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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, Mai 1919, 28. Band, Heft 3

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MONATSSCHRIFTEN DER COMENIUS-GESELLSCHAFT

XXVIII *BAND'9f;9;0_I^FT 5

Monatshefte

für

Kutturund Geistesleben

Mai H e f i 3

Herausgegebenvon Ferd.Jak.Schmidt Neue Folge der Monatshefte derCG.

Der ganzen Reihe 28. Band.

B&:

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung (jährL 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50

(2)

I n h a l t

Seit«

S a lin g er, R .,

Dr.,

Der Bürger zweier W e l t e n ...33

Erckmann, Fritz,

Katholizismus und Protestantismus in ihrem Verhältnis zur

M a le r e i... ... 42

S tr e iflic h te r

... 47

In d e r im C ooke-M s. e n th a lte n e n H is to ry u sw . — L e s e frü c h te

Gesellschaftsangelegenheiten,

Ein Hilferuf . . . . . . . 43

. - Literatur-Berichte

(Beiblatt)

S eite I Seite

P f e n n ig s d o rf , E tnfl, D r., C h ris tu s im d e u tsc h e n H o lm b e rg , T e o d o r , T id s trö m n in g a r o c k M innen 10*

G e i s t e s l e b e n ...9* J H o ro d e z k y , S . A „ D r ., M y stisc h -re lig iö se S trö - D le s te l, E r n s t, Die L e b e n sk u n st — e in e K ö n ig lich e J m u n g en u n te r d e n Ju d en in P o le n im 16. b is

K u n s t ... . 9* j 18. J a h r h u n d e r t ... 12*

F a fib in d e r, N ik o la u s , P ä d a g o g ik . . 10* !

Anmeldungen zur

C.

G. sind zu richten an die Geschäftsstelle

Berlin-Grünewald

Hohenzollemdamm 55; dorthin sind auch die Rezensionsexemplare und Manuskripte einzusenden. — Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

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MONATSHEFTE

DER COM EN I US~G ES ELLSCHAFT

F ü r KULTUR U ^ I ^ G E I S T E S L E B E N

I ragy/

P c o n 1 G :^Ä^H O H EN ZO LLER N DA M M 55 F E R ^ g A K S C H M m T r ^ ± f e ^ ERLIN-GRUNEW ALD

VERLAG EUGEN D1EDERLCHS IN JENA

N. F. Band 11 Mai 19Jg Heft 3

D ie Monatshefte d e r C r ~

M.irz Mai J n l i j xt ’ ’ ur u n d G e iste s le b e n e rsch ein en M itte Januar,

bei träge Bezuu*™ ■ ° Ven^ 3er- D ie M itglied er e r h a lte n d ie H efte gegen ih re Jahres- ezu g sp reis un B u ch h a n d el u n d b ei d er P o st M. 10. E in z e ln e H efte M. 2,50.

--- N ach d ru ck oh n e E rla u b n is un tersagt.

DER BÜRGER ZW EIER WELTEN

ZUM 150. G E B U R T S T A G E A L E X A N D E R V. H U M B O L D T S (14. S E P T E M B E R )

Von Dr. R. S a lin g e r

er den geschichtlichen Entwicklungsgang der Menschheit nacli- denkend überschaut, der wird, so ablehnend er auch sonst allen Versuchen geschichtsphilosophischer K onstruktion gegenüberstehen mag, sich, doch schwer dem Eindruck entziehen können, daß es eine Reihe von Persönlichkeiten gibt, die man sich aus der Geschichte

<ies menschlichen Geistes nicht hinwegdenken kann, ohne diese eines wesentlichen und wertvollen Teils ihres Inhaltes zu berauben. Die Zusammensetzung dieser j- o abein-Liste wird nach A rt und Geistcsrichtung des B etrachters verschieden aus- u i , Einstim m igkeit wird vielleicht nur über einige wenige der allergrößten Namen putschen. Uns h a t es immer scheinen wollen, daß in die Ehrenreihe dieser ganz

^ roßen auch Alexander von Humboldt gehöre. Man kann seinen Namen nicht

^ We§nchmen aus der Geschichte des deutschen Geisteslebens; er ist m it der l_' 1Zen(lsten Epoche unserer L iteratur und Geisteskultur ebenso unauflöslich ver-

•vi.uptt wie der eines K ant und Lessing, eines Schiller un d Goethe. Mit dem letzt-

■- *i Unten dieser Heroen, der ihm in bezug auf W esensart un d Allseitigkeit der Rüstigen Interessen am verw andtesten ist, teilt er auch das Glück, daß cs ihm ver-

*°i>nt war, bis über das P atriarchenalter hinaus, leiblich und seelisch frisch, zu u 11 Ken und zu schaffen und sein Leben zu einem harmonischen Abschluß zu bringen.

W enn viele ausgezeichnete Männer zu allen Zeiten sich aus dürftigen und be- uänkten Verhältnissen zu ilirer späteren Höhe em porgearbeitet haben, so gehörten 1 heim und Alexander v. Hum boldt — auch hier drängt sich der Vergleich mit

M o n a ts h e f t e d e r C.Cr. 1919.

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34 R . Salinger Heft 3 Goethe auf — zu der verhältnism äßig nicht großen Zahl derer, denen das Schicksal zu der Fülle glänzender Geistesgaben auch reiche äußere Glücksgüter in die Wiegr gelegt h atte, aber auch zu der noch weit kleineren Zahl solcher, die den Gefahren un d Versuchungen und der erschlaffenden W irkung, die in solchen begünstigenden Bedingungen liegen, siegreich zu widerstehen, von diesen den edelsten Gebrauch für die Zwecke ihrer Ausbildung u n d zur Förderung ihrer geistigen Lebensziele zu machen wissen. Alexander v. H um boldt entstam m te einer ursprünglich in Pommern u n d der N eum ark ansässigen, erst im 18. Ja h rh u n d e rt geadelten Familie. Sein V ater, Major und K am m erherr u n ter Friedrich dem Großen, bei dem er in hoher G unst stand, starb 1779; die M utter, eine geborene v. Colomb, war, wie es so oft bei bedeutenden M ännern der F all ist, eine nicht alltägliche F rau, der wenigstens ihr jüngerer Sohn Zeit seines Lebens eine aufrichtige P ie tä t bew ahrt h at. Doch scheint sie ihren Söhnen, denen sie eine vortreffliche Erziehung zuteil werden ließ, ihr Herz nie rech t erschlossen zu haben, ihnen gemütlich nie sehr nahe getreten zu sein. Alexander v. H um boldt war ein stilles, in sich gekehrtes K ind, das sich lang­

sam, aber stetig entwickelte. Eine eigentümliche Körperschwäche, die sich später ganz verlor, begleitete ihn bis in das Jünglingsalter hinein; sie h ielt ihn von den natürlichen Lebensgenüssen der Jugend un d den geselligen Vergnügungen fern, denen sein kräftigerer B ruder sich zur selben Zeit m it Behagen hingab. Beide Brüder haben nie eine öffentliche Schute besucht, was ihre geistige Entwicklung offenbar aufs günstigste beeinflußt h at. Als erster Lehrer gewann Joachim Heinrich Campe, der treffliche Pädagoge u n d Jugendschriftsteller, der B earbeiter des „Robinson"

u n d der „Entdeckung Amerikas“ , Einfluß auf die Seele des K naben. E s ist b e­

merkenswert, wie die beiden R ichtungen, die sich in dem N aturell dieses Mannes vereinigten, die Neigung für Sprachforschung un d der D rang nach Naturerkenntni.s.

verbunden m it dem Interesse für unbekannte Länder, von den zwei Brüdern ge­

tre n n t nach der Verschiedenheit ihrer Individualität aufgenommen wurden un d auf ihre spätere Geistesentwicklung bestim m end einwirkten. Nach verhältnism äßig kurzer L ehrtätigkeit wurde Campe durch den grundgescheiten u n d vielseitigen Christian K unth abgelöst, den späteren S ta a tsra t u n d Akademiker, m it dem beide B rüder auch fernerhin stets in freundschaftlicher Verbindung blieben. Im 17. Lebens­

jahre bezog Alexander, aufs gründlichste vorbereitet, die U niversität, zuerst F ra n k ­ fu rt a. d. Oder, dann Göttingen, wo Heyne, Eichhorn, Blumenbach für seine weitere Entwicklung bedeutsam wurden. Hier knüpfte sich auch der folgenreiche F re u n d ­ schaftsbund m it Georg F örster, in dessen Gesellschaft er 1790 seine erste wissen­

schaftliche Reise an den Rhein, durch Holland un d E ngland machte.

Daß das Verlangen, fremde L änder zu sehen, zuerst durch Campe in ihm angeregt, später durch den freundschaftlichen Umgang m it Georg F örster genährt und befestigt wurde, scheint unzweifelhaft. Aber wie so oft bei sinnigen u n d feiner organisierten N aturen, haben auch hier unscheinbare, aber fest haftende Ju g en d - eindrücke gegenständlicher A rt in merkwürdiger Weise mitgespielt. In seiner be­

rühm ten un d unvergleichlichen Schilderung der geschichtlichen Entwicklung des Naturgefühls im zweiten Bande des „Kosmos“ , die zu den Perlen unserer wissen­

schaftlichen L iteratu r gehört, erzählt H um boldt, wie der Anblick eines — manchem älteren Berliner gewiß noch erinnerlichen — Drachenbaum es im alten Botanischen G arten in Berlin schon früh eine unwiderstehliche Sehnsucht nach fernen Ländern

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1919 Der Bürger zweier Welten 35

" 'ih m erweckt habe. Nunmehr, nach Erledigung seiner Studien und einer mehr- M uigen praktischen Tätigkeit im Bergfache, konnte er, äußerlich und innerlich s beste vorbereitet, an die Verwirklichung dieser Jugendträum e herantreten, oc vergingen noch Jahre, bis er zur Ausführung seiner Reiäepläne kam, über

« ejen Ziel er sich anfänglich keineswegs im klaren war. Es ist bekannt, daß vei - 1(q^ene ^ P ^ i t i o n e n , denen Hum boldt sich anzuschließen im Begriff stand, nach , ^dsee, nach Algerien, Nordafrika, Ägypten, Arabien u. a. im letzten Augen- nis° ^ ^.ec^ n ^sc^ en Schwierigkeiten oder an der U ngunst der politischen V erhält- Wp 6 T' ^Gn' ®ndlich sollte er, ein zweiter Kolumbus, in Spanien die Mittel und schiff* m en’i^im 8e*ne langgehegten Hoffnungeivzu verwirklichen. Am 5. Jun i J 799 t . eJ!r S,ie. mi^ Se'n ®m m Paris gewonnenen Freunde und von da ab vieljährigen

Air Bonpiai,d’im Ha,en ~ ^ «""•

einem Frem den erteilt - * 11 dor «panischen Regierung, wie sie me zuvor zunächst Mexik 'v™aen waren, versehen, die spanischen Kolonien Amerikas, Inseln liefen die°R ^ e*sei1, Nach dem berühm ten Besuch der Kanarischen dem Schiffe ^ ^ 1Senden die mexikanische K üste an, wurden aber durch ein auf

•>oldt _ _ ausgebroclienes Fieber an der Landung verhindert. So wurde Hum- seinen ^ S,einen ^ ^ en > a^er zum Glück für die Wissenschaft — genötigt, lenken 1 den Tropenländcrn Südamerikas, zuerst nach Venezuela, zu aber v ^ er °^>reiehsten Forschungen dort wandten sie sich nach K uba, wurden

^üdam°n 'lf1Gr ^ Urc^ e*ne ^lTj8e Zeitungsnachricht zur nochmaligen Rückkehr nach zum Ch^1 K Un<^ ^1°r ^Se^Zung der Reise nach Chile und Peru, in die Kordilleren und

«lucli h 'im °lasso bestim m t. E rst von d o rt gelangte Humboldt nach Mexiko, um

«ii l 1G1 ^ nrc^ bedeutende und für Geographie und Statistik folgenreiche U nter­

suchungen seinen Namen zu verewigen.

irra h ' ^ ^ ^ o l d t s am erikanische Reise machte Epoche in der Geschichte der geo- er ®n ^ eclfun?sreisen. Wie sie für ihn selbst die Quelle wurde, aus der und T] U F1^ eS ^ ^ e n hindurch einen nie versiegenden4Reichtum von Tatsachen

een schöpfte, so h a t sie auch der Wissenschaft unschätzbaren Gewinn ge- ra c i . F ü r die verschiedensten, zum Teil weit auseinander liegen den Wissens- tjjC lete, für Erd- und Himmelskunde, für K unst- und Altertumsforschung, für

^ ensehen- und Völkerkunde haben H um boldts Forschungen bahnbrechend ge-

’ VPr a ^ em natürlich für die K enntnis der von ihm bereisten Länder selbst.

", C m it U nrecht h a t m an ihn den W iederentdecker Amerikas genannt; denn v o n

« der 8Panischen Eroberer bis auf ihn wrar Amerika — wenigstens Mittel- und

^ u merika das Land der W under und Fabeln geblieben. Sein ,,Essai p o litiq u e a lle 6 ^ ° yaUme Nouvelle Espagne“ ist für die geographisch-statistische und vor a r , fÜr §-eo8nos^ 8Ch-mineralogische Erforschung dieses Landes grundlegend üb ^ 60 ’ ^ Urc^ ujn^ seine eindringenden Studien ist Mexiko eigentlich erst der u "ligen W elt bekannt geworden. Auch h a t er seinem Glauben an die Zukunft des

^-nc es, für das er eine merkwürdige Vorliebe hegte, und an die Regenerationskraft meiner B e w o h n e r wiederholt in p r o p h e tisc h e n W orten Ausdruck gegeben. Das mexi- anische Volk ist für diese Sympathien des g ro ß e n Gelehrten nicht undankbar ge­

ieben, es ernannte ihn 1827 zugleich m it Bonpland zum Ehrenbürger und h a t ihm 18 auf den heutigen Tag ein v e r e h r u n g sv o lle s Andenken bewahrt. Am 14. Sep- ember 1910, seinem Geburtstage, wurde ihm in der S tadt Mexiko u nter p ru nk ­

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36 R. Salinger H eft 3 vollen Feierlichkeiten ein D enkmal errichtet. Schon aus viel früherer Zeit bew ahrt die Aula der dortigen Bergingenieurschule (Colegio de mineria) das Bild des großen Forschers, das ihn als M ann von 34 Jah ren darstellt und zum Gedächtnis seines Besuches in jener 1792 gegründeten un d noch heute un verän dert fortbestehenden Akademie gestiftet worden ist. Die P orträtähnlichkeit des Bildes, das dem Schöpfer der S tatue wahrscheinlich als Modell gedient h a t, wurde von Personen, die den berühm ten Gelehrten in seiner letzten Lebenszeit gekannt haben, trotz des U n te r­

schieds der Jah re als eine überraschend große bezeichnet.

Als H um boldt am 9. Ju li 1804 in Veracruz den am erikanischen K ontinent v er­

ließ, durfte er das Bewußtsein m it hinwegnehmen, sich einen P latz unter den größten wissenschaftlichen Reisenden aller Zeiten errungen zu haben — ein Ruhm, der ihm nie mehr streitig gem acht werden kann, un d der auch durch seine einViertel- jahrhundert später m it Ehrenberg u n d Gustav Rose unternom m ene zweite große Reise nach dem U ral und Zentralasien höchstens befestigt, nicht mehr erhöht werden konnte. Nach seiner R ückkehr aus Amerika nahm H um boldt seinen W ohn­

sitz in Paris, wo er nunm ehr übei zwanzig Jah re lang, im engsten Verkehr m it den wissenschaftlichen Größen des damaligen Frankreich, m it Cuvier, Gay-Lussac.

Thenard, Laplace, Biot, später nam entlich m it dem ihm persönlich am nächsten stehenden Em an. Arago, m it der Ordnung und Verwertung seiner großartigen Sammlungen und m it der Abfassung seines am erikanischen Reisewerkes beschäftigt blieb. Die große Ausgabe dieses M onumentalwerkes, eines der im posantesten D enk­

mäler der geographischen L iteratu r, u m faßt m it A tlanten u nd K upfern nicht weniger als 30 Bände größten Folioform ats; trotzdem ist das W erk unvollendet.

Der beschreibende T ext aber, der auch in einer besonderen Ausgabe erschien, darf den fesselndsten un d interessantesten Reiseschilderungen alter und neuer Zeit bei­

gezählt werden. H um boldt, der sich des Französischen — u nd ebenso des Eng­

lischen und Spanischen — im mündlichen und schriftlichen Gebrauch m it derselben Freiheit und Leichtigkeit bediente wie seiner M uttersprache, zeigt sich hier wie sonst als Meister einer edel-populären Darstellung. Im Anschluß daran widmete er sich ebenso umfassenden wie tief dringenden Forschungen auf den Gebieten der Physik, der Meteorologie und Klimatologie, der physischen u n d politischen Geo­

graphie, der B otanik und veröffentlichte auf allen diesen Gebieten eine Reihe scharf­

sinniger und gedankenreicher Untersuchungen, die die Bewunderung der F ach­

männer erregten und ihm auch als N aturforscher W eltruf verschafften.

H um boldt war anerkannterm aßen der erste Gelehrte seiner Zeit, als er 1827, dem Drängen des Königs nachgebend, der ihn ebenso wie sein Nachfolger aufs höchste schätzte, seinen Pariser A ufenthalt abbrach, um fortan am preußischen Hofe in freier Muße seinen wissenschaftlichen Interessen zu leben. Humboldts- Ü ber­

siedlung nach Berlin bildet einen W endepunkt in der Geschichte unserer Bildung, dessen soziale und geistige Bedeutung_niemand treffender gekennzeichnet h a t als H. v. Treitschke in seiner Schilderung der Berliner K ultui zustande zu E nde der Regierung Friedrich Wilhelms II I. (Deutsche Geschichte Bd. I I I S. 431 f.) Treitsch- kes Zeugnis wiegt um so schwerer, als er der Persönlichkeit und dem kosmopoliti­

schen W irken Hum boldts sonst vielfach m it dem bannenden V orurteil seines ü b er­

hitzten Nationalgelühls entgegen tritt. „H eilsam er“ , sagt der berühm te Historiker

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1919 Der Bürger zweier Welten 37 jikonnte niemfand auf das zerfahrene deutsche Leben einwirken als dieser universale1 (»eist, der für jeden eine höfische Schmeichelei bereit hielt, aber auch jede tüchtige Kraft m it großherzigem W ohlwollen und e in d r in g e n d e m Verständnis unterstützte.

Verwöhnt durch die leichte Anm ut der Pariser Salons, wollte er sich in die Grobheit, in die dürftige Enge der Heim at lange nicht finden und seufzte noch nach Jahren : ,,Berlin, ick hew di dick und satt, du bist und blivst en Barenstadt“ . Aber vom Tage seiner Heimkehr an war er eine soziale Macht. Er lenkte die Blicke des Könige auf alles N eue und Lebendige, was sich in K unst und Wissenschaft regte. Et bi achte die verwahrloste, durch den Überm ut der Spekulation fast erdrückte Natui - torschung zuerst wieder zu Ehren. Sobald er im Mendelssohnschen Garten (Leip­

ziger Straße 3), in seinem vielbewunderten eisenfreien Kupferhäuschen seine magne­

tischen Beobachtungen begann, scharte sich ein Kreis junger Talente — Encke.

Dove, Dirichlet um den Meister; Karl R itter, Baeyer und die anderen Genossen er neuer* Geographischen Gesellschaft arbeiteten ihm in die Hände, auf allen Ge- ie e n^ der exakten Forschung erwachte ein rühriger Wetteifer. Unvergeßlich war y* ^ ndruck’ aLs er gleich in seinem ersten Berliner Winter in der Singakademie

^ kK en^ c^en Vorlesungen über physische, Weltbeschreibung hielt, aus denen I]aC ^ei ”^ 08m08 hervorging, und m it genialer Sicherheit, die Träumereien der Naturphilosophen fein und scharf zurück weisend, das Programm der rein empirischen Naturbeobachtung aufstellte, welche bald alle Lebensgewohnheiten des neuen Jahrhunderts von Grund aus um gestalten sollte“ . '

Bald darauf fand in Berlin unter Humboldts L eitung die vierte deutsche Natur- orsc erversammlung statt, die sich zu einer glänzenden Huldigung der deutschen

^e e rtenwelt für den gefeierten Forscher gestaltete. An sechshundert Teilnehmer atten sich eingefunden, ln seiner Eröffnungsrede w’ies Humboldt darauf hin, wie sich die politisch und religiös gespaltene N ation hier in ihrer geistigen Einheit, m der K raft ihrer intellektuellen Fähigkeiten offenbare. Er wußte sehr wohl, d a ß ' C\ Kongresse der W issenschaft unmittelbar nur wenig Nutzen bringen — denn in der Forschung wie in der K unst gehen die schöpferischen Taten von den Einzelnen

aU^ T ’ a^Cr G1 ^ancl ^ ren W ert in dem anregenden Gedankenaustausch, in der Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen, welche „den Wissenschaften Licht, dem Leben heitere Anmut, den Sitten Duldsam keit und Milde gewähren“.

v. er große Gelehrte selbst hat es gelegentlich einmal als ein Ziel seines W irken«

in der preußischen H auptstadt bezeichnet, „in den stehenden, trüben Urschlamm des Berliner Lebens ein befruchtendes, bildendes, veredelndes Prinzip zu bringen, das Interesse von der schalsten ärmsten Frivolität ab auf etwas Höheres, Ernsteres inzulenlcen“ . Es ist uns nicht bekannt, ob und wie weit den Begründern der ersten und vornehmsten Volkshochschule Berlins in der Gegenwart gerade diese orte als Leitstern bei der Namengebung ihres einer der höchsten sozialen Auf­

gaben dienenden Instituts vorgeschwebt haben; aber es geht jedenfalls daraus her­

vor, wie berechtigt in jedem Sinne sie warenr ihre Bestrebungen an den Namen des großen Naturforschers anzuknüpfen. Und wenn diesem selber die Lösung jener selbstgestellten örtlichen Aufgabe nur unvollkommen geglückt ist, so ist ihm dafür eine weit größere und umfassendere um so glänzender gelungen. Für die Populari­

sierung der W issenschaft im besten Sinne des Worts, für die Verbreitung von Natur­

erkenntnis und die Vertiefung der allgemeinen Bildung in Deutschland haben

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38 R. Salinger Heft 3 wenige Männer in dem Maße gew irkt wie H um boldt. Durch seine klassischen ,.Ansichten der N a tu r“ , durch die schon erw ähnten Vorlesungen an der Berliner iTniversität, endlich und vor allem durch den „Kosmos“ gab er den ersten Anstoß und das edelste Beispiel einer gem einverständlichen und doch geistreichen, nicht trivialen Darstellung ernster und schwieriger wissenschaftlicher Probleme. Vom ersten Bande des „Kosmos“ — eine keineswegs ganz leichte L ektüre — wurden allein 20 000 Exem plare verkauft, und wenn auch H um boldts Schriften im all­

gemeinen noch viel zu wenig gelesen worden sind, so bilden sie doch die Quelle, aus der sich eine ganze, reiche, früher für undenkbar gehaltene Volksliteratur e r­

gossen hat.

Aber wenn man auch Hum boldts Verdienste um die Vervolkstümlichung der Wissenschaft im allgemeinen willig anerkennt, so,ist m an andererseits um so mehr geneigt, die B edeutung seiner eigenen Leistungen zu verkleinern, versucht es wohl gar, ihre O riginalität in Zweifel zu ziehen, will ihn n u r als geistreichen K om pilator.

als Sammler und Ausleger frem der Entdeckungen gelten lassen. N ichts kan n sinn- und haltloser sein als solches Gerede. Es gibt fast kein Gebiet menschlichen Wiäsens.

das Hum boldt nicht durch neue Beobachtungen und Entdeckungen bereichert oder durch neue Gedanken befruchtet h ätte. Aber noch mehr als das. Er h a t nicht nur einzelnen Wissenschaften durch seine Entdeckungen größere Entwicklung und Ausdehnung gegeben; er h a t ganz neue Wissenschaften geschaffen oder den Grund dazu gelegt, dem Menschengeist ganz neue Gebiete des Forschen s erschlossen, deren W ichtigkeit, sogleich erkannt, eine große Anzahl begabter Männer zu ihrer B ear­

beitung anlockte. Im Jah re 1805 veröffentlichte H um boldt seine „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen“ ; heute, ein Ja h rh u n d e rt später, ist die Zahl der Werke über diese Wissenschaft, die wesentlich dazu beigetragen hat, der trockenen Pflanzen­

beschreibung und Klassizif'izierung, die man früher B otanik nannte, einen neuen Geist einzuflößen, unübersehbar groß. N ur beiläufig wies er in dieser Schrift darauf hin, daß m an die Geographie der Pflanzen auch benutzen könne, um den ehemaligen Zusammenhang der K ontinente abzuleiten, ein Gedanke von größter Tragweite lind F ruchtbarkeit für die Frage der Entwicklungsgeschichte unseres Planeten. Im Jah re 1817 erschien in einem wenig gekannten Jou rnal, den „Memoires de la Soeiäte d ’Arcueil“ eine kleine Abhandlung von H um boldt über die Isotherm en oder Linien gleicher m ittlerer W ärm e auf der E rde; sie wurde der A usgangspunkt für die Wissenschaft der Meteorologie un d Klimatologie, die dann unter den Händen von Dove, Neum ayr, v. Bezold, Hellmann, v. H ann einen ungeahnten Aufschwung nahm , während sie noch am Anfang des vorigen Jah rh u n d erts von den Männern der Wissenschaft zu den zwar harmlosen, aber auch vollkommen nutzlosen Beschäfti­

gungen gerechnet wurde. H eute umzieht dank H um boldts Anregung ein Gürtel von meteorologischen Stationen aller A rt den Erdball. Auch die wissenschaftliche S tatistik, wie sie später von Quetelet, Moreau de Jonnes, Engel u. a. ausgebildet wurde, verdankt H um boldt m it ihre Begründung. Die dürren, nichtssagenden Zahlenregister, in denen sich früher der Begriff der S tatistik erschöpfte, wandelte er in eine wirklich fruchtbare Behandlung der physischen und ökonomischen G rund­

lagen des Menschenlebens im großen wie im kleinen um und schuf so die ersten Anfänge der Soziologie. In seinem schon erw ähnten „Politischen Versuch über das Königreich Nell Spanien“ sowie in dem nicht minder wertvollen über die Insel

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1919 Dör Bürger zweier Welten 39 Kuba machte er den ersten großartigen Versuch, die Volkswirtschaftslehre nach Art der induktiven Naturwissenschaften zu begründen.

Indem H um boldt bei allen diesen Forschungen überhaupt die Abhängigkeit des Menschen von den N aturbedingungen schärfer, als bis dahin geschehen, ins Auge faßte, wurde ihm klar, daß die Verschlingung der gegenseitigen Beziehungen dei K räfte und Stoffe auf der ganzen E rde durchaus eine einheitliche Gesamtauffassung aller Verhältnisse auf ihr, sowohl der im engeren Sinne sogenannten tellurischen und geophysischen wie der als ihr Ergebnis sich darstellenden biologischen Prozesse des Pflanzen-, Tier- und Menschenlebens verlange, und alle naturwissenschaftlichen Lehrfächer diesem Gedanken dienstbar machend, entwarf er den Plan einer physi­

schen Erdbeschreibung, wie sie früher nie gekannt, geschweige in Angriff genommen war. H eute bildet die physische Geographie in dem ilir von H um boldt gegebenen Sinne einen der wichtigsten und interessantesten Zweige der Naturwissenschaft.

Aber auch dabei blieb sein allseitiger Geist nicht stehen. Die periodischen Be- wegungsorscheinungen in F lu t und Ebbe führten zum Monde, die Molekular- Hchwingungen, die wir Licht un d W ärm e nennen, führten auf die Sonne als ihre 'gichtigste Quelle, und so verknüpfte sich das Leben der Erde m it dem der Himmels- kciipei im unendlichen Raume. Auch diesen großen Komplex, welchen wir W elt nennen, als ein durch innere K räfte bewegtes and belebtes, durch feste Ordnungen und Gesetze gelenktes Ganze zu begreifen und dar zu stellen, war die letzte und höchste Aufgabe, die H um boldt sich stellte und die er zuerst in jenen mehrfach er­

wähnten Vorlesungen im W inter 1827/28, später, seit 1845, in der Krone seiner Werke, in dem leider nicht ganz vollendeten ,,Kosmos” zu lösen suchte. Durch Keinen Gedanken des „Kosmos“ , des einheitlichen, gesetzlich geordneten Welt- ganzen, erscheint H um boldt als einer der bedeutendsten und w is s e n s c h a f t lic h

höchststehenden V ertreter des jetzt so viel genannten Monismus, und man muß sich wundern, daß die W ortführer dieser Richtung seinen Namen verhältnismäßig so selten u nter der Reihe ihrer erlauchtesten Vorläuter anführen. Indem er für al es in R aum und Zeit erscheinende, den Menschen und seine W irkungssphäre nicht ausgeschlossen, dieselben Grundbedingungen des Seins, dasselbe Prinzip der Wechselwirkung, dieselbe Gebundenheit an die gleichen Naturgesetze nach­

wies und den großen Gedanken der mechanischen Naturauffassung, wenn auch in selbständiger und geistreicher Wreise, zu Ende dachte, vollendete er in gewissem ."'inne die von Kopernikus, Galilei, Kepler angebahnte Umwandlung der W elt­

anschauung. Diesen Großen reiht er sich, ebenso wie Darwin, nur als ein v i e l

umfassenderer Geist, ebenbürtig an. Zugleich tr itt er dadurch in bedeutsamen Gegensatz, zu seinem großen Vorgänger im Altertum , dem ihm an Umfang des Wissens und universaler Geistesrichtung verw andten Aristoteles, dessen der seinigen entgegengesetzte dualistische W eltansicht von dem abgeschlossenen, festen, nach ewigen Gesetzen rotierenden Himmelsbau und dem Gebiet des Zufällig-Verändei liehen u nter dem Monde fast zweitausend Jahre die W elt beherrscht hat.

Humboldt war nicht nur einer der größten Gelehrten aller Zeiten, sondern auch einer der verehrungswürdigsten und interessantesten Menschen, und gerade die Verbindung dieser beiden Seiten seiner Persönlichkeit m acht ihn zu einer so einzig­

artigen und anziehenden Erscheinung. Als K nabe kränklich und viel an sein Zimmer gefesselt, widmete er die Stunden, die andere in fröhlicher Gesellschaft zu­

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40 K. Salinger Heft 3 brachten, eifriger Arbeit und ernstem Nachdenken. S päter unter der glühenden Tropensonne, im Kampfe m it der N atur, im E rtragen der schwersten Entbehrungen, festigte sich seine Gesundheit so w underbar, daß eine zähe unerschütterliche Lebens­

k raft ihn bis in sein höchstes Alter begleitete. Es ist bekannt, daß Hum boldt in seinen späteren Lebensjahren sehr wenig Schlaf bedurfte, er schlief nie mehr als vier Stunden, und zwar gewöhnlich von 4 bis 8 Uhr morgens. E r war geneigt, den regelmäßigen periodischen Schlaf für eine willkürliche Angewohnheit des K u ltu r­

menschen zu halten, die im Tierreich keine Analogie finde. Die so gewonnene Zeit wußte er durch strenge Einteilung und Ordnung aufs äußerste auszanützen. Seine A rbeitskraft und seine Arbeitslust waren erstaunlich. Oft h a t er sich in seinem Leben über den W ert der A rbeit ausgesprochen; sie galt ihm — im Unterschied von Ham lets Ansicht — als das einzige, was den Menschen adelt. H um boldts Arbeits­

k raft h a t reiche F rüchte getragen; seit dem Jah re 1790, als er zuerst seine A bhand­

lung über rheinische Basalte drucken ließ, bis zu seinem Tode (1859) ist wohl kein Jah r vergangen, das nicht durch eine oder mehrere Schriften, seien es Aufsätze in Zeitschriften oder selbständige Werke, bezeichnet wäre. . Hum boldts Schriften, mehrere H undert an der Zahl, sämtlich gelesen zu haben, h a t sich wohl noch nie ein Sterblicher rühm en dürfen.

Neben dieser außerordentlichen literarischen F ru chtbarkeit entfaltete Hum boldt eine nicht weniger staunensw erte epistolographische Tätigkeit, die nicht minder d a ­ zu beigetragen hat, daß sein Geistesleben bildend und befruchtend auf weite Kreise wirkte. Es klingt heute fast m ärchenhaft, daß H um boldt, der eine in drei W elt­

teilen sich ausbreitende B ekanntschaft m it aUen bedeutenden Menschen seiner Zeit hatte, jährlich zwischen 2000 und 3000 Briefe schrieb (einmal in einem Jah re 3800) und noch eine bei weitem größere Menge empfing. Man darf ohne Ü bertreibung be­

haupten, daß in der ganzen zivilisierten W elt in einem Zeitraum von mehr als dreißig Jah ren nichts beobachtet, nichts entdeckt oder erfunden, nichts veröffent­

licht wurde, was irgend von wissenschaftlicher B edeutung war, ohne daß es ihm sogleich m itgeteilt und von ihm dann weiter im Interesse der W issenschaft v er­

wertet wurde. Leider ist nur ein kleiner Teil seiner Korrespondenz — darunter als (las W ichtigste die Briefe an Gauß — der Öffentlichkeit zugänglich gem acht worden, woran H um boldts schwrer zu entziffernde, in späteren Jahren fast hieroglyphen­

artig unleserliche H andschrift wohl nicht am wenigsten die Schuld trägt. H um boldt schrieb bekanntlich nie auf einer Tischunterlage; er legte das Papier auf die a n ­ einander gedrückten Knie und schrieb in vorgebeugter H altung; die Zeilen der Schrift verlaufen meist viel mehr diagonal als horizontal, von links u nten nach rechts oben.

Hum boldts persönlicher Charakter war, soweit das überhau pt von einem Menschen gesagt werden kann, fleckenlos. Man h a t ihm E itelkeit und Selbstgefälligkeit zum Vorwurf gemacht, und es w’äre gewiß nicht wunderbar, wenn der berühm te Mann, dem von der ganzen K ulturw elt gehuldigt wurde, wrie nie einem Gelehrten vor ihm.

von dem Bewußtsein seines persönlichen W ertes durchdrungen gewesen wäre. Und doch war er von solcher Schwäche frei. Wie fern ihm jede wissenschaftliche E itel­

keit, jede eifersüchtige Sorge für seinen Entdecker rühm lag, geht schon aus seiner Gleichgültigkeit gegen alle Prioritätsstreitigkeiten hervor. Im Gegensatz zu der.

früher Zumal, in der deutschen Gelehrten weit üblichen Engherzigkeit geizte er nie

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1919 Der Bürger zweier Welten 41

1111 seinem Jssensgute, teilte er aus den Schätzen seines Geistes bereitwilligst mit, 6S ^?In c^or^ 1^n ’ wo e's andere in ihrem Streben fördern und der Wissen­

de a c lenen onnte. Niemals h a t H um boldt auf einen Angriff geantw ortet, nie

^l0.1 ,m 61116 °^emik eingelassen; jedes Parteigezänk h at er mit Verachtung von sic l erngehalten. Frem des Verdienst h a t niemand je in großartigerer oft über- n e enei Weise anerkannt als H um boldt; die Aufmunterung, das Wohlwollen,

< ie opferwillige Teilnahme, die er jüngeren Talenten, ja jedem strebenden Menschen, der an ihn herantrat, entgegenbrachte, ist ohnegleichen. Sein ganzes bedeutendes V ei mögen h a tte er im Laufe der Jah re der Wissenschaft geopfert; wie bekannt, starb er arm, als Schuldner seines langjährigen Kamm erdieners Seiffert, dem er seine kostbare Bibliothek und seine wertvollen Sammlungen gegen eine Leibrente hinterlassen hatte. In seinen Reisebeschreibungen finden sich- fast nur Schilde­

rungen, Beobachtungen, Reflexionen; die S ubjektivität und das persönliche Em pfin­

den des B erichterstatters treten völlig hinter den erzählten Tatsachen zurück.

Denen, die ihn, wie es oft vorkam, um Material für die Schilderung seines Lebens angingen, antw ortete er immer: „W as die Menschheit interessieren kann, steht in meinen W erken, meine übrige Persönlichkeit h at für niem and W ert als für mich

•ind einige wenige F reunde“ .

Humboldt war auch nicht der höfische Schmeichler, als den m an ihn hin,gestellt hat, der sich für den ihm durch seine Stellung auferlegten Zwang nachträglich durch Sarkasmen und boshafte Indiskretion zu seinem Freunde Varnhagen schadlos hielt.

Was er in den m it U nrecht getadelten Briefen an Varnhagen — einem der w ert­

vollsten biographischen Selbstzeugnisse — aussprach, hat er oft genug freimütig Friedrich Wilhelm dem V ierten selbst gesagt, er h at aus seiner Abneigung gegen die v on oben begünstigte Richtung, aus seiner Überzeugung von ihrer Verkehrtheit und erderblichkeit nie ein Hehl gemacht. Daß die „kleine, aber mächtige“ rück- se rittliche und frömmelnde Koterie, die den König um garnt hielt, seine Miß- ac ung und seinen S pott herausforderte, kann nicht verwundern. Dem Manne, ( essen Geist eine W elt Umspannte, der auf den Höhen des Pic de Teyde und des

imborasso,-wo das Auge in die Unendlichkeit taucht, m it dem Weltgeist Zwie­

sprache gehalten, m ußte das Treiben der preußischen Hofkamarilla wie so vieles andere, was gewöhnlichen Menschen wichtig und bedeutungsvoll erscheint, höchst em ich und lächerlich Vorkommen. Daraus erklärt sich der bald gutm ütig sc erzende, bald ironisch ätzende Spott, m it dem H um boldt so manche mensuh-

•e en Verhältnisse behandelte, die anderen als ehrwürdig und unantastbar gelten.

& er andererseits auf die am Hofe herrschenden Vorurteile — religiöse und an .?5.e notgedrungen manche Rücksicht nehmen m ußte, ist gleichfalls sehr be- grei ich. „W ahrheit“ , schreibt er einmal an Varnhagen, „ist man im Leben nur nen schuldig, die man am höchsten ac h te t“ , und dieses W ort iin Munde eines . ..f!11 ° ^ ^ geeignet, uns zu ernstem Nachdenken anzuregen. Wenn er sich dem io iscien Treiben mehr, als manchem m it seiner Gelehrtenwürde verträglich er-

*c einen wollte, überließ, wenn er, seinen eigenen W orten nach, Kammerherren

< lenste ta t, „wie jeder uckermärkische Grande, der gerade du jour h a t“ , und sich a en Ptlichten seines Hofamts gewissenhaft unterzog, so geschah es in letzter Linie

°eh nur um der idealen Zwecke willen, die er nie aus dem Auge verlor. Denn nur

*° fra8te ihn gelegentlich die fürstliche Langeweile: „H um boldt, was gibt es Neues

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42 Fritz Erclunann

in der Wissenschaft nur so konnte er die Wünsche, die er für sie auf dem Herzen hatte, Vorbringen, den richtigen Augenblick für die Förderung ihrer Interessen erspähen.

In dem schönen, von Trauerföhren um standenen Erbbegräbnis der Hum boldts in Tegel, dessen schweigende Poesie je tz t leider längst schon von dem mißtönenden Lärm banausischen Berliner V ororttreibens entw eiht wird, zu Füßen der Säule, die Thorwaldsens S tatu e der ,,Hoffnung“ träg t, h a t Alexander v. H um boldt inm itten der Seinigen die letzte R uhestätte gefunden. Kein besonderes Zeichen, keine preisende Inschrift unterscheidet das Grab des großen Naturforschers, ebenso wenig wie das seines Bruders, von denen der übrigen Fam ilienm itglieder; eine schmale M armortafel, wie bei den anderen, verzeichnet Namen, Geburts- und Sterbetag.

Und wessen bedürfte es auch mehr ? W as könnte eine Inschrift dem Beschauer mehr sagen als diese wenigen D aten, was mehr enthalten, als eine Umschreibung der W orte, die, m it minderem R echte vielleicht, das dankbare Florenz seinem Sohne, dem berühm ten Staatsm ann und Geschichtsschreiber, auf den prunkvollen Sarko­

phag in Santa Croce h a t meißeln lassen: Tanto nomini nullum par elogium.

KATHOLIZISMUS UND PROTESTANTISMUS IN IHREM VERHÄLTNIS ZUR M ALEREI

Von F r i t z E rc k m a n n -A lz e y

och immer werden die Fragen aufgeworfen: „Ist nicht der K atholizis­

mus der Entw icklung der schönen K ünste günstiger als der P ro ­ testantism us ?“

,,Sind nicht alle großen W erke u n ter dem Einfluß der katholischen Kirphe entstanden ?“

,,H at die evangelische Kirche einen einzigen großen Maler aufzuweisen, der ihr seine W erke gewidmet h a t ?“

Die allgemeine Meinung geht dahin, daß der Katholizism us der historischen Malerei günstig u n d der P rotestantism us ihr ungünstig gegeaüberstelit.

Die folgenden Zeilen sollen den Beweis erbringen, daß die so vielfach anerkannten Vorteile der katholischen Kirche sich auf Um stände stützen, die m it den abstrakten Fragen nichts zu tu n haben.

Alle R eaktion ist in ihren Anfängen gewaltsamer N a tu r; aber eine R eaktion ist.

besonders in religiösen Dingen, wo das Gefühl vielfach das gesunde U rteil ver­

düstert, ein abnorm er Zustand. In dem Fall der B ilderstürm er des 16. Jah rh u n d erts wurden die beanstandeten Fehler eines Systems ohne Unterschied auf alles ü b er­

tragen, was von ihm ausging. Das war das R esultat von Parteifeindschaft. Was der Eine verehrte, das zerstörte der A ndere; und die Ursache, daß sich diese R ach­

sucht vornehmlich auf künstlerische W erke ausdehnte, bestand in dem V orhanden­

sein der vielen Heiligenbilder un d nicht in der Kirche oder dem F o rtschritt defc Christentums. Der Protestantism us als solcher hegt durchaus keinen Antagonismus gegen die höchste Entwicklung der K unst, was auch die Stellungnahm e einzelner Protestanten sein mag. E r h a t in dieser Beziehung auch nicht die geringsten An-

{

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J919 Katholizismus und Protestantismus in ihrem Verhältnis zur Malerei

k n ü p fu n g sp u n k te m it dem J u d e n tu m oder dem Mohammedanismus, die beide einen fe in d lic h e n S ta n d p u n k t zur nachahm enden K unst einnehmen.

drii ^ ^ auc^ es ^an ?er Zeit bedurfte zur Erholung von den Ein- f| rUCT ^ ^ der Erregungen, wie sie durch die Bilderstürm er des ö. a irliunderts in England und Holland in die Erscheinung traten. Diese ganze

triode war für die P rotestanten verloren. Der K atholik dagegen schritt auf dem betretenen Pfade weiter und h a tte infolgedessext die Vorteile auf seiner Seite.

ln Italien und anderen katholischen Ländern gibt es unzählige im Geiste des Katholizismus entstandene Bilder, die den Anschauungen des evangelischen Christen widersprechen. Dagegen gibt es d ort auch Tausende von Bildern von universellem Charakter, die der Protestantism us bedingungslos anerkennt, und die nicht vom Katholizismus unbedingt für sich in Anspruch genommen werden dürfen, weil sie ihr E ntstehen nicht seinem besonderen Charakter verdanken.

Den Juden war die Ausübung der nachahm enden K ünste verboten wegen der Gefahr der Ü bernahm e ägyptischen Götzendienstes. Die Bibel spricht indessen nm- von einem Verbot der Abgötterei und nicht von einem Verbot der K unst. Das

•st der Geist des zweiten Gebots. Das Anstößige liegt also weder in der K unst noch in der Nachahmung, sondern in der Verwendung.

Die Stellung der und zu der K unst und ihr Einfluß hängt daher von dem mensch­

lichen Geist ab. Sie w irkt Böses, wo Aberglauben und Unwissenheit herrschen.

Gutes, wo W eisheit und Intelligenz die Oberhand haben, und zwar wirkt sie im Verhältnis zu dem Grad des Aberglaubens und der Intelligenz.

Als ein unm ittelbarer Antagonismus des heidnischen Griechenlands u n d Roms, deren Liebe für Bildwerke bekannt w ai, wurden diese von den ersten Christen als die Quelle der Sünden angesehen und ein allgemeiner Kreuzzug gegen sie als eine 0 1 g lic h e Pflicht betrachtet. Das war die Periode, in der man die K unst als eine

ie eligion zersetzende Sache betrachtete, und diese Meinung hielt sich, solange ngen welche Spuren kunstfördernden Heidentums sich in der zivilisierten Welt zeigten. Sobald aber die die K unst verbietende Religion den Sieg davontrug und

■■»ic* 1 über Europa auszubreiten begann, hörte die Verfolgung auf. Man h a tte sich sogar zu dei Überzeugung durchgerungen, daß die K unst der Religion nicht allein nicht schadete, sondern im Gegenteil von denen, die sie dreihundert Jah re hindurch au» dem Leben der Menschen ausgewischt h atten, die ihre Rache nicht allein am unstwerk, sondern auch am K ünstler ausübten und diesen nur zur Taufe zuließen, wenn er sein heidnisches H andw erk unterließ, und ihn exkommunizierten,Nwenn er ei der Ausübung seines Berufes angetroffen wurde, zur Verbreitung und Vertiefung C r \ ^ e^!p0n *n dienst genommen werden konnte.

f r Gnostiker und Philosoph Hermogenes, gegen den Tertullian eine S treit-

^ rift schrieb, war M aler; das war nach den Ansichten Tertullians ein ebenso g ro ß es

* ^ e rn is wie dessen gnostische Grundsätze. Die Gnostiker Afrikas bildeten d ie einzige christliche Sekte dieser Periode, d ie n ic h t dem Beispiele Roms folgte u n d d ie K u n s t in B a u sc h und Bogen verurteilte.

Der Kreuzzug gegen die K unst erreichte seinen Höhepunkt zur Zeit Tertullians, ei Iso im 2. Jah rh u n d ert, und reichte m it mehr oder weniger Schärfe bis zum Ende des 3. Jahrhunderts. Aber schon im Verlauf des 3. Jahrh un derts drängten sich bildliche und plastische Darstellungen in den christlichen Symbolismus ein-und

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44 Fritz Erckmann Heft 3 wurden m it gewissen Beschränkungen von dier Kirche geduldet. Diese E inschrän­

kungen betrafen das Göttliche, das Anbetungswürdige, das nicht dargestellt werden durfte. Dieser Beschluß, der am Beginn des 4. Jah rh u n d erts auf dem Konzil von Illiberis in Spanien gefaßt wurde, untersagte tatsächlich die A n b r i n g u n g v o n B ild e r n in d e n K ir c h e n , aber nicht die Ausübung der Malerei, der nun freier ,Spielraum gelassen wurde, solange der Geist des Beschlusses gewahrt wurde. Die Heiligen wurden nicht, angebetet; deshalb war ihre bildliche Darstellung nicht v er­

boten, und die Martyrologie öffnet der aufblühenden K unst ein weites un d d an k ­ bares Feld.

Schriftsteller un d K irchenm änner des 4. Jahrh und erts, wie Gregor von Nya.ssa un d Gregor von Nazianz, befürworten in warm en Ausdrücken die Ausbreitung der Religion m ittels der Malerei; u n d Basilius von Cäsarea spornt sogar die Maler seiner Zeit an, das M ärtyrertum der Heiligen auf der Leinwand festzulialten. Hier liegt die Quelle der frühen Kirchenbilder un d Mosaiken, un d das christliche M ärtyrer­

tum war stets das universelle un d klare Motiv röm isch-katholischer K unst, ganz a b ­ gesehen von dem jeweiligen Geist der verschiedenen Perioden bis zu der klassischen Cinquecento-Periode, als der feindliche Geist des P rotestantism us von neuem die Verfolgung gegen die Malerei aufnahm , m it der die katholische Kirche zwölfhundert Jah re vorher das alte Griechenland bedacht h atte.

Der evangelische Kreuzzug gegen die katholische K un st trug indessen nach dem ersten Ausbruch mehr einen passiven als aktiven C harakter, er war. mehr u n ­ produktiv als zerstörend. So liegen immer noch die Verhältnisse. Der P rotestantis­

mus stand der K unst ungünstig gegenüber nicht durch das. was er getan, sondern durch das, was er unterlassen hatte.

Ungefähr dreihundert Jah re nach der Verkündigung des Evangeliums h a tte die katholische Geistlichkeit die Kirche der bildnerischen K un st versperrt; ungefähr dreihundert Jah re später verbannten die evangelischen Geistlichen Londons eben­

falls die Bilder aus den Kirchen. Dem katholischen Bannspruch folgte bald die allgemeine Zulassung von Bildern in den Kirchen, und es steh t zu lioffen, daß die evangelische Kirche wenigstens solchen Bildern den Eingang gewähren möge, die die Religion der Liebe zum Motiv haben u n d in intelligenter u n d eindrucksvoller Weise das Andenken an ihren G ründer ehren u n d erklären.

Die W under würden für solche, die der Predigt wenig Verständnis entgegen­

bringen, handelnde Bilder darstellen, da die Erziehung des Auges bei den unteren Klassen leichter ist als die Erziehung des Ohres, eine Tatsache, die in alten und neuen Zeiten stets anerkannt wurde.

W enn die guten Absichten eines Bischofs Paulinus von Nola, der der K unst Auf­

nahm e in der Kirche gewährte, um beispielsweise der T runksucht zu steuern, miß­

verstanden wurden, so lag das nicht an irgendwelchen Anstößigkeiten des K u n st­

werkes, sondern an den Priestern, die die W erke ins U bernatürliehe erhoben und bei m anchen Gelegenheiten Anbetung wie Ehrenbezeugungen durch Kniebeuge, Gruß, K uß u n d brennende K erzen verlangten. Das wurde klar gem acht durch Gregor II. (730), Adrian I. (787), beim zweiten Konzil in Nicäa und endlich bei dem berühm ten Konzil in T rient im Jah re 1563.

Daß der Geist dieser Verordnungen von dem Volke nicht verstanden wurde, ist nicht auffallend. Die gröbere Form christlicher V ergötterung begann mit der

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1919 Katholizismus und Protestantismus in ihrem Verhältnis zur Malerei v 45 pi iesterlichen Sanktion der Bilderanbetung, d. h. der Anbetung der sie darstellenden

Heiligen. ieser Unterschied zwischen der Anbetung des Bildes un d des Heiligen onnte natürlich nicht von einem Volk gem acht werden, das nur Augen für das

* u ere atte, dessen Aberglaube und Unwissenheit auf einer Stafe standen, und dem cs unmöglich war, den Sinn und die Bedeutung der von den Bischöfen zur Anregung nac höherem Streben aufgestellten Erinnerungszeichen zu würdigen. Dieses Volk m achte aus den geistigen Symbolen materielle Heilige; es übertrug die Anbetung der Holz-und Steinbilder auf gem alte Bilder, und bis zur Cinquecento-Periode standen

>ämt liehe religiöse K unstw erke i_i dem Gerüche der Heiligkeit, und die K unst selbst wurde durch mönchischen Asketizismus und Martyrologie monopolisiert.

In diesem Zustand lag die K unst während der römisch-katholischen Blütezeit;

aber immer noch war die griechisch-katholische Kirche die Herrin aller großen K unstzyklen der christlichen Kirclie. Diese Zyklen waren Verkörperungen der Prophezeiungen, die in indirekter Weise auf Jesu W iederkehr hindeuteten. Sie be­

handelten aus dem Alten Testam ent: den Sündenfall; Noah in der Arche; Abrahams Opfer; Moses löst die Schuhe; die Zerstörung der pharaonischen Heere; die Schlach­

ten Moses’ und Josuas; Hiob in Sack und Asche: Samson trä g t die Tore von Gaza;

David un d G oliath; »Samuel salbt D av id ; Daniel in der Löwengrube; Jonas und der V\ alfisch; Nebukadnezar und die drei Männer im feurigen O fen; — aus dem Neuen Testam ent: Besuch der Jungfrau Maria bei Elisabeth; Josefs Traum und die Reise

»ach Bethlehem; Jesu G eburt; Anbetung der drei Könige; Jesus im Tempel; Taufe im Jo rd an ; Jesus und die Apostel; die Hochzeit zu K a n a; Jesus u n d die F rau von Sam aria; die Speisung der F ünftausend; Heilung des Lahm en; die Auferweckung des L azarus; Jesu Gang auf dem W asser; Einzug in Jerusalem ; P etri Verleugnung;

Jesus vor P ilatus; die Kreuzigung; die Grablegung und die Auferstehung Jesu.

Dazu kam ein späterer Zyklus, der sich m it Maria beschäftigte und unter dem

^tel ,,Die Freuden und Leiden der Jungfrau M aria“ bekannt war, sowie Zyklen,

* le (^ e Apostel, besonders P etrus und Paulus zum In h a lt h atten und die man viel- a< h in M anuskripten sowie K irchenfenstern antrifft.

Diese Zyklen umfassen natürlich nur einen Teil volkstümlicher Motive, die zu Verschiedenen Zeiten die Aufmerksamkeit der Maler auf sich gezogen haben, und diese wieder nur einen Teil der allgemeinen Motive, die einem einzigen Evangelium

*itspringen, ohne auf Heiligenlegenden oder irgendwelche kirchliche Einrichtungen,

■ ekteninteressen betreffend, Bezug zu nehmen.

Nicht alles Kirchliche gehört zum Evangelium ein es C hristen; aber aus dem Kirch- ichen entstehen die Differenzen, und wenn man die christliche K unst in zwei Ge oiete einteilt, die sich m it dem Allgemeinen und mit dem Besonderen beschäftigen,

*° flnden wir, daß die Differenzen auf dem Gebiete des Besondere,i liegen. Wenn 10 Aufnahme der allgemeinen Motive der Päpstlerei die Tore öffnet, so gibt es keine Diskussion, solange Päpstlerei unzulässig ist. Aber es spricht von Engherzigkeit, to llte man in den Raphaelschen Gemälden Päpstlerci suchen.

Der S tandpunkt des Protestantism us der Gegenwart ist ebensowenig ein Exponent deiner Fähigkeiten und seiner*Stellung zur K unst, wie die frühchristliche Verachtung Jeglichen Bildwerkes ein Exponent von dem war, wessen die katholische Kirche fähig \var.

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4(i Fritz Erckmann, Katholizismus und Protestantismus usw. Heft 3 Vom Katholizism us haben wir positive, vom Protestantism us n u r negative R e­

sultate. Der Gedanke, daß der P rotestantism us in seinem Grundwesen intellek­

tueller sei als der Katholizismus, beru h t auf Arroganz. W enn ein Unterschied zwischen beiden besteht, so haben wir in jenem einen Geist ohne K örper, in diesem Geist u n d K örper zu suchen.

Dem G rundsatz von Verzierung ist in der evangelischen’ Kirche durch die A n ­ bringung gem alter Fenster völlig Rechenschaft getragen w orden; seine B eschrän­

kung auf diese Fenster bedeutet nur die unvollkommene Ausführung eines Prinzips.

Es wäre töricht zu behaupten, daß ein Mensch, dem der abstrakte Gedanke nicht genügte, unbedingt m ateriell und sinnlich sein müßte. Jed e r würdige Gedanke kann in würdiger Weise verkörpert werden. Ein Gedanke, wo das nicht der Fall ist, ist wertlos. Ein vages Bildnis ist ein Beweis eines vagen Gedankens. Is t die geistige Vorstellung nicht vay, dann kann die Verwirklichung des Gedankens das erschaute Bild nicht schädigen.

W enn eine Religion durch K unstw erke nicht in die Erscheinung treten kann, dann ist es unmöglich, eine bestim m te Vorstellung von ihrer W irkung zu erhalten.

Das ist nicht der Fall m it dem P rotestantism us, dessen Fähigkeiten unbeschränkt sind; und da er von einem verwickelten Zeremoniell absieht, sind seine Tendenzen allgemeineren C harakters als diejenigen des Katholizismus, der wegen eigenartiger Zeremonien m ehr an die Gewohnheit oder die Erziehung appelliert als an die u n i­

verselleren Im pulse des Herzens. Von allen Sonderbarkeiten des Katholizismus fällt nichts so sehr auf als das K apitel der Buße un d der K asteiung. Die spanische Malerei ist wenig m ehr als ein E xponent katholischen Asketizismusses.

Glaube, Liebe un d Hoffnung können in-leichter Weise in der Malerei behandelt werden, und katholische K ünstler haben große Beispiele hinterlassen, welche nicht ausschließlich katholischen C harakters sind, sondern dem großen, allgemeinen Christentum angehören u n d von dem Protestantism us ohne weiteres anerkannt werden müssen. Es gibt kaum ein K apitel in der Bibel, das nicht M aterial für solche

Bilder bietet, die ohne Dogma und V orurteil große W ahrheiten verkünden.

Die größten W erke der italienischen Schulen, jedes W erk Michelangelos und fast jedes W erk Raphaels tragen einen C harakter, der sie zum Gemeingut stem pelt, wenn nicht durch das Motiv, so doch durch die Behandlungsweise. W eder in dem Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle noch in Michelangelos ,,Letztes Gericht "

ist etwas ausschließlich K atholisches; im Gegenteil, der protestantische K ritiker h a t ihnen größeres Lob gespendet als der katholische Kollege.

Gerade diese W erke sind für die Richtschnur des P ro testan ten maßgebend, wenn die Zeit anbricht und V orurteile und A ntipathien schwinden.

R aphael lebte vor seiner Zeit; seine W erke sind allgemein menschlich, universal;

sie sind für alle Völker, alle Zeiten, alle Sekten von gleichem W ert. Dasselbe kann man von der venezianischen Malerei un d der K unst der Cinquecento-Schulen b e­

haupten.

Die katholische Malerei h a t einen allgemeinen u n d einen besonderen Charakter, abgeleitet von einer Verschmelzung des katholischen u n d des allgemein christlichen Charakters. W as in der K unst groß und edel ist, gehört zur letzteren Gruppe un d könnte ebensowohl evangelischen als katholischen Ursprungs sein. W ürde die K unst viel verlieren, wenn die Maler, die sich auf Legenden, M ärtyrertum , Kasteiungen,

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1919 Streiflichter 47

p e r , auf Zeremonien, Pomp, Asketizismus gründenden Motive, die die größte türke katholischer K unst ausmachten, beiseite ließen ? W ürden die katholischen irc en "viel verlieren durch Ersetzung der zahllosen Votivbilder durch Bilder all­

gemeineren Charakters ?

ile f Af80* a ^S aUC^ c^ e Gemäldegalerien hätten einen Gewinn zu verzeichnen, denn ' °r / enscn würde, a n sta tt in trüben Träumen, iene Räum e frohbewegten Herzens verlassen.

Man könnte annehm en, daß viele Maler die Freude als Sünde betrachteten; denn

> re W erke sind vielfach das P rodukt einer Religion der F u rch t a n sta tt der der lebe. Der K a th o liz is m u s ist für diese K unstw erke verantwortlich, und die Möglich­

keiten einer V e r b e sse r u n g lie g e n auf seiten des Protestantism us. Wir haben bis jetzt

»och keine eigentliche protestantische Malerschule zu begrüßen, weil die K un st noch nicht die V o r u r te ile überwunden hat, die sich ihr hindernd entgegenstellen.

D er M a n g el eines Zeremoniells in der e v a n g e lisc h e n Kirche darf kein Hindernis zur E n tfa ltu n g einer evangelischen K unst sein. Nur die äußere Schale einer K unst gründet sich auf äußere F o rm ; denn selbst die protestantische K un st entbehrt nicht des M a lerisch en , wenn e s auch nicht in erster Linie in die Erscheinung tritt. Da kirchliche Zeremonien dem evangelischen Charakter fernliegen, kann die K unst ihr A u g en m erk auf natürliche Zustände richten, wo d a s viel malerischere und a b ­ wechslungsreichere bürgerliche Kostüm zu seiner Verfügung steht.

STREIFLICHTER

J n der im Cooke-Ms. enthaltenen History heißt es: „Und Abraham, wie die Chronik

^ g t, war ein Weiser und ein großer Gelehrter und verstand alle sieben Wissen­

schaften und lehrte die Ägypter die Wissenschaft der Geometrie. Und dieser würdige gelehrte Euklid war sein Schüler und lernte von ihm . . . “ Woher hatte der Ver- ^

Hsser das ? Zwischen Abraham und Euklid liegen reichlich 1500 Jahre ! Es gibt ( in großes Sammelwerk über die Juden, das Alexander Polyhistor kompiliert hat (s. Freudenthal: Alexander Polyhistor). In dieses war ein Werk des Eupolen,os ein- ' r rk*kt» dem zufolge Abraham den Ägyptern und Phöniziern Astronomie und alle

^ r*Sen Wissenschaften gelehrt, Moses sie aber in die Buchstaben eingeführt habe, uch Artapanos, den Alexander Polyhistor benutzte, preist Abraham als Lehrer Kyptens, während bei ihm Joseph die Maße erfindet, die Ländereien vermittelst (('r Geometrie vermißt und das Land urbar macht. Ägyptische und israelitische Dingo verschmelzen bei diesen Hellenisten so sehr, daß Moses ganz mit Tot und dieser ganz Hermes identifiziert wird. Nun kannte aber das spätere Mittelalter aus der

™ binischen Literatur, die man zu alchimistischen Zwecken ausnutzto, den Alexander o yhistor ebensogut, wie die Hermetische Literatur, die zu demselben Zwecke ge­

b u c h t wurde. Sie stimmten ja in diesem Punkte überein und boten für die Gleich - Setzung Moses-Hermes gar keine Schwierigkeiten. Abraham war der Lehrer des Moses leser gleich Hermes, dieser der Lehrer Euklids. Den Euklid aber, den man damals der fcit nach gar nicht zu bestimmen wußte, hatte man durch die Übersetzung seiner

©mente durch Adelardus Bathoniensis, einem Benediktiner Mönch aus Bath in -«ngland, um 1120 kennen und schätzen gelernt. Was Wunder, daß der Verfasser der ooke-Handschrift, selber sicher ein Alchimist und als Kaplan der Steinmetzen Kenner der Geometrie und der Kunstgeheimnisse der Masonen, alle diese großen

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48 Gesellschaftsangelegenheiten Heft 3 Autoren Abraham -Moses-Tot-Herrn es mit seinem Gelehrten Katexochen, Euklid, zu ­ sammen und in ein Lehrer-Schüler-Verhältnis brachte. Man brauchte nur ein Glied, Moses, wegzulassen. Was ging ihm schließlich die Chronologie an! ! W o lf s t ie g

L

esefrüchte:

T ie d j e : „Erkennen ist ein geweihter Gemütszustand, in dem die Freiheit des Menschen sich selbst hervorbringt und ihn, wie die Paradiessage ausplaudert, Gott .gleich macht . . . Religion und Erkenntnis ist Werten . . . Das Erkennen des Künstlers wie des Religiösen ist ein schöpferisches, das bloße Messen und Zählen des Natur­

forschers ist noch nicht Erkennen.“

E c k h a r t : „Nur wer mit der Selbsterkenntnis beginnt, gelangt zur wahren Er­

kenntnis der Dinge.“

A ug. H o r n e ffe r : Das Gefühl ist eine Einheit, das Leben ein Kampf der Gegen­

sätze. Aufgabe ist diese Gegensätze zu überbrücken. „Der Mensch muß von der Wahrheit durchdrungen sein, daß zwar das Leben Kampf . . . ist, daß es aber in dem ewigen Kampf der Gegensätze Stunden des Friedens und in der ewigen B e­

wegung Augenblicke der heiligen Stille geben muß. Das Leben darf der Festtage nicht entbehren, wo aller Streit ruht, wo der Kämpfer die Waffen ablegt, sich hoch aufrichtet und der schrankenlosen Freude, die Schiller in seinem Hymnus besingt, ' sein Herz öffnet.“

W illi. M ü ller (Griechen-Müller):

Was Hände bauen, stürzt die Zeit, Wir bauen für die Ewigkeit.

Wir bauen nicht auf Erdengrunde Ein Werk aus Mörtel, Sand und Stein;

In unseres eigenen Busens Runde Soll unseres Tempels Stätte sein:

Wir bauen in uns fort und fort

Der Menschheit Bau ir.it Tat und Wort. W o lf s t ie g

COMENIUS - GESELLSCHAFT

Weitere Spenden infolge unseres Aufrufes gingen ein:

Herr Carl B a a r , Amsterdam, 100 M.

Loge „Zur Pyramide“ , Plauen, 50 M.

Weidnannsche Buchhandlung, Berlin, 100 M.

Loge „Wilhelm zur deutschen Treue“ , Hannover, 20 M.

Indem wir den Genannten unseren herzlichsten Dank für das uns bewiesene Interesse aussprechen, bitten wir gleichzeitig unsere sämtlichen Mitglieder, alte wie neue, d r in g e n d und h e r z lic h darum, daß sie um des guten Zweckes willen es sich d a u e r n d ' angelegen sein lassen rr.öchton, für unsere Gesellschaft, deren Bestehen doch gerade in der heutigen bewegten Zeit ein dringendes Bedürfnis ist, n eu e M itg lie d e r zu w erb en . Wenn ein jedes unserer Mitglieder uns nur ein neues Mitglied zuführt, dann können wir auf den Weiterbestand unserer Ge­

sellschaft hoffen und ihr die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer großen Aufgaben geben.

V

(19)

LITERATUR-BERICHTE

DER COMENIUS-GESELLSCHAFT

H ERAUSG EG EBEN VON

FERDINAND 3AKOB SCHMIDT

VERLA G EUGEN DIEDERICHS IN JENA

XI. Jahrg. Berlin, im Mai 1919 Nr. 3

Diese Berichte erscheinen Mitte jeden I Zuschriften, Sendungen usw., Monats mit Ausnahme des August und i sind zu richten an die Geschäftsstelle der September. Sie gehen an grflfiere Volks- I Comenius - Gesellschaft,

bibliotheken, Bficherhallen usw. , Berlin - Grunewald, Hohenzollerndamm 55

C h r istu s im d e u tsc h e n G e is te s le b e n . Eine Einführung in die Geistes­

welt der Gegenwart von Dr. EMIL PFENNIGSDORF, Prof. in Bonn.

Schwerin i. M.: Bahn 1919. XII, 291 S. 8°. M 4.—. geb. M 6.—.

Dieses Buoli des ord. Prof. für praktische Theologie an der evangelisch -theologischen Fakultät in Bonn, ist rein apologetisch, aber im weitherzigsten, duldsamsten Sinne, wenn auch von einem charaktervollen, christlichen, mittelparteilich -evangelischen Stand­

punkte aus. Es wird auch dem Gegner gerecht und eifert nicht, sondern sucht zu er­

klären und zubeweisen. So wissenschaftlich es auch im Grunde ist, so populär ist es doch in Form und Darstellung. Denn es möchte dazu helfen, daß wir wieder /.u der fro­

hen Erkenntnis hindurch dringen, daß der Glaube an Gott den Geist des Menschen nicht hemmt, sondern beflügelt, daß er als höchste geistige Kraft das gesamte Bildungsleben durchdringt und allen Gebieten eines höheren, geistigen Strebens eine göttliche Würde erteilt; es möchte ferner eine Einführung in das deutsche Geistesleben bieten, welche die universale W eite des christlichen Glaubens begreifen, aber auch die Notwendigkeit fortgehender Vertiefung und Glaubensübung im christlichen Sinne neben einer Pflege des nationalen deutschen Gedankens in idealistischer Orientierung erkennen läßt.

Man kann wohl behaupten, daß das Ziel erreicht ist, zu zeigen: Christentum und Deutschtum gehören zusammen. Das Buch hat sehr interessante Partien; da es sich in eine ganze Reihe von Einzelproblemen auflöst, ohne doch den steten Zu­

sammenhang des gesamten Gedankens, der Absicht und des Zieles aus dem Auge zu verlieren, so bringt und beantwortet es viele Fragen, welche uns Comenius-Leute doch sehr nahe angehen, und zwar in Verstand und Gemüt gleksfc befriedigender Weise. Ja, das muß auch bei anderen Gruppen der strebenden Teile unseres Volkes der Fall sein, denn das Buch hat in zwölf Jahren, wo es existiert, zwölf Auflagen erlebt und ist in 22 000 Exemplaren bereits verkauft worden. Das empfiehlt es schon von selbst; es vertieft durchaus, wie ich versichern kann, die WeltaHSchaming

und stärkt und läutert den Charakter. W o lfs tie g

D ie L e b e n sk u n st — e in e K ö n ig lic h e K u n st — im S p ie g e l d erW elt- l i t e r a t u r . Ein Buch für ernste Menschen von ERNST DIESTEL.

Berlin: A. ünger 1917. 128 S. 8°. M 4.60, geb. M 5.60.

M it M eister R o segger Sagt D ie s t e l: D er F ried e d es H erzen s se i u nser a lle r Ziel.

D iesen zu erlan gen , is t h ö c h ste L eb en sk u n st. D a s is t n ic h t a ller b ed eu ten d er

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