• Nie Znaleziono Wyników

„...des wart dâ vil gelachet”. Überlegungen zur transgressiven Qualität des Lachens in Texten des Mittelalters

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "„...des wart dâ vil gelachet”. Überlegungen zur transgressiven Qualität des Lachens in Texten des Mittelalters"

Copied!
35
0
0

Pełen tekst

(1)

CIYITAS MENTIS

Tom 1

pod redakcją

Z B IG N IE W A K A D Ł U B K A i

T A D E U S Z A S Ł A W K A

Wydawnictwo Uniwersytetu Śląskiego Katowice 2005

(2)

JOHANNES KANDLER

Ludwig-Maximilians-Universitat, Munchen

„...des wart da vil gelachet“

Uberlegungen zur transgressiven

Qualitat des Lachens in Texten des Mittelalters

Gelacht wird im Zusammenhang mit der Dichtung des Mittelalters hauflg, sei es in der Erzahlung selbst, sei es iiber das Erzahlte. Es scheint naheliegend, daD Erzahlweise, Thematik und Charaktere des mittelhochdeutschen Mare besonders geeignet sind, das Lachen beim Leser oder Hórer zu provozieren.

DaB auch in anderen Erzahlwerken des Mittelalters kraftig gelacht wird (und werden darf)1, zeigt deutlich den gattungsunabhangige Stellenwert des La­

chens2. Tatsachlich kann sich der heutige Leser (der Verfasser eingeschlossen)

1 Zum Lachen in der mittelalterlichen Literatur vgl. K.R. K r e m er: Das Lachen in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters. Bonn 1961; D. P e i l : Die Gebarde bei Chretien, Hartmann und Wolfram. Erec - Iwein - Parzival. Munchen 1975 ( = Medium Aevum, Bd. 28). Fur die geistlićhen Spiele hat dies am Beispiel des Ludus Danielis nachdrućklich betont M. F a s s 1 e r:

The Feast o f Fools and Danielis Ludus: Popular Tradition in a medieval Cathedral Play. In:

Plainsong in the Age o f Polyphony. Ed. by Th.F. K e l l y . Cambridge 1992 ( = Cambridge Studies in Performance Practice, 2), S. 65-100. Im Bereich der altfranzósischen Dichtung, insbesondere der Fabliaux-Forschung, befassen sich die Arbeiten von J. B e d i e r : Les Fabliaux. Etudes de Litterature populaire et d' histoire litteraire du moyen Age. Paris 1969, und P. M e n a r d : Les fabliawc. Contes a rire du Moyen Age. Paris 1983, mit diesem Thema. Am pragnantesten formu- liert dies J. B e d i e r : Les fabliawc sont des contes d rire en vers. Paris 1969, S. 30; vgl. hierzu auch J.-C. S c h m i t t : Die Logik der Gesten im europaischen Mittelalter. Aus dem Franz. von R. S c h u b e r t und B. S c h u l z e . Stuttgart 1992.

1 A uf den gattungsunabhangigen Stellenwert des Lachens macht aufmerksam R. B r a u e r : Zur Entwicklung einer mittelalterlichen „Lachkultur". Chronologische, soziologische und asthetische Interpretationsprobleme mit dem Suprastilistikum des Komischen in mittelalterlichen Texten. In:

Parodie und Satire in der Literatur des Mittelalters. GreiTswald 1989 ( = Literatur des Mittelal­

ters 5), S. 179-188 (hier: S. 187); unter besonderer Berucksichtigung der Strickerschen Dichtung S. H a r t m a n n : Ein empirischer Beitrag zur Geschichte des Lachens im Mittelalter: Lachen beim Stricker. „Mediaevistik“ 1990, H. 3, S. 107-129 (hier: S. 123).

(3)

in vielen Fallen ein solches nicht verkneifen. Dennoch bleibt einem das Lachen haufig sprichwórtlich „im Halse stecken": Gerade in dem Augenblick, in dem man sich sicher wahnt, alle problematischen Vokabeln nachgeschlagen und den „literalen“ Sinn des Textes nach bestem Wissen identiflziert zu haben, die Voraussetzungen fur ein lautes Lachen also erfullt scheinen, eben in diesem Augenblick beschleicht den Leser das leise Gefuhl, es sei unangemessen, gelóst und beherzt aufzulachen. Die auch anderenorts haufig zu beobachtende

„Andersartigkeit“ mittelalterlicher Literatur und Erzahlweise tritt in solchen Momenten wohl besonders deutlich zutage3.

Eine fur das Lachen im Mittelalter nach wie vor instruktive Arbeit stammt von Bachtin4. In seinem Werk Rabelais erórtert er das Lachen im Zusammen- hang mit der Etablierung einer Gegenkultur: D a die offlzielle Ideologie in der Seriositat die einzig angemessene Form fur den Ausdruck der W ahrheit und des Guten erblickte, mithin Angst und Ehrfurcht die standigen Begleiter dieser Seriositat waren, hatte sich dem mittelalterlichen Menschen insbesondere im narrischen Treiben die Moglichkeit geboten, diese offlzielle Ideologie zu durch- brechen und eine A rt der Gegenkultur zu entwickeln, dereń auBeres Merk- mal das Lachen gewesen sei5. Hinzu treten eine Reihe von Arbeiten, die in unterschiedlicher Intensitat Komik und Humor des Mittelalters thematisieren.

In einigen davon flnden sich denn auch einschlagige Hinweise auf die Qualitat des Lachens6. Allgemein gilt jedoch nach wie vor die zuletzt von Gutwald

3 Zum Begriff der „Alteritat“ ais rezeptionsasthetischer Kategorie vgl. H.R. J a u U: Alteritat und Modernitat der mittelalterlichen Literatur. Munchen 1977, insbesondere: S. 14-28.

4 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bachtdnschen Ansatz bietet D.-R. M o ser. Die zentralen Einwande richten sich gegen Bachtdns unreflektierten Umgang mit BegrifTen sowie gegen die Annahme, die Kultur des Karnevals sei mit einer Lachkultur gleichbedeutend: „Man kann zusammenfassend nur feststellen, dafl bisher weder die Idee einer ‘Lachkultur’ des Mittelalters uberzeugend nachgewiesen wurde noch die nahezu beliebige Verwendung des Karnevalsbegrifles einen Erkenntnisgewinn erbracht hat. M an sollte deshalb auf beides kunftig verzichten“ . I d e m : Lachkultur im Mittelalter? Michael Bachtin und die Folgen seiner Theorie. „Euphorion“ 1990, H. 84, S. 89-111 (hier: S. 93 und S. 96).

3 „Wie schon gesagt, war das Lachen im Mittelalter in allen Bereichen der ofliziellen Ideologie und in den strengen Umgangsformen des ofliziellen Lebens verpónt [...] Seriositat galt ais einzig angemessene Form fur den Ausdruck der Wahrheit und des G uten und uberhaupt alles Wesentlichen, Bedeutsamen und Wichtigen. Angst, Ehrfurcht und Demut bildeten den Grundton und die Schattierungen dieser Seriositat". Und: „So entwickelte sich parallel zu den kanonischen Formen der mittelalterlichen Kultur reine Lachformeln“ , vgl. M. B a c h t i n : Rabelais und seine Welt. Yolkskultur ais Gegenkultur. Ubers. von G. L e u p o l d . Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von R. L a c h m a n n . Frankfurt am Main 1995, S. 123 f.

6 Die nachfolgende Ubersicht bietet eine Auswahl: E.F. R o e d e r von D i e r s b u r g : Komik und Humor bei Geiler von Kaisersberg. Berlin 1921 ( = Germanische Studien 9); E.R. C u r t i u s : Europaische Literatur und lateinisches Mittelalter. 8. Aufl. Bern 1973 (insbesondere Exkurs IV:

Scherz und Ernst in mittelalterlicher Literatur, S. 419-434); E. F r o m m : Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. „Deutsche Vierteljahresschrift fur Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" 1962, H. 36, S. 321-339; E. A g r i c o la: Die Komik der Strickerschen Schwan-

(4)

geauBerte Skepsis: „Weder gibt es [...] umfangreiche Forschungsbeitrage zur Rezeption komischer Texte, noch ist die Funktion des Lachens in den Texten selbst ausreichend gewiirdigt worden.7“

Wirft man hingegen einen Blick auf die Ausfiihrungen beziiglich des Lachens aus Antike und Mittelalter, dann ist dieser Einwand wohl kaum mehr aufrecht zu halten. Hier wie dort laflt sich eine umfangreiche, wenn auch zum Teil ganzlich kontrar gefuhrte Diskussion uber das Lachen erkennen.

Cicero etwa erórtert im Zusammenhang mit der rhetorischen Ausbildung des Redners (De oratore) das Lacherliche. Seine Ausfiihrungen miinden in die Bestimmung, enttauschte Erwartungen (expectationibus decipiendis) bildeten die Ursache des Lachens8. Quintilian greift in seiner Schrift Institutio oratoria auf die Ausfiihrungen des Cicero zuriick und systematisiert diese, wobei er den Gegenstand, auf den sich das Lachen beziehen kann, ins Zentrum stelit: So unterscheidet er die anderen (ex aliis), die eigene Person (ex nobis) sowie tórichte Sachen (ex rebus mediis) ais Bezugsobjekte des Lachens9.

Im Mittelalter schlieBlich andert sich das Bild grundlegend10. Die U r­

sache hierfiir liegt in der von den Kirchenvatem ausgegebenen Bestim-

ke. Ihr Antafi, ihre Form, ihre Aufgabe. Leipzig 1954. J. S u c h o m s k i : „Dilectio" und ,,utilitas".

Ein Beitrag zum Yerstandnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bem-Munchen 1975 ( = Biblio- theca Germanica 18); B. K n u h l : Die Komik in Heinrich Wittenwilers „Ring" im Vergleich zu den Fastnachtsspielen des 15. Jahrhunderts. Góppingen 1981 ( = GAG 332); R. B r a u e r : Zur Entwi- cklung einer mittelalterlichen „Lachkultur"..., S. 179-188; S. H a r t m a n n : Ein empirischer Bei­

trag..., S. 107-129; S. W i e n h e r - P i e p h o : Art. „Lachen". In: Enzyklopadie des Marchens.

Bd. 8. Berlin-New York 1996, Sp. 695-700; T. G u t w a l d : Schwank und Artushof. Komik unter den Bedingungen hdfischer Interaktion in der „Cróne" des Heinrich von dem Turlin. Munchen 2000 ( = Mikrokosmos 55); K. R i d d e r : Narrheit und Heiligkeit. Komik im ,,Parzim l" Wolframs von Eschenbach. In: W. von E s c h e n b a c h : Bilanzen und Perspektiven. Eichstatter Kolloquium 2000.

Hrsg. von W. H a u b r i c h s , E.C. L u t z , K. R i d d e r . Berlin 2002 ( = Wolfram-Studien XVII);

A. H u g 1 i: Art. „Lachen, das Lacherliche". In: Historisches WSrterbuch der Rhetorik. Bd. 5.

Hrsg. von G. U e d i n g . Tubingen 2001, Sp. 1-17.

7 T. G u t w a l d : Schwank und Artushof..., S. 78.

8 „[...] expectationibus enim decipiendis et naturis aliorum irridendis [ipsorum ridicule in- dicandis] et similitudine turpioris et dissimulatione et sub absurda dicendo et stulta reprehendendo risus moventur“ . C i c e r o : Opera III: De oratore. Lib. II, LXXI, 289. 6th ed., with an English transl. by E.W. S u t t o n . Completed with an introduction by H. R a c k h a m . London 1979 ( = The Loeb Classical Library, 348); vgl. auch A. H u g l i : Art. „Lachen, das Lacherliche"..., Sp. 3-6.

9 „Usus autem maxime triplex; aut enim ex aliis risum petimus aut ex nabis aut ex rebus mediis. Aliena aut reprehendimus aut refutamus aut elevamus aut repercutimus aut eludimus.

N ostra ridicule indicamus et, u t verbo Ciceronis utar, dicimus aliąua subabsurda [...] Tertium est genus, ut idem didt, in dedpiendis expectationibus, dictis aliter acdpiendis ceterisąue, quae neutram personam contingunt ideoąue a me media dicuntur“ , Q u i n t i 1 i a n: Institutio oratoria II.

Lib. VI, cap. 3, 23 f. 5. ed., with an English transl. by H.E. B u t l e r ( = The Loeb Gassical Library 125).

10 Vgl. im Folgenden auch A. H u g l i : Art. „Lachen, das Lacherliche"..., Sp. 7 f. F ur die Kirchenvater gilt die dialektische Erórterung des Lachens ais Ausdruck der (góttlichen) Freude

(5)

mung, dafl Lachen verbiete sich, da auch Christus selbst niemals gelacht ha- be11. D a das Lachen zum gaudium camalis et m nitatis gehóre12, handelt es sich diesbeziiglich um die jedem Christen verbotenen laetitia inepta13. An ihre Stelle habe die geistige Freude (laetitia spiritualis) ais wirkliche Gliickseligkeit zu treten14. Erst allmahlich ist eine Relativierung dieses Verdikts zu verzeich- nen. Noch bei Johannes von Salisbury findet sich das Lachen ais tóricht und schamlos bewertet15; allerdings tritt dem bereits die positive Einschatzung zur Seite16. Und wahrend durch Thomas von Aąuin schlieBlich das Lachen, trotz der W araung vor seinem mafllosem Gebrauch, rehabilitiert wird17, findet sich etwa zeitgleich bei Alexander von Hales die in ihrer Argumentation traditio- nelle, aber nicht minder erbitterte Yerdammung des Lachens18. Und obwohl es

einerseits und ais Signum des Teufels bzw. der Haretiker anderersdts, vgl. H. L a u r e t u s : Silva allegoriarum totius sacrae scripturae. Barcelona 1570. Nachdr. der zehnten Ausgabe Koln 1681.

Einl. von F. O h l y . Munchen 1971, S. 873 f.

11 J. C h r y s o s t o m u s : / n Matthaeum homil. VI, MPG 57, Sp. 69: „Kai touto men pollachis estin idein auton poiounta, gelonta de oudamou. all‘ oude meidionta erema. ouchoun ton evangeliston oudeis eireche. (Idipsum porro videre est saepe fadentem, ridentem vero nusquam, imo ne subridentem, ąuidem: nullus certe hoc evangelista narravit).“

12 Zum Lachen ais Teil der verganglichen Freude (gaudium temporalis) vgl. B e r n a r d von C l a i r v a u x : Liber de modo bene vivendi. MPL 184, Sp. 1295A. Ferner: „Risum ergo soror dilecta, quasi errorem deyita, et temporalem laetitiam in luctum commuta“ (ibidem, Sp. 1295B).

13 B e r n a r d von C l a i r v a u x : De gradibus humilitatis et superbiae. Cap. XII (Tertius gradus: De inepta laetitia). In: I d e m : Opera. Vol. 8: Tractatus et Opuscula. Rom a 1963, S. 46 f.

Die ablehnende Haltung Bemhards dem Lachen gegenuber erhellt auch aus der 85. Predigt uber das Hohelied (Serm. Cant. Cant., Nr. 85. In: I d e m : Opera. Vol. 2: Serm. Cant. Cant. 36-86.

Roma 1958): „Porro eflulgentem et veluti ąuibusdam suis radiis erumpentem mentis simulacrum corpus exdpit, et diflundit per membra et sen sus, ąuatenus omnis inde reluceat actio, senno, aspectus, incessus, risus, a tamen risus, mixtus, gravitate et plenus honesti“ (Sp. 21-24).

14 Zum Stellenwert der laetitia spiritualis vgl. G r e g o r D e r G r o f l e : Moralia in lob VIII, 52. CC, Ser. lat. CXLIII: „Risus en im nunc corporis de lascivia dissolutionis, nam risus cordis tunc de laetitia nascetur securitatis“ .

15 „Risus levitatis indidum, et quo patentior, eo impundentior, et reprehensibilior est. Ait enim: ‘Stultus in risu exaltat vocem suam“ (Eccli XXI), I o a n n i s S a r e s b e r i e n s i s : Poli- craticus. Lib. V, cap. VI, 552D, MPL 199.

16 „Iocus enim comis, et venustus convivantium risus, omnibus parenthetids jucundior est“ , I o a n n i s S a r e s b e r i e n s i s : Policraticus. Lib. VIII, cap. 10, Sp. 747A, ibidem.

17 T h o m a s v o n A ą u i n : Summa theologiae. Vol. 22: II—II [q. 151-170], Komm. von J. G r o n e r OP. Graz-W ien-Kóln 1993. Im vorliegenden Fali insbesondere: q. 168, 2 [arg. sed contra]: „Sed ista remissio animi a rebus agendis fit per ludicra verba et facta. Ergo vis uti interdum ad sapientiam et virtuosum pertinet" (S. 335); und q. 168, 3 [arg. sed contra]: „Sed in superfluitate ludi est inordinatus risus et inordinatum gaudium. Ergo est ibi peccatum mortale, cui soli debetur luctus perpetuus“ (S. 342). Thomas verteidigt demnach nicht blofi das Lachen, er macht es vielmehr zum Gegenstand seiner dialektischen Ausfuhrungen uber das Mafihalten.

18 A l e x a n d e r V o n H a l e s : Summa theologica. Vol. 3. Florenz 1930. In Sectio DI (De peccato operis) erórtert Alexander im 1. K apitd (Capitulum I: Utrurn ridere et ludere sive ioculari sit peccatum) der 1. Quaestio (De risu et ioculatio) das Lachen; vgl. auch J.-C. S c h m i t t : Die Logik der Gesten..., S. 257 f.

(6)

auch Alexander um die Wiedereingliederung des Lachens geht, sind es doch gerade seine Ausfiihrungen zu dessen Herabwiirdigung, die besondere Auf- merksamkeit verdienen, da sie BezugsgróBen und Dimensionen des Lachens ausfuhrlich thematisieren. Insgesamt erórtert Alexander vier Arten des La­

chens, die ganz im Sinne der Scholastik sowohl gut ais auch schlecht sein kónnen; insbesondere das Lachen aus grenzenloser Freude (immoderata lae- titia) sieht Alexander ais siindhaft an 19. Die Sunde an sich (in se), so erlautert er weiter, gliedere sich in zweifacher Weise: zum einen in das Lachen (risus) ais die Bewegung des Mundes, zum anderen in den SpaB, die Gaukelei (ioculatio) ais Bewegung des Kórpers20. Beides ordnet er den Gesten und Zeichen des Kórpers zu (quae pertinent ad gestum vel nutum corporis), die ihrerseits Teil der peccata operis sind21. Neben den Vergehen, durch die anderen Menschen Unrecht zugefugt wird (wie etwa die Verspottung), erhalt somit das Lachen den Stellenwert eines Signums der Siinde selbst. Drastischer ist die Verdam- mung des Lachens (respektive des Kórpers) wohl kaum darzustellen.

An diesem Punkt nun drangt sich eine Vermutung auf: Die tief empfundene Abneigung der Kirche dem Lachen gegenuber wurzelt in seiner engen Verbindung mit dem Kórper; risus und ioculatio sind dabei metonymisch (iioculatio ais Ursache des risus) oder synekdochisch (risus ais Teil der ioculatio) aufeinander zu beziehende GróBen; in jedem Fali zeigt sich auf diese Weise dereń enge Verbindung22.

Diese zugegeben sehr verkiirzte und (notgedrungen) eingeschrankte Dar- stellung kann fur eine angemessene Einschatzung der Bedeutung des Lachens aus zwei Griinden fruchtbar gemacht werden: Zum einen hilft es ganz allge- mein gewisse Bewertungen des Lachens, so wie sie uns in den Texten bege-

19 „Ad quod dicendum quod quadruplex est risus. Est enim quidam qui provenit ex serenitate consdentiae et praegustatione gaudii supemi [...] Est iterum risus qui cedit in praemium. Est iterum risus qui cedit in demeritum, qui fit ex immoderata laetitia [...] Et secundum hunc modum ridere non est sine peccato. Est iterum risus ex ipsa naturae mansuetudine, et hic attestatur bonitati naturae et bonum naturae determinat.“ Ibidem, S. 471.

20 „Peccatum in se d idtur peccatum ioculationis aut risus, ut risus attendatur quantum ad motum oris, ioculatio quantum ad motum corporis sive gesticulatio“, ibidem, S. 470.

21 „dicere de peccatis operis quae pertinent ad gestum v d nutum corporis [und]: Peccatum autem quod est in gestu v d nutu corporis quoddam attenditur in se“, ibidem.

22 In seiner Besprechung des Alexander von Hal es deutet Schmitt den risus und die ioculatio ais „K6rperbewegungen“ , vgl. J.-C. S c h m i t t : Die Logik der Gesten..., S. 258. Mithin ist dem- nach eine Wandlung im Kórperverstandnis zu verzeichnen: Die (tendenziell) statische Auffassung des Augustinus, der den Kórper ais solchen verdammt, wird von einem (tendenziell) dynamischen Kórperbild abgelóst. Zum Wandel des Kórperbildes im M ittdalter vgl. Framing Medieval Bodies.

Ed. S. K a y . Manchester 1994 (insbesondere: S. 62-100). Den unterschiedlichen Stellenwert des Kórpers in der Erórterung durch die Kirchenvater (menschliche Kórper ais Hindernis auf dem Weg zu G ott) und den mystischen Schriften des 12. Jahrhunderts (menschliche Kórper ais Ort der OfTenbarung Gottes) beleuchtet J A . K l e b e r : Zucht und Ekstase. Mafiregeln des klósterli- chen Essens. In: Verschlemmte Welt. Essen und Trinken historisch-anthropologisch. Hrsg. von A. S c h u l l e r und J.A. K l e b e r . Góttingen 1994, S. 235-254.

(7)

gnen, besser zu verstehen23. Zum anderen laBt sich daraus e negativo die im folgenden zu untersuchende Hypothese gewinnen24: Bereits Anfang der achtziger Jahre wies Gier im Zusammenhang mit den altfranzósichen Fab- liaux2S auf dereń potentiell transgressive Eigenschaft hin26. Die nachstehende Untersuchung nun geht daniber hinaus und fragt nach der transgressiven Qualitat des Lachens, die fur den Bereich des Glaubens von Fehrle erortert wurde27: Anhand einiger Beispiele aus Dichtung und Brauchtum28 erlautert er die dem Lachen inharente Spannung zwischen Leben und T od29, in dem das apotropaische Lachen zu verorten ist: „Alles Lebengebende wird auch zur Ubelabwehr verwendet. So wird auch das Lachen zum Sinnbild der Ver- neinung alles Lebensfeindlichen besonders des Todes“ 30.

23 Fur die Dichtung des Strickers weist Hartmann nach, daB insgesamt wenig und wenn, dann nur kurz aufgelacht wird; sonst ist das Lachen ais sundhaft verpónt, vgl. S. H a r t m a n n : Ein empirischer Beitrag..., S. 123.

24 Ais Textgrundlage dienen mir Maren und der Parzival Wolframs von Eschenbach. - M a­

ren: Die eingemauerte Frau, Das Ehescheidungsgesprach, Das Haslein, Das Ganslein. Das Eheschei­

dungsgesprach und Die eingemauerte Frau entstammen der Sammlung Der Stricker. Verserzahlun- gen I. Hrsg. von H. F i s c h e r . 5., verb. Aufl. von J. J a n o t a . Tubingen 2000, S. 22-28 (Das Ehescheidungsgesprach) und S. 30-66 (Die eingemauerte Frau); die Erzahlungen Das Ganslein und Das Haslein finden sich in der Ausgabe Novellistik des Mittelalters. Hrsg. von K. G r u b m u 1 - l e r . Frankfurt am Main 1996, S. S90-617 (Das Haslein) und S. 648-665 (Das Ganslein). Die Hin- weise auf die Uberlieferung der besprochenen Texte beziehen sich jeweils auf dereń Haupt-Hs(s).

Hinsichtlich des Parzńals konzentriere ich mich auf das Lachen Cunnewares von Lalant, das diese dem vorubergehenden Parzival schenkt (151, 11-20). Die einschlagigen Stellen (151, 11-20; 152,

10 f ; 152, 25-29; 158, 26; 199, 9; 215, 6; 221, 23; 304, 16; 305, 27-306, 5) finden sich bei K.R. K r e m e r : Das Lachen..., S. 61 f. und S. 186, sowie D. P e i l : Die Gebarde..., S. 318.

23 Zum Thema Komik in den altfranzósischen Fabliaux: J. B e d i e r : Les Fabliaux...;

P. N y k o r g : Les Fabliaux. Geneve 1973 ( = Publications Romanes et Franęaises CXXIII);

K. T o g ę by: The naturę o f the Fabliaux. In: The humor o f the fdbliaioc. A collection o f critical essays. Eds. by Th.D. C o o k e and B.L. H o n e y c u t t . Columbia 1974, S. 7-13; P. M e n a r d : Les fabliaux...\ K. B u s b y : Courtly literature and the fabliaux: Some instances o f porody. „Zeit- schrift fur romanische Philologje" 1986, H. 102, S. 67-87; T.D. C o o k e : Pornography and the comic spirit. „Zeitschiift fur romanische Philologie“ 1986, H. 102, S. 137-162; J.-C. S c h m i t t : Die Logik der Ges ten...

16 „[...] handelt es sich etwa in manchen Fabliaux (wie bereits gesehen) um eine Art unbeschwerte Transgression, die die Gemeinschaft nicht in zwei Gruppen teilt, sondern sie im Gegenteil enger zusammenschlieflt", A. G i e r : Skatologische Komik in der franzdsischen Literatur des Mittelalters. „Wolfram-Studien" 1982, Nr. 7, S. 154—184 (hier: S. 163).

27 E. F e h r l e : Das Lachen im Glauben der VSlker. „Zeitschiift fur Volkskunde“ . Neue Folgę 1930/31, H. 2/3, S. 1-5; vgl. auch S. W i e n h e r - P i e p h o : Art. „Lachen"..., Sp. 698.

28 Untersucht werden Brauche des antiken Griechenland und Rom sowie weiterfuhrend Agypten, Japan und Sardinien. Fur den im nachfolgenden behandelten Zeitraum ist insbesondere der von Fehrle fur das Mittelalter erórterte risus paschalis hervorzuheben, der im auferstandenen Christus den Sieg uber den Tod zum Ausdruck bringt, vgl. ibidem, S. 2.

29 „Volksbrauche der A rt sind zunachst nicht an einzelne Gótter gebunden, sondern bestehen fur sich auf Grund des Glaubens, dafi Lachen Leben bringe und erhalte“ , ibidem.

30 Ibidem.

(8)

Davon ausgehend wird im Folgenden unter Transgression ganz allgemein jeder ProzeO des „Uberschreitens" verstanden, sei es in geistiger, sozialer oder kórperlicher Form. Im Folgenden werden zunachst die kontextuellen Beziige der einzelnen Belegstellen geklart, um anschlieBend die Relevanz einer trans- gressiven Qualitat des Lachens in funktionaler Beziehung adaquat reflektieren zu kónnen.

* * *

Im M are von der eingemauerten Frau31 fiihrt der Stiicker einen M ann (iritter; V. 19) vor, der trotz seines Tugendreichtums seine liebe N ot mit der ihm angetrauten Gattin hat. Die namlich kummert sich herzlich wenig um die Wiinsche ihres Mannes; ganz im Gegenteil ist sie vielmehr damit beschaftigt, stets ihren eigenen Willen durchzusetzen: „Ein ritter tugende riche / nam ein wip eliche. / dó wolde si ir willen han / und des smen niht began” („Ein tu- gendsamer Ritter / ehelichte ein Weib, / die nur das tat, was sie wollte / und die Wiinsche des Mannes unbeachtet liefl“; V. 1-4). SchlieBlich beschlieBt der entnervte Ehemann kurzerhand, die Frau einmauern zu lassen: „dó hiez er muren ein gaden, / daz wart gemachet ane tur / ein venster kerte er her viir.

/ da wart si inne vermure“ („Er befahl, eine Kammer zu bauen, / ohne Tur;

/ nur ein Fenster besaB das Zimmerchen. / D orthin brachte man sie und verschloB die Kammer“ ; V. 36-39). Die Frau, vom glanzenden Leben ihres Mannes ausgeschlossen und nur mit den schlechtesten Speisen unterhalten, fristet ein Leben in Abgeschiedenheit, das ihr insbesondere dann schmerzlich ankommt, wenn sie dem gesellschaftlichen Treiben ihres Mannes von einem kleinen Fenster ihrer Kammer aus zusieht. Ais die Frau von den vergebli- chen Vermittlungsversuchen ihrer Verwandten hórt, besinnt sie sich eines be- sseren:

dó wart der vrouwen gesaget, daz alle die woeren gedaget, die ir da helfen solden und ir niht me helfen wolden.

dó si vemam den untróst, daz si nimmer wurde erlóst, dó vuoren die tivel von dem wege, die si heten in ir pflege

31 Die vier Grundpfeiler der Stricker-Uberlieferung sind die Hss. A (Wien, Ósterreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindebonensis 2705), H (Heidelberg, Universitatsbibliothek, Cpg 341), E (Munchen, Universitatsbibliothek, 2° Cod. ms. 731) und B (Wien, Ósterreichische Nationalbi­

bliothek, Cod. 2885); das M are von der eingemauerten Frau ist in den Hss. A, E, B uberliefert, vgl. Der Sricker. Yerserzahlungen..., Bd. 1. S. VI und S. XV; die Hss. E und B fuhren zudem eine Uberschrift, vgl. Sammlung Kleiner Deutscher Dichter. Einf. von N.R. W o l f . G raz 1972, S. 11 f.

(9)

So wurde der Frau mitgeteilt, / dafl all jene schweigen wurden, / die ihr Beistand leisten sollten, / daB ihr also keiner helfen wolle. / Ais sie die traurige Nachricht vemahm, / daB sie wohl niemals mehr befreit werden wiirde, / da wichen die Teufel, / die von ihr Besitz ergriffen hatten,

V. 109-116

Daraufhin verlangt sie nach einem Priester, der sich von ihrer Besserung iiberzeugt und davon ihrem M ann berichtet (V. 125-196), woraufhin sich dieser und mit ihm die gesamte Gesellschaft zur Kammer der F rau begeben. D ort angekommen, bekundet die G attin Einsicht in ihr schlechtes Treiben, bittet den Gemahl um Verzeihung und gelobt von Stund an eine gehorsame Ehefrau zu sein (V. 201-251); zudem versichert sie, jede bóswillige F rau der Umgebung von ihren U narten befreien zu kónnen (V. 270 ff.). Ein Versóhnungsfest wird anberaumt, das die Sittsamkeit der Frau abermals unter Beweis stellt, worauf­

hin sich ihr guter Leumund im Land rasch verbreitet (V. 313-369).

Eingerahmt wird das Lachen vom Schuldbekenntnis der F rau - der Ehe- mann hat sie bereits aus der Kammer entlassen (V. 283-295) - und dem Ent- schluB, dieses Ereignis m it einem mehrtagigen Fest zu feiern (V. 295 ff.)32:

daz begunde den rittem ze wunsche wol gevallen,

si sprachen: ‘ir sit ein heilic wip!

daz got iuwer sele und iuwem lip vil lange ensamt laze sin!’

sumeliche sprachen: ‘mir hat diu min só vil ze leide getan,

si muoz ouch lihte hie bestan, daz ir mirs guot machet.’

des wart da vil gelachet von rittem und von vrouwen.

die lie der wirt wol schouwen, daz er hóhzit haben wolde.

Das gefiel den Rittem iiberaus gut; / sie sprachen: ‘Ihr seid eine heilige Frau! / Gott móge eure Seele und euren Leib lange Zeit zusammenhalten.’ / Mancher sagte da: ‘Mir hat die Meine / so viel Leid zugefugt, / sie muB ebenfalls hierher zu Euch kommen, / damit sie durch Euer Zutun wieder rechtschaffen und gut werde.’ / Dariiber wurde nun viel gelacht, / sowohl von Rittem ais auch von Damen.

/ Ihnen sprach der Gastgeber die Einladung aus / zu einem Fest, das er veranstalten wolle,

V. 283-295

32 Vgl. auch S. H a r t m a n n : Ein empirischer Beitrag..., S. 121 ff.

(10)

In direkter Nachbarschaft zum Lachen (V. 292) befindet sich die voran- gehende Bemerkung einiger beistehender Manner, auch ihre Frauen miiBten an diesen Ort kommen, damit sie gebessert werden, gefolgt von dem Ent- schluB, anlaBlich der Besserung ein Fest zu begehen. Dabei bleibt unklar, worauf sich das Lachen unmittelbar bezieht: Plausibel ware eine Reaktion auf den bekennenden Einwurf der Manner, da er ja einen nicht unerheblichen Einblick in dereń Eheverhaltnisse gewahrt, dem gewissermaBen nur mit einem

„befreienden“ Lachen begegnet werden kann. Vorstellbar ware aber auch die Auffassung, das Lachen beziehe sich auf die Besserung der Ehefrau, was den AnschluB des Festes erklaren wiirde, stellt es doch die feierliche Uberhóhung und offizielle Bekundung der Aussóhnung beider Eheleute dar. Integratives und gleichsam durch den Fortgang der Erzahlung kausal entwickeltes Moment beider Lesarten ist aber in jedem Fali die gebesserte Ehefrau. Vorsicht ist allerdings bei der Beurteilung des Festes geboten: Es allein gibt keinen ausrei- chenden Grund fiir das Lachen ab, da der Ehemann ja bereits wahrend der Haft seiner F rau gesellschaftliche Veranstaltungen abzuhalten pflegte (V. 56 ff.), die aber niemals, so zumindest legt es der Text nahe, vom Lachen begleitet wurden. Des weiteren wird das Lachen ais Gebarde einer gróBeren Gruppe vorgefuhrt: „von rittern und von vrouwen“ („sowohl von Rittern ais auch von Damen“ ; V. 293). Diesbeziiglich ist die Tatsache bemerkenswert, daB es sich dabei nicht um eine namenlose Menschenmenge handelt, sondern um die, wenn auch typisiert dargestellte, Hofgesellschaft.

Die funktionalen Beziige des Lachens, dereń BezugsgróBe der bekennende Einwurf der Manner ist, besitzen im Mare Die eingemauerte Frau eine ambivalente Struktur: es steht im Zusammenhang mit der sozialen wie auch der geschlechterbezogenen Transgression.

Liest man das Lachen im Zusammenhang mit dem Einwurf der Manner, auch ihre Frauen miiBten an diesem Ort erscheinen, damit ihnen Besserung widerfahre, so lieBe sich zunachst von einer Markierung der Komik ais einer Funktion des Lachens sprechen. Die Komik der Situation, so wie sie sich in der Erzahlung darstellt, bestiinde darin, daB die Manner mit ihrem Einwurf die - im Text nicht explizit formulierten - Regeln des óffentlichen Gespraches durchbrechen, indem sie der iibrigen Gesellschaft einen nicht unerheblichen Einblick in ihre Eheverhaltnisse gewahren. Diese bewuBte Unterwanderung des „hófischen“ 33. Reglements kann von den Anwesenden nur mit Hilfe des Lachens aufgefangen werden, das demzufolge ais Móglichkeit der Distan- zierung erscheint. Das eigentlich Reizvolle dieser Passage liegt in der Span- nung zwischen Isolierung und Integration, zwischen anfanglicher Ausgrenzung

33 Der BegrilT „hdfisch“ ist in diesem Zusammenhang nicht unproblematisch, scheint dem Verfasser dennoch statthaft zu sein, da die Erzahlung in ein guaH-hdfisches Umfeld verlegt ist, da von ritter (V. 1) und rittern (V. 283) die Rede ist. Ausreichend fur eine detaillierte Bestimmung ist dies freilich nicht, mag aber mit Blick auf die vorliegende Fragestellung genu gen.

(11)

einer kleinen Gruppe und ihrer (Wieder-)Aufnahme durch die versammelte Gemeinschaft: Zunachst sondern sich die M anner durch den bekennenden Einwurf „mir hat diu min / só vil ze leide getan, / si muoz ouch lihte hie besten / daz ir mirs guot machet.“ („Mir hat die Meine / so viel Leid zugefugt, / sie muB ebenfalls hierher zu Euch kommen, / damit sie durch Euer Zutun wieder rechtschaffen und gut werde“; V. 288 ff.) von der ubrigen Gesellschaft ab, was durch das indefinite Pronomen sumeliche (mancher, V. 288) angezeigt wird.

Dafl es sich dariiber hinaus um eine Gruppe von M annern handeln muB, laflt sich (V. 285) entnehmen, da andererseits die Wendung „diu m iri1 (die Meine) inadaquat ware. Nun reagiert die Versammlung mit Gelachter: „des wart da vil gelachet” („dariiber wurde nun viel gelacht“ ; V. 292). Das Lachen hingegen richtet sich nicht allein auf die Gruppe der bekennenden Manner. „von rittern und von vrouwen“ („sowohl von Rittern ais auch von Damen“ ; V. 293) ist zwar ais typisierte Wendung aufzufassen, kann aber ais ein die Gesamtheit der versammelten Gesellschaft bezeichnender Ausdruck gewertet werden und dies in zweifacher Hinsicht, da sowohl die ubrigen Manner ais auch die anwesenden

„vrouwen“ (,,Damen“) lachen. Die anfanglich vereinzelte M annergruppe gliedert sich so im gemeinsamen Lachen der versammelten Gesellschaft wieder ein, die sich, und das ist zugleich die ambivalente Struktur dieser Passage, im Lachen ihrer Einheit versichert.

Das von Fromm erórterte Verhaltnis von Disproportion und Proportion34 erhalt von hier aus ein ganz neuartiges Gewicht: Der Disproportion wiirde im vorliegenden Fali die Unterwanderung des hófischen Reglements durch das Bekenntnis der M anner entsprechen, der Proportion hingegen die im Lachen e negativo bestatigte und anerkannte Notwendigkeit dieser Regelungen;

e negativo, da der Bruch mit der hófischen Konvention, die der Integration und Aufrechterhaltung dieses besonderen Gesellschaftskreises dient, belacht wird. Das Lachen, mithin die Komik ais dereń Ursache, fungiert in dem vorliegenden Fali gewissermaBen ais Móglichkeit der sozialen Transgression:

Unter dem Aspekt des sozialen Reglements besitzt das Lachen nicht nur hinsichtlich der erzahlten Welt, sondern dariiber hinaus auch einen das

„auBertextliche (Welt-)System ‘H of’“ stabilisierenden Wert, da sich iiber die Analogie von Text und „auflertextlicher Welt“ ais Konsequenz der Vortrags- situation beide GróBen aufeinander beziehen lassen.

Eine weitere Deutung thematisiert einen ganzlich anderen Problemkreis, den im Einwurf der M anner zum Ausdruck gebrachten Spannungsverhaltnis von „tyrannischer Ehefrau und betriibtem Ehemann“ . Obwohl diese Inter- pretation nicht unproblematisch ist, da sie das Lachen der bekennenden M anner stillschweigend voraussetzt, was aus den einschlagigen Versen so nicht hervorgeht und bestenfalls interpoliert werden kann, soli sie im folgenden

34 E. F r o m m : Komik und Humor..., S. 324 f.

(12)

dennoch kurz vorgestellt werden. Ansatzpunkt ist wiederum das Bekenntnis der M anner, sie wunschten sich eine „Behandlung“ mit dem Ziel der Ver- vollkommnung auch fur die eigene Frau. Um das Lachen in seiner trans- gressiven Qualitat einschatzen zu kónnen, vergegenwartigen wir uns abermals die Geschichte der vormals ungehorsamen Ehefrau und der Gefahrdung, die von ihrer Widerspenstigkeit ausging. DaO wir diese Ubertragung leisten diirfen, wurzelt in der Ahnlichkeit zwischen dem Auftreten der „eingemauerten F rau“ und dem nicht weiter ausgefuhrten Verhalten der Ehefrauen, dereń Manner sich zu dem bekennenden Einwurf hingerissen fuhlen. Ohne dieser Ahnlichkeit ware wohl die Erinnerung der M anner an ihre eigenen Verhaltnis- se und folglich dereń Bekenntnis nicht móglich. Worin aber besteht die Gefahrdung der Widerspenstigkeit? Erinnern wir uns dazu der Umstande, die zur gefangnisgleichen Haft der Frau fiihrten. Zunachst aber ist wichtig festzuhalten, dafl der Ehemann reich an Tugenden („Ein ritter tugende riche“

[„Ein tugendsamer Ritter“; V. 1]) ist. Obwohl nichts Naheres ausgefuhrt wird und man sicher nicht fehlgeht, hinter dieser Formulierung eine typisierte Wendung zu vermuten, ordnet sie doch dem Ehemann summarisch hófisches Verhalten zu. Die Ehefrau aber laBt sich davon nicht beeindrucken und be­

steht demgegenuber auf der Durchsetzung ihres eigenen Willens. Dies kul- miniert in einer ersten Zuchtigung des Mannes: „dó si durch slege noch durch bete / deste baz noch deste rehter tete, / dó dróuwete er ir sere“ („Ais sie weder durch Schlage noch durch instandiges Bitten / zu einem besseren, rechtschaf- feneren Handeln zu bewegen war / da drohte er ihr sehr“ ; V. 7 ff.). Davon aber laBt sich die Widerspenstige nicht beeindrucken. Ganz im Gegenteil gibt sie ihren Ehemann der Lacherlichkeit preis, denn durch ihre massivere Drohung, die sie der ihres Mannes unverziiglich folgen laBt („dó dróuwete si im noch mere“ [„Sie aber drohte ihm noch viel mehr“ ; V. 10]), deckt sie dessen Macht- losigkeit schamlos auf.

Dem verbalen Schlagabtausch folgt ein zweiter mit Faust und Kniippel, in dem der Ehemann noch viel derber zu Werke geht:

sinen zom er si enpfinden lie, er sluoc ein lange wile mit kreften und mit He, unz im der arm tet só we, daz er niht slahen mochte me und ir ein sfte alsó zebrach, daz man niht anders dó ensach wan zebrochen hut und bluot

Seinen Zom lieB er sie da spuren, / und schlug lange Zeit auf sie ein, / kraftig und wie von Sinnen, / bis ihm schlieBlich sein Arm so schmerzte, / dafl er nicht weiter auf sie einschlagen mochte; / ihre

(13)

Seite aber war so verletzt, / dafl man nur mehr klaffende Wundcn und Blut sah;

V. 16-23

A uf die wiederholte Frage, ob sie denn jetzt nicht zu besserer Einsicht gekommen sei (V. 24), erwidert die Frau vorlaut: „ir miiezet noch langer blten, / nu bin ich doch ze drin siten / noch ungeriieret und ungeslagen“ . (,,‘Ihr miiBt mich schon noch langer bitten, / denn schlieBlich habe ich noch drei unver- sehrte Seiten, / an die Ihr noch nicht Hand angelegt habt’“ ; V. 27 ff.) - aber- mals also eine unverschamte Reaktion, die die Unfahigkeit des Ehemannes, Herr iiber seine Frau zu sein, bloBlegt. Das ist nicht bloBe Widerspenstigkeit und Hartnackigkeit der Frau. Ihre Gleichgiiltigkeit den Ziichtigungen des Mannes gegeniiber erweist sich im Kern ais Machtlosigkeit des auf physischer Aggression beruhenden Herrschaftsprinzips des Mannes gegeniiber einem sich auf Sprache griindenden Machtanspruchs der F rau35: Die verbalen Reak- tionen und Repliken der Ehefrau sind es ja, die den M ann in immer tiefere Abgriinde des Zoms stoBen und ihn so allmahlich seine eigene Person und damit insbesondere die sich mit ihm verbindende „zuht“ (,,Wohlgezogenheit“) vergessen lassen36. Die Widerspenstigkeit der Frau gefahrdet somit den M ann, indem sie ihn verfiihrt, seine Tugendhaftigkeit zugunsten der Anwendung roher Gewalt zu vergessen. Das Abbild dieser Verwandlung ist die Sprache, insbesondere der Zusammenhang von Signifikant und Signifikat: Verweist anfangs die „zuht“ auf die Tugendhaftigkeit des Mannes, so steht sie spater in Beziehung zur Ziichtigung der Frau. Damit aber wird die Tugendhaftigkeit des Mannes ais sprachliche Illusion ohne Riickhalt im lebensweltlichen Bereich (Referenzobjekt) entlarvt. Der TrugschluB des M annes besteht nun darin zu glauben, durch seine kórperliche K raft (oder besser: Gewalt) eine Lósung des Eheproblems erzwingen zu kónnen37. D a auch dieses „archaische Prinzip“

33 Zum Verhaltnis von Sprache und Kórper, wenn auch in zum vorliegenden Beispiel kontrarer Weise, vgl. die Untersuchung Schnyders hinsichtlich des Mares uber Konni, den Bauerntólpel, von Heinz dem Kellner: M. S c h n y d e r : Marenforschung und Geschlechter- beziehung. „Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft“ 2000, 12, S. 123-134. Schnyder thematisiert die Sprachfahigkeit der Frau, die ais Herausforderung an den M ann zu werten ist, ais konstitutives Moment der Maren, vgl. ibidem, S. 125 f.

36 Sein gestiegener Zom laflt sich etwa an der Zunahme seiner Aggression ablesen, die in der zweiten Ziichtigung kulminiert, da sie den Mann bis an die Grenzen der eigenen kórperlichen Krafte fuhrt („unz im der arm tet só we“ [„bis ihm schlieBlich sein A nn so schmerzte“ , V. 19]).

Dafi die blinde W ut einem Vergessen der eigenen Person gleichkommt, spricht der M ann explizit aus: „daz mir diu tumpheit ie geschach, / daz ich mm zuht an iu zebrach" („Dafl ich so tóricht gewesen bin, / und Euretwegen meine Wohlgezogenheit vergafi“ , V. 31 f.).

37 Verfuhrung, Desillusionierung und TrugschluB erscheinen im vorliegenden Fali ais Momente der (geschlechterbezogenen) Identitat. Hierzu halt Thomas C r a m e r fest: „Grundmus- ter fur die Darstellung von Identitatsverlust sind getauschte Wahmehmung und Verwechslung [...]“, I d e m : Geschichte der deutschen Literatur im spaten Mittelalter. Bd. 3. Munchen 1990, S. 283.

(14)

erfolglos bleibt, sieht er in der Isolierung der Frau die letzte Móglichkeit, seinen (schon stark beschadigten) Macht- und Herrschaftsanspruch durch- zusetzen. Die Isolation ihrerseits hat den Stellenwert einer Verbannung und unterstreicht die „Andersartigkeit" der Frau, sinnfallig zum Ausdruck ge- bracht durch die Kammer und die damit verbundenen Umstande38.

Kehren wir zum Stellenwert des Lachens zuriick. FaBt man nun die eben geschilderten Vorfalle ais „Minimum" - arger geht es wohl immer - all der Manner auf, die sich iiber ihre Frauen beklagen, so laflt sich das Lachen ais abweisende, gleichsam bannende Reaktion deuten: Abgewiesen wird nicht nur eine ungehorsame Frau, sondern dariiber hinaus die sich in ihr verkórpernde Zerstórung der Ordnung (,,zuht“). Die Folgę dieser destruktiven K rafte ist eine Unordnung, die gerade an dem Punkt entsteht, an dem der M ann seine Tugendhaftigkeit vergiBt und scheinbar blind wiitend und in gewisser Weise maBlos auf die Frau einschlagt, das heiBt aber auch, sich maBlos der phy- sischen Aggression iiberlaBt. Die transgressive Qualitat des Auftretens der Frau besteht eben in ihrer Ubermacht gegeniiber dem M ann, da sie ihn nótigt, Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die seiner Tugendhaftigkeit zuwider- laufen. All dies wehrt das Lachen ab, indem es beide Bereiche (Frau, Mann) der Lacherlichkeit preisgibt. Es entpuppt sich somit ais Apotropaum des (hier:

im Zorn) unmaBig eingesetzten Kórpers und seiner Krafte einerseits sowie der beherrschenden Ubermacht der weiblichen Widerspenstigkeit andererseits39.

Demzufolge ist seine Funktion im vorliegenden Fali eine doppelte: Es wehrt

38 Die Kammer ais „U nort“ unterstreicht durch motivische Oppositionen die „Anders- artigkeit“ der Frau: schwarzes Brot („swerzeste brót“ , V. 48), schlechtestes Essen G.b®seste[n]

splse“, V. 52) und das Schweigen des Mannes („er sweig vil stille, swaz si sprach“ , V. 55) stehen dem Treiben des Mannes gegenuber, das durch die Wendungen „sine vróude und sine wirtschaft"

(„seine Heiterkeit und sein Gastmahl", V. 57), „er was mit vróuden alle zit / sin lop was von der werlde breit“ („er war alle Zeit heiter / sein Ansehen war weithin verbreitet“ , V. 70 f.) beschrieben wird. In diesem Zusammenhang klingen die Worte des Mannes „sd muget ir deste baz genesen, / ir suit min vróllche entwesen" („Auf diese Weise sollt Ihr gesund werden; / meine Freundlichkeit und meine Zuneigung soli Euch nicht mehr zuteil werden“ , V. 43 f.) wie blank er Hohn.

39 Ais weileres Beispiel fur das apotropaische Lachen werte ich eine Episode aus dem Marę Das Ganslein (Munchen, Universitatsbibliothek, 2° Cod. ms. 731), in: Novellistik des Mittel- alters..., S. 648-665: Ais der aus Naivitat einer Frau gegenuber willlahrige Mónch seine Abenteuer den Klosterbrudem berichtet, reagjeren diese mit Gelachter (V. 189-194). Die apotropaische Qualitat des Lachens zeigt sich in der Handlungsweise des Mónches (Liebesabenteuer mit einem Madchen), die die klósterliche Regel (Enthaltsamkeit) in Frage stellt. Dafl dabei das Lachen ais Markierung der Komik fungiert („des gelachten si vil, / sin rede was ir aller spil“ [„Da lachten sie sehr, / denn seine Rede war ihnen allen eine gute Unterhaltung“] V. 193 f.), muB dabei nicht mit der apotropaischen Qualitat des Lachens im Widerspruch stehen. Vergleichbares arbeitet Gier fur die skatologische Komik in den franzósischen Fabliaux heraus:, JDa die skatologjsche Komik aber jenen Teil dieses Regelsystems [des Hofes - Anin. J.K.] in Frage stellt, dessen Gultigkeit von niemandem em sthaft bestritten werden kann [...] enthullt sich diese Stellungnahme in fur jedem olTensichtlicher Form ais nicht emsthaft gemeint", vgl. A. G i e r : Skatologische Komik..., S. 163.

(15)

unheilvolle K rafte ab, indem die (potentielle) Gefahrdung (hier: die Wider- spenstigkeit der Ehefrau) gebannt und gleichzeitig die naheliegend Reaktion auf diese Gefahr (hier: die Schlage des Mannes) zum Gegenstand des Lachens erhoben wird; letzteres wird freilich nicht explizit ausformuliert.

Das Verhaltnis von Ehemann und Ehefrau ist auch Gegenstand einer weiteren Erzahlung des Strickers, die unter dem Titel Das Ehescheidungsge- sprach40 bekannt wurde: D er Mann, der Verbindung zu seiner G attin iiber- drussig, schilt diese und gibt ihr zu verstehen, er werde sie in einem Jahr ver- lassen: „Niht! ich wil dir urloup geben / noch hiute uber ein jar!“ (‘„Nein! Ich gebe dir Urlaub / von heute an ein Jahr“ ; V. 4 f.). In der darauffolgenden Frauenschelte reduziert der M ann die noch verbleibende Zeit, bis er schlieOlich bekennt: „wie ich bi dir belibe disen tac; / des ich getuon niht enmac: / du muost ezuo von mir!“ („Heute bei dir zu bleiben, / das will ich nicht; / du muDt weg von m ir“; V. 33 ff.). D arauf antwortet die Frau mit einer gegenlaufigen Rede, indem sie die ihnen zur Verfugung stehende Zeit kontinuierlich ausweitet. Dabei beginnt sie mit der Tagesfrist (V. 55) und endet: „dir ist von mir nie só gach, / dune komest nimmer von mir, / der tó t scheide mich von dir“ („Nicht so schnell! / Du kommst niemals weg von mir, / es sei denn, der Tod trennt mich von dir“ ; V. 91 fF.). Der M ann, sichtlich irritiert („ichn weiz, waz ich geredet han“ [„Ich weiO nicht mehr, was ich gesagt habe“ ; V. 101]), bittet die Frau um Verzeihung (V. 102-125), bevor beide die statthabende Aussóhnung im Ehebett feierlich begehen: „er vie si bi der hende / und wlste si an ein bette hin. / da ergie ein suone under in, / diu gróze vróude m ahte“

(„Er nahm sie bei der Hand / und fiihrte sie zum [gemeinsamen] Bett. / D a sóhnten sich beide aus, / sehr zu ihrer gemeinsamen Freude“ ; V. 130-133).

AnlaB zum Lachen gibt es in diesem M are nur im Hinblick auf die Aus­

sóhnung im Bett41:

hie nam der zom ein ende.

er vie si bi der hende

und wlste si an ein bette hin.

da ergie ein suone under in, diu gróze vróude mahte.

ir ietwederz lahte.

e daz si schieden von dem bette, si ku sten sich ze wette

und sungen ein liet ze prise in einer hóhen wise.

40 Die Erzahlung ist in den Hss. A und H uberliefert, vgl. Der Stricker: Verserzahlungen.

Bd. 1..., S. III und Sammhmg Kleiner Deutscher Dichter..., S. 12.

41 Vgl. auch S. H a r t m a n n : Ein empirischer Beitrag..., S. 121 1T.

(16)

Hier endete der Zom. / Er nahm sie bei der Hand / und fiihrte sie zum [gemeinsamen] Bett. / Da sóhnten sich beide aus, / sehr zu ihrer gemeinsamen Freude; / beide lachten da. / Bevor sie wieder auf- standen / kussten sie sich eifrig / und stimmten ein Loblied an / in den hóchsten Tónen,

V. 129-138

Die syntaktische Eigenstandigkeit von V. 134 eróffnet unterschiedliche Móglichkeiten, das Lachen einzubeziehen. Zunachst ware daran zu deoken, es stehe in unmittelbarer Verbindung zum vorangehenden Vers (V. 133), erweist sich somit der Teil seiner von Freude getragenen Befindlichkeit der Eheleute, die die Gesamtheit der Situation durchzieht. Daneben aber lieBe sich das Lachen ebenso gut an den Sexualakt binden. Damit wurde die Gebarde des Lachens zum A ttribut der die Aussóhnung begleitenden oder bestimmenden Sexualhandlung: begleitend, da die wiedergefundene Verstandigung des Ehe- paares streng genommen bereits mit der Annahme der Entschuldigung durch die Frau zum AbschluO gekommen ist; bestimmend, weil sich V. 132 uber das emonstrativadverb „da“ (,,Da“) in eindeutiger Weise auf die Verse 130 f.

bezieht, in welchen auf den anschlieBenden Sexualakt verwiesen wird, der demzufolge ais motiviertes (koharentes) Erzahlelement aufzufassen ware42.

Und schlieBlich ist zu erwagen, ob sich beide Eheleute nicht an das voraus- gegangene Gesprach erinnern und deshalb zu lachen beginnen. Dadurch wurde der sonst eher abgetrennt wirkende Schluflteil (V. 129-138)43 m it der gesamten Erzahlung verklammert. Soweit die kontextuelle Einbindung des Lachens, des- sen Funktion innerhalb der Erzahlung zunachst einmal darin liegt, die mit der umfangreichen Aussóhnung (wiedergefundene) Freude zu markieren. Hier nun scheint móglich, was noch zuvor (Die eingemauerte Frau) ausgegrenzt werden muBte: D a sich beide Eheleute privatim begegnen, ist ihnen auch das Lachen ais Ausdruck der Freude, die in einer „persónlichen Befindlichkeit" wurzelt, erlaubt. Dieser Deutung fiigt sich das von beiden angestimmte Lied (V. 137 f.) sinnvoll ein. Allerdings muB in diesem Fali auch erwogen werden, daB es sich bei dem Lied um eine Metapher handeln kónnte. Im Rahmen der Situations- analyse wurde auf den Sexualakt ais strukturbildendes Motiv verwiesen und zwischen „begleitend“ und „bestimmend" differenziert. Liest m an das Motiv ais einen die Aussóhnung „begleitenden" Aspekt, so weist es den gleichen Stellenwert wie das Lachen auf (ebenso der angestimmte Gesang), handelt es sich doch dann um unterschiedliche Ausfaltungen der einen Aussóhnung.

42 M an beachte in diesem Zusammenhang die paarweise Umrahmung von V. 134: V. 130 f.

enthalt den sich einstellenden Sexualakt, V. 132 f. bezieht sich, wie bereits erdrtert, auf das voran- gegangene Verspaar. V. 13S f. knuplt wiederum in die Gebarde des Kussens aus V. 130-133 an.

43 Weshalb sollte namlich, nachdem die Frau ihrem Mann vergeben hat (V. 126), der Erzahler nochmals darauf hinweisen, der Unmut habe sich gelegt (V. 129)? D er Schluflblock (V. 129-138) wirkt aus diesen Grunden eigenartig „angehangt".

(17)

Fur das Thema der Transgression ist insbesondere die zweite Lesart von Bedeutung: Deutet m an den Sexualakt ais „bestimmendes“ Erzahlmotiv, so verbindet sich auch das Lachen wesentlich enger mit dieser Handlung, weshalb es demzufolge ais M arkierung der im Sexualakt offenbar werdenden Aussóh- nung fungiert. Der Sexualakt seinerseits dient der Zusammenfiihrung von M ann und Frau ais Akt der geschlechtlichen Transgression: „er vie si bi der hende / und wiste si an ein bette hin“ („Er nahm sie bei der H and / und fuhrte“

sie zum [gemeinsamen] Bett; V. 130 f.). An diesem Punkt nun erhalt die eingangs dargelegte Abscheu der Kirche gegeniiber dem Lachen einen tieferen Sinn: Die im Lachen zum Ausdruck gebrachte Freude muD zwangslaufig ais verganglich zuriickgewiesen werden, da sie ihrem Wesen nach in der kórper- lichen Existenzform des Menschen wurzelt („gaudium carnalis et vanitatis“ , Bernhard von Clairvaux). Die Feier des Kórpers aber steht in krassem Widerspruch zu der von G ott verheiBenen Freude, die ja gerade darauf abzielt, den K órper zugunsten des Geistes zu vemachlassigen, in dem mit diesem die Vorstellung von der eigentlichen, góttlichen Freude verkniipft wird („gaudium spiritualis)“; in diesem Zusammenhang erscheint dann auch das Lachen ais angemessener Ausdruck. Der K órper hingegen wird ais eine latente (oder offene) Gefahrdung dieser spirituellen Existenzform des Menschen angesehen.

An diesem Punkt nun greift die kirchliche Kritik des Lachens: Die Zuriick- weisung der mit dem Lachen verbundenen kórperlichen Gluckseligkeit ais verganglich und tóricht („gaudium vanitatis, laetitia inepta“) entpuppt sich ais Disziplinierungsstrategie der Kirche mit dem Ziel des eigenen M achterhalts, indem das gefahrdende M oment (Kórper) kategorisch ausgeblendet wird44.

44 In krassem Widerspruch dazu steht die in zahlreichen Dichtungen des Mittelalters reichliche Verwendung zartlicher Gebarden, auch und gerade im Bereich geistlicher Dichtung, ais dereń Vertreter wahlweise das St. Trudperter Hohelied herausgegrifTen wird. Dafi man aber auch hier bestrebt war, die offen zutage tretende Erotik tendenziell metaphorisch aufzulósen, fuhrt folgende Stelle anschaulich vor Augen: „M IN WINĘ RACTE SfNE HANT IN ZE EINEME VENSTERE / UNDE M INĘ WAMBE D IU ERBIBENETE ENGEGEN SINER / HANT. daz quit: ein michel sunderunge ist / under uns, daz quit: diu want des michelen ellen / des unde unserre sunde, diu ist enzwischen got / unde uns, aber daz innecliche gebet unde diu / sueze gestungede daz sint diu VENSTER, d a got/In luoget, só er uns ze sfner minne leitet unde / er dar IN GRIFET, só er uns vorderet ze arbeiten / unde ze unsenften dingen. daz ist só er die dur / nah- tigen vorderet ze gwalte. wan diu WAMBE bezeidienet daz linde gemuete, da mite die guo- ten/gotes gebot enpfahent" („MEIN GELIEBTER STRECKT DU RCH EIN FENSTER SEINE HAND HEREIN, UND MEIN LEIB BEBTE SEINER HAND ENTGEGEN. Das heiBt: Eine starkę Geschiedenheit gjbt es bei uns. Die Wand der groBen Fremde und unserer Sunde steht zwischen G ott und uns. Dagegen sind das innige Gebet und die suBe Hingabe die FENSTER, durch die G ott hereinschaut, wenn er uns zu seiner Liebe fuhrt, und durch welche er HERE- ING R EIFT, wenn er uns zu Muhsal und zu Unangenehmem fordert, das heiBt, wenn er von den Vollkommenen Machtausubung fordert. D er LEIB steht fur das sanfte Gemut, mit dem die Guten Gottes Gebot aufnehmen“ , 69, 21-70, 1; Ubers. F. O h l y ) ; Das St. Trudperter Hohelied. Eine Lehre der liebenden Gotteserkenntnis. Hrsg. von F. O h l y , unter Mitarbeit von N. K I e i n e . Frankfurt am Main 1998 ( = Bibliothek des Mittelalters, Bd. 2).

(18)

Die Bewegung des Kórpers (,,ioculatio“) und das damit verbundene Lachen, so liefie sich dieser Gedanke abschlieBen, werden deshalb folgerichtig bei Alexander von Hales ais Sunde an sich („in se“) ausgewiesen.

Wie schon im M arę Die eingemauerte Frau so wird auch im vorliegenden Fali der Akzent zusatzlich auf das geschlechterspezifische Verhaltnis zwischen M ann und Frau gelegt. Ais „Spannungsmoment“ dient wie zuvor bei der eingemauerten Frau ein Dialog, der eine asymetrische Verteilung der Sprach- fahigkeit zu erkennen gibt: Die Frau konterkariert durch ihre Replik die Rede des Mannes und fuhrt diese ad absurdum, was durch die umfangreiche und alle Register des Frauenlobes ziehende Bitte um Verzeihung seitens des M an­

nes ofTenbar wird45. Nicht nur die deutliche Zweiteilung des Mares in die Rede des Mannes und die darauf folgende Gegenrede seiner Frau, sondern auch die Intention der jeweiligen Rede (der M ann zielt auf die Trennung, die Frau auf eine ewige Bindung ab), ihr im zeitlichen Ab- bzw. Zuschlag chiastischer Aufbau sowie der singulare Status der Frau, der von dem M ann nur durch die beiden Extreme „Teufel" und „M aria“4<s, in jedem Fali aber nur auf wider- spriichliche Weise zum Ausdruck gebracht werden kann, belegen dies.

45 Zumal gibt das Frauenlob des Mannes die zentralen Motive der Marienverehrung zu erkennen: „[...] ichn gesach nie dehein wip / bezzer noch baz geschaflen. / ezn móhten alle pfalTen / din tugende niht vol schriben. / du bist vor aller wiben / sam diu sunnę vor den steraen. / diu vrouwen solden lernen / dfn tugent alle gemeine. ich gesach nie wip só reine! / din name swebet vor gote obe / allen wiben mit lobe / die man iender kunde vinden / under allen Adames kinden / immer ewicliche leben“ . („Noch nie sah ich eine Frau, / die vortrefHicher gewesen ist. / Alle Geistlichen zusammen / kónnen deine Tugendhaftigkeit nicht annahernd beschreiben. / Du bist vor den anderen Frauen ausgezeichnet / wie die Sonne vor den Stemen. / Die Frauen sollten erlemen, / sich an deiner Tugendhaftigkeit ein Beispiel zu nehmen. / Noch nie sah ich eine so makellose Frau! / Die Ehre deines Namens ist vor G ott ausgezeichnet / und schwebt uber allen Frauen, / die man jemals und in allen Zdten wird linden kónnte / unter den Nachkommen Adams.

V. 112-125). Zu den Topoi der Marienverehrung in der mittelalterlichen Literatur, insbesondere des Minnesangs, vgl. P. K e S t i n g : Maria-Frouwe. Uber den Einfłufl der Marienverehrung a u f den Minnesang bis Walther von der Vogelweide. Munchen 1965 (insbesondere: S. 10-15): „[...] na- mentlich muflte die heilsgeschichtliche Funktion Marias fur einen Einfłufl auf das Bild der weltlichen Dame bedeutungslos sein. Nahezu alle anderen Zuge der Gottesmutter aber lassen sich in dem Frauenideal des Minnesangs wiederfinden. Alle Tugenden, die an M aria geruhmt werden, besitzt auch die frouwe, vor allem Reinheit, Schónheit und Gute“ (ibidem, S. 149); und: „Wir stellen ferner fest, daB die devotio-Haltung des Ritters gegeniiber der Dame in Lob und Bitte groBe Ahnlichkeit mit der Haltung des Marienverehrers aufweist" (ibidem, S. 150).

46 Wie bereits erdrtert, verehrt sie der Mann mit den Topoi der Marienverehrung, vgl. Anm.

45. Paradox erscheint diese Motivreihe insbesondere durch den im Vorfeld durch den Mann vorgetragenen Vergleich seiner Frau mit dem Teufel: „den tivel sach ich an dir, / daz ich ie só lange bi dir beleip“ („Den Teufel sah ich an dir, / daB ich uberhaupt so lange bei dir geblieben bin“ ; V. 36 f.). Vgl. auch die Kórperbeschreibung durch den Mann: „du bist bcese unde arc / ubel geschaflen unde karc, / du bist gerumpfen unde swarz, / din atem smecket ais ein arz. / mir gruset, swenne ich dich sehen sol!“ („Du bist bose und gemein, / hafilićh anzusehen und unfruchtbar, / runzelig und schwarz; / du stinkst aus deinem Maul wie ein Arsch. / M ir graust, wann im m e r ich dich ansehe"; V. 39-43).

(19)

Lesen wir diese Stelle hingegen nicht in der rhetorisch-topischen Tradition, so resultiert daraus eine nicht unerhebliche Unsicherheit des Mannes, seine Frau angemessen zu beschreiben: Weder der Vergleich mit den Machten der Hólle noch mit den Gewalten des Himmels scheint geeignet zu sein, ihre Wesensart sprachlich „in den G riff zu bekommen": W ahrend die Frau ihre Rede in einer aggressiven Geste kulminieren laBt („ich zebriche dich rehte ais ein huon“ [„Ich zerquetsche dich / wie ein H uhn“ ; V. 96]), fehlt eine vergleich- bare Stelle in der Rede des Mannes. Die Frau ist somit in verbaler und phy- sischer Hinsicht ihrem M ann weit uberlegen. Die Konsequenz fur unsere Fragestellung ist weitreichend: Das Lachen von M ann und F rau wird durch den vorausgeschickten Einblick in ihre Eheverhaltnisse ais scheinbar gemein- sames Lachen enttarnt. Die M otivation beider Eheleute hingegen k ann unter- schiedlicher gar nicht sein: Der M ann lacht angesichts der weiblichen Uber- macht, um sich in der Verbindung mit ihr davor zu schiitzen; das apotropa- ische Lachen weist demzufolge latent paradoxe Ziige auf. Das Lachen der F rau hingegen ware ais Ausdruck ihres Sieges und das heiBt ais Signum ihrer fortbestehenden Herrschaft zu werten.

Im M are Das Hasiem*1 faBt ein Ritter den Plan, einer sonst abweisenden Dame einen Hasen ais Geschenk zu uberbringen (45 ff.). A uf dem Weg dorthin kommt er an einem D orf vorbei, geritten und erblickt ein Madchen. Ais das Madchen den Ritter mit dem Hasen im Arm sieht, auflert es dem Ritter gegenuber unverziiglich den Wunsch, es wolle den Hasen zu eigen haben. Der Ritter unterbreitet daraufhin dem Madchen ein Tauschgeschaft: Er wiirde ihr den Hasen iiberlassen, wenn sie ihm dafur Minne gebe (V. 83 f.). Zunachst widerstrebend willigt sie schlieBlich in den Handel ein, woraufhin sich der Ritter mit dem Madchen gleich mehrmals vergniigt, bevor er sich verab- schiedet und weiterzieht (V. 107-186). Das Madchen - nachdem es der M utter von dem Geschaft berichtete und diese daraufhin zornschnaubend die Tochter verpriigelte - vom schlechten Gewissen verfolgt, sucht den Ritter abermals abzupassen, um den Tausch riickgangig zu machen (V. 187-218). Ais der Ritter am dritten Tag erscheint, erhalt sie ihren Willen; die M utter hingegen, nachdem sich ihr das Madchen abermals offenbarte, verzweifelt und verflucht die Tochter: „des muoz ich iemer truric sin. / und owe, kint, der eren din!“

(„Aus diesem G rund muB ich von nun an immer traurig sein. / Und, ach Kind, dein Rufl“ ; V. 299 f.). Beide vereinbaren, Stillschweigen daruber zu bewahren.

Ein Jahr spater begeht der Ritter seine Hochzeit, wozu er das Madchen samt

47 Uberliefert ist die Erzahlung durch die, allerdings 1870 verbrannte, Hs. S aus der M itte des 14. Jhs. Den Erhalt dieses Textes yerdanken wir einer Abschrift bei Christoph Heinrich Myller (1785); die Verfasserfrage ist ungeklart, der Text stammt aber wohl aus dem alemannischen Sprachraum, vgl. Novellistik des Mittelalters..., S. 1221 f. Zum Lachen im Hasiem vgl. auch K.R. K r e m e r : Das Lachen..., S. 105 f.

(20)

seiner M utter einladt (V. 321-393). Ais das Madchen erscheint, beginnt der Ritter zu lachen. Seine Braut erkundigt sich hartnackig nach dem Grund sei­

ner Belustigung. Nach mehreren Versuchen, in denen es die Braut sogar untemimmt, ihrem Gemahl zu drohen, erzahlt ihr der Ritter die Begebenheit (V. 404-437). Die Braut halt das Madchen fur eine Narrin. Weshalb nur habe sie die Vorfalle ihrer M utter gebeichtet, schlieBlich habe sie (die Braut) selbst es auch nie weitererzahlt, ais sie sich mit dem Pfarrer die Zeit vertrieb:

si sprach: ‘samir daz heilig grap diu was ein rehte toerin:

hete siu gehabet den wilen min, si enhet ez, weiz got, niht geseit.

ez was ein gróze tumpheit.

ina! joch het mir unser kappelan wol hundertstunt alsó getan’

Sie sagte: ‘Beim heiligen Grab, / sie war doch eine rechte Narrin!

/ War sie von meinem Schlag, / sie hatte es, weiB Gott, nicht gesagt.

/ Es war doch eine groBe Dummheit. / Wohl wahr, auch mir hat unser Kapłan / ebenso wohl hundertmal getan’;

V. 438-444

Von dem Bekenntnis erschuttert, verstóflt der Ritter seine Braut und heiratet kurzerhand das Madchen. Das Lachen begegnet in dieser Erzahlung an mehreren Stellen. Ais der Ritter nach dem ersten Stelldichein das Madchen verlafit, reitet er lachend davon:

dó rief im diu juncvrouwe aber nach:

‘herre, war ist iu s<3 gach?

[...]

wellent ir niht herwider komen, só ist mir iuwer schade leit.’

der ritter lachende dannan reit.

Da rief ihm die Jungfrau nach: / ‘Herr, was ist nur mit Euch? / [...]

/ Wollt Ihr nicht zuruck kommen, / so bereitet Ihr mir groBes Leid.’

/ Der Ritter aber iitt lachend davon“;

V. 179 f. und 184 [T.

Der Ritter lacht, ais er das Madchen auf der Hochzeitsfeier erblickt:

der wirt, der da wol wiste, wie der hase wart gekouft, und wie diu tohter wart zerrouft, und wie der wehselkouf geschach, der lachete und tet ein kach

Cytaty

Powiązane dokumenty

Vielleicht muss hier noch einmal daran erinnert werden, dass wir Men- schen das Lachen bereits erlernen und äußern bevor wir eine Sprache spre- chen.. Vermutlich verstehen wir

Dank den zentralen Werten, wie sie sich im Gemeinwohl der Kirche als Glaube, Sakramente und Liebe verdichten, gewinnt das christliche Leben der einzelnen

d er geistlichen G erichte unterw orfen w erden sollen.. erforderte eine Reform derselben. hat sie Bischof P ran do ta durch die Bestellung eines Offizials

Wenn man den Menschen in seiner Würde aber doch erkennen kann (auch wenn dies zweifellos eine Erkenntnis besonderer Art ist), wenn man diese Erkenntnis auf die

Wybrana na Matkę Słowa Wcielonego, Maryja jest zarazem pierwociną Jego zbawczego dzieła.. Łaska Chrystusa Odkupiciela zadziałała w Niej z wy- przedzeniem, zachowując Ją od

W epoce promulgacji encykliki Fulgens corona Autor skoncentrował się na zagadnieniu grzechu pierworodnego, słusznie przyjmując, że był to podstawowy kontekst odnowionej

Therefore, the aim of the paper is to examine the economic growth of 32 European countries (all European countries with available data) in the last decade (from 2005

Osadnictwo prawdopodobnie koncentrowało się w budowlach naziemnych, po których ślady nie zachowały się, a część gospodarczą stanowią jamy odpadowe d rą ­ żone