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Wesen und Werk Alexander von Humboldts aus geowissenschaftlicher Sicht

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O R G A N O N 20/21 :1984/1985 LA P E N S É E G É O G R A P H IQ U E

Edgar Lehmann (DDR)

W ESEN U N D W ERK A L EX A N D ER VON H U M BO LD TS AUS G E O W ISSEN SC H A FTLIC H ER SICH T

Das Besinnen a u f Wesen und W erk eines der G roßen unter den Wissenschaft­ lern, Alexander von H um boldts, das diese Feierstunde regiert, soll, wie im Titel des Vortrages angedeutet, aus der geowissenschaftlicher Sicht unserer Zeit erfolgen. Steht eine solche verengende W ürdigung der gigantischen Lebensleistung H um boldts nicht von Anbeginn in W iderspruch zu einem der H auptgrundsätze der weltüber in den Vordergrund rückenden W issenschafts­ geschichte? Ist nicht jede biographische Bezogenheit zuvörderst A usdruck der prinzipiellen Zeit- und Gesellschaftsgebundenheit einer großen Persönlichkeit? Trifft dies nicht in besonderem Ausm aß für einen so bedeutenden Gelehrten wie Alexander von H um boldt zu, der das Sehen erdräum licher Phänom ene seiner Zeit stark beeinflußte, bis neue Einsichten a u f neuer gesellschaflicher Basis zu neuen Wissenschafts- und Problem konzeptionen führten? Vor allem, — ist nicht die D istanz unserer Welt- und W issensanschauung von der G edanken­ welt eines Alexander von H um boldt zu groß geworden, um zum Beispiel die Arbeitsfelder der m odernen Atom physik, der m odernen Biowissenschaften bis zu den elektronischen und biologischen Technologien in irgendeine Beziehung zu den Erdwissenschaften zu bringen, so wie H um boldt sie verstand?

Die Antwort au f diese Fragen ist aus unserer engstens praxisverbundenen Wissenschaftsentwicklung ableitbar. Sie befreit uns von jeglichem Zweifel an der Berechtigung, H um boldts Werk aus dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Geowissenschaften heraus zu würdigen. Ein Einwand läge nahe. Wir sind Zeugen, wie fast im G leichlauf m it den 35 Jahren, seit unsere Republik besteht, über die industriell führenden sozialistischen und kapitalistischen Staaten der Erde hin eine ganz neue Klasse von W issenschaften, wie die Kybernetik und Inform atik entstanden. Diese sind nicht wie die klassischen Naturwissenschaften unm ittelbar, sondern nur m ittelbar a u f die N atur gegründet.

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246 Edgar Lehm ann

läßt nun aber, vielleicht ganz unerw artet, die G rundorientierung, die H um boldt den Geowissenschaften seiner Zeit gab, in einem neuen hellen Licht erscheinen. U nd dies aus zwei G ründen. E r s te n s : H um boldts unm ittelbar im Angesicht der N atu r gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten haben in unserer Zeit hoher A bstraktion und Specialisierung eine große, schnell steigende Bedeutung gewonnen. H um boldts steter Blick a u f Zusamm enhänge einzelner Phänomene m it dem Globalen, Regionalen oder Lokalen kann der geowissenschaftlichen Forschung und Praxis unserer Zeit neue Impulse geben. Z w e ite n s : Bei aller gar nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung der Systemanalyse, der Inform atik und Kybernetik für die Entwicklung der m odernen Geowis- senchaften, die es ja sämtlich m it einer sehr großen Anzahl von variablen Elementen zu tun haben, werden heute die geowissenschatlichen Objekte in erhöhtem Ausm aß — und in einer fast überraschenden A nnäherung an die von H um boldt zwangsläufig angewendeten Autopsieverfahren — in ihrer N atu r­ wirklichkeit untersucht. Es sei nur a u f die unm ittelbaren Beobachtungen gewiesen, die die m oderne Satellitenerkundung und die m it ihr verbundene Verfeinerung der M aßm ethoden liefert (wir werden h ierauf noch kurz zurückkommen).

H U M B O L D T S K O N S T R U K T IO N V O N H Ö H E N P R O F IL E N

H um boldt beschritt, ganz aus dem Großen denkend und zugleich in strenger Bindung an die Beobachtung des Einzelnen, Wege, die später zu breiten H eerstraßen der Wissenschaft wurden. Ich ziele als Beispiel zunächst a u f die von H um boldt entwickelten Höhenprofile. Räumliche Profilreihen sind heute Elemente, um Typen des Reliefs durch m athem atische Flächenfunktionen zu gewinnen, wozu die Elektronische Daten-Verarbeitung, aber auch die Satelliten- -K artographie wesentliche Beiträge liefern. H um boldt legte den G rund zu dieser Entwicklung — aus einer ganz anderen W issenschaftssituation heraus. Zu Anfang des 19. Jh., als er seine Amerikareise vorbereitete, setzte er — in einer A rt topographischer Kurzschrift — auf G rund exakter Messungen Profilzeichnungen an die Stelle um ständlicher Beschreibungen — er, der das W ort so sicher beherrschte, daß seine Werke als künstlerisch wertvolle Literatur ernstgenommen werden müssen. Das Zeichnerische wird ihm zum Instrum ent des ordnenden Geistes. Örtliches messend in einen größeren Zusam ­ m enhang zu stellen, — das ist eines der Ziele Hum boldts.

In Spanien, wo er in M adrid m it großem diplomatischen Geschick die überraschende Genehm igung zum A ufenthalt in dem sonst Fremden weitgehend verschlossenen kolonialen Lateinam erika von K önig K arl IV. empfing, nutzte er seinen A ufenthalt zur großräum igen K onstruktionen von Höhenprofilen. K urz: H um boldts durch astronomisch-geographische Ortsbestimmungen und durch Autopsie gestützte Profile wurden Ausgangspunkt einer sich schnell entfaltenden, Vergleiche rechtfertigenden neuen Wissenschaft, der Orographie bzw. Orom etrie (Lautensach, 1964).

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Wesen und Werken A. von H um boldts 247

In seinem berühm ten Versuch über den politischen Zustand des Königreiches

Neu-Spanien (Hum boldt, 1809) sagt H um boldt: „Ich habe den Versuch gewagt,

ganze Länder nach einer M ethode darzustellen, welche bis jetzt nur für Bergwerke oder bei K analprojekten angewendet wurde.”

Der Bergbau entsprach in seiner Vielseitigkeit in geradezu idealer Weise H um boldts Begabung und weitem Interessent reis. H um boldt, der 1791 nach gezielter K onsultation berühm ter Wissenschaftler zum Abschluß seiner Studien an die Bergakademie Freiberg ging, hat praktisch vor O rt gearbeitet; zugleich Kollegs bei dem Geologen A braham G ottlob W erner besucht. Aber bei allem Engagement als international schnell bekannt gewordener Berg- und Hüttenfachm ann, der die Förderung der Gruben (in den Herzogtüm ern Ansbach und Bayreuth) m itunter um ein Vielfaches zu steigern vermochte, — bei allem guten Ruf, der auch in der Hoffnung des spanischen Hofes mitschwang, daß er durch seine Ratschläge die Erträge des Silberbergbaus, besonders Mexikos, erhöhen könne, bei all dieser bergbaulichen Tätigkeit hat sich H um boldt in der Zeit vor A ntritt seiner Amerikareise durchaus sehr verschiedenen anderen Spezialproblemen zugewandt. Als repräsentative Bei­

spiele seien seine Versuche über die gereizte M uskel- und Nervenfaser oder seine A bhandlung Uber die grüne Farbe der unterridischen Vegetation

herausgegriffen, die ihm hohe Anerkennung von führenden Gelehrten der seinerzeitigen geistigen M etropole Paris, aber auch deutscher angesehener akademischer K örperschaften wie der „L eopoldina” eintrugen, deren Mitglied er schon als junger Mann wurde. H um boldt war „fähig zu jeder Spezialisierung” (Plewe, 1965). Professor Biermann, der höchst verdienstvolle Leiter der Hum boldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der D D R , hat in seiner prägnanten Biographie über Alexander von H um boldt die „unge­ heure Belesenheit” des jungen H um boldt hervorgehoben, seine Begeisterungs- fahigkeit für alles Neue unterstrichen sowie seine oft gerühm te Fähigkeit betont, Kom binationen zwischen scheinbar unabhängigen Phänom enen durch­ zuführen. Was sich aber vor allem schon in den bewegten Lehr- und Praxisjahren H um boldts im Rahm en eines eignen, höchst souverän angelegten persönlichen Studienplanes zur umfassenden eigenen Bildung und Ausbildung in wohl einzigartier Weise zu erkennen gibt, das ist ein Wesenszug, der später, als er über den reichen Erfahrungsschatz seiner Amerikareise verfügte, immer schärfer zum A usdruck kom m t und ihm über seine großen wis­ senschaftlichen Leistungen hinaus das geistige, tief in unsere Zeit wirkende Profil gibt: seine Progressivität, sein Hum anism us!

H U M B O L D T A L S P R O G R E S S IV E R H U M A N IS T

H um boldt hat sich nie einem politischen oder philosophischen System verschrieben. Er hat nie einen Zustand angestrebt, der wiederhergestellt werden soll oder ein Ideal anerkannt, nach dem m an sich zu richten habe. Als Progressiver im wahrsten Sinne stand er stets m itten in der wirklichen

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Bewegung der Wissenschaften und der K ultur. Er empfangt starke K raft besonders aus den Erfahrungen und Erlebnissen seiner Amerikareise. Sie reifen in ihm zur Aufforderung, der U nterdrückung lateinamerikanischer Völker wie jeder rassischen Diskrim inierung den K am pf anzusagen. H um boldt deckt schonungslos die schwere Schuld von Sklaverei und Kolonialismus au f und zieht sich, fast autom atisch, von konservativer Seite schnell den R u f als linker Abtrünniger, als roter Baron zu. In dem 125. Jah r des Gedenkens an seinen Tod sei auch nicht übersehen, daß nicht n ur die Intensität seiner wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen, sondern auch ihre Extensität, ihre W irkung a u f breite Bevölkerungsschichten außeror­ dentlich war. Tausende Berliner gaben ihm, der durch sein weitverbreitetes Werk Kosmos, durch seine öffentlichen Vorträge in der Singakademie zu Berlin und durch seine H altung im Sturm jahr 1848 bekannt war, zu einem Begräbnis das letzte Geleit — viel m ehr als jedem anderen berühm ten Zeitgenos­ sen. Er stieß bis an die Frontlinien der Wissenschaft und des Fortschritts vor, — dorthin, wo das gesellschaftlich Erkannte in Taten Umschlägen kann. Aber er war kein Revolutionär. Seine politischen A ktivitäten beschränkten sich auf die nachhaltige Förderung hervorragender, meist fortschrittlicher Persönlich­ keiten und auf das Gebiet der Diplom atie, das er im Dienst des preußischen Königs m it offenkundigem Erfolg versah. In der kritischen Aufarbeitung der fast unübersehbaren Literatur über H um boldt wie seiner eigenen Werke, Schriften und Briefe, die in der H um boldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der D D R ihr weit über die Grenzen unseres Staates wirkendes Zentrum haben, besteht kein Zweifel, daß H um boldt, dieser große Beobachter, eindeutig im Spannungsfeld zwischen Konservatism us und Fortschritt auf der Seite des Fortschritts steht. Im Blick auf die notwendige Vertiefung des Geschichtsbewußtseins sagte K urt Hager, — und das wirft Licht auch au f diese Festveranstaltung zu Ehren H um boldts: „Die D D R steht in der K ontinuitätslinie alles Progressiven, Humanistischen, Revolutio­ nierenden früherer deutscher Geschichte.”

Bemerkenswert ist, wie H um boldt im dritten Jahrzehnt seines Lebens, also vor seiner Amerikareise, die er mit 30 Jahren antritt, den Stoff, den ihm seine immer höchst wachsame N aturanschauung und seine Experim entierfreu­ digkeit zum N achdenken boten, verarbeitete. Nicht, wie so oft in diesem Lebensabschnitt bedeutender Menschen, führen die Ideen, die ihm a u f den verschiedensten Gebieten erwuchsen, zu Unsicherheiten bei der Gewinnung eines eigenen festen Standpunktes. Aber einige Schriften des jungen Hum boldt halten der Kritik führender Fachwissenschaftler nicht in allen Punkten stand. Auch waren seine Reise- und Forschungsträum e ursprünglich vielmehr auf Asien als auf Am erika gerichtet. Seine innere Beständigkeit indessen, eine Folge seiner als D iplom at später viele Male bewiesenen richtig wertenden U rteilskraft, läßt ihn zugreifen, wo ihm die äußere Sachlage eine Chance bietet. Als H um boldt drei Jahrzehnte später, auf seiner „Asienreise”, tief beeindruckt von dem riesigen Rußland und den Aufgaben, vor die er es in

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Zukunft gestellt sah, seinen 60. G eburtstag feierte, rechnete er diesen Tag, wie er seinem Bruder Wilhelm schrieb, „zu einem der größten seines Lebens”. Das ist gewiß keine spontane Augenblicksäußerung. Viele Linien seines W irkens führten auf diesen P unkt zu, aus dem die Idee seines Lebens, H um anität durch Wissenschaft zu fördern, ungebrochen und unerschütterbar nun in gereifter Stetigkeit hervor leuchtet. Aus dem unruhigen, rastlosen H um boldt der Zeit vor seiner Amerikareise war der begehrte, m it großen Ehren bedachte Besucher eines Landes geworden, in dem seine Erkenntnisse und Erfahrungen ihren bestimmten Platz und ihren bestimm ten W ert längst erhalten hatten und bis in vie Gegenwert hineinwirken.

H U M B O L D T S IS O T H E R M E N K A R T E

W as H um boldt von seiner fünfjährigen Amerikareise als ein m it einem Schlage weltberühmt gewordener Forschungsreisender 1804 heim brachte, war die alle seine späteren Arbeiten übergreifende und die gesamte erdwissen­ schaftliche Erkundungsforschung, auch die Asienreise prägende Verbindung des Lokalen m it dem Globalen. Das Fundam ent aber, a u f dem die Einfügung des empirisch erfaßten Einzelnen in Gesamtkom plexe sich vollziehen muß, wird ehedem wie heute von exakt gemessenen bzw. beobachteten D aten gebildet. Es kennzeichnet die Weitsicht, um nicht zu sagen die M odernität von H um boldts Verfahrensweise, daß er vor A ntritt seiner Reise in Paris, dem seinerzeitigen Zentrum des wissenschaftlichen G erätebaus, 40 dem technischen H öchststand entsprechende Instrum ente erwarb!

Das kreative Umsetzen von D aten bzw. von Beobachtungstatsachen in anschauliche graphische Form en wird zum Signum vieler A rbeiten Hum boldts. Ein bekanntes, ja berühm t gewordenes Beispiel ist sein Physikalisches

Gemälde der Aequinoktialländer, das er unter dem frischen Eindruck der

Besteigung des 6310 m hohen Chim borasso bis zu einer Höhe von 5759 m (nach G. Pfeiffer bis 5881 m) geschaffen hatte. G anz anders als es der rom antisierend verklärende Titel erwarten läßt, handelt es sich um den wissenschaftlichen Entw urf einer neu gesehenen, nach Inhalt und Form begrifflich zur Synthese gebrachten „A bbildung” einer Auswahl von Elementen aus der geographischen Wirklichkeit. Dieses thematische Höhenprofil spiegelt in idealisierter Weise die den Indianern und Spaniern schon längst vor H um boldt vertraute Gliederung in die bekannten Vegetations- und Klimastufen von 10 G rad nördlicher bis 10 G rad südlicher Breite wider. Es wird in dieser Ideenskizze die Eigengesetzlichkeit angedeutet, denen die N atur- und A nbauphänom ene in den Zentralenden unterliegen. Sorgfältig sind in der genau fixierten Höhenlage die pflanzlichen Organismen m it ihren A rt- und G attungsnam en in das um der Kernidee willen fast grotesk vereinfachte G edankenbild gesetzt. Nicht weniger bezeichnend für H um boldts am G lobalen orientierte, auf das Einzelne bezogene Denk- und Verfahrensweise ist seine 1807 erschienene kartographische Darstellung der Tem peraturverteilung durch Isotherm en (Humboldt, 1817).

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H um boldt vereinigte schwierig zu überschauende Tem peraturwerte in einer Zeichnung, die überdies wissenschaftshistorisch als eines der ersten Beispiele für den Einsatz thematischer K arten als Forschungsmittel angesehen werden kann. Hum boldts meisterlicher Zugriff zur kartographischen M ethode legt ihn in bewußt physikalischer Denkweise auf den zunächst einseitig zu beobach­ tenden Gegenstand, die Tem peratur, fest. Es gelingt ihm, eine prinzipielle graphische Lösung des Problems zu finden, nachdem er aus der kritischen Durchsicht tabellarisch zusammengefaßter Beobachtungsworte sich klare Vorstellungen über die wirklichen, von der Strahlung keinesfalls allein abhängigen Tem peraturverhältnisse gebildet hatte. Die Isotherm enkarte sollte noch wiele Verbesserungen und Ergänzungen bis in unsere Gegenwart erfahren. Was von dieser, recht einfachen, wiederum mehr einer Gedankenskizze als einer K arte ähnlichen Darstellung blieb, das ist das Prinzip ihres Entwurfs. Wenn H um boldt (1817) im Kosmos vorsichtig bemerkt, er habe mit seinen U ntersuchungen über die Isotherm en „eine der H auptgrundlagen der vergleichenden Klimatologie geschaffen”, so kann das aus heutiger geowissenschaftlicher Sicht bestätigt werden, wenn auch an die Stelle des H um boldt’schen Entwurfs heute Isotherm enkarten getreten sind, die für die gesamte Erdoberfläche a u f G rund numerischer Simulation in einem modernen dynamischen Modell der allgemeinen Zirkulation der A tm osphäre und des Ozeans sehr genaue, komplexe Aussagen vermitteln (Bernhardt, 1978).

Z U H U M B O L D T S E R D M A G N E T IS C H E N U N T E R S U C H U N G E N

H um boldts Isotherm enkarte ist der großen Zahl von K arten zuzuordnen, die durch Linien gleicher W ertigkeit, die Isotherm en (Horn, 1959), die Heraushebung von Intensitätsstufen zum Inhalt haben. H um boldt wurde neben Carl Ritter durch den zielbewußten, systematischen Einsatz von Isarithm en zum bedeutendsten Förderer der thematischen K artographie, die nach einer ersten, bald aber wieder abklingenden K ulm ination in dem von H um boldt angeregten und tatkräftig geförderten Physikalischen Atlas von Herm ann Berghaus erst in unserem Jahrhundert, vor allem aber nach dem 2. W eltkrieg zu voller Entfaltung gelangte. Der Physikalische Atlas, der von G erhard Engelmann wie überhaupt das kartographische W irken von Berghaus eine nach den Quellen erarbeitete m onographische Würdigung erführ, ist der erste geglückte großangelegte Versuch, globale, naturräum lich wirksame Fak­ toren in die Sicht zu stellen. Es gelingt Berghaus, au f der Basis der seinerzeit noch sehr dürftigen Datengrundlage, Intentionen Hum boldts in K arten vorwiegend elementar-analytischen Charakters umzusetzen. U nd so findet auch das nie nachlassende Interesse H um boldts an erdmagnetischen Fragen in einer entsprechenden K arte von Berghaus’ Physikalischem Atlas einen sinnfälligen Ausdruck. Kein Geringerer als Carl Friedrich Gauss, der a u f G rund verbes­ serter Beobachtungsmethoden 1837 seine berühm t gewordene Theorie des Erdmagnetismus aufstellen konnte, sprach mit großer A nerkennung von

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Hum boldts selbständigen grundlegenden A rbeiten und seiner tatkräftigen Aufstellung eines kleinen internationalen geomagnetischen Beobachtungsnetzes. Die wissenschaftsorganisatorischen Leistungen Hum boldts a u f den verschie­ densten Gebieten der Geowissenschaften sind überhaupt ein besonderes R uhm esblatt seiner bis heute nachwirkenden Beiträge zum nationalen und internationalen W issenschaftsfortschritt.

H U M B O L D T S P F L A N Z E N G E O G R A P H IS C H E U N D P F L A N Z E N P H Y S IO G N O M IS C H E A R B E IT E N

Bereits vor A n tritt seiner Amerikareise hatte H um boldt ein Phänom en an die Spitze seiner G rundfragen an die N atur gestellt, das ihm — ähnlich wie seine erdmagnetischen Arbeiten — zunächst aus rein wissenschaftlichem Erkenntnisstreben, aber auch wegen seiner in steigendem M aße wirtschaftlichen Bedeutung erklärungsbedürftig erschien. Es ist die Frage nach den N a tu r­ gesetzlichkeiten, denen bestimmte, m iteinander in wechselseitiger V erbunden­ heit stehende Sachverhalte, wie die Pflanzenwelt und das Klima, unterworfen sind. Georg Förster, J. P. Tournfort und andere Naturwissenschaftler, vor allem Giraud-Soulavis, hatten Gedanken entwickelt, die nahe an H um boldts K onzeption einer Pflanzengeographie heranführten. Dennoch ist H um boldt, nicht Soulavis (Ramakers, 1976) in die Wissenschaftsgeschichte als Begründer dieser Disziplin eingegangen. Es ist nur ein kleiner, für H um boldt sehr charakteristischer Schritt, der ihn stärker als Soulavie den Blickpunkt vom Lokalen und Regionalen als bleibender, unabdingbarer Ausgangsbasis auf große, quantitativ und qualitativ abzusichernde Zusam m enhänge richten läßt. Überdies wirkt in H um boldts pflanzengeographischen und pflanzenphysiogno- mischen Arbeiten, auch im Stil der Darstellung, als starke treibende K raft sein anschauendes Denken mit, das mit G oethes schlichter gegenständlicher Lebensanschauung tief harm onisierte! Beide, der um 20 Jahre ältere Goethe und Hum boldt, waren ja seit der ersten Begegnung in Jena im Jahre 1794 freundschaftlich in kongenialem, wissenschaftlichen G edankenaustausch ver­ bunden! Bei der Auswertung der peinlich genau in seinen Reisetagebüchern fixierten, riesigen Menge von Einzelheiten findet H um boldt die dem Spezialisten nicht selten verdeckten Linien heraus, die Zusamm enhänge erschließen. Diese O ptik H um boldts, die durch die Weite der G esichtspunkte und ihre U nm it­ telbarkeit noch effektiver wird, befähigte ihn zu einer Klimadefinition, die noch heute, sofern in sie nach einem Vorschlag Professor Bernhards auch die H ochatm osphäre und der erdnahe interplanetare Raum einbezogen wird, zu den klarsten und umfassendsten Form ulierungen gehört, die es in der langen Reihe von Um schreibungen dieser A rt gab. Das Geheimnis einer solchen, bis in unsere Zeit wirksamen Lebensfähigkeit von H um boldts Klimabegriff liegt in seiner streng physikalischen Definition, aber zugleich in seiner Kom binationsfähigkeit m it nicht-klimatischen, z.B. biophysischen und geophysischen Faktoren. Eine K arte über die Klimagliederung in Atlas D D R

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von Wolfgang Boer und G erhard Schmidt zeigt beispielhaft, wie im Sinne H um boldts nach übergeordneten Gesichtspunkten empirisch erfaßte, nicht- -meteorologische Beobachtungstatsachen berücksichtigt werden müssen, wenn das Ergebnis natur- und gesellschaftsgesetzlicher Verteilungsfaktoren wirklich­ keitsgetreu in das Blickfeld gestellt werden soll.

D IE G E O W IS S E N S C H A F T L IC H E A K T U A L IT Ä T V O N H U M B O L D T S L E B E N S W E R K

Wie auch hieraus ersichtlich ist, springt aus H um boldts W erk reicher Stoff für heutige K om m entatoren wie für Erklärer seiner Zeit, zum Beispiel Bernhard C otta (1850), einen bekannten Geognosten, der ein 3-bändiges Erläuterungswerk zu H um boldts Kosmos veröffentlichte. Nicht selten wird H um boldt als letzter Vertreter der Aufklärungszeit gewürdigt. Hum boldt sei Universalist gewesen. M an las in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun­ derts bis in unsere Zeit hinein, über den Kern von H um boldts — und übrigens auch K ants — erdwissenschaftlichen Auffassungen hinweg. Man schätzte den synthetischen C harakter seiner Arbeitsweise gering ein, man setzte den vermeintlichen universalistischen Aspekt m it bloßer Erdbeschreibung gleich. H um boldt schenkte nach der R ückkehr von seiner Amerikareise (1804) seinen Zeitgenossen zwar nicht, wie ein halbes Jahrhundert später, in seinem Todesjahr (1859), Darwin, eine grundstürzende neue Lehre. Aber sein unvollendet gebliebenes, in französischer Sprache abgefaßtes großes Werk

Reise in die Aequinaktialgegenden des Neuen Kontinents mit 9000 Textseiten

und 1425 Kupfertafeln (meist Pflanzenarten darstellend) blieb — zusammen m it seinem Kosmos — der feste H intergrund, aus dem heraus er immerhin eine neue geowissenschaftliche Vorstellungs- und Denkweise schuf.

Alle Zeugnisse seines Wirkens einschließlich des umfänglichen, menschlich wie sachlich so aufschlußreichen Briefwechsels H um boldts m it einer großen Zahl berühm ter Zeitgenossen lassen das Bild eines Gesamtwirkens entstehen, das über die inzwischen erfolgten gewaltigen Problem wandlungen hinweg — eine überraschende Analogie zwischen der Forschungsm otivation H um boldts und dem Trend der m odernen geographisch-geowissenschaftlichen Fachrichtungen widerspiegelt.

H um boldts Beobachtungen und Messungen, etwa die schnell populär gewordene K lärung der schon vor ihm bekannten Bifurkation des Cassiquiare, seine Forschungs- und Sammelarbeiten beim Aufstieg au f verschiedene Andengipfel, insbesondere den Chim borasso, die bedeutsamen Pflanzenbeo­ bachtungen des passionierten Botanikers, seine klimatischen, geologischen, vulkanologischen ebenso wie seine siedlungs-, wirtschafts- und sozialgeo­ graphischen Studien in Mexiko und K uba hätten nie zu der durch Hum boldt selbst bewirkten Eröffnung ganzer neuer Forschungsrichtungen führen können wie auch zu seiner mutigen Bekämpfung des Kolonialsystems m it Sklaverei und M onopolismus, wenn er nicht sein riesiges spezielles Beobachtungsma­

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terial als mächtige, nie verstummende A ufforderung angesehen hätte, seine Ideen in einer den G rundgedanken K ants nahestehenden Weise in allgemeine Begriffe, zugleich aber in leicht eingängige anschauliche Vorstellungen umzusetzen. Im Rückblick d a rf gesagt werden: H um boldt war der erste Geowissenschaftler im heutigen Sinne — wie Akadem iker Gerassimov mit Recht betonte, wenn er sich auch aus dem Wissensstand seiner Zeit heraus noch auf die H erausarbeitung wesentlicher elem entarer Züge beschränken mußte.

H um boldt blieb dem Einzelnen, dem Analytischen wie der Synthese gleichermaßen verhaftet. Heute gewinnt die unvergleichliche Individualität der H um boldt’schen Lebensleistung, die schon vor seinem Tode zwischen die Fronten der sich mächtig entfaltenden Einzeldisziplinen gedrängt war, wegen ihres Trends zur Synthese und ihres integrativen C harakters eine neue A ktualität. Geowissenschaftliche U ntersuchungen müssen heute im richtigen Verhältnis zu H um boldts weit gestecktem Ziel einer Verbindung von empirischer spezieller Forschung m it der ganzen Breite integrativer Zusam ­ menfassung und Zusamm enhänge gesehen werden. Eine der wesentlichen Anregungen, die aus H um boldts Wesen und W erk gezogen werden können, liegt in der Beachtung der N ahtstellen — etwa zwischen geoökologischen und ökonomisch-geographischen Untersuchungen, wo die naturwissenschaft­ lichen und gesellschaftswissenschaftlichen Kenntnisse zum Vorteil der Verbes­ serung der optim alen natürlichen Flächennutzung und landeskulturellen G estaltung erarbeitet werden müssen. Viele geowissenschaftliche Phänom ene lassen sich nicht au f einige wenige fundam entale Vorgänge reduzieren, wie sie etwa in der M olekularbiologie oder der Elementarteilchenphysik im Zentrum stehen, während der verbleibende Rest — als aus ihnen ableitbar — gleichsam an den R and gedrängt wird. H um boldt wußte um solche real existierenden inneren Grenzen der W issenschaft! Er lockerte sie a u f oder ging über sie hinaus. D as wird deutlich, wenn wir aus H um boldts A rbeits­ und Denkweise folgende behutsam herausstellen: H um boldt, der den erst später von Ernst Haeckel geprägten Begriff Ökologie vorwegnahm, konnte sich noch nicht wie die m oderne Landschaftsforschung der H erausarbeitung von erdräumlichen flächenhaften Einheiten zuwenden. H um boldt beobachtete das Verhalten elem entarer Einzelzüge der Landesentwicklung in ihrer physio- gnomischen und physiologischen Bedeutung. Die hervorragenden Ergebnisse der modernen Geoökologie und Geoökonom ie, die sich a u f diffizil unter­ suchte Flächeneinheiten stützen, lassen sich jedoch mit der H um b o ld t’schen M ethodik der Elementaranalysen für größere Räum e kombinieren, ja sie fordern hierzu geradezu heraus.

Die real existierenden Verkörperungen integrierter physischer und öko­ nomischer Sachverhalte, wie sie sich in Fernerkundungsbildern abzeichnen, erschließen die Grundlagen für Einsichten, die H um boldt durch seine Prinzipien einer Zusammenschau dom inanter Elemente der N atur und K ultur erstrebte. D er Schlüssel zur Interpretation von Bildern der Fernerkundung liegt in

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der Herausfindung korrelationsbildender Faktoren sowie der Prozeße der Gesellschaft, die sich im jeweiligen, von der K am era erfaßten räumlichen Bedingungsfeld bzw. in dem widergespiegelten räumlichen Verteilungsmuster vollziehen (Herz, 1983). Die international sehr beachtete, in verschiedenen Ländern aufgegriffene, in der D D R entwickelte Forschungsm ethodik der naturräum lichen O rdnung, der N aturraum potentiale und ihrer Nutzungs­ eignung — insbesondere durch G ünter Haase und H ans Richter — vermag hierzu eine wissenschafts-theoretisch eindrucksvolle Beweiskette aufzulegen. Professor Rudi K rönert, Institut für Geographie und Geoökologie der AdW der D D R , m achte jüngst im vergleichenden Blick a u f die territorialbezogenen Ergebnisse geoökologischer und geoökonomischer Untersuchungen darauf aufmerksam, daß sich bei der Interpretation von Satelliten-Erkundungen, wie er formulierte „natürlich-technische Einheiten” erkennen lassen, die bisher durch die M anschen der angewandten ökologischen M ethoden fielen. Diese neue Q ualität der Anschauung, die bei der Luft- und Satellitenbild-Aus­ wertung gewonnen wurde, führt unm ittelbar zu einer überraschenden Analogie zwischen der Forschungsm otivation H um boldts und den m odernen Geowis­ senschaften, insbesondere der Geographie. Alle Versuche H um boldts, geowis- senschaftliche Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, begegnen sich m it dem durch die Fernerkundung m ächtig vorangetreibenen Bestreben, Ursächlichkeiten und Beziehungen zwischen N atur und Gesellschaft in lokalen, regionalen oder globalen Tatsachen verbänden aufzuweisen und somit der praktischen Anwen­ dung geowissenschaftlicher Erkenntnisse eine feste Basis zu geben.

N och diffiziler und noch exakter also als selbst aus den besten zur Zeit zur Verfügung stehenden them atischen K arten im mittleren M aßstab, wie sie im Atlas DDR vorliegen, können die Angriffsflächen der Technologien durch die Interpretation von Fernerkundungsbildem erkannt werden. Die große Reichweite der Fernerkundung und die immer präziser werdenden M ethoden ihrer Auswertung führen an die sonst schwer überschaubare Wirklichkeit größerer Räume in einer Weise heran, die gewiß kühnste Vorstellungen Hum ­

boldts weit überstiegen hätte. D er große Schritt nach vorn besteht aber — wie zu H um boldts Zeit — in dem unm ittelbaren Zugriff zu den Objekten bzw. ihren M erkm alen, die aber heute in abstrakte Abbildungsformen, z.B. Geoökosysteme umgewandelt werden können. D urch die Bindung an die von der K am era (etwa der M ultispektralkam era) aufgenommenen Objekte wird überdies die Bedeutung und Funktion der geographischen Lage als K orrektiv jeglicher abstrakter Abbildungsformen deutlich sichtbar. Hier liegt die tiefere Begründung für Hum boldts erwähnte Beiträge zur thematischen K artographie — nicht zuletzt dafür, daß er einem Versuch über das König­

reich Neu-Spanien einen ganzen Atlas beifügte. Erst durch die au f den

K arten eindeutig festgelegte geographische Lage erhalten ja die verschiedensten Sachverhalte ihren einmaligen, höchst individuellen, von M odellen und Systemen nicht zureichend zu erfassenden C harakter. H um boldt greift aus dem Sichtbarem Elemente heraus, die heute durch die Satellitenerkundung in feinster Ziselierung in die Ebene visionärer Schau gerückt werden. Das

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Wesen und Werken A . von H um boldts 255

Problem des Zusamm enhangs der zu analysierenden Einzelerscheinungen steht ihm, dem Erkennen durch gegenständliche A nschauung sein eigenes Lebens­ gesetz vorschrieb, dennoch über den Objekten. Das aber ist der kardinale Punkt, in dem geowissenschaftlich-geographischen A rbeiten unserer Zeit aus Hum boldts Arbeits- und Denkweise mannigfache Anregungen ziehen können. Die sich scheinbar ausschließenden Forschungsm ethoden, der a u f allgemeine geowissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten gerichtete Aspekt und der a u f das Besondere gerichtete Aspekt, der das Allgemeine dort weiter zu verfolgen sucht, wo es sich in ein gebrochen Kom pliziertes abzuwandeln beginnt, diese beiden Blickrichtungen schließen sich nicht aus. Sie stehen in einem fruchtbaren Ergänzungs- und Spannungsverhältnis zueinander. Die neuen Fel­ der des Sehens zwingen uns, die globale Welt und die unm ittelbare nahe Umwelt als ein Ganzes zu begreifen, — wie H um boldt es aus seiner Wissenschafts- und W eltsituation heraus tat. Ein neuer Blick für die Werte der Technik, für einen positiven Trend ihrer im sozialistischen Staat steuerbaren Entwicklung ist zwangsläufig mit neuen wissenschaftlichen Problemstellungen verbunden. Es ist eine offene Frage, wie und wo die Angriffsflächen der Technik in R aum und Zeit sich auswirken werden. Es ist aber eines gewiß: auf die erfolgreiche Beherrschung der großen Veränderungen in der soziali­ stischen Flächennutzung durch Industrie und Bevölkerung, a u f die Erforschung der optim alen Form en und Bedingungen des sich ständig ändernden Gleich­ gewichtes zwischen Mensch und Umwelt, überhaupt a u f die N utzung raum ge­ bundener Objekte, insbesondere der natürlichen Ressourcen, kann sich H um boldts Arbeits- und Denkweise ungemein förderlich auswirken!

S C H L U ß

H um boldt kann nicht am Einzelwerk gemessen werden, sondern nur am Ganzen, das er schuf. Das schränkt nicht die Bedeutung seiner Einzel­ leistungen ein. H um boldts Hauptwerke und H auptschriften enthüllen sich in ihrer gegenseitigen Ergänzung als ein einziger großer Wurf. Wir können aus ihnen mannigfache Anregungen für die innere Verbindung der verschieden­ sten N atur- und Gesellschaftserscheinungen unter einem einheitlichen Gesichts­ punkt schöpfen.

Darwin setztein seinem, in Hum boldts Todesjahr erschienenen H auptw erk

On the origin o f species by means o f natural selection ganz im H um boldt’sehen

Sinne den Akzent au f die einheitliche Auffassung der gesamten Lebenswelt und ihrer globalen Verbreitung. Zugleich aber wird der Spezialforschung in allen Wissenschaften das T or weit geöffnet. D urch die technische Anwendung naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse wurde schließlich ein Entwick­ lungsschub ausgelöst, der besonders in den letzten 3 Jahrzehnten unseres Jahrhunderts ein vorher nicht erreichtes Ausm aß annahm.

Die marxistisch-philosophische Forschung, die Akademiemitglied H örz vom erkenntnistheoretischen Standpunkt au f ihr Verhältnis zur Naturwissenschaft als einen ihrer Schwerpunkte untersuchte, dringt konsequent auf eine höhere

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256 Edgar Lehm ann

Q ualität der interdisziplinären Zusam m enarbeit in den N atur- und Gesellschafts­ wissenschaften. H um boldt beschreibt die geowissenschaftlichen und kosmischen Phänom ene als Gesamtkomplex, in den er sogar die Skizzierung der Kunstentwicklung von den klassisch-antiken Zeiten bis zu seiner Gegenwart einschließt. Es geht H um boldt um die Erfassung der dialektischen Einheit geowissenschaftlicher Strukturen und menschlichen Denkens über das Ganze des Kosmos. Seine Arbeiten zielen a u f eine neue Q ualität im geowissen- schatlichen Denken seiner Zeit.

H um boldt, der Empirist, wird heute, etwas zugespitzt gesagt, zum H erausforderer der m odernen Geowissenschaften, die, wissenschaftsgeschich­ tlich betrachtet, ihren Auftrieb, zum erheblichen Anteil sogar ihre Entstehung der Auflösung dessen verdanken, was sich in den N atur- und K ulturlandschaften als einheitliche, in sich vielfältige Komplexe abzeichnet. Die M odernität von Hum boldts Wesen und Werk liegt in unserer Zeit an jener Stelle seiner Denk- und Handlungsweise, die kontinuierlich auf den gesellschaftlichen Fortschritt durch die Erkenntnis natürlicher und gesellschaftlicher Zusam ­ m enhänge gerichtet ist. H um boldt weiß, daß die von ihm oft vor Augen geführten „T otalitäten” definitiv nicht als Ganzes zu erfassen sind. E r peilt sie daher unter verschiedenen Aspekten an. M an kann H um boldts Hauptwerke und H auptschriften als das Bemühen auffassen, die durch die notwendige Spezialisierung der W issenschaften gefährdete Erkenntnis der Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren. Sein Kosmos, seine Ansichten der Natur, sein Versuch über Neu-Spanien — sie ergänzen sich kom positorisch zur Erfassung jener totalen Wirklichkeit, der wir uns heute, nicht’ zuletzt auf der G rundlage der Satellitenbildtypen, wieder nähern, und zwar — a u f dem H intergrund von H um boldts Grundanliegen, H um anität durch Wissenschaft zu steigern.

L IT E R A T U R

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