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Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 11. Jg. 15. Juli 1905, No 14.

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D ie „ A e r z tlic h e S a c h v e rs tä n d ig e n -Z e itu n g “ e r s c h e in t m J "fl A A lle M a n u s k rip te , M itte ilu n g e n u n d r e d a k t i o n e l l s t A ll­

m o n a tlic h z w e im a l. D u rc h je d e s d e u tsc h e P o s ta m t iA ____ ^ B I fra g e n b e lie b e m a n zu s e n d e n an D r. F . L e p p m a n n , w ird d ie s e lb e zum P r e is e von M. 5.— v ie r te ljä h r lic h f M I | M 9 ■ ''M B e rlin N W ., W u lle n w c b e r s tr . No. 4/5. K o r r e k tu r e n , (M. 4.94 fü r d ie S a c h v e rs tä n d ig e n -Z e itu n g , C P f fü r I j I f k I I I I I l I I I j R e z e n s io n s - E x e m p la re , S o u d e ra b d riic k e , I n s e r a te und

B e s te llg e ld ) fre i in s H a u s g e lie fe rt. ® B e ila g e n an d ie V e r la g s b u c h h a n d lu n g .

Sachverständigen-Zeitung

Organ für die gesamte Sachverständigentätigkeit des praktischen Arztes

sow ie für

praktische Hygiene und Unfall-Heilkunde.

R e d a k t i o n :

Dr. L. Becker Dr. Florschütz Dr. FQrbringer Dr. Haug Dr. HofTa Dr. Kionka Dr. Kirchner Dr. A. Leppmann

G eh M e d -R ;it P r o f e s s o r G e h .M e d .-R a tu P ro f. P ro f e s s o r G e h .M e d .-R a t u. P ro f. P r o f e s s o r G eb. O b.-M ed.-R . u. P ro f. M e d .lt a t

Berlin. Gotha. B erlin. M ünchen. B erlin. Jena. B erlin. B erlin.

Dr. von Liszt Dr. Ostertag Dr. Puppe Radtke Dr. Roth Dr. Schwechten Dr. Silex Dr. P. Stolper Dr. Windscheid G eh. J u s t.- R a t u. P ro f. P r o f e s s o r P r o f e s s o r E a is e r l. G eh. R e g .-R a t R e g .- u . G eh. M ed .-R at G eh. S a n .-R a t P r o f e s s o r P r o f e s s o r P ro fe s so r

B erlin. B erlin. K ö n ig sb erg . B erlin. P otsdam . B erlin. B erlin. G öttin gen . L eip zig.

V e r a n tw o r tlic h e r R ed a k teu r:

Dr. F. Leppmann

Z w e ite r A rzt a n d e r K ö n ig l. S tr a f a n s ta lt M o a b it u n d d e r d a m it v e r b u n d e n e n I r r e n a b te ilu n g

B erlin.

V e r l a g v o n R i c h a r d S c h o e t z , B e r l i n NW., L u i s e n s t r a ß e No. 36.

XI. Jahrgang 1905. JW. 14. Ausgegeben am 15. Juli.

I n h a l t :

O rlgln allen : B r u n s , D ie m yasthenische P aralyse vom Standpunkt des ärztlichen Sachverständigen aus. S. 273. — O s t e r t a g , AVie hat sich die G esundheitspolizei gegenüber dem V erkauf pasteurisierter Milch zu stellen? S. 277. — H a u g , Eine eigenartige Verbrennung des Trom m elfells. S. 278.

R eferate. Innere Medizin: S i e g e l , U ntersuchungen über die Ä tiologie dev P ocken, der Maul- und K lauenseuche, des Scharlachs und der Syphilis. S. 278. — B .a lir, Ruhrepidemie in Duisburg im Jahre 1904.

S. 279. — G e o r g i i , Über die vermeidbaren Impfschäden. S. 279. — L e n z , E inige kurze Bem erkungen zu der Abhandlung des Herrn K reisarztes Dr. Lem bke: E ine Paratyphusepidem ie im Kreise Kreuznach. F r i e d e l , E inige Aveitere Bemerkungen zu derselben Abhandlung. S. 279. — F i s c h e r , Ein F all von Stom atitis aus klinischem und bakteriologischem G esichtspunkt. Bacterium stomato- foetidum, ein aerober Fäulniserreger. S. 279.

Neurologie und Psychiatrie: H itz ig * , Ärztliches Obcrgutachten über den

G esundheitszustand des Arbeiters B. S. 280. — L a e h r , W ie sichern wir den H eilerfolg der A nstalten für Nervenkranke. S. 280.

— H o c h e , Zur F rage der „erblichen B elastung“ bei G eistes­

krankheiten. S. 280. — I l b c r g , Über G esundbeten. S. 280. — S i g e l , B eitrag zur F rage der Spätgenesung von P sych osen . S. 280.

— G r o ß , K asuistisch er Beitrag zur klinischen und forensischen i

Beurteilung des Pseudo-Q uerulantenwahns. S. 281. — W e b e r , Chronische Paranoia in verwaltungs-, straf- und zivilrechtlicher B eziehung. S. 281. — V o g t und F r a n c k , Über jugendliche P aralyse. S. 281.

Hygiene: D e u t s c h , D ie Übertragung ansteckender Krankheiten durch

B adeanstalten und deren Verhütung. S. 281. — H e im , D ie

W iderstandsfähigkeit verschiedener Baktcrienarten gegen Trocknung und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials, insbesondere beim Seuchendienst und für gerich tlich-m edizinische Z w ecke.

S. 282. — S c h l o ß m a n n , Säuglingsschutz und Säuglingssterblichkeit.

S. 282. — S c h a p s , Zur Frage der K onservierung der Milch durch Formaldehyd, spezioll zum Z w ecke der Säuglingsernährung. S. 283.

— P f u h l , Über die Entstehung, Erkennung und Behandlung un­

dichter Fleischkonservebüclisen. S. 283. — H a f f t e r , Unfall- und Krankenfürsorge, sow ie W ohlfahrtseinrichtungen beim Bau des Simplontunnels. S. 283.

Aus V ereinen und Versam m lungen. D er internationale m edizinische Kongreß für U nfallverletzte in Lüttich. S. 284. — G esellschaft für soziale Medizin. S. 286.

Bficherbesprechungen und A nzeigen . S. 287.

G erichtliche E ntscheidungen. Ein künstliches Gebiß ist ein Heilm ittel im Sinne des Kr.-V.-G. S. 288.

T a g esg esch ich te. Sozialpolitische Aufgaben gegenüber dem Kranken- pflegerinnenstande. S. 288. — B elgischer Irrengesetzentw urf. S. 290.

— Strafrechtliche V erantw ortlichkeit eines Arzte3, w elcher eine Operation nach einer ehem als in einem klassisch en W erke empfohlenen, inzw ischen aber verlassenen Methode ausführt. S. 291.

— Praxis-Verkauf. S. 291. - M assenerkrankungen nach F leisch- genuß. S. 291. — U rsachen feuchter W ohnungen. S. 291. — Fürsorge für m ittellose Rekurskläger. S. 292. — E ine internationale A usstellung für öffentliche allgem eine Gesundheitseinrichtungen und H ygiene und sanitäre Hilfe bei Transporten. S. 292. — Ministerial- E rlasse. S. 292.

Die myasthenische Paralyse vom Standpunkt des ärztlichen Sachverständigen aus.

V on

Professor Dr. med. L. Bruns.

N e r v e n a r z t in H a n n o v e r.

Auf keinem Gebiet der ärztlichen Tätigkeit ist die Ver­

antwortung, die wir mit der Stellung einer Diagnose über- nehmen und der Schaden, den wir folgerichtig mit einer falschen anrichten können, so groß, wie auf dem der ärztlichen Sach­

verständigentätigkeit, sei es als Begutachter in berufsgenossen­

schaftlichen, Invaliden- und Privatversicherungssachen, sei es vor Gericht in Zivil- und Strafprozessen. Während wir in der gewöhnlichen Praxis, namentlich wenn wir selber unserer Diagnose nicht genug trauen, aber auch dann, wrenn wir mit dem subjektiven Gefühle der Sicherheit eine falsche stellen, unsere Behandlung doch bei einiger Vorsicht noch so einrichten können, daß wir den Kranken weder durch Handlungen noch durch Unterlassungen direkt schädigen, es dem Untersuchten außerdem immer noch freisteht, ob er dem von uns gegebenen Rate folgen will oder nicht, wird auf unser sachverständiges Gutachten hin in den oben gestreiften Fällen mit der Macht der Staats­

b e h ö r d e n dem Untersuchten gegenüber verfahren, und wir können

deshalb durch eine falsche Diagnose — w'oliin auch die fälsch­

liche Annahme der Simulation gehört — , sowohl den Untersuchten, wie dritte Personen — vor allem Ärzte, die den Kranken früher behandelt haben, — an Vermögen, Ehre und Freiheit schädigen. Deshalb ist es für keinen Arzt wichtiger, als für den als Sachverständigen Vernommenen — und jeder Arzt kommt heute oft in die Lage als solcher gehört zu werden und gilt den Behörden a priori als Sachverständiger auf dem ganzen Gebiet der Medizin — auch über seltene Krankheiten die zu ihrer Erkennung notwendigen Kenntnisse zu besitzen, nament­

lich wenn diese Krankheiten durch die Art ihrer Symptome und die Eigenheiten ihres Verlaufes erstens die Gefahr falscher Diagnosen bei nicht gründlicher Kenntnis und falscher, manchmal auch schädlicher Behandlung, einigermaßen nahelegen und zweitens ebenfalls durch einzelne ihrer Symptome leicht foren­

sische Bedeutung erlangen können.

Auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten erfüllt diese For­

derungen eine erst neuerdings genauer erforschte und man kann wohl ruhig behaupten, auch dem größten Teil der Ärzte noch wenig bekannte Krankheit, die sogenannte a s t h e n is c h e B u lb ä r - p a r a ly s e oder besser M y a s th e n is c h e P a r a ly s e (Bulbär- paralyse ohne anatomischen Befund). Es verlohnt sich deshalb wohl

(2)

*

gerade in diesen Blättern eine kurze Darstellung der interessanten Krankheit zu geben und speziell auf diejenigen Punkte einzu­

gehen, die ihre Diagnose erschweren, die Behandlung in falsche Richtung drängen und eventuell forensische Bedeutung erlangen können. Auf die Geschichte und Literatur des Leidens kann ich hier nicht weiter eingehen; ich weise den interessierten Leser auf die im Jahre 1901 erschienene Monographie O p p en ­ h eim s: Die myasthenische Paralyse (Bulbärparalyse ohne anatomischen Befund), Berlin, S. Karger 1901, in der beides in ausführlichster Weise zu finden ist; ich will nur erwähnen, daß die Entwicklung unserer Kenntnisse über die myasthenische Paralyse im wesentlichen mit den Namen E rb , O p p en h eim , H o p p e , G o ld fla m und J o lly verbunden ist.

Zur Illustrierung des Leidens und seines Verlaufes gebe ich zu­

nächst die Krankengeschichte eines von mir durch längere Jahre genau beobachteten Falles, der noch nicht publiziert ist und alle wesentlichen Symptome und Charakteristika des Verlaufes enthält.

Frau B., 38 Jahre, Schuhmachersfrau. Erste Untersuchung am 5. September 1900. Beginn des Leidens angeblich im Februar desselben Jahres; langsam schleichender Verlauf.

Status: L. u. R. P t o s i s , lin k s e tw a s s tä r k e r ; b e id e r ­ s e i t s A b d u z e n s p a r e s e und e b e n so b e i d e r s e i t s , b e s o n d e r s lin k s P a r e s e der H e b e r d es B u lb u s; entsprechende Doppel­

bilder. Akkommodation und Pupillenreaktionen gut. A u s ­ g e s p r o c h e n e S c h w ä c h e d er S tir n - und A u g e n s c h lie ß - m u sk u la tu r . M u n d sp itz e n f a s t u n m ö g lich ; auch das übrige Gebiet der Gesichtsmuskulatur fast wie bei beiderseitiger Facialisparalyse. K a u m u sk u la tu r sch w a c h . D ie g ro b e n Z u n g e n b e w e g u n g e n gu t. Für d ie S p ra c h e a u s ­ g e p r ä g t e E r m ü d b a r k e it; die S p ra ch e w ir d r a s c h im m er u n d e u tlic h e r , n a m e n tlic h im m er n a s a le r ; das S c h lu c k e n i s t e r s c h w e r t; das G a u m e n se g e l h e b t sic h b ei der P h o n a tio n nur e in ig e M ale, dann n ic h t mehr. A ben d s b e s t e h t s c h w e r e M ü d ig k e it in A rm en und B e in e n ; auch bei gewissen Arbeiten am Tage, z. B. beim Messerputzen, versagen die Finger sehr bald; sonst ist an Rumpf und Extre­

mitäten die Ermüdbarkeit nicht ohne weiteres zu demonstrieren.

Keine Störung der elektrischen Erregbarkeit — auch keine myasthenische Reaktion; z. B. im Facialisgebiet. Keine deutliche Muskelatrophie. Sehnen- und Hautreflexe normal; keine Gesichts­

störungen; Ophthalmolskopiscli normal. Am Herzen und im Urin normaler Befund. Psychisch nichts; leichte hysterische Zeichen. Ordination: vollständige körperliche Ruhe.

Am 12. Oktober 1900 w e s e n t lic h e R e m is s io n der E r ­ sc h e in u n g e n . L. P r o p t o s is ; R. n ic h ts ; die übrigen Augenmuskeln beiderseits gut; doch tritt bei Extremstellung der Augen leichte n y s t a g m is c h e R a d d r e h u n g ein. S p r a ch e b e s s e r ; S c h lu c k e n noch e r s c h w e r t; Kauen besser; P fe ife n , M u n d sp itz e n , A u g e n s c h lie ß e n g e h t n och s c h le c h t; das Gaumensegel hebt sich jetzt kräftig und oft; hier keine Er­

müdbarkeit mehr zu demonstrieren. Die Kopfbewegungen sind frei; Arme und Beine kräftiger.

23. Januar 1901. Hat sich einige Zeit besser befunden; jetzt sind die Beschwerden wieder sehr viel erheblicher; namentlich treten häufig a s p h y k tis c h e A n fä lle a u f, in denen die Patientin zu e r s t ic k e n droht. L. d e u t lic h e P to s is ; e b en so lin k e P a r e s e d es A b d u z e n s, R e c tu s sup. und in te r n u s . Nach abwärts werden die Bulbi gut bewegt;

ebenso ist die Konvergenz normal und es verengern sich dabei die Pupillen. Z u n g en - und G a u m e n s e g e lb e w e g u n g e n se h r e r sc h w e r t; keine deutliche Atrophie w'eder an der Zunge noch im Gesicht. Keine fibrillären Zuckungen. M u n d sp itz e n u n ­ m ö g lic h , S c h lu c k e n e r s c h w e r t. A uch d ie K a u m u sk eln sc h w a c h . Am m e is te n g e s t ö r t i s t d ie S p r a c h e und h ie r

274 A e r z t l i c h e S a c h v e r

t r i t t beim la u te n L e s e n n och die E r m ü d b a r k e it seh r d e u tlic h zu T a g e ; d ie S tim m e w ird n a sa l; klappt um; die Lippenlaute werden immer undeutlicher. Im übrigen ist die Ermüdbarkeit nicht leicht zu zeigen, namentlich nicht an den Extremitäten. S eh r w e n ig a u s g e p r ä g t e m j^ asth en isch e R e a k tio n im D e p r e s s o r la b ii inf. b e id e r s e it s . Aufnahme in der Diakonissenstation Nazareth, vollständige Bettruhe.

25. Januar 1901. P t o s is lin k s g e r in g e r ; au ch S p rach e b e s s e r . S eh r a u s g e p r ä g t e f a r a d is c h e E r m ü d b a r k e it im lin k e n M u n d fa c ia lis; n ach E in w ir k u n g t e t a n is ie r e n d e r S trö m e lä ß t d ie M u sk e lsp a n n u n g b a ld n ach ; n a c h

U n te r b r e c h u n g sin d s e lb s t m it s tä r k e r e n S trö m en z u ­ n ä c h s t nur m in im a le Z u c k u n g e n a u s z u lö s e n .

1. Juni 1901. D ie m y a s th e n is c h e R e a k tio n is t n ic h t m ehr n a c h z u w e is e n ; die Muskelspannung läßt auch bei längerem Faradisieren nicht nach. Bald nachher wird Patientin wieder entlassen.

3. Juni 1901. L in k s j e t z t P t o s is ; h ä u fig au ch r e c h ts;

Z unahm e d e r s e lb e n im L a u fe d es T a g e s und schon w ä h r e n d der U n te r s u c h u n g . A u g e n b e w e g u n g e n nach oben b e id e r s e it s fa s t v o lls t ä n d ig a u fg e h o b e n : lin k e r R e c tu s in te r n u s b le ib t b ei B e w e g u n g d es B u lb u s nach r e c h ts zu rü ck ; b e id e A b d u c e n te s sch w a ch ; Convergenz ganz gut. A u g e n s c h lu ß w e n ig fe s t; M u n d sp itz e n und P f e if e n kaum m ö g lic h ; beim Zähnefletschen keine deutliche Er­

müdbarkeit; auch beiBewegungen derZunge nur im geringenMaße;

d a g e g e n erm ü d et das G a u m e n s e g e l b e i P h o n a tio n seh r ra sch . B eim L a u t le s e n w ir d d ie S p ra c h e se h r ra sch u n d e u tlic h ; beim S c h lu c k e n muß der P a t ie n t h ä u ­ f ig p a u s ie r e n , o ft sch o n n ach ein em S c h lu c k e . Kauen jetzt ziemlich gut. Nirgends Muskelatrophie; keine fibrillären Zuckungen. Muß der P a t ie n t lä n g e r e Z e it den K opf n ach v orn h a lt e n , so tr e t e n N a c k e n s c h m e r z e n ein.

D e u t lic h e m y a s th e n is c h e R e a k tio n in d er M u n d m u sk u ­ la tu r; die Abschwächung der Reaktion tritt aber erst bei langer Einwirkung sehr starker Ströme auf den linken Depressor lab. inf.

ein und dann zugleich auch auf der rechten Seite. Noch deut­

licher ist die myasthenische Reaktion jetzt im Gebiete beider Stirnaugenteile des Facialis. Asphyktische Anfälle sind in der letzten Zeit nicht vorgekommen.

24. Juni 1901. In der le t z t e n Z e it g r o ß e S c h w ä c h e in den H ä n d en ; o ft A tem b ek lem m u n g . P t o s i s lin k s s tä r k e r . L in k e s A u g e b le ib t b ei D r e h u n g des B u lb u s n a ch l i n k s g a n z s t i l l s t e h e n ( A b d u c e n s lä h m u n g ); das r e c h te g e h t d a b ei nur e tw a s üb er d ie M itte; a lso au ch s ta r k e P a r e s e des r e c h te n R e k tu s in te r n u s ; Blick nach rechts besser; D re h u n g des B u lb u s n ach oben sc h w a c h , n ach u n ten e tw a s b e s s e r . S p r a c h e la n g s a m und n a sa l;

G a u m e n s e g e l e rm ü d et se h r ra sch . Keine deutliche myas­

thenische Reaktion im Depressor labi inf.

16. November 1901. B e id e r s e it s sc h w e r e P t o s is : lin k s noch e tw a s stä r k e r ; n ach r e c h ts und lin k s j e t z t A u g e n b e w e g u n g e n g le ic h n u ll; das r e c h te b e w e g t sic h e in ig e r m a ß e n , das lin k e nur u n v o llk o m m en n ach oben und u n ten . K o n v e r g e n z auch sch w a ch . D ie P t o s is is t am M orgen am g r ö ß te n , v e r s c h lim m e r t s ic h se h r im L a u fe d es T a g e s ; b e s s e r t sic h w ie d e r , w en n der K ran k e w ä h r e n d d es T a g e s e in ig e Z e it m it g e s c h l o s s e ­ nen A u g en ruht. D a s S c h lu c k e n is t se h r e r s c h w e r t;

die Patientin kann hintereinander kaum eine halbe Semmel herunterbringen. D a s K au en is t sc h w a c h und m it S c h m erzen verbunden. Das G a u m e n s e g e l h eb t sic h kaum m ehr a ls ein m a l. Morgens kann sie nur schwer angesammelten Schleim aushusten. Z u n g e n b e w e g u n g e n g a n z g u t; ebenso jetzt nur geringe Schwäche im Fascialisgebiete; keine Atrophie; keine

s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 14.

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15. Juli 1905.

fibrillären Zuckungen. D ie N a c k e n m u sk u la tu r erm ü d et seh r ra sch ; dann t r e t e n N a c k e n s c h m e r z e n ein. Die Schwäche der Arme jetzt sehr deutlich; kann ein gefülltes Lampenbassin nicht von dem Ständer heben. Beine gut. N ir ­ g en d s d e u t lic h e m y a s th e n is c h e R e a k tio n . Im Januar und Februar 1902 war die Kranke im hiesigen städtischen Kraukenhause in der Abteilung des Herrn Professor Dr. R e in ­ hold. Dieser hat mir die dort gemachten Notizen freundlichst zur Verfügung gestellt. Die Symptome waren dort zunächst dieselben wie Ende 1901; myasthenische Reaktion wurde nicht konstatiert; b e m e r k t i s t n och , daß das M ed ia stin u m fr e i w ar. N a ch e in w ö c h ig e r R uhe im K r a n k e n h a u se b e s s e r t e sic h der Z u sta n d s e h r , b lie b a b er von da an der g le ic h e ; d ie S p ra c h e w a r k la r , b is a u f d ie G a u m en ­ la u te ; k e in V e r s c h lu c k e n mehr. D ie P t o s is g e r in g e r ; das H e b e n d er A u g en n ach oben b e sse r . D er L id sc h lu ß le id lic h . Daneben findet sich noch eine Notiz über f a s c i- c u la r e Z u c k u n g e n im O r b ic u la r is o c u li und in der Z unge. D ie s e R e m is s io n b e i v o lls t ä n d ig e r R uhe im K r a n k e n h a u s e w ar a ls o b e s o n d e r s tie f.

Bei Gelegenheit der Niederschrift dieser Arbeit erfuhr ich vom Hausarzte auf meine Anfrage, daß die Kranke noch lebte, und auf meine Bitte stellte sich die Patientin, die ich also 3 1/2 Jahre nicht gesellen hatte, mir wieder vor. Der Status am 2. Juni 1905 war der folgende: S c h w e r e P t o s is b e id e r s e it s . B e w e g u n g e n d er B u lb i m in im al; b e id e A u g e n g e h e n e tw a s n ach u n te n , g a r n ic h t n ach oben;

das lin k e e in e Spur n ach a u ß en , b e id e e tw a s in n en b e i V e r su c h e n zu s e i t l i c h e r B lic k r ic h t u n g . K o n v e r g e n z ­ b e w e g u n g auch se h r g e r in g . Konvergenz- und Lichtreaktion der Pupillen gut. M u scu lu s f a c ia lis k o n tr a h ie r t sic h b e id e r s e it s g u t; der O r b ic u la r is o c u li nur sch w a ch ; M u n d sp itz e n und P f e if e n u n m ö g lich . B r o tr in d e zu k a u e n i s t ih r u n m ö g lic h ; S p ra c h e se h r n a s a l; n a ch k u rze m L a u t le s e n u n v e r s tä n d lic h : G a u m e n s e g e l h eb t sic h b e i P h o n a tio n g a r n ic h t, Z u n g e n ic h t a tr o p h is c h , b e w e g t sic h r e c h t gu t. K ann a u f ein m a l n ic h t m ehr a ls den I n h a lt e in e s T e e lö f f e ls s c h lu c k e n ; am b e s te n d ic k e Suppen. D ie F u n k tio n der b u lb ä r e n M u sk eln is t m o rg en s b eim A u fs te h e n am b e ste n ; dann f e h lt die P t o s is f a s t g a n z , nach V / 2 Stunden ist sie schon sehr deut­

lich. H ä u f ig E r s t ic k u n g s a n f ä lle in f o lg e V e r s c h lu c k e n s od er au ch ohne das m it k r a m p fh a fte n H u s te n a n fä lle n . B eim O ffe n h a lte n der L id s p a lt e m it der H a n d , das w e g e n der s c h w e r e n P t o s i s o ft n ö t ig i s t , erm üden die A rm e ra sch ; eb e n so d ie F in g e r b eim S tr ic k e n , W a sc h e n und M e sse r p u tz e n . S ie m uß, um g e r a d e a u s zu se h e n , w e g e n der P t o s is den K o p f n ach h in te n g e n e ig t h a lte n ; d a b e i erm ü d en d ie N a c k e n m u sk e ln r a sc h und es s t e l l e n sic h au ch N a c k e n s c h m e r z e n ein. A u ch d ie S c h u lt e r ­ m u sk u la tu r erm ü d e t ra sch ; d ie H a a r e muß s ie s ic h in A b s ä tz e n m achen. Beine ziemlich gut. Sphincteren, Haut- und Sinnesfunktionen in Ordnung.

H a t w ä h r e n d der le t z t e n J a h r e m eh rm a ls e r h e b lic h R e m is s io n e n g e h a b t (siehe oben), in d en en n a m e n tlic h das E s s e n und S p r e c h e n g a n z g u t g in g ; n ie ab er v o lle I n te r m is s io n e n ; b e s o n d e r s w ar d ie P t o s is im m er v o r ­ han d en .

Wie die vorstehend mitgeteilte, ausführliche Krankengeschichte ergibt, handelt es sich bei der m y a s th e n is c h e n Paralyse um ein sich auf rein motorische Lähmungszustände beschränkendes Krank­

heitsbild, um eine Lähmung oder noch häufiger Schwäche in einem — wenigstens auf der Höhe der Erkrankung — großen Teile der vom Gehirn und vom Rückenmarke versagten Muskeln.

275 Dahin gehören zunächst die A u g e n m u sk e ln -— am häufigsten findet sich ein- oder doppelseitige, aber auf beiden Seiten nicht ganz gleich starke Ptosis — dann aber auch alle anderen äußeren Augenmuskeln, so daß unter Umständen eine vollständige Ophthalmoplegia externa vorhanden sein kann, während die inneren Augenmuskeln immer verschont bleiben. Im F a c ia lis - g e b ie t wird auch der o b ere A st mit betroffen, so daß der Schluß der Augen schwach oder unmöglich ist — ferner ist besonders das Mundspitzen und Pfeifen, dazu die Bildung der Lippenlaute erschwert. Sehr charakteristisch ist noch, daß auch die K a u m u sk u la tu r fast immer an der Parese teilnimmt.

B e s o n d e r s sta r k in die Erscheinung tritt eine meist sehr erhebliche Schwäche der G a u m e n se g e l- und auch der R a c h e n m u sk u la tu r ; daneben auch eine solche der des K e h l­

k o p fe s , während, wie namentlich auch die oben mitgeteilte Krankengeschichte lehrt, die g ro b en B e w e g u n g e n der Z unge oft gut erhalten sind. Die Lähmungen und Paresen der letztgenannten Muskelgebiete bedingen nun eine beträchtliche Störung der D e g lu t it io n und der A r tik u la tio n ; die Bissen, die schon wegen der Kaumuskelscliwäche nur schwer zerkleinert werden, werden noch schlechter geschluckt, und Flüssigkeiten kehren sehr häufig durch die Nase zurück; die S p r a ch e is t v e r w a s c h e n bis zur Unverständlichkeit, nasal und der Ton schwach, tremolierend oder umklappend. Von den spinal innervierten Muskeln wird am ersten und häufigsten die N a c k e n m u sk u la tu r ergriffen, so daß die aufrechte Haltung des Kopfes erschwert wird und bei längerer Anstrengung in den betreffenden Muskeln auch Schmerzen entstehen; dann folgt die untere Rumpf­

muskulatur, so daß auch das Sitzen schwerfällt; dann die Schulter- und Armmuskulatur — Haarmachen, Waschen, Aufhälten der Augenlider (siehe oben) — ermüdet sehr rasch; am spätesten zeigt sich eine Beteiligung der Beine. Die Muskellähmung ist nun in ihrem Charakter zwar eine schlaffe — spastische Momente fehlen ihr ganz —, aber keine atrophische; es fe h lt der M u sk elsch w u n d , meist auch fibrilläre Zuckungen und elektrische Störungen im Sinne der Entartungsreaktion. Dagegen zeigt sich nicht selten die von J o lly besonders studierte und benannte „ M y a sth e n isc h e R e a k t io n “ ; starke faradische Ströme können die Erregbarkeit der von ihnen durchströmten Muskeln vorübergehend stark — ja bis auf 0 herabsetzen;

interessant war in meinem oben beschriebenen Falle, daß diese Herabsetzung der Erregbarkeit in dem Kinnmuskel der einen Seite gleichzeitig auch in dem der anderen hervorgerufen werden konnte. Gefühlsstörungen, ausgeprägte Schmerzen und Störungen der Sinnesorgane fehlen, ebenso Störungen der Sphincteren. Die Hautreflexe sind normal; die Sehnenreflexe weder gesteigert noch abgeschwächt.

Ein klinisch sehr wichtiges Symptom sind schließlich noch Störungen der Respiration in Form asphyktischer Anfälle, einem Versagen der Respirationsmuskulatur, die sowohl durch Ver­

schlucken, wie scheinbar spontan, vielleicht durch Hineingelangen von Speichel in den Kehlkopf, nach anfänglichen krampfhaften Hustenparoxysmen, aber auch ohne dieselben, entstehen können;

sie sind sehr bedrohlicher Natur und haben in vielen Fällen plötzlichen Tod bedingt. Von Bedeutung ist noch, daß die Anfälle von Versagen der Respirationsmuskeln auch durch Er­

müdung anderer Körpermuskeln, namentlich solcher, deren Centren den ihrigen benachbart sind — also vor allem die Schlund- m uskulätur— ausgelöst werden können. Davon unten mehr.

H ö c h s t c h a r a k t e r is t is c h is t nun der V e r la u f des L e id e n s. Meist ist er ein schleichender, wenn auch manchmal mit akuten Verschlechterungen — und meist, wenn auch mit Ausnahmen, ein absteigender. Beginn mit Augenmuskel­

störungen — dann Ergriffen werden der übrigen bulbären Muskulatur; darauf der des Nackens, der oberen und schließlich A e r z tlic h e S a c h v e r stä n d ig e n -Z e itu n g .

(4)

276 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . der unteren Extremitäten. Von großer Bedeutung ist ferner

der Wechsel im Krankheitsbild. Dieser findet sich ausgeprägt sowohl für die einzelnen Symptome und vor allem für ihre Intensität, wie für das ganze Krankheitsbild. Namentlich der Wechsel in der Intensität der einzelnen Symptome ist in hohem Maße charakteristisch; die täglichen Schwankungen derselben bedingen das, was man als die gerade für diese Krankheit so typische E r m ü d b a r k e it bezeichnet hat. So kann es Vorkommen, daß die Augenmuskellähmung, speziell die Ptosis am Morgen ganz fehlt; aber sich schon wieder zeigt, wenn der Kranke eine halbe Stunde wach ist, und am Abend besonders schwer ist; ein Schlaf während des Tages kann die Ptosis wieder sehr bessern. Sehr schwer und oft besonders leicht demonstrierbar sind diese Ermüdungserscheinungen meist in der Schling- und Artikulationsmuskulatur; das Schlingen versagt nach einigem Schlucken; die Sprache, die z. B. beim lauten Vorlesen zuerst ziemlich deutlich war, wird rasch immer ver­

waschener, nasaler, tonloser, zuletzt ganz unverständlich; das Gaumensegel hält sich bei der Phonation ein- bis zweimal, dann nicht mehr. Weniger leicht demonstrierbar, aber ebenfalls oft vorhanden, ist die Ermüdbarkeit der Extremitätenmuskeln, am ersten zeigt sie sich noch in den Nackenmuskeln — der Kopf kann ungestützt nicht lange gehalten werden; aber es kommt auch vor, daß das Heben der Arme in den Schultern nur ein paarmal von statten geht; dann nicht mehr; ebenso das Auf- ricliten vom Liegen oder Sitzen.

Neben dieser Ermüdbarkeit — dem raschen, täglichen, durch die Funktion der erkrankten Muskelgebiete bedingten Wechsel in der Intensität der Einzelsymptome — kommt nun in zweiter Linie ein Z u r ü c k g e h e n d ie s e r E in z e ls y m p to m e für lange Zeit in Betracht. So können die Augenmuskellähmungen, vor allem aber die Schling- und Artikulationsstörungen, ferner die Facialisparesen, dann die Schwäche und Lähmungen der Rumpf­

und Extremitätenmuskulatur oft auf Monate verschwinden — einander Platz machen — um dann bei irgendwelcher Gelegen­

heit wieder aufzutreten. Auch das Vorhandensein der myasthe­

nischen Reaktion ist, wie auch meine Krankengeschichte lehrt, einem großen Wechsel unterworfen, und die asphyktischen An­

fälle häufen sich zu Zeiten und treten in anderen ganz zurück.

Schließlich können auch alle Krankheitssymptome, namentlich nach längerer Ruhekur, für mehr oder weniger lange Zeit zurück­

treten, so daß es zu eigentlichen Intermissionen kommt; freilich sind vollständige Intermissionen ohne das Zurückbleiben auch der geringsten Krankheitserscheinungen jedenfalls sehr selten; aber an ihrem Vorkommen und auch an deren vollständigen, wenigstens lange­

dauernden Heilung ist wohl nicht zu zweifeln. Am hartnäckigsten scheinen die Augenmuskellähmungen zu sein. Im g a n z e n h a t a b er das L e id e n , w ie au ch d ie o b ig e K r a n k e n g e s c h ic h t e z e i g t , t r o t z der R e m is s io n e n e in e n p r o g r e s s iv e n V e r ­ la u f; das L e id e n e r g r e i f t a llm ä h lic h im m er m ehr M u s k e lg e b ie t e und w ir d in den e r g r if f e n e n im m er in t e n s iv e r . Wie lange sich der Kranke bei den wechselnden Verschlimmerungen und Besserungen halten kann, lehrt auch meine Krankengeschichte — es sind aber solche mit noch viel längerem Verlauf mitgeteilt worden. Der Tod tritt in außerordentlich vielen Fällen akut in einem asphyktischen Anfalle ein; sonst im allgemeinen Marasmus.

Die Krankheit befällt im wesentlichen jugendliche Individuen, am häufigsten zwischen dem 20. und 40. Jahre. Das hohe Alter und die Kindheit sind verschont. Frauen werden auffällig viel häufiger befallen als Männer.

Die Diagnose der m y a s t h e n is c h e n P a r a ly s e kann nicht schwer sein, wenn man die Symptomatologie des Leidens k e n n t

und dieselbe eine einigermaßen entwickelte ist. Das Auftreten bei jugendlichen, besonders oft weiblichen Individuen; der lang­

same, nur manchmal schubweise Verlauf; die Verbindung einer äußeren Ophthalmoplegie mit bulbären Lähmungen, zu denen noch solche der Kaumuskeln kommen; die Beteiligung des oberen Facialisastes; die oft nur geringe Beteiligung der Zunge; die asphyktischen Anfälle; der Übergang der Lähmung und Schwäche auf die spinal innervirte Muskulatur — zuerst auf die Nackenmuskulatur, zuletzt auf die Beine; das Fehlen von Muskel­

atrophie und Entartungsreaktion, das Vorhandensein der myasthe­

nischen Reaktion; das vollständige Fehlen sensibler, sensorischer oder Sphinkterenstörungen sind schon eine große Anzahl charakteristischer Merkmale. Dazu kommt die außerordentlich charakteristische Ermüdbarkeit, sowie der Wechsel im Auftreten und Verschwinden einzelner Symptome, sowie auch aller Krank- heitserscheinungen — Remissionen und Intermissionen bis zur

dauerhaften Heilung.

Zunächst ist damit die Abgrenzung gegen die sogenannte klassische Bulbärparalyse leicht; diese kommt im höheren und hohen Alter vor und verläuft langsam progressiv, aber ohne deut­

liche Remission und jedenfalls ohne Intermissionen zum Tode.

Symptomatologisch fehlt hier die Beteiligung der Augenmuskeln und der Kaumuskeln; die Beteiligung des oberen Facialisastes ist selten; die Zunge ist meist am erheblichsten ergriffen. Die Lähmung führt zur Muskelatrophie, die am deutlichsten an der Zunge zu sehen ist — und zu elektrischen Störungen im Sinne der Entartungsreaktion, wenigstens zu partieller Entartungs- reaktion, die allerdings nicht immer leicht nachzuweisen ist.

Ebenfalls atrophische Muskellähmungen in den spinalen Muskeln treten zur klassischen Bulbärparalyse erst in deren Endstadien, wenn es sich nicht um eine spinale progressive Muskelatrophie, zu der umgekehrt schließlich bulbäre Symptome kommen, handelt. Er­

müdungserscheinungen können im Anfänge der progressiven Bulbä- paralyse — z. B. für das Sprechen und das Schlucken — auch vorhanden sein, aber sie zeigen sich nur in auch stark atrophischen und paretischen Muskeln und nicht als einzige Erscheinung in sonst nicht nachweisbar erkrankten Muskelgebieten, z. B. am Nacken und in den Extremitäten.

Die akute apoplektiforme Bulbärparalyse, die auch meist ältere und an allgemeiner Gefäßerkrankung leidende Personen betrifft, unterscheidet sich schon durch ihr Einsetzen. Die Krankheitserscheinungen sind im Anfang auf der Höhe ihrer Ausbildung und gehen, wenn der Kranke nicht im Anfalle bleibt, zurück; oft bleiben halbseitige Erscheinungen zurück, mit alternierenden Lähmungen der Hirnnerven und Extremitäten und auch sensible Störungen im Gesichte und an den Extremitäten, wenn die sensiblen Leitungsbahnen und Centren ergriffen sind. Die Lähmungen der durch die apoplektische Bulbärparalyse betroffenen Hirnnerven sind ebenfalls atrophischer Natur.

Einige Schwierigkeiten kann die Diagnose der myasthenischen Paralyse gegenüber einer chronischen oder subakuten Myelitis bulbi machen, namentlich wenn zu den bulbären auch noch spinale Erkrankungsherde hinzutreten (Polioencephalomyelitis chronica). Das Entscheidende ist hier der bei den letzten Er­

krankungen allmählich zum Tode oder umgekehrt auch zur vollen Dauerheilung führende Verlauf ohne erhebliche Remissionen, das Fehlen der Ermüdungserscheinungen und die Ausbildung echter Atrophieen mit elektrischen Störungen im Sinne der Entartungsreaktion. Auf der anderen Seite kann gerade in diesen Fällen auch der Augenmuskelapparat beteiligt und der anatomische Befund negativ sein; solche Fälle sind besonders nach F le is c h - , W u rst- und F is c h v e r g if t u n g e n beobachtet;

gerade in diesen Fällen war aber meist die innere Augen­

muskulatur beteiligt, was bei der Myasthenie nie der Fall ist.

Die Verwechslung der Myasthenie mit der H y s t e r i e war früher, als das Krankheitsbild noch wenig bekannt war, einigermaßen entschuldbar und ist auch sorgfältigen Ärzten Passiert; heute

(5)

kann eine Verwechslung nur bei oberflächlicher Untersuchung und dann Vorkommen, wenn der Arzt, wie das leider nicht so selten ist, bei etwas ungewöhnlichen nervösen Symptomen, zumalbei jungen Frauen, zuerst und allein an Hysterie denkt. Verleiten zu der falschen Diagnose Hysterie kann vor allen Dingen der Wechsel in den Erscheinungen; der Arzt kann z. B. den Patienten gerade zu einer Zeit untersuchen, wo die Krankheitssymptome zum zum Teil zurückgetreten, zum Teil nur sehr geringfügig sind;

hört er dann von dem Kranken bewegliche Klagen über die Schwere der Symptome zu ändern Zeiten, so wird er, wenn er von dem Krankheitsbilde der „myasthenischen Paralyse“

nichts weiß, allerdings auf den Gedanken der Hysterie kommen können. Im übrigen machen schon die einzelnen Symptome bei einigermaßen sorgfältiger Untersuchung diese Diagnose hinfällig;

speziell die Augenmuskellähmungen, die bei Hysterie doch sehr selten sind, und nicht in der Form auftreten wie bei der Myasthenie; dann das Vorhandensein einer myasthenischen Reaktion, die Schwäche der Nackenmuskulatur, die asphyktischen Anfälle.

Kommt es bei einer Hysterie zu einer Schlingstörung, so ist sie fast immer eine totale; dysarthrische Sprachstörungen habe ich bei Hysterie überhaupt noch nicht gesehen und schließlich fehlen hier die so charakteristischen Ermüdungssymptome. K urz, man k an n w o h l s a g e n , e in e V e r w e c h s lu n g der m y a s th e n is c h e n P a r a ly s e m it d er H y s t e r ie s o llt e h e u te n ic h t m ehr Vorkom m en.

(Schluß folgt.) 15. Juli 1905.

Wie hat sich die Gesundheitspolizei gegenüber dem Verkauf pasteurisierter Milch zu stellen?

Von

Professor Dr. Ostertag.

Im Laufe der letzten 15 Jahre ist wiederholt der Vorschlag gemacht worden, für sämtliche als Nahrungsmittel für Menschen in den Verkehr gebrachte Milch den Erhitzungszwang vor­

zuschreiben. Der Vorschlag gründete sich auf die Tatsache, daß durch geeignete Erhitzung die in der Milch vorkommenden pathogenen Bakterien getötet werden. Gegen den Vorschlag ist von vornherein die Unmöglichkeit der Durchführung geltend gemacht worden. Seitdem unsere Kenntnisse über die Bakteriologie und Chemie der Milch etwas tiefer geworden sind, reihen sich an das angegebene noch sehr wichtige Bedenken gesundheitlicher Art. Wir wissen jetzt, daß durch das übliche Erhitzen die Milch in ihrer Beschaffenheit derart verändert wird, daß sie statt zum Nahrungsmittel zum Gifte werden kann. Ich glaube nicht, daß sich heute noch ein Sachverständiger findet, der der Zwangserhitzung aller in den Verkehr kommenden Milch das Wort redete. Das allgemeine Bestreben ist darauf gerichtet, durch Überwachung des Milchviehs, der Milchgewinnung und Milchpflege reine Milch auf den Markt zu bringen, die ohne Bedenken im rohen Zustande selbst an Säuglinge verabreicht werden könnte. Diesen Standpunkt hat u. a. auch H e u b n e r vertreten, als in der Berliner Medizinischen Gesellschaft am 25. März 1903 über den S ä u g lin g s s k o r b u t (B a r lo w sch e Krankheit) verhandelt wurde. H e u b n e r sagte, dort, wo gute Milch zu haben sei, sei es entschieden vorteilhafter, dieselben den Kindern roh zu verabreichen, als gekocht zu geben.*)

Die Frage der Verwendung von Milch, die schon erhitzt in den Handel gebracht wird, schien erledigt, bis in letzter Zeit der Versuch gemacht wurde, Milch, die in der Gegend der Produktion pasteurisiert wird, auf w eite Entfernungen zum Zwecke des Verkaufs als Vollmilch zu versenden. Der Versuch

*) Zeitschr. fiir Fleisch- u. Milchhygiene, XIV. Jahrg., S. 92.

277 wird jetzt z. B. mit Milch aus Dänemark in Berlin angestellt.

Da der Versuch sich nicht bloß auf eine gelegentliche Zufuhr von pasteurisierter Milch beschränken, sondern einen großen Umfang annehmen soll und zweifellos auch die milchreichen Teile Deutschlands veranlassen wird, ihren Milchüberschuß in gleicher Weise, wie es mit dänischer Milch geplant ist, in den großen Städten zu verwenden, ist es Pflicht, auf die Gefahren hinzuweisen, die mit dem wilden, unkontrollierten Verkehr mit pasteurisierter Marktmilch verbunden sein können.

Eine Gefahr ist das Auftreten des S ä u g lin g s s k o r b u t s nach länger dauernder Verabreichung von Milch, die kurze Zeit auf einen hohen oder längere Zeit auf einen niedrigen Wärme­

grad erhitzt wurde. Nach den Beobachtungen des Kinderarztes N e u m a n n 1) i s t der S ä u g lin g s s k o r b u t in B e r lin h ä u fig e r g e w o rd en . N eu m an n führt dies darauf z u r ü c k , daß die M ilch v ie lf a c h p a s t e u r is ie r t in den H a n d e l kom m t und dann im H a u s e n o c h m a ls a u fg e k o c h t w ird.

N eu m an n verlangt daher den D e k la r a t io n s z w a n g für p a s t e u r is ie r t e M ilch , damit das Publikum erfährt, ob zum Verkauf gestellte Milch für Kinderernährung geeignet ist oder nicht.

Ob der Säuglingsskorbut durch Verminderung des Lezithin­

gehalts der Milch durch Erhitzen bedingt ist, die sich nach B or das und R a c z k o w s k i beim Erhitzen der Milch über offenem Feuer auf 28 °, 0 beläuft, oder durch eine andere Ver­

änderung der Milch steht noch dahin. Darüber bestehen aber keine Zweifel mehr, daß das Erhitzen tiefgreifende Veränderungen der Milch herbeiführt. Wir wissen, daß das Erhitzen ein Ferment zerstört, das Guajakholztinktur verändert, daß es die Gerinnungsfähigkeit der Milch auf Labzusatz aufhebt, daß es Schwefelwasserstoff aus dem Milcheiweiß freimacht, daß gekochte Milch bei neugeborenen Kälbern eine Art Ruhr erzeugt (C. 0 . J e n s e n 2) , daß rohe Milch von Kälbern leichter verdaut wird als gekochte (D o a n e und P r i c e 3), und daß gekochte Milch endlich bei älteren Kälbern lecksuchtartige Erscheinungen hervorrufen kann (eigene Beobachtungen).

Zweitens hat F l ü g g e 4) festgestellt, daß die in gewöhn­

licher W eise erhitzte, also die gewöhnliche sterilisierte oder pasteurisierte Milch e in e se h r g e f ä h r lic h e G iftw ir k u n g entfalten kann. Durch das übliche Sterilisieren und Pasteurisieren werden die peptonisierenden Bakterien nicht getötet, diese wachsen in der sterilisierten und pasteurisierten Milch unter geringer makroskopischer Veränderung derselben weiter, und drei Arten dieser Bakterien bilden so reichlich Gifte, daß ihre Verfütterung bei jungen Hunden starke, zuweilen tödliche Diarrhöen hervorruft. F lü g g e hat daher gefordert, der Verkauf der in der üblichen W eise erhitzten Milch soll nur unter der Aufschrift gestattet werden:

„Erhitzte Milch. Nicht keimfrei.

Muß unter 18° auf bewahrt oder binnen 12 Stunden verbraucht werden.“

Die hier in Betracht kommende Milch ist nach den eigenen Angaben der Importeure5) 36 S tu n d en u n te r w e g s . Hierzu kommt noch als Zeit für Zersetzungen, die Zeit, die vergeht, bis der Berliner Händler die Milch an seine Kunden abliefert, und bis letztere die Milch verwenden. Die Aufbewahrung der Milch während dieser Gesamtzeit bei einer Temperatur von weniger als 18° wird nicht kontrolliert und läßt sich nicht kontrollieren. Deshalb schließt der Verkauf der importierten

0 Zeitschr. für Fleisch- u. Milchhygiene, lauf. Jahrg., S. 157.

2) Monatshefte für praktische Tierheilkunde 4. Bd., S. 97/124 und K o lle -W a sse r m a n n 3. Bd., S. 782,

3) Zeitschr. für Fleisch- u. Milchhygiene 1904, S. 389.

4) Zeitschr. für Hyg. u. Infektionskrankheiten 17. Bd., 2. II.

5) Vossische Zeitung, Nr. 293, II. Beilage.

A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g .

Cytaty

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dauungskanal hindurchbewegt, sie in die Körpersäfte aufsaugt und somit auch seinen Anteil an der Blutbildung hat. Man kann nicht sagen, ob der Sauerstoff des

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er mußte wegen Gangrän amputiert werden. Dagegen stellte sich bei einem dreijährigen Kinde nach derselben Verletzung der Kollateralkreislauf her. Injektion von

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nämlichen Krankheit aufgenommen werden mußte, ist für den Kundigen erwiesen, daß jede Hoffnung geschwunden, daß die Erwerbsfähigkeit sich dauernd wieder über ein

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