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Geisteskultur. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1926, 35. Band, Heft 3

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Geistesknltnr

MonatsheftederComeniusgefellfchaft für Geisteskulturund Volksbildung

Begründet von Ludwig Keller Herausgegebenvon Nrtur Buchenau

85. Jahrgang - Drittes Heft

März1926

Berlin und Leipzig1926

Verlag vonWalter de Gruhter 82 Co.

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ComeniuosGesellschastsär Geisteskulturund Volksbildung

Begründet1892von Geh. Rkchiorot Dr.Ludrvig Keller Vorsitzenden OberstudiendirektorDr.Vuchenau,Charlottenburgs, Schlosistrasse46 DieMitgliedschastwird durch Einzahlungvon20Goldmark erworben. (Jn-und Ausland.) DieBeitragszahlung kann erfolgen:

1.«andasKonto derComenius-Gesellschast·beidemPostscheckamtBerlin Nr.212 95 2.direkt an dieGeschäftsstelleder C.-G. inBerlin W10, Genthinerstr.38i.H-

Walter deGruytersoCo. ·

Z.beijederBuchhandlunginFormdesZeitschrift-Abonuements.

DieMitglieder erhalten—dieZeitschrift kostenlos. Sie erscheint jährlichetwa in 12Hesten. DieHeste sind auch einzeln käuflich. «

35.Jahrgang Inhalt: HeftZ

Seite

Alsred Kühnemann, VonderArchäologiedermenschlichenSeele;........... 97

Fritz Gener, AlexandersdesGroßen VerdiensteumdieWissenschaft........... 105

Gerhard Lehmann, Gefühlsphilosophie...................................... 110

Artur Buchenau, Eine moderne Geschichtsphilosophie.......................·. 115

Wasa Bräuer, Das große Problem........·. .............................. 117

Theaterbericht ...............................................·............. 121

Lebede: DeutscheAutoren inBerliner Schauspieltheatern. Städtische Oper. Staatsoper. S.121. - Streiflichter ....... ........................ .....................··...... 125

R.Odebrecht, ZurÜberwindungderMaterie. S.125. Aus alten und neuen Büchern ....·...............·....·................. 128

GleichheitundGerechtigkeit (AusR.Stammler, Lehrb.d.Rechtsphilosophie). S.128. —-Rankeüber dasBismarcksche Zeitalter(Aus Ranke, Zur eigenen Lebensgesch-.)S.130. Bücher-besprechungen ................·.................................... 133

Philosophie . Vuchenau:R.Kroner,VonKant bisHegelS.133.—- Ellissen: K.Vorländer, VonMachiabellibisLeninS.134. Lehmann: DieAkademie S.135. Religiousgeschichte und Pädagogik Psaunmiiller: Bilderatlas zurReligionsgeschichteS.136. Bucheuau: Felix Behrend, GegenstandundUmfangderPädagogikS.136. Kulturgeschichte Wernick: Menschen,Völker, Zeiten. Bd.IIu.VS.137.—- Wernick: Ernest Lavisse,DieJugend FriedrichsdesGroßenbiszurThronbesteigung S.137. Literatur und Kunst Wahn: P.Kluckhohn,DiedeutscheRomantik S.138. Wahn: Ph.Witkop· Diedeutschen Lyrikervon LutherbisNietzscheS.138. Bucheuau: Goethes TagebuchderitalienischenReiseS.139. Buchenau: Oscar A.H. Schmiszkl. »Die GeisterdesHauses«Il. Dämon WeltS.139. Wernick: PaulGurk, »Meister Eckehnrt«S.139 Wernick: »Mystische Dichtungaus sieben Jahr- hunderten«S.140.—- Psanninüller: NeueJean-Paul-Ausgaben S.141. S.-E.: Edles Köppeu,DerBerichtS.142. Gesellschaftsnachrichten......................................................... 142 DieManns tripte sollenpaginiert,nureinseitig beschrieben seinundeinenRandfreilassen. Nachdruckganzer Aufsätze ist, ohne besondere Erlaubnis, nicht gestattet.Dagegenkönnen einzelne Abschnitte,beigenauer Quellenangabe, auch wörtlich übernommen werden.

Jährlicherscheinenl0bis 12Hefte. Preis des Jahrgangs M. 20.—.

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Von der Arrljäologieder menschlichenSeele.

(Eine kritischeDarstellung Hall-FreudscherTheorien) VonAlfred Kühnemann.

asPrinzipvom ParallelismusderEntwicklungdesmenschlichenJudi- viduums und derganzen Menschheit istzu denverschiedenstenZeiten desgeistigenLebensausgesprochenworden. H.Vaihingerhatin einersehr aufschlußreichenJugendarbeit1)dasAuftretenderallgemeinen Idee dieses Pa- rallelismus mehrere Jahrhunderte hindurch verfolgt.Jm allgemeinenblieb man unddastrifft auch fürdiesogenannte KulturstufentheoriederHerbart- Schülerzu bei einemkulturhistorischorientierten Vergleichstehen,d.h.man zogeineParallelezwischenderEntwicklungdesKindes unddemimgroßen korrespondierenden Fortschrittin derEntwicklungderMenschheitsgeschichte.

P. Natorp2)wandte sich entschiedengegenjedeVerbreiterungundDifferen- zierung diesesPrinzipes,vorallemgegendieZumutungZillers, daßdasKind in ein paarJahrendieJahrtausendederMenschengeschichtedurchleben solle.

Für ihnwar dasPrinzipnur VonheuristischemWerte, insofernderGedanke brauchbarwar, daßunter denDenkmälernvergangener Kulturstufen Erschei- nungen austreten,diefür jedenormale kindliche Entwicklung typischundvor-

bildlichsind.

Einen tieferenSinn legte Goethe diesem Parallelismus infeinembe- kanntenAusspruchs) bei, daßdieJugendimmer wieder von vorn anfangen unddasJndividuum dieEpochenderWeltkultur durchmachen müsse. Ohne Zweifeldeutet erbeiGoethe inAnalogiezurPflanzenmetamorphose4) dieBedingungeneinesBildungsprozessesan,dendie Natur aus einemein- heitlichen Prinzip heraus erzielt,dasdieverschiedenenBildungsphasendes Kindes durchdringt,wieesandererseitsden Entwicklungsstufenderganzen Menschenrassezugrundeliegt.DieFortführungdieser AuffassungbeiSchelling undden Romantikern wurde durchdasmechanistischeDenkenimZeitalterdes Evolutionismus unterbrochen.DemPrinzipdesParallelismuswurde jetztein naturwissenschaftlicherInhalt gegeben.Der Entwicklungsgedankeim biolo- gischenSinne bildetesichzu einemUniversalprinzipaus,undderGlaube,daß man eineUnunterbrocheneKettevon denniedersten Formenanbis zu den ent-

l)H. Rai-hingenNaturforschungundSchule.KölnundLeipzig1889.

2) P. Natorp:Sozialpädagogik.S.328.

a) EckekmmmsGesprächemit Goethe. Herausg.C.Höfer, Leipzig1913. S.189, 4) Vgl. Friedrich Gundolf: Goethe. Berlin 19J7.S.379.

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98 AlsredKühnetnann

wickeltstenOrganismenaufstellen könne,wurde auchaufdasseelischeGebiet übertragen.Der Gedankeeines Stammbaumes derSeele brach sich Bahn- undinAnlehnungan dasbekannteHaeckelschebiogenetischeGrundgesetzvon derleiblichenEntwicklungwurde auf seelischemGebieteinRekapitulationsge- setz postuliert,welchesbesagt,daßdiegeistige EntwicklungdesKindesrein kausal-mechanischdie der ganzenRasse wiederhole.DemStudium einerArchäo- logiederSeelewar damit TürundTorgeöffnet.

Der Begründerder gekennzeichnetenPsychogenese istder Amerikaner Stanley Hall1)inWorcester, Mass.ZuDarwins Tätigkeit,derdasDogma

Von derKonstanzderArten derzoologischenSystematikerzuFallgebracht hatte,willereineErgänzung schaffen,indem erversucht,diestarrenSeelen- begriffe,wiesie bisher üblichwaren, flüssigzumachenundinEntwicklungs- reihen aufzulösen.Die Seeleistkein,,Dingohne Geschichte«mehr, sie trägt Spuren ihrer Abkunftansich.,,Setzenwirnicht«-,someintHall, »dieSeele herab,wenn wirannehmen, daß sie weniger zusammengesetztoderwenigermit Triebkräftenfrüherer EntwicklungsstufenausgestattetseialsderKörper,der imFruchtwasser gleicheinemFisch seinevorgeburtlichenStadien entfaltetund Spuren primitiverKiemenspaltendasganze Lebenhindurchträgt?«Die menschlicheSeele ist erstdann vollständigerklärt,wenn gezeigtwerden kann, wiesie geworden ist.AlsFaktorenderEntwicklungwerden aus derBiologie nunmehr dieGrundbegriffeVererbung, Anpassung, Kampfums Dasein, Selbsterhaltungstrieb usw.übernommen. AuchdievergleichendeMethodeder Psychogenesestammtaus derBiologie,undeswirdderVersuch gemacht,das Seelenleben derTiere,derprimitiven MenschenundderKinderin denallge- meinen EntwicklungszusammenhangdesSeelischenhineinzustellen.

EsscheinteineEigenartangelfächsifchenDenkenszusein,die Güte einer Theorie nach ihrerAllgemeinverständlichkeitzu werten. Undnichts schmeichelt sosehrdemgesunden Menschenverstandwie einesolcheevolutionistifcheDenk- weise,dieeineeinfacheund klareTheoriedesmenschlichen Geistes liefern will,Vonderen Zuverlässigkeitsichalleüberzeugenkönnen.Hall meint, daß sichdeshalbeineEntwicklungslehre,wiesievonSpencerundDarwiningroß- artigerEinseitigkeitvorbereitet worden istundvonihmzu Endegeführtwerden soll, aucham besten fürdie nationale PhilosophieeinerDemokratieeigne,da sie nichtvon einemmystischenoderefoterischenEinblickabhänge(?).

DasPrinzipderVererbung führtHallfolgerichtigaufdieVermutung, daßderMenschinseinemSeelenstammbaumeinedurchgehendeVerwandtschaft mitdenTierenzeigenmüsse. »Im allgemeinen sindwirihre realisierteEn- telechie, sie sindederSchlüssel, durchdenwiralleinvieleMysterienunseres eigenen UrsprungesundunsererNatur erschließen.«Hallglaubt deshalb,daß eineEharakterologiedesMenschenandiesenDingen nicht vorübergehenkönne,

l)Ädolesoenoe. NewYork 1922. Eduoatjonal Problems. New York 1911.

Likeandconkessioos ofaPsychologist. NewYork1923. Hall-Stimpfl:Ausgewäblte Bei-trägezurKinderpsychologie.Altenburg1902.

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VonderArchäologiedermenschlichenSeele 99

unddaßessicherzufein scheint, daß einige Komponentendesmenschlichen Charakters einfachals ererbtetierischeWillensimpulseaufgefaßtwerdenkönnen- diesichimMenschenalsunbewußte,instinktive Züge offenbarenundseine Handlungendeterminieren. Ergibt allerdings selbstzu,daßesschwierigsein wird,miteinemsolchenMaterial eineIndividualpsychologiezubetreiben. Es wirdnurmöglichsein,einallgemeinespsychonomischesGesetzzubewahrheiten, daß»wirinunseren tieferen, mehremotionalen Anlagenvon denLebensge- wohnheitenund-gesetzlichkeiteneinerunzähligenScharvon Vorfahrenbeein- flußtwerden,diegleicheinemflüchtigenSchwarmvon Zeugenüberallin unseremLebengegenwärtigsindundderenGeflüsterin den Kammern unserer Seele widerhallt.«

Hallnennt solcheSeelenelemente hereditärenUrsprunges»Psychophore«

oder,,Trägergeistiger Erbschaft«undspricht ihneneinedirekteBeeinflussung desmenschlichenSeelenlebens zu,besonderseineDeterminierung instinktiver Handlungen,GewohnheitenundAutomatismen. ErvergleichtdieFülle dieser Psychophoremit einem »submerged continent«,ein anderes Malmit »a- mine ofuntold wealth« undsagt wörtlich: »UnsereSeele istin allihren Teilen von schwachen Andeutungen, Elementargeistern erfüllt,dieplötzlichin irgendeinemAugenblickunseresindividuellen Lebensvorbeihuschenunddann verschwindenwie einundeutlichesundkaumhörbaresGemurmel auseinem großenLeben,dasungestümundheftig verliefundreichlichmitZwischenfällen undEinzelheiten durchsetztwar, dieheutenichts mehrsind.Einflüchtiger Automatismus ist vielleichtdaseinzigeÜberbleibseldieser höchstzentralenEr- fahrungenvielerGenerationen.«

Gelegentlichnennt Hall dieseimUnbewußtenliegendenundwirksamen Elementeauch Archäopsychismenundsprichtin einemsolchenZusammenhange voneinerArchäologiederSeele. Schicht auf Schicht hatsichgleichsamwiebei geologischenProzessenin dermenschlichenSeeleabgesetzt.Die unteren Lagen gehöreneinerEpochean,die der BildungdesBewußtseins voranging,die obereneinersolchen,dieden Intellekt hat emporschießenlassen.Aber alle diese Schichten ruhen nicht,esgehteinVerschiebenund Verlagernmitihnen vor-sp daßplötzlichErinnerungen, Gefühle,Impulseausgrauer Vorzeitans Tageslicht gefördertwerden können.

So werden z. B.die realen odertraumhaftenEmpfindungendesGleitens, SchwebensUndFliegensalseinschwachesatavistisches EchoderRückerinne- rung an denursprünglichenAufenthaltin derSeegedeutet (sic!). Andere instinktiveGefühlsäußerungenweisen aufeineZeit hin,wodiehöheren Tiere dasMeerverließenundaufdie Kontinente überfiedelten.Jedenfalls seidenk- bar, daßdieWirkungdesWasseraufenthaltesin einerrelativ langenZeit sich noch heutefühlbarmachenmüsseundz. B.inschwachenSpurenVon

von FurchtundLiebezumWasser ihrenAusdruck finde.Dieunerklärliche LeidenschaftderKinder,mitWasserzuspielen,decke einesolcheuralteNei- gungwiederauf.»DerGedankeandieRückkehrzumaltenElement«,soent- wickeltHallphantasievoll weiter,,,verstärkt·"sich zuweilenplötzlichzueinem 78

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100 A.Kühnemann

gebietendenund unbezähmbarenTriebe,wenn die alte Neigung, gleicheiner Eruption,dadurchbricht,wodie oberenSchichtendünnoderungleichmäßig sind.DieFrauengebenbeiSelbstmorddemErtrinken denVorzugvoranderen Todesarten undzwarvielhäufiger,alsdies bei denMännern derFall ist, weilsichin derweiblichenOrganisationdie alten Einflüsse länger erhalten habenalsin dermännlichen.«

DieMächtigkeitund Stärke der einzelnen Seelenschichtennimmt nach Hall nachdemBewußtseinsstadiumhin mehrund mehrab.Der Jntellekt selbst repräsentierteineletzteund wenig stabile Schicht.Erschwankt sehr nach IntensitätundRichtungmitAlter, GeschlechtundUmgebungundkristal- lisiert sichinJndividualitäten, währenddieJnstinktgefühleaus denunteren SeelenschichtenViel breiter und tieferangelegt sindund mehrdiegemein- samen ZügederganzenRasse umfassen.

UnseremenschlicheSeeleist also,phylogenetischbetrachtet,weitmehr,als heuteindividuellinErscheinungtritt. Im besonderenistdasbewußteSeelen- lebendesErwachsenennur einFragment,dasaus derSeelenwelt derRasse herausgebrochenworden ist.Jdeell betrachtetaber schließtnachHalljede menschlicheSeele dieFähigkeitein,alleErfahrungenundRegungenderRasse von Anbeginnan zuumfassen,die inihralsArchäopsychismenschlummern.

»Mit Bezug auf dieseallein istderMenscheinMikrokosmus, der gleichsam die breiteTotalität dermenschlichenErfahrung widerspiegelt.«DerMakro- kosmus findet soindiesemvirtuellen menschlichenSeelenleben sein Abbild, undesist bemerkenswert,wiehiermitneuplatonisch-mystischeGedankengänge derdeutschenRenaissancephilosophieinsBiologischeumgebogenworden sind.

DieLehrevon derAnalogiezwischenMakrokosmus undMikrokosmus führte Paraeelsus bekanntlichaufdieerkenntnistheoretischeFolgerung, daßderMensch alleseelischenKräftederWeltinsich enthalteunddaßdarum dieAnalhse seinerSeele zugleicheineAnalysedergeistigenWelt überhauptin allihren Ausgestaltungen sei.

AberwährendfürdenNeuplatonikerdieEinheitderPersönlichkeitihren letztenZusammenschlußimGöttlichenfindet,aus demsieherausgeschaffen ist, mußeinePersönlichkeitimbiologischenSinne dieTendenzzeigen, sichin disparateTeileaufzulösen.WieeinProduktderVererbungmitdem ganzen Ballastvon Erbgüternzueiner Synthesezubringen ist,wirdvon Hall nichtweitererörtert, obgleichesdasWichtigste ist.DieBiologie versagt hier- wieaufallenanderen Gebieten derPsychologie,woessichum dieErfassung einerseelischenEinheitaus einemorganischenPrinzipheraus handelt.

Die Seelebleibt ,,aproductokheredity«,,,aquantum and direction okvjtal energy«, sie ist nichts Absolutesund Unveränderliches,sondern»a- mobiljzed andmoving equilibrum«.SieisteineKollektivseele,die inihren ,,multjpersonalkacets«allesreflektiert,was jein der Weltgewesenist.Des- halbwirdvon Hallimmer wiederdie Kenntnis allerseelischenErscheinungen ander Welt zur Erkenntnis dermenschlichenSeele gefordert.

EinenBeweis fürdieExistenz dieses,,0011kllsedpsychjclike«möchte

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VonderArchäologiedermenschlichenSeele 101

Hallineiner gewissenLabilität desmenschlichen Seelenlebens nachder ethischenSeite hinerblicken. Erweist darauf hin, daßesmanchmal Zu- ständegibt,in denen wiruns selbst fremd erscheinen. Träumeunsd Narkotika erschütternunsunddeckenzuweilen unsere seelischenBestandteile auf. Zorn- Leidenschaft,Affekteergreifendann dieZügelund lassenuns tierischoder geisteserkrankterscheinen.SolchenMöglichkeitenund Keimen von Laster undVerbrechen,dieweitaußerhalbunserer persönlichenErfahrung liegenund ihre Wurzelisn demungehemmtenTrieblebeneiner vergangenen Urzeithaben, hat Freud I) spätereinegroßeBedeutunginseinerPsychoanalyseeingeräumt.

WasdiegegenwärtigeStruktur dermenschlichenSeeleanlangt, so zeigt diese nachHallnochkeineswegseineapproximativerreichte höchsteStufe.Sie weisteineroheundunfertige Form auf, sie istVollvon Widersprüchen,und unter eineräußerenblanken Hülle Verbergensich barbarischeundanimalische Züge.Im besten Fallemagsie sichin einemDurchgangsstadiumVoneiner tieferenzu einerhöherenStufe befinden,dieerst nochzu entwickeln seinwird.

Das Bewußtseinalssolcheskönnenichtals diehöchsteBlütedesGeistesbe- zeichnet werden,und essei nochnicht ausgemacht,obsich nicht durchnatür- liche Zuchtwahl dereinst(parapsychologisch?)etwas erheben wird,was jen- seitsder höchstenBewußtseinsstufeliegt.Vielleicht stelltderEntwicklungs- prozeßbis zumMenschen,meintHall,nichteinmal denbestenundkürzesten WegzumhöherenTypusdar,undmöglicherweiseist manche Tierart mit demVersprecheneinessolchendereinst fürimmerausderWeltentschwunden.

Sowie die SeeledesheutigenMenscheninErscheinungtritt, ist sie also einZufallsprodukt,eineunter vielen möglichenGeistestypen.Nichtsdestowe- niger müßtederNachweis geführtwerden·können,wiesichdieseelischenEr- scheinungenbiszuihr entwickeltund differenzierthaben.VomSeelenleben eines Tieresanbishinaufzu denEinflüssen,die dasSystemdesIdealismus begründethaben, someint Hall recht kühn, müßte sicheineFüllevon Be- ziehungen aufstellen lassen. JnderFreudschen Schuleist dieseralles Geistige überwucherndePsychologismus,derdasNiveau einerrobusten Popularphilw sophiebedenklichstreift,wiederaufgenommenworden. Siehältesfürmöglich, diePhilosophischenSysteme auf ihreEntstehungsbedingungenhin untersuchen unddieGeltungdersonstimPsychischenherrschendenGesetzmäßigkeitenauch

inihnen nachweisenzukönnen. '

Welches sindnun dieMethodenderSeelendeszendenztheorie?DieJn- trospektionwirdvon HallalspsychologischeMethode abgelehnt,weilseiner AnsichtnachdasLeben derGefühleundJnstinktedesheutigen Menschendeka- dentgewordenundwenigEinblick inseine wahreStruktur möglichsei.

Er will einenneuen Wegeinschlagen.Währendman bisherin derPsycho- logie bestrebtwar, dieSeelenvorgängevon derBewußtseinsseitedeserwach- senen gesundenMenschenherzuerfassen,will erfür seinePsychogenesedie

S

1) Sigm.Freud:VorlesungenzurEinführungindiePsychoanalyse.Wien1922.

.153.

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102 A.Kühnemann

empirischenDaten mitHilfeeinervergleichendenMethode sammelnundzwar an niederen,krankenunddegeneriertenLebensformen,um von hieraus zur Erkenntnis des normalen Menschenzugelangen,einWeg,dervonderPsycho- analyse späterweiterbeschrittenworden ist.HallsPsychogenesehateine vier- facheWurzel.SiewillsichmitdemStudium vonKindern beschäftigen,mit denUntersuchungenüber diepsychischenErscheinungenderTierwelt,mitder Anthropologie,demMythos,derSitte und demGlauben der Naturvölker und schließlichmit dem Studium derGeistesgestörten,derVerbrecherundKranken.

DerVorteil diesesHinabsteigensin dasPrimitiveliegt nach Hall-Freudscher Ansicht darin, daßdasSeelischeindiesen Fällendirektaus ersterQuellege-

wonnen werden kann,freivon denHemmungen,denendernormale Mensch

unterworfen ist.

Kinder überlassensichz. B.spontan ihren Leidenschaften. ,,Thereis color in their souls, brilliant, livid,loud.« Nochaus einem anderen Grundebietet dieKindheitdasreichsteFeldpaläopshchologischerForschung.Hallglaubtals Erster nachgewiesenzuhaben,daß sichin derPsychologieeineähnlicheEr- scheinungwie in derZoologie zeige,dieHaeckelunter demNamen einesbio- genetischenGrundgesetzeszueinem generalisierendenSatze erhoben hat.Die spontanhingeworfenenKinderzeichnungenwerdenjetzt,wieübrigensschonKarl Lamprechteinmalbemerkte,zuLeitfossilien,die SpielederKinder,imGegensatz zuGroos,der siealsantizipierende BeschäftigungenErwachsener aufgefaßt wissen wollte,zuRudimenten derTätigkeitenvergangener Geschlechter.Die GefühlederKinder,imbesonderen ihre Furchtanlage,dieHall alseinErbgut betrachtet,werden einereingehendenAnalysezumZweckederAufdeckungpaläo- psychischerElementeunterzogen. DieUntersuchung1) zeigt, daß mancheKinder beständigUnter derFurcht leiden,dieRichtungzuverlieren,andere einläh- mendes GefühldesVerlorenseins packt,wenn sievon ihrenGespielenge- trennt werden.HallmöchtedieseErscheinungenalseinenatavistischenNückfall in dieersten FormenseßhaftenLebensdeuten,wo dietodbringendeGefahr, verloren zugehen, lebhaft wahrgenommenwerden undzueinersorgfältigen Beobachtungaller Marksteine geführt haben mußte.Er hältes auch für wahrscheinlich,daß deshalb einigederhäufigenundmanchmalverblüffenden Orientierungserscheinungenbei Kindern phylogenetischeElementeinsich schlie- ßen.WeitereFurchtanlagen führteraufNeaktionen desvorzeitlichenMenschen, aufdieEinflüssedesWetters,derHimmelsobjekte,desFeuersund derTiere zurück.DieFurcht mancherKinder vordemWindekönntenoch irgendeine Spurvon Reminiszenzan dieschrecklichenStürme deslangenDiluvialzeit- alterstragen,überhauptwäredieHypothese berechtigt,einegewissekindliche Furchtvor Himmelsobjektenund Wettererscheinungenals Echosaus einer Zeitzudeuten,in derallemeteorologischenVerhältnisseeinenweitgrößeren Utklfanghatten. DieMythologiehat solche Zuständein derSintflut fixiert.

DieFurchtderKinder vorgroßenAugenwirdzumTeildemEinflußeiner l) Hall: AstudyokFears. American Journal ofPsychology.1897. Vol.8.

pp.147j249.

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Von derArchäologiedermenschlichenSeele 103

Zeit zugeschrieben,wo derMenschsein Daseingegen Tieremit großenund auffallenden AugenundZähnenundin denlangen Kriegenallergegenalle innerhalbseiner eigenenArtverteidigenmußte(l?).Stammwappenzeichnungen, Masken undGottheiten primitiverVölkersollenbeweisen,daßneben den ZähnenvorallemdieAugen Furcht einzuflößenvermögen.

Ausdieser Epoche schwerenKampfesums Dasein geht auch nach Hall dieFurchtderKinder vor fremden Personen zurückunddieErscheinung;--des Errötens.DasErröten beiHöflichkeitsbezeugungenz. B.weist aufeineZeit hin,wo,bewundert zuwerden,mitgroßer Gefahrverbunden war. Andere UrsachendesErrötenswieAnschauen, Spott,Tadel, Mißtrauen,Schüchtern- heit usw. lassen erkennen, daß manche Menschen soempfänglichfürdieMei- nungen anderer sind, daß sieinGegenwartVonPersonen,derenfreundlicher Gesinnungsie nichtsicher sind, sich nicht natürlichbenehmenkönnen undfast alle Reaktionen aufdie alteFurchtvorfremden Gesichternzeigen.

Im einzelnen aufweitere Untersuchungenund mehroderminder phän- tastische Jnterpretationen Halls einzugehen,würdehierzu weitführen. Auf einprinzipiellesBedenkensei nochmals hingewiesen.DieAuffassung Hallsvon derkindlichenSeele stellteineAtomisierung dar,eineAuflösung fastaller feelischenBestandteileinletzteElemente von Rassenerbgut.Quantitativ bilden ihnengegenüberdie erworbenen individuellen Erfahrungennur ein relativge- ringesPlus. DieEntwicklungderKindheit spieltsichso gutwieautomatisch ab, sie istnur eineAuswicklungeinesdurchlangeZeitperiodenhindurchbe- schriebenenBandes. Auchdieerwachsene PersonwirddiesemDeterminismus bisweilenunterworfen. EinesolchePsychologiehebtaberdie Autonomie des Einzelgeschehensauf,die unsFröbel so treffend schonandenKinderngezeigt hat, sie vernichtet letztenEndesdie individuelle Würde derPersönlichkeitDiese Bedenken sind schwergenug und lassenes verständlicherscheinen, daßdie Hallsche Psychogenese,ganzabgesehenvon ihrem unwissenschaftlichenBeiwerk, beiuns keinenfesten Fuß fassenkonnte.

MiteinerAusnahme freilich. FreudinWien,dermitStanleyHallin wissenschaftlichemVerkehrstand, hat seine Psychoanalysemitpsychogenetischen Elementen unterbaut unddieHallsche Lehre insofern weitergebildet,alserfür dievon HallhypostasiertenZusammenhängeexakte Beweise demonstrierenzu könnengeglaubt hat.EinigederHauptsätzederheutevielbesprochenenPsycho- analyse,dievon denAnalytikern1)gernals eigene Entdeckungen ausgegeben werden, liegenbereitsvollständigin derHallschenLehrevon derSeelenabstam- mung vor. Dazu gehörenderFreudscheSatzvon dem Eigenlebenundder UnzerstörbarkeitdesUnbewußten,dieMethode,dieUrgeschichtedesmensch- lichen Geistes durch Untersuchungendesindividuellen Seelenlebens zufördern nnddieKenntnis einfachererVerhältnissebeiKindern,Primitiven,Tierenund Degenerierten(Neurotikern)alsnotwendige VoraussetzungfürdasVerständnis desKomplizierterenheranzuziehen,dieThese, daßimUnbewußtenpsychische 1) S.Ferenczi:PopuläteVorträgeüberPsychoanalyse. Wien 1922. S. 130ff.

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