• Nie Znaleziono Wyników

Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, Mai 1915, 24. Band, Heft 3

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, Mai 1915, 24. Band, Heft 3"

Copied!
52
0
0

Pełen tekst

(1)

MONATSSCHRIFTEN D E R COMENIU^GESELLSCHAFT

Monatshefte der

G o m e n i u s *

Gesellschaft

für Kultur und Geistesleben

Mar Heft 5

HerausgegebenvonAugust VGfe] fstieg Neue Folge der Monatshefte derCGL

Der ganzenKeihe 24.Band.

V E R L A

ü

V Ö

n

W Ö

e n

W

e

D E R [ C H 5 /3 E N A 1 9 l i

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

(2)

Inhalt

Amtliche Bekanntmachung

67

H auptversam m lung d er C. G.

Direktor S la m e n ik -P r e r a u , L udw ig K e l l e r ... ... 68

August Horneffer-Solln

bei München, Zum Problem der M ysterienbünde . . 77

G e d ic h t e ... 86

Dr.

Adolph Kohut,

Goethe und Iffland 88

Streiflichter

. . . 92

Literatur-Berichte (Beiblatt)

Seite A lbedyll, Aus H annover u n d P r e u i e n ...IS* A uer, B i s m a r c k ... 16*

B e lssw ä n g er, S trö m u n g e n ... 16*

E b e rh a rd t, Rufen des Z a r a t h u s t r a ...16*

H ell, Religion des I s l a m ...17*

J a th o , B r i e f e ... 17*

J o e l, A n ti b a r b a r u s ... ... 19*

K obl, B i s m a r c k ... 19*

König, K r ie g s p r e d ig te n ...20*

Lem pp, S c h i l l e r ... 21*

Leppelm ann, Gesetz von der Erhaltung der E n e r g i e ... 21*

L öbr, E inführung ins A. T... 22*

Seite MQsebeck, G e w is s e n ...23*

N ato rp , Tag des D e u t s c h e n ... 23*

Rausch, Elemente der P h i l o s o p h i e ... 24*

R ohrbach, Bism arck und w i r ...24*

Scholz, Idealism us und K r i e g ... 25*

S eid el, D em okratie u n d V o lk sb ild u n g ...26*

S euse, S c h r i f t e n ... 20*

S ganzlnl, V ölkerpsychologie... 26*

Soloojeff, Grundlagen des L e b e n s ...27*

T a t - B ü c h e r ... 20*

W alter, M e t a p h y s i k ... 28*

W elser, I r e n ...28*

W undt, Plato ... 29*

Anmeldungen zur C. G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n - C h a r l o t t e n b u r g , Berliner Str. 22. Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

(3)

MONATSHEFTE

DERCÖM EN I USOESELLSCH AFT

FÜR KULTURU. Ä l g ; GEISTESLEBEN

S CH KI FTLE lTU N G :^|SSM g^' WARTEN BU R.GSTRK) PROF-Dl^WOLFSTIEG B E R L I N S W « H -

VERLAG EUGEN D1EDER.1CHS IN JENA

N. F. Band 7 Mai 1915 H eft 3

Die Monatshefte der C. G., für Kultur und Geistesleben erscheinen Mitte Januar, März, Mai, September und November. Die Mitglieder erhalten die Hefte gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im Buchhandel und bei der Post M. 10. — Einzelne Hefte M. 2.50. — Nachdruck ohne Erlaubnis untersagt.

Bekanntmachung!

Auf Beschluß des Verwaltungs-Ausschusses vom 28. März 1915 findet

am Montag, den 17. Mai, abends 7 Uhr pünktlich

in Berlin im zweiten Saale des R estau ran ts W eihenstephan, Friedrichstraße 176

die Hauptversammlung der C. G.

s ta tt, wozu hierm it säm tliche M itglieder eingeladen w erden.

T a g e s o r d n u n g :

1. B ericht über den Stand der Gesellschafts-Angelegenheiten.

2. W ahl eines Vorsitzenden.

3. Ergänzung bezw. Neuw ahl des Gesam t Vorstandes.

4. B eratung und Beschluß über die D enkschrift des verew igten bisherigen V orsitzenden.

5. Verschiedenes.

Vo r h e r

findet um 6 Uhr pünktlich ebendaselbst eine Sitzung des G esam t­

vorstandes s ta tt.

Prinz zu Schönaich-Carolath

2. Vorsitzender

6 Monatshefte der C. G. 1915

(4)

68 Heft 3

L U D W IG K E L L E R

Von D irek tor S l a m e n i k , P rerau

ach der Sitzung des G esam tvorstandes im Mai 1909 blieben die M itglieder noch beisam m en, denn ein P lau d erstü nd ch en m it dem geliebten V orsitzenden w ar fü r alle im m er sehr begehrensw ert. Man freu te sich, noch m ehr zu erfahren, als w ährend der Sitzung zu hören war. Ich w ußte aus einem pädagogischen Lexikon, daß K eller am 28. Mai 1849 geboren wurde, daß er also noch in laufen­

dem M onat seinen 60. G eburtstag feiern werde. Um zu dieser bevorstehenden Feier auch ein Scherf lein beizutragen, erhob ich mich, um m it einigen W orten dieses Tages zu gedenken. Ich b rachte den zu F ritz la r geborenen K eller m it V infried in V er­

bindung, da er in seinen Schriften u n d R eden eigentlich auch eine neue Lehre, wenn auch n ich t in religiösem Sinne, verkündete.

In B eantw ortung m einer A nsprache korrigierte mich jedoch K eller in bezug auf seinen G eb u rtstag: Am 28. w urde er zwar geboren, ab er n ich t Mai, sondern M ä rz , un d das sei die U rsache, da der 28. März auch der G eburtstag des Comenius ist, daß er sich der Com eniusforschung gew idm et habe. J e tz t e rst w ar es uns k lar, w aru m K eller den u n erreichten S ystem atiker Comenius u n d was m it dem selben im Zusam m enhange ist, zu seiner Lebensaufgabe g e m ach t h a t.

U nd m it der G ründung der Com enius-Gesellschaft, der der V erstorbene seine besten K räfte, seine ganze Liebe gew idm et h a t, w urde dem Comenius auch eine bisher ungetilgte Schuld des deutschen Volkes gezahlt. D ann durch diese Gesellschaft ist auch jene berühm te W eissagung in E rfüllung gegangen, die der F eder des dam als noch jungen Leibniz e n tsta m m t:

Tem pus erit, quo te, Comeni, tu rb a bonorum F acta q u e spesque tu as, v o ta quoque ipsa colet.

Diese tu rb a bonorum t r a t gem äß der E inladung Kellers, des dam aligen A rchivrats in M ünster, am 9. u n d 10. O ktober 1891 im H otel M agdeburg zu Berlin zum ersten Male zusam m en.

Diese „S char gu ter M enschen“ sollte sehr groß sein, denn dem Comenius wird m it R ech t der T itel „V ölkerlehrer“ beigelegt.

U nd d a die C om eniusliteratur deutsche, böhmische, englische,

französische, niederländische, schwedische u n d ungarische Schriften

u m faß t, lud K eller auch die V ertreter dieser Völker zu dieser

(5)

1915

Slamenlk, Ludwig Keller

konstituierenden Versam m lung ein, die zugleich eine Vorfeier des auf den 28. März 1892 fallenden 300jährigen G eburtstages sein sollte.

K eller v erfaßte einen schwungvollen Aufruf, der in m ehreren großen T agesblättern veröffentlicht und gleichzeitig in deutscher, französischer un d englischer, sp ä te r auch in böhm ischer u n d ungarischer Sprache in etw a 20000 A bdrucken v ersand t wurde.

Dieser Aufruf e n th ä lt in bezug auf Comenius folgenden denk­

w ürdigen P assus: „ In M ähren geboren, u n te r Tschechen, D eutschen, E ngländern, H olländern, Schweden u n d U ngarn wirkend, m it Franzosen un d Italien ern befreundet, h a t er durch sein D enken wie d urch sein Leben sich eine u n i v e r s e l l e B e ­ d e u t u n g erworben. Als Philosoph u n d G ottesgelehrter h a t er im Bunde m it M ännern wie A ndreae, D ureus, M ilton u. a. sein Leben einem Friedensw erk gew idm et; indem er das „H eil der M enschheit höher stellte, als das Ansehen der Sprachen, der Personen u n d der S ek ten “ , w ar sein Bem ühen allezeit dahin g erichtet, die streitenden K irchen, Völker u n d Stände von gew alt­

sam er A ustragung der Gegensätze zurückzuhalten un d sie auf dem G runde christlicher W eltanschauung zu Frieden un d V er­

söhnung zu leiten. Als Schulm ann h a t er, angeregt durch Baco, den E rfahrungsw issenschaften in den Lateinschulen, die er vor­

fand, ih r R ech t erkäm pft, die M u t t e r s p r a c h e i n den K reis der U nterrichtsgegenstände eingeführt u n d den G edanken der ö r p e r b i l d u n g i n den Begriff der Schule aufgenom men. D urch die Forderung der Schulbildung fü r die gesam te Jugend, m it lnschluß des bisher zurückgesetzten weiblichen Geschlechts, ist e r -p6r V ater unserer Volksschule gew orden.“

me so zutreffende, m it n u r wenigen Sätzen ausgedrückte ara terisierung des Comenius ist fürw ahr höchst bem erkens- wer . nd im Sinne dieser „universellen B edeu tun g“ des Comenius WU^ A ^ e r. ^ u ^ru ^ von V ertretern säm tlicher K u lturvö lker E uropas m erikas gezeichnet. E r erschien im Ju n i 1891, versehen m it n terschriften angesehener M änner aus Belgien, D änem ark, eutschland, F rankreich, G riechenland, G roßbritannien, Italien , en iederlanden, Norwegen, Ö sterreich-U ngarn, R um änien, ii ancL Schweden, der Schweiz u n d den Vereinigten S ta a te n ,

„ ^ önnen uns denken, wie groß schon die V orbereitungsarbeiten

ve ers gew esen sind, b ev o r d as U n ter n eh m en in s L eben g eru fen w orden ist.

5*

(6)

70 Slamenik Heft 3 Die V ersam m lung w ar zahlreich besucht. K eller tru g dam als infolge eines B ruches den rech ten Arm in der Binde u n d w ard gen ötigt, die Linke zu reichen u n d m it derselben auch zu schreiben.

In seinem V ortrage über den Zweck der Com enius-Gesellschaft bem erkte er ausdrücklich: „U nsere Gesellschaft h a t sich die doppelte Aufgabe g estellt: a) dem G e i s t des Comenius u n d der ih m innerlich verw an dten M änner u n te r uns von neuem lebendige V erbreitung zu verschaffen u n d b) in diesem Geist auf dem Wege d e r freiwilligen B i l d u n g s p f l e g e bildend un d erziehend auf das heutige Geschlecht zu w irk en “ .

Ü ber weitere Aufgaben der Gesellschaft lesen wir folgende W orte von ihm 1: „E s ist im allgem einen das V orrecht der W issen­

schaft, unbekü m m ert um die Gegensätze der K irchen un d N ationen zu w irken, u n d es liegt auf d er H and , d aß eine Gesellschaft, die sich nach Comenius n en n t, ihre Aufgabe ganz u n d g ar verkennen w ürde, wenn sie in anderem als in v e r s ö h n e n d e m u n d v e r ­ e i n i g e n d e m Sinne tä tig sein wollte. Ind em sie schon h eute M itglieder u n te r verschiedenen V ölkern un d K irchen besitzt, w ird sie den g rö ßten W e rt d arau f legen, das B an d zu v erstärk en , welches durch die gleiche B egeisterung fü r Comenius die A n­

gehörigen aller N ationen um schlingt. D as höchste un d letzte Ziel, welches dem großen M anne vorschw ebte, w ar der Gedanke, d a ß es dereinst gelingen müsse, jenes R e i c h d e s F r i e d e n s zu verw irklichen, an das sein m enschenfreundlicher, opferbereiter Idealism us glaubte. Obwohl er w ußte, daß er das Ziel, fü r das er käm pfte, nie erreichen werde, h a t er doch, tief durchdrungen von der Religion C hristi u n d dem in ihr verheißenen Reiche G ottes, nie aufgehört, d afü r zu käm pfen, u n d er h a t wenigstens d e n Erfolg erzielt, daß alle abendländischen Völker h eu te m it gleicher V erehrung zu ihm als dem P ro p h eten eines besseren u n d glücklicheren W eltalters em porschauen“ .

In diesem Sinne fü h rte er des w eiteren aus: „Ü bersichten über

die neuere C om enius-L iteratur . . . welche, wie w ir hoffen, vielen

w illkom m en sein werden, sollen n ich t bloß die deutsche, sondern

a u c h die ausländische L ite ra tu r berücksichtigen. L a u t Beschluß

d e s V orstandes sind B eiträge in anderen Sprachen als der deutschen

v on der Aufnahm e keineswegs ausgeschlossen“ . In A usführung

dieses Beschlusses finden wir tatsäch lich in den ersten Jah rg äng en

1 Siehe den Leitartikel „Unser Arbeitsplan“ im 1. Monatshefte.

(7)

1915

Ludwig Keller

71

der M onatshefte A rtikel un d Rezensionen in französischer, eng­

lischer, ja auch böhm ischer Sprache. Diese E inrichtung h a t jedoch n icht viele A nhänger gefunden, un d m an begnügte sich bald, d a n u r wenige Leser aller dieser Sprachen m ächtig waren, m it durch­

weg deutschem Texte.

D er von ihm ausgesprochenen u n d auch in den Satzungen e n t­

haltenen Aufgabe der Com enius-Gesellschaft h a t Keller in vollem Maße Genüge getan. In erster Linie sorgte er dafür, daß, d a Comenius bekanntlich fast n u r böhm isch u n d lateinisch geschrieben h a t, die den deutschen Lesern unverständlichen, jedoch höchst wich­

tigen böhm ischen Schriften durch gediegene Ü bersetzungen zugäng­

lich gem acht wurden. Im „A ufträge der Com enius-Gesellschaft“

lieferte der P rager Professor B andnik eine sehr gelungene deutsche Ü bertragung des „ L a b y rin t“ , aus der die interessantesten Stellen auch in den M onatsheften abgedruckt wurden. Diese Zeitschrift brachte im Laufe der Zeit auf W unsch Kellers auch Ü bersetzungen ganzer Schriften des Comenius. Es sind das die beiden überaus er­

greifenden, das V erm ächtnis des Comenius en th altenden B üchlein:

das „T e sta m e n t“ vom J a h re 1650 in trefflicher Ü bersetzung von

-p v ^ J O

U ora P erin a un d die „Stim m e der T ra u er“ von 1660 in m einer Ü bertragung. Vor nich t langer Zeit erschien auch eine englische, geschm ackvoll a u sg esta ttete Ü bersetzung des L ab y rin t v om Grafen Lützow. die K eller sehr gefreut h a t. E r tru g m ir auf, darüber zu erichten. Die vom m ährischen Zentral-Lehrervereine m it n ich t geringen K osten unternom m ene Ausgabe säm tlicher Schriften des omenius fand bei ihm lebhafte U nterstützung, und ich m ußte U s r i f 6 ers^ n erschienenen B ände ebenfalls referieren.

e stverständlich begrüßte er stets auch alle anderw eitigen u^ga en der Comenianischen Schriften, un d schon das erste ona s e t (1892) brach te ein erschöpfendes chronologisches Ver- zeic ms säm tlicher W erke des Comenius von dem b ek ann ten x> m ®niol°gen Joseph Müller, A rchivar u n d H istoriographen der ru e ru n itä t in H e rrn h u t. E s e n th ä lt n ich t weniger als 136 urnm ern n ebst der E rw ähnung eines E n tw urfs zur B ibelüber­

setzung ins Türkische vom J a h re 1667. In dem selben H efte finden

wir auch „Die C om enius-L iteratur seit fünfzig J a h re n “ : Schriften

6^_ omenius in deutschen Ü bersetzungen u n d auch Schriften

ufsätze über Comenius in deutscher Sprache; ferner die

mische L ite ra tu r m it A nführung der Sam m elausgaben, endlich

6 engüsche, französische, niederländische, schwedische u n d

ungarische L iteratu r.

(8)

72

Slamenfk

Heft 3 D araus sieht m an, daß K eller das möglichste g etan h a t, um Comenius in jeder Beziehung kennen zu lernen, seine Geistes­

rich tu n g auszuforschen u n d seine T ätig k eit zu würdigen. In seiner B escheidenheit sagt er zw ar in seinem um fangreichen B erichte vom 6. Dezem ber 1913, daß zw ar n ich t alle H offnungen u n d W ünsche in betreff der Com enius-Gesellschaft in E rfüllung ge­

gangen sind, d aß aber ein gutes Stück A rbeit in den verflossenen J a h rz e h n te n geleistet worden ist, u n d zwar n ich t bloß in unserem (deutschen) V aterlande, sondern auch in den b enachb arten L ändern, deren V ertreter die Gesellschaft m itbegründeten. U nd wieder lesen wir von K eller eine inhaltsvolle B em erkung über Com enius: ,,Das ist das eigentüm liche des Mannes, nach dem sich unsere Gesellschaft n en n t, daß er, dessen W erk in D eu tsch ­ la n d n ich t so b ek a n n t ist, als die Leistungen vieler anderer großen M änner, doch u n t e r a l l e n K u l t u r v ö l k e r n d a s g r ö ß t e A n ­ s e h e n g e n i e ß t . “

Es ist der G e i s t des Comenius u n d aller seiner Gesinnungs­

genossen, der unseren unerm üdlichen Forscher zum Gegner jener W eltanschauung gem acht h a t, die den M enschen lediglich in m aterialistischer A uffassung bew ertet u n d seine Seele nich t als etw as eigentüm liches u n d spezifisches b e tra c h te t, zum Gegner jenes „G lau ben s“ gem acht h a t, daß der Mensch n u r etw a in dem M aße eine Seele h a t, wie sie andere höher entw ickelte Lebewesen auch haben . . .

Im Sinne der G eistesrichtung des Comenius h a t K eller in seinen Schriften auch den K am pf gegen die heute w eitverbreitete A nsicht aufgenom men, daß alle geistigen F u nktionen des Menschen n u r physiologische u n d m echanische Vorgänge im G ehirn seien, u n d daß es höhere, übersinnliche K rä fte w eder im M enschen, noch außerhalb desselben gäbe. Diese A nsicht, m eint K eller, sei fa s t noch gefährlicher, als der W underglaube u n d der M ystizism us d er früheren J a h rh u n d e rte . D enn der Geist des Comenius w ar erfü llt u n d getragen von dem G lauben an den ewigen W e r t d e r M e n s c h e n s e e l e . . .

D abei w ar das B estreben K ellers w ährend der ganzen D auer

seiner L e itu n g der Gesellschaft ste ts d arau f gerichtet, daß sie

einen w i s s e n s c h a f t l i c h e n C h a r a k t e r bew ahre u n d niem als in

den S treit der P a r t e i i n t e r e s s e n hinabsteige, denn n u r d adurch

sichere sie sich ihre U nabhängigkeit. „Ideale, für die wir eintreten

w o llten “ , sagt K eller, „erkan n ten wir in der F reiheit der P e r­

(9)

1915

Ludwig Keller

73

sönlichkeit, in der Liebe zur H eim at un d zur eigenen N ation u n d in der E r z i e h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s “ .

D a der zweite Teil der doppelten Aufgabe der Comenius- Gesellschaft darin b esteht, daß die Gesellschaft im Geiste des Comenius auf das heutige Geschlecht b i l d e n d und e r z i e h e n d wirken solle, stellte Keller die M itglieder u n d Freunde der Comenius-Gesellschaft vor u n m ittelb ar praktische Aufgaben un d A rbeiten. Es ist ja b ekan n t, daß seiner In iativ e die Begründung und E ntw ickelung der öffentlichen B ü c h e r - u n d L e s e h a l l e n zu danken ist, die höher zu bew erten sind, als die Volksbibliotheken alten Stils. F ern er ist an erk an n t, daß die Idee der Volkshoch­

schulen schon 1893 planm äßige F örderung bei Keller gefunden h a t.

Die Gesellschaft ist auch früher als andere O rganisationen für die s t a a t s b ü r g e r l i c h e E r z i e h u n g eingetreten u n d durch die M onatshefte w urde die E rrich tu ng der Volksheime un d Jug en d ­ heim e gefördert.

W enn es h eiß t „die G esellschaft“ , so ist d a ru n te r stets in erster Linie K eller zu verstehen, dem bei allen diesen A rbeiten der Löw enanteil zukam . E r h a t auch noch viele andere Pläne a n ­ geregt, wie die E rrich tu n g eines R e i c h s a m t e s f ü r V o l k s ­ e r z i e h u n g , die E rrich tu n g städ tisch er S ekretariate für Bildungs­

wesen u n d die Begründung von Studentenheim en. H offen wir, aß auch diese höchst w ichtigen In stitu tio n e n m it der Zeit ins Leben tre te n .

D er Comenius-Gesellschaft, richtiger ihrem Vorsitzenden ist es zu an en, daß die studierende Ju g e n d zur E rrich tu n g von A r b e i t e r ­ in ^ OOftr^Au^k1118611 sc^ on 1897 angeregt wurde. D er dam als

u <^ruc^ en an alle H ochschulen versandte Aufruf h a t eine

usgezeichnete W irkung gehabt. Diese K urse haben sich allm ählich

er ganz eutschland v erb re ite t u n d herrliche F rü ch te gezeitigt, neues er eit (1913) wurde ferner die studentische Ju g en d auf- g or ert, einen deutschen Siedlerbund nach A rt der englischen e em ents zu gründen. Die ersten Erfolge sind an m anchen e en vie versprechend. Die Com enius-Gesellschaft h a t auch „den vep111^ y. ^ 6^ en f is c h e V orurteile“ auf genomm en u n d insbesondere t,^ UC i’ enjen^geri Vereinen zu helfen, die den A l k o h o l i s m u s

AHa ^ r,? .V0lkSgifte bekäm pfen.

c

i ° , ° ne Unc^ Edle w urde durch Keller nam ens der Comenius-

ese sc a t u n te rstü tz t. So die Veredelung der geselligen Form en,

e unst erische Volkserziehung u n d die Liebe zur N a tu r u n d zur

(10)

74 Slamenfk Heft 3 F reu de an derselben. Neben der großen A rbeit für die Volks­

erziehung im Sinne des Comenius, w ar K eller, wie schon gesagt, zu jeder Zeit der w issenschaftlichen Aufgaben der Gesellschaft eingedenk. D as A ndenken der großen M änner, deren Tendenzen er billigte, feierte er durch gediegene A rtikel in den M onatsheften.

E s w ar ihm ste ts eine Freude, fü r die M onatshefte zu schreiben, un d H efte ohne seine Aufsätze gehören zu den seltenen. Viele seiner V orträge un d A ufsätze erschienen auch in Sonderausgaben, welche die Gesellschaft nam entlich den V olksbibliotheken g ratis zukom m en ließ. Insbesonders auch über den Zweck un d die Auf­

gaben der Comenius-Gesellschaft h a t K eller zahlreiche V orträge gehalten u n d A ufsätze geschrieben, die als Sonderausgaben weiter v erb reitet wurden. Ich erw ähne n u r einige von seinen B ro sch ü ren :

„D ie Com enius-Gesellschaft“ , „W ege u n d Ziele“ , ferner „D ie Com enius-Gesellschaft, ein R ückblick“ , „Die Com enius-Gesellschaft u n d die geistigen Ström ungen der G egenw art“ , „Die sozialpädagogi­

schen Erfolge der Com enius-Gesellschaft“ . A ußer unseren M onats­

h eften haben auch die „M ünch. N eueste N a c h r.“ K ellers Schrift

„D er letzte Bischof der böhm ischen B rü d e r“ (1898) h erau s­

gegeben. Bei E ugen D iederich in J e n a erschien 1907 „D ie Idee d er H u m a n itä t u n d die Comenius-Gesellschaft. E in R ückblick am Schlüsse des 15. G esellschaftsjahres“ u n d andere.

B ekanntlich w ar Comenius der indirekte U rheber un d B ah n­

brecher d er Freim aurer, denen K eller seine besondere A ufm erksam ­ k e it gew idm et h a t. In Sonderabdrucken erschienen von ihm „Z ur Geschichte der B a u h ü tte n u n d der H üttengeheim nisse“ , „Die Großloge Indissolubilis“ u. a. U m die K en n tn is der großen Be­

deu tu n g des Comenius m öglichst w eit zu verbreiten, ließ K eller J . G. H erders Schrift „Comenius u n d die E rziehung des M enschen­

geschlechts“ m it einer von ihm verfaßten V orrede in m ehreren tau sen d A bdrucken g ratis versenden.

H ervorzuheben ist ebenfalls, daß Keller das A ndenken des Comenius auch d ad urch zu ehren w ünschte, d aß er in zahl­

reichen S tä d te n D eutschlands die E rrichtung von Zweigvereinen d er Com enius-Gesellschaft u n ter dem T itel „Com enius-K ränzchen“

an streb te, von denen besonders jenes in der C om eniusstadt Lissa i. P . gedieh un d durch gediegene V orträge u n d Schriften des dortigen Forschers W . Bickerich, P farrers an der ehemaligen B rüder­

kirche, eine sehr lobensw erte T ätig k eit aufw eist. Auch von anderen

„K rän zch en“ lasen wir erfreuliche N achrichten in den M onatsheften,

(11)

1915

Ludwig Keller

75-

W as soll ich über Keller noch w eiter sagen ? E r w ar die Ver­

körperung der Comenius-Gesellschaft. Ih r Gedeihen, ihre B lüte w ar sein Ideal. Ohne K eller w ar ein solcher Verein in D eutschland gar nich t denkbar. In m ancher H insicht k ann er m it Comenius verglichen werden. Sein edler Sinn, sein selbstloses Streben, seine rastlose T ätigkeit, auch das ständige Gleichgewicht seines regen, nie erm üdenden Geistes erinnern an Comenius. In seinem T un u n d Lassen w ar im m er eine auffallende R uhe bem erkbar. E r w ar ein g o ttb egn adeter Denker. M it seinen G rundsätzen u n d An­

sichten w ar er, wie schon erw ähnt, oft im W iderspruch m it den Zeitgenossen. Seine eigene A nsicht h a tte K eller auch über den jetzigen Krieg, dem er durch p atriotische Gedichte u n d Aufsätze in den M onatsheften auch entsprechend R echnung getragen h a t.

In seinen geistreichen „S treiflich tern“ , aus denen die Tiefe seiner Gedanken oft zu erkennen ist, schreibt er im Ja n u a rh e ft:

„E s gib t viele Menschen . . . die in den Ereignissen, die wir h eu te im Z eitalter des W eltkrieges durchleben, lediglich eine K a tastro p h e sehen. Gewiß, es ist eine K atastro p h e, aber es scheint, als ob von Zeit zu Zeit solche E rschü tterun g en kom m en müssen, um die Menschen von Fesseln zu befreien, von denen sie auf keine andere Weise zu befreien sind. W ie oft haben wir es früher an dieser Stelle beklagen müssen, daß die M enschen durch die Zunahm e des Besitzes u n d des R eichtum s gleichsam zu Sklaven der äußeren, sinnlichen W elt . . . werden. W ie m it einem Schlage sind H u n d e rt­

tausende von diesen Fesseln befreit: wer beständig im Angesicht­

es Todes w andelt, wie es im K riege Unzählige müssen, dessen ie wird frei von der Ü berm acht der Sinne, die n u r zu leicht auch

TT

6j SGren

§ e^an8en

h a lte n u n d in Fesseln schlagen“ .

-.II!| ® Comenius-Gesellschaft auf der H öhe der Zeit zu erhalten, ver ie eller in neuester Zeit auf den G edanken, Diskussions- en e zu v eran stalten, die sich sehr bew ährten u n d der Gesell- c a neue F reunde u n d A nhänger w arben. T rotzdem K eller in er ^tzten Zeit körperlich viel g elitten h a t, h a t er sich, wie Prof.

, ° schreibt, seine geistige Frische bis ans Ende wa rt. Selten w ar wohl ein M ann m it so viel Begeisterung

ner ufgabe zugetan wie K eller; denn die Comenius-Gesellschaft

w ar sein Lebensziel, u n d n u r ein J a h r noch tre n n te ihn von dem

ei pun k te, wo die Gesellschaft bei der Feier ihres 25 jährigen

estan es dem Begründer u n d F ü h rer ihre D an k b ark eit un d

ere rung bezeugen konnte. Diesen Tag h a t er leider n ich t erlebt..

(12)

'76 Slamenlk, Ludwig Keller Heft 3 Sein nahes Ende w ird er wohl vorausgesehen haben, wie dies aus einem „S tre iflic h t“ im letzten N ovem berheft ersichtlich ist, wo er sich trö ste t, d aß der Tod durchaus n ich t als das größte Übel in der W elt anzusehen sei, denn er sei n u r ein Übergang in eine neue Lebensstufe, durch die jede Menschenseele hindurch­

gehen m uß, um allm ählich zur Vereinigung m it dem G öttlichen em porzusteigen, von dem sie ausgegangen ist. Ob wir leben oder

„ t o t “ sind, ob die Menschen unserer gedenken oder nicht, ob sie uns D enkm äler errichten oder n u r ein einziges Herz unseren N am en in Liebe u n d Schmerz in den W ind r a u n t : wir leben un d weben un d sind in den Arm en des Ewigen un d Alleinen, der unser U rsprung, unser V ater u n d unsere H eim at ist, u n d dessen Stim m e oft so gew altig in den H erzen derer spricht, die Ohren haben zu hören u n d H erzen, um zu em pfinden.“

K eller w ar religiös v eranlagt, wie dies auch aus vielen seiner Schriften ersichtlich ist. Auch der jetzige K rieg b o t ihm Gelegen­

h eit, dieser seiner Gesinnung A usdruck zu verleihen. „D er K rieg “ , m ein t K eller im Septem berheft, „ h a t tau sen d Fragen, die die H erzen bisher bewegten, in den H in terg ru n d g edrängt . . . aber eine Frage . . . ist je tz t in den V ordergrund getreten, näm lich die r e l i g i ö s e F r a g e . M ehr als sonst beherrscht der religiöse Ge­

d an ke die G em üter der M enschen u n d keine öffentliche K u n d ­ gebung . . . e n tb e h rt des religiösen Einschlags, der A nrufung des Ew igen . . . D a wir bisher in u n d durch unsere Gesellschaft der W iedererw eckung eines lebendigen religiösen Interesses un d der K läru n g des religiösen Gedankens zu dienen v ersucht haben, freuen wir uns der großen W endung der Dinge u n d wollen auch w eiter dazu beitragen, diese W endung zu fördern un d zu stärken, w enn einst die N ot des Krieges n ich t m ehr ih r belebender E r- wecker sein sollte.“

Aus diesen Ä ußerungen, wie auch aus anderen seiner Schriften

leu c h tet hervor, d aß der Geist des Comenius auch in religiösem

Sinne in das H erz K ellers gedrungen w ar u n d daß er durch G ründung

u n d F ü h ru n g der nach Comenius b en an nten Gesellschaft wie nicht

m inder durch seine A rbeit dem selben in D eutschland ein D enkm al

aere perennius errich tet h a t. E h re u n d R uhm sei dem A ndenken

unseres unvergeßlichen F ührers! Möge der Geist, die Gesinnung

K ellers fortleben in der Com enius-Gesellschaft!

(13)

1915 77

ZUM PROBLEM DER MYSTERIENBÜNDE

Von A u g u s t H o r n e f f e r in Solln bei M ünchen

ie B lütezeit der M ysterienbünde war das ausgehende A ltertum . Niemals vorher oder nachher h a t das ge­

heime geistige Bundeswesen eine so große A usdehnung u n d so tiefe E inw irkung auf die K u ltu r gehabt, wie in den letzten vorchristlichen u n d ersten n achch rist­

lichen Jah rh u n d e rte n . Viele strö m ten ihnen dam als zu; keine V ölkerschranken hem m ten ihren Siegeslauf, keine U niversalkirche stellte sich ihnen entgegen. Die frühere Blüteepoche der M ysterien lm 6- J a h rh u n d e rt v. Chr., w ar natio n al bedingt gewesen; alles spatere M ysterien wesen, bis in die N euzeit hinein, h a tte u n ter dem D ruck der K irche zu leiden. In der S p ätantike aber fiel beides w eg;

eine freie, grenzenlose E n tfa ltu n g w ar m öglich; die gelegentlichen Verfolgungen w irkten m ehr anregend als bedrückend.

Man teilt die M ysterienbünde der hellenistisch-röm ischen Zeit gewöhnlich in heidnische u n d in christliche. Zu jenen gehören auptsächlich der eleusinische, der M ithras-, der Isis- und der A ttis- u lt, zu diesen die zahlreichen gnostischen Bünde, ferner die T äufer­

gem einden (Sabier, M andäer, Johannischristen) u n d die M anichäer, st'6 v ^ 11 .*m we^ eren Sinne ebenfalls in den Sam melbegriff ,,gno-

• | SC. ®lnsehließen kann. Die U nterscheidung heidnisch-christlich ziem ic äußerlich, da auch die christlich beeinflußten Bünde n s ..lc e W urzeln haben. Wie sich im m er deutlicher heraus- Np l 1^1US^ en ^erner auch die Philosophenbünde, zum al die der ee U,h lt ° ni 6r Un<^ -Nßiipythagoräer, den M ysterienbünden zu- sphf werden, da sie regelrechte K ultgenossenschaften ge- in ^ f S0nen p ^ ara k ters waren. E ndlich sind wir auch genötigt, i . _er®lnstim m ung m it den gleichzeitigen A utoren die regulären me t 10 ^ ^ emeinc^e n > die sich um die Bücher des N euen Testa- IM f 8 . SC f.r ^en un(i das A postolikum schufen, ebenfalls als h '^ ^ nc^e an zu sprechen ; denn sie h a tte n wie alle M ysterien-

un e

i

re geheimen W eihen u n d V erbrüderungsriten, verehrten

einen gottm enschlichen K u lt- u n d B undesstifter u n d wollten im

egensatz zu der natio nal beschränkten oder sonstw ie abgegrenzten

(14)

78

Horneffer Heft 3 R eligiosität der öffentlichen K u lte ein allum fassendes L iebesband zwischen Mensch u n d Mensch, Mensch und G o tt knüpfen1.

Die M ysterienbünde geben der Forschung m ancherlei R ätsel auf, D an k ei ist zunächst In h a lt u n d U m fang dessen, was diese B ün d e als Geheimnis behandelten. Bei m anchen M ysterienbünden wissen w ir von den geheim gehaltenen G ebräuchen u n d Lehren fast g a r nichts, bei anderen allerdings m ehr, aber bei keinem kennen w ir sie ganz. Auch über das innere Leben der alten Christen sind w ir n ic h t genau u n te rric h te t; wir wissen wohl, daß Taufe u n d rituelle»

M ahl die h au ptsächlichsten G em einschaftshandlungen waren, ab er wie diese H andlungen im einzelnen ausgeführt, wie die B undes­

feiern im ganzen aufgebaut, wie sie gegliedert u n d für b estim m te Zwecke um gem odelt, wie endlich die H eilsw ahrheiten v erk ü n d et u n d in sym bolischen oder katechetischen Form eln m it den k u lti­

schen Begehungen verbunden worden sind, ist uns h eute n u r zum Teil b ek an n t. Viel schlim m er ste h t es m it den anderen M ysterien­

gem einschaften, zum al m it denen, die aus m ehreren Stufen oder G raden bestanden, deren jeder besondere G radrituale u n d in gewissem Sinne auch besondere Lehren, m indestens besondere D eutungen u n d sym bolische Ausdrucksweisen für die allen G raden gem einsam e B undeslehre besaß. V ollständige R ituale sind nirgends erh alten geblieben2; n u r einzelne M itteilungen über die Sym bole, M ythen u n d Theorem e haben wir, aus denen sich n u r m it M ühe zusam m enhängende Bilder gewinnen lassen.

A ber noch m eh r: die ganze E xistenz, das W oher u n d W ohin der M ysterienbünde ist r ä ts e lh a ft! Die Theologen un d Philologen nehm en h eu te m eist an, daß das Ziel der M ysterienbünde die Be­

grün d ung von K i r c h e n , also von dogm atisch-hierarchischen H eilsin stitu ten gewesen sei. Schon im eleusinischen K u lt will m an das deutliche Streben n ach kirchlicher O rganisierung erkennen3;

ebenso in den orientalisch-hellenistischen K u lten , die m an geradezu als K irchen oder doch als keim hafte K irchen zu bezeichnen pflegt.

D en Beweis für diese A nschauung soll das U rch risten tu m liefern y aus dem sich tatsäch lich die große W eltkirche entw ickelt h a t ;

1 Die Frage, ob die Christen wirklich erst seit dem 2. oder S. Jahr­

hundert ihre Kulthandlungen als geheime Weihen (Teletai) und al»

Sakramente aufgefaßt haben (Vergl. A n r i c h : Das antike Mysterien­

wesen), scheint mir noch der Klärung zu bedürfen. 2 Wenn man von der wohl auch nur fragmentarischen „Mithrasliturgie“ A. D i e t e r i c h s absieht. 3 Vgl. z. B. S t e n g e l : Griechische Kultusaltertümer.

(15)

1915

Zum Problem der Mysterienbünde

79

dem nach wäre der christliche M ysterienbund an das von allen

M ysterienbünden erstreb te Ziel gelangt; die christliche K irche wäre der Gipfel- u n d Schlußpunkt des ganzen ungeheuren Ringens d e r S pätan tike um die N eugestaltung des geistigen Gem einschafts­

lebens.

Diese Anschauung ist u n h a ltb a r. Die römische K irche ist viel­

m ehr ein Abfall von den G rundsätzen der urchristlichen Gemeinden,

«ine einseitige F o rt- u n d U m bildung gewisser Eigenschaften des M ysterienwesens, n ich t die norm ale u n d logische Entw ickelung.

D ie ganze These, daß das Ziel der M ysterienbünde die K irchen­

bildung sei, ist irreführend; sie b e ru h t meines E rach ten s auf einer ialschen Theorie über die H e r k u n f t des M ysterienwesens. W oher stam m en die M ysterienbünde ? W er oder was h a t sie ins Leben gerufen ? W enn wir d arüb er K larh eit gewinnen könnten, w ürde sich wohl auch das Ziel leichter bestim m en lasse n , denn H e rk u n ft u n d Ziel gehören bei allen D ingen in der W elt zusam m en, das W oher u n d das W ohin erläu tern sich gegenseitig.

Die M ysterienbünde tau chen ziemlich u n v e rm ittelt auf. M eist beh aupten sie von einem überm enschlichen Stifter an einem be­

stim m ten Ja h re sta g gegründet u n d m it säm tlichen Lehren, R iten, V erfassungsgrundsätzen gleich dam als versehen worden zu sein.

Diese A ngaben h ab en gewiß im m er einen w ahren K ern, sind aber insofern unzureichend, als sich die B undeslehren, -riten u n d -Verfassungen, ja die G em einschaften selber, schon vor dem a n ­ gegebenen Z eitp u n k t nach weisen lassen. Die S tifter sind höchstens

R eform atoren; vor allem aber sind sie lebendige Symbole des Bundes u n d stehen in V erbindung m it älteren G ötter- oder H a lb ­ gö tterg estalten der bestehenden Religionen. Alle M ysterienbünde

der S pätantike sind aus den V orstellungen u n d O rganisationen der bestehenden Religionen herausgew achsen; aber wie dies H eraus­

wachsen sich vollzogen h a t, welche Personen, G edanken, Beweg­

gründe dabei m aßgebend gewesen sind, kan n m eist n u r erschlossen werden. Im M ithraskult finden wir persische, im Isisk u lt ägyptische, bei den Sabiern babylonische, bei den Christen jüdische u n d bei willen überdies gem ischte u n d heim atlos gewordene Religions­

bestandteile v o r; aber verw andelt, um geform t, neugeboren finden

wir sie vor. Die w ichtigsten W andlungen sind die V e r a l l ­

g e m e i n e r u n g (Loslösung von Stam m , K lasse u n d Volk) u n d

d ie V e r g e i s t i g u n g (Symbolisierung). Merkwürdigerweise geh t

m it der V erallgem einerung m eist d as Gegenteil, eine Verengerung,

(16)

80 Homeffer Heft 3 u n d m it der V ergeistigung eine Steigerung des Sinnlichen H a n d in H a n d : die M ysterienbünde w enden sich an die ganze M enschheit, üben dabei aber G eheim haltung u n d wählen ihre M itglieder a u s;

sie erheben die K u lte u n d M ythen ins Übersinnliche, wirken ab er m it W o rt u n d H andlung m ächtig auf die Sinne u n d die P han tasie ih rer A nhänger ein. In den M ysterienbünden finden sich zwei scheinbar entgegengesetzte Züge vereinigt v o r : der Zug nach vor­

w ärts, über das öffentliche religiöse Leben u n d D enken h in au s­

weisend, u n d der Zug nach rückw ärts, u ralte, vergessene religiöse G edanken u n d Gem einschaftsform en wieder auf greifend.

Am besten sind wir noch über die E n tsteh u n g der griechischen M ysterienkulte u n terrich tet. Zahlreiche Zeugnisse scheinen d a ra u f hinzu weisen, daß sie aus den F a m i l i e n k u l t e n hervorgegangen sind. Es gab in H ellas seit vorhistorischer Zeit Fam ilien- u n d G eschlechterkulte, deren Feiern auf den geschlossenen K reis d e r Angehörigen b eschrän kt w aren, also geheim gehalten w urden.

Solch einen K u lt ü b ten z. B. in Eleusis die vornehm en G eschlechter d er E um olpiden u n d K eryken, die sp äter die erblichen P rie ster­

ä m ter in den eleusinischen M ysterien bekleideten. I h r p riv a te r G eschlechterkult ist offenbar die W urzel des gew altigen B aum es der Eleusinien gewesen, der sp ä te r ganz A ttik a und ganz H ellas b e sch a tte te 1. Ä hnlich scheint es m it anderen M ysterien gewesen zu sein. Dasselbe h a t C u m o n t auch von dem M ithrasku lt be­

h a u p te t2. E r m eint, daß das m azdäische P riestertu m anfangs d a s E rb te il eines einzelnen Stam m es gewesen sei u n d erst sp ä te r F rem de zugelassen worden seien. D urch die A ufnahm e F rem der h ä tte n sich d ann e rst die Einweihungszerem onien, die Gelübde u n d G rad­

stufen nötig gem acht, die der ausgebildete, w eltum fassende M ithras­

k u lt besaß.

H ier stoßen wir schon auf Schwierigkeiten. Die rituelle E in ­ weihung u n d Gelübdeablegung g eh ört zu den grundlegendsten u n d u nentbehrlichsten B estandteilen jedes M ysterienbundes. W enn sie e rst bei der E rw eiterung des G eschlechterkults allm ählich hinzu­

gekom m en sein soll, k an n der M ysterienkult n ich t restlos aus dem F am ilienkult e rk lä rt w erden; er m uß noch andere W urzeln haben.

D as W esen des M ysterienbundes b esteh t eben darin, daß er Frem de

au fnim m t, Frem de m it einander v erb rü d e rt un d zu einer A rt

künstlicher Fam ilie vereinigt. Die Einw eihung ist das w ichtigste,

1 Näheres bei R o h d e : Psyche, und A. M o m m s e n : Feste der Stadt Athen. 2 Fr. C u m o n t : Der Mithraskult, dtsch. v. Gehrich.

(17)

1915

Zum Problem der Mysterienbünde

81

in m anchen B ünden beinahe das einzige echte M ysterienfest, wes­

h alb denn auch die Ausdrücke M ysterien un d W eihen im A ltertum fast gleichbedeutend g ebrau cht wurden. Also die historische F e st­

stellung, daß gewisse M ysterienkulte auf geschlossene G eschlechter­

ku lte zurückgehen, h ilft uns n ich t viel, wenn sich jene u n d diese in ihrem W esen n ich t als gleichartig, sondern als verschiedenartig erweisen. Sind doch auch die S taatsk u lte, zum al in Babylon un d Ä gypten, aber auch bei anderen Völkern zweifellos aus Fam ilien­

k ulten hervorgegangen, näm lich aus den P riv a tk u lte n der h e rr­

schenden Fam ilien. D er G o tt des Königs u n d seines Geschlechtes erw eiterte sich zum G o tt des ganzen politischen V erbandes; das Volk bildete die Advenae, die A uditores, kurz die weitere Gemeinde, die sich um den engeren Ring der religiös B evorrechtigten herum ­ legte. D er K önig u n d seine B eau ftrag ten nahm en die K ultpflege für sich in A nspruch u n d erk lärten sich für die K inder un d

V ertrau ten des N ationalgottes.

Es haben sich dem nach aus dem F am ilienkult verschiedene Form en des allgemeineren K u lts entw ickelt. Die M ysterien gehen einen anderen Weg als die S taatsk u lte, obwohl auch sie n a tu r ­ gemäß im V erhältnis zum S taate u n d dessen Regierung stehen.

Aber ihre G ötter sind keine S tad t- oder S taatsg ö tter, sondern A llgötter; ihre M itglieder sind als M ysten keine B ürger, sondern Menschen, ihre K ultü b ung en sind n ich t dem W ohl u n d W ehe eines politischen Gebildes, sondern der V ervollkom m nung der Geister ohne Grenze gew idm et1. Die M ysterienkulte w aren es ja, die m it den S taatsk u lten in einen fü r diese verderblichen W e tt­

bewerb ein trate n u n d das ganze n ationale Religionswesen der antiken Völker über den H aufen warfen.

Wie e rk lä rt sich der Zug der M ysterienkulte zur „M enschheit“ ? W ann und woraus h a t sich der G rundgedanke alles M ysterien­

wesens : die V erbrüderung des Frem den, entw ickelt ? — W ir m üssen meines E rachtens unseren Blick auf die freien K u ltverbände, die T h i a s o i richten, deren B edeutung für das antik e Religionswesen im m er noch u n tersc h ätz t wird. Die Thiasoi sind Vereine, b ald lose, b ald fest, bald dauernd, b ald n u r für b estim m te kultische Gelegen­

heiten gebildet, die im Gegensatz zu den privilegierten, gentili- zischen K ultgenossenschaften unabhängig u n d auf eigene V er­

antw ortung dem geistigen G em einschaftsideal dienen. Ü ber das

1 Näheres in meinem Buche: „Der Bund der Freimaurer“.

(18)

82 Horneffer Heft 3 A lter dieser freien V ereinsbildung1 k an n m an n u r V erm utungen äußern. Ich zweifle n ich t, daß die Thiasoi ebenso a lt sind, wie die Fam ilienkulte und, um das gleich hinzuzufügen, daß die M ysterien eine V erbindung beider, eine g e m e i n s a m e S c h ö p f u n g v o n T h i a s o s u n d F a m i l i e n k u l t sind. Das W esen der an tik en Vereine kan n m an sich etw a an der H a n d der m ittelalterlich en

„B rü d ersch aften “ k lar m achen. Sie h a tte n ihre eigenen S ch u tz­

p atro n e, denen sie geschlossenekultischeV eranstaltungen w idm eten, h a tte n ihren beweglichen u n d m anchm al auch unbeweglichen ge­

m einsam en Besitz u n d setzten sich n ich t selten aus den M itgliedern b estim m ter Berufe, z. B. Ä rzte, Zim m erleute, zusam m en. In jedem Falle w aren es V ereinigungen, die n ich t aus Fam ilien- oder Ge­

schlechtsgenossen bestanden, sondern aus „ F rem d e n “ , die durch die Idee der „heiligen A rb e it“ , d. h. die weltliche und zugleich kultische B etätigung, zusam m engeführt u n d zusam m engehalten wurden.

D as C harakteristische dieser freien K u lt vereine ist, daß sie die religiöse T ätig k eit der Fam ilien ergänzen un d ersetzen wollen.

Sie b etrach ten ihren K u lt als einen F am ilien ku lt u n d sich selber als geistig-m ystische Fam ilien. Aus ihrem S chutzp atro n m achen sie ihren A hnherrn u n d V ater, weisen d urch Bundeslegenden un d A bstam m ungstafeln ihre A bkunft von diesem A hnherrn nach un d suchen in ihrem ganzen Gem einschaftsleben nach M öglichkeit die F ik tion , d aß sie eine wirkliche Fam ilie seien, durchzuführen. In loseren K ultvereinen w ird die D urchführung m angelhaft sein, auch können die religiösen oder w issenschaftlichen Anschauungen den Glauben an die R e a litä t des geistigen V erw andtschafts Verhältnisses verbieten; aber d an n t r i t t eben die „sym bolische“ Auffassung ein u n d die Legenden erh alten eine geistigere F ärbung. Die Tendenz der K ultvereine, in K u lt u n d Verfassung, in Lehre u n d Leben die F ik tio n zum A usdruck zu bringen, eine Fam ilie oder Gens zu sein, k e h rt in allen Epochen der Geschichte, ja in allen W eltteilen wieder.

Ethnologische P arallelen legen die V erm utung nahe, daß diese F ik tio n der K ultvereine vielfach die V eranlassung geworden ist.

a n die gem einsam e A bstam m ung von zusam m enw ohnenden M enschengruppen, also von sogenannten Stäm m en oder Phylen.

1 Vgl. Z i e b a r t h : Das griechische Vereinswesen. Gelegentliche B e­

merkungen auch bei G r u p p e : Griech. Mythologie, N i l s s o n : Griech.

Feste, u. a.

(19)

1915 Zum Problem der Mysterienbüade 83 oder auch ganzen S täd ten oder Landschaften zu glauben, die keineswegs auf einen menschlichen S tam m vater zurückzuführen sind. Die Griechen liebten das genealogische Mythologisieren ganz besonders; aber auch die angeblichen Priesterstäm m e der Magier, der Leviten usw. werden wohl aus der künstlichen V erw andtscnafts- schließung in u ralten Thiasoi hervorgegangen sein. Die Rolle, die die Religion, oder besser gesagt, die gemeinsame K u ltübung bei der gesellschaftlichen Organisierung und Gliederung der Menschen gespielt h a t u n d bis zum heutigen Tage spielt, ist noch lange nicht genug gew ürdigt worden. Die „V erbrüderung“ Frem der schafft Verbindungen, die alle anderen V erbindungen überdauern und die für den gesellschaftlichen Aufbau der M enschheit w ichtiger ge­

worden sind als der natürliche Fam ilienzusam m enhang.

Die H auptfeste jedes Fam ilienkults sind: G eburtsfest, Ju g e n d ­ weihe, Eheschließung, Tod. Die K ulthandlungen, die bei diesen Fam ilienfesten vorgenom m en werden, sind auf der ganzen E rde einander ähnlich. Aber auch der K u lt der M ysterienbünde b e rü h rt sich aufs engste m it den H a u p ta k te n des Fam ilienlebens. W ir sagten schon, daß das H auptereignis un d der M ittelpunkt des Mysterienwesens die W eihe ist. Diese W eihe oder Aufnahm e e n t­

spricht nach Sinn un d Ausführung sowohl der A ufnahm e des Kindes, als des Geschlechtsreifen u n d der B ra u t in den Fam ilien­

verband, en tsp rich t aber auch der T otenfeier; denn die T o ten­

feier der i am ilienkulte h a t den Sinn, den V erstorbenen innerhalb der Fam ilie geistig lebendig zu erhalten u n d den N achkom m en als Schutzgeist vor Augen zu stellen. Im G runde h a n d e lt es sich auch bei dem F am ilienkult im m er um die V erbrüderung F rem der: das neugeborene K ind un d der heranw achsende Jüngling tre te n als Frem de in den K reis der Fam ilienglieder ein; daher werden magisch-symbolische Einverleibungshandlungen m it ihnen vor­

genomm en u nd sie, oder ihre vertreten d en „ P a te n “ , müssen ein Bundesgelübde ablegen. Auch der Tote tr itt, weil er nunm ehr ein Geist, ein Ahne geworden ist, als ein neues Glied in den K u lt­

verband ein. Am deutlichsten ist dieser Gedanke bei der E h e­

schließung v e rk ö rp e rt: die B ra u t wird als eine Frem de in die Fam ilie eingeführt und erh ält durch die Segnungs- und U nions­

riten der H ochzeit H eim atsberechtigung in dem ih r frem den K u lt­

bunde.

Das alles finden wir vergeistigt in den M ysterienbünden und bereits in den Thiasoi wieder. D er Novize ist der Frem de, der

Monatshefte der C. ft. u i 5

(20)

84 Horneffer Heft 3 ebenso wie das K ind „erhoben“ 1, ebenso wie der Jüngling un d wie die B ra u t g etau ft, geprüft, gesegnet, bekränzt, bekleidet, verhüllt, gezeichnet u n d dem Bundesgeiste anverlobt wird. D er Novize ist in m anchen M ysterienbünden auch m ithandelnder Zu­

schauer einer T otenfeier; der Einw eihungsraum und V ersam m ­ lungsraum der M ysterienbünde gleicht nich t selten einer Toten- kapelle u n d B egräbnisstätte. Also die Ä hnlichkeit zwischen dem F am ilienkult u n d dem K u lt der freien Sym bolbünde ist so groß wie nu r möglich. D er U nterschied b esteh t n u r darin, daß die letzteren an die Stelle des n atürlichen V erw andtschaftszusam m en­

hanges einen künstlichen setzen. Sie durchbrechen die fam iliare u n d gentilizische G enossenschaftsbildung un d schaffen eine geistige oder m y s t i s c h e V erbrüderung2. Die Idee u n d symbolische V er­

wirklichung dieser geistigen V erbrüderung ist aber n ich t etw a ein Erzeugnis jüngerer Zeit, sondern verliert sich in das g raueste A ltertum . Bei den p rim itiven Völkern stoßen wir allenthalben auf solche Bünde, die durch magische, dem F am ilienkult e n t­

nom m ene U nionsriten die Angehörigen verschiedener Fam ilien zu künstlichen B rüdern, V ätern, Söhnen m achen. Diese Bünde sind m eist M ännerbünde, oft Geheim bünde u n d ste ts K ultb ün de. Sie sind im W esen den griechischen K ultvereinen durchaus g leich artig ; wir m üssen annehm en, d aß es auch in den orientalischen L ändern solche Thiasoi gegeben h a t, un d daß diese wie jene bei der E n t­

stehung der spätan tik en M ysterienbünde entscheidend m itgew irkt haben.

D er Einfluß dieser freien K u ltb ü n de erk lä rt uns allein den über­

nationalen, rein m enschlichen C harakter der M ysterienbünde. Die Fam ilienkulte haben diesen C harak ter ganz u n d gar n ic h t; sie sind stets konservativ u n d engherzig. Die Frem den, die die Fam ilie in ihren Schoß aufnim m t, also die M itglieder der heranw achsenden G eneration un d die Schwiegertöchter (unter U m ständen auch die Schwiegersöhne, je nach der Gentilverfassung), müssen sich in den Fam iliengeist ein fü g en; von einem Streben nach Verallgem einerung ist keine Rede. D er F am ilienkult h ä lt seine Tore verschlossen: er len k t die ganze K ra ft u n d In n ig k eit des Gem einschaftslebens nach

1 Vgl. die Aufhebungszeremonie beim antiken Geburtsfest; S a m t e n Familienfeste der Griechen und Römer. 2 Die künstliche Verwandtschafts­

bildung, ihre Symbolik und ihre mythische oder philosophische Uebertragung auf das All ist der Kern des „Geheimnisses“, das die Mysterienbünde so ängstlich verwahren.

(21)

1915

Zum Problem der Mysterienbünde

85

innen; er tre ib t, könnte m an sagen, eine geistige In zucht. U m ­ gekehrt der Thiasos, der seinem W esen nach die A ufnahm e und Einbeziehung frem der, neuer, ungew ohnter u n d unerprob ter Ge­

danken u n d Geister erstreben m uß. In den Thiasoi ist die Idee der M enschheit“ u n d der ,,G ottm enschheit“ geboren! N ur i n s o f e r n die M ysterienbünde Thiasoi sind und geblieben sind, d. h. freie W ahl vereine m it V erbrüderungskult, sind sie H ü te r und V erkünder des M enschheitsevangelium s geworden u n d geblieben.

Die einzelnen M ysterienbünde, die wir etw as genauer kennen, unterscheiden sich, ihrem inneren W esen nach, hauptsächlich d a ­ durch, daß sie m ehr oder weniger Thiasos, m ehr oder weniger F am ilienkult sind. In G riechenland wiegt bei den Eleusinien der geistige Einfluß des Fam ilienkults vor, w ährend z. B. der K u lt­

bund der P y thag oräer fast ganz auf den G rundsätzen des Thiasos ru h t. Die christlichen Gemeinden lassen die bestim m ende E in ­ wirkung der jüdischen Diasporagem einden erkennen, die m an als eine A rt erw eiterter Geschlechtergenossenschaften ansehen m uß.

Diese jüdischen Niederlassungen fielen den an tiken Zeitgenossen durch ihre strenge Abgeschlossenheit u n d ih r F esth alten an den G rundsätzen des Geschlechterkultes auf. Die christliche P ro p a ­ ganda bekäm pfte zwar diese G ru n d sä tz e ; aber in den neu­

entstehenden oder aus jüdischen u n d heidnischen Gemeinden erwachsenen Christengem einden blieb doch wohl zu viel von diesem Geist erhalten. D en übrigen M ysterienbünden gab die Völker- u n d Religionsmischung jener Zeiten so sehr das Gepräge, daß die Charakterzüge des Fam ilienkults in ihnen fast g ar n ich t zur Erscheinung kom m en konnten. Ä gypten w ar schon seit J a h r ­ hunderten der M ittelp unk t dieses Synkretism us gewesen. E in nationales K önigtum gab es d o rt län gst n ich t m ehr. Auch im ägyptischen P riestertu m f and die ausschließende gentilizische Auf­

fassung keine S tä tte m ehr. D aher w urde Ä gypten zum G eburts­

land zahlreicher, überaus kräftiger u nd langlebiger M ysterien­

schöpfungen, die säm tlich die G rundsätze des freien K ultvereins in den V ordergrund rückten. Ähnlich war es m it dem Bundeswesen in Babylonien-Assyrien u n d in Kleinasien. Ü berall sehen wir, wie die Bünde den durcheinandergew orfenen, ihren überlieferten G öttern u n treu gewordenen Menschen eine geistige H eim at bieten.

Sie sind die S tä tte n eines großen befruchtenden Ausgleichs, die S tätten , wo alle Schranken fallen, alle ererbten Gegensätze sich auflösen un d wo aus den gemeinsam en religiösen U rideen un d

(22)

86 Gedichte Heft 3 U rkulten der verschiedenen Völker u n d Klassen ein B an all­

verbindender u n d allerlösender „W ah rh eiten “ errichtet wird.

D as E rgebnis m einer A usführungen fasse ich in folgenden Sätzen zusam m en: F am ilienkult und freier religiöser Verein, beide u ralt, beide ähnliche R iten u n d M ythen ausbildend, sind die E ltern der M ysterienbünde. Von jenem sta m m t die Geschlossenheit, der patriarchalisch-hierarchische Zug der M ysterienbünde, der bei einigen die Entw ickelung zur K irche begünstigt. Von den Thiasoi sta m m t das M ysterium der geistigen V erbrüderung, der Gedanke der H u m a n itä t un d der W iderstand gegen die zwangsmäßige Bindung der Geister. Die einseitige F ortbildung der G rundsätze des Fam ilienkults führt zur despotischen W eltkirche, die Ü ber­

treibung der G rundsätze des Thiasoa fü h rt zum Sektenwesen und zur geistigen Zersplitterung. Das Heil liegt in der goldenen M itte.

GEDICHTE

Wir bringen hier eine Probe von Dichtungen eines jungen Mannes, der zu schönen Hoffnungen berechtigt, zum Abdruck. Urteile aus dem

Leserkreise wären der Redaktion und dem Verfasser lieb.

Alldeutsche Ballade

Es ist ein Tal so herrlich im weiten deutschen Land, An F riede reich und F rü ch ten , der ganzen W elt bek an n t;

Im N orden stolz die F este des H errn von Treuenstein U nd Reichenfels im Süden m uß dessen B lutsfreund sein.

Die R itte r u n d die F rau en besuchten sich gar viel, U n d ihre beiden K naben verbanden sich im Spiel.

Sie k a n n te n alle Wege auf Berg un d Tal und Feld, Sie jubelten un d to llten in ihrer kleinen W elt.

So ging es viele Ja h re in A rbeit u n d in L u st;

D as Volk w ar seines Glückes im H erzen kaum bew ußt;

Doch jenseits ihrer Berge, d a gab es H aß u nd Neid, Die eines schönen Tages gebaren Leid und Streit.

D rei N achbarn schlossen heimlich zusam m en einen Bund.

D er S tärkste w ar voll B osheit, der T a p fre geisteswund,

D er D ritte , der sie führte, ersann den schwarzen P lan :

M it einem bösen H unde so sprengten sie heran.

(23)

1915

Gedichte

87

Vom Reichenfels der K nabe spielt kindlich ahnungslos

M it seinem kleinen Freunde, war jeder O bhut bloß, D a h e tz t der böse R itte r den B lu th un d auf das Kind, Dem u n ter solchen Zähnen das H erzblut schnell verrinnt.

Als nun der arm e V ater erschreckt vom Mord gehört, D a h a t ihm G ott, der Herre, im Leid noch Freud beschert.

D enn wie er grimme Fehde den falschen Gegnern schwor U nd sah die Zahl der Feinde und seiner K nappen Chor, K am her sein F reund Und B ruder von Treuenstein hinab Mit blanker stolzer W ehre, m it M ann u nd Troß und R app.

Dem Schwergeprüften liefen die T ränen in den B a rt:

„Das nenn’ icli Treue halten nach g u ter deutscher A rt!44

,,Mit Lug un d Trug und Teufel h a t sich der Feind verschwor’n, D rum haben wir die W ahrh eit und G ott zum Schutz erkor’n.

Sind wir u m rin gt von Feinden und klein auch an der Zahl, So müssen wir doch siegen, da Treue unser S ta h l!“

Das Bächlein E in kleines klares W ässerlein F ließt sprudelnd durch den W ald U nd w indet flink sich d u rch ’s Gestein, D aß lustig hell es hallt.

,,Sag m ir, Du liebes Bächelein, W as freust Du Dich denn so ? Ich höre Dich tagaus, tagein U nd seh Dich im m er froh !“

,,Du hörst mich rauschen, nie in R u h ’ Siehst Du die weiße G icht;

D aß ich mich stoße immerzu,

M erkst, Freundchen, D u h a lt n ich t!“

Phantasie

E in B aum stum pf ist seitlang mein Schatz, Zu dem ich täglich gehe;

L r ist mein einsam liebster P latz

Auf sturm um w ehter Höhe.

(24)

88 Kohat Heft 3 Ü ber m ir raschelt das L aub der Bäum e,

U n ter m ir rau sch t und rieselt der Bach, U nd durch meine goldenen Träum e

K lingen vom Dörfchen die Glocken hell nach.

D er M ondschein zaubert m ir das Bild Von einem herzigen K inde,

Bis daß die Sehnsucht sich gestillt Im wohlig wehendem W inde.

Offen u n d frei sind Herz m ir und Seele, Fröhlich es mich zum E rhabenen zieht;

D an kbar rin g t sich aus klingender Kehle Meinem Schöpfer ein kindliches Lied.

GOETHE UND IFFLAND

Von Dr. A d o l p h K o h u t

or einem Ja h rh u n d e rt, am 22. Septem ber 1814, s ta rb zu Berlin einer der g rößten deutschen Schauspieler, B ühnenleiter und D ram endichter, die je gelebt haben, der am 19. April 1759 in H annover geborene A u g u s t W i l h e l m I f f l a n d , dessen Nam e noch je tz t in unserer N atio n alliteratu r und Theatergeschichte m it goldenen L e tte rn verzeichnet ist. Seine V erdienste, die er sich um das deutsche T h eater erw arb, sind unvergänglich. Als d a r­

stellender K ü n stler w ar er der Schöpfer jener bahnbrechenden realistischen Schauspielerschule, die der B ühnenkunst ganz neue Wege zeigte. Gerade in jener Epoche, wo die sogenannte W eim arsche klassische idealisierende Schule auf Stelzen einherging, m ußte seine lediglich der N a tu r und W ahrheit huldigende Sprechweise un d Auffassung Aufsehen erregen und vorbildlich wirken. Seine kunstvolle und bis ins einzelne berechnete C harakterzeichnung w ar bew underungw ürdig. Seine chargierten, hochkom ischen und gem ütvollen Rollen aus dem Kreise des Fam ilien- und bürgerlichen Lebens gefielen ungemein. A ller­

dings w ar er für hochtragische und H eldengestalten schon durch

sein Äußeres weniger befähigt. Doch h a t er z. B. als W ilhelm

Teil und Oktavio Piccolomini hervorragendes geleistet und auch

der strengsten K ritik genügt. P hantastische R ollen zu spielen

(25)

1915 Goethe und Iffland 89 lehnte er stets ab, weil er in denselben dem Realism us keine Rechnung tragen konnte.

L ebhafter und w ärm er noch als die deutsche K ritik b eurteilte ih n als B ühnenkünstler die Stim m e des Auslandes. So sagt z. B. die berühm te F ra u von Stael, die ihn in W eim ar auf der Bühne zu sehen un d zu bew undern Gelegenheit h a tte , in ihrem Buche über D eutschland: „E s ist unmöglich, die O riginalität und die K u n st der C harakterzeichnung weiter zu treiben, wie Iffland es in seinen Rollen verm ag. Ich glaube nicht, daß wir auf dem französischen T h eater jem als ein m annigfaltigeres und überraschenderes T alent als das seinige gesehen haben, der es wagt, die m it vielfachen Mängeln behafteten lächerlichen P ersö n­

lichkeiten m it einem so treffenden A usdruck wiederzugeben.

Es g ib t im französischen Lustspiel feststehende M uster geiziger V äter, liederlicher Söhne, verschm itzter Diener, betrogener V or­

m ünder, aber die Ifflandschen Rollen können, wie er sie auf faßt, in keines dieser M uster, in keinen dieser R ahm en gezwängt werden. M an m uß sie alle bei ihrem N am en nennen, denn es sind Individuen, die sich durchaus von einander unterscheiden, und in denen Iffland zu H ause ist. Seine A rt, die Tragödie zu geben, ist nach m einer Meinung auch von großer W irkung. Die R uhe un d E infachheit in der Rolle des W allenstein z. B. können aus dem G edächtnis n ich t schwinden. D er E indruck, den er hervorbringt, ist stufenweise. M an g lau bt zunächst, daß seine scheinbare K älte niem als ein H erz bewegen könne. Aber im F ortg ang w ächst die Bewegung m it einem reißenden F o rtsc h ritt, und das kleinste W ort ü b t eine große M acht aus, indem in den H a u p tto n des V ortrages eine edle R uhe herrscht, welche jede schöne Schattierung zur G eltung brin g t un d auch die F ärbu ng des C harakters m itten in den Leidenschaften b ew äh rt.“

Wie in der Geschichte des deutschen T heaters, so h a t Iffland sich auch in der dram atischen L ite ratu r einen bleibenden E hrenplatz erworben. E r h a tte sich, wie sein Zeitgenosse A ugust von K otzebue; als B ühnenschriftsteller außerordentlicher B eliebtheit zu erfreuen, doch sta n d er in direktem Gegensatz zu dem ersteren: denn w ährend K otzebue sein zweifellos großes und fruchtbares T alent durch N achlässigkeit, überm äßige A n­

strengung u n d F riv o litä t zu Grunde richtete, begegnen wir bei

Iffland der sorgfältigsten Pflege seiner dram atischen Begabung,

die gerade durch die B edachtsam keit ihres Schaffens sich frei

(26)

90 Kohut Heft 3 erhielt von vielen F ehlern in der Technik, die sich bei seinem Gegenfüßler oft störend vordrängten. Eine durch und durch sittliche N a tu r, pflegte er die gem ütlich-ethische R ichtung und verschm ähte es, die Liederlichkeit des ancien regime, wie sie in den Stücken K otzebues zu Tage tritt, auf heim atlichen Boden zu verpflanzen; vielm ehr verkörperte er die Moral un d Gefühls­

seligkeit des deutschen Bürgers des 18. Jah rh u n d e rts. In seinen R üh rstü cken log er nich t wie K otzebue seine Zuschauer an, auch m achte er sich n ich t über die T ränen, die er erregt h a tte , h interh er lustig, sondern sein eigenes Herz war dabei im Spiel, u nd er schwelgte selbst m it in jener E m pfindsam keit, die ein allgemeines K ennzeichen seines Z eitalters war. Die Sentim en­

ta litä t war im m er von Ifflands Wesen un d D ichten u n zertren n ­ lich, und nicht bloß seine bürgerlichen D ram en, sondern auch seine Lustspiele sind davon beeinflußt. Sonst aber zeichnen sich alle seine W erke durch gründliche B ühnen- und M enschen­

k enntnis aus. Welche Frische und übersprudelnde Lebens­

w ahrheit liegt nicht z. B. in seinem S tück: „Die J ä g e r“ ! Dieser W arberger und seine F rau sind Prachtexem plare aus dem deutschen Fam ilienleben des 18. Jah rh u n d e rts. D er A m tm ann Zeck k an n als echter T ypus der B ürokratie jener Zeit gelten.

D er Gerichtsschreiber B a rth und Jä g er M athes neben den B auern und B äuerinnen bilden in der W irtshausszene ein un ü b er­

trefflich gezeichnetes ländliches Tableau. D as gefallsüchtige Cordelchen neben dem N aturb ursch en A nton und die zwischen beiden stehende, freie und gebildete Friederike wirken so k ontrastierend, daß wir über das Gelingen aller dieser S ituations­

und Charakterzeichnungen lebhafte Freude em pfinden müssen.

E r v erstan d es, für die B ühnenkünstler sogenannte „B om ben­

rollen“ zu schreiben. D aher stan d en denn auch seine zahlreichen Schau- u n d Lustspiele, die ihre Siegeslaufbahn d urch alle B ühnen d er W elt a n tra te n , Ja h rz e h n te hindurch ständig auf dem Spielplan. A ußer den g en annten „ J ä g e rn “ sind noch besonders hervorzuheben: „V erbrechen aus E h rsu ch t“ , „Die H agestolzen“ ,

„D ienstpflicht“ , „Die A dv o katen“ , „D er H e rb stta g “ , „Die M ündel“ , „Elise von V alberg“ , „Die A ussteuer“ , „Die Reise nach der S ta d t“ u. a. m.

Wie als Schauspieler und B ühnendichter so ra g t A ugust W ilhelm Iffland auch in seiner E igenschaft als T h eaterdirekto r hervor.

Von 1796 bis zu seinem Tode h a t er teils als Leiter des B er­

Cytaty

Powiązane dokumenty

würde begegneten sich die Lehre Christi, wie sie uns in seinen Worten erhalten ist, mit der griechischen Weisheit sokratisch- platonischer Abstammung, und da

Daß Sie, liebe Herderin, wieder einmal Ihre Stimme haben hören lassen, ist mir gewiß sehr angenehm gewesen und das Andenken von dem lieben Manne, für welches ich

wissenschaften: Die heilige Schrift ist unfehlbar, nicht aber ihre Ausleger. Die Bibel ist kein Lehrbuch für Naturwissenschaften, und über Dinge, die m it dem

Wollen Sie einige der beliebten Vergnügen in China lrann^n lernen? Man mietet auf einen Tag einen Kiosk am Ufer eines Wassers in angenehmer Lage su em

B.s Hauptthese läßt sich am einfachsten vielleicht so formulieren, daß nach ihm der Mensch sich nur dann bis zu Ende selbstbehaupten und die Quelle und das Ziel seines Schaffens

Die Darlegungen gehen zurück auf vier Vorträge, die der Amsterdamer Geograph und Soziologe als Gast der Berliner Universität im Januar 1924 gehalten hat. Leider war eine

W ie der erfahrene Biologe an den Knochenresten, die in einer älteren Erdschicht gefunden werden, die Tiergattung und selbst die Tierart erkennt, deren

Es ist ferner von Interesse, daß Hesenthaler und Boyneburg des Cartesius Urteil (wohl das nach unserer Sammlung letztere [Nr. 3], das erstere war ja nie gedruckt)