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Widok Der liberale Gedanke im Leben und Werk Fanny Lewald

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Academic year: 2022

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Barbara Sapała

Katedra Filologii Germańskiej UWM w Olsztynie

DER LIBERALE GEDANKE IM LEBEN UND WERK FANNY LEWALD1

Wie entwirft man auf knappem Raum ein Bild vom Leben und Schaffen einer Frau, von der uns mehr als ein Jahrhundert trennt? Der Liberalismus wurde nämlich für die Königsbergerin Fanny Lewald (1811 - 1889) zum Leitgedanken ihrer Schriften. Von Anfang ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin an war der liberale Gedanke, der ihr durch die väterliche Erziehung und durch das Heranwachsen in dem aufgeklärten Königsberg eigen wurde, di­

rekt und indirekt der Sinn und Zweck, die eigentliche Botschaft ihres Schaf­

fens. Eingehende Auseinandersetzung mit dieser Frage ist einer genauen Analyse ihres gesamten Werkes gleichzusetzen und daher in dem Rahmen nicht möglich.

Hiermit wird nun ein Versuch unternommen, in einem bescheidenen Umfang auf die Elemente ihrer Herkunft und Erziehung, auf die Ereignisse der Zeitgeschichte und schließlich auf die Personen aus der Umgebung Fanny Lewalds hinzuweisen, die ihrer Denkweise, ihrer Haltung, ihrem Wirken und Schrifttum die liberale Prägung verliehen haben.

Wer war denn Fanny Lewald? Jüdin, Königsbergerin, Preußin, eine durchaus emanzipierte Frau. Man liest in ihren Büchern, Briefen, Tagebü­

chern, vernimmt die verschiedenen Meinungen von Zeitgenossen, kennt das Urteil der Nachwelt, hört die sich widersprechenden Stimmen. Die eine sagt: Fanny Lewald war eine erstaunliche Person. Aus einer traditionsrei­

chen jüdischen Kaufmannsfamilie Königsbergs stammend, geprägt von streng patriarchalischen Ansichten und Sitten: strebsam, fleißig, pflichtbe­

wußt, verinnerlichte sie Tugenden, die man „typisch preußisch” nennen wür­

de. Typisch preußisch bedeutet auch Schweigen über die zurückgehaltenen Gefühle und verdrängten Leidenschaften. Und doch rang sie sich aus Bedin­

gungen und Konventionen, die sie festzuhalten schienen, denen sie ver­

pflichtet war, zu einer selbständigen Laufbahn durch, indem sie sich mit

1 Der Vortrag wurde während der 4. Internationalen wissenschaftlichen Arbeitsta­

gung der Ost- und Westpreußenstiftung vom 3. bis 5.12.1999 in Oberschleißheim gehalten.

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ihrem Beruf als Schriftstellerin unabhängig machte, und gerade durch Schreiben und nicht durch Heiraten den Lebensunterhalt bestritt. Für eine Frau damals eine ungewöhnliche, von vielen bewunderte aber auch zugleich verspottete Leistung. Arnold Schloenbach schrieb über sie: U n te r d e n d e u t­

sch en S ch riftstellerin n en d e r G e g e n w a r t ist F a n n y L e w a ld je d e n fa lls d ie b e ­ d eu ten d ste. Ih r e k ü n stlerisch e G e sin n u n g ist e b e n so a c h te n sw e r t w ie ih re p olitisch e, u n d w en n sie d ie letztere a u ch m a n c h m a l e tw a s a u f K o s te n d e r ersten z u k u ltivieren u n d fr u c h tb a r fü r d a s L e b e n z u m a c h e n su c h te, s o ist d a s in u n serer ch a ra k terlosen Z e it n u r z u r e sp e k tie r e n.2 Bereits legendär ist dagegen die wenig sympathische Bezeichnung „das vierbeinige Tintenfisch”3, die dem Ehepaar Lewald-Stahr ein anderer Zeitgenosse, Gottfried Keller verliehen hat. In dem Brief an Hettner vom 3.8.1853 berichtet er: D a s L e w a ld sc h e E h e p a a r hat, g la u b e ich, kein en ein zig en a u frich tig en F r e u n d mehr. Ü berall, so v ie l ich h öre, erreg en sie A n s to ß , n ich t n u r d u r c h d ie O s te n ­ tation, m it w elch er sie ih r V erhältn is p r o d u z ie r e n , so n d e r n a u ch d u r c h d ie A n m a ß u n g , m it w elch er sie in G esp rä ch en z u s a m m e n g e g e n g a n z e G e s e ll­

sch aften F r o n t m a ch en . (...) E in b esch eid en er P r o fe sso r w a g te e tw a s ü b e r d en n eu esten R o m a n d e r S a n d z u sa gen , a ls d ie F a n n y sich g r o ß a r tig v o m S o fa erh ob u n d ver k ü n d e te : Ic h däch te, m ein H err, ich h ätte h ier a u ch ein W ort m itz u sp r e c h e n...4

Fanny Lewald hatte sicherlich viel zu sagen. Sie ließ sich stark von den Idealen der bürgerlichen Revolution inspirieren und stritt in Romanen und zahlreichen Aufsätzen vor allem für Rechte der Juden und Frauen auf Eman­

zipation. U n d d ie se m red lich en K a m p fe , schrieb 1896 Ludwig Geiger s c h lo ß sich d e r K a m p f fü r d ie F r e ih e it a n 5. Treu in ihrer Freundschaft zu radikalen Demokraten wie Heinrich Simon (zu dem sie jahrelang über pure Freund­

schaft hinausgehende Gefühle hegte) und Johann Jacoby, sind ihre Schriften gezeichnet von diesem F r e ih e itsstr e b e n g e g e n d ie B ev o r r e c h te te n im S ta a te 6 7,

sie verteidigten und verherrlichten das Bürgertum, sie streiten wider den Adel als eine durch Privilegien ausgezeichnete Klasse. In Gesellschaft ihres Mannes, des vielseitig gebildeten Adolf Stahr, hat Fanny Lewald a u f d e n H a u p tp lä tz e n d e r W eltkultur, in L o n d o n , P a r is u n d R o m d ie G e sta ltu n g e n d es L e b e n s stu d ie r t u n d in m eh reren B ü c h e r n g e sc h ild e r t^ . Man nannte sie, in einem Atemzuge mit George Sand, die bedeutendste Schriftstellerin ihrer Zeit, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Manche von Fanny Lewalds Romanen würden wir heute als Bestseller bezeichnen. Was aber eben noch hoch gelobt und viel gelesen wird, ist

2 Zit. in: M ä r k is c h e r D ic h te r g a r te n . Hrsg. Günter de Bruyn und Gergard Wolf, Berlin 1987, S.320.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 M ä r k is c h e r D ic h te r g a r t e n , S. 327.

6 Ebd.

7 Wolf, Gerhard: F a n n y L e w a ld - E in L e b e n - R e a l i t ä t u n d R o m a n i n : M ä r k is c h e r D ic h te r g a r t e n , S.332.

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bereits morgen nicht mehr von Belang. Zu Unrecht ist sie mit ihrem Tode in Vergessenheit geraten. S o en tg litt d er g r ö ß te Teil ih res W erk es d er A u fm e r k ­ s a m k e it d e r N a c h w e lt, u n d d a s u m so mehr, als d a s k ü n stlerisch e N iv e a u ih rer litera risch en A r b e ite n n ich t a u sreich te, u m w e n ig ste n s ein ig en von ih ­ n en b leib en d e B e d e u tu n g zu sich ern , urteilt Gerhard Wolf.8 9

Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie groß auf Fanny Lewald der Einfluß ihrer Familie war. Sämtliche Ausführungen zur Geschichte und Her­

kunft der Familie Markus (der Name Lewald wurde durch die Familie erst später angenommen. Zeitlich fiel es mit der Konversion der ältesten Söhne zusammen) stehen in engem Zusammenhang zu Fanny Lewalds L e b e n s g e ­ sch ich te und verfolgen den Zweck, Entwicklungslinien zu ihrer eigenen Per­

sönlichkeit aufzuzeigen. Wie eng der Zusammenhang zwischen Politik und Familiengeschichte im Falle der Familie Markus war, und wie sehr gerade dadurch Fanny Lewalds Entwicklung bereits von frühester Jugend an von den zeitgeschichtlichen Ereignissen beeinflußt war, schildert sie im zweiten Kapitel ihres Buches.

Die größte Rolle wird dem Vater David Markus zugeschrieben. Das Jahr 1830 steigerte seine (des Vaters) Teilnahme an der Politik. D ie N a m e n d er g r o ß e n fr a n z ö sisc h e n u n d en g lisch en S ta a ts m ä n n e r w a ren u n s d u rch den V ater von j e h e r g e lä u fig g e w e s e n u n d von fr ü h a u f h a tten w ir d ie Vorzüge d er k o n stitu tio n e lle n R e g ie r u n g rü h m e n h ö r e n ? Als sich nun in Frankreich die Bewegung gegen die Reaktion der Bourbonischen Herrschaft kundzugeben anfing, lebte und webte der Vater in der Teilnahme für die französischen Liberalen, und die Unterhaltung in der Familie, der er den Ton angegeben hatte, richtete sich mehr und mehr auf politische Gegenstände hin. Während man in kaufmännischen Kreisen mit Besorgnis der Möglichkeit entgegen­

sah, daß in Frankreich infolge der Ordonnanzen eine neue Revolution zum Ausbruch kommen könnte, hoffte David Markus entschieden auf diese Um­

wälzung. Ic h erin n ere m ich n och se h r d eu tlich , m it w elch leu ch ten d en A u g e n er u n s d ie N a c h r ic h t von d e r J u lirev o lu tio n verk ü n d ete. [ ...] E r h ielt ein Z e itu n g s b la tt in d e r H a n d u n d sa g te : „ D ie R e v o lu tio n ist a u sg eb roch en . K a r l d e r Z e h n te ist g e flo h en , d ie L ib era len h a b en g esieg t. [ ...] D a s w ir d L u ft u n d B e w e g u n g n a ch a llen S e ite n sch a ffen . D e r V ater w a r fr e u d ig erreg t u n d sc h w u n g v o ll, d e r O n k el, b ed e u te n d ä lter als er, sch ü ttelte a b w e h r e n d den K o p f. D ie fr ü h e r e K n e c h tsc h a ft d e r J u d e n h a tte ih n ä n g stlich g em a ch t, er w a r ein B ü rger, w ie d e sp o tisc h e R e g ieru n g en sich ih n w ü n sc h e n m ü sse n . E r w a r v o llk o m m e n z u fried en , w en n m a n ihn sein e S te u e r n za h len , in sein em B e r u fe a rb eiten u n d in se in e m H a u s e nach B elieb en sch alten lie ß.10

Der Vater ließ sich die Zeitungsberichte mehrmals vorlesen, wobei er die Entwicklung einer freien Verfassung auch für Preußen erhoffte. Die Julire­

volution muß eine Revolution nach seinem Sinne gewesen sein, denn sie

8 a.a.O.

9 Lewald, Fanny: M e in e L e b e n s g e s c h ic h te in: M ä r k is c h e r D ic h te r g a r t e n , S.81.

10 Lewald, Fanny: L e b e n s g e s c h ic h te , S.92.

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brachte den gebildeten Bürgerstand an das Regiment, sie legte die Gewalt in die Hände des Standes, zu dem er selbst gehörte, in die Hände der intelli­

genten Gewerbetreibenden, u n d d a r ü b e r h in a u s g in g e n w e d e r W ü n s c h e n och A n sic h te n d e s Vaters. H ä tte er d ie Z e it von a c h tz e h n h u n d e r ta c h tu n d v ie r z ig erlebt, [ ...] so w ü rd e er sich oh n e F r a g e d e n B e str e b u n g e n d e r D e m o k r a tie a u f d a s en tsc h ied en ste a b g en eig t b ew iesen h a ben . E r w a r a llen se in e n U n te r g e b e ­ nen ein g e r e c h te r u n d vo rso rg lich er H err. [ ...] A b e r d e n G ed a n k en , d a s sein e K o m m is , sein H e r r J ü r g e n s, sein H e r r E h le r s , d a ß sein e A r b e i te r m it ih m g leic h stim m b e r e c h tig t sein sollten , [ ...] w ü r d e e r a ls ein e T orh eit, ja , a ls B e le id ig u n g sein er W ü r d e v o n sich g e w ie s e n h a b e n d Er dürfte in diesem Betrachte als ein Beweis dafür gelten, wie schwer selbst Menschen von

h ellem G eist, von e d le m H e r z e n d ie S c h r a n k e n d e r Z e it ü b ersch reite n , in w elch er sie d ie J a h re ih rer K r a ft v e r le b te n,12

Auf Fanny Lewald machte die französische Revolution einen tiefen Ein­

druck, d e n n sie w a r [ ...] d a s erste g r o ß e E r e ig n is, das sie m it d e u tlic h e m B e w u ß tse in u n d m it m e in e m V erstä n d n is d a r a u f v orb ereitet er le b te,13

Es war auch die Zeit, daß die Börneschen Schriften ein großes Aufsehen zu machen begannen. Seine Auffassungsweise hatte etwas typisch Nationa­

les, das viele, darunter auch Fannys Vater und sie selbst, mächtig ergriff.

Seine Ideen hatten etwas Erweckendes, d a s d ie H e r z e n n ic h t m e h r z u m E in sc h la fe n k o m m e n ließ. [ ...] A u c h d ie k lein ste von B ö r n e s A r b e ite n w a r ein A u f r u f z u r B e fr e iu n g von irg en d w elc h en V orurteilen , e in A u f r u f z u r F r e ih e it

ü berh a u p t.14

Die geistigen Anstöße, die sie zu der Zeit erhielt, kamen zu einem großen Teil von Eduard Simson, dessen Eltern mit den Markus verschwägert waren und die seit 1827 einige Räume des Vorderhauses bewohnten. Eduard Simson, der zu dieser Zeit bereits Student war, machte sie mit den ersten philosophischen Begriffen in seiner eigenen, liberalen Auslegung vertraut.

Er wurde dem Mädchen schon in der Schule als Vorbild gepriesen.

Bereits in ihren ersten Romanen C le m e n tin e und J e n n y weitet sich Fanny Lewalds Gesichtskreis über die Grenzen des persönlichen Erlebens aus. Sie ging dabei von der Thematik aus, die sie als Frau und Jüdin direkt betraf, von der speziellen Frage der Ehe zwischen Juden und Christen.

Zugleich berührt sie aber die umfassenden Fragen der religiösen Toleranz und der Stellung der Juden im deutschen Staat. Daß sie ein solches Thema aufgriff, zeigt, wie engagiert sie zu dieser Zeit die gesellschafts- und tagespo­

litischen Ereignisse verfolgte und wie eng sich in ihrer Auffassung Literatur mit Politik verknüpfte. Als eifrige Leserin der H a lle sc h e n J a h r b ü c h e r , an denen sich die g a n z e tü ch tige J u g e n d j e n e r Z e it schulte, aber auch durch die Nähe zu vielen führenden Königsberger Liberalen, verfolgte sie, wie sich in

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Lewald, Fanny: L e b e n s g e s c h ic h te , S.87.

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Königsberg die ersten p o litisc h e n B ü r g e r v e r sa m m lu n g e n und B ü r g e r r e sso u r ­ c e n15 bildeten. Johann Jacoby, d ie leiten d e S e e le des Kreises aufgeklärter Demokraten in Königsberg machte sich den Namen als Arzt durch seinen tatkräftigen Einsatz während der Cholera-Epidemie in Polen 1831. Bekannt mit dem Vater Fanny, einem der ersten jüdischen Stadträte, war er der Hausarzt der Familie Lewald und wohnte im Nachbarhaus. Einen sehr en­

gen freundschaftlichen Kontakt hatte sie auch über ihren Vater zu Ludwig Crelinger, dem langjährigen Hausgenossen der Familie Markus. Doktor Kosch, der ebenso wie Crelinger zu dem Kreis freisinniger Männer um Jacoby gehörte und sich in Wort und Tat für die Judenemanzipation einsetz­

te, war der spätere Hausarzt der Familie.

Sicher war Fanny Lewald daher mit den von Jacoby 1841 publizierten Vier F r a g e n , b ea n tw ortet von ein em O stp reu ß en vertraut. Die dort enthaltenen Forderungen der bürgerlich-liberalen Opposition: Verfassung, Volksvertre­

tung, kommunale Selbstverwaltung und unabhängige Justiz sprachen sie an und fanden ihre entschiedene Zustimmung. Gerade was das Selbstverständnis des liberalen Bürgertums betraf, hat Fanny Lewald mit großer Wahrschein­

lichkeit bereits zu dieser Zeit von Jacoby ganz entscheidende Anregungen erfahren. Vom Jahr 1848 an verband beide, nicht zuletzt wegen der großen politischen Übereinstimmung, eine lebenslange Freundschaft, die jedoch in den siebziger Jahren durch eine völlig entgegengesetzte politische Entwick­

lung, worauf noch später eingegangen wird, zeitweilig getrübt wurde.

Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV. hatte nicht nur im libera­

len Bürgertum, sondern auch bei den Juden große Hoffnungen geweckt, vor allem da der König in seinem Eid bekundet hatte, daß er sich für das Gedei­

hen und die Ehre a ller S tä n d e, a ller C o n fe ssio n e n u n d a ller V o lk sstä m m e16 einsetzen werde. Auch Fanny Lewald hatte dies 1840 in ihren B r ie fe n a u s K ö n ig s b e r g , die in E u r o p a , der von ihrem Onkel August Lewald herausgege­

benen Zeitschrift abgedruckt wurden, als hoffnungsvolles Zeichen der könig­

lichen Toleranz gesehen. Später aber, als die Rede in der K ö n ig sb e r g e r H a r - tu n g sc h e n Z e itu n g abgedruckt wurde, war es allen p e in lic h a u fg efa llen , wie sie sich erinnert, daß die Wendung a ller C o n fe ssio n e n gestrichen wurde. In ihrer L e b e n sg e sc h ic h te wies sie darauf hin, daß während sie die J e n n y

schrieb, die Emanzipation der Juden ein G eg en sta n d lebh after E r ö te r u n g war.

Es sei unverkennbar gewesen, daß die R e g ie r u n g u n ter d e m V orgeben, die V erh ä ltn isse d e r J u d e n s e lb stä n d ig festz u ste lle n , n u r ein e sch ärfere A b s o n d e ­ r u n g d e r se lb e n von d en C h r is te n17 beabsichtigt hatte. Hiermit spielte sie wahrscheinlich auf die Diskussionen an, die der 1842 vom König gegebenen Regierungserklärung folgten und in denen es um die Einführung Jüdischer Korporationen” und den Ausschluß vom Militärdienst sowie den öffentlichen Ämtern ging.

15 Lewald, Fanny: L e b e n s g e s c h ic h te , S.92.

16 Lewald, Fanny: B r ie fe a u s K ö n ig s b e r g in : M ä r k is c h e r D ic h te r g a r t e n a.a.O., S. 95.

17 Ebd.

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Im Oktober 1865 schreibt Fanny Lewald an ihren Freund: [ ...] d a s m a c h ­ te m ir d a s L e b e n in B e r lin n ich t b eh a g lich ... M i r is t’s seit J a h r e n g le ic h , w a s sie in d en K a m m e r n treiben , m e in A n te il a n d e n V orgä n gen k n ü p ft sic h a n D ic h u n d ein p a a r a n d ere M e n sc h e n , u n d ich h a b e m e in A u g e a u f d ie g a n z e sozia le E n tw ic k lu n g , a u f d ie E m a n z ip a tio n d e r F r a u g er ic h te t... Ic h w e r d e z u a rb eiten su ch en u n d B ism a r c k s R e g im e n t m ich so w e n ig a ls m ö g lic h k ü m ­ m ern lassen . ...B l e i b e g e s u n d ...^

Der Freund antwortet aus Königsberg: M i r - d e m K ö n ig lic h e n P r e u ß i ­ sch en S ta a tsv erb rec h er - g e h t e s n ach d en U m stä n d e n g u t, n ic h ts fe h lt m ir a l s - F r e i h e i t ... 19

Fanny Lewald schrieb Johann Jacoby, von dem diese Antwort kam, Briefe Woche um Woche, dreißig an der Zahl während seiner sechsmonatigen Haft, die er wegen Beleidigung Seiner Preußischen Majestät und der Mitglieder ihres Staatsministeriums verbüßte. Ihr Briefwechsel liest sich wie ein persön­

licher Kommentar zu den politischen Auseinandersetzungen jener Tage.

Lewald selbst war nie aktiv politisch nach dem heutigen Verständnis.

Was aber blieb denn einer Frau, die sich ohne Reputation und öffentliches Mandat in die Politik einmischen wollte, anderes übrig, als zur Feder zu greifen. Und welche Form hätte sie wählen sollen, da die Zensur direkte Pamphlete verbot und deren Verfasser - wie Jacoby - polizeilich verfolgte?

Die Geburt des sozialen Romans als camouflierten Protestes hatte seine Stunde - aber er war ein Kind dieser Umstände, die mit ihnen selbst aufge­

hoben und erledigt waren, sobald sie sich selbst erledigt hatten. Fanny Lewalds Briefe an Jacoby lesen sich spannender als ihre Romane, in ihnen kann sie sich unverstellt darstellen, spontan und heftig - und ihr Gesprächs­

partner bekommt durch seine eigene Handschrift Profil, wie keiner ihrer fingierten Protagonisten. Johann Jacoby diente Fanny Lewald übrigens auch als Vorbild ihrer Gestalten. Unverkennbar ist er z.B. in der Gestalt des jüdischen Arztes Bernhard, der sowohl im D r itte n S ta n d (1845) als auch in den W a n d lu n g en (1853) auftaucht. In ihm stellte Fanny Lewald einen stol­

zen, selbstbewußten und liberalen Freigeist dar, der durch eigene Kraft für sich selbst bereits eine vollständige Emanzipation erreicht hat:

A l s J u d e g e b or e n , h atte d e r D o k to r a u s sein en e rsten L e b e n s ja h r e n d ie E r in n e r u n g an ein e d rü ck en d e A r m u t in se in e m G e d ä c h tn isse b e w a h r t [ ...]

m it je n e r e isern er A u sd a u er, m it j e n e r u n e r m ü d lic h e n th ä tig en G e d u ld b e ­ g a b t, d ie ein en H a u p tz u g in d e m W esen d e s jü d is c h e n V o lk ssta m m e s b ild en , h a tte B e r n h a r d [ ...] sich fr ü h d e m L e id e n d e r M e n s c h e n z u g e w e n d e t u n d leiblich er u n d g e istig e r N o t z u steu ern g e s tr e b t [ ...] E r k a n n te d ie E r s te a u s d en Tagen sein er K in d h e it, er k a n n te d ie A n d e r e d u r c h d ie U n te r d r ü c k u n g sein es Volkes, d u rch d ie K r ä n k u n g e n u n d B e h in d e r u n g e n , w elch e e r a ls S o h n d ieses Volkes a u f se in e m W eg e erfa h ren hatte. E r w a r d e r ra stlo se A r b e ite r fü r

18 M ä r k is c h e r D ic h te r g a r te n , S. 134.

19 Ebd.

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d ie E m a n z ip a c io n d e r J u d e n u n d [ ...] h a tte fü r sein e P e r so n von d e r G e se ll­

sc h a ft d ie E m a n c ip a tio n erla n gt, w elch e d e r S ta a t d a m a ls d en J u d e n noch v e r s a g te.20

Fanny Lewalds soziale Tendenzromane kamen Jacoby recht. Er fand in ihnen schon verbal sein spinozistisches Zukunftsprogramm wieder und frag­

te nicht nach ihrer künstlerischen Kompetenz, die der Autorin oft, auch wenn mit Unrecht abgestritten wurde.

Nach der gescheiterten 48er Revolution richtete sich die ganze Hoffnung Fanny Lewalds auf die Erreichung der deutschen Einheit. Anfang der sechzi­

ger Jahre war ihre Einschätzung diesbezüglich noch sehr pessimistisch. Sie glaubte nicht, daß ein zw e iu n d se c h z ig jä h r ig e r s e n tim e n ta le r M a n n , dessen ganzes Leben k ro n p rin zlich a b w a r te n d e s g e w e s e n sei, noch ein e w e ltb e w e g e n ­ d e K r a ft sein k ö n n e . Das Schlechte am Konstitutionalismus sei, so meinte sie, daß sich keiner wirklich verantwortlich fühle:

D e r K ö n ig ist u n v era n tw o rtlic h - w o z u ist er a lso d a ? D ie M in is te r fü h le n sich u n v era n tw o rtlic h , d a d ie letzte E n ts c h e id u n g eig en tlich in d e r H a n d d er K a m m e r n liegt, u n d u n sere K a m m e r n fü h le n sich a ls d a s fü n fte R a d a m W a gen , w eil sie, so w ie sie je t z t sin d , w irklich n ich t d ie V ertreter d e s Volkes

sind21

Daß ihr die Tat jederzeit mehr galt als verzagtes Abwarten, zeigt der Briefwechsel mit Jacoby aus den frühen sechziger Jahren. 1861 drängte sie ihn zu einer Kandidatur für den dritten Berliner Bezirk und begründete dies mit folgender Erklärung: W o es sich u m V or w ä rtsb rin g u n g ein es g r o ß e n P r in ­ z ip s h a n d le, V essen tielle e st d 'a rriv er/22 Auf seine Ablehnung zur Wahl ins preußische Abgeordnetenhaus 1862 reagierte sie mit Unverständnis: D u k a n n s t n ic h t w ie P o sa sa g e n : D ie s J a h r h u n d e r t ist m e in e m Id e a l n ich t reif!

W er in d ie W a h lb e w e g u n g ein getreten ist, m u ß d ie W a h l a n n e h m e n.23

Bismarcks Vorgehen in der schleswig-holsteinischen Frage und der sich anschließende deutsch-österreichische Krieg brachten für Fanny Lewald - wie für viele andere ehemalige Liberale und Bismarcksgegner - die Wende.

Hatte sie noch am 20. Juni 1866 an Althof geschrieben, daß sich ihre g a n z e N a tu r v o r d e m G ra u en d e s K r ie g e s e m p ö r e24, so klang der einen Monat später geschriebene Brief schon weniger negativ. Zwar werde man einer

S ä b e lh e r r sc h a ft entgegengehen, schrieb sie, aber eins blieb wahr: P r e u ß e n s L e is tu n g s fä h ig k e it h a t sich in j e d e r B e z ie h u n g g lä n z e n d , j a ü b er all u n ser E r w a r te n b e w ä h r t,25 Damit drückte sie sicherlich die allgemeine Stimmung aus, die sich dann auch in der Beilegung des Verfassungskonflikts äußerte.

Nachdem durch die Gründung des Norddeutschen Bundes (1866/67) und

20 Lewald, Fanny: W a n d lu n g en . I, S. 132.

21 Silberner, Edmund, J o h a n n J a co b y . P o l i t i k e r u n d M e n s c h 1978. Bd. II; 109f.

22 Le-Ja. 10.12.1861. Nachlaß Lewald-Stahr, Staatsbibliothek Berlin.

23 Silberner, 1978.Bd.II: 219.

24 Le-Alt.20.6.1866. Nachlaß.

25 Le-Alt.21.7.1866. Nachlaß.

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durch den Deutschen Zollverein (1867) die deutsche Einigung immer greifba­

rer wurde, bekannte sich Fanny Lewald auch schließlich klar zu diesem Ziel, aber auch zu den von Bismarck gewählten Mitteln, dies zu erreichen. Jacoby schrieb sie, sie hätten sich alle geirrt, als sie 1848 glaubten, e s sei sc h o n Tag.

Jetzt sei sie sicher, daß d ie d e u tsc h e E in h e it d a s ein z ig e M itt e l z u r F r e ih e it sei. J e d e s A tte n ta t g e g e n d ie K lein sta a terei, j e d e n F o r ts c h r itt z u r E in h e it ” sä h e sie d a h e r als e tw a s s e h r B e g r ü ß e n sw e r te s an.26

Mit dieser Ansicht vollzog Fanny Lewald einen für das früher liberal gestimmte Bürgertum charakteristischen Kurswechsel. Interessant ist dabei, daß ab 1866 gerade jüdische Liberale die nationalliberale Partei wählten, weil sie die Vollendung der rechtlichen Gleichberechtigung als deren Verdienst ansahen. In den darauf kommenden Jahren entfernte sich Fanny immer deut­

licher von ihrem alten Gesinnungsgenossen Jacoby. 1879, als es um die Frage der preußischen Annexion von Elsaß und Lothringen ging, bezog sie eine durchaus nationale Position. Erstaunlich, wie die ehemalige Anhängerin der Republik, die den Krieg 1848 als letzten R e s t th ierisch er R o h h e it27 bezeichnet hatte und deren 1 0 A r tik e l g eg en d en K r ie g auf dem Genfer Friedenskongress weiten Anklang gefunden haben, ihre bisherigen Überzeugungen als „Verstan­

desirrtum” abgetan hatte. Wie gesagt, war sie aber kein Einzelfall. So viele ehemalige „Fortschrittler” wanderten zu den Nationalliberalen ab, daß man von einer allgemeinen Trendwende sprechen kann.

Ihr Brief an Jacoby aus dem Jahr 1870 faßte viele Argumente zusam­

men, die für den neuen nationalliberalen Kurs sprachen. Sie machte es ihm zum Vorwurf, daß er sich geweigert hatte, die Zustimmungsadresse an König Wilhelm zu unterzeichnen:

W ie d u a u ch ... ü b erze u g t sein m o ch test, d a ß d ie im J a h r e 1 8 4 8 d u r c h d ie R e v o lu tio n g e p la n te rep u b lik a n isch e E in h e it D e u ts c h la n d s b e sse r g e w e s e n w ä re a ls die g e w a lts a m e E in ig u n g d e r M o n a r c h ie , so w a r d ie se letz tere d o ch eb en d a ... D e in e W eig eru n g , d ie s a n zu erk en n en ... h a b e ich u n rec h t g e fu n d e n ...

D a r f m a n , u m sein en G r u n d sä tz e n u n d Id e a le n treu z u b leib en , e s a u ß e r A u g e n lassen , d a ß z w isc h e n d e r W elt, w ie sie ist u n d d e m e r se h n te n u n d fü r m ög lich g eh a lten en Id e a l ein e n och völlig u n a u sfü llb a re K lu ft a u fg ä h n t - u n d h at ein e M in o r itä t ein R ech t, ihre M e in u n g in e in e m A u g e n b lic k g e lte n d z u m a ch en , in w elc h em sie völlig oh n e A u s s ic h t ist, irg en d ein en E in f lu ß a u f d ie M a ß n a h m e n d er H a n d e ln d e n im Vaterlande z u erlan gen , w ä h r e n d sie ta tsä c h ­ lich d ie F e in d e d es V aterla n d es in ih rem S tr e b e n g e g e n d a sse lb e e r m u tig t?...

E s ist... d e r d u rch d ie W elt g e h e n d e K a m p f u m d ie E x is te n z ... E s is t a lso m öglich , d a ß d ie F r a n z o se n u n terg eh en m ü sse n , w en n sie d e m fr ie d lic h e n B e ste h e n ih rer M itm e n s c h e n z u ein em H in d e r n is s e w erd en , u n d m a n h a t...

ih rer S e lb stsu c h t g e g e n ü b e r n ich t e in m a l d a s R e c h t, sein e S e lb s ts u c h t z u verleu g n en.28

26 Le-Ja. 14.4.1867.Nachlaß.

27 1848. H.S.6.

28 Le-Ja. 12.4.1870.

(9)

Daß Jacoby auf diesen Brief mit Gegenargumenten nicht mehr antwor­

ten wollte, ist verständlich. Wie sehr die Wege der ehemaligen ,Achtundvier­

zigerin” und ihres langjährigen Freundes Jacoby auseinandergingen, zeigte dessen Eintritt in die Sozialdemokratische Partei. Jacoby war zu der Über­

zeugung gelangt, daß neue Impulse nur mehr von der Arbeiterschaft kom­

men konnten, Fanny Lewald dagegen glaubte ungebrochen an die staatstra­

gende Kraft, die vom Bürgertum ausgeht.

Literatur

I. E rw ähnte W erke u nd S ch riften von Fanny Lewald:

B r ie fw e c h s e l m it J o h a n n J a c o b y , H e r m a n n A l t h o f (Nachlaß).

E r in n e r u n g e n a u s d e m J a h r e 1 8 48. Braunschweig 1850.

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J e n n y in: G e s a m m e lt e W erke. Bd.9.

W a n d lu n g e n . Berlin: Janke 1864.

Z e h n A r t i k e l w i d e r d e n K r i e g in: K ö ln i s c h e Z e itu n g . Jg. 1867. 16. September. Nr. 257.

Beiblatt 1.

II. S ek u n d ärliteratu r:

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de Bruyn, Günter, Wolf, Gerhard (Hrsg.) M ä r k is c h e r D ic h te r g a r te n . Berlin 1987.

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Grab, Walter; Schoeps, Julius: J u d e n im V orm ä rz u n d in d e r R e v o lu tio n v o n 1 8 48. Stut- gart und Bonn 1983.

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Toury, Jacob: S o z i a l e u n d p o l i t i s c h e G e s c h ic h t e d e r J u d e n in D e u t s c h l a n d 1 8 4 7 - 1 8 7 1 ; z w is c h e n R e a k tio n , R e v o lu tio n u n d E m a n z ip a tio n . Düsseldorf 1977.

Cytaty

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