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Das Löwenbanner : des finnischen Volkes Aufstieg zur Freiheit

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Academic year: 2022

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Das L ö we n b a n n e r

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1m/ ^

J O H A N N E S Ö H Q U I S T

DAS

L Ö W E N B A N N E R

D e s f i n n i s c h e n V o l k e s A u f s t i e g z u r F r e i h e i t

4

1 9 4 2

V O L K U N D R E I C H V E R L A G P R A G A M S T E R D A M B E R L I N W I E N

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Hi e wdotvcmciß do doim

«

« 411138

Biblioteka Główna

UNIWERSYTETU GDAŃSKIEGO

1 0 0 5 5 8 9 5 .9 *

2. Auflage

A lle Rechte, insbesondere das des Nachdrucks und der Übersetzung der Texte, B ilder und Karten, Vorbehalten. Copyright 1942 by V o lk und Reich Verlag G. m. b. H., Prag.

Einband: Dora Ecke-Nadge. Druck: A . Haase, Prag I, Annahof.

1100558259

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I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Einleitung ...

Recht und G e s e t z ...

Sturmzeichen ...

Das „Februarm anifest” ...

Der passive W id e rs ta n d ...

W ehrstreik ...

D ikta tu r ...

Der aktive W id e r s t a n d ...

M a tti R e in ik k a ...

Revolution in R u ß la n d ...

Der N a tio n a ls t r e ik ...

Traum und W ir k lic h k e it...

Die Despotie der R e ic h s d u m a ...

Kampfstimmung der J u g e n d ...

Die 27er J ä g e r...

Aus Wochen werden J a h re ...

A n die F r o n t ...

Autonomie oder S e lb s tä n d ig k e it...

Sozialdemokratie und Soldatenräte . . . Die Rote G a r d e ...

Deutschland w ill h e lfe n ...

Svinhufvud gre ift e i n ...

Russische Matrosen verlangen nach Svinhufvud Die Lunte am P u lv e r f a ß ...

Vorbereitungen zum K a m p f ... . . Deutschland schickt W a f f e n ...

Das Regiment der R o t e n ...

7 8 10 12 17 21 23 27 29 35 36 43 45 50 54

5S 60 62 65 67 70 72 75 77 79 81 83

5

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Bolschewistischer T e r r o r ... 87

W iderstand gegen den A u f r u h r ... 89

Die geheime „G rube” ... 92

Die Jagd auf S v in h u fv u d ... 95

Svinhufvud in B e r lin ... 98

N o rdfin nla nd w ird b e fr e it... 101

Die Deutschen ko m m e n ... jq.} Der F r e ih e its k r ie g ... ¡07

Der Friede w ird g e sich ert... H 4 B lick in die Z u k u n ft... H g B ild te il: B ild e r aus dem finnischen F re ih e its k a m p f... 117

Anhang: Einiges Wissenswerte über F in n la n d ... ¡25

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E i n l e i t u n g

D reim al hat das finnische V o lk in diesem Jahrhundert zu einem tödlichen Kam pf um sein Dasein antreten müssen. U n d jedesmal w ar der Bolschewismus der Feind, der es vernichten w ollte : das erste M a l, im W in te r 1918, freilich getarnt von der sozialdemokratischen Partei Finnlands, die durch eine unterirdische A g ita tio n der Bolschewisten v e rg ifte t und v e rfü h rt worden war, gegen ih r eigenes Lan d a u f­

zustehen.

D er Kam pf, den das V o lk Finnlands gegen diesen tückischen O berfall hat führen müssen, w ird in diesem Buch geschildert. Den Sieg, den es errang, verdankt es der H ilfe , die Deutschland ihm brachte, das selber gegen eine W e lt von Feinden im Kampfe stand. Es verdankt den Sieg aber auch noch einem anderen Umstande: der Tatsache, daß es bereits jahrhundertelang in blutigen Käm pfen gegen den russischen E rbfeind in seinem Freiheitsw illen gestärkt, in seinem zähen Durchhalten gehärtet und in seiner K am pffähigkeit gestählt worden war. Diese kriegerischen Tugenden fanden eine Stiitje in der politischen Erziehung, die dem V o lk einen unbeugsamen Sinn fü r Recht und Gerechtigkeit eingeim pft hatte. Diese vaterländische Gesinnung und Gesegestreue versuchte schon die zaristische Regierung zu zertrümmern.

D er erste Freiheitskam pf des finnischen Volkes ist deshalb anfangs ausschließlich oder jedenfalls vorwiegend ein friedlicher K a m p f: ein Verfassungskampf , ein Rechts­

kam pf. D ie Rechtsfragen spielen in ihm nicht n ur im allgemein menschlichen sondern auch itn streng juristischen Sinn eine hervorragende, ja grundlegende Rolle. Diese Fragen sind in einer umfassenden S pezialliteratur eingehend erörtert und von wissenschaftlichen A u to ritä te n in gründlicher Weise beleuchtet worden. A u f ein soldies juristisdies Eingehen verzichtet dieses Buch. V on den beiden Hauptspielern in diesem Dram a, dem finnischen V o lk und seinem russischen Widersacher, soll der legiere n ur soweit zu W o rte kommen, als es notw endig ist, um den K o n flik t und die W irkungen, die er beim Angegriffenen auslöste, zu verstehen. W arum F in n ­ land um seine Freiheit und U nabhängigkeit kämpfte, was die einzelnen K a m pf­

handlungen und Katastrophen hervorrief, das zu erklären bedarf es nicht vieler W orte. W i e es geschah, das ist das menschlich Entscheidende, und das ist außer­

halb Finnlands in seinen Einzelheiten, in seinen seelischen und geistigen Voraus-

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Setzungen und in seinem organisch zusammenhängenden dramatischen V e rla u f nur wenig bekannt. Dieses lebendege Geschehen, H andeln und Leiden, Suchen und Ringen, Erm atten und Siegen, soll Gegenstand der nachfolgenden D arstellung sein.

Keine Zeile, kein W o rt ist h ie r erfunden und erdichtet. Es ist nicht Geschichte irn Sinne eines protokollarisch genauen Berichts sondern im Sinne des Nacherlebens der Augenblicke, die des Lebens w ert waren. D er Freiheitskam pf Finnlands ist ein D iam a, vom finnischen V o lk selbst gedichtet, eine T a t von solchem Reichtum des Erlebens, solcher Steigerung im A ufbau und solcher Schönheit der Lösung, daß keines Dichters Phantasie sie vollendeter nachzuschaffen vermöchte. Es w irk t und ergreift allein aus eigener K ra ft und H errlichkeit. So mag auch das „Löw enbanner“ , das Symbol dieses Kampfes um Freiheit und Leben, das mehrmals in entscheidenden und erhebenden Augenblicken sich über der. Dächern der finnischen Hauptstadt entfalten durfte, dieser Darstellung ihren H a u p ttite l leihen.

R e c h t u n d G e s e t z

Das finnische V o lk hat seine Freiheit und U nabhängigkeit lebten Endes unter schweren O pfern durch den blutigen K rieg von 1918 errungen. A ber nicht diesem K rieg a llein verdankt es seine staatliche Selbständigkeit. D er Freiheitskrieg w ar n u r eine le^te und sieghafte Äußerung des Volkswillens, der sich nie m it dieser elementaren und entsdieidenden G ewalt hätte durchsetzen können, wenn er nicht durch eine lange nationale und politische Schulung und durch eine zwei Jahrzehnte lange ununter­

brochene Kette von Kämpfen, in denen Sieg und Niederlage abwechselten, gestählt worden und zu der Zielbew ußtheit gereift wäre, die ihm die große einigende K ra ft des Sieges verlieh.

Die politische Schulung verdankte das finnische V o lk der Tatsache, daß es während seiner siebenhundertjährigen Vereinigung m it dem schwedischen Reich gelernt hatte, die A u to ritä t und die Macht von Recht und Gesetz als die sicherste G rundlage des Staates zu betrachten. U nd der nationale Gedanke erwachte im finnischen Volke vor etwa hundert Jahren dank der Entdeckung der gewaltigen finnisdien Volksrunen, denen ih r Entdecker Elias Lön nrot den Namen „K a le w a la “ gab und durch die in schwedischer Sprache erscheinenden Dichtungen Johan L ud w ig Runebergs, vo r allem seine Balladensammiung „D ie Erzählungen des Fähnrichs

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StaaJ“ . D er Staatsmann Johan V ilh e lm Snellman gab diesem N ationalbew ußt­

sein eine wissenschaftliche Grundlage, indem er der studierenden Jugend die Idee Hegels von der N otw endigkeit der organischen Verbindung von Staat und V olks­

tum einprägle.

Diese nationalpolitische Erziehung hatte zur Folge, daß im Bewußtsein des Volkes der B e g riff „Geseg“ eine W ürde und eine W eihe erhielt, die es hoch über die Vergänglichkeit und Veränderlichkeit der Sagungen des A llta g s erhoben. Das Geseg widerstand selbst der G ewalt des Herrsdiers, n ur m it Zustim m ung des ganzen Volkes konnte es aufgehoben, verändert oder auch n ur einer Deutung unterworfen vzerden. U nd in noch unnahbarerer Höhe thronte das .„G rundgeseg“ , das die verfassungsmäßigen Grundgerechtsame und Freiheiten des Staatsbürgers umschloß und umschirmte.

Die T ra d itio n , auf der diese K ra ft beruhte, wurde nicht bloß von den juristischen Kathedern verkündet und nicht n ur von der Beamtenschaft aufrecht­

erhalten, deren Stärke in dem auf unverrückbarer Überzeugung ruhenden P flic h t­

bewußtsein und der fast bis zur Starrheit unbeugsamen Treue zum Geseg lag, sie ging von M und zu M und, von Fam ilie zu Fam ilie, und die alten Richterregeln des Landgeseges von 1442 prangten nicht bloß zum Schmuck als E inleitung zu dem Gesegkodex von 1734, sie lebten fo rt als Spruchweistum im Herzen des Volkes. Es w ar mehr als bloßes Rechtsgefühl, es w ar ein Rechtswissen, aber ein Wissen nicht von Paragraphen sondern von Grundsägen und R ichtlinien, die um so tie fer und fester wurzelten, als sie aus den sittlichen Quellen des Volkstums ihre Lebenskraft saugten. Jedermann — G elehrter wie Beamter, H andw erker und Kaufmann, A rb e ite r und Bauer — wußte, daß das Geseg a llein Richtschnur fü r ihn wie fü r den Herrscher war, wußte, ohne sich um Einzelheiten zu kümmern, um das W esent­

liche seines Inhaltes. D arum w ar das V o lk , wenn an das Geseg gerührt wurde, keine stumpfe und träge Masse sondern ein lebendiges Meer, das der W in d der Ereignisse schnell in stürmisches Brausen brachte. U n d w e il es wußte, daß der Talism an, den es im Geseg beschlossen besaß, n ur k ra ft des Rechtes bestand und des unangreifbaren Panzers der Macht ermangelte, w ar es auf der H u t, und es bedurfte, wenn Feinde drohten, keiner allzu lauten Rufe der Wächter, es zu wecken.

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S t u r m z e i c h e n

Acht Jahrzehnte lang während des neunzehnten Jahrhunderts, nachdem F inn- land 1809 m it Rußland vereinigt worden war, brauchten diese Weckrufe nicht zu ertönen. Bis 1853 w ar Ruhe, man kennte sagen Schlaf, die erste Bürgerpflicht in F innland. D ann kam m it der W iedererneuerung des verfassungsmäßigen, politischen Lebens ein wunderbares Erwachen, und einige Jahrzehnte lang durfte das V o lk im vollen Tageslicht politischer M ündigkeit selbst H and anlegen an den Bau des Staats­

körpers und Gemeinwesens, am eigenen wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung Das Verbundensein m it dem mächtigen Zarenreich v e rlo r den Charakter des Unzuverlässigen und Abschreckenden. Das Russentum w ar und blieb troędem eine fremde und unbegreifliche W e lt. Finnisch w ar die Sprache der überwiegenden M ehrzahl, Schwedisch die eines wesentlichen Bruchteils des Volkes; Russisch sprach und verstand kaum einer.

N u r der Person Alexanders II., des Wiedererweckers des konstitutionellen Lebens, zollte man Sympathie. E r ist der einzige Fürst, dem das finnische V o lk ein Denkmal errichtet hat.

Vorboten eines nahenden Sturmes traten aber schon bald nach dem tragischen Tode Alexanders I I . (1. M ärz 1881) auf.

D ie Partei der Slawophilen verkündete die Lehre von der Allm acht des recht­

gläubigen Zaren und des Slawentums. Fremdstämmige und Andersgläubige inn er­

halb der Grenzen des heiligen russischen Reiches sollten zum alleinseligmachenden H im m el des Russentums bekehrt, nötigenfalls gezwungen werden.

Alexander I I I . , orthodox und Russe, schwor auf die Lehre der Meister. A ber seine eigensinnige Rechtschaffenheit w ar der jesuitischen W ahllosigkeit ihrer P o litik n;chi zugänglich. E r vergaß nicht, daß er die Verfassung Finnlands durch seine U nterschrift beschworen hatte. Das tat auch sein Nachfolger N ik o la i I I. (1894).

A ber dessen willensschwacher Charakter h ie lt dem Ansturm der Panslawisten nickt stand. Schon wenige Jahre nach seiner Thronbesteigung w ar er von seiner autokratischen Hetrschergewalt so überzeugt, daß er amtliche finnische Urkunden, die von der Autonom ie Finnlands sprachen, am Rande m it Fragezeichen versah und die Grundgeseęe Finnlands als veraltet bezeichnete.

Die hierüber verbreiteten Gerüchte und die finnlandfeindliche Stimmungsmache in der russischen Presse w irk te n in Finnland wie Alarm signale. A n den W ankel-

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m ut des Zaren w ollte man freilich noch nicht glauben. D er russischen Pressehege dagegen begegnete man m it bitterem Staunen und Verachtung.

D ie Spannung wuchs, als ein russischer General B obrikow von dem nichts Gutes verlautete, zum Generalgouverneur Finnlands ernannt wurde. In helle A u f­

regung aber geriet das V o lk, als ein kaiserliches Reskript bedrohliche Verände­

rungen im finnischen Wehrpflichtgeseg ankündigte. Seit 1878 besaß Finnland näm­

lich seine eigene nationale W ehrpflicht. Sie sollte ausschließlich der Verteidigung Finnlands dienen. Das kleine, acht Scharfschügenbataillone und ein Dragoner­

regiment zählende finnische Heer d urfte nicht außerhalb Finnlands gebracht w er­

den. Angehören durften ihm nur finnische Staatsangehörige. Die Kosten des Heeres trug der finnische Staat allein.

Diese nationale W ehrmacht w ollte das Reskript zertrümmern. Die finnische wehrpflichtige Jugend sollte dem Vaterlande entrissen, der Verbindung m it ihren Volksgenossen beraubt, als russische U ntertanen der russischen W illk ü r unterw orfen werden — in einem fremden Heer, in dem das Peitschen noch eine allgemein übliche Strafform war.

D a s „ F e b r u a r m a n i f e s t “

E in solches Geseg konnte in Finnland n ur m it G ewalt eingeführt werden.

Darüber w ar man sich in den Petersburger Kanzleien im klaren. So scharf w ollte man aber nicht Vorgehen. M an w ollte den Schein des Rechts wahren, solange es m ög lid i war. D er Ausweg, den man h ie rfü r wählte, führte zu einer dramatischen Entwicklung, deren allgemeine politische W irk u n g man aber nicht vorausgesehen hatte.

A m 15. Februar 1899 brachte General B obrikow aus Petersburg ein M anifest des Kaisers m it, das einen ganz neuen B e g riff in die Gesetzgebung Finnlands ein­

führte, den B e g riff „allgem eine Reichsinteressen“ . Jede Frage, hieß es, die a ll­

gemeine Reichsinteressen berührte, sollte von finnischen Behörden n ur begutachtet, aber in Petersburg entschieden werden.

W ann eine Frage ein allgemeines Reichsinteresse berührte, das zu entscheiden behielt sich der Kaiser persönlich vor. D er Kaiser — das bedeutete: seine nächsten, der Autonom ie Finnlands feindlich gesinnten Ratgeber. Was diese als allgemeine

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Reichsinteressen berührende Fragen betrachteten, bewies zum Beispiel der F all, daß sie eine V erordnung über das Austreiben von Viehherden auf die W eiden zu solchen Fragen rechneten. Im übrigen w ar das Februarmanifest natürlich gegen das nationale Ile e r Finnlands gerichtet. Daß diese F rage' allgemeine Reichs­

interessen berührte, w ar ja nicht schwer zu beweisen.

M an b e g riff in Finnland sofort, daß h ie rm it ein gefährlicher Sturmbock geschaffen worden war, der die Autonom ie des Landes zerschlagen sollte. U n d man gab sich darüber keiner Täuschung hin, daß der übliche W eg über Regie­

rungskanzleien und Landtagsbeschlüsse, wo in dieser N o t allein noch Rettung zu erwarten war, nicht zum Ziele führen konnte. Eigentümlicherweise glaubte nämlich das V olk noch immer an den guten W ille n des Zaren. W enn man nur ihn selbst erreichen könnte über alle Behörden und Schranken hinweg! A ber wie?

Die Ratlosigkeit des ersten Schreckens w ar schon am folgenden Tag über­

wunden. M it erstaunlicher E in ig ke it faßte man in einer Massenversammlung den Entschluß, einen seit alters im skandinavischen N orden vertrauten W eg zu gehen, wenn N ot am M ann war. Das V o lk selbst sollte wie einst „zum König gehen“ , um sich von ihm Recht und Schutj gegen die W illk ü r und den Eigennu$ seiner Vögte zu erbitten.

Jeder schreibkundige und mündige Finne sollte eine Schrift m it seinem Namen unterzeichnen, und fünfhundert M änner, einer aus jeder Gemeinde des Landes, sollten sie dem Kaiser überreichen, ln dieser Schrift w ollte das V o lk dem Kaiser sagen, daß er schmählich hintergangen sei und daß, wenn er n ur der aufrichtigen und ehrlichen Stimme des treuen finnischen Volkes Gehör schenken w ollte, die Nebel der Mißverständnisse sich auflösen würden vor der leuchtenden Sonne der Liebe und des Vertrauens zwischen Herrscher und V olk.

D er Plan w ar aus dem reinen Idealismus eines von den Z w eife ln der Z iv ili­

sation noch unberührten N aturvolkes geboren. E r w ar aber auch sonst abenteuer­

lich genug. Es w ar Hochwinter, das ganze Land tie f verschneit, und es lag G efahr im Verzüge. D ie ganze A rb e it mußte binnen zwei Wochen durchgeführt sein. V o r allem d urften die Spione des Generalgouverneurs nichts von dem Unternehmen erfahren. A ber je§t, wo das Dasein des Volkes auf dem Spiel stand, d urfte man nicht vor Hindernissen zurücksckrecken.

U n d w ah rh a ftig — in der vorgeschriebenen Z e it w ar das schwierige W e rk vollbracht: 524 931 M änner und Frauen, fast ein V ie rte l der Gesamtbevölkerung,

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hatten die Adresse unterzeichnet. Selbst des Schreibens U nkundige hatten es sich nicht nehmen lassen, noch die legte Nacht einem mehrstündigen U nterrich t zu opfern, um ihren Namen in lesbaren Schriftzügen unter die kostbare U rkunde Segen zu können. Zahlreich waren die weltverlorenen Einödhöfe, w ohin kein Bote gesandt werden konnte. A ber das Gerücht flo g auf W indesflügeln auch zu ihnen, und sie wußten sich o ft auf eigene H an d zu helfen. D er nördlichste O rt, den Boten erreichen konnten, w ar das K irchd orf Rovaniemi am Polarkreis. F ür den noch höheren N orden glaubte man nicht mehr genügend Z e it zu haben. Die Rovaniem i- bewohner hielten es jedoch fü r unrecht, ihre nächsten Nachbarn in K ittilä — 150 K ilom eter w eiter nördlich — von der Adresse auszuschließen. Ihren besten Sxi- läu fe r sandten sie aus, der die weglosen 150 K ilom eter in unglaublich kurzer Z eit zurücklegte und aus den m eilenweit verstreuten H öfen die Leute zusammen­

trommelte. D er T e x t der Adresse w ar den K ittilä le u fe n nicht bekannt. Sie selten also ein Schreiben auf, sie hätten von dem Plan gehört, eine Volksadresse an den Kaiser zu senden, und w ollte n m it dabei sein. Jeder der Anwesenden Unterzeich­

nete dieses Schriftstück. Ihren angesehensten M ann w ählten sie zu ihrem Send­

boten, der sich unverzüglich die Skier anschnallte und am festgesetzten Tage, gleich­

zeitig m it allen übrigen Delegierten, in H e lsinki eintraf.

In einem entlegenen Einödhof in den nordöstlichen W ä ld e rn hatte der H o f­

bauer zu fä llig durch einen Knecht, der am Sonntag in der Kirche gewesen, von der Adresse erfahren. D o rth in zu eilen w ar zu spät; daß man ihn nicht mehr auf­

suchen würde, wußte er. E r h a lf sich selber. A u f einem halben Bogen gelben Konzeptpapier — offenbar dem einzigen und letzten Blättchen Papier im Hause — kritzelte er eine B itte an den Kaiser, den verhängnisvollen Schritt zurückzunehmen, den er getan, um Finnlands Verfassung aufzuheben. E r unterschrieb den Zettel und nach ihm sämtliche M itg lie d e r seiner F am ilie und das Hausgesinde. Ähnliche Beispiele könnte man in Mengen anführen.

A m 15. M ärz waren die in den Gemeinden gewählten fünfhundert Männer pünktlich in der Hauptstadt erschienen und umstanden das Denkmal Alexanders II., wo sich eine Menge von 40 000 Menschen drängte. In der ernsten und weihevollen Stimmung erbrauste das L uth erlied „ E in ’ feste Burg ist unser G o tt“ tausend­

stim m ig über den winterlichen Plag, und kaum w ar es verstummt, als kräftige Stimmen die Nationalhym ne ertönen ließen.

A ls die Deputation sich zur F ahrt nach Petersburg rüstete, harrte ihrer am Bahnhof eine dichte Menschenmenge, die, je näher die Stunde der Abreise heran-

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rückte, immer schweigsamer und feierlicher wurde. D er legte Augenblick w ar da.

Lautlose S tille herrschte, und als der lange Zug sich langsam in Bewegung segte und ins D unkel hinausglitt, entblößten sich alle Häupter.

U nd B obrikow und seine Gendarmen und Spione? W ußten sie nichts von diesem gewaltigen vaterländischen Unternehmen? Nein. So undurchdringlich w ar die M auer der Solidarität, die das V o lk umschloß, daß kein Laut über sie an fremde Ohren gedrungen war. Mindestens eine M illio n Menschen in Finnland wußten von dem Adressenunternehmen; in der H auptstadt w ar es Zehntausenden bekannt, daß die große D eputation seit ein paar Tagen dort versammelt war, und mehrere Tausende wußten genau auf die M inute, wann der Extrazug nach Petersburg abgehen sollte. A ber erst eine Stunde nach Abgang desselben erfu hr der Generalgouverneur, daß sidi eine Deputation auf dem Wege nach der Reichs­

hauptstadt befand.

Das genügte, um den fünfhundert M ann die V e rw irk lid iu n g ihres Planes zu vereiteln. Freilich erfu hr der Kaiser davon, w e il die D eputation den M in is te r­

staatssekretär fü r F innland bewogen hatte, beim Kaiser eine Audienz zu beantrag gen. A b er die Botschaft des Zaren, die ih r darauf zuteil wurde, w ar deutlich und kurz: er könne die fünfhundert M änner „n a tü rlic h “ nicht empfangen, ließ er ihnen sagen, doch „zürne er ihnen nicht“ . Sie sollten in Frieden nach Hause fahren und ihre „B itts c h rift“ auf dem vorgeschriebenen amtlichen Wege einreichen.

D ie sechzehn dicken Lederbände m it der halben M illio n Unterschriften ruhen heute im finnischen Staatsarchiv.

Ganz ohne W irk u n g sollte aber dieser friedliche Versuch des finnischen Volkes, sidi Recht zu verschaffen, nicht bleiben. E r lenkte Europas Aufm erksam keit auf das ferne Lan d un Norden. E r öffnete den führenden Geistern im Kulturleben der europäischen V ö lke r die Augen darüber, daß im Schoße jenes kleinen Volkes von weniger als drei M illio n e n Menschen ein K a m pf ums Redit entbrannt war, dem sie nicht gleichgültig und stillschweigend zuschauen durften. W aren sie nicht m ora­

lisch verpflichtet, wenigstens die Machthaber in Rußland wissen zu lassen, daß ih r Vorgehen gegen F innland von maßgebenden Persönlichkeiten der geistigen W e lt in Europa nicht g e b illig t wurde?

D ie Massenadresse der Finnen hatte trog ih re r E rfolglosigkeit die Richtung gewiesen, in der vielleicht wenigstens das Weltgewissen sich öffentlich Gehör ver­

schaffen konnte. D er Entschluß, durch eine Adresse sich auch ihrerseits an den

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Zaren zu wenden, w ar von einer Reihe ideal denkender Gelehrten und Künstler bald gefaßt und durchgeführt. M ehr als tausend in der ganzen gebildeten W e lt bekannte V ertreter der Wissenschaft, L ite ra tu r, Kunst und P o litik hatten die Adresse unterzeichnet, die in zw ölf verschiedenen Sprachen verfaßt war. Eine Deputation von acht M ännern übernahm es, sie dem Zaren zu überreichen.

Das Unternehmen versegte die russischen M inisterien in eine peinliche V e r­

w irrung. Die D eputation wurde von einem M inisterium ins andere verwiesen, aber jedes erklärte sich als nicht zuständig in einer so heiklen Angelegenheit. Endlich, nach endlosem H in - und H erfahren, gab der Innenm inister der Deputation m it bedauerndem Achselzucken die verlegene M itte ilu n g , der Z a r könne die Audienz leider nicht bew illigen.

ln Finnland w ar man natürlich über diese schimpfliche Behandlung der her­

vorragenden Ausländer empört. A ber die Ungnade des Zaren wog nicht schwer angesichts der Anerkennung, die Europa dem finnischen Volke gezollt hatte. Die Deputierten wurden bei ih re r Rückreise durch Finnland vo lle r Dankbarkeit und Begeisterung gefeiert, und als sie sich in der hellen Juninacht in T u rku einsrhifften, jauchzte ihnen eine unübersehbare Menge zu, und dem D am pfer folgten w eit in die Schären und ins Meer hinaus eine Unzahl von kleinen Fahrzeugen, v o ll von M ännern und Frauen, die m it Gesang und Tücherschwenken von den fremden

Freunden Abschied nahmen.

Inzwischen hatte aber außer dem Senat auch der finnische Landtag zum Februarmanifest und der russischen W ehrpflichtvorlage Stellung genommen. E r erklärte sich bereit, der Forderung erhöhter m ilitärischer Lasten entgegenzukommen, und bew illigte unter anderem eine Verdoppelung der Friedensstärke des finnischen Heeres. Zugleich aber beleuchtete er in einem erschöpfenden Antwortschreiben die ganze W ehrpflichtfrage vom rechtlichen, vom n ational-kulturellen und vom m ili­

tärischen Standpunkt. E r wies nach, daß die russische Vorlage nicht nur einen V er­

fassungsbruch bedeute sondern auch auf Denationalisierung des finnischen Volkes gerichtet sei. Infolgedessen, erklärte er, k ö n n e d a s M a n i f e s t i n F i n n ­ l a n d n i c h t d i e K r a f t e i n e s G e s e t z e s e r h a l t e n .

D am it hatte der Landtag das V o lk und die gesamte Beamtenschaft der V e r­

pflichtung entbunden, ja ihnen sogar verboten, dem M anifest als einer geseg- w idrigen Verordnung Folge zu leisten.

Diese Entwicklung hatte eine ungeheure, ja entscheidende Bedeutung fü r den Kam pf gegen die russischen A n g riffe . Der passive W iderstand, der nun einsegte,

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wurde durch diese E rklärung der Volksvertretung legalisiert. Kein Finne durfte sich nun, ohne sich einer Gesetzesübertretung schuldig zu machen oder einer a ll­

gemeinen Verfem ung auszusetzen, diesem passiven W iderstand entziehen.

D e r p a s s i v e W i d e r s t a n d

A u f eine so imposante E in ig ke it des finnischen Volkes w ar die russische Büro­

kratie nicht gefaßt gewesen. U nd die auffallende Form, in der es den Kam pf vor den Augen ganz Europas eröffnete, w ar eine höchst peinliche Angelegenheit. Man beschloß deshalb in Petersburg, die T a k tik zu ändern. Die W ehrpflichtvorlage wurde zunächst in die verschwiegenen Bezirke von Kommissionen verwiesen, und Bobrikow erhielt die Weisung, erst den Boden fü r ein erfolgreiches W ie de ra u ftre ­ ten der M ilitä rfra g e vorzubereiten. E r begann dam it, daß er die Presse einer strengen Zensur unterw arf. Andererseits benu^te er jede Gelegenheit, um in mög­

lichst a u ffä llig e r Weise vernehmen zu lassen, daß man russischerseits nichts Böses gegen das ihm selber so warm am Herzen liegende finnische V o lk im Schilde führe, daß die Maßnahmen des Zaren n ur V e rnu nft und Gerechtigkeit im Auge hätten und daß finnisdierseits Entgegenkommen und Nachgiebigkeit der einzige W eg seien, um das V o lk vor U nh eil zu bewahren, w eil der Herrscher sich andernfalls gezwungen sehen würde, Finnland gegenüber ganz andere Saiten aufzuziehen. Noch gefährlicher erschien ein drittes M itte l, zu dem er g riff, um durch demagogische Propaganda die selbstsüchtigen Instinkte des niederen Volkes gegen die ein­

heimischen Behörden aufzustacheln: er ließ ganze Scharen von russischen Hausierern das Land durchziehen und die M ä r verbreiten, daß die russische Regierung vor allem das Los der Arm en in Finnland im Auge habe, die bisher von der besäen­

den Klasse ausgesogen und unterdrückt worden seien, und daß jeder Besitzlose, der sich den russischen Gesetzen unterwürfe, bei der von der russischen Regierung geplanten allgemeinen Verteilung von G rund und Boden m it eigenem Acker und H o f versorgt werden sollte. Entschlossene Maßnahmen der finnischen Behörden wie der Bevölkerung selbst säuberten das Land bald von dieser gefährlichen Lügen­

propaganda, denn der Hausierhandel w ar in Finnland durch Gesetz verboten. Aus Rußland ergoß sich eine F lu t von verleumderischen A rtik e ln und Schriften über das finnische V o lk, die die Finnen des politischen Betrugs und der Fälschung bezich-

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tigten und nicht einmal vo r denjenigen russischen Zaren h alt machten, die der beschworenen finnischen Verfassung gegenüber eine loyale H altu ng beobachtet hatten. Es galt also zu untersuchen, zu beweisen und zu widerlegen. Aus dieser N otw endigkeit erwuchs eine ungeheuer umfangreiche L ite ra tu r v o lle r objektiver sachlicher Darlegungen und wissenschaftlicher G ründlichkeit, der die Zensur nichts anhaben konnte.

M it unzähligen Schwierigkeiten hatte aber die periodische, vo r allem die Tagespresse zu kämpfen. Es mußte also ein M itte l gefunden werden, das die ßehandlung der brennenden politischen Fragen dem Z u g riff der Zensur entzog.

M an schuf eine „unterirdische“ Presse, die in Stockholm gedruckt und auch auf abenteuerlichen Wegen nach Finnland eingeführt wurde. Das geschah meist m it Segeljachten, von M ännern geführt, die sich in dem finnischen Schärenlabyrinth wie im eigenen Hause auskannten.

Freilich mußten sie immer w ieder neue Listen ersinnen, andere unbefahrene Wege finden und meist D unkelheit, Nebel und Sturm benutjen, um von den Z o ll- und Gendarmeriedampfern, die scharf h in te r ihnen her waren, nicht geiaßt zu werden. Im m er wieder mußten neue Landungsplätje und verborgene Orte a u f­

gesucht werden, von wo aus dann m it H ilfe fre iw illig e r M ita rb e ite r die Versendung der nach Tausenden zählenden Num m ern erfolgen konnte. U n d das M erkw ürdige war, das fü n f Jahre lang — bis November 1905, wo der Schmuggel gegenstandslos wur(i e _ nicht n ur die in Stockholm gedruckten periodischen Zeitschriften sondern auch ungeheure Massen von zensurwidrigen Büchern und anderem Propaganda­

m aterial — o ft H underte von Zentnern — m it fast verblüffender Regelmäßigkeit ins Land eingeführt wurden, ohne ein einziges M a l V erfolgern in die Hände

zu fallen. _

A m schwierigsten waren die W interm onate, wo die Eisverhältnisse Fahrten m it dei Segeljacht unmöglich machten. Dann mußten die sonderbarsten Auswege erdacht werden, um die L ite ra tu r in getarnter Gestalt ins Land zu schaffen. Sie wurde in Blumenkörben und Obstfässern verborgen, in Baumkuchen hineingebacken, einm al eine Sendung von mehreren tausend Bänden in eine geschidct ausgehöhlte Bretterladung verstaut. Meistens mußten jedoch im W in te r die eigens h ie rfü i erbauten K o ffe r von Touristen herhalten, die zu diesem Zweck zwischen Stockholm und Finnland Reisen unternahmen und unter denen sich besonders junge Damen durch ihre furchtlose Unbeküm m ertheit hervortaten. Diese „Schmuggler“ e rfü llten eine bedeutungsvolle vaterländische Aufgabe, ohne die ein großer T e il der Bevöl­

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kerung nicht nur über die wichtigsten Ereignisse im eigenen Lande in Unkenntnis geblieben sondern auch einer stumpfen M utlosigkeit anheimgefallen wäre.

Diese Form des politischen Kampfes w ar jedoch zunächst eine Ausnahme­

erscheinung und beschränkte sich ausschließlich auf die E in fu h r verbotener L iteratu r.

Grundsätzlich trug der W iderstand gegen die U nterdrückungspolitik anfangs einen anderen Charakter: er h ie lt das Recht als Schild den russischen A n g riffe n entgegen.

In erster L in ie w ar dies die Aufgabe der Regierung und der Volksvertretung F in n ­ lands. In welcher Weise der Senat dieser V erpflichtung nachkam, w ird die nach­

folgende D arstellung lehren. Vom Rechtsstandpunkt g litt er, nachdem die ersten verfassungstreuen M itg lie d e r durch gefügige Streber erseht worden waren, erst langsam, dann im m er schneller, in den A b gru nd opportunistischer Nachgiebigkeit, bis er sich offen m it dem Feinde gegen das V o lk verband. D er Landtag dagegen bildete vom ersten Augenblick an, ohne zu wanken, den entscheidenden Ansporn und Rückhalt fü r den W iderstand. W eder Drohungen noch wiederholte Auflösungen vermochten ihn einzuschüchtern. Diese klare und unbeirrbare Stellungnahme w ar natürlich von ungeheurer und richtunggebender Bedeutung fü r das ganze V o lk. Sie stärkte den M u t und die W iderstandskraft jedes einzelnen.

Zum ersten M a l wurde die Beamtenschaft auf die Probe gestellt, als ein kaiser­

liches M anifest im Sommer 1900 die E in füh run g des Russischen als Amtssprache in gewissen Behörden befahl. Z w ei andere Verordnungen trafen die ganze Bevöl­

kerung: öffentliche Versammlungen wurden verboten, und russische Hausierer durften in ihrem H andel nicht mehr behindert werden.

In die Lage, gegen russische W illkürvero rd nu ng e n Ungehorsam leisten zu müssen, konnte jetzt jederm ann geraten. Das Unrecht, das die Übermacht auf ihrer Seite hatte, konnte nicht anders bekämpft werden, als indem man es verneinte und ihm den Gehorsam verweigerte. W a r ein je d e r d afür gerüstet und stark genug0 W enn man sich dieser W illk ü r nicht unterw arf, was dann? D ann mußte man Verfolgungen und Leiden gewärtigen. D ie ungeheure Schwere und T ra g k ra ft einer großen Idee tra t m it ih re r ganzen W ucht v o r die W illensentscheidung eines Volkes. U n d wie ein helleuchtender Leitstern stand jenes heldische W o rt des ungarischen Landtags in seiner Adresse von 1861 v o r jederm ann:

„W e n n das V o lk gezwungen ist zu leiden, so tu t es das, um fü r künftige Geschlechter die verfassungsmäßige F reiheit zu retten, die es von seinen Vätern ererbt hat. Es w ird die Leiden ertragen, ohne unterzugehen, wie seine V orväter sie getragen haben, um die Gerechtsame des Landes zu schüfen. D enn was Ü ber-

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macht und G ewalt dem Lande rauben, das können Z eit und ein milderes Schicksal Zurückgaben, aber die W iedergewinnung dessen, w orauf das V o lk selbst aus Furcht vo r Leiden verzichtet hat, ist imm er schwer und unsicher. Das V o lk w ird das L e i­

den tragen in der H o ffn u n g auf eine bessere Z u k u n ft und im Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache.“

N u r E in ig ke it gibt K ra ft. Es galt also, die Energien des Volkes zusaromen- zufassen, ihnen Rückhalt, Stoßkraft und Zielbew ußtheit zu geben. Dazu bedurfte es einer straffen Organisation, die nicht n ur die L eitung des W iderstandes gegen die einbrechende Gese$losigkeit in die H and nahm sondern auch diejenigen zu Unterstufen und zu beraten vermochte, die zuerst in die Bresche springen mußten.

Die Organisation, die unter der Benennung der „Sieben Komitees m it dieser Aufgabe betraut wurde, w ar so streng geheim durchgeführt, daß selbst die ein­

zelnen M itg lie d e r n ur die nächsten M ita rb e ite r kannten. M an wünschte keine Bravourstücke um eines Einzelerfolges w ille n, aber ein gegebene! A u ftra g durfte wegen etwaiger persönlicher G efahr nicht unausgeführt bleiben. U nerbittlich war man in der Forderung des unverrückbaren Rechtsstandpunktes.

D ie überragende geistige wie tatsächliche Führung dieses passiven Widerstandes lag in den Händen Leo Mechelins, eines P olitikers von glänzenden staatsmännischen Eigenschaften. E r w ar 1839 geboren und hatte, als 1899 der eigentliche V e r­

fassungskampf ausbrach, schon eine arbeitsreiche Laufbahn h in te r sich. E r wai Pro­

fessor des Staatsrechts an der U nive rsitä t und mehrere Jahre M itg lie d der Regie­

rung gewesen. Sein Ansehen und seine A u to ritä t waren unbestritten. Obgleich durch Familienbande und Muttersprache zur schwedischen Partei gehörend, bildete er dank seiner grundsäfliehen Duldsam keit und seinem Verständnis fü r das finnische Volkstum eine Brücke zwischen den beiden Sprachenparteien. E r ve rtra t m it uner­

bittlicher Strenge den Standpunkt: keine Revolution, keine Gewaltanwendung, aber auch keine Nachgiebigkeit und keine U nterw erfung unter Drohungen oder Gewalt.

In das M orgenrot dieses tapfer und zuversichtlich anhebenden Rechtskampfes fie l aber p lö flic h ein dunkler Schatten: die giftigste W a ffe aus Bobrikows Köcher, der P feil der Zwietracht, hatte ih r Z ie l nicht verfehlt. Ebenso unermüdlich wie geschickt hatte Bobrikow die schon beim A n tr itt seines Amtes eingefädelte P o litik w eiterverfolgt: im V o lk, vo r allem aber unter den politischen Parteiführern, einer­

seits die Behauptung zu verbreiten, die Maßnahmen der russischen Regierung seien nicht gegen den nationalen Bestand des finnischen Volkes gerichtet, andererseits sie m it der Drohung zu schrecken, daß etwaiger W iderstand m it der Vernichtung

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der nationalen Autonom ie beantwortet werden würde. E r erkannte bald den schwachen Punkt in der Position des Gegners: den sprachlichen Gegensajj der bei­

den Volksstämme im Lande und die daraus sich ergebenden Streitigkeiten um die politische Macht. H ie r setjte er seinen Hebel an. U nd es fanden sich tatsächlich im konservativen Flügel der finnischen Partei, unter den sogenannten „A ltfin n e n “ , M änner, die sich zu dem Glauben bekannten, das einzig V ernünftige sei, „v o r dem Zw ang der Geschichte zu weichen“ und durch Nachgiebigkeit das Land wenigstens vor dem Schlimmsten zu bewahren. Sie schlossen sich zu einer neuen Partei zu­

sammen, die sich „Regierungspartei“ nannte. Daß die Begründer dieser Partei vaterländisch und selbstlos gesinnt waren, kann nicht bezweifelt werden. Sie waren jedoch b lin d gegen die unumstößliche Tatsache, daß in einem Rechtskampf der endgültige Sieg, wenn überhaupt, nicht durch Vorsicht, ängstliche Nachgiebigkeit und D iplom atie sondern nur dadurch errungen w ird , daß man unerschrocken auf dem W eg des Rechts verharrt.

Durch die B ildung der „Regierungspartei“ , die, ohne daß es in ih re r Absicht lag, der politischen Dem oralisierung und dem Strebertum einen verhängnisvollen Vorschub leistete, wurde die bisher durch ihre E inm ütigkeit unzerstörbar erschei­

nende Front des Widerstandes em pfindlich getroffen. A b er der Durchbruch w ar nicht gelungen. Sämtliche politischen Gruppen, die den W iderstand vertraten, schlossen sich nun unter Führung Leo Mechelins ohne Unterschied der Sprache unter dem Namen der „K o nstitu tion e lle n “ zu einer großen Partei zusammen.

W e h r s t r e i k

Nachdem der K e il der Zwietracht in das V o lk hineingetrieben worden w ar und Bobrikows Lehre von dem Segen der Nachgiebigkeit gläubige Anhänger und V e r­

teidiger gefunden hatte, hielt man in Petersburg die Z e it fü r gekommen, m it dem W ehrpflichlgesetj hervorzutreten. E in M anifest vom 12. J u li 1901 befahl dessen Durchführung in Finnland. Die ersten Maßregeln zeigten in ihrer Roheit, daß man russischerseits seiner Sache sehr sicher w ar und es nicht mehr fü r nötig hie lt, die W iderspenstigen m it m ild e r Fland anzufassen. Die finnischen Bataillone wurden _ teilweise unter absichtlich verlebenden Formen -— aufgelöst, Hunderte von O ffizieren nebst Fam ilien, o ft m itten im W in te r, aus ihren Amtswohnungen auf

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die Straße gesetzt und finnisches Heereseigentum: Kasernen, W a ffe n , Inventar im W erte von vielen M illio n e n ohne jegliche Entschädigung der russischen Heeres­

verw altung übergeben. Dem Rechtsbruch hatten sich Ü b e rfa ll und Raub zugesell'.

Die Frage der N ichtunterw erfung — des passiven W iderstandes — die bisher in der Hauptsache n ur engere Kreise der Beamtenschaft berührt hatte, tra t nun in ih re r ganzen Schwere an große Schichten der gesamten Bevölkerung heran. Der grauenvolle A lp , der bisher die Phantasie der finnischen Jugend belastet hatte, begann sich in lebendige, harte, undenkbare W irk lic h k e it zu verwandeln.

Jcgt gab es n ur ein M itte l: die W eigerung, sich zu stellen. Die „Sieben K o m i­

tees“ bewogen das V o lk , sich noch einm al m it einer Massenadresse an den Zaren zu wenden. D ie Adresse hatte, obgleich sie eine halbe M illio n Unterschriften trug, keine andere W irk u n g , als daß B obrikow eine hochnotpeinliche Polizeiuntersuchung über ih r Zustandekommen anbefahl.

D ie D urchführung des russischen Wehrpflichtgesetjes mußte aber unter allen Umständen unmöglich gemacht werden. Diesen Entschluß faßte eine Gruppe besonders energischer Verfechter des W iderstandswillens, die sich unter dem Namen

„K a g a l“ den „Sieben Komitees“ anschloß. „K a g a l“ w ar eine Bezeichnung, welche die Russen in Anlehnung an die in Rußland bestehende gleichnamige geheime jüdische O rganisation als Spottnamen fü r die geheimen politischen Organisationen in F innland anwandten und die diese, wie die „Geusen“ in H o lla n d ihren B ettler­

namen, als E hrentitel fü r sich annahmen. B ald w ar das W o rt in ganz Finnland als die allgemeine Bezeichnung fü r die L eitung des passiven Widerstandes populär.

D er Kagal verbreitete nun im geheimen Massenauflagen von Schriften, in denen in gemeinverständlicher Form die rechtliche Seite der Frage erläutert und die N otw endigkeit und moralische Berechtigung des W ehrstreiks nachgewiesen wurde. E r beschwor die P farrer, die vorgeschriebene A bkündigung des russischen Gesekes von den Kanzeln zu unterlassen. E r unterstüzte die zahlreichen Gemeinden, die trog Auferlegung hoher Bußen sich weigerten, ihren Obliegenheiten bei den Gestellungen nachzukommen.

U n d die W e hrpflichtigen selber, was taten sie? Sie streikten. Sie, fü r die es m it der größten G efahr verbunden war, W iderstand zu leisten, taten es im größten Umfange. In H elsinki waren 870 gestellungspflichtig. Es meldeten sich 57. In manchen Gemeinden in der Landschaft österbotten erschien überhaupt keiner. Die

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Gesamtzahl der Gestellungspflichtigen im ganzen Lande betrug 25 000. Davon blieben 15 000 von den Gestellungen aus.

ln der Hauptstadt hatte durch die K opflosigkeit des sussischen Gouverneurs Kajgorodow die Gestellung einen Straßentum ult im Gefolge. Harmlose Neugierige, die sich vo r dem Gestellungslokal versammelt hatten, ließ er durch eine H u n d e rt­

schaft Orenburgscher Kosaken überfallen. M it ihren „N a g a jk e n “ (Peitschen aus mehreren, an ihren Enden m it Bleikugeln versehenen Lederriemen) fielen diese über die ahnungslosen Spaziergänger her, mißhandelten Frauen, K in de r und alte Leute und verfolgten die vo r diesem sinnlosen Toben Fliehenden bis in ferner gelegene stille Straßen, ja sogar bis in die Hauseingänge hinein.

D i k t a t u r

D er R ingkam pf zwischen T yrannis und Auflehnung nahm im m er schärfere Formen an. Bobrikow befahl, die von den Gestellungen Ausgebliebenen vo r G eridrt zu ziehen. Sie wurden von sämtlichen Instanzen freigesprochen.

D er nächste Schlag des Generalgouverneurs w ar unm ittelbar gegen die V e r­

waltungsbehörden gerichtet. Sie erhielten die Anweisung, Verzeichnisse über die bei ihnen dienenden Beamten einzureichen, die laut gewissen Bestimmungen des russischen Wehrpflichtgese$es vom M ilitä rd ie n s t befreit werden konnten. Die Behör­

den w urden dadurch vo r die A lte rn a tiv e gestellt, entweder die G ü ltig k e it des W e h r- pflichtgese^es anzuerkennen oder sich o ffiz ie ll zur Unbotm äßigkeit zu bekennen.

Sämtliche Behörden wählten das letztere. Das wurde in Petersburg natürlich als offenkundige Revolte betrachtet. N un konnten B obrikow und der ihm gefügige Senat daran gehen, m it H ilfe kaiserlicher Verordnungen den W iderstand der finnischen V erw altung zu brechen.

D ie Festigkeit und Tüchtigkeit der finnischen Behördenorganisation ruhte auf einer uralten skandinavischen T ra d itio n und Auffassung: ein Beamter konnte nicht anders als durch richterlichen Spruch abgese$t werden. W illk ü r von Vorgesehen w ar deshalb ebenso unwirksam wie Bestechungsversuche. Daß dieses ungeschriebene Gesetz nicht übertreten wurde, lag daran, daß die Verfassung die nationale E in ­ heitsfront des Beamtentums schütte: kein Ausländer, vo r allem kein Russe d urfte (vor Bobrikow) ein öffentliches A m t bekleiden.

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Diesen Eckpfeiler umzustürzen w ar der Zweck von fü n f Verordnungen vom 20. September. Sie befahlen folgendes: V on nun an durfte der Generalgouvemeur auch Russen zu Beamten in Finnland ernennen; er d urfte nach Belieben und ohne gerichtliches Verfahren Beamte absegen; ohne seine Erlaubnis durfte kein Beamter gerichtlich belangt werden, nicht einmal wegen eines gemeinen Verbrechens, sofern dies unter Mißbrauch der Am tsgew alt (also unter erschwerenden Umständen!) begangen worden war. Ja, alle noch schwebenden Prozesse gegen Beamte wegen Amtsmißbrauchs sollten unverzüglich niedergeschlagen werden! D ie gesamte Beamtenorganisation w ar dam it dem Gutdünken des Generalgouverneurs ausgelie­

fe rt. E r beeilte sich zuzuschlagen. Schon wenige Tage nach Erscheinen der V e r­

ordnungen segte er über ein Dugena der m ißliebigsten höchsten Beamten ab und erließ an die drei Hofgerichte in T urku , V iip u ri und Vaasa den Befehl, sofort sämtliche gegen ihn (Bobrikow) gefügige Beamte anhängig gemachten Prozesse niederzuschlagen. Die Hofgerichte weigerten sich, diesem Befehl Folge zu leisten.

D a ra u f wurden fast alle obersten Richter dieser Hofgerichte abgesegt. Die übrigen gingen fre iw illig ab. Es gab infolgedessen kel-ne höheren Gerichte mehr im Lande.

Gleichzeitig entsegte Bobrikow sämtliche Bürgermeister in den Städten zweier Pro­

vinzen ihres Amtes. Auch die W ehrpflichtigen suchte man durch Drohungen zu schrecken: die von den Gestellungen Aasgebliebenen sollten fü r imm er von ö ffe nt­

lichen Ä m te rn ausgeschlossen sein, Auslandspässe sollten ihnen verweigert werden und ähnliches.

Die von B obrikow ernannten höheren Beamten (meist Russen) folgten m it E ife r dem Beispiel ihres Meisters. U n te r ihnen zeichnete sich ganz besonders der G ouver­

neur von V iip u ri, Mjassojedow, durch seine russischen Methoden aus. Einen wegen Diebstahls verurteilten Russen befreite er m it M ilitä rg e w a lt aus dem Gefängnis, eine gerichtlich verhängte Pfändung bei einem Russen verhinderte er m it Gewalt, das seinem Verfügungsrecht entzogene Magistratsgebäude ließ er gewaltsam auf- brechen, um sich Amtsräume fü r die Gestellungskommission zu verschaffen, und so weiter.

D er Senat sank zu einem vollkomm en willenlosen und blinden Werkzeug in der H and Bobrikows herab. Die des Russischen unkundigen Senatoren lernten ihre Namen m it russischen Buchstaben unter russische Schriftstücke krigeln, deren In h a lt sie nicht lesen konnten. Bobrikow schrieb schon M itte November 1903: „Ic h bin m it dem Senat zufrieden und vermute, daß er nichts Besonderes gegen mich ein­

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zuwenden hat.“ E r selbst entwickelte in seiner Russifizierungswut eine Äußerlich­

keit und K leinlichkeit, die sogar in Petersburg als K a rik a tu r empfunden wurde.

Es genügte ihm nicht, daß im Schulunterricht auf Kosten anderer nütjlicherer Fächer fü r sämtliche Klassen vierzig obligatorische Wochenstunden in Russisch anbefohlen, nicht, daß die verhaßten finnischen Briefm arken äußerlich den russischen gleich­

gemacht wurden, er befahl, auch Straßenschilder in russischer Sprache anzubringen, ließ die U niform en der Polizei und anderer Beamten in genauer Übereinstimmung m it den in Rußland vorgeschriebenen abändem, und sogar die Droschkenkutscher in H e lsinki mußten sich nach dem M uster der Petersburger „Iswostschiks“ kleiden.

Nachdem auf diese Weise in die V erw altung des Landes U nordnung h in ein ­ gebracht und die Bevölkerung in eine A ufruhrstim m ung verseht worden war, bewog Bobrikow den Kaiser, ihm durch eine Verordnung vom 9. A p r il 1903 die D ik ta tu r zu übertragen. Sie gab ihm das Recht, Hotels und Gaststätten, Buchhandlungen und Büros wie überhaupt jedes kaufmännische und industrielle Unternehmen nach Belieben zu schließen, jede Versammlung (auch private) zu verbieten, Vereine a u f­

zulösen und jeden, der ihm „ f ü r die Ruhe im Lande gefährlich“ schien, des Landes zu verweisen.

B obrikow zögerte nicht, von dieser A llg e w a lt Gebrauch zu machen. Noch in demselben M onat erhielten acht angesehene M itg lie d e r der konstitutionellen Partei den Befehl, binnen sieben Tagen das Land zu verlassen. B ald erfolgten ohne v o r­

herige Verständigung Deportationen nach russischen Provinznestern und nach S ibi­

rien. E in L a n d w irt in W e stfin nla nd w urde nachts aus dem Schlaf gerissen, in Ketten gelegt und, nachdem er lange Z e it im Gefängnis geschmachtet hatte, nach Sibirien verschickt. E r hatte sich politisch in keiner Weise betätigt und w ar gleich vielen anderen das O pfer einer böswilligen Denunziation. Spitzeltum, Verhöre, nächtliche Haussuchungen, Verhaftungen und Beamtenabsetjungen wurden zu a ll­

täglichen Erscheinungen. Zahlreiche untere Beamte und M ilitä rs , über dreihundert Verwaltungsbeamte und Richter waren dem Terrorismus bereits zum O pfer gefallen.

Fremde Streber, übel berüchtigte, ja notorisch verkommene In dividu en traten an ihre Stelle. Eine unglaubliche Verschleppung und V e rw irru n g im Geschäftsgang, eine immer krasser hervortretende Dem oralisierung der V erw altung waren die Folge. Die Polizei, Bobrikows Schoßkind, wurde zum Sammelort und zur B ru t­

stätte der schlimmsten Elemente und bestand zum T e il aus gerichtlich verurteilten, aber von ihren russischen Gönnern „re h a b ilitie rte n “ Verbrechern. Erpressungen, Betrügereien und Unterschleife gehörten hier zur Tagesordnung. Was an Bestech-

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lichkeit, V öllerei, Verlegung der Frauenehre vorkam, zeugte von einer Roheit und Verworfenheit, die man in Finnland nie fü r möglich gehalten hätte.

Noch Schlimmeres stand bevor. D ie Pläne der Russifizierung des gesamten Gerichtswesens waren im besten Gange. Die Vereinigung des finnischen Zollwesens m it dem russisdien, die Aufhebung der eigenen Finanzhoheit des Landes waren in die Wege geleitet. Bobrikows Sieg schien auf der ganzen L in ie gesichert. Eine dumpfe Verzw eiflung bemächtigte sich des Volkes. Gab es keine Rettung aus diesem W irrsa l? Sollte man n ur darauf bauen, durch Nichtunterw erfung, durch Leiden einmal zu siegen? Da erhob sidi plötjlich eine rächende und rettende Hand.

A n einem stillen und warmen Sommertag, dem 16. Juni 1904, 11 U h r v o r­

mittags, begab sich Bobrikow zur legten Sigung vo r den Sommerferien in den Senat. A m Eingang entließ er seinen A d ju ta n te n und stieg a llein die Treppe h in ­ auf. A u f dem obersten Absag tra t ihm ein junger M ann entgegen und feuerte vier Schüsse auf ihn ab. Schwer verwundet wankte Bobrikow in den Sigungssaal des Senats. In demselben Augenblick dröhnten zwei neue Schüsse durch das Treppen­

haus. D er junge M ann brach, von eigner H and ins Herz getroffen, to t zusammen.

E r hieß Eugen Schauman und w ar nach einigen D ienstjahren im Senat Beamter in der Schuloberbehörde geworden. In seiner Tasche fand man einen B rief, der an den Kaiser gerichtet war. Schauman erhob darin eine Anklage gegen Bobrikow, schilderte die rechtlosen Zustände in Finnland und sprach die Überzeugung aus, daß der Kaiser von a ll dem nichts wisse. Es bleibe deshalb nichts anderes übrig, als zur N otw ehr zu greifen und Bobrikow unschädlich zu machen. Sein eigenes Leben opfere Schauman durch eigene H and bei dieser Gelegenheit, um den Kaiser auf die schweren Übelstände aufmerksam zu machen. E r versicherte, daß keine V e r­

schwörung vorliege, daß er a llein seinen Entschluß gefaßt habe und a llein zur T at schreite, und schloß m it den W o rten : „Ich verharre in tiefster untertänigster E h r­

furcht, Großmächtigster, A llergnädigster Kaiser und Großfürst, Ew. Kaiserlichen M ajestät alleruntertänigster und treuergebenster U ntertan .“

Zwischen T on und Anrede in diesem B rief, seinem In h a lt und der T at, die er erklären w ill, lieg t n ur ein scheinbarer Widerspruch. D ie „untertänigen“ Schluß­

worte waren natürlich n u r übliche o ffizie lle Floskeln, aber h in te r ihnen stand ein sehr ernster H intergrund. Beides, der B rie f und die T at, ist ein Spiegel dessen, was sich in der Seele des finnischen Volkes abspielte: Bereitschaft, fü r Recht und F re i­

heit zu sterben, und zugleich ein noch imm er nicht erschütterter Glaube an die Rechtlichkeit des Herrschers.

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D e r a k t i v e W i d e r s t a n d

In der folgenden Nacht starb Bobrikow.

Die erste W irk u n g der T a t w ar an beiden Kam pffronten ein plö^liches Stocken des Atems. D ann aber machte sich der Eindruck gewaltsam L u ft: in einem Seufzer der Befreiung hüben, in einem Schrei der Raserei und W u t drüben. A ber als wenige Wochen nach Bobrikows T od auch sein M ith e lfe r am Zerstörungswerk gegen F innland, der M in is te r W . v. Plehwe, den Bomben des russischen Terroristen Saso- now zum O pfer fie l, da kam es wie eine Ernüchterung über die russischen Macht­

haber. Auch der neuernannte Generalgouverneur Finnlands, Fürst J. Obolenski, der anfangs vom Kaiser beauftragt worden war, m it derselben „klugen Festigkeit“

wie sein Vorgänger aufzutreten, fand es nun ratsam, die H örne r einzuziehen. Von Petersburg aus ließ man sogar unter der H and wissen, daß man bereit wäre, die ausgewiesenen Finnen wieder ins Land zurückkommen zu lassen, falls sie darum bäten. Dieses Ansinnen wiesen sie zurück. Da ließ man sie wissen, sie könnten auch ohne Gesuch heimkehren. Es w ar eine verschleierte A ufforderung. M an schien sich dem Auslande gegenüber der Bobrikowschen Heldentaten zu schämen.

Das politische Leben tra t in einen Zustand lauernden Abwartens ein, dessen scheinbare S tille durch Attentate, T um ulte und Rechtsvergewaltigungen unter­

brochen wurde, den langsam sich mehrenden Zeichen eines aufsteigenden Sturmes.

Eugen Schaumans Versicherung, daß Entschluß und T a t n ur sein eigenes W e rk gewesen und keine Verschwörung h in te r ihm stehe, entsprach der W a h rh eit:

n ur zwei seiner vertrautesten Freunde wußten von seinem Plan. Eine a k tiv i- stische Organisation gab es nicht. W o h l gab es einzelne A ktiviste n, aber sie wußten n ur wenig voneinander. U n d doch, der Gedanke, unter dem Zwange des unerträglichen Druckes zum T e rro r zu greifen, w ar schon ein halbes Jahr vor Bobrikows T od in einer unterirdischen Z eitschrift des Kagals zum Ausdruck gekommen.

„F la t der passive W iderstand“ , so hieß es dort, „u n te r den heutigen V e rh ä lt­

nissen noch Sinn? W ären w ir in ihm einig gewesen, dann hätten w ir sicher den Feind zurückgeschlagen. Jetjt sind w ir einer lähmenden H offnungslosigkeit preis­

gegeben, die unhaltbar um sich g re ift. Das Geseg gestattet aber die N otwehr. Der einzelne kann also zu ih r greifen, ohne den Boden des Gesekes zu verlassen. D er G ewalt hat er das Recht, G ewalt entgegenzusetcen. Diesen Gedanken müssen w ir

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uns ve rtra ut machen. D ann w ird einst der Tag kommen, wo ein V o lk, erniedrigt bis zu der V erzw eiflung Rand, aufsteht, zu schirmen seiner V äter L and.“

Diese Auffassung fand vo r allem in jüngeren Gemütern einen fruchtbaren Boden. A ber auch unter den älteren M itglied ern des Kagals gab es V ertreter einer radikalen P o litik, die den passiven W iderstand als sinnlos verurteilten und auf ein aktives Vorgehen drangen. Daß sie anfangs keinen E rfo lg hatten, lag an der über­

mächtigen A u to ritä t Mechelins. E r h ie lt es fü r eine unkluge P o litik , den festen Boden von Gesetj und Verfassung aufzugeben. Diese Absicht w ar auch ganz a ll­

gemein im V o lk verbreitet, das A ttentate als eine russische Methode verurteilte.

Dem widersprach nicht die Tatsache, daß Eugen Schaumans T a t vom ganzen V o lk g e b illig t und bewundert, wurde. E r hatte Leben fü r Leben gegeben, sich selbst dem Vaterlande zum O pfer gebracht und es von dem befreit, der als der eigentliche Verderber, als Inkarnation des Bösen an sich, dastand.

A b er die aktivistische Propaganda hatte im geheimen einen wachsenden E rfolg.

U n d gerade Schaumans T a t gab ih r den entscheidenden A u ftrie b . Innerhalb der konstitutionellen Partei kam es zu einem Zusammenstoß der Ansichten. Mechelins Anhänger wehrten sich vor allem gegen ein Zusammenarbeiten m it den russischen Revolutionären, das einzelne A ktiviste n befürworteten.

Es kam so w eit, daß diese radikalen P o litik e r im November 1904 eine beson­

dere Partei, die „Finnische Partei des aktiven W iderstandes“ , gründeten und durch ein in Finnland verbreitetes Flugblatt erklärten, daß sie zusammen m it den russi­

schen Revolutionären den Sturz der Selbstherrschaft herbeiführen w ollten.

Die W irk u n g dieser Kundgebung in Finnland w ar höchst m erkw ürdig. M an w ar bestürzt und empört. M an h ie lt es nicht fü r möglich, daß Finnen sich einer Partei anschlossen, die den organisierten M ord in Zusammenarbeit m it landfremden Um stürzlern predigte. Die L o y a litä t steckte den „K o nstitu tion e lle n “ noch zu tie f in den Gliedern.

Die so dachten, erkannten nicht, daß unter dem Druck der äußeren Ereignisse sich auch eine innere W an dlun g der Geister vollzog, und daß eine wesentlich neue politische Lage auch eine neue Einstellung hinsichtlich der M itte l erforderte. Diese Einsicht machte sich, wenn auch langsam, imm er mehr geltend. Übrigens w ar die rein terroristische T ä tig ke it der finnischen A ktiviste n von ganz geringer Bedeutung und eschränkte sich auf wenige einzelne Attentate, von denen n ur eines zum Ziele fiihrte . Es w ar gegen den P rokurator des Senats, einen der höchsten finnischen

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Beamten gerichtet, der, obgleich selber Finne, sich zum eifrigsten H andlanger des Bobrikowscben Systems erniedrigt hatte. A u f das finnisdie V o lk machte das A tte n ­ ta t keinen nachhaltigen Eindruck.

M a t t i R e i n i k k a

Interessanter w ar ein anderes A tten ta t, nicht w eil es an sich von Bedeutung gewesen wäre sondern w eil der A tten tä ter ein typisches Beispiel fü r den eisernen, nicht zu brechenden Starrsinn des Finnen bietet.

D er M ann hieß M a tti Reinikka und w ar ein Bauernsohn aus dem hohen N orden Finnlands. In seiner H eim at österbotten erlebte er die verheerenden W ir ­ kungen der russischen M ilitä rp lä n e . Tausende seiner Altersgenossen verließen H o f und Fam ilie, um sich der W e h rp flich t im russischen Heere durch Auswanderung und später, als diese erschwert wurde, durch die Flucht zu entziehen. Sein Interesse fü r politische Fragen w ar geweckt. E r studierte fle iß ig Zeitungen, Propaganda­

schriften, Flugblätter und besuchte die Versammlungen der Konstitutionellen. Die Schmach, unter der sein V o lk leiden mußte, entzündete sein Blut. D ie sanften Lehren des passiven Widerstandes gingen über seinen Florizont. Auge um Auge, Zahn um Zahn, G ew alt um G ew alt — das verstand er. Da fielen im Sommer 1904 die Schüsse Eugen Schaumans.

N un ging ihm ein Licht auf. Das w ar der W eg, den er zu gehen hatte. Noch gab es zahlreiche Elende, die Bobrikows Schicksal verdienten. Sb erschien auch seinem geraden Bauernverstande der P rokuratur des Senats als der gefährlichste und schändlichste unter den Verrätern. Schon im Herbst 1904 erkor er sich ihn zum Opfer. E r besaß einen Browning. N un übte er sich, bis er m it einiger Sicherheit das T re ff-A s auf fü n f Schritt Entfernung tra f. D ann reiste er nach H elsinki.

Von seinen Plänen verriet er niemandem etwas. E r beobachtete nur Tag fü r T ag das Haus des Prokurators, um auszukundschaften, wann sein O pfer auszu­

gehen pflegte. Da der hohe Beamte ständig von einer Schutswache von Geheim­

polizisten umgeben war, blieb nichts anderes übrig, als sich Zugang zu der W ohnung selber zu versdiaffen. Daß dies nicht leicht w ar und, falls er eine W a ffe bei sich trug, seinen ganzen Plan zunichtemachen konnte, sah er ein. E r zerbrach ,ebnen K o p f m it a lle rle i Listen und v e rfie l schließlich auf einen Plan, der in seiner A b -

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sonderlichkeit nur einem Bauernschädel wie dem seinen entspringen konnte. Eines Tages, zu einer Stunde, wo er den Prokurator im Senat wußte, klingelte R einikka an seiner T ü r, die von einem D etektiv geöffnet wurde. A u f dessen Frage, was er wünsche, erwiderte Reinikka, das könne er n ur dem Prokurator persönlich unter vier Augen sagen, w orauf er sofort verhaftet und ins Polizeibüro abgeführt wurde.

A ber auch hier erklärte er kategorisch, nur dem Polizeichef persönlich und unter vier Augen angeben zu wollen, was fü r ein A nliegen er an den P rokurator habe.

D ann erzählte er, ein junger M ann aus seiner Heimatgegend sei ein paar Tage vorher nach H elsinki gereist, in der bestimmten Absicht, den Prokurator zu erm or­

den. A ls er davon gehört habe, sei er gleich nachgereist, um den Prokurator zu warnen, und hoffe nur, daß er nicht zu spät komme.

„W issen Sie, wie der junge Mensch aussieht?“ fragte der Polizeikommissar.

„G ew iß, sehr gut.“

„W ie heißt er?“

„ M a tti Reinikka.“

„W issen Sie, wo er wohnt und welche Bekannten er h ie r hat?“

„N ic h t die Spur. D arum ging ich zum Prokurator. H ätte ich eine Ahnung da­

von, wie man ihn finden kann, dann wäre ich geradeswegs zu ihnen gegangen.“

„W o lle n Sie uns helfen, ihn zu finden?“

„Ich b in ja hergekommen, um seine Missetat zu verhindern, und ich bin bereit zu tun, was ich kann.“

„Schön. Ich gebe Ihnen einen D etektiv, der die Stadt genau kennt, zur H ilfe , m it dem können Sie sich auf die Suche nach dem M ann machen. W o lle n Sie?“

„Sehr gern.“

„U n d gelingt es Ihnen nicht, ihn in den nächsten Tagen aufzuspüren, so er­

halten Sie einen Plag in der Wache des Prokurators m it gutem Lohn und wenig A rbeit. Einverstanden?“

„N a tü rlich , und ich werde schon aufpassen.“

D am it w ar Reinikka angestellt, sich selber ausfindig zu machen, und die beiden folgenden Tage streifte er m it dem D etektiv fle iß ig in der Stadt umher, besuchte Speisehallen und W irtschaften, in denen man einen M ann aus dem Bauernstände vermuten konnte, erkundigte sich in allerhand Herbergen und Stellen, wo Zim m er fü r Angereiste verm ietet wurden, und spazierte in den Straßen h in und her, wo der Verkehr am lebhaftesten war. E r w ar so e ifrig in seinem Späherdienst, daß der D etektiv des Lobes v o ll war.

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