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Der "Heidegger-Strich" Bemerkungen zur Sprache der Philosophie.

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A N D R Z E J B R O N K STA N ISŁA W M A JD A Ń SK I

DER „HEIDEGGER-STRICH”

BEMERKUNGEN ZUR SPRACHE DER PHILOSOPHIE

Schon in den früheren Arbeiten Heideggers und noch mehr bei Autoren, die der pnänomenologisch-existenzial-hermeneutischen Bewegung angehören, stößt man auf eine eigentümliche Manier vom Gebrauch eines Strichs zwischen den verschieden­

artigen Sprachzeichen (so daß man diesen Eingriff für ein Charakteristikum dieser Philosophie hält). Kurz gesagt will man hier diesen Strich als „Heidegger-Strich”

bezeichnen, obwohl es nicht nur um Heidegger und den Strich allein geht.

Als sozusagen klassisches Beispiel kann man hier das in der deutschen (nicht nur philosophischen) Sprache berühmte „In-der-Welt-sein” anführen, beinahe ein Ruf­

zeichen dieses Stils der sprachlichen Zähmung der Welt mit Hilfe der philosophischen Ideen. Diese zumindest philosphische Mode hat sich auch in vielen anderen euro­

päischen Sprachen eingebürgert, was übrigens oft zu spezifischen Schwierigkeiten bei der Interpretation und Übersetzung führt.

Wenn man annimmt, daß ein jeder sich wiederholende „modus dicendi" ein Ziel verfolgt, bestimmte Funktionen erfüllt (z. B. extensional-epistemische, intentio- nal-epistemische, heuristische, didaktische, stilistische oder rhetorisch-intonatorische Funktionen), dann kommt die Frage um das Wesen des Heideggers-Strichs (gesehen durch seine verschiedenen Funktionen» in diesem Typ des Philosophierens auf. Wir wollen diese philosophische Äußerungen ernst nehmen und uns nicht die Sache durch eine vereinfachte (und destruktive) kritische Analyse (wie das z. B. R. Carnap seiner­

zeit machte) erleichtern.

Unsere Frage ist um so wichtiger, weil heute der sprachlichen Btdingung der Philosophie und der Sprachphilosophie selbst viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Man spricht doch vom „linguistic turn” in der gegenwärtigen Philosophie, wie z. B.

in der kontinentalen europäischen Philosophie als einer transzendentalen, herme­

neutischen oder dialektischen Sprachphilosophie und der angelsächsischen analy­

tischen Philosophie sowohl in ihrer konstruktiven wie deskriptiven Spielart als auch

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154 Andrzej Bronk, Stanisław Majdański

in der ihr verwandten polnischen Logik und Sprachphilosophie des 20. Jahrhun­

derts, besonders in der Lwów-Warszawa-Schule. Im allgemeinen kommt hier der weite Problemkontext in Frage, dei die Relation zwischen Sprache, Denken und Welt, d. h. die Tradition des alten Streits um die Universalien, betrifft.

Wenn sich also hinter einer wiederholender Redensart eine Regelmäßigkeit ver­

steckt, eine bestimmte Konzeption der Sprache, der Erkenntnis und der Wirklich­

keit, dann muß die „Problematik des Heideggers-Strichs” ausdrücklich gestellt wer­

den, wenigstens im Sinne einer (faktischen oder möglichen) Erklärung seines Ge­

brauchs und der Projektierung einiger alternativen Lösungen.

Konkret geht es hier um zwei Problemkomplexe. Der erste betrifft vor allem die sprachlichen Aspekte dieses Strichs im Lichte der semiotischen Analyse. Der zweite Komplex entwirft in groben Zügen seine sachliche Dimension durch eine eher philo­

sophische Reflexion, wobei an die eigene Philosophie Heideggers, insbesondere an seine Sprachphilosophie und seine metaphilosophischen Meinungen, angeknüpft wird.

Die hier dargestellte Analyse und Reflexion ist eine Erweiterung der strikt sprach­

lichen Problematik des Strichs (in der Grammatik: des Bindestrichs). Sie ist nämlich ein Versuch einer tieferen Einsicht von der gnoseologischen und ontologischen (metaphysischen) Seite in das hier behandelte Problem. Zwei Punkte sind es doch, um die sich die Gedanken Heideggers drehen: das Sein und die Sprache.

Dieser Artikel will weder die Probleme endgültig lösen noch die hier besprochene, sehr schwierige Problematik abschließen, sondern zu weiteren Überlegungen anregen.

Die Resultate dieser Untersuchungen werden natürlich (in verschiedener Pro­

portion an verschiedenen Stellen und sehr oft geheim) durch den direkten Kontext (des Gebrauchs) der Ausdrücke mit dem Strich wie auch durch die Gesamtheit der philosophischen Ansichten Heideggers und die Kenntnisse im Bereich verschiedener Sprachwissenschaften beeinflusst.

*

Die analytische Arbeitsweise muß sich auf ein bestimmtes typisch auserlesenes, empirisches Material stützen. In unserem Fall, um eine richtige erklärende Beschrei­

bung des Heideggers-Strichs zu geben, beschränkten v/ir uns bei der Exemplinzierung (die eher eine heuristische und verdeutlichende als eine systematische Funktion erfüllt) auf zwei typische Arbeiten von Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen 197212) und Unterwegs zur Sprache (Pfullingen 19714).

Für unsere Zwecke — glauben wir — genügen folgende Beispiele (die ohne An­

führungszeichen zitiert werden): (1) Der zusammengesetzte Ausdruck „In-der-Welt- -sein” zeigt schon in seiner Prägung an, daß mit ihm ein ein h e itlic h e s Phänomen gemeint ist (SuZ, 53); (2) Das Nur-noch-vor-sich-Haben von etwas liegt vor im reinen Anstarren als N ic h t-m e h r-v e rste h e n (SuZ, 149); (3) Das Sich-vor-weg-sein besagt voller gefaßt: S ich -v o rw eg -im -sch o n -se in -in -ein er-W e lt (SuZ, 192);

C4) Auch das Dasein der Anderen ist mit seiner im Tode erreichten Gänze ein Nicht­

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Der

Heidegger-Strich”

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 155 mehrdasein im Sinne des Nicht-mehr-in-der-Welt-seins (SuZ, 238); (5) G eschehen d er G e sc h ic h te ist G e sch eh en des In -d e r-W e lt-se in s (SuZ, 388); (6) Wir nennen dieses Seiende das W e lt-G e sc h ic h tlic h e (SuZ, 389); (7) Der Unter- -Schied ist die Dimension, insofern er Welt und Ding in ihr Eigenes er-mißt (UzS, 25); (8) Sein Er-messen eröffnet erst das Aus- und Zu-einander von Welt und Ding (UzS, 25); (9) Die Erstreckungen, an denen entlang und vorbei wir Nähe und Ferne als Abstände messen, sind das Nacheinander des Jetzt, d. h.. die Zeit, und das Neben- -Vor-Hinter-Über-Untereinander der Hier- und Dort-Stellen, d. h. der Raum (UzS, 209); (10) Indes kommt das Gegen-einander-iiber weiter her, nämlich aus jener Weite, in der sich Erde und Himmel, der Gott und der Mensch erreichen (UzS, 211).

Das so oft von den Epigonen (oder besser Kommentatoren) Heideggers wieder­

holte „Sein-zum-Tode” wird dort mit dem Strich geschrieben, obwohl er gerade in Sein und Zeit fehlt. Es genügt heute, hinreichend oft den Strich ä la Heidegger zu gebrauchen und seinen philosophischen Jargon zu imitieren, um für einen authen­

tischen Phänomenologen und Existenzialisten odei Sachkenner zu gelten.

*

Nach der sprachlichen Dimension kann man den Strich nach dem bekannten Stereotyp, d. h. nach seinem syntaktischen, semantischen und pragmatischen Aspekt charakterisieren. Hier will man von allen diesen drei Bereichen Gebrauch machen, vor allem aber will man sich auf die syntaktische Sphäre berufen.

Die syntaktischen Funktionen eines Ausdrucks kann man auf zweifache Weise betrachten: immanent, als strikt syntaktische, abgesehen von den semantischen und pragmatischen Funktionen oder auch im Zusammenhang mit diesen, wenn auch auf dem Hintergrund, als wesenhaft abhängig von ihnen. Zum Beispiel der ausschlies- sende Funktor „oder” der klassischen Aussagenlogik erfüllt rein syntaktisch gerade primär eine einschließende und erst sekundär eine ausschließende Funktion. Dement­

gegen hat dieser Funktor in seinem semantischen Sinn doch ex definitione einen ausschließenden Charakter: er bildet — wie bekannt — eine wahre Aussage im Falle sich ausschließender logischer Werte und der ihnen entsprechenden Sachverhalte;

bei einer mentalistischen oder pragmatischen Interpretation dieses Funktors kann man auch vom Ausschließen der betreffenden Gedanken sprechen.

Im Lichte des zuvor gesagten kann man zwei fundamentale Gebrauchsweisen des Strichs unterscheiden: als eines kopulativen oder disjunktiven Elements, der zwei oder mehr Ausdrücke verbindet oder trennt. Diese Funktionen will man hier ent­

sprechend als die bindende und trennende resp. bindend-trennende Funktion benen­

nen. Es entsteht der Eindruck, daß dieser semiotischen Situation des Strichs am besten der Funktor der einfachen Alternative (Apq) entspricht. Bemerken wir hier die Zirkularität bei der Feststellung der syntaktischen Funktionen des Strichs: wenn wir von der ein- und ausschließenden Funktion des Strichs sprechen, machen wir zu­

gleich von ihm Gebrauch.

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156 Andrzej Bronk, Stanislaw Majdański

Gewöhnlich versteht man den Strich in seiner bindenden Funktion. Das findet z. B. seinen Ausdruck in der Grammatik, wo der hier behandelte Strich als Bindestrich bezeichnet wird. Eine solche Einengung der Bedeutung des Strichs entsteht infolge der Beachtung seiner semantischen und pragmatischen Dimension.

Der typische Sprachbenutzer macht — je nach Bedarf — meistens nur von einer, entweder der bindenden oder trennenden Funktion des Strichs Gebrauch. Es scheint unterdessen, daß, streng genommen, der Strich immer beide Funktionen zugleich erfüllt, mit der Bemerkung, daß die eine Funktion direkt (im Vordergrund) und die andere indirekt (im Hintergrund) ausgeübt wird. Mit anderen Worten, wenn der Strich in einer seiner Funktionen gebraucht w ird, bleibt er auf die andere Funk­

tion durchsichtig.

Wenn Heidegger „In-der-Welt-sein” (Beispiel 1) schreibt, dann entsteht der Ein­

druck, daß der Strich ausdrücklich eine bindende Funktion ausübt, wogegen seine trennende Funktion kaum zum Vorschein kommt. Wenn er aber „Er-messen”

(B. 8) schreibt, dann rückt die trennende Funktion des Strichs in den Vordergrund.

Und wenn er schließlich „Unter-Schied” (B. 7) schreibt, kommen beide Funktionen des Strichs gleich vor, mit einem Übergewicht der trennenden Funktion.

Es entsteht die Frage, ob diese doppelte Funktion des Strichs nicht ein Äqui­

valent in irgendeiner Differenzierung des sprachlichen Zeichens selbst finden sollte.

In der englischen Sprache gibt es z. B. das „Hyphon”, einen kurzen Strich, der die Ausdrücke verbindet, und das ,,Dash”, der sie trennt. Eine ähnliche Intuition kann man in den Bemerkungen der Orthographen über die Rolle des sogenannten Bin­

destrichs, des Pausenzeichens und des Gedankenstrichs finden. Die Redaktoren von Texten sprechen von Bindestrich und Teilungszeichen (Divis).

Die Differenzierung der verschiedenen Strichtypen ist vielleicht eine überflüssige Pedanterie, die dem Kontextualismus der natürlichen Sprache nicht angemessen ist. Wesentlich aber bleibt hier dies, daß man nicht den Anschein erweckt, als ob das Prinzip des Widerspruchs nicht respektiert würde, was eben sehr leicht in den kontextuellen Sprachen geschehen kann.

Diese semiotische Situation (der scheinbaren Nichtanerkennung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit) kann auf dreifache Weise „gelöst” werden: durch das Hin­

weisen auf die logische Ungleichzeitigkeit des Vorkommens zwei semiotischer Funk­

tionen, die durch (materiell) denselben Ausdruck erfüllt werden; durch die Kontextu- alisierung einer elliptischen Äußerung: durch das Nachweisen der Vieldeutigkeit eines Ausdrucks, der bis jetzt für eindeutig gehalten wurde.

Der Strich — in beiden Fällen — erfüllt in der Sprache die Rolle eines mehrfunk­

tionalen, wortbildenden, syntaktischen Mittels. Es entsteht nämlich ein lexikalisches

Novum, ein eindeutig zusammengesetzter Ausdruck, der den schon bestehenden

Wortschatz bereichert. Und um eine solche Bereicherung der Sprache geht es doch

einem Philosophen, der — wie Heidegger — unaufhörlich mit der „Sprachnot” der

Sprache kämpfen muß, die mehr dem instrumentalen, praktischen Wissen als dem

Enthüllen der verdeckten philosophischen Wahrheiten angepaßt ist.

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Der „Heidegger-Strich”

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 157 Ohne diesen Gedanken weiter zu entwickeln, wollen wir nur noch betonen, daß ein mehr schöpferischer Charakter eher der bindenden (synthetischen) als der trennenden (analytischen) Funktion des Strichs zukommt. Die erste baut gewissermaßen eine neue Bedeutungsgestalt (Qualität) auf, während die andere ihrem Wesen nach nur die schon bestehenden Inhalte aktualisiert.

Diese Operationen bestehen in der graphischen Verbindung dessen, was mit Hilfe des Strichs in der sprachlichen Tradition normalerweise getrennt geschrieben wird oder in der graphischen Trennung dessen mit dem Strich, was normalerweise zusammen geschrieben wird. Das soll solche Inhalte ans Tageslicht bringen, die .gewöhnlich dem hastigen und unreflektierten Sprechen verborgen bleiben und sozu­

sagen den Erkenntnisdiskurs auf eine höhere Ebene heben. Die auf diese Weise visuell aus dem Kontext abgesonderten Ausdrücke üben die Rollen der Themen und Rhemen aus, die das philosophische Erkennen organisieren.

In Hinblick auf die Genese der Sprache wird in ihr entweder die verbindende oder die trennende Funktion des Strichs bevorzugt.

In den Sprachen, wo wir schon eine bestimmte Zahl der zusammengesetzten Ausdrücke haben, wie das im Grunde genommen in allen natürlichen Sprachen der Fall ist, sowie in denjenigen natürlichen Sprachen, die verkünstlicht wurden — und zu solchen gehört doch in gewissem Sinne die Sprache der Philosophie von Heideg­

ger, führen wir in der Syntax dieser Sprach eneine semiotische Operation der Zer­

gliederung (wie das in der traditionellen Grammatik genannt wird), der Dekompo­

sition, der Desegmentation durch. Naturgemäß appellieren wir hier an die trennende Funktion der verschiedenen Mittel der Syntax, hauptsächlich der Funktoren und Interpunktionszeichen (ihr gegenseitiges Verhältnis ist ein separates Problem).

In den künstlichen Sprachen, die gegenwärtig mit Hilfe der logischen Metasyntax gebaut werden, geht man von einem Wortschatz aus, d.h. von einer minimalen Zahl elementarer Ausdrücke, um dann mit Hilfe der Regeln der Syntax (richtig) zusam­

mengesetzte Ausdrücke zu konstruieren. Somit betont man hier gewissermaßen die bindende Funktion der Syntaxmittel: der Funktoren und Interpretationszeichen.

Im Falle Heideggers ist die Lage komplizierter. Er beruft sich zwar auf die Umgangssprache, die er aber bewußt verkünstlicht, de-formiert. Das erinnert an die literarischen und theoretisch-literarischen Experimente der poetischen Avantgarde seiner Zeit. Nicht zufällig beschäftigte sich Heidegger mit der Analyse der Gedichte von G. Trakl, S. George und R. M. Rilke und hielt die Sprache der Dichtung für eine musterhafte Weise zur Artikulation philosophischer Inhalte. Er handelt so gewissermaßen entgegen den bestehenden Sprachformationen: er demontiert (wie oben gezeigt wurde) einige Ausdrücke und komponiert ebenso geschickt andere. Ein Bei­

spiel für diesen wortbildenden Gebrauchs von Strich fand Heidegger schon im deutschen Idealismus, z.B. bei Schelling und Hegel.

Heidegger verwendet diese sprachlichen Eingriffsmöglichkeiten für Erkenntnis­

zwecke. Er ist der Meinung, daß diese Maßnahmen zum Sprengen der bisherigen

Bedeutungsgewohnheiten, Konotationen und Assoziation führen und das Bilden

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158 Andrzej Bronk, Stanislaw Majdański

neuer Bedeutungselemente evozieren. Er will auf diese Weise die durch die Zeit vergessenen Bedeutungen renovieren, den tieferen und verborgenen Sinn der Worte zutage bringen, die schon überholten, verbrauchten Bedeutungen beleben und ihnen einen neuen Wert beimessen, die gedankenlos nachgesprochenen Wortagglomerate auffrischen und zum Entstehen neuer Bedeutungskonstellationen beitragen.

Um z.B. die radikal neue Bedeutung des Terminus Sein in seinen Arbeiten her­

vorzuheben, nimmt Heidegger Zuflucht zu einer eigenartigen Maßnahme, indem er dieses Wort doppelt durchstreicht oder mit einem „y” schreibt (Seyn).

Diese Maßnahmen der sprachlichen Reartikulation aktivieren den philosophi­

schen Sprachbenutzer erkenntnismaßig, v»eil sie ihn aus dem Zustand einer gewissen Trägheit bringen.

Seiner Wesensart nach haben diese Maßnahmen zweifellos einen heuristischen oder didaktischen Charakter. Sie sind wesenhaft mit dem heideggerischen Stil des Philosophierens verbunden. Letzten Endes aber — mit Rücksicht auf die durch Hei­

degger gehegte Konzeption der Philosophie — haben diese Eingriffe einen systema­

tischen Charakter, weil sie der Artikulation dadurch wahrgenommenen neuen Aspekte der Wirklichkeit dienen.

Vergleichbare Funktionen wie der Strich können je nach dem Kontext — auch andere syntaktische (wortbildende) Zeichen haben, wie z.B. einige Interpunktion szeichen (vor allem das Komma), die Bindeworte („und”, „oder”), leere Stellen zwischen den Ausdrücken, einige funktorenmäßige Ausdrücke wie die Klam­

mern und Anführungszeichen und die asyndetisch zusammengesetzten Ausdrücke;

eine eigentümliche Art, den ähnlichen Effekt zu bekommen, ist die Verdickung des Ausdrucks, seine Spationierung, die Kursivschrift, das Unterstreichen, metasprachli­

che Hervorhebung (z.B. mit Hilfe verschiedener Redeweisen, wie z.B. „nebenbei gesagt”, „es muß betont werden”) oder sogar das Wiederholen eines Ausdrucks.

Im Grunde genommen betrifft das hier Gesagte die Schriftsprache, findet aber auch seine entsprechenden Ausdrucksmittel auf der phonetischen Ebene der Sprache, z.B. als Vokallänge, Auslaut, Akzent, Tonfall. Die genannten (und anderen) syn­

taktischen Mittel können als Ersatzmittel dem Strich gegenüber betrachtet werden.

Einige Limitierungen des Strichgebrauchs zwingt die existierende Sprachstruktur auf, es herrscht hier aber eine ziemlich große Freiheit. Stellen wir folgende Regeln dieses Sprachspiels fest: das Prinzip der Bewahrung der Reihenfolge der Ausdrücke vor und nach der Segmentierung (Desegmentierung) mit dem Strich und das Prinzip der Aufbewahrung der Quantität der sprachlichen Substanz vor und nach der Seg­

mentierung (Desegmentierung) mit dem Strich. Ebenso sind einige Segmentierungen (Desegmentierungen) in der Sprache „nutzlos” oder von oben herab verboten, andere werden bevorzugt oder nur geduldet. Leider sind diese Regeln in der natürlichen Sprache ziemlich unbestimmt.

In der deutschen Sprache — die vielleicht mehr dazu prädestiniert ist, aber auch in

jeder anderen natürlichen Sprache — gibt es gewisse typische Gebrauchsweisen des

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Der

Heidegger-Strich

” —

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 159 Strichs, die auch von Heidegger ausgenützt werden. Zu diesen standardisierten Ge­

brauchsweisen gehört z.B. der Gebrauch des Strichs als Ergänzungsstrich beim gekürzten Sprechen (z.B. das „Hier-und Dort-Stellen”, B.9) oder als Erläuterungsstrich bei der Deutung eines Ausdrucks im Texte (z.B. bei langen Ausdrucksagglomeraten etwa in der Art von „Sich-vorweg-im-schon-sein-in-einer-Welt”, B.4; in diesem Beispiel ist das natürlich nicht die einzige oder wichtigste Funktion des Strichs), um sein Lesen und Verstehen bequemer zu machen.

Zu den typischen Gebrauchsarten des Strichs, die aber vom Heidegger originell ausgewertet werden, gehört auch die Verwendung des Strichs bei der Bildung sehr strittiger Neologismen. In dem Maße wie sich die Menschen an eine sprachliche Neubildung gewöhnen, besteht in der Sprache die Tendenz zur Reduktion des Strichs.

Heidegger wendet hier eine andere Operation an. er bildet nämlich neue Wortprägun­

gen, indem er gewissermaßen den Strich wiederherstellt oder sogar aufzwingt und somit die schon in der Sprache heimisch gewordenen Wcrtagglomeraten zersprengt.

Auf dem Hintergrund dieser Bemerkungen, hauptsächlich syntaktischer, aber teilweise auch pragmatischer Art, wird das Problem der kategorialen Charakterisie­

rung der Ausdrücke sichtbar, die mit dem Strich gebildet werden.

Der Status des Strichs — als eines semiotisch unselbständigen Ausdrucks — ist kategorial bestimmt genau dann, wenn die Kategorie des mit Hilfe des Strichs zusam­

mengesetzten Ausdrucks sowie die Kategorie und Zahl dei Bestandteile dieses Aus­

drucks festgesetzt ist. Um diese Probleme herum kann man die anderen Bemer­

kungen konzentrieren.

Man hat den Eindruck, daß der Strich für sich, n-mals gebraucht, ein syntakti­

sches Mittel nach der Art eines Funktors und der Interpunktion ist und den Charak­

ter eines parenthetisch funktionierenden Infixes hat.

Es scheint, daß die Zahl der mit dem Strich verbundenen Ausdrucksglieder eher durch außersyntaktische Gründe begrenzt ist oder wenigstens durch die pragmati­

schen Möglichkeiten der Perzeption. Von den Restriktionen, die aus der Sprachstmk- tur folgen, war schon teilweise die Rede. Stellen wir hier nur noch eine banale Regel­

mäßigkeit fest: die Zahl der Striche ist immer um eine weniger als die Zahl der Ausdrucksglieder. Das erinnert an die von der Graphentheorie bekannte Regel­

mäßigkeit, die das Verhältnis der Zahl der Knoten zu der Zahl der Verzweigungen eines Dendriten bestimmt.

Die Quantität der Glieder — man kann sie als spezifische Argumente des Strichs betrachten — ist nicht ausdrücklich zu einer bevorzugten Kategorie begrenzt. Man kann annähernd annehmen, daß die Elemente der Folge von Ausdrücken mit dem Heideggei-Strich dieselbe Kategorie haben, die die ihnen entsprechenden, aufeinan­

derfolgenden Elemente der Folge von Ausdrücken ohne Strich gehabt hätten und natürlich auch umgekehrt. Eine präzisere Darstellung dieses Problems verlangt eine kritische und ergänzende Betrachtung der grammatischen, logischen und sogar phi­

losophischen Theorie der Kategorien. Das ist ein Sonderproblem und überschreitet

den Bereich unserer Untersuchungen.

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160 Andrzej Bronk

,

Stanislaw Majdański

Die Striche allein (umsomehr nur ihre Zahl) bestimmen natürlich noch nicht die Hierarchie des erwähnten Dendriten. Notwendig sind noch gewisse zusätzliche Voraussetzungen. Im Falle der Syntax entscheiden über die Anordnung und Aufein­

anderfolge der Ausdrücke gewisse syntaktische Bedingungen, die schon besprochen wurden und noch weiter besprochen werden. In der Syntax der natürlichen Sprache berufen wir uns letzten Endes auf die außersyntaktischen Bedingungen, unter an­

derem auf die Semantik und somit auf die Ontologie.

Banal gesagt, eine jede Struktur ist gleichgeordnet (gleichrangig) oder nicht auch.

Und so ist die strichartige Struktur des Ausdrucks „In-der-Welt-sein” (wir lassen hier den Strich nach dem Wort ,,der” außer Betracht) im gewissen Sinne amphibolo- gisch: sie ist eine andere, wenn man annimmt, daß der Strich stärker das Wort „in”

und „Welt” bindet und eine andere, wenn man annimt, daß er stärker „Welt” und

„sein” bindet. Vom onto-semantischen Standpunkt ensteht der Eindruck, daß dieser zweiten Möglichkeit der Vorzug gegeben sein sollte. So oder so sehen wir hier eine gewisse Hierarchie, wenigstens im Sinne, daß diese Strukturen nicht die Eigenschaft der Assoziativität haben.

Möglich ist auch der Fall, daß die graphisch hervorgehobenen Strukturen — we­

nigstens syntaktisch — gegenseitig gleichrangig (assoziativ, symmetrisch oder kom­

mutativ) sind. Wir sprechen dann z.B. von der Gleichrangigkeit (Gleichwertigkeit) der Zusammensetzung mit dem Strich oder von der semiotischen Gleichrangigkeit der Elemente in dieser Wortzusammensetzung, z.B. das „Neben-Vor-Hinter-Über- -Untereinander” (B.9). Es entsteht der Eindruck, daß wenn die Zusammensetzung gleichrangig ist, ihre Glieder nicht verschiedener Kategorie sein können. In anderen Fällen findet die erwähnte Hierarchie — im strengen Sinne dieses Wortes — statt.

Fehlt es an einer ausdrücklichen strukturellen Präferenz (wie in dem angeführten 9.Beispiel), also in der Situation einer semiotischen Unbestimmtheit, kann das eine Gleichrangigkeit der Wortzusammensetzung suggerieren, es sei denn, der nähere oder weitere Kontext entscheidet anders.

Der Heidegger-Strich, so scheint es, wirkt in jedem Falle „schwach” in der Rich­

tung der Gleichrangigkeit, wenigstens pragmatisch, d.h. er verstärkt gleichsam (psy­

chologisch) die Gleichrangigkeit der Wortzusammensetzung oder schwächt seine Ungleichrangigkeit ab.

Die Festellung der Kategorie der mit dem Heidegger-Strich zusammengesetzten Wortganzheit und ihrer Argumente ist nicht leicht. Wir wollen dieses Problem wenig­

stens teilweise klären und seine mögliche Lösung suggerieren.

Im allgemeinen dient der Strich der Kategorisierung: der Sprache — der Gedan­

ken — der Welt. Das ist eine für Heideggers Philosophie typische Weise der Katego­

rienbildung. Wie bekannt spielt die so oder anders verstandene Kategorie eine wesent­

liche Rolle in jeder idealistischen Philosophie, hier der „begrifflichen” Philosophie Heideggers.

In der Absicht ihrer Autoren soll die Operation der Kategorisierung einen meri-

torisch fundamentalen Charakter haben. Wesentlich ist hier das Erreichen der Welt

(9)

Der „Heidegger-Strich” — Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 161 der einfachen, ursprünglichen Bedeutungen, u.a. durch die Demaskierung der schein­

baren und geradezu „falschen” Bedeutungen. Positiv geschieht das u.a. mit Hilfe der von Heidegger eingeführten Operation der (Quasi-) Etymologisierung (sie hat später viele Nachahmer, wie z.B. J. Ortega y Gasset, gefunden), die man hier gerne als meritorische Etymologisieiung bezeichnen möchte.

Die heideggersche etymologisierende Analyse wurde von den Sprachwissen­

schaftlern heftig kritisiert. Die konkreten Etymologien waren bei Heidegger wirklich philologisch falsch. Das hat ihn aber wenig gestört. Er legte eben nicht auf die empirisch verstandene Sprache und ihre Etymologien Wert, sondern gewissermaßen auf die ideelle Sprache (wie sie sein sollte) und eine ideale Etymologie. Mit einem Wort, Heidegger meinte die philosophische Spräche und ihre theoretische Etymologie, die man hier deswegen eine Quasi-Etymologie nannte.

Mit anderen Worten gesagt, die Etymologisierung ist nicht SO: sehr eine historisch­

genetische Operation als eher eine Operation, die systematisch sprachliche Bedeutun­

gen generiert. Sie hat auch einen großen heuristischen Weit. Der hl. Thomas leitete seine Theorie der Existenz aus dem Ausdruck „Ego sum, qui sum” vielleicht falsch ab, aber diese Intuition zeigte sich als theoretisch und inventiv sehr tragfähig.

Die Manier der Etymologisierung ist am häufigsten mit dem Gebrauch des Strichs in seiner trennenden Funktion verbunden, und aus diesem meritorischen Grund kann man ihn als den etymologisierenden Strich bezeichnen. Man kann wenigstens zwei solche Gebrauchsweisen des Strichs unterscheiden: innerhalb eines Zeitwortes, wenn der Strich den Aspekt des Zeitwortes trennt (z.B. „er-mißt” im B.7) und innerhalb des Hauptwortes, wenn der Strich eine mit einem ursprünglichen Hauptwort zusam­

mengewachsene Präposition absondert (z.B. „Unter-Schied” im B.7).

Die semiotische Kategorie der Ausdrücke, die mit dem Heidegger-Strich in seiner trennenden Funktion geprägt werden, bleibt unverändert, es verringert sich nur ein wenig ihre syntaktische und pragmatische Kohäsion. In unseren Beispielen bleiben sie resp. ein Zeitwort in prädikativer Funktion (ind er logischen Semiotik: ein Funk­

tor vom gleichen Typ) und ein Hauptwort in der Subjektfunktion (ein Name).

Heidegger ist der Meinung, daß die philosophische Tradition — die in der Philo­

sophie eine fundamentale Rolle spielt — in der Sprache bestimmte Weisheiten nie­

dergelegt hat, die unserem heutigen technizisierten Sprechen verborgen bleiben. Er behauptet nicht, eine völlig neue Sprache zu schaffen. Das, was er mit der Sprache macht, ist ihre revidierende und belebende Korrektur.

Der Sinn der Philosophie, die heute das wahre Bild der Welt und das authentische Sprechen verloren hat, besteht im stetigen Zurückkehren zu den alten Sprachen. Das ist der Grund, warum Heidegger so gerne an die griechische Sprache der Vorsokra- tiker und auch an die nicht-philosophischen Sprachen anknüpft, um ihnen ihren philosophischen Gehalt abzugewinnen. Je näher den Uranfängen der Menschheit (iaurea aetaś), desto unmittelbarer und weniger deformiert ist die Intuition des Seins, die noch durch die späteren begrifflichen Konstruktionen des Menschen unverfälscht bleibt. Diese Überzeugung (ein Ausdruck des eigentümlichen sprachli-

11 Studies in Logic

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162 Andrzej Bronk, Stanislaw Majdański

chen Konservatismus, geschichtlichen Optimismus und futurologischen Pessimismus) teilt Heidegger mit der deutschen Romantik und Nachromantik.

Bemerken wir hier aber, daß Heidegger — entgegen seiner Einstellung und Dekla­

ration — tatsächlich den Anstoß zu einer neuen sprachlichen Manier gegeben hat, die später durch viele seine Nachahmer (auch außerhalb der eigentlichen heidegger- schen Philosophie) vervielfältigt und in vielen Arbeiten analsiert wurde. Heidegger selbst ist zu einem Klassiker geworden, durch den man philosophisch zu denken, angefangen hatte.

Ebenso lehrt Heidegger zwar theoretisch die Passivität des Menschen gegenüber der Sprache (»Der Mensch spricht, insofern er der Sprache entspricht”, UzS, 33), praktisch aber fühlt er sich gar nicht an das bisherige philosophische Sprechen gebun­

den, sondern versucht aktiv die Sprache seinen Zwecken unterzuordnen.

So eine Haltung Heideggers entspringt seiner Überzeugung von der wesentlichen und unheilbaren Unvollkommenheit jeder Sprache, nicht nur der traditionellen Metaphysik, für das Ausdrücken der Grundeinsichten des Seins. Den Gebrauch des Strichs kann man hier also als eine Art der Verbesserung der epistemologi- schen Funktionen der Sprache betrachten.

Aber so ein Verstehen des Strichgebrauchs steht in Widerspruch zu Heideggers anti-instrumentaler Auffassung der Sprache als eines Werkzeuges. Wie kann man das erklären? Solche Operationen kann man eben als Maßnahmen betrachten, die dem Abhorchen der Sprache dienen, zur Gewinnung der in ihnen enthaltenen Intui­

tionen. Man kann sich hier auf die Unterscheidung zwischen der Tiefen- und Ober­

flächenstruktur berufen und der Sprache der begrifflichen Formen, die sich in der Sphäre der oberflächlichen Artikulationen zeigen können, eine Tiefenstruktur zu­

schreiben. Der erwähnte Widerspruch würde dann in der Oberflächenstiuktur statt­

finden.

Anders zeigt sich die kategoriebildende Rolle des Heideggers-Strichs in seiner bindenden (synthetisierenden) Funktion, die vielleicht für diese Philosophie am mei­

sten markant bleibt. Es entsteht der Eindruck, daß der Strich hier eine nominalisie- rende Funktion ausübt, d.h. er bildet Konstruktionen, die als Namen funktionieren.

Sprachgebilde mit einem nominalen Charakter.

Es ist charakteristisch, daß es in der Tradition der klassischen Philosophie immei die Tendenz zum Verbinden der Kategorisierung mit der Nominalisierung und im Zusammenhang damit zum übermäßigen Ausdehnen der Kategorie von Namen gab.

(Wir lassen hier viele andere erfinderische Techniken der Reduktion von Ausdrücken zu Namen unbeachtet.) Heute, nach dem Vorbild von Husserl und Leśniewski, wird eine sehr weite Auffassung der Kategorien angenommen, von welchen die Kategorie der Namen nur ein besonderer Fall ist.

Darüber, daß eine Folge von Ausdrücken, z.B. „In-der-Welt-sein” (B.l), als ein Name funktioniert, entscheiden — neben dem Heidegger-Strich — auch solche Fakto­

ren (selbständige oder unterstützende) wie der bestimmte Artikel „das” und der

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Der

Heidegger-Strich” — Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 163 Gebrauch der Großbuchstabens in dem Wort „In”. Diese Sprachmittel werden oft von anderen begleitet, wie z.B. der Kursive, der Verdickung, dem Anführungszeichen oder noch anderen Mitteln, die zur Aussonderung und Hervorhebung eines Ausdruckes und damit zur Betonung seines ganzheitlichen Charakters dienen. Diese oder andere Mittel der Nominalisierung können allein oder zusammen mit anderen auftreten und in diesem zweiten Fall pleonastisch oder unterstützend wirken, indem sie gegen­

seitig interferieren und diesen Wortzusammensetzung eine spezifische, auch außer­

syntaktische Bedeutungseinfärbung geben.

Wenn wir hier von der wortbildenden Funktion des Strichs in dem besprochenen Sinn sprechen, riskieren wir eine Vereinfachung, weil es streng genommen darum ginge, daß dieser Strich der Prägung der betreffenden Ausdücke gewöhnlich mit- -dient, sie mit-bildet. Dieses Problem übergehen wir aber meistens in unseren Über­

legungen, weil es kein ernstes Mißverständnis verursacht und zu allzu minutiösen Diskussionen führt. Das widerspricht nicht der Möglichkeit einer Wortbildung mit dem Strich allein, wie auch der Tatsache, daß er meistens in diesen Wortzusammenset­

zungen eine hauptsächlich lexikologische Rolle spielt (was wir hier auch befürworten).

Die Fixierung des semiotischen Status des Heidegger-Strichs verlangt auch die Berufung auf die in der logischen Semiotik grundsätzliche Gegenüberstellung von Sprache und Metasprache, die aber von der hermeneutischen Tradition in Frage gestellt wird. Dieser Unterschied — wie viele semiotisch-logische Distinktionen — paßt nur selten gut zur natürlichen Sprache. Die Unbestimmtheit des Strichs hat, scheint’s, ihren Grund eben in der kategorialen Unbestimmtheit der Ausdrücke der natürlichen Sprachen.

Gemäß der zwei Möglichkeiten der Analyse von natürlichen Sprachen (deskrip­

tiver oder korrigierender) kann man sich entweder mit der Feststellung der Tatsache der Unbestimmtheit des Strichs — von dem Standpunkt der Gegenüberstellung von Sprache und Metasprache — begnügen oder ihn genauer bestimmen, indem man sich für eine dieser Möglichkeiten entscheidet. Eine subtilere Betrachtung dieses Problems müßte die traditionelle Suppositionslehre in Betracht ziehen.

Im Falle Heideggers zeigt im allgemeinen der Kontext seines philosophischen Diskurses, daß er die hier erörterten zusammengesetzen Worte eher nicht-metasprach- lich verstanden hätte.

Diese Art der Wortbildung ist zweifellos für Heidegger spezifisch (und zugleich ein wenig künstlich) und gehört als solche zu den nicht-vermetasprachlichenden Operationen, von denen es in der natürlichen Sprache viele gibt.

Wir wollen hier nur die nominalen Deskriptionen erwähnen, die mit Hilfe solcher Ausdrücke wie „der Fall, daß”, „der Umstand, warum” gewonnen werden und die den propositionalen Ausdrücken vorangehen, und solche Deskriptionen, die mit Hilfe solcher Ausdrücke wie „der, welcher” gewonnen werden und die einem Prädikat vorangehen.

Die Logik kennt übrigens noch das Abstraktionszeichen (nach der Indextheorie

i i »

(12)

164 Andrzej Bronk, Stanisław Majdański

von K. Ajdukiewicz der Kategorie n/z), das aus einer Aussageform einen Namen macht. Es wird nicht-metasprachlich und rein exterisional verstanden, im Unter­

schied zu den oben erwähnten intensionalen namensbildenden Funktoren.

Ein Verdacht der Metasprachlichkeit des Heideggers-Strichs (das projiziert natür­

lich auf irgendeine Weise auf die mit seiner Hilfe gebildete Wortganzheit) hat viel­

leicht seinen Grund in der Möglichkeit oder sogar Tatsache, daß er metasprachlich eingeführt wird (vgl. B.l). Das ist hier ganz anders als im Falle der Ausdrücke mit dem Anführungszeichen. Die hier durch den Strich verursachte Fesselung unserer Aufmerksamkeit hat den Charakter einer begleitenden Intuition (/i actu e.xercito), die auf demselben Niveau, d.h. der Objektsprache, auftritt. Das ist in Übereinstim­

mung mit dem Geiste der Philosophie von Heidegger, die doch dem Sein selbst maximal nahe bleiben will.

*

Es bleibt ein Kreis von Problemen übrig, die den Heidegger-Strich vor allem im philosophischen Kontext unterbringen.

Um den nominalen Charakter der Ausdrücke, die mit dem Strich gebildet werden, näher zu bestimmen, wollen wir nach dem Spezifikum dieser Namen fragen. Der Gebrauch des Strichs zur Verbindung (Trennung) einiger Ausdrücke (zuweilen von verschiedener semiotischer Kategorie) bildet aus ihnen einen irgendwie zusammen­

gesetzten Ausdruck. Der genaue semiotische Status solcher Ausdrücke ist nicht klar.

Es entsteht der Eindruck, daß der Gebrauch des Heidegger-Strichs den auf solche Weise geprägten Ausdrücken einen eher intensionalen als extensionalen Charakter verleiht.

Diese Tatsache entspricht gut der maximalistischen Einstellung der Philosophie Heideggers. In einem solchen Typ des Philosophierens bedient man sich in der Regel eines intensional verstandenen Systems der Grundkategorien. Dieses System ist vor allem verstanden als die „Begriffswelt” oder Welt der möglichen Gegenstände (im Unterschied zu realen Gegenständen), und als solches — wenn man nicht einen simpli­

fizierenden Extensionalismus voraussetzt und akzeptiert, d.h. der Reduktion der Kategorie zum Begriff einer Klasse — wird es eben inhaltlich behandelt.

Diese intensionale Behandlung der Kategorien steht in Verbindung mit ihrem ursprünglich rhematischen Gebrauch. Das ist im Einklang mit Heideggers Programm:

dem unthematischen, nicht-denotativen und nichtreisierenden Sprechen in der Philo­

sophie. Paradox bleibt dabei die Tatsache, daß in der idealistischen Tradition der Philosophie die Kategorien zu den spezifischen — und dazu grundsätzlichen — Themen der Philosophie werden.

Ein weiteres Charakteristikum der nominalen Eigenart der Ausdrücke mit dem

Heidegger-Strich verlangt eine grundsätzliche, weil philosophische Vertiefung unter

Berufung auf eine Reihe der Voraussetzungen aus dem Bereich der philosophischen

Semiotik oder der philosophischen Grundlagen der Semiotik. Gerade jetzt muß man

noch einmal den provisorischen Wert dieser Überlegungen in Erinnerung bringen.

(13)

Der

Heidegger-Strich"

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 165 Das, was hier angeboten wird, ist eine ziemlich freie Interpretation der Philosophie Heideggers in Zusammenhang mit der betrachteten Manier des Strichgebrauchs.

Diese Problematik wird hier auf einem breiten philosophischen und allgemein- semiotischen Hintergrund erörtert, wobei man nicht den selbstverständlich gewagten Vergleich dieses Stils des Philosophierens mit anderen Philosophien (vor allem mit der gegenwärtigen Tradition der klassischen Philosophie) vermeidet.

Im allgemeinen kann man sagen, daß die mit dem Heidegger-Strich erhaltenen Ausdrücke zweifellos mit der Kategorie der Aussage und mit dem, was mit ihr direkt verbunden ist, im Zusammenhang stehen.

Im Anschluß an das Gesagte akzeptieren wir hier eine Reihe von allgemeinen Voraussetzungen, zuerst der fundamentalen, semiotischen Priorität der Kategorie der Aussage gegenüber anderen Kategorien. Dieser Standpunkt steht im Einklang mit der Auffassung der heutigen Semiotik (abgesehen von den Ansprüchen einiger Texttheoretiker). Dieser Voraussetzung entspricht die (strittige, aber bis jetzt allge­

mein akzeptierte) These von der methodologisch ursprünglichen Position der Aus­

sagenkalküle unter anderen logischen Kalkülen.

Ferner wird hier die (auch heute allgemein akzeptierte) idiogenische (nach Bren­

tano, Twardowski, Husserl und der gegenwärtigen Semiotik) Theorie des Urteils vorausgesetzt. Im Zusammenhang damit — auf Grund der bekannten Übereinstim­

mung der Aussage mit dem Urteil: die Aussage ist ein Zeichen des Urteils, und dieser ist die Bedeutung der Aussage — kann man auch die idiogenische Theorie des Satzes annehmen. (Wir übergehen hier das äußerst komplizierte Problem des gegenseitigen Verhältnisses von Satz, Aussage und Urteil).

Schließlich akzeptieren wir hier, daß der Aussage (dem Urteil) auf der Seite der Wirklichkeit irgendetwas entspricht, was gewöhnlich vage als Sachverhalt, dynamisch verstandenes Ereignis, existential oder statisch verstandene Tatsache bezeichnet wird.

Außerdem setzen wir die allgemein in der (logischen, philosophischen und lingu­

istischen) Semiotik akzeptierte These von der eigentümlichen Beziehung der Aus­

sage zu dem Zeitwort (Prädikat) voraus: über den aussagemäßigen Charakter einer Äußerung entscheidet das Zeitwort (welchem auch sehr oft ein ähnlicher semanti­

scher Bezug wie der Aussage (dem Urteil) zugesprochen wird). Wenn wir dem Zeitwort — auf der mentalen oder realen Seite — irgendetwas zuschreiben, beziehen wir das indirekt auf die Aussage. Wir wollen hier nicht mehr auf weitere Einzelheiten dieses Problems eingehen, wie z. B. das Problem der Opposition zwischen den Aussagenstrukturen de secundo adiacente et de tertio adiacente (mit der bevorzugten Rolle des Wortes „ist” als des grundlegenden Zeitwortes) und ihrer gegenseitiger Austauschbarkeit.

Die hier über die Aussage (das Urteil) gemachten Voraussetzungen bestimmen somit negativ die Kategorie der Namen, die — sehr allgemein gesagt — keinen semiotisch fundamentalen Charakter haben, also relativiert sind zu der Kategorie der Aussagen. Das findet seine Entsprechung in der Tatsache, daß wir uns in der Defini­

tion der Namen (in der syntaktischen direkt und in der semantischen Definition indi-

(14)

166 Andrzej Bronk, Stanislaw Majdański

rekt) auf den Begriff der Aussage berufen. Bemerken wir bei dieser Gelegenheit, daß die Tatsache allein, daß wir uns hier auf die innere, nichtaussagenmäßige Struk­

tur des Satzes berufen, nicht entscheidend bleibt (und der Begriff des Subjekts und Prädikats läßt sich verallgemeinern).

Kehren wir aber zu den zusammengesetzten Namen zurück, darunter denjenigen, die mit dem Heidegger-Strich geprägt werden. Sie befinden sich in einer eigentümlichen semiotischen Situation und erfüllen einige spezifische Bedingungen.

Sie stehen vor allem in einer besonders engen Verbindung mit der Kategorie der Aussage (indirekt: des Urteils). Mit anderen Worten, es sind irgendwelche nominale (indirekt: begriffliche) Äquivalente der Aussagen (der Urteile).

Wir berühren hier ein subtiles Problem (das sehr intensiv um die Wende unseres Jahrhunderts untersucht worden ist), nämlich den Status von sogenannten Enuntia- bilien, die Suppositionen (von Urteilen), die vorgestellten Urteile und die Vorstel­

lung der Urteile, die Quasi-Urteile, die durch die Phänomenologen verbreitete Unter­

scheidung der prädikativen und urteilenden Funktion im Urteil und die Frage der rea­

len Referente der genannten Akte.

Beim Versuch der Bestimmung des semiotischen Status des Heidegger-Strichs und der mit ihm geprägten Ausdrücke kommt der reiche Problemkreis in Frage, der normalerweise im Zusammenhang mit dem englischen Ausdruck „proposition”

diskutiert wird und der ein Erbe dieser Tradition ist, die durch die Namen protesis, propositio, enuntiatio und iudicium markiert ist.

Manchmal spricht man von sprachlichen „nominal-propositionalen” oder

„propositional-nominalen” Gebilden, die ein Mittelding zwischen den Urteilen und Begriffen sein sollen. Das ist eine sehr unpräzise Ausdrucksweise, denn es ver­

langt eben ganz sicher das Vergleichen und die Untersuchung der konkreten Funktio­

nen der beiden Kategorien von Aussage und Namen (der Urteile und Begriffe). Es gibt auch einen begründeten Zweifel, ob man dieses Problem überhaupt auf diese Weise darstellen darf, weil es zu einer Verwechslung der Aspekte (der Begriffe) bis zur contradictio in adiecto führen kann.

Aus diesem Grunde vielleicht geht es hier praktisch entweder um — irgendwel­

che — Aussagen, wenn auch frei von einigen ihren Funktionen, wie z. B. des prag­

matischen Behauptungsmoments (A. Pfänder) und der semantisch-existentialen Po­

sition (der existenzialen Bedeutung sensu stricto) oder um die Namen, die jedoch mit einigen besonderen Funktionen versehen wurden, die eher für die Aussagen (Urteile) typisch sind.

Auf diesem Hintergrund zeigt sich das Problems des Heideggers-Strichs im neuen Licht. In seiner kategorisierenden und nominalisierenden (verbunden mit der Konzeptualisierung) philosophischen Sprache entscheidet sich Heidegger für die Möglichkeit, daß es sich hier um die Namen handelt. Und obwohl formal die hier besprochenen nominalen Ausdrücke nur einen Teil der technischen Termini seiner Philosophie bilden und dazu nicht immer den systemisch zentralen, kann man den­

noch diese Maßnahmen des Strichgebrauchs auf sein ganzes Sprechen ausdehnen.

(15)

Der

Heidegger-Strich" — Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 167 Sowohl vom Standpunkt der Semiotik als auch der Gesamtheit seiner Ansichten gibt es hier in dieser Hinsicht keine besondere Schwierigkeiten. Heidegger, scheint’s, wenn er es nur wollte, könnte seine ganze philosophische Sprache — wenigstens an zentralen Stellen — dieser Operation der Segmentierung-Desegmentierung unter­

ziehen.

Wenn auch keine Verbalisierung ganz und gar übersetzbar ist (das Problem des Übersetzern von einer Sprache und deren Ausdrucksmittel in eine andere Sprache), so dient sie doch — auf eine mehr oder weniger gelungene Art — der Darstellung bestimmter Erkenntnisinhalte. Von einem gewissen Standpunkt aus ist es erlaubt zu meinen, daß bei Heidegger die Manier des Strichgebrauchs wirklich bestimmte episte- mische Inalte ausdrückt, in anderen Fällen aber — so sieht es aus — seinem kognitiven Unternehmen nicht gewachsen ist. Von dem nicht immer epistemisch wesentlichen Gebrauch des Strichs zeugt die Tatsache, daß man ihn in einigen Kontexten — ohne Verlust der durch ihn übermittelten Inhalte — umgehen kann. Z. B. hat Hei­

degger „Sein zum Tode” ohne die Striche geschrieben, seine Nachfolger habe sie hier aber gebraucht. Das hat aber den Inhalt dieses Ausdruckes nicht geändert.

Heidegger möchte, daß seine Philosophie den ganzen Dynamismus des Seins wiedergibt, und ganz bestimmt will er nicht, daß sie nur eine statische Theorie ist.

Ferner geht es ihm nicht um das abstraktiv aufgefaßte Sein, sondein um das Sein in seiner Konkretheit. Präziser gesagt, er will ein konkretisierendes und nicht klas­

sifizierendes (quantitatives) Bild des Seins geben, das eher mereologisch (wir wollen hier diesen logischen Begriff gebrauchen) verstanden wird. Im Zusammenhang damit geht es hier um die Operation der Partition und die grundsätzliche Relation der Partizipation und nicht um das Verhältnis: das Allgemeine und das Einzelne.

Die graphische Zergliederung des Textes durch Heidegger kann suggerien, daß er eine bestimmte Verbindung zwischen der (äußerlichen) Sprachform und dem durch sie ausgedrückten Inhalt sieht (was auch in der Phänomenologie und nicht nur dort betont wird; hier sollte z. B. W. von Humboldt und H.-G. Gadamer erwähnt werden).

Von einer anderen Seite betrachtet hat Heideggers Philosophie ein visuelles Ge­

präge. Wir haben hier mit etwas anderem als der „gesprochenen” — höchstens gra­

phisch transkribierten — Philosophie des Altertums und des Mittelalters zu tun.

Dieser visuelle Charakter der Philosophie kann seine Rechtfertigung in der quasi­

räumlichen Beschaffenheit unseres Denkens finden, das auf der visuellen Erfahrung der Welt gründet.

Heidegger gehört zu diesen Philosophen, welche die — so oder anders verstan­

denen — Tiefenstrukturen suchen. Er erklärt sich dabei für die Ursprünglichkeit der gesprochenen Sprache, denn sie gibt nach ihm besser den natürlichen Rhytmus vom Denken und Sprechen wider, in ihr wird die Welt in ihrer Totalität erreicht. Das Sein enthüllt sich eben in der gesprochenen und dazu eher dichterischen als ra­

tionalisierten Sprache. Es entsteht der Eindruck, daß für Heidegger die verschiede-

(16)

168 Andrzej Bronk

,

Stanislaw Majdański

nen visuellen sprachlichen Operationen (wie z.B. der Gebrauch des Strichs) eine sprachliche Kopie des natürlichen Prozesses des Denkens und Sprechens sind.

Das erinnert hier an die „picture theory of language” von L. Wittgenstein, der — wie bekannt — eine Isomorphie zwischen den sprachlichen Strukturen und den mit Hilfe der Aussagen (Urteile) herausgeschnittenen Fragmenten der Welt (Sach­

verhalten) sieht. Es geht hier um die tiefen Strukturen (N. Chomsky): bei Wittgen­

stein um die logischen und bei Heidegger — sozusagen — um die sprachlich-begriff­

lichen Strukturen, beide jedoch in dem oben angezeigten ontologischen Sinn.

Bei unserem fortgesetzten Versuch einer tieferen Erklärung der Bedeutung des Heidegger-Strichs berufen wir uns immer auf die verschiedenen Elemente der heideg- gerschen Konzeption der Sprache und Philosophie. Die ursprüngliche Schicht is.

seiner Meinung nach in der Sprache die begriffliche und eine sekundäre die no­

minale Schicht. Es ist nicht so, daß wir zuerst Worte haben und dann für sie die ent­

sprechenden Bedeutungen suchen. „Den Bedeutungen wachsen Worte zu. Nicht aber werden Wörterdinge mit Bedeutungen versehen” (SuZ, 161). Aus diesem Grunde dienen alle sprachlichen Operationen Heideggers (das Etymologisieren, der Ge­

brauch des Strichs...) nicht der Bildung neuer Wörter (Worte), sondern dem Hinein­

horchen und dem Ablauschen der Welt der sprachlichen Bedeutungen, um auf diese Weise dem Sein selbst näher zu kommen.

Es ist eben ein Problem, wie man in diesem Kontext den „Begriff” und die als bcgriflich verstandene Philosophie Heideggers auffassen soll. Denn in der idealisti­

schen Tradition, zu welcher man ihn normalerweise zählt, werden die Begriffe (Ideen) im algemeinen statisch und abstrakt verstanden. Es muß hier vielleicht Zu­

flucht zu der Idee des sog. conceptus obiectivus genommen werden, die der Scholastik des 18. Jhs. gut bekannt war. Das waren eigentlich inhaltliche Referente (in gewis­

sem Sinn objektive, wie Möglichkeiten, Essenzen) der strikt verstandenen Begriffe {conceptus subiectivus).

Beachten wir hier auch den charakteristischen Vorwurf der Hypostasierung, d. h.

der Haltung eigener, in bedeutendem Maße arbiträrer begrifflicher Konstruktionen für die reale Wirklichkeit. Dieser Vorbehalt wird sehr oft gegenüber dem Typ des Philosophierens geäußert, das durch die Begriffe oder genauer in den Begriffen erken­

nen will. Aber das wäre hier ein eigentümlicher Vorwurf, den man einem Philosophen wie Heidegger machte, der ja in der Philosophie dem objektiverenden (vergegenständ­

lichenden) Sprechen mit der subjekt-prädikativen Spiache widerspricht. Alle solche Versuche der direkten Erfassung (in actu signato) der philosophischen „Gegenstände”

(z. B. des Seins, des Menschen, des Verstehens, der Sprache...) führen zur Zerstö­

rung ihrer ursprünglichen Gestalt.

Somit befinden wir uns im Zentrum der Diskussionen zwischen dem Idealismus (extremen Realismus) und dem Realismus.

Heideggers Philosophie ist eine Art des Eventismus. Obwohl er sonst A. N. White­

head fremd ist, gehört er doch zu dem geistigen Klima einer der vielen philosophi­

schen Strömungen der Gegenwart. Die zentrale ontologische Kategorie scheinen

(17)

Der

Heidegger-Strich

” —

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 169 hier die dynamisch verstandenen Sachverhalte zu sein, die mit der Sprache episte- misch herausgeschnittenen eventistischen Fragmente der Welt. Das kommt einer idealisierenden Ontologisierung der Sprache und der Erkenntnis gleich. Alle anderen Seinskategorien werden entweder eventistisch verstanden oder relativiert zu den Ereig­

nissen (Wahrheit l I s Ereignis).

Jetzt kommt die entscheidende Frage: erlaubt die von Heidegger gebrauchte Terminologie (begriffliche Apparatur) wirklich die Verwirklichung der vorgenomme­

nen philosophischen Ziele? Es entsteht manchmal der Eindruck, daß seine ganze Philosophie gewissermaßen einen Januskopf hat: die Nominalisierung und Hypo­

stasierung der Sprache begünstigt eine statische Auffassung der Welt. Ja, mehr noch, sie lenkt vom klassischen Begriff der Wahrheit und Existenz ab, die in anderen Phi­

losophien doch für ein Fundament der Dynamik des Seins und der Erkenntnis gehal­

ten werden (wir lassen hier das in den nominalen Strukturen fehlende pragmatische Moment der Assertion unbeachtet, das doch bei der Formulierung der philosophi­

schen Thesen — die den Anspruch auf Wahrheit erheben — durchaus notwendig ist).

Stellen wir noch ein anderes Paradoxon fest: obwohl Heidegger die Unmöglich­

keit der rationalen Erkenntnis des Seins verkündet, versucht er doch andauernd gerade das Umgekehrte zu tun. Ein Kennzeichen davon ist eben der Gebrauch des Strichs als eines Mittels zur „rationalen” Artikulation der philosophischen Inhalte. Scnst bleibt nur noch die Sprache der Dichtung oder des Schweigens, abgesehen von der Sphäre der religiösen Erkenntnis.

Falls die Unangemessenheit der verwendeten sprachlich-epistemischen Mittel für das anvisierte Ziel festgestellt wird, kann man entweder ganz auf diese Mittel oder das Ziel verzichten oder sie einer Modifizierung unterziehen. Heidegger ver­

sucht gewissermaßen systematisch hinter die nominalisierende Sprache zu kommen, und dazu dient ihm u.a. der Strich. Es entsteht allerdings der Eindruck, daß er trotz allem Bemühen doch in dieser Sphäre bleibt.

Bei der Verwirklichung seiner Erkenntniszwecke modifiziert er in der Tat nur die Kategorie der Namen, indem er sie auf den Bereich ausdehnt, den man gewöhn­

lich in der klassischen Semiotik als typisch für das Funktionieren der Aussagen erachtet. Es mag nämlich behauptet werden, daß die gegenständlichen Entsprechun­

gen der zusammengesetzten Namen und Aussagen, aus denen diese Namen generiert werden oder mit denen sie verbunden bleiben, informativ identisch sind. Das ist aber eine gewisse Vereinfachung, denn diese Namen sind — wie jedei Name und auf besondere Weise die zusammengesetzten Namen — direkt oder indirekt (durch das die Aussage bildendes Zeitwort) zu den Aussagen relativiert.

M. A. Krąpiec (von der thomistischen Philosophie her) versucht ähnliche Erkennt­

niszwecke wie Heidegger zu realisieren. Ja, mehr noch, seine Antworten lassen gewissermaßen eine analogische Richtung erkennen. Er ist alsein Konkretist und Anti­

abstraktionist zu bezeichnen und befürwortet eine dynamische Konzeption des Seins.

Es ist klar, daß diese Begriffe in seiner Philosophie eine eigene Bedeutung bekommen.

Der Konkretismus und Antiabstraktionismus bleiben nämlich mit der Theorie der

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170 Andrzej Bronk

,

Stanisław Majdański

Transzendentalien und der Separation, der Dynamismus dagegen mit der Theorie der Existenz verbunden. Bei alledem gibtdereine wie der andere Philosoph der Umgangs­

sprache den Vorrang und sieht eine grundsätzliche Unmöglichkeit einer radikalen Prä­

zisierung der Philosophie und der philosophischen Sprache (Krąpiec, wie übrigens auch Heidegger, verfügt hier über eine der Scholastik entnommene Theorie der Analogie).

Krąpiec bewältigt auch auf eine andere Weise die erwähnte Erkenntnisdissonanz zwischen der sprachlich-epistemischen Apparatur und den aufzulösenden Zielen.

Er fordert in seiner Theorie der Transzendentalien das Hinausgehen über die Kate­

gorie der Namen. Es gibt nämlich solche Strukturen der Wirklichkeit, die begrifflich nicht zu erfassen sind. Trotz aller Fraglichkeit des semiotischen Status der Trans­

zendentalien (davon wurde schon woanders geschrieben) bleibt eins relativ sicher:

sie sollen — wenigstens in gewisser Hinsicht — als Aussagen/Urteile funktionieren und dabei syntaktisch ihren nominalen Charakter behalten.

Das ist wenigstens hinsichtlich des Schwerpunkts eine andere Erkenntnistaktik als bei Heidegger. Es entsteht aber manchmal der Eindruck, daß bei dem letztgenann­

ten die mit dem Strich gebildeten Ausdrücke als Quasi-Aussagen funktionieren. Aber eine solche Interpretationstendenz steht im Widerspruch zu Heideggers Einspruch gegen das apophantische Sprechen in der Philosophie, wie auch zu dem Einspruch gegen die Reduktion der philosphischen Sprache zu einer präzisen, eindeutigen deno­

tativen Sprache (womit er übrigens mit Krąpiec übereinstimmt).

Ebenso wie Heidegger zielt auch Krąpiec auf die These ab, daß die hier erör­

terten Sprachgebilde weder Begriffe noch Urteile, weder Namen noch Aussagen sind, sondern semiotisch (und mental) eine Art von Zwischenstrukturen ausmachen. Es ist schwer, etwas zu präzisieren, was bei den Autoren selbst sehr unpräzise und kon- textuell charakterisiert wird. Etwas anders und einfacher gesagt: Heidegger steuert auf die Meinung hin, daß es sich im Falle der Ausdrücke mit dem Strich um Quasi- Namen (ihnen entsprechen die Quasi-Begriffe) handelt. Demgegen würde Krąpiec in die Richtung der Theorie der Transzendentalien gehen, die als Quasi-Aussagen (und als ihnen entsprechende Quasi-Urteile) zu verstehen wären. Den Terminus Quasi-Aussage gebrauchen wir hier in Analogie zu dem Terminus Quasi-Urteil, den wir R. Ingarden entnehmen, obwohl nicht unbedingt genau in der von ihm ge­

meinten Bedeutung; das Wort Quasi-Namen, ähnlich wie das Wort Quasi-Begriff, wurde auf dem Wege einer weiteren Extrapolation dieser Analogie geprägt.

Man kann hier die Behauptung wagen, daß Krąpiec mit seiner Theorie der Quasi-Urteile noch einen Schritt weiter auf dem Wege der immer noch rationalen Erkenntnis geht. Heidegger würde hier Platz nur für die Dichtung oder das Schweigen sehen.

Man kann hier noch hinzufügen, daß die Verbindung der philosophischen Haupt­

kategorien mit dem Konzept der Aussage und was mit ihr in direkter Beziehung bleibt, auch bei anderen Philosophen vorkommt. Sie alle knüpfen hier so oder anders an die scholastische Tradition an. Das tut Krąpiec wie auch Heidegger, der diese Tra­

dition durch seine Beschäftigung mit Duns Scotus gut kennengelernt hat. Weisen

(19)

Der „Heidegger-Strich”

Bemerkungen zur Sprache der Philosophie 171

■wir hier auch J. H. Nicolas hin, den Krąpiec in seiner Metaphysik (Lublin 1978) erwähnt, und auf T. Czeżowski, dessen Konzeptionen Krąpiec leider unbekannt sind.

T. Czeżowski schilderte die Theorie der ,.modorum entium” in großen Zügen und präzisierte sie originell von der semiotischen Seite, dieser Transzendentalien, die seiner Meinung nach durch die Funktoren ausdrückbar sind, nämlich durch die Aus- sagenfunktoren mit den Aussagen als Argumenten, wobei der Funktor der Asser- tion-Wahrheit-Existenz an der Spitze steht. Dabei bringt er ähnlich wie Krąpiec (aber er kennt nicht seine Arbeiten) die nicht begriffliche, sondern intuitive Erkenntnis­

weise dieser Modalitäten der Seinsbestimmungen (nach den Scholastikern) in Erin­

nerung.

Und schließlich drängen sich hier Analogien mit den Ideen von G. Frege (aus der Zeit seiner Begriffsschrift und auch später) auf. Er knüpft hier an die Tradition der inhaltlich-assertiven Theorie des Urteils an und führt den sog. Inhaltsstrich (der waage­

rechte Strich entspricht dem umgänglichen Ausdruck „der Umstand, daß”) ein, der einen beurteilbaren Inhalt ausdrückt; wir würden heute sagen, er gehört der Kategorie n/z an. Dieser Strich, ähnlich dem Heidegger-Strich, ist mit der Aussage {dem Urteil) verbunden und bildet zugleich einem Namen (Begriff). Der Inhaltsstrich ist ein Fragment der Ideographie, die von Frege bei der Konstruktion der Sprache seiner Logik angewandt wurde.

Die bisherigen Überlegungen veranlassen uns zu einer These, die übrigens damit übereinstimmt, was Heidegger allgemein von der philosophischen Sprache behaupte, nämlich zur Feststellung wenigstens der syntaktischen Unbestimmtheit der Aus­

drücke mit dem Heidegger-Strich. Man kann hier allgemein von der semiotischen Unbestimmbarkeit seiner ganzen Sprechweise sprechen. Denn die Syntax — wie das hier überall vorausgesetzt wird — ist pragmatisch engagiert und semantisch (onto­

logisch) begründet.

Im Zusammenhang damit entsteht die Frage, ob Heidegger sich hier die Sache nicht allzu leicht macht und sich dabei einer leichten Kritik seiner Gegner aussetzt.

Vergessen wir nicht die — seiner Meinung nach — wesenhafte Bedeutung der Sprache für die Philosophie. Durch die Sprache öffnet sich die Welt, und „kein ding sei wo das wort gebricht” (S. George). Das zeugt von einer außergewöhnlichen Bedeutung dieses Problems für diese Art des Philosophierens. Wir wollen hier auf einige Aspekte dieser hinweisen.

Die erwähnte Unbestimmbarkeit ist mit anderen Worten eine gewisse semiotische Elastizität oder sogar Vieldeutigkeit der philosophischen Versprachlichung der Welt, vor allem mit Hilfe der Wortkomplexe, die mit dem Heidegger-Strich zusammenge­

setzt sind. Man kann die These aufstellen, daß eine Vervollständigung der Bedeu­

tung möglich ist durch die Berufung auf einen typischen Kontext oder durch den

Hinweis auf eine Konsituation. Natürlich, ein Problem für sich bleibt die Offenheit,

die das sich entwickelnde philosophische Denken kennzeichnet (oder kennzeichnen

soll), aber wir lassen hier diesen Aspekt des Philosophierens außer Betracht.

(20)

172 Andrzej Bronk, S lunis la w Majdański

Theoretisch — nach der Beachtung des Kontextes und der Konsituation — wird aufs Neue — natürlich entsprechend ausgedehnt — das Prinzip der Eindeutigkeit der Versprachlichung von betreffenden Sach- und Erkenntnisinhalten betont. Dieses Eindeutigmachen geschieht wenigstens metasprachlich, d. h. auf Grund schon allein der Wahrnehmung dieser Viedeutigkeit eines Ausdrucks, der im Ausgangspunkt kon­

textlos erscheint.

In der Philosophie haben wir es eben mit kontextuellen Sprachen zu tun. Ja, noch mehr, die philosophische Sprache ist extrem stark kontextualisiert. Das ist mit der eigentümlichen Systematisierung des philosophischen Sprechens verbunden. Es ist strittig, ob und wie weit diese Tatsache mit der Systembedingtheit der Wirklichkeit selbst und ihrer Fragmente, die in den Kontext der Gesamtheit des Seins eingewickelt sind, verbunden ist. Es entsteht eine ganze Reihe von noch anderen Fragen. Kann man dieses kontextuelle Denken-Sprechen auf ein nichtkontextuelles Denken-Spre­

chen reduzieren? Ist eine solche Reduktion epistemisch gleichwertig, und wenn ja — um welchen Preis der Voraussetzungen?

Man kann, scheint’s, von dieser Reduktion insofern nicht sprechen, als wir hier mit dem erwähnten, so oder anders verstandenen Holismus des philosophischen Sprechens, der philosophischen Versprachlichung des Gegenstandes der Philosophie zu tun haben.

Holistisch ist gewöhnlich ein solches System, das man nicht (adäquat) als (nur) eine (simple) Funktion seiner Teile, d. h. seiner Elemente und Untersysteme einer — eben holistischen — Ganzheit, eines Übersystems, begreifen kann. Es ist eher umge­

kehrt, weil diese Gestalten, die keine gewöhnliche Komplexe sind, der nicht-additiv verstandenen Ganzheit einen spezifischen, wie es gesagt wird, qualitativen Sinn verleihen. Mit anderen Worten, wir haben es hier mit dem Phänomen einer gew issen Nichtanalyzität des Systems zu tun.

Typisch, wenn auch für Heidegger nicht spezifisch, ist eine solche Gebrauchs­

weise des Strichs, daß auf dem Durchschnitt zweier Begriffe ein neuer — extensional — eindeutiger Begriff entsteht. Das ist ein Beispiel einer aholistisch (also distributiv) aufgefaßten Ganzheit. Aber wie das im Falle der Idiome bekannt ist, ist ihre Bedeu­

tung nicht ein simples Ergebnis ihter Bestandteile. Etwas Ähnliches bewirkt gewöhn­

lich der Heidegger-Strich, denn infolge seines Gebrauchs entsteht eine neue Bedeu- tungsqualität, die sich nicht auf die Funktionen der separat existierenden Ausdrücke reduzieren läßt. Und noch mehr, sie gibt gewissermaßen erst diesen auf solche Weise organisierten Folgen (z. B. das „Neben-Vor-Hinter-Über-Untereinander” im B. 9) einen Sinn. Andererseits ist ein Reduktionismus sensu stricto und der ihn begleitende Funktionalismus hier ausgeschlossen.

Philosophen, die sich in der Regel einer natürlichen, wenn auch philosophisch verktinstlichten Sprache bedienen, begünstigen solche Begriffe und Maßnahmen wie Analogie, Typologie, Sprachfamilien und berufen sich dabei auf die eigenartig ver­

standene Intuition. Sie suchen (wie das bei den Phänomenologen der Fall ist) nach

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