Teil I I I
4. Der Einstweilige Staatsrat
Schon am Tag nach seiner Eröffnungssitzung wendete sich der Einstweilige Staatsrat m it einem A u fru f an die Öffentlichkeit, in welchem er die Aufstellung eines zahlreichen, schlagkräftigen und disziplinierten Heeres, welches im Geist der großen ritterlichen Traditionen den alten Ruhm der polnischen Waffen wieder lebendig machen sollte“ , als eine erfreuliche und dringende Notwendigkeit be- zeichnete. „W ir sind überzeugt“ , so heißt es in dieser Kundgebung,
„daß ein solches Heer die erste Bedingung fü r eine unabhängige staatliche Existenz ist. Es w ird dazu beitrage-n, daß der polnische Staat möglichst weite Grenzen erhält, und es wird ein Unterpfand fü r das Bestehen dieses Staates sein.“ Innerhalb dieses Staatsrats
wurde sofort eine Militärabteilung gebildet, der eine besondere Militärkommission unter dem Vorsitz Pilsudski’s beratend zur Seite stehen sollte, dieser selbst wurde zum militärischen Sachverständigen bei dem Staatsrat ernannt. Alle diese Maßnahmen machten in der Öffentlichkeit den besten Eindruck. Am 17. Januar stellte sich die P. 0. W., die ihre Bereitwilligkeit schon im Dezember erklärt hatte, dem Staatsrat völlig zur Verfügung, am 19. Februar fand in War
schau eine Versammlung von Vertretern der „Militärischen Hilfs- komites“ aus dem ganzen Lande statt, die zur Unterstützung der P. 0. W. gegründet worden waren, und nach einer Rede Pilsudski’s beschloß man einmütig, den Staatsrat bei der Aufstellung eines polnischen Heeres m it allen M itteln zu unterstützen, und auch die
„Rada Narodowa“ und die linken Unabhängigkeitsparteien erklärten sich zur M itarbeit bereit. Die Anfänge schienen also durchaus ver
heißungsvoll.
Und doch trug die ganze Einrichtung des Einstweiligen Staats
rats schon von Anfang an die Keime des Verfalls in sich, weil sich hier zwei Partner vereinigt hatten, die bei Eingehung des Geschäfts von völlig verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen waren. W ir kennen Beselers U rteil über die politischen und staatsbildenden Fähigkeiten der Polen, fü r ihn stand im Vordergrund die Heeres
frage, zu deren Verwirklichung er in dem Staatsrat ein willkomme
nes M ittel erblickte, fü r die Polen aber, so weit sie sich überhaupt an den Arbeiten des Staatsrats beteiligten, stand die politische Frage, nämlich die Frage der Regierungsbildung, im Vordergrund, zu deren Verwirklichung neben anderen Dingen auch die Aufstel
lung eines polnischen Heeres gehörte. Gerade das also, was fü r die eine Seite Zweck war, betrachtete die andere Seite nur als ein M it
tel fü r ihren eigenen Zweck und die Eile, m it welcher die beiden Erlasse des Warschauer Generalgouverneurs über die Bildung eines Freiwilligen-Heeres und die Errichtung des Einstweiligen Staats
rats einander gefolgt waren, schien den Polen ein Beweis dafür, wie nötig man ihre M itarbeit gebrauchte. Diese, den eigentlichen Ab
sichten Beselers völlig entgegengesetzte Einstellung der Mitglieder des Staatsrats hatte aber noch einen anderen Grund. Je kleiner die Kreise waren, welche sich fü r die M itarbeit in dem Staatsrat be
reit erklärt hatten und je eifrig er die Opposition arbeitete, um so mehr mußte dem Staatsrat selbst daran liegen, auf irgendwelche politischen Erfolge hinweisen zu können, er mußte in der Lage sein, der Öffentlichkeit gegenüber zu zeigen, daß er in der Tat eine polnische Regierung m it bestimmten, wenn auch durch die Not
wendigkeiten des Krieges beschränkten Befugnissen sei, gerade da
zu aber konnten und wollten sich die Besatzungsmächte nicht ent
schließen, und so ist denn die ganze A rbeit des Staatsrats von An
fang an eigentlich nur ein unerquicklicher und unfruchtbarer Kampf
um die Erweiterung seiner politischen Befugnisse und ein ununter
brochenes Lavieren zwischen dem Bestreben, die öffentliche Mei
nung zu beruhigen und fü r sich zu gewinnen, und dem Verlangen, es m it den Besatzungsbehörden nicht zu verderben und durch einen solchen Mißerfolg den Gegnern nicht neues Wasser auf ihre Mühlen zu geben.
M it aller Deutlichkeit zeigt sich dieses „Hinken auf beiden Seiten“ nach dem Ausbruch der ersten russischen Revolution, als die russische Regierung in einer Kundgebung an das polnische Volk am 29. März erklärt hatte, daß sie die Errichtung eines unabhän
gigen polnischen Staats, der aus denjenigen Gebieten bestehen solle, in denen Polen die Mehrzahl bilden, als berechtigt anerkenne, denn gerade durch diese Kundgebung hatte die Opposition neuen A uftrieb erhalten. Gewiß, so erklärte man in diesen Kreisen, soll der neue polnische Staat durch eine M ilitärunion m it Rußland ver
bunden werden, — gewiß wird die Festsetzung der zukünftigen pol
nischen Grenzen wesentlich in russischen Händen liegen, aber die neue russische Regierung zeigt wenigstens, daß es ih r Ernst um die Verwirklichung ihrer Zusagen ist, denn sie hat sofort eine be
sondere Liquidationskommission fü r die Angelegenheiten des König
reichs unter dem Vorsitz eines Polen gebildet. Und m it welchen E r
folgen kann der Staatsrat aufwarten? Alles das, was die Zentral
mächte am 5. November versprochen haben, ist bis jetzt nur Ver
sprechen geblieben, und fü r ein solches unerfülltes Versprechen soll man den polnischen Soldaten hingeben? Aus einem solchen Dilemma, es m it keiner Seite zu verderben, sind die Beschlüsse zu verstehen, welche der Staatsrat unmittelbar nach der russischen Kundgebung, nämlich am 6. A pril, gefaßt hat, sie wollen dem deut
schen Kaiser geben, was des Kaisers ist, und der Opposition im Lande, was diese verlangt. So kommt auf Wunsch Beselers und unter seiner Zustimmung zunächst die Antwort auf die Kundgebung der russischen Regierung zustande, sie ist kühl ablehnend. Die histo
rische Notwendigkeit, die polnische Frage durch die Schaffung eines polnischen Staates zu lösen, so erklärt sie, hätten die Regierungen der Zentralmächte als die ersten erkannt und durch den A k t vom 5. November 1916 einen polnischen Staat proklamiert, dessen Gren
zen allerdings noch nicht festgelegt seien. Auch die einstweilige russische Regierung gestehe den Polen zwar die Schaffung eines unabhängigen Staates zu, aber sie biete ihnen Länder an, über welche sie kein Verfügungsrecht habe und sie fordere außerdem ein Militärbündnis m it Polen. Alle Bedingungen aber, welche dem neuen polnischen Staat unter dem Druck irgendeines Zwanges auf
erlegt werden sollen, seien eine Einschränkung der Unabhängigkeit und m it der Ehre eines freien Volkes unvereinbar. „ M it dem russi
schen Staat“ , so heißt es zum Schluß, „wollen w ir in Zukunft gute
nachbarliche Beziehungen unterhalten, w ir müssen uns aber da
gegen verwahren, daß man uns dazu bewegen will, Krieg gegen die Zentralmächte zu führen, deren Monarchen unsere Unabhängigkeit garantiert haben“ 177).
Dann aber kommt die Kehrseite der Medaille in dem Beschluß, der an die Adresse dieser Zentralmächte gerichtet ist. Man fordert kategorisch die Ausdehnung der Regierungsbefugnisse des Staats
rats auf das Gebiet des ganzen Königreichs und diejenigen Teile Litauens, in denen es die militärischen Verhältnisse gestatten, man verlangt Einführung einer polnischen Verwaltung, Zuerkennung von internationalen Rechten (Entsendung von Gesandten), und die Be
rufung eines Regenten durch die Zentralmächte im Einvernehmen m it dem Staatsrat. Die Begründung dieser Forderungen läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Im ganzen Land hat sich die Überzeugung befestigt, daß sich in Polen seit dem historischen A k t vom 5. November nichts geändert hat und daß der Staatsrat nicht in der Lage ist, die erwartete Veränderung durchzuführen.
Das Vertrauen, welches die oberste staatliche Behörde Polens zu
nächst erweckte, ist erschüttert und der Staatsrat hat heute nur zwei Möglichkeiten, entweder er verliert den E influß auf das Volk völlig und damit zugleich auch den Rest seines einstigen Ansehens, oder er hebt seine Bedeutung und gibt unzweideutige Beweise da
fü r, daß er in dem Leben Polens etwas bedeutet und daß er, seinem Versprechen gemäß, einen wirklichen Einfluß auf das Leben des Volkes ausübt. Der Staatsrat versteht sehr wohl die kriegerischen Notwendigkeiten, aber er sieht keinen Grund, warum er nicht die
jenigen Verwaltungszweige in seine Hand nehmen soll, welche den Bedürfnissen des gegenwärtigen Krieges nicht unmittelbar dienen“ 178).
Die Zentralmächte zeigten jedoch durchaus keine Eile, die For
derungen des Staatsrats zu erfüllen, denn auch fü r sie hatte die russische Revolution eine Änderung der Lage gebracht. Man war überzeugt, daß das revolutionäre Rußland sich in der polnischen Frage durchaus nicht zu weit festlegen würde, und darum zögerte man, die von den Polen verlangten Konzessionen nach Möglichkeit hinaus, besonders, da es sich dabei um eine Frage handelte, die, wie w ir sehen werden, gerade in dieser Zeit wieder den Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Zentralmächten bildete, nämlich die Frage nach dem zukünftigen Regenten. Filasiewicz hat hier nicht Unrecht, wenn er schreibt: „M it dem Augenblick, in welchem die russische Kundgebung erschien, verlor die polnische Armee fü r die Besatzungsmächte ihren hauptsächlichen Wert, verloren aber auch die Aktivisten alle Hoffnungen, die sie so lange bei ihren poli
tischen Rechnungen auf die Legionen gesetzt hatten, denn welchen Wert konnte eine polnische Armee sowohl fü r Deutschland, wie
fü r Österreich haben, die man auf keinem Kriegsschauplatz verwen
den konnte, sondern die nur bereit war, die polnischen Grenzen zu verteidigen, die überhaupt noch nicht festgelegt waren“ ?
Der Staatsrat jedoch war nicht gesonnen, ein derartiges Hin
auszögern noch länger stillschweigend hinzunehmen, er stellte des
halb am 1. Mai den Zentralmächten ein Ultimatum und drohte m it der Einstellung seiner Arbeit, wenn er auf seine Forderungen vom 6. A p ril nicht in kürzester Zeit Antw ort erhalte. Gleichzeitig er
weiterte er die am 6. A p ril gestellten Forderungen dadurch, daß er jetzt auch die sofortige Bildung einer polnischen Regierung ver
langte und seine Wünsche genau formulierte, soweit sie die Person des Regenten betrafen. Dieser sollte katholisch und der polnischen Sprache mächtig sein, er sollte entweder aus Polen selbst oder aus einem m it ihm verbündeten Lande stammen, und er sollte einer regierenden Dynastie angehören. Schon in dieser Sitzung hatte Tilsudski beantragt, daß die Mitglieder zum Zeichen des Protestes gegen die Nichtachtung ihrer Wünsche durch die Zentralmächte ge
schlossen ihre Mandate niederlegen sollten, der Antrag war jedoch nach recht lebhafter Debatte abgelehnt worden, angeblich, weil man kein Vacuum eintreten lassen wollte, in W irklichkeit aber wóhl des
halb, weil man das völlige Fehlschlagen der auf den Staatsrat von den Aktivisten gesetzten Hoffnungen nicht öffentlich kundgeben wollte. Jetzt aber begannen auch diejenigen politischen Parteien, welche so lange zu einer Unterstützung des Staatsrats bereit gewesen waren, ihre Haltung zu ändern und in Opposition zu treten. Eine am 2. und 3. Mai in Warschau tagende und von etwa 150 Vertretern aus dem ganzen Lande beschickte Versammlung der „Rada Narodowa“
ging scharf m it ihm ins Gericht, man erklärte sein weiteres Be
stehen im Interesse Polens fü r schädlich, und man wendete sich vor allem gegen den von ihm gemachten Vorschlag, einen Regenten und eine Regierung durch die Zentralmächte ernennen zu lassen, weil nur eine aus der M itte des Volkes gebildete und ihm gegenüber verant
wortliche Regierung den berechtigten Forderungen des polnischen Volkes genügen könne. Von Berlin aus suchte man zu beschwichtigen, am 7. Mai erklärte Helfferich im deutschen Reichstag, daß die Un
geduld der Polen gegenüber dem Staatsrat und der Vorwurf, daß der Aufbau des Staatswesens zu langsam vor sich gehe, begreiflich sei, aber, abgesehen von den Kriegsinteressen, mache die große Zersplit
terung Polens auf den Gebieten der Konfessionen, Nationalitäten und Parteien in Verbindung m it dem völligen Mangel an geschulten pol
nischen Beamten, die erst herangebildet und einstweilen durch deut
sche Beamte ersetzt werden müßten, diese Aufgabe doppelt schwie
rig. Am 15. Mai suchte der Vertreter Österreichs im Staatsrat, Baron Konopka, darzulegen, warum sich die Antwort so lange verzögere, man wollte sich jetzt nicht mehr länger hinhalten lassen und beschloß
deshalb am 17. Mai, die Arbeiten bis zum Empfang einer Antwort von den Zentralmächten zu unterbrechen. Endlich, am 8. Juni, erging die Antwort. Die Zentralmächte billigten den Wunsch nach Ein
setzung eines Regenten, erklärten jedoch, ihn erst dann erfüllen zu können, wenn die Voraussetzungen fü r eine gedeihliche Tätigkeit des Regenten gegeben wären, sie erwarteten deshalb, daß der Staats
rat in möglichst kurzer Zeit seine vorbereitenden Arbeiten fü r eine Verfassungs- und Verwaltungsorganisation des Königreichs Polen beenden würde, und sie erbaten Vorschläge darüber, in welcher A rt und in welchem Umfang die Übergabe der einzelnen Verwaltungs
zweige an die polnischen Behörden erfolgen könne und wie man die Kosten decken wolle, dabei dürfe jedoch die den Besatzungsmächten völkerrechtlich zustehende Stellung in keinem Fall beeinträchtigt werden. Endlich wurde der Staatsrat aufgefordert, eine Persönlich
keit vorzuschlagen, welche bis zur Bestellung eines Regenten die oberste Leitung aller dem polnischen Staat übergebenen Verwal
tungszweige übernehmen könne. Die Antwort löste unter den M it
gliedern der Linken einen Sturm der Entrüstung aus, ein Teil von ihnen legte die Mandate nieder, Sliwinski begründete die Nieder
legung m it den Worten: .,Wir sollten den polnischen Staat repräsen
tieren, und w ir haben die polnische Ohnmacht repräsentiert.“ Und doch versuchte das noch verbliebene Rumpfparlament nochmals, irgend ein positives Ergebnis zu erreichen, am 12. Juni beschloß man, die Erklärungen der Zentralmächte vom 8. Juni als Ausgangs
punkt fü r weitere Verhandlungen zu nehmen und eine Kommission zur Ausarbeitung eines Projekts fü r die Organisation der öffent
lichen Behörden zu wählen; — es war jedoch zu spät, denn in
zwischen war ein zweiter, ungleich schärferer K onflikt entstanden, der jetzt in schnellem Tempo zu dem endgültigen Bruch zwischen der deutschen Besatzungsbehörde und dem Staatsrat führte, nämlich die Frage nach der Organisation und der Vereidigung des neuen polnischen Heeres.
W ir wissen, daß Beseler trotz seines Mißtrauens gegen die Le
gionen sich doch damit einverstanden erklären mußte, sie als Grund
formationen fü r die neue „Polnische Wehrmacht“ zu verwenden und daß er dem Staatsrat in Aussicht gestellt hatte, der österreichische Kaiser würde diese Truppen in kürzester F ris t nach dem Königreich überweisen, darauf aber wartete man vergeblich, denn Karl von Habsburg sträubte sich so lange wie möglich dagegen, den letzten Trumpf, den er noch fü r eine im Interesse Österreichs liegende Lösung der polnischen Frage zu haben glaubte, ohne weiteres aus den Händen zu geben, und erst nach wiederholtem Drängen Deutsch
lands erfolgte am 10. A p ril diese Überweisung, aber nicht, wie man in polnischen Kreisen allgemein geglaubt hatte, an den Staatsrat, sondern an den deutschen Generalgouverneur. Trotzdem entschloß
sich der Staatsrat dazu, am 24. A p ril den Werbeaufruf zur Meldung von Freiwilligen zu beschließen, der jetzt aber von Beseler zurück
gehalten wurde und erst im Mai, zugleich m it dem Befehl zur Muste
rung derjenigen Freiwilligen, die sich schon gemeldet hatten, ver
öffentlicht wurde. Der Erfolg war kläglich. Seyda nennt als Ergeb
nis der Werbung bis zum Juli 1917 die Zahl von 2000 Freiwilligen, denen ein von Sikorski geleiteter Werbeapparat von 2530 Mann gegenüberstand, darunter 179 Offiziere und 943 Unteroffiziere170), Beseler verfügte deshalb auch schon am 16. Juli wieder die Schlie
ßung sämtlicher Werbebüros und die Auflösung der gesamten Orga
nisation unter Zurückbehaltung von 35 Offizieren, 35 Unteroffizieren und 50 Mannschaften, um die Freiwilligen, welche sich bisher gemeldet hatten, in Empfang zu nehmen. Die Gründe auch fü r diesen völligen Mißerfolg in der Heeresfrage sind nicht weit zu suchen. Die H o ff
nungen, welche man auf den Staatsrat gesetzt hatte, waren ent
täuscht, die Ansichten im Staatsrat selbst geteilt, während sich die einen bedingungslos fü r die Rekrutierung einsetzten, machten die andern, und unter ihnen besonders Pilsudski, ihre Zustimmung da
von abhängig, daß das neue Heer nur einer polnischen Behörde unterstellt werden dürfe, und dazu kam die russische Revolution und die Kundgebung der Revolutionsregierung, die allem Kampf m it Rußland ein Ende zu machen schien und die polnischen Bestrebungen nach Unabhängigkeit nach einer ganz andern Richtung lenkte, näm
lich gegen Deutschland. Endlich aber darf man den ungeheuren Ein
fluß nicht unterschätzen, den Pildudski selbst durch die ihm unter
stehende P.O.W. auf diesen Gang der Entwicklung ausgeübt hat:
„Die P.O.W.“ , so schreibt er, „stand unter meinem ausdrücklichen Befehl und hatte an ihrer Spitze Offiziere der ersten Brigade, die ich persönlich fü r diesen Zweck nach Warschau abkommandiert hatte.
Es konnte also überhaupt keine Rede davon sein, daß etwa die P.O.W., die eigentlich nur eine Ausdehnung der ersten Brigade auf das Königreich war, etwas ohne meinen ausdrücklichen Befehl hätte tun können. In W irklichkeit war ich wesentlich scharfsichtiger, als die Herren des Staatsrats, ich wünschte keine Veränderung der Le
gionen, so lange es nicht klar war, in welcher Form diese durch
geführt werden sollte. Ich wußte aus dem Verhalten des Herrn Bese
ler und des Obersten Paic, der damals Vertreter der österreichisch
ungarischen Armee in Warschau war, daß beide Armeen dringend eine starke Vergrößerung der Legionen wünschten. . . .“ „Die P.O.W. konnte niemals die Kader einer zukünftigen polnischen Armee bilden, und deshalb konnte ich auch nicht so naiv sein, gerade die P.O.W. in die Hände des Staatsrats zu geben, erstens, weil sich die P.O.W. niemals einverstanden erklärt hätte, zweitens, weil der Staatsrat ebenso, wie einst das Oberste Komite, alles das, was so
wohl an P.O.W., wie auch an Legionen vorhanden war, sofort wieder
fü r kleine Vorteile verkauft hätte. Mein Standpunkt, den ich Herrn Beseler wiederholt dargelegt habe, war immer derselbe, daß nämlich eine Werbung erst dann m it Aussicht auf E rfolg einsetzen könne, wenn das Verhältnis der Zentralmächte zu dem polnischen Heer un
verrückbar festgelegt wäre. Und wenn die Österreicher diesen Vor
schlag nicht annehmen konnten, dann konnten es die Deutschen erst recht nicht, weil die Einstellung der Bevölkerung ihnen gegenüber noch schlechter war als gegenüber den Österreichern. Statt dessen handelten die Militärbehörden ununterbrochen m it m ir um die P.O.W., ich aber erklärte, daß die von den Deutschen noch ver
schärften Methoden derartige seien, daß ich dauernd den Eindruck hätte, als ob man absichtlich alles tue, um die Aufstellung eines pol
nischen Heeres nach Möglichkeit zu hindern“ 180).
In der Tat erwecken manche Maßnahmen Beselers in dieser Zeit den Eindruck, als ob er das Bestreben gehabt habe, die polnischen Legionen teils zu zerschlagen, teils sich ihrer so schnell wie möglich wieder zu entledigen, nachdem die Hoffnungen, die man auf die pol
nische Bereitwilligkeit zur Aufstellung eines Heeres gesetzt hatte, so schnell und gründlich enttäuscht worden waren. Um diejenigen Mannschaften, welche die Grundformationen der neuen „Polnischen Wehrmacht“ bilden sollten, dem österreichischen E influß nach Mög
lichkeit zu entziehen, war man in der bei dem deutschen General
gouvernement eingerichteten „Abteilung fü r Polnische Wehrmacht auf den Gedanken gekommen, innerhalb der bisherigen Legionen eine Trennung zwischen „Galiziern“ und „Nationalpolen“ , d. h, den im Königreich geborenen Polen vorzunehmen, die „Galizier“ blieben in den bisherigen Legionsverbänden unter dem Kommando der Le
gionen und österreichischer Offiziere, während die „Nationalpolen“
in besondere Abteilungen zusammengefaßt wurden, fü r welche auch besondere Ausbildungskurse unter Leitung deutscher Offiziere ein
gerichtet wurden. Gleichzeitig nahm man auch eine Teilung der bis
her einheitlichen militärischen Gerichtsbarkeit vor und unterstellte die Mannschaften der Polnischen Wehrmacht der deutschen Gerichts
her einheitlichen militärischen Gerichtsbarkeit vor und unterstellte die Mannschaften der Polnischen Wehrmacht der deutschen Gerichts