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Die politische Verlagerung der polnischen Frage

Teil I I I

5. Die politische Verlagerung der polnischen Frage

Der A kt vom 5. November hatte, wie w ir gesehen haben, in Rußland nur ein schwaches Echo gefunden und die Besorgnis der übrigen Entente-Mächte, daß der russische Verbündete aus der Reihe tanzen könnte, war trotz des Armeebefehls des Zaren vom 25. Dezember 1916 durchaus nicht geringer geworden. Die russische Diplomatie aber war sich dieser Stärke ihrer Stellung nach wie vor bewußt und benutzte sie in geschickter Weise bis zum letzten Augenblick dazu, um von den Verbündeten immer neue Zusicherun­

gen zu erhalten. Am 6. November hatte der Zar dem englischen Botschafter erklärt, daß die Deutschen ihm Konstantinopel angeboten hätten, — es war also, wie Askenazy bemerkt, dieselbe Lage ent­

standen, wie z. Zt. Alexanders III., als man in Petersburg m it der Behauptung gearbeitet hatte, daß nur Deutschland allein im Stande sei, den Russen Konstantinopel zu verschaffen, weil es nur die Türken ihrem Schicksal zu überlassen brauche, wenn Rußland sich bereit erkläre, sofort den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Unter solchen Auspicien tra t Ende Januar 1917 in Petersburg die regel­

mäßige interalliierte Konferenz zusammen, in deren Verlauf der erste Delegierte Frankreichs, Doumergue, dem Zaren bei einer Audienz am 3. Februar die Wünsche Frankreichs fü r eine kommende Friedenskonferenz unterbreitete. Frankreich verlangte das Einver­

ständnis Rußlands m it der Abtretung und Einverleibung Elsaß- Lothringens und des Saargebiets, sowie m it der Besetzung und Ab­

trennung des linksrheinischen Gebiets und Doumergue erhielt fü r diese Forderungen auch die grundsätzliche Zustimmung des Zaren.

Während der Verhandlungen machte Sasanow, der inzwischen Bot­

schafter in London geworden war und als solcher an der Konferenz teilnahm, den russischen Außenminister Pokrowski auf die In ­ struktion aufmerksam, die er am 8. März 1916 dem russischen Bot­

schafter Iswolski in Paris erteilt hatte und schlug vor, als Gegen­

leistung von Frankreich zu fordern, daß es schon jetzt Rußland fo r­

mell das ausschließliche Recht zugestehe, seine Grenzen gegen Deutschland und Österreich nach eigenem Ermessen festzusetzen.

Pokrowski besprach die Angelegenheit m it Doumergue und Palé- ologue, die beide unter dem Eindruck der tatsächlich gefährlichen Petersburger Stimmung und der unbestimmten Haltung des Zaren standen, und schickte am 12. Februar ein Telegramm an Iwolski, in welchem er diesem empfahl, unter Berufung auf die Instruktion

Sasanow’s Herrn Briand als Bedingung fü r die Annahme der links­

rheinischen Wünsche Frankreichs durch Rußland die Forderung zu stellen, daß Frankreich dem russischen Verbündeten bei der Fest­

setzung seiner Grenzen gegen Deutschland und Österreich völlig freie Hand lasse. Schon am 13. Februar konnte Iswolski telegra­

phieren, daß die französische Regierung auf diese Bedingung ein­

gehe, und am 14. Februar übergab Paléologue in Petersburg an Pokrowski eine Note, in welcher die vier linksrheinischen Wünsche genau präzisiert waren, worauf er noch an demselben Tag von Pokrowski die Antwort erhielt, daß die französische Regierung

„peut compter sur l’appui du gouvernement impérial pour la réali­

sation de ses desseins.“ Nach der Rückkehr Doumergue’s aus Petersburg bestätigte Briand in einer Note an Iswolski am 11. März nochmals das Einverständnis Frankreichs m it der Annexion Kon­

stantinopels und der Dardanellen durch Rußland und nahm gleich­

zeitig die neue, von Rußland gestellte Bedingung an, Frankreich reconnaît à la Russie la complète liberté de fix e r à son gré ses fron­

tières occidentales“ 182).

Diese Note tra f in Petersburg am 12. März ein, sie kam also nicht mehr in die Hände Pokrowski’s, sondern in die des Außen­

ministers der ersten Revolutionsregierung, Miljukow, der als ent­

schiedener Gegner der Idee eines unabhängigen polnischen Staates galt und nur bereit war, den Polen eine auf ethnographisches Ge­

biet beschränkte Autonomie zu gewähren. Wenn sich die russische Regierung dann doch zu der Kundgebung an das polnische Volk vom 29. März entschlossen hat, dann ist das unter einem doppelten Druck geschehen, nämlich unter dem Druck der Konkurrenz des Petersburger Arbeiter- und Soldatenrats, der schon am 27. März in einem A u fru f an das polnische Volk diesem die volle Unabhängigkeit versprochen hatte und hinter welchem die Regierung der Kadetten nicht Zurückbleiben durfte, und vor allen Dingen unter dem Druck Englands. Dmowski schildert die stark pessimistische Stimmung, die in den Kreisen der Lausanner Agentur in Folge der russischen Re­

volution herrschte, weil man dort einen „paix blanche“ fürchtete, denn „Außenminister in Rußland war Miljukow geworden, der in der polnischen Frage den Standpunkt der früheren Regierung teilte, nämlich eine Autonomie fü r das Königreich, aber so, daß das liberale Rußland dem autonomen Polen befehlen sollte, wie es sich zu regie­

ren hätte. Miljukow war sogar fähig, der ganzen Welt zu verkünden, daß über die Zukunft Polens nach dem Krieg entweder die Duma oder eine russische Konstituante entscheiden würde. Man kann sich vorstellen, welche W irkung das in ganz Polen gehabt hätte und wie es den Deutschen gelegen gekommen wäre“ 183). Aus solchen Be­

fürchtungen heraus hatte Dmowski am 25. März eine Unterredung m it Balfour, in welcher er auf die Gefahr hinwies und eine ge­

meinsame Erklärung der A lliierten zu Gunsten eines vereinigten und unabhängigen polnischen Staates anregte. Balfour ließ durch den Petersburger Botschafter sondieren, erhielt aber eine ableh­

nende Antwort, weil die Gefahr bestehe, daß ein unabhängiges Polen sich an die Seite Deutschlands stelle und weil keine Sicherheit dafür vorhanden wäre, daß dieses neue Polen später nicht etwa An­

sprüche auf rein russische Gebiete erhebe. Erst auf einen noch­

maligen starken Druck des englischen Botschafters Buchanan, der gerade zu der Partei der Kadetten besonders gute Beziehungen hatte, entschloß sich die Regierung des Fürsten Lwow zu der Kund­

gebung vom 29. März. „So erreichte es die vereinigte Tätigkeit der polnischen Vertretung in Rußland und der polnischen Politiker in Westeuropa, energisch unterstützt durch die englische Regierung, dem revolutionären Rußland als Antwort auf den österreichisch­

deutschen A k t vom 5. November die Kundgebung der Einstweiligen Regierung vom 29. März zu entreißen. W ir sagen „entreißen“ , denn die ersten nach dieser Richtung hin unternommenen Versuche stießen auf den unbedingten Widerstand des neuen Außenministers M iljukow“ 184). In den Kreisen der A lliierten aber beeilte man sich, der neuen russischen Regierung fü r ihre Bereitwilligkeit, den Krieg fortzusetzen, zu danken, am 4. A p ril ergingen von London, Paris und Rom aus übereinstimmende Telegramme und am 15. A p ril be­

tonte man in einer gemeinsamen Erklärung die wiederhergestellte völlige Einm ütigkeit der Entente.

Von diesem Druck Englands wußte man in Polen nichts, man erblickte in dem A u fru f vielmehr eine spontane Willensäußerung des neuen Rußland und ein Echo auf die Botschaft Wilsons vom 23.

Januar, in welcher er ebenfalls von einem „united, independent and autonomous Poland“ gesprochen hatte, deshalb aber w irkte die Kund­

gebung auch auf die Polen so alarmierend. Wenn die Kreise des Petersburger Polnischen Nationalkomites so lange immer wieder auf die Empfindlichkeit Rußlands in der polnischen Frage hatten Rück­

sicht nehmen müssen, dann brauchte man sich einen solchen Zwang jetzt nicht mehr aufzulegen, und der A u fru f, m it welchem das Komite am 18. A p ril an die Öffentlichkeit trat, zeigt die veränderte Lage m it aller Deutlichkeit. Die Unabhängigkeit Polens, so er­

klärte man, sei nunmehr von drei Seiten öffentlich anerkannt worden, nämlich von den Zentralmächten, von Wilson und von der russischen Regierung, dadurch aber sei die Lösung der polnischen Frage nicht nur eine Forderung der Gerechtigkeit gegenüber dem polnischen Volk geworden, sondern sie liege von jetzt ab auch im öffentlichen Weltinteresse. Man dürfe sich deshalb auch nicht mehr m it irgend welchen halben Maßnahmen begnügen oder etwa das, was heute schon durchaus spruchreif sei, erst einer kommenden Zeit überlassen, sondern man müsse sofort handeln. Für eine solche ge­

steigerte A k tiv itä t aber schien sich gerade damals eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten, denn bei dem Zerfall der russischen Heeresformationen, wie er im Gefolge der Revolution sich sehr bald zeigte, hatten auch die zahlreichen, in den russischen Heeren dienenden polnischen Soldaten die Gelegenheit benutzt und sich zu einem besondern Polnischen Soldatenbund zusammengeschlossen.

M it diesem nahmen die in dem Nationalkomite vereinigten passi- vistischen Kreise sofort Fühlung, um aus diesen Mannschaften ein eigenes polnisches Heer zu bilden und m it ihm an der Seite Rußlands im Kampf gegen die Zentralmächte das Königreich wieder zu er­

obern, denn die neue russische Regierung hatte in ihrem A u fru f aus­

drücklich erklärt, daß sie dem Bündnis m it den Alliierten treu bleiben werde und hatte die Polen zum Kampf um die gemeinsame Freiheit aufgerufen.

Eine ganz andere Wirkung wiederum hatte die russische Revo­

lution auf die Kreise der polnischen Sozialdemokraten nicht nur in Rußland selbst, sondern auch in dem Königreich, sie begrüßten so­

wohl den A u fru f des Petersburger Arbeiter- und Soldatenrats, wie auch die Kundgebung der Revolutionsregierung m it besonderer Freude, weil sie in ihnen den Beweis dafür sahen, daß Rußland jetzt das Programm aufgenommen hatte, fü r welches gerade die pol­

nischen Sozialisten so lange vergeblich gekämpft hatten, aber sie forderten, daß sich ihre Vertreter so schnell wie möglich m it den Russen auf dem neutralen Boden Schwedens treffen und über ein neues Bündnis zwischen den beiden Ländern verhandeln sollten. In Frankreich und England erkannte man die darin liegende Gefahr und sperrte die Grenzen gegen die russische Propaganda, während sie in die deutschen und österreichischen Heere eindringen und ihre Zersetzungsarbeit treiben konnte.

Die Vorgänge in Rußland alarmierten aber auch die polnischen Aktivisten, nur daß man in diesen Kreisen den russischen Verhei­

ßungen gegenüber vorsichtiger war, weil man wußte, daß diese Ver­

sprechungen gar nicht e rfü llt werden konnten, solange die Alliierten nicht einen w irklich entscheidenden Sieg über die Zentralmächte da­

vongetragen hätten, gerade das aber erschien bei der damaligen m ili­

tärischen Lage unmöglich. In diesen Kreisen rechnete man vielmehr damit, daß der Krieg schließlich im günstigsten Fall eine „partie remise“ werden könnte und daß die Westmächte dann, wie sie es im Lauf der Geschichte schon öfters getan hätten, die polnische Frage rücksichtslos wieder ihren eigenen Interessen opfern würden. „Die Wiederherstellung eines unabhängigen und vereinigten Polen war fü r keinen der A lliierten ein Kriegsziel und bildete, wenigstens in jener Zeit, auch fü r keinen von ihnen eine unerläßliche Bedingung fü r die Sicherheit Europas nach dem Kriege. Man mußte also befürch­

ten, daß im Fall eines unsichere Sieges jeder von ihnen nur darauf bedacht sein würde, sich die Verwirklichung seiner eigenen Kriegs­

ziele zu sichern. England würde die Vorherrschaft zur See und das koloniale Empire suchen, Frankreich Elsaß-Lothringen, den Wieder­

aufbau der verwüsteten Provinzen und die Garantie der russischen H ilfe gegen etwaige Revanchegelüste Deutschlands, Italien seine Irredenta, Rußland viel mehr Konstantinopel und die Dardanellen, als die Befreiung Polens. Konnte man unter solchen Umständen er­

warten, daß das Ansehen der Vereinigten Staaten, die als uninter­

essierte Verteidiger der Gerechtigkeit galten, allein ausreichen würde, um die Zentralmächte zu einer Regelung der polnischen Frage in weiterem Umfang zu zwingen? Noch ungünstiger sah die Zukunft aus im Fall einer unentschiedenen Partie. Und die Sieges­

aussichten waren unsicher. Die Erfolge der alliierten Heere an der Westfront, die ein Ergebnis des deutschen Rückzugs vor St. Quentin waren, sie waren zweifellos wertvoll, aber keinesfalls entscheidend.

Die deutschen Heere reagierten sehr stark. Die italienischen Erfolge waren ebenfalls nur Teilerfolge, der seit Ende Januar besonders heftig geführte U-Boot-Krieg brachte den Deutschen, trotz allem, eindrucksvolle Ergebnisse, die im gegebenen Augenblick anscheinend ausreichen würden, um das tatsächliche Eingreifen der Vereinigten Staaten unmöglich zu machen“ 185). Aus solchen sehr nüchternen Über­

legungen heraus zogen die Aktivisten die Folgerung, daß man unter den gegebenen Verhältnissen m it verstärkter K ra ft daran arbeiten müsse, so schnell wie möglich vollendete Tatsachen, nämlich eine polnische Regierung und ein polnisches Heer zu schaffen, um auf alle Fälle gesichert zu sein. Wenn nämlich die A lliierten wider E r­

warten doch noch siegen sollten, dann würden sie einen schon im Aufbau begriffenen polnischen Staat schließlich doch anerkennen müssen, weil man eine vorhandene polnische Regierung nicht ohne weiteres wieder beseitigen und ein schon bestehendes polnisches Heer nicht wieder zerschlagen konnte, ohne damit Deutschland in die Hände zu arbeiten, wenn es aber zu einem deutsch-österreichisch­

russischen Sonderfrieden kommen sollte, dann würde die Tatsache, daß die Anfänge eines polnischen Staates schon vorhanden waren, erst recht eine Garantie dafür sein, daß die am 5. November 1916 gegebenen feierlichen Versprechungen der Zentralmächte nicht wieder zurückgezogen werden konnten180). Die Möglichkeit eines solchen Sonderfriedens aber war gerade damals durchaus vorhanden.

Filasiewicz gibt den Wortlaut eines Telegramms wieder, welches das Mitglied des Schweizer Bundesrats, Hoffmann, am 3. Juni 1917 an den Schweizer Staatsrat Grimm sandte, der sich zu jener Zeit in Moskau aufhielt: „Es wird von Deutschland keine Offensive unter­

nommen werden, so lange m it Rußland gütliche Einigung möglich erscheint. Aus wiederholten Besprechungen m it prominenten Per­

sönlichkeiten bin ich überzeugt, daß Deutschland einen fü r beide Teile vorteilhaften Frieden anstrebt m it künftigen regen Handels­

und Wirtschaftsbeziehungen und finanzieller Unterstützung fü r den Wiederaufbau Rußlands. Nichteinmischung in Rußlands innere Ver­

hältnisse, freundschaftliche Verständigung über Polen, Litauen, K ur­

land unter Berücksichtigung ihrer völkischen Eigenart. Rückgabe besetzten Gebiets gegen Rückgabe von Rußland besetzten Gebiets an Österreich. Bin überzeugt, daß Deutschland und seine Verbündeten auf den Wunsch von Rußlands Verbündeten sofort in Friedensver­

handlungen eintreten würden“ 187). A u f diesem politischen H inter­

grund erst gewinnen die Beschlüsse des Einstweiligen Staatsrats vom 6. A p ril ihre Bedeutung. Sie betonen Rußland gegenüber die un­

bedingte Neutralität des polnischen Staates und sie drängen die Zentralmächte zur beschleunigten Errichtung eines solchen Staates, zur Bildung einer polnischen Regierung und zur Bestellung eines Regenten. Von hier aus versteht man auch erst den Beschluß vom 26. A pril, trotz aller Bedenken doch den Werbeaufruf zu erlassen,—

man wollte vollzogene Tatsachen schaffen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben.

So hatte also die russische Revolution die politischen Kämpfe unter den Polen selbst nur noch verschärft, diese Kämpfe aber gingen zunächst um die Aufstellung eines polnischen Heeres in Ruß­

land. Wenn es den Passivisten wirklich gelingen sollte, wie sie be­

absichtigten, ein eigenes polnisches Heer aufzustellen und m it ihm an der Seite Rußlands gegen die Zentralmächte zu kämpfen, dann war die von den Aktivisten propagierte P olitik eines neutralen pol­

nischen Staates unmöglich geworden, ein solches Heer durfte also nicht entstehen. In dieser Ablehnung eines besondern polnischen Heeres aber begegneten sich die polnischen Aktivisten m it den russi­

schen Demokraten, wenn diese auch aus ganz andern Gründen einen derartigen Gedanken bekämpften. A u f der großen Vertretertagung des Polnischen Soldatenbundes am 7. Juni kam der Kampf zur Ent­

scheidung. Nach heftigen Debatten verließen die Demokraten und Sozialisten die Versammlung und die Nationaldemokraten beschlos­

sen die Ausgliederung der polnischen Soldaten aus den russischen Heeren und die Bildung besonderer polnischer Formationen. Zwar widersetzte sich Kerenski der Durchführung dieses Beschlusses ent­

schieden, weil die auf diese Weise ausgegliederten Soldaten der revo­

lutionären Regierung in ihrem Kampf fü r die Revolution verloren gingen, schließlich aber willigte das russische Heereskommando doch in die Bildung besonderer polnischer Korps und ernannte den Ge­

neral Dowbor-Musnicki zu ihrem Befehlshaber. Irgend welche Rolle in dem Krieg haben diese Truppen jedoch niemals gespielt, sie haben sich später kampflos von den Deutschen entwaffnen lassen. Der

Einstweilige Staatsrat aber betonte auch in diesem Fall seine unbe­

dingte Neutralität, und zwar dies Mal in seiner Eigenschaft als pol­

nische Regierung, er faßte am 14. Juni den schon erwähnten Be­

schluß, daß alle etwa im Ausland gebildeten polnischen Truppen­

formationen keinen politischen Charakter tragen und in dem gegen­

wärtigen Krieg nicht mehr eingesetzt werden dürften, weil dadurch seine eigenen politischen Kreise empfindlich gestört worden wären.

Noch stärker waren die Wirkungen, welche die Vorgänge in Rußland auf die österreichischen Polen ausübten, denn hier führten sie zu einem fast völligen Frontwechsel, der allerdings zum größten Teil eine Folge der Haltung war, welche die österreichische Regie­

rung während dieser Zeit in der polnischen Frage einnahm. Für den Nachfolger Franz Josefs sowohl, wie auch fü r seinen außenpoliti­

schen Ratgeber, Czernin, war die polnische Frage nur noch ein M ittel zum Zweck, sei es, daß sie Deutschland gegenüber als Handels­

objekt dienen sollte, um dieses zur Abtretung von Elsaß-Lothringen an Frankreich zu veranlassen und dadurch einen schnellen Frieden zu erkaufen, sei es, daß Czernin durch sie seine Geschäfte auf dem Balkan machen und Rumänien fü r die Habsburgische Monarchie er­

werben wollte. Dieser Richtungswechsel in der österreichischen Polenpolitik wurde eingeleitet durch die unmittelbar nach Czernins A m tsantritt erfolgte Verständigung zwischen ihm und Tisza über ein gemeinsames Vorgehen in der polnischen Frage und er tra t bereits deutlich in Erscheinung bei der Ende Januar 1917 stattfindenden Kabinettssitzung, in welcher der neue österreichische Ministerpräsi­

dent, Clam-Martinitz, wieder den Gedanken einer Vereinigung der österreichischen und russischen Polen unter dem Zepter Habsburgs angeregt hatte. Czernin warnte entschieden davor, während des Krieges vollendete Tatsachen in der polnischen Frage zu schaffen und Tisza rie t sogar, „sich so schnell, wie möglich m it Ehren aus der A ffä re zu ziehen, die österreichische Okkupation völlig aufzu­

geben und sie an die Deutschen gegen wirtschaftliche Kompensa­

tionen abzutreten“ 188). In der Tat besteht die österreichische Politik seit dieser Zeit in wiederholten Versuchen, „sich aus der A ffä re zu ziehen“ , nur daß diese Versuche nicht immer „in Ehren“ gewesen sind, wenigstens nicht gegenüber dem deutschen Verbündeten. Von jenem berüchtigten Sixtus-Brief im März 1917 über die Verhand­

lungen in Homburg im A p ril 1917 bis zu den Abmachungen von Kreuznach am 17./18. Mai, überall begegnet uns jetzt das Bestreben, den Krieg so schnell wie möglich zu liquidieren und dabei fü r Öster­

reich durch geschicktes Ausspielen der polnischen Frage doch noch ein möglichst vorteilhaftes Geschäft herauszuschlagen. H ier sieht Askenazy richtig, wenn er behauptet, daß die russische Revolution fü r Deutschland militärisch wohl eine Erleichterung, politisch aber

eine beträchtliche Einbuße Österreich gegenüber bedeutet hätte, nicht nur, weil in Folge der Revolution die Möglichkeit eines deutsch­

russischen Sonderfriedens wesentlich erschwert war, sondern vor allem deshalb, weil jetzt die Gefahr entstanden war, daß Österreich ihm entschlüpfen könnte, das so lange nur durch die Furcht vor der Rache des zaristischen Rußland an Deutschlands Seite gehalten worden war189), eine Gefahr, die durch den B rie f Karls von Habsburg nach Paris m it dem Versprechen, Deutschland zur Abtretung von Elsaß-Lothringen zu bewegen, sehr schnell akut geworden war. „Zu derselben Zeit aber, als der in den kaiserlichen Gemächern verborgen gehaltene Abgesandte und Schwager des Monarchen, Prinz Sixtus, geheimnisvolle Beratungen m it dem Kaiser Karl hatte und dessen

russischen Sonderfriedens wesentlich erschwert war, sondern vor allem deshalb, weil jetzt die Gefahr entstanden war, daß Österreich ihm entschlüpfen könnte, das so lange nur durch die Furcht vor der Rache des zaristischen Rußland an Deutschlands Seite gehalten worden war189), eine Gefahr, die durch den B rie f Karls von Habsburg nach Paris m it dem Versprechen, Deutschland zur Abtretung von Elsaß-Lothringen zu bewegen, sehr schnell akut geworden war. „Zu derselben Zeit aber, als der in den kaiserlichen Gemächern verborgen gehaltene Abgesandte und Schwager des Monarchen, Prinz Sixtus, geheimnisvolle Beratungen m it dem Kaiser Karl hatte und dessen

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