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Die Frau
in der bildenden Kunst
VQn Anton Hirsch
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IN DER BILDENDEN KUNST
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IN DER BILDENDEN KUNST
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EIN KUNSTGESCHICHTLICHES HAUSBUCH
VON
ANTON HIRSCH
DIREKTOR DER OROSSHERZOOLICHEN-KUNST- UND GEW ERBESCHULE IN LUXEMBURG
V E R L A G VO N FER D IN A N D E N K E IN ST U T T G A R T
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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart
V O R W O R T
er Geschichtschreiber, der gewohnt ist, nicht nur aus offi
ziellen Urkunden und Staatsakten zu schöpfen, sondern der auch das Studium der Memoirenliteratur und des Anekdotenmaterials der Zeit nicht verschmäht, wird oft hinter dem grünen Tisch, an dem über das Geschick der Länder und Völker beraten wird, das reizende Gesichtchen einer schönen Frau auftauchen sehen, deren schelmisches Lächeln gar sonderbar mit den ernsten Mienen der verantwortlichen Staatslenker kontrastiert. Und wenn diese würdigen Personen, nach reiflichen Beratungen und Erwägungen, ein klugausgedachtes politi
sches Gebäude bis zum letzten Dachziegel aufgebaut haben und sich aufatmend anschicken, den Schauplatz ihrer mühevollen Tätigkeit zu verlassen, so kommt, wie ein Wirbelwind, die neckische Schöne daher
gestürmt und wirft all die herrlichen Kombinationen und Konklusionen wie ein einfaches Kartenhaus, mir nichts dir nichts, über den Haufen.
Die Räte sind starr vor Entsetzen, aber der Fürst, der das gute Herz und das kluge Köpfchen der geliebten Frau kennt, sagt beschwich
tigend: »Laßt sie nur machen!«
, Wie olt hat nicht weibliche Milde, auf diese Weise, den lindernden Balsam auf die Wunden geträufelt, welche die von keinem mensch
lichen Empfinden geleitete Staatskunst den Herzen der Völker ge
schlagen r Wie oft hat nicht die Frau, ob Fürstin oder Freundin des
Herrschers, direkt oder indirekt in die Geschicke der Staaten und
Völker eingegriffen, mit zarter aber fester Hand die Zügel der Regierung geführt und der Epoche, der sie angehörte, den Stempel ihrer eigenen großen Persönlichkeit aufgedrückt? Es genügt, um daran zu erinnern, von den vielen Namen nur zwei herauszu
greifen: Maria Theresia und Katharina II. von Rußland.
Auch in der Geschichte der Kunst ist es nicht anders. Man müßte mit Blindheit geschlagen sein, wollte man den großen, ja den überwiegenden Einfluß nicht anerkennen, den die Frau zu allen Zeiten auf die Entwicklung der Künste ausgeübt hat. Es hat keine Epoche gegeben, in welcher die Künstler nicht in der Verherrlichung holder Frauenschönheit das höchste Ziel ihrer Kunst erblickt hätten und in edlem Wetteifer sich bemühten, derselben ihre Huldigung darzu
bringen.
Zu allen Zeiten begegnen wir wiederum edlen und hochherzigen Frauen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, den Künstler in seinen Bestrebungen zu fördern und ihn mit Rat und Tat zu unterstützen. Zahlreich sind die Werke der Plastik, der Malerei und der Architektur, welche ihr Entstehen der Anregung und dem direkten Einfluß hochsinniger Kunstfreundinnen verdanken!
Und wenn wir die Lebensgeschichte so mancher großer Meister studieren, so finden wir nicht selten, wie es nur dem milden Walten, der geduldigen Ausdauer und der zielbewußten Tatkraft ihrer be
scheidenen Frauen zu danken ist, daß die Künstler den Kampf gegen alle Hindernisse und Widerwärtigkeiten, die ihnen im Anfang ihrer Laufbahn entgegentraten, aufnehmen und siegreich zu Ende führen konnten. Wie manches Kunstwerk, das sein Schöpfer in dumpfer Verzweiflung an seinem Können, an seiner Zukunft, ver
nichten wollte, ist nicht durch die gesegnete Hand der Gattin dem Untergange entrissen worden und so der bewundernden Nachwelt erhalten geblieben!
Und wie groß ist endlich die Zahl der Frauen und Jungfrauen,
VORWORT. V II
welche ihr Leben ganz der Kunst gewidmet haben, die sich nicht be
gnügen, die hohe Begeisterung für alles Schöne und Gute, ein so wesentliches Element echter Weiblichkeit, wie ein heiliges Feuer zu hüten, sondern vielmehr selbst zu Pinsel und Meißel greifen, um dem Ideal, welches sie beseelt, künstlerische Gestaltung zu verleihen! Wie die Frau in kultureller Beziehung es stets verstanden hat, den er
höhten Anforderungen der Zeit Genüge zu leisten, so ist sie auch niemals zurückgeblieben, wenn es sich darum handelte, ihr künst
lerisches Empfinden zu vollkommener, freier Entfaltung zu bringen.
Die zahlreichen und hervorragenden Künstlerinnen, denen wir im Laufe unserer Darstellung begegnen werden, liefern hierfür einen vollgültigen Beweis.
So sei denn dieses Buch, das ja in mancher Beziehung noch lückenhaft erscheinen mag, als ein bescheidener Beitrag zur Würdi
gung der vielfältigen und fruchtbringenden Einflüsse, welche die Frau auf die Entwicklung der Kunst und der künstlerischen Be
strebungen überhaupt ausgeübt hat, dem Wohlwollen der Leser empfohlen.
Der Verlagsanstalt, die keine Mühen und keine Kosten gescheut, das Werk in ebenso reicher wie gediegener Ausstattung darzubieten, sei hiermit mein bester Dank ausgesprochen.
Luxemburg im Oktober 1904
Der Verfasser
I N H A L T
V o rw o rt... s. V— vii
Indien.
Land und Leute. Weibliches Schönheitsideal der Inder. Die Frau in der indischen Mythologie und Kunst. Die Frau als Künstlerin . . . . S. i — 7
Ägypten.
Charakter, Sitten und Gebräuche der alten Ägypter. Totenkultus. Kunst
tätigkeit. Die Darstellung des weiblichen Körpers in der Malerei und in der Plastik. Die gesellschaftliche Stellung der Frau. Die weibliche Tracht. Thais, die Jungfrau aus der christlich-ägyptischen Z e i t ... y . S. 8 — 17
Griechenland.
Gegensatz der griechischen Kunst zur ägyptischen. Das öffentliche und private Leben der Hellenen. Die Schönheit als oberstes Gesetz. D er griechische Frauentypus. Die weibliche Kleidung. Die gesellschaftliche Stellung der Frau.
Die Hetären und ihr Einfluß auf die Kunst. Die Frau als Künstlerin. Die Dar
stellung der Frau in der Plastik: das mykenische Zeitalter, die zweite Periode bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. ; das Zeitalter des Perikies (Myron, Polyklet und Phidias); die Epoche nach dem peloponnesischen K rieg (Skopas und Praxiteles);
die Dekadenz. Die Polychromie in der Plastik. Tanagrafigürchen. Die Dar
stellung des weiblichen Körpers in der Malerei... S . 17 —43
Rom.
Die römische Kunst als Fortsetzung der griechischen. Die Frau in der Plastik und Malerei. Die Mosaikmalerei. Die Stellung der Frau im alten Rom. Weib
liche Tracht und T oile tte n k ü n ste... S. 44— 53
Die altchristliche und byzantinische Kunst.
Der Einfluß der neuen Lehre auf die Kunst. Die Kirchenväter und die Kunst.
Die weiblichen Gestalten der ost- und weströmischen christlichen Kunst. Die Bilderstürmer. Die Miniaturmalerei und die Mosaikkunst. San Vitale in Ravenna.
Die Elfenbeinschnitzerei. Weibliche Einflüsse. Freundinnen und Beschützerinnen
der K u n s t ... S. 53— 60
Das Mittelalter.
Weibliche Einflüsse in der Kunst des frühen Mittelalters. Die weibliche Tracht und die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Die Darstellung des weiblichen Körpers in der romanischen Kunst. Die politische und soziale Emanzipation im 12. Jahrhundert. Das Rittertum. Frauenkultus und Marienverehrung. Minne
sänger und Troubadours. Der Umschwung in der künstlerischen Auffassung:
Symbolik und Allegorie; Mystik und Naturalismus. Der Manentypus. Entstehen der Bildnismalerei. Die Darstellung der Frau in der Plastik und Malerei: fran
zösische, niederländische und deutsche Meister. Italien und die Vorläufer der Renaissance. Weibliche Kunstbetätigung im Mittelalter . . . . S. 60— 1 1 3
Die Renaissance.
Die Stellung der Frau in der Renaissance; ihre geistige Emanzipation.
D ie R e n a is s a n c e in Ita lie n . Die Darstellung der Frau in der Malerei und Skulptur des Quattrocento. Das Cinquecento. Macht und Einfluß weiblichen Geistes und weiblicher Schönheit. Die Frauentracht in Italien und den übrigen Kulturländern. Die großen Frauenmaler des Cinquecento. Die plastische Dar
stellung der Frau im C inquecento... S. 1 1 3 219 D ie R e n a is s a n c e in D e u tsch la n d . Deutsche Kulturzustände im Zeitalter der Renaissance. Zunftmäßige Organisation der Kunst. Umschwung, hervorge
rufen durch die gewaltige Persönlichkeit Dürers. ‘ Das weibliche Schönheitsideal der deutschen Meister. Die bildnerische Darstellung der Frau in der deutschen Renaissance. Die Hauptvertreter der Holzschnitzerei, der Stein- und Erz-
, , . . . . S. 220— 262
D ie n ie d e rlä n d isc h e K u n st des 16. Ja h r h u n d e r ts . Die Darstellung der Frau in der niederländischen Kunst. Quentin Massys und Mabuse S. 262 264
D ie R e n a is s a n c e in F r a n k r e ic h . Einfluß der Zentralisierungsbestrebungen des französischen Königtums auf die provinzialen Kunststätten. Das weibliche Schönheitsideal der französischen Primitiven. Die Darstellung der Frau in der Plastik. Vorzüge der französischen B ild n e r e i...S. 265 280 S p a n ie n u n d E n g la n d . Abhängi|Jkeit der Kunst beider Länder vom Aus
lande ... S ' 280 D ie F r a u a ls B e sc h ü tz e rin d er K ü n ste . Die hohe Stellung, welche die Frau im Zeitalter der Renaissance einnimmt, macht dieselbe zur natürlichen Förderin und Beschützerin der Künste. Das Kunstleben an den Fürstenhöfen Italiens, Frankreichs, der Niederlande und Englands. Weibliche Einflüsse in der Kunst der Renaissance. Die Stellung der Frau in Spanien und Deutschland S. 280 295
D ie F r a u a ls K ü n s tle r in im 15. u n d 16. Ja h r h u n d e r t. Rückblick auf die klösterliche Kunst des Mittelalters. Die Kunstpflege in den Nonnenklöstern Italiens während der Renaissance. Italienische, niederländische, deutsche und französische Künstlerinnen... S. 295 303
Das 17. Jahrhundert.
Ita lie n . Verflachung der italienischen Kunst im 17 . Jahrhundert. Die eklek
tische, die naturalistische und die dekorative Richtung in der italienischen Malerei
Indien.
ndien, das schöne, von den Fluten des heiligen Ganges still durchströmte Zauberreich, ist das Land unserer Jugend- träurne, in denen die klugen weißen Elefanten, die wilden gelben Tiger, die weisen Brahminen und die gauklerischen Fakire in buntem Reigen vorüberziehen und unsere Phantasie gefangen nehmen.
Das geheimnisvolle Dunkel, in welches die Anfänge indischer Kultur, die sich in den Sagen- und Märchenbildungen der grauen Vor
zeit verlieren, gehüllt sind, die ausgesprochene Eigenart aller Kunst
schöpfungen dieses Volkes üben einen unwiderstehlichen Reiz aus auf jeden, der sich mit dem Studium der Geschichte und der Kunst dieses Landes näher befaßt.
Aber auch schon bei flüchtigem Vordringen in die Vergangen
heit dieses merkwürdigen Volkes gewinnt man bald die Überzeugung, daß die indische Geistes- und Gefühlswelt ein für und in sich ab
geschlossenes Ganze bildet, welches auf die Gestaltung abendländischer Kultur und Lebensauffassung nur geringen oder gar keinen Einfluß ausgeübt haben konnte.
Bei dem nur sehr unvollkommen entwickelten historischen Sinne des indischen Volkes, das die Ereignisse seiner Geschichte nicht, wie es die Ägypter getan, in unverwüstlichen Monumentalwerken ver
ewigte, kann es nicht wundernehmen, daß die Zeitbestimmungen der einzelnen Epochen außerordentlich schwankend sind, und sehr oft ist man bei Beurteilung der Kunsttätigkeit der alten Inder fast ausschließlich auf die erhalten gebliebenen Bruchteile der frühesten Literatur angewiesen.
Die Natur hat ihre reichsten Schätze in verschwenderischer Fülle über dieses Land ausgebreitet, gleichsam als wollte sie, unter den ver
führerischsten Lockungen, den Schönheitssinn der Bewohner wecken, die, umgeben von der üppigsten Vegetation, selbst zu jenen Menschen
typen zu rechnen sind, die wir als schön bezeichnen können. Dies
H ir s c h , Die Frau in der bildenden Kunst.
gilt vornehmlich für die Bewohner des eigentlichen Hindustan, die Hindu. Sie sind von zierlicher, wenn auch großer und schlanker Gestalt, nicht zu sehnig, eher etwas weich, mit feinen Gliedmaßen und kleinen Extremitäten. Ihre Gesichtszüge sind intelligent und sympathisch.
Der indische Schönheitssinn ist zwar sehr rege und empfänglich, wie aber die Bewohner des Landes selbst sich mehr durch einen zarten und geschmeidigen, als durch einen kräftig muskulösen Körper
bau auszeichnen, so ist auch ihr Schönheitsideal etwas weichlicher Art.
Ritter gibt in seiner Erdkunde interessante Aufschlüsse über die Bedingungen, welche die Inderin zu erfüllen hat, will sie als voll
kommen schöne Frau gelten.
»Ihr Haar muß reich sein wie der Schweif des Pfaues, bis auf die Kniee in Locken herabhängend, ihre Augenbrauen gleichen dem Regenbogen, die Augen dem Saphir, die Nase sei gebogen wTie die des Habichts, die Lippen rot wie Korallen, die Zähne klein wie Jasmin
knospen. Der Hals soll dick und rund sein, die Brust wie die junge Kokosnuß, die Taille schmal und mit der Hand zu umspannen, aber die Hüften breit, die Glieder spindelförmig zulaufend, die Fußsohle ohne Höhlung, die Haut ohne Knochenvorsprünge.«
Es ist dies, fürwahr, eine reizende Schilderung indischer Frauen
schönheit, und es ist wohl begreiflich, daß sich einheimische Dichter, denen solch vollendete Frauengestalten begegneten, zu den schwung
vollsten Dithyramben hinreißen ließen, um den Zauber holder Weib
lichkeit zu besingen.
So hören wir denn auch in den erhalten gebliebenen Fragmenten altindischer Dichtungen so häufig das Lob schöner Frauen erklingen, und zu diesen begeisterten Schilderungen müssen die Blumen der tropischen Flora ihren Farbenzauber und die Gestirne des südlichen Himmels ihren Glanz herleihen.
Am häufigsten werden die Frauen mit dem Monde verglichen,
dessen zarter Silberschimmer der etwas melancholischen Schönheit
der indischen Frau so gut entspricht. Auch die geheimnisvolle
Lotusblume, die ihre bleiche Pracht auf mondbeschienenem Teiche
schaukelt, wird häufig herangezogen, um dem Empfinden Ausdruck
zu verleihen, welches des Dichters Herz bewegt beim Anblick einer
schönen Frau.
DIE FRAU IN DER INDISCHEN KUNST. 3 Daß in einem Lande, wo der Frauenkultus solch poetische Schilde
rungen seines Ideals findet, die Frau auch auf die bildenden Künste einen
Fig. i. Buddhistische Göttin.
Trachitstatue aus Java. Leiden, archäologisches Museum.
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