unnötig zu sein scheint. Falls es keine empirischen Mittel gibt, um jen e W erte zu bezeichnen, die die Krüm mung des Raum tatsächlich, bestehend innerhalb eines gegebenen Abstandes, annim m t, dann können sie ebenso gut schrittw eise von O rt zu O rt oder von Zeit zu Zeit variiert w erden.

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Die neuen geom etrischen A uffassungen 25 Am Ende seiner H abilitationsarbeit stellte R iem ann eine kühne A nnahm e auf, die besagt, daß die K rüm m ung des R aum es innerhalb eines sehr kleinen A bstandes sehr w eit variiert werden kann, vorausgesetzt, daß die totale K rüm m ung über die A bstände der angem essenen Größen sich Null annähert. Die berühm te H ypothese über die "space-theory o f m atter", die von C lifford im Jahr 1870 aufgestellt wurde, ist nur eine W iederbelebung der kühnen A nnahm e von R iem ann9.

Riem ann w arf eine grundlegende Frage auf, die folgende A spekte b e­ handelt: Entsprechen an der G renze der B eobachtbarkeit die physikalischen Eigenschaften der Erscheinungen tatsächlich dem geom etrischen R aum , der von uns noch bestim m t werden muß, oder sind nicht eher das M aßverhältnis innerlich verbunden m it den physikalischen Phänom enen, vorausgesetzt, daß die K örper nicht m ehr unabhängig vom O rt bestehen? T rifft letzteres zu, dann, so Riem ann, verschm elzen das M aßverhältnis und die physikalischen Phänom ene m iteinander.

6. Der Standpunkt von Poincare

Poincares Standpunkt unterscheidet sich von dem von Riemann. Obwohl Poincare in seinen verschiedenen Abhandlungen, z. B. in seiner berühm ten über die drei Körper in der Astronomie, die Geom etrie benutzte, um die speziellen physikalischen Problem e zu lösen, bevorzugte er, die allgemeinen Beziehungen zwischen der Geometrie und der Erfahrung zu betrachten. Poincare war von der Tatsache überzeugt, daß keine physikalische Realität unabhängig von den geometrischen Übereinstimmungen besteht, die wir anwenden, um sie zu ver­ stehen. Darüber hinaus machen nur jene Übereinstim mungen einen Sinn, über die physikalischen Phänomene zu reden, die sich in unserem Raum abspielen. Die Geometrie verbleibt also vollständig unbestim m t in Bezug auf die E rfah­ rung, und zwar aus dem Grunde, weil sie ein Teil der exakten m athem atischen W issenschaft ist.

In A nbetracht der Beziehungen zw ischen G eom etrie und E rfahrung besteht ein relevanter A spekt der G edanken von Poincare, der schon von R iem ann 1854 vorgestellt worden war, wie w ir gesehen haben, und den m an sich vorstellen kann wie ein Problem der theoretischen und experim entellen

Unentschiedenheit.

Allgem ein gesprochen ist das Problem jen e s der "A sym m etrie": e in e r­ seits zw ischen Sinn und Erkenntnisw ert einer m athem atischen T heorie und andererseits bezüglich ihrer Verifizierbarkeit. B ezogen auf die G eom etrie ist das Problem folgendes: Ist es m öglich, experim entell zu prüfen, ob der p h y ­ sikalische Raum euklidisch ist? Ist es m öglich, einerseits die geom etrischen Begriffe (die in der Physik m öglich sein sollten) zu definieren und gleich­ zeitig andererseits ein Korrektursystem au f die M aße zu übertragen, das en t­

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sprechend den G egenbenheiten sich ändert, wobei trotzdem die G eom etrie ihren euklidischen C harakter behält? W ir w issen, daß es schon für Gauß unm öglich war, eine endgültige A ntw ort au f jen es Problem zu geben. Die nicht-euklidischen G eom etrien sind nicht nur vom logischen, sondern auch vom physikalischen Standpunkt her gleichw ertig. Für G auß w ar es unm ög­ lich, a p rio ri zu w issen, ob die räum liche K onstante "K" (die Krüm m ung) unendlich w ar oder nicht, und ob die G eom etrie euklidisch w ar oder nicht.

A p o sterio ri, da die räum liche K onstante nicht determ inierbar sein kann,

sondern nur annäherungsw eise bestim m bar, kann m an nicht m it H ilfe der Beobachtungen und der Erfarhungen wissen, ob die physikalische G eom etrie euklidisch ist, auch w enn sie es w irklich ist. Nun, eine erste Schlußfolgerung ist, daß es unm öglich ist, experim entell herauszufinden, ob unser Raum eu­ klidisch ist, und daß, falls er auch nur annäherungsw eise euklidisch wäre, es nicht bedeutet, daß die euklidische D arstellung über die G renzen der Be- obachtbarkeit hinaus ausdehnbar sei.

In einem Artikel von 1889 "L ’expérience et la G éom étrie", erneut ver­ öffentlicht in "La science et l’hypothèse" behandelt Poincare eine genaue und sehr interessante A rgum entation, um zu bew eisen, daß es unm öglich ist, bei dem geom etrischen Em pirism us einen verständlichen Sinn zu erkennen. Um die Idee zu kritisieren, die der Erfahrung die M öglichkeit zuw eist, in einer gew issen W eise zu entscheiden, w elche der verschiedenen G eom etrien sich für den physikalischen Raum als nachprüfbar erw eist, hatte Poincare folgende zwei A rgum ente eingeführt:

a) w enn w ir ein beliebiges körperliches System in E rw ägung ziehen, ist es einerseits notw endig, den Z ustand der verschiedenen K örper dieses System s zu betrachten (z. B. ihre Tem peratur, ihre elektrischen Potentiale usw.) und andereseits ihre Lage im Raum. Zw ischen den A nhaltspunkten, die uns erm öglichen, diese Lage zu definieren, unterscheiden w ir w iederum die gegenseitige D istanz jen e r Körper, die deren Positionen untereinander definieren, und die Bedingungen, die die absolute Position des System s und ihre absolute A usrichtung im Raum bestim m en. Poincare schrieb dazu:

"Les lois des phénom ènes qui se produiront dans ce systèm e, pourront dépendre de l’état de ces corps et de leurs distances m utuelles; m ais, à cause de la relativité et de la passivité de l ’espace, elles ne dépendront que de la position et de l ’orientation absolue du systèm e."

b) "Les expériences ne nous font connaître que les rapports des corps avec l’espace, ou les rapports m utuels des diverses parties de l ’espace."

Das sind die physikalischen Eigenschaften der K örper und die ihrer B e­ ziehungen, die man vom Experiment her kennt, aber nicht jedoch die geom e­ trischen Eigenschaften gleicher Körper. Es gibt keine Zweifel über die Tatsache, daß in diesen Ausführungen von Poincare das Prinzip der E instein’schen Re­ lativitätstheorie stillschweigend mit enthalten ist. Genau besehen behandelt das erste Argument das Gesetz der Relativität des Raumes, wohingegen das zweite

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Die neuen geometrischen Auffassungen 27 Argument Poincare zu der Schlußfolgerung veranlaßte, daß die E xperim ente nich den Raum , sondern die K örper zum Ergebnis haben.

Bis hierhin stim m en die Positionen von Poincare und R iem ann substan­ tiell überein: Beide vertreten die A uffassung, daß sich die G eom etrie auf ein allgem eingültiges und abstraktes K onzept begründen sollte. F ür Poincare ist es jen es der Gruppe, bei Riem ann jen es der M annigfaltigkeit der «-fachen D im ensionen. Diese beiden K onzepte lassen sich in W irklichkeit, das eine wie das andere, aufeinander zurückführen, w ie dies später der französische M athem atiker Elie Cartan (1 869-1951) vollständig bew iesen hat. W ie für Riem ann so auch für Poincare gilt, daß die grundlegenden geom etrischen K onzepte vor allem m athem atischer N atur sind, und daß die G eom etrie ta t­ sächlich das R esultat eines zw eifachen Prozesses ist, näm lich der geistigen Intuition sow ie der ideellen K onstruktion. F ür aufeinander folgende T ran s­ form ationen nehm en diese Intuitionen den Status "m athem atischer O bjekte" ein. In dieser W eise nim m t die G eom etrie eine andere w ichtige R olle ein, deren sich sowohl Riem ann wie auch Poincare bedienten, um sich m it den analytischen und physikalischen Problem en auseinander zu setzen. D iese M ethode hat zum Ihnalt, die qualitativen G esetze erforschter m athem atischer Problem e zu verbessern durch eine geom etrische D arstellung derselben im bevorzugten Bereich der Flächentheorie und der Topologie.

7. D er K onventionalism us von Poincare

Richten w ir nun unsere A ufm erksam keit au f die A nalyse der p h ilo so ­ phischen Bedeutung der P oincare’sehen Philosophie. Sein g eom etrischer K onventionalism us ist eine sehr w ichtige A ntw ort auf das P roblem der E r­ kenntnis und som it auf die Frage: W elches ist das epistem ologische W esen der G eom etrie, bzw. der G eom etrien, die stärker m it dem R aum verbunden sind und auf den Raum angew andt w erden können? In erster L inie b etrach ­ tete er die G eom etrie als eine exakte W issenschaft, als einen Teil von der Erkenntnis der M athem atik, die über jed en Zw eifel erhaben ist. E r b etrach­ tete die G eom etrie bzw. die G eom etrien als exakte, die sehr geeignet sind, unseren Raum zu beschreiben. Nach seiner A nsicht liefert uns die E rfahrung keine absolut sicheren Erkenntnisse, weil die V ersuchsergebnisse nie e n d ­ gültig und im m er w ieder neu zu überprüfen sind. A uch w enn die G eom etrie einen Bereich beinhaltet, der sich au f unseren R aum anw enden läßt, so kann sie als eine em pirische W issenschaft betrachtet werden. Stellen w ir uns also die Frage: W ie können w ir uns die B eziehungen zw ischen räum licher G e o ­ m etrie und Erfahrung in A nbetracht der Tatsache klarm achen, daß zw ischen exakter M athem atik und ungenauer em pirischer Erkenntnis ein großer logi­ scher A bstand besteht? In diesem Z usam m enhang lehnte Poincare die ratio ­ nalistische Lösung ab, die auf einer apriorischen Form der Erkenntnis be­

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gründet ist. D ie A nerkennung des gleichen G esetzes der euklidischen und nicht-euklidischen G eom etrie veranlaßt ihn zu dieser A blehnung. In der Tat betrachtete Poincaré seinen geom etrischen K onventionalism us als einen M it­ telw eg zw ischen em pirischer G eom etrie und K ant’schem R ationalism um s. D er genaue Zusam m enhang zw ischen Erfahrung und räum licher G eom etrie ist eine Frage der Ü bereinkunft. W ir w erden eine G eom etrie a u f den Raum m it H ilfe von Ü bereinkünften ausw ählen, obwohl w ir durch die Erfahrung zu diesen verschiedenen Ü bereinkünften geführt w erden.

W ir w ählen die Ü bereinkünfte, die der Erfahrung m ehr entsprechen, und, indem w ir sie auf die G rundlage einfacher Prinzipien beziehen, versuchen w ir sicherzustellen, daß diese Prinzipien nicht durch die E rfahrung w iderlegt w erden. Ü bereinkünfte dürfen nicht m it der nachprüfbaren E rfahrung vergli­ chen, obw ohl es zulässig ist, nach einiger Zeit eine Gruppe von Ü berein ­ künften durch eine andere zu ersetzen. D ie Ü bereinkünfte dienen als B rücke zw ischen der em pirischen und nicht exakten Erfahrung und der exakten M a­ them atik. Im gew issen Sinn ist das Ziel des K onventionalism us in der G eo­ m etrie bei Poincaré eine V erm ittlung zw ischen der G ew ißheit der M athe­ m atik und "the fallibility" der Erfahrung.

Poincaré scheint in seinen Schriften "angewandte Geometrie" und "reine Geometrie" zu trennen, obwohl er sich nie in besonderer W eise m it dieser Frage beschäftigt hatte. Er beschränkte sich auf die Betrachtung der Geom etrien, die auf unseren Raum anwendbar sind. Er scheint den Raum, gemäß diesen zwei verschiedenen Bedeutungen hin betrachtet zu haben: M anchmal versteht er unter Raum den "phänomenologischen Raum", nämlich den, den w ir durch die Analyse der psycho-physiologischen Assoziation schaffen, und m anchm al ver­ steht er unter Raum den "Raum der Erfahrung" im allgemeinen. Poincaré be­ schäftigte sich jedoch nicht mit dem physikalischen Raum als solchen, d. h. als einer Realität, in der die Geom etrie und die Physik (wie Riem ann dachte) sowie die M aßverhältnisse des Raumes und die physikalischen Phänom ene in­ einander verschmelzen. Also eigentlich widmete er sich nich dem physikali­ schen Raum. In der Tat lehnte er den physikalischen Raum als K onzept seiner Philosophie ab. Für Poincaré war der geometrische Raum derjenige, aus dem wir Schlußfolgerungen ziehen müssen. Die räumliche G eom etrie ist eine Theorie, die in der Physik verw endet wird, um die N aturphänom ene zu ent­ decken, zu erklären und die Erkenntnisse darüber zu vertiefen.

Für Poincaré gibt es alternative G eom etrien, die gleichberechtigt sind, w obei die eine durch die andere ausgedrückt werden kann, d. h. sie sind kom m ensurabel. Jede von ihnen stellt eine W eise dar. die N aturphänom ene zu betrachten. Das W ichtigste bei Poincaré ist, daß er seinen G rundbegriff der G eom etrie aus den G ruppenbegriff her begründet.

1877 veröffentlichte Poincaré einen Artikel "Sur les H ypothèses fonda­ m entales de la G éom étrie", der von großer B edeutung für die M athem atik und E pistem ologie ist. In diesem Artikel entw ickelte er zum erstenm al die

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Die neuen geom etrischen A uffassungen 29 konventionelle A uffassung von der G eom etrie. U m alle m öglichen G ruppen für verschiedene G eom etrien m it zw eidim ensionaler M annigfaltigkeit zu finden, bezieht er sich au f die A uffassung der G ruppentheorie von S. Lie. N ach dessen A nsicht ist die G eom etrie nichts anderes als die U ntersuchung einer G ru p p e11. E r schrieb:

"D ’après ce que nous venons de voir, la G éom étrie n ’est autre chose que l ’étude d ’un groupe et, en ce sens, on pourrait dire que la vérité de la géom étrie d ’Euclide n ’est pas incom patible avec celle de Lobatchevski, puisque l’existence d ’un groupe n ’est pas incom patible avec celle d ’un autre groupe. Nous avons choisi, parm i tous les groupes possibles, un groupe p a r­ ticulier pour y rapporter les phénom ènes physiques, com m e nous choisissons trois axes de coordonnées pour y rapporter une figure géom étrique. M ain ­ tenant, q u ’est-ce qui a déterm iné ce choix: c ’est d ’abord la sim plicité du groupe choisi; m ais il y a une autre raison: il existe dans la nature des corps rem arquables q u ’on appelle les solides et l ’expérience nous apprend que les divers m ouvem ents possibles de ces corps sont liés à fort peu près p a r les m êm e relations que les diverses opérations du groupe choisi."

D iese A usführungen erlau b en , einen grun d leg en d en A sp ek t d e r ep i- stem o lo g isch en K onzeption von P oin care au fzu g reifen , d. h., d aß sein g e o ­ m etrisch er K o n v entio nalism us einen Inh alt a p r io ri sow ie eine o b jek tiv e B ed eutun g d arstellt. D arüber hinaus b ildet seine E p iste m o lo g ie ein e b e ­ fried ig en d e L ösung des A u sein an dersetzu ng zw ischen "S u b jek tiv isten " und "E m piristen", indem sie einen V erb in d u n g sp u n k t zw isch en d e r a p rio ­ risch en K on zeptio n des W issens und e in e r realistisch en K o n zep tio n schafft. Es ist klar, daß die A xiom e d er G eo m etrie h e rk ö m m lich e r A rt sind, und daß das vollstän d ig e S ystem der S ätze, die ein em b estim m ten Typ d er G eo m etrie angehören, a p rio ri ko n stru iert ist. A b er das soll n ich t heißen, daß die B edeutung ein er G eom etrie nur k o nventionell sei. D ie G ru p p e n th e o rie e b e n so w ie die M a n n ig fa ltig k e it d e r « -fa c h e n D im e n ­ s io n e n ist k o n s titu tiv fü r d ie " O b je k te ", d ie a u f sie z u tre ffe n o d e r d ie ih r a n g e h ö re n . Sie ist in d iese m S in n e ein K o n z e p t a p r io r i d e r g e o ­ m e tris c h e n W is s e n s c h a ft, e in e A llg e m e in g ü ltig e , fü r d e re n in n e re E n t­ w ic k lu n g u n d d e re n M ö g lic h k e ite n d e r fo rm a le n un d a b s tra k te n E n t­ fa ltu n g . A b e r g le ic h z e itig ist sie a u c h ein e rk lä re n d e s K o n z e p t k o n k re te r S tru k tu re n und ta ts ä c h lic h e r E rs c h e in u n g s fo rm e n d e r p h y s i­ k a lis c h e n P h ä n o m e n e . So g ilt fo lg e n d e s : A u f d e r e in e n S e ite k ö n n e n die E rfa h ru n g s w e rte des o b je k tiv e n W isse n s sich als ü b e re in s tim m e n d m it den Id ee n e in e s a p rio ris c h e n g ru n d le g e n d e n K o n z e p ts e rw e is e n ; a u f d e r a n d e re n S e ite g ilt (w ie R ie m a n n a n g e re g t h a tte ), d a ß sic h d ie se s K o n z e p t d u rch die p h y s ik a lis c h e R e a litä t als w a h r e rw e is t. R ie m a n n h a tte tre ffe n d v e rm u te t, d aß d ie m e tris c h e F o rm d es R a u m e s a u f m ik ro s k o p is c h e m N iv e a u von den G e s e tz e n d e r p h y s ik a lis c h e n P h ä n o m e n e , d ie d a ra u s das S u b s tra k t b ild e n , a b h ä n g t u n d d a ß d e s h a lb

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das Ä n d e rn d e r W e rte d ie s e r M e trik v e rb u n d e n is t m it de r M ö g lic h k e it, die N a tu rd e rP h ä n o m e n e k e n n e n z u le rn e n .

In der R elativitätstheorie von E instein wird die geom etrische Form durch eine vierdim ensionale M annigfaltigkeit von R iem ann u nd M inkow ski gegeben. D ie R elativitätstheorie betont die G leichsetzung des "B einhalten­ den" m it dem "Inhalt": D ie M aterie w ird in dem M om ent nicht m ehr als im R aum befindlich betrachtet, wenn seine Eigenschaften in jed e m Punkt durch die D ichte der M aterie in diesem Punkt determ iniert sind. D ie G eom etrie und die Physik findet m an in dieser W eise so vereinigt, daß es unm öglich ist, den Raum , die R iem ann’sehe M annigfaltigkeit und die M aterie zu trennen.

Poincares und R iem anns Ü berlegungen führen zur grundlegenden U n­ terscheidung zw ischen dem geom etrischen R aum (m athem atisch determ i­ niert) und dem physikalischen Raum , der als eine konkrete R ealisierung des geom etrischen Raum es zu erfassen ist.

Die K lärung der B eziehungen zw ischen diesen beiden könnte eine w eitere Zielsetzung m einer A rbeit sein.

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D ieser Artikel ist als Ergebnis einer F orschungsaufenthalt in M ünchen entstanden. Für den A ufenthalt, der vom 1. Juli bis zum 31 O ktober 1986 dauerte, bedanke ich m ich besonders beim D eutschen A kadem ischen A us­ tauschdienst (D AA D) und bei Prof. M enso Folkerts, L eiter des Instituts für N aturw issenschaften der U niversität M ünchen, an der der A ufenthalt statt­ fand. Ein w eiterer Dank gilt Prof. Dr. M enso Folkerts und Prof. Ivo Schnei­ der, die m ir die M öglichkeit gaben, einige A spekte m einer U ntersuchung in ihren Sem inaren vorzutragen, und von denen ich nützliche A nregungen für m eine A rbeit erhielt. Z uletzt danke ich sehr herzlich H errn A lbrecht Hoff- m ann vom D eutschen M useum für seine M ühe, m einen Text zu korrigieren.

Résum é

Dans cet article, nous essayons d ’esquisser une prem ière analyse épisté- m ologique d ’un problèm e théorique im portant, surtout au X IX e siècle, à savoir, d ’une part, celui de la "constitution" de certains concepts géom étri­ ques fondam entaux et, d ’autre part, celui des rapports existant entre ces con­ cepts et le niveau de réalité représenté par les phénom ènes de la physique. En reconnaissant dans ce problèm e, selon son double aspect, la véritable "question épistém ologique" de tous les développem ents de la géom étrie au

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Die neuen geom etrischen Auffassungen 31 X IX e siècle, nous nous som m es proposé de considérer de plus près le rôle que le concept d ’"hypothèse" jo u e dans la pensée géom étrique de R iem ann, par exem ple, dans la création du concept de variété (M an nig faltig keit) not­ am m ent dans son m ém oire de 1854 Ueber die H ypothesen, w elche d e r G eo­

m etrie zugrunde liegen. Puis, nous donnons quelques élém ents nouveaux

perm ettant d ’interpréter le "conventionnalism e géom étrique" de P o incaré par rapport au problèm e susdit. On verra ainsi q u ’une analyse m ettan t en relation des conceptions géom étriques de R iem ann et de Poincaré révèle de points essentiels sur le plan historique et épistém ologique.

Sum m ary

In this article, I try sketch out an epistem ological analysis o f an im por­ tant theoretical problem , particularly in the nineteenth century, that is, on the one hand, the "form ation" o f certain fundam ental geom etrical concepts, on the other hand, the relationship betw een those concepts and the level o f reality represented by the phenom ena o f physics. W hile recognizing this problem , in its double aspect, as the real "epistem ological question" o f all the developm ents o f the geom etry in the nineteenth century, I propose to exam ine closely the part played by the concept o f "hypothesis" in the geo­ m etrical thought o f Riem ann, for instance in the creation o f the concept o f m anifold (M annigfaltigkeit), notably in his m em oir o f 1854 U eber die H y ­

pothesen, w elche der G eom etrie zugrunde liegen. Then I give som e new

elem ents w hich allow to interpret the "geom etrical conventionalism " o f P o in ­ caré in relation to the problem foresaid. T hus we will see that an analysis relating the geom etrical conceptions o f R iem ann and Poincaré reveals e s­ sential points on the historical and epistem ological poin t o f view .

Zusam m enfassung

D er folgende A ufsatz behandelt eine erste erkenntnistheoretische Analyse eines bedeutenden theoretischen Problem s, besonders des 19. Jah rh u n ­ derts: einerseits das Problem der "K onstitution" einiger gru ndlegender geom etrischer A uffassungen, andererseits das Problem der B eziehungen, das zw ischen den Begriffe und der W irklichkeitniveau, die durch p hy sikalische Phänom ene dargestellt ist, auftritt. A usgehend davon, daß dieses Problem , gem äß seiner beiden A spekte, die tatsächliche "epistem ologische Frage" aller Entw icklungen der G eom etrie im 19. Jahrhundert beinhaltet, w urde der Frage nach der Bedeutung, die das K onzept der "H ypothese" in dem geom etrischen D enken R iem anns einnahm , nachgegangen. So beispielsw eise in die E n tste­ hung des B egriffs der M annigfaltigkeit in seiner A rbeit von 1854 U eber die

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H ypothesen, welche der G eom etrie zugrunde liegen. D arüber hinaus werden

einige neue Elem ente eingeführt, die eine Interpretation der geom etrische K onventionalism us von Poincare in Bezug auf das obengenannte Problem erm öglichen. Im w eiteren zeigt eine A nalyse, in der die geom etrischen A uf­ fassungen R iem anns und Poincares in B eziehung gesetzt w erden, die w e­ sentlichen Punkte der historischen und epistem ologischen G ebiet auf.

An dieser Stelle m öchte ich an die ersten m athem atischen Arbeiten von Riemann erinnern. N achdem er am Lehrstuhl von G auß in Göttingen studiert hatte, legte er 1851, im Alter von 2 5 Jahren, sein e Inauguraldissertation „Grundlagen für ein e allgem eine Theorie der Functionen einer veränderlichen com plexen G röße” vor. Der grundlegende Gedanke dieser Theorie ist, daß m an bei der U ntersuchung einer Funktion von der Vari­ ablen „z” d iese durch eine a u s zwei Teilen b esteh en d en Größe „x = iy” ersetzt, a u f die man alle Operationen unter der Bedingung anw enden kann, daß i2 = -1 ist. Infolgedessen erhält m an alle bekannten Funktionen einer Variablen, ebenso w ie ihre sch o n beh an d elten Ei­ genschaften, und ein b esseres V erständnis als vorher, als m an diese M ethode noch nicht benutzte. S chon in dieser A bhandlung ersch ein t einer der A spekte, die die R iem ann'sche Sichtw eise der M athem atik charakterisieren und sich zum Beispiel von jen er von Weier­ straß untersheiden. D ieser A spekt berücksichtigt die Erfindung der geom etrisch en Kon­ struktionen und die E ntstehung der Geometrie im allgem einen.

Riemann beginnt, bei einer Funktion die kom plexen W erte der Form x + iy (wobei i =V^1) zu betrachten. E s seien x + yi u n d x + yl + dx + dyi zwei un en d lich w enig von der Größe z verschiedene Werte, w elchen die Werte u + vi und u = vi + du + dvi der Größe w entsprechen. Alsdann wird, w enn die Abhängigkeit der Größe w von z ein e willkürlich angenom m ene ist, das V erhältnis ^ j . sich mit den W erten von dx u n d dy ändern, indem u nter der Bedingung dx + dyi = £e<pi

du + dvi I / d u d v \ 1 / d v d u \ . 1 r d u d v ✓ d v d u \ -i dx - dyi

dx + dyi ~ 2 ^ d x + d y' + 2 ^ 5 7 cFjT ' ' + 2 ^ d x d y d x + d y dx + dyi

I t ö u d v \ 1 / d v d u \ l r d u d v / d v d u \ -i

= TA 2 ' d x d y 5— + 5 -7 + 2 d x 3--- 5—7 1+ d y 2 d x d y+ dx + S ~ ) * J edy ' J

wird. Der Wert d es Differentialquotienten ^ wird von dem besonderen Wert d es Differen­ tials dz unabhängig sein, a u f w elche Art au ch immer w als Funktion von z durch Verbin­ du n g einzelner Größenoperationen bestim m t wird. Offenbar kann also a u f d iesem Wege n ich t jede beliebige Abhängigkeit der kom plexen Größe w von der kom plexen Größe z ausgedrückt werden.

D as eben hervorgehobene Merkmal aller irgendwie durch G rößenoperationen bestim m ­ baren Funktionen werden wir für die folgende U ntersuchung zu G runde legen. Hier wird eine solche Funktion unabhängig von ihrem Ausdruck betrachtet, indem von folgender Definition ausgegangen wird, ohne jetzt d e sse n Allgem eingültigkeit und Zulänglichkeit für den Begriff einer durch Größenoperationen ausdrückbaren A bhängigkeit zu bew eisen: Eine veränderliche kom plexe Größe heißt eine Funktion einer anderen veränderlichen kom plexen Größe z, w enn sie mit ihr sich so ändert, daß der Wert d es Differentialquotienten u n ­ abhängig von dem Werte d es Differentials dz ist.

Sowohl die Größe z a ls die Größe w w erden als veränderliche Größen betrachtet, die jeden kom plexen Wert annehm en können. Die A uffassung ein er solchen Veränderlichkeit,

w elch e sich a u f ein zu sa m m en h ä n g en d es G ebiet von z w e i D im ensionen erstreckt, w ird w e ­ sentlich erleichert durch eine Anknüpfung an räumliche Anschauungen.

Man denke sich jed en Wert x + yi der Größe z, repräsentiert durch ein en Punkt 0 der Ebene A, d essen rechtw inklige Koordinaten x, y jeden Wert u = vi der Größe w durch einen Punkt Q der Ebene B, d essen rechtwinklige Koordinaten u, v sind. Eine jede Ab­ hängigkeit der Größe w von z wird sich dann darstellen a ls eine A bhängigkeit der Lage

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