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View of Vanha Marski – der finnische Mythos vom Marschall C.G.

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F O L I A S C A N D I N A Y I C A V O L . 7 P O Z N A Ń 2 0 0 3 „VANHA M A R S K I " - D E R F I N N I S C H E MYTHOS VOM , A L T E N M A R S C H A L L " C A R L G U S T A F M A N N E R H E I M B O L E S Ł A W M R O Z E W I C Z

Adam Mickiewicz Uniuersity, Poznań

A B S T R A C T . The author of the article presents one of the most signifi-cant figures in the modern history of Finland: Marshal C a r l Gustaf Mannerheim (1867-1951), the commander of the Finnish army du-ring the three 'Finnish' wars and the president of Finland after World War I I . Mannerheim has been perceived by the majority of the Finnish people as an almost mythical personage, a distinguished leader and the very symbol of Finnish independence. He managed thrice to save Finland from a political and military disaster. At the same time, Mannerheim was a controversial person in the Finnish society. On the one hand a national bero, on the other a representa-tive of ultraconservarepresenta-tive circles, who impeded the progressive trends within the Finnish working class. The article depicts those aspects of Mannerheim's life and of the political and military circumstances in Finland and Europę which lay the foundation for the myth of the Marshal as well as its spread the whole of Scandinavia. The complex discussion on Mannerheim, which has been led for the last forty ye-ars both in Finland and abroad, is also put into perspective.

Der bisher einzige Marschall i n der Geschichte Finnlands war Carl Gustaf Emil Mannerheim (1867-1951): Oberbefehls­ haber der finnischen Armee i n drei „finnischen" Kriegen, Staatsmann, Finnlands Prasident nach dem Zweiten Weltkrieg, Nationalheld und gleichzeitig eine der bedeutsamsten Personlichkeiten i n der Geschichte seines Landes. Er wird von den meisten Finnen vor allem ais eine bei-nahe mjrthische Gestalt betrachtet, ais Yerkorperung und Symbol der finnischen nationalen Unabhangigkeit und Souveranitat, ais hervorra-gender Feldherr und weitsichtiger Stratege, der i n den Jahren 1918-1919 und 1939-1945 drei Mai sein Heimatland vor der drohenden Kata-strophe retten konnte. Er war kraft seiner Personlichkeit und kraft

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sei-nes persónlichen Einsatzes i m Stande, die Selbstandigkeit Finnlands zu bewahren und das isolierte Land aus einer hoffnungslosen Lage und politischen Isolation herauszufiihren und es - i n entscheidenden histori-schen Momenten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg - i n das La-ger jener Lander hineinzufiihren, die i n ihrer Innen- und Aussenpolitik demokratische Grundsatze befolgt haben.

Bei der Entstehung des Mythos u m den Marschall Mannerheim und seine Person lasst sich eine konstant aufsteigende Linie beobachten. Ihren Anfang bilden auf finnischem Boden rein finnische Ereignisse (Biirgerkrieg von 1918), die mit jenen Ereignissen i n Yerbindung stehen, die sowohl fiir Europa ais auch fiir die Welt von groBer Bedeutung wa-ren (Oktoberrevolution, Piane und konkrete Massnahmen des bolsche-wistischen Russlands zur Yerbreitung des Bolschewismus i m europa-ischen und Weltmassstab). Fiir die Zweuropa-ischenkriegszeit wird die Bestre-bung Mannerheims hervorgehoben, dem jungen unabhangigen Finnland eine gebiihrende Position i n der europaischen Yólkerfamilie gesichert und auf finnischem Boden die nationale Aussohnung und Yerstandigung sowie nationale Einheit erreicht zu haben - er trat hier ais iiberpartei-ischer und iiber den gesellschaftlichen Klassen stehender Yermittler auf, fiir den das Wohl des Staates und des ganzen finnischen Yolkes i m Yordergrund stand. Dies war aber eine Zeit, i n der die Moglichkeiten seiner Einflussnahme i m Bereich der Politik i n gewissem Grade auf die private Sphare reduziert war. Die Zwischenkriegszeit, i n der er kein offizielles A m t bekleidete, ermoglichte ihm aber zugleich, Aktivitaten im sozialen Bereich zu entfalten. Er setzte sich fiir die Yerbesserung des Gesundheitsniveaus des Yolkes und fiir die verstarkte Bildung der Na-tion ein, u m vor allem die jungę GeneraNa-tion der Finnen auf diesem Wege besser auf bevorstehende Aufgaben vorzubereiten.

Bereits wahrend des japanisch-russischen Krieges von 1905 konnte er ais russischer Offizier beobachten, i n welch schwacher korperlicher Yerfassung russische einfache Bauern waren, die ais Frontsoldaten kampften - zu schweigen von der kórperlichen Yerfassung und Inkom-petenz der russischen Befehlshaber. Mannerheim war sich der Briichig-keit der internationalen Biindnisse und somit auch des Friedens durch-aus bewusst. Wahrend des Ersten Weltkrieges konnte er am eigenen Leib die Aktivitaten der Bolschewiken i n der russischen Armee erfahren und war wohl auch deshalb verstarkt bemiiht, Finnland auf den Angriff aus dem Osten, der seiner Meinung nach friiher oder spater erfolgen musste, vorzubereiten. Diese Fahigkeit, verschiedenartige Tendenzen in der politischen Entwicklung i n Europa friih zu erkennen, wird bei Man­ nerheim - vor allem i n Bezug auf den Nachbarn im Osten - ais eines der wichtigsten Elemente bei der Bildung des Mannerheim-Mythos

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angese-Vanha Marski" - Der finnische Mythos vom „alten Marschall" 175 hen. Das zweite - man kann es beinahe ais entscheidendes Element i n diesem Prozess betrachten - war der Augenblick, ais Mannerheim ais Oberbefehlshaber der finnischen Armee i m finnischen Winterkrieg 1939-40 die militarische Yerantwortung fiir die Geschicke des durch die Sowjetunion angegriffenen Landes i n seine Hande nahm. Nachdem i h n die Nachricht von dem russischen Angriff erreicht hatte, zog er seinen vor kurzem beschlossenen Riicktritt ais Oberbefehlshaber des finnischen Heeres zuriick, obwohl die zwischen ihm und der finnischen Regierung bestehenden Meinungsunterschiede i n vielen grundlegenden und fiir Finnland lebenswichtigen Fragen weiterhin nicht ausgeraumt waren. Er folgte der Stimme, von der er sich i n seinem ganzen Leben leiten liess, der Stimme der Yerantwortung fiir das Yaterland sowie seinem Pflicht-gefiihl, das - besonders nach 1918 - dem ganzen finnischen Yolk galt. Denn er erkannte die Bedeutug des damaligen historischen Augenblicks, der sein personliches Engagement und seine Entschiedenheit i m Han-deln verlangte, sehr genau - er war sich auch durchaus der Tatsache bewusst, dass dieser Augenblick fiir eine neue Einstellung zu seiner Person und zu seiner RoUe i n Finnlands Geschichte von Wichtigkeit war. Seine Denkweise sollte sich i n nachster Zukunft ais vollig richtig erweisen - die Popularitat des Marschalls stieg enorm, denn fiir die Finnen war er zu diesem Zeitpunkt der einzige Befehlshaber i n der fin-nischen Armee, der i n wirksamer und erfolgreicher Weise das finnische Heer zum Kampf gegen den sowjetischen Angriff fiihren und das Land und die Nation vor dem drohenden Unheil ausgetilgt zu werden, bewah-ren konnte. Mannerheim erfiillte die Erwartungen der Finnen. Trotz der schwachen Ausriistung der finnischen Armee und der grossen Uber-macht der Sowjetunion konnte der finnische Soldat unter seinem Befehl heldenhafte Haltung und jene Eigenschaften zeigen, die i n der ganzen Welt bewundert wurden. Dennoch musste sich Finnland i m Marz 1940 geschlagen geben und einen ais hart und ungerecht empfundenen Yer-trag unterzeichnen. Das Yertrauen des finnischen Soldaten und des Yolkes zu seinem Marschall blieb jedoch ungebrochen und sein Ansehen wurde noch grosser.

Weitere wichtige Etappen i n der Entstehung des Mythos bilden oh-ne Zweifel Manoh-nerheims alleiniger Oberbefehl i m finnischen Fortset-zungskrieg, sein 75.Geburtstag i m Juni 1942 und die damit verbunde-nen Feierlichkeiten in der Armee, das Hinausfiihren des Landes aus dem verlorenen Krieg und dem Biindnis mit Deutschland (Separatfrie-den mit der SU) sowie die Ubernahme der politischen Yerantwortung fiir das Land ais Staatsprasident i m Jahre 1944. Mannerheim behielt sich jedoch das Recht vor, weiterhin ais Oberbefehlshaber der finnischen Streitkrafte aufzutreten, u m sich dann nach der Stabilisierung i n der

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innen- und aussenpolitischen Situation Finnlands i m Jahre 1946 aus der Politik zuriickzuziehen. Mannerheim war in der finnischen Gesell­ schaft i n den Jahren 1939-1946 zum unbestrittenen Helden der ganzen Nation geworden. Sein Tod im Jahre 1951 und die Uberfiihrung seines Leichnams aus der Schweiz, wo er aus gesundheitlichen Griinden seine letzten Lebensjahre verbrachte und an seinen Memoiren schrieb, sowie die Sammelaktion „fiir das Mannerheim-Geschenk" und nach seinem Tod fiir sein Denkmal, trugen ohne Zweifel dazu bei, dass viele Finnen seine Bedeutung und Yerdienste fiir die Starkung des historischen Be-wusstseins i n Finnland i n deutlicherem Licht ais bisher sahen. A l l das fiihrte i n Finnland gleichzeitig zur Belebung des Kultes und Festigung des Mjrthos des „vanha Marski", des „alten Marschalls" Mannerheim^.

Ais der General Carl Gustaf Mannerheim 1918 wahrend des finni­ schen Biirgerkriegs auf der politischen Biihne des Landes auftauchte, war er fiir breite Kreise der Bevolkerung eine beihnahe unbekannte Person2. Der fast 50 Jahre alte „weisse General", der zu diesem Zeit­ punkt sich seiner Lebensziele schon durchaus bewusst war, hatte 30 Jahre seines Lebens i n der Armee des zaristischen Russlands gedient und dort eine glanzende Militarkarierre gemacht. Es verwundert daher nicht, dass er zunachst von vielen patriotisch und national gesinnten Finnen verdachtigt wurde, ein russisch denkender und russische Machtinteressen vertretender Finne zu sein. Mannerheims Haltung im Biirgerkrieg von 1918 sowie in jener Zeit, ais Finnland in Europa um die Anerkennung seiner Unabhangigkeit ringen musste und er bei den Ver-handlungen m i t Yertretern Schwedens, Frankreichs und Englands be­ sonders aktiv war, zeigten, dass er i n seiner Haltung kosmopolitische, prowestliche Positionen vertrat, dass ihm die westeuropaische Demokra-tie ais Ziel auch fiir Finnland vor Augen schwebte. Ende 1918 und zu Beginn 1919 trat er m i t einer Initiative hervor, die sich zum Ziel setzte, die Yerbreitung des Bolschewismus aufzuhalten und - solange es noch moglich war - seine Zerschlagung herbeizufiihren^. Mannerheims Hal­ tung verwundert nicht, denn i n seiner Familie wurden finnische

natio-1 V g l . M a t t i Klingę, M y y t t i (Der Mythos) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i n e n ( M a n n e r h e i m . D e r Soldat u n d der Mensch), H e l s i n k i 1992, S. 17.

2 I n s e i n e m A r t i k e l M a n n e r h e i m j a S u o m i ennen vuotta 1918 (M. u n d F i n n l a n d vor 1918) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i n e n , wie oben, S. 7-9, spricht Paivió T o m m i l a sogar davon, dass M a n n e r h e i m fiir die finnische Gesellschaft wie ein K o m e t aus der D u n kelheit aufgetaucht sei. V g l . auch die E i n l e i t u n g fiir die polnische Ausgabe der E r i n n e -rungen des M a r s c h a l l s : C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m , Wspomnienia, W a r s z a w a 1996, S. 6 f , wo eine ahnliche T h e s e anzutreffen ist.

3 V g l . C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m : 1996, S. 19-42, 78-79; C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m , K i r j e i t a s e i t s e m a n v u o s i k y m m e n e n ajalta (Briefe aus sieben J a h r z e h n t e n ) , H e l s i n k i 1983, S. 14-23, 171-185; P a a v o R i n t a l a , M u m m o n i j a M a n n e r h e i m (Meine O m a u n d M.), H e l ­ s i n k i 1950, S . 117-212.

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„Van.ha Marski" - Der finnische Mythos uom „alten Marschall" 177 nale Ideen bereits im 19. Jh. gepflegt und es wurde all das unterstiitzt, was finnisch war und der finnischen Sache dienen konnte. Schon von Kind auf verkehrte Carl Gustaf in hoheren gesellschaftlichen Kreisen, wo er die Moglichkeit hatte, den Lebensstil der finnischen - jedoch mei­ stens schwedisch sprechenden - Aristokratie kennenzulernen. I n dieser Zeit konnte er sich die Ideale der patriotisch gesinnten Intelligenz zu eigen machen. I m Yordergrund soUten nicht der personliche Yorteil, sondern das Wohl und die Ziele der Gemeinschaft, der Gesellschaft ste­ hen. Diese Zeit war in gewissem Sinne entscheidend fiir die spatere Hal­ tung Mannerheims, fiir die Entstehung seiner bekannten und bei der Schaffung seines Mythos so gepriesenen und hervorgehobenen Charak-tereigenschaften wie Yerantwortungsgefiihl fiir andere und fiir das Ya­ terland, Unabhangigkeit i m Denken und Handeln, Zielstrebigkeit und Loyalitat gegeniiber dem Heimatland*. Seine Briider Carl und Johan waren in den 90er Jahren des 19.Jhs. auf Grund ihres freiheitlichen Denkens und Handelns gezwungen, das Land zu verlassen und nach Schweden zu ziehen, i n jenen Jahren, ais Russland unter Gouverneur Bobrikov die finnischen Freiheitsrechte einschrankte. Carl Gustaf teilte die freiheitlichen Ansichten seiner Briider und hoffte wahrend seiner Dienstzeit i n der russischen Armee, dass auch i n Russland kiinftig Yer-anderungen erfolgen wiirden, die grossere Freiheiten i m politischen und gesellschaftlichen Bereich herbeifiihren. Der innere, immer grosser wer-dende Konflikt zwischen der Loyalitat dem Żaren gegeniiber und den patriotischen Gefiihlen konnte Mannerheim nur deshalb iiberwinden, weil er bereits i m Rang des Offiziers Petersburg und somit die U m -gebung des Żaren immer wieder verlassen musste. Sein Kasernendienst in Kalisz i n Polen, die Teilnahme am japanisch-russischen Krieg, ein zweijahriger Pferderitt quer durch Mittel-Asien m i t militarischen und wissenschaftlichen Aufgaben (u.a. chinesischer Turkestan und Nord-China) sowie sein erneuter Militardienst i n Polen (Mińsk Mazowiecki, Warszawa) - bereits i m Rang des russischen Generals kurz vor dem Ersten Weltkrieg^ - trugen dazu bei, dass seine Haltung zu Russland, zum Żaren und zu den Yerhaltnissen in der Zarenarmee immer mehr an Distanz gewann. Yor dem Ersten Weltkrieg unterhielt Mannerheim zahlreiche Briefkontakte zu seiner Familie, reiste bei jeder sich bieten-den Moglichkeit nach Finnland, las regelmassig die schwedischsprachige Zeitung aus Helsinki Hufuudstadsbladet und nutzte jede Gelegenheit sich mit Finnen zu treffen, die Petersburg besuchten. Er war somit i n finnischen Angelegenheiten, fiir die er ein reges Interesse zeigte, sehr

4 V g l . M a t t i Klingę, M y y t t i (Mythos) [in:] Sotilas j a i h m i n e n , op. cit., S . 13-16. = E b e n d a . V g l . a u c h Sampo Ahto, Sotilas (Der Soldat) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a ihminen, op.cit. S . 19-34.

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gut bewandert. Er war zwar i m Jahre 1918 i n Finnland der Allgemein-heit nicht allzu bekannt; aber er war keine unbekannte Grosse in den finnischen leitenden politischen, wissenschaft;lichen und kulturellen Gremien^.

Es verwundert also nicht, dass nach seiner Entlassung aus der rus­ sischen Armee i m November 1917 und dem erfolgten Kontakt zu Regie-rungskreisen in Helsinki (Unabhangigkeitserklarung 6.12.1917) Man­ nerheim - angesichts der wachsenden Gefahr des Biirgerkrieges - i m Januar 1918 von der finnischen Regierung zum Oberbefehlshaber der auf seine Initiative entstehenden finnischen Regierungsarmee ernannt wurde. Somit war Mannerheim zum ersten Mai i m Bewusstsein der fin­ nischen Biirger i n jenem Augenblick aufgetaucht, ais die Existenz des jungen finnischen Staates durch die Truppen der finnischen roten Gardę

sowie durch die i n Finnland stationierten bolschewisierten Truppen der ehemaligen Zarenarmee bedroht war. I m Biirgerkrieg fiihrte er die fin­ nische weisse Gardę zum Sieg und konnte auf diese Weise die Trennung Finnlands vom bolschewistischen Russland herbeifiihren. I n Manner­ heims Haltung und Handeln konnte man i n diesen Ereignissen jene typischen Charaktereigenschaften bemerken, die ihn sein Leben lang begleitet haben - Selbstbewusstsein sowie zielstrebige Konseąuenz im Denken und Handeln: nach der Riickkehr in das Heimatland war es sein Ziel, den finnischen unabhangigen Staat zu festigen und zu starken. Fiir die nachsten Generationen der Finnen erscheinen die Bedeutung seiner Person und der Mythos um Mannerheim eben aus der Perspektive die­ ses wichtigen, entscheidenden Augenblicks i n der neueren Geschichte Finnlands, des Moments, i n dem es eben diese Eigenschaften ihm er-laubten - trotz zahlreicher Inkonseąuenzen und Unschliissigkeiten sei-tens der finnischen Regierung - entschieden nach dem sich selbst und dem Yolk gesetzten Ziel zu streben: die vor kurzem errungene

Unab-6 W a h r e n d seines Militarauftrags u n d seines i n den finnischen U n i v e r s i t a t s k r e i s e n beinahe legendaren Pferderittes durch Mittelasien trug M a n n e r h e i m a u c h wissenschaft-liches Materiał a u s dem B e r e i c h der Ethnographie u n d Geschichte z u s a m m e n (fiir das finnische N a t i o n a l m u s e u m sammelte er Gegenstande, die archaologisch bzw. ethnogra-phisch interessant w a r e n ) . D e r wissenschaftliche Auftrag wurde mit dem Senator Otto Donner, dem Yorsitzenden der F i n n i s c h - u g r i s c h e n Gesellschaft besprochen und festge-legt. N a c h seiner R i i c k k e h r legte M a n n e r h e i m einen Reisebericht vor, der i n Maschi-nenschrift i m finnischen staatlichen A r c h i v aufbewahrt w i r d - F i n n i s c h e s Staatsarchiv, S a m m l u n g von C . F . A . Langhoff, Mappe N r . 16, A k t e n N r . 111 mit U m f a n g 195 Seiten, datiert 18.10.1908 i n Petersburg. V g l . M a n n e r h e i m 1996:30-36; H a r r y H a l e n , Tieduste-lija j a t u t k i m u s m a t k a i l i j a ( E r k u n d e r u n d wisstoschaftlicher Reisender) [in:] Manner­ h e i m . Sotilas j a i h m i n e n , op.cit. S . 119139; ders. K o l m e n valtionhoitaja oppivuodet V e n -a j -a n - K i i n -a n r -a j -a s e u t u -a k-artoitt-am-ass-a: M -a n n e r h e i m (Drei L e h r j -a h r e des kiinftigen Reichsverwesers i n Kartographie der Grenzgebiete zwischen R u s s l a n d u n d C h i n a ) H e l ­ s i n k i 1989, S. 161-176; Pirjo Y a r j o l a , M a r s h a l l Mannerheim's C e n t r a l A s i a n coUection in the National M u s e u m of F i n l a n d . H e l s i n k i 1986, S . 287-306.

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos vom „alten Marschall" 179 hangigkeit zu verteidigen und das Land von den dort stationierten bol­ schewisierten russischen Truppen zu befreien, die bestrebt waren, ge-meinsam mit „roten Finnen" eine bolschewistische Revolution wie i n Lenins Russland durchzufiihren. Mannerheims personliches Engage­ ment und seine Entscheidungen ais Befehlshaber waren fiir den weite-ren Yerlauf der finnischen Geschichte von entscheidender Bedeutung. Sie bilden den ersten Schritt auf dem Wege zur Bildung des Mythos um die Person des kiinftigen Marschalls. Denn der Sieg der „Weissen Fin­ nen" konnte dem Land die Unabhangigkeit und nationale Identitat ga-rantieren und es 1919 i n den Kreis der westlichen Demokratie fiihren'^.

Nach dem i m Mai 1918 siegreich beendeten Biirgerkrieg (von man-chen ais Befreiungskrieg angesehen) war Mannerheim i n Konflikt mit dem finnischen Senat geraten. Yordergriindig ging es um Organisation der finnischen Armee, um das Yerhaltnis zu Deutschland und die Sta-tionierung deutscher Hilfstruppen i n Finnland. Denn die finnische Re­ gierung plante fiir das Land eine monarchistische Staatsform mit einem Konig deutscher Provenienz (Herzog Friedrich Karl von Hessen, Schwa-ger des Kaisers Wilhelm II.). Mannerheim, der der Kontrolle eines deut-schen Stabsoffiziers unterstellt werden sollte, kiindigte verargert seinen Riicktritt an und begab sich auf Reisen ins Ausland. I n seiner Haltung kann man zu diesem Zeitpunkt deutlich einen weiteren, fiir seine ganze Karierre ais Soldat und Politiker charakteristischen Zug erkennen: an-tideutsch und kosmopolitisch, prowestlich. Besonders der erste Bestand-teil seiner Haltung wird i n dem Mythos von dem „alten Marschall" her-ausgestellt: die Wurzeln seiner misstrauischen Einstellung zu Deutsch­ land liegen im Ersten Weltkrieg. Ais russischer General kampfte er ge­ gen die Deutschen i n Polen, Rumanien und in der Ukrainę; und diese antideutsche Haltung wird i n den 30er Jahren starker sichtbar, ais er -bereits i m Rang des Marschalls - nach der Machtiibernahme durch Hitler^ mit Abneigung auf die politische und ideologische Entwicklung

Matti Klingę vergleicht die E n t s t e h u n g des Mythos von u n d u m M a n n e r h e i m mit der E n t s t e h u n g des Mythos u n d der Geschichte des L e b e n s des rómischen Patriziers Cincinatus, der aus seinem idyllischen L a n d s i t z i m m e r genau d a n n n a c h R o m gerufen wurde, w e n n die E x i s t e n z Roms bedroht w a r ; wesentlich ist dabei, dass er i m m e r bereit war, die schwierige Aufgabe i n kritischen Situationen zu tłbernehemen. A u c h bei dem i n seinem H a n d e l n meistens unabhangigen u n d zielbewussten M a n n e r h e i m , der i n vier J a h r z e h n t e n des 20. J h s . m e h r m a l s zur Rettung des bedrohten Staates "gerufen" wurde, n i m m t dieser C h a r a k t e r z u g der Y e r a n t w o r t u g fur das Y a t e r l a n d eine beinahe legendare Gestalt a n . A u c h M a n n e r h e i m ist bereit, entschieden zu h a n d e l n , w e n n politische K r e i s e unfahig sind, lebenswichtige E n t s c h e i d u n g e n z u treffen. M i t seiner H a l t u n g u n d A u t o r i -tat tragt er entscheidend zur L o s u n g der schwierigsten Probleme bei. V g l . M a t t i Klingę, Myytti (Der Mythos) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i n e n , op.cit. S . 10-19.

8 M a n n e r h e i m h a t niemals den Nationalsozialismus akzeptiert, der bei i h m Gefuhle des Abscheus hervorrief; andererseits hielt er i h n fiir ein Gegengewicht gegen den

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Welt-in Deutschland reagierte. Er sah sich spater i n seWelt-inen Ansichten im fWelt-in­ nischen Winterkrieg bestarkt, ais Finnland in Folgę des Ribbentrop-Molotow-Paktes - von westlichen Yerbiindeten allein gelassen - den Russen ausgeliefert wurde. Deshalb ist seine Haltung zu Deutschland, ais Finnland 1941 ais Yerbiindeter Hitlers^ aufl;ritt, distanziert. Er lasst sich nicht bedingungslos i n deutsche Angriffsplane gegen die SU ein-spannen und betont bei jeder Gelegenheit, dass die Finnen i m Rahmen des durch die damalige Situation erzwungenen Biindnisses ihren eige­ nen „finnischen Krieg" fiihren - und zwar nach ihren militarischen und okonomischen Moglichkeiten. Mehrmals ausserte er seine Meinung, dass die Finnen nicht gewillt sind, deutsche Kriegsziele blind zu ver-wirklichenio.

Wahrend seiner Europa-Reise i m Jahre 1918 wurde Mannerheim von der finnischen Regierung mit der Mission beaufl;ragt, die Anerken­ nung der Selbstandigkeit des Landes bei den damaligen Westmachten durchzusetzenii; nach der Riickkehr iibernahm er den Posten des Staatsregenteni2. I n seinem Manifest an das finnische Yolk vom 22. De-zember 1918 unterstrich er die Notwendigkeit und Bedeutung der na­ tionalen Aussohnung und Einheit ais Grundlage fiir eine starkę

internak o m m u n i s m u s , den alle so sehr furchteten. Vgl. u.a. Stig Jagersinternakiold, Suomen m a r s a l internak -k a ( F i n n l a n d s M a r s c h a l l ) . K e u r u u 1981, S . 89-99, 135, 314, 330; J u h a N e v a -k i v i , M a n ­ n e r h e i m j a s u u r v a l l a t (M. u n d die Grossmachte) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a ihminen, op. cit. S. 37.

9 Konseąuent distanzierte sich M a n n e r h e i m - a h n l i c h wie die Mehrheit der F i n n e n - von der B e z e i c h n u n g „Yerbiindeter D e u t s c h l a n d s " indem er behauptete, dass zwischen dem D r i t t e n R e i c h u n d F i n n l a n d k e i n B i i n d n i s p a k t geschlossen wurde, u n d F i n n l a n d i m politischen u n d militarischen B e r e i c h seine eigene Politik fiihren konnte. M e h r m a l s betonte er a u c h i n seinen Ausserungen, dass die F i n n e n i h r e n eigenen „finnischen K r i e g " fiihren w i i r d e n . Y g l . u.a. Stig Jagerskiold, Suomen m a r s a l k k a , wie oben.

1" Y g l . J u h a N e v a k i v i , M a n n e r h e i m j a s u u r v a l l a t [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i ­ nen, op. cit., S. 34-43.

11 N a c h den jiingsten negativen E r f a h r u n g e n i n der Zusammenarbeit mit den OfFi-ziellen w a h r e n d u n d k u r z n a c h dem finnischen Biirgerkrieg w a r der Y o r s c h l a g der Regie­ r u n g fiir M a n n e r h e i m eine U b e r r a s c h u n g u n d er ging zunachst a u f Distanz. E r n a h m i h n jedoch spater ais seine patriotische Pficht a n , u m a u f diese Weise zur S t a r k u n g der Posi­ tion des L a n d e s i m A u s l a n d beitragen z u konnen. Y g l . C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m : 1996, S. 126f

12 A u c h diesen Auftrag, den j u n g e n Staat zu fiihren (November 1918 - J u l i 1919), betrachtete M a n n e r h e i m ais seine Pflicht dem S t a a t gegeniiber. D e r S t a a t befand sich n a c h Deutschlands K a p i t u l a t i o n i n einer neuen u n d schwierigen politischen Situation -m a n verzichtete darauf, i n F i n n l a n d eine Monarchie z u errichten. N a c h der verlorenen Prasidentschaftswahl i m J u l i 1919 n a h m M a n n e r h e i m den Y o r s c h l a g , den Oberbefehl der finnischen Streitkrafte z u iibernehmen, nicht a n . E r Jsehielt lediglich den Posten des e h r e n a m t h c h e n Yorsitzenden des finnischen Schutzkorps, dessen Organisationsstruktur u n d Unabhangigkeit von politischen P a r t e i e n von i h m i n seiner Regentschaftszeit i n entsprechenden E r l a s s e n durchgesetzt werden konnten. Y g l . ebenda S. 128-134, 141-143.

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos uom „alten Marschall" 181 tionale Position des Landes. Das beharrliche Streben nach nationaler Aussohnung und Einheit und ihre Bedeutung fiir die Finnen und Finn­ land nach 191813, dann i n der fiir Mannerheim schwierigen Zwischen-kriegszeiti* und besonders 1939 und 1944, ais die nationale Existenz des Staates bedroht war, sind eines der wesentlichen Elemente des My­ thos vom Marschall Mannerheim. Denn er war sich der Briichigkeit der unabhangigen Existenz des Landes i n der damaligen geopolitischen Si­ tuation bewusst und konnte jene Gefahren voraussehen, die sich aus der Nachbarschaft mit der Sowjetunion und ihrer Ideologie i n den Jahren 1918-194415 ergaben. Dieses „vereinigende" Element i n der Haltung des „alten Marski", das von ihm selbst i n ofEiziellen Auftritten und i n zahl-reichen Treffen mit finnischen politischen und kulturellen Kreisen her-vorgehoben wurde (aber auch in Streitigkeiten und Zusammenstossen), in seiner ofiziellen und privaten Korrespondenz, i n nicht seltenen Tref­ fen mit Yertretern niedrigerer gesellschaftlicher Kreise, darunter be­ sonders mit den finnischen Soldaten i n beiden Kriegen sowie i n seinen

Memoiren, trug wesentlich dazu bei, dass seine Popularitat wahrend des

Winter- und Fortsetzungskrieges enorm stieg und dass i m Bewusstsein

13 M a n n e r h e i m - von der finnischen L i n k e n v e r h a s s t u n d der finnischen R e c h t e n ais Held angesehen - w a r i n der Zwischenkriegszeit bemiiht, sich iiber die P a r t e i i n t e r e s s e n beider Richtungen zu stellen und eben ein solches u n d nicht anderes B i l d seiner Person im gesellschaftlichen B e w u s s t s e i n zu schaffen. B e k a n n t u n d geschatzt w a r i n der finni­ schen Gesellschaft seine H a l t u n g zu den Besiegten des Biirgerkrieges - mit grosser Ab­ neigung betrachtete er die n a c h dem K r i e g errichteten Konzentrationslager fiir die „be­ siegten Roten". Seine H a l t u n g u n d zum T e i l a u c h sein persónlicher E i n s a t z trugen ent­ scheidend dazu bei, dass diese aufgelóst wurden und in k u r z e r Zeit nach dem Kriegsende eine Begnadigung der Mehrheit der Yerhafteten erfolgte. A u c h finnische Kommunisten haben i n den 40er J a h r e n óffentlich zugegeben, dass M a n n e r h e i m eine Schliisselfigur i n dem i n gang gesetzten Friedensprozess i n F i n n l a n d w a r u n d i m m e r n a c h der nationalen Aussohnung strebte. Vgl. Matti Klingę, Mytti, op.cit., S. 17; Mannerheim: 1996, S. 6f, 132.

M a n n e r h e i m ging davon aus, dass m a n fiir die Sache des Wiederaufbaus u n d der Yereinigung der Gesellschaft, fiir die H e i l u n g der W u n d e n u n d die U b e r b n i c k u n g der gesellschaftlichen Kluft n a c h 1918 arbeiten m u s s - deshalb n a h m er den Y o r s c h l a g des ehrenamthchen Yorsitzes der von seiner Schwester Sophie 1920 gegriindeten O r g a n i s a -tion-Yereinigung „Kinderschutzbund G u s t a f M a n n e r h e i m a n " . S i e setzte sich z u m Ziel „eine m e h r gesunde u n d gliickliche Generation z u schaffen" - deshalb sollte m a n mit der Arbeit von Anfang a n beginnen, mit der Bildungsarbeit - d.h. mit der E r z i e h u n g der K i n d e r u n d Jugend, mit der Hebung des Gesundheitszustandes des ganzen Y o l k e s . Y g l . Mannerheim: 1996, S. 7, 150f

15 M a n n e r h e i m n a c h sollte F i n n l a n d a u c h n a c h der Oktoberrevolutuin eine ganz be-stimmte Rolle zufallen - es sollte ein BoUwerk sein, das i m Norden E u r o p a s die westliche Zivilisation zu verteidigen hatte, „der entfernteste Posten der westlichen K u l t u r D e s ­ halb richtete er 1919 - ais D e n i k i n s weisse A r m e e i n die N a h e von Petersburg vorriickte - a n den Prasidenten Stahlberg einen offenen B r i e f mit der F o r d e r u n g , F i n n l a n d móge sich dem K a m p f gegen die Bolschewiken anschliessen u n d die A r m e e des G e n e r a l s Judenitsch zu unterstutzen. Y g l . u.a. M a n n e r h e i m : 1996, S. 7, 133, 136, 146 sowie der-selbe: 1983, S. 18.

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der Finnen die Uberzeugung entstand, dass er niemals in seiner milita­ rischen und politischen Laufbahn die Interessen nur einer Gesell-schaffcsklasse oder politischen Gruppierung vertrat. Denn er war im Stande, sich iiber die Parteiinteressen einer Gruppe zu stellen und war bemiiht, ais Reprasentant der Interessen des ganzen finnischen Yolkes aufzutreten.

Nach den verlorenen Prasidentschaftswahlen von 1919 trat Man­ nerheim ais Staatsregent zuriick und spielte in den nachsten zwólf Jah­ ren nur die Rolle eines Beobachters des politischen Lebens in Finnland. Auf seinen privaten Auslandsreisen nutzte er jedoch jede Gelegenheit und alte Kontakte, um fiir die Sache Finnlands einzutreten. Er scheute sich auch nicht, oft seine Meinung iiber die gesellschaftliche und politi­ sche Situation des Landes offen zu aussem, um auf Gefahren der Zu­ sammenarbeit der von der Sowjetunion beeinflussten finnischen Sozial-demokratie und den Zentrumsparteien hinzuweisen - seiner Meinung nach erkannten sie nicht das Wesen der sowjetischen Yerhaltnisse und des russischen nationalen Charakters - ahnlich wie die wirklichen Ziele und Methoden i m Handeln der Bolschewiken. Dadurch enstand in wissen politischen und gesellschaftlichen Kreisen eine fiir Finnland ge-fahrliche Blindheiti^. Die Rettung konnte nur „ein starker (finnischer) Staat, eine wirksame Yerteidigung, Wachsamkeit und innere Geschlos-senheit (...) bilden. Der Weg des Kompromisses und des Nachgebens ist fiir die Yerstandigung mit dem ehemaligen Gegner keineswegs richtig, (denn) es ist i m Grunde genommen ein Kampf auf Leben und Tod zwi­ schen zwei Weltanschauungen und man darf nicht unsere innere Kraft und Sicherheit fiir jene Freiheiten aufs Spiel setzen, die von dem Gegner immer wieder ausgenutzt werden"!'^.

Auch die Tatigkeit ais ehrenamtlicher Yorsitzender des Kinder-schutzbundes Gustaf Mannerheim seit 1920 und die Mitarbeit bei der

18 M a t t i Klingę weist i n seinem B e i t r a g Myytti (Der Mythos) [in:] M a n n e r h e i m . So­ tilas j a i h m i n e n , op. cit., S . 14f. d a r a u f h i n , dass M a n n e r h e i m i n seiner offentlichen Tatig­ keit eher die Untersttitzung breiter M a s s e n ais die der politischen K r e i s e genoss; mit den letzteren konnte er n u r m i t grosser Miihe Y e r s t a n d i g u n g u n d eine gemeinsame Sprache i n den fur F i n n l a n d lebenswichtigen Angelegenheiten finden.

17 Seine A n s i c h t e n iiber E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n i n F i n n l a n d u n d i n der finnischen Politik ausserte M a n n e r h e i m i n einer offentlichen Stellungnahme, die der finnischen Koalitionspartei Mitte September 1919 vorgelegt wurde. M a n n e r h e i m unterstrich darin, dass es eine Pflicht der Gesellschaft sei, die bestehende Ungerechtigkeit abzuschaffen und gesellschaftliche Reformen durchzufiihren, die i n einer w i r k s a m e n Weise sowohl materiell ais a u c h geistig die finnische Arbeiterklasse b e r e i c h e m wiirden. Die Stellung­ n a h m e schloss mit einem Appell a n alle Biirger F i n n l a n d s , sie mógen sich zu einer ein-heitlichen P a r t e i der gesellschaftlichen O r d n u n g zusammenschliessen, die Meinungsver-schiedenheiten u n d eigene kleine Interessen z u vergessen. Wie oben M a n n e r h e i m : 1996, S. 144 - 1 4 5 ; vgl. a u c h derselbe: 1983, S . 16-20, 197f

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos uom „alten Marschall" 183 Griindung des Finnischen Roten Kreuzes (seit 1922) konnten i n den nachsten Jahrzehnten das Bild eines Menschen schaffen, der m i t der Idee der nationalen Einheit und Harmonie vor Augen^^ i n allen Lebens-bereichen der Sache Finnlands treu ergeben war. Deshalb war fiir ihn u.a. das Problem der Gesundheit und der Erziehung fiir die Zukunft der Nation und des Landes so wichtig. Denn die kiinftige Generation der Finnen sollte Yerantwortung fiir das Land i n dem Moment iibernehmen, wenn die Situation es verlangen wiirde. Bei seinen Auftritten hob er hervor, dass es notwendig sei, „eine weit angelegte Aktivitat i m Bereich der yernachlassigten gesundheitlichen Yersorgung sowie der Bestre-bung, dass jedes zum Biirger des freien Finnlands heranwachsende K i n d den besten aller móglichen Starts ins Leben erhalten sollte; dieses Ziel sollte man i n vollem Bewusstsein der Lage und der Bediirfnisse des Landes verfolgen. Es sei fiir die Zukunft [der Nation und des Landes] ein Problem von grosster Wichtigkeit"!^.

1931 kehrte Mannerheim ais Yorsitzender des Yerteidigungsrates und Oberbefehlshaber der finnischen Streitkrafte (im Falle eines M i l i -tarkonfliktes) auf die politische Szene zuriick. Er iibernahm die Aufga­ be, um auf diese Weise Einfluss auf die Modernisierung der hoffhungslos riickstandigen finnischen Armee zu haben. 1933 erfolgte Mannerheims Ernennung zum KJriegsmarschalPo. I n dieser Funktion war er - ange­ sichts der i n Europa erfolgenden Yeranderungen und der wachsenden Gefahr fiir Finnland - bemuht, die i n Folgę des Sparkurses i m Staats-haushalt der 20er Jahre vernachlassigte Armee zu modernisieren^i. I n dieser Zeit begann man mit der Errichtung einer Yerteidigungslinie auf der Karelischen Landenge an der Grenze zur Sowjetunion. Obwohl die

18 Y g l . u.a. P a n u P u l m a , E h e y t t a j a (Der Yereiniger) [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a ihminen, op. cit., S. 79-88; Stig Jagerskiold, M a n n e r h e i m r a u h a n vuosina 1920-1939 (M. in den F r i e d e n s j a h r e n 1920-1939), K e u r u u 1973; Yeijo M e r i , S u o m e n m a r s a l k k a C G . M a n n e r h e i m ( F i n n l a n d s M a r s c h a l l C . G . M a n n e r h e i m ) , Porvoo 1988; R a u n a R i n t a l a , Krigsfadderverksamheten fóre och under fortsattnigskriget. H i s t o r i s k T i d s k r i f t for F i n ­ land 3/1990.

19 M a n n e r h e i m : 1996, S. 150f D e r M a n n e r h e i m - B u n d konnte einiges u.a. fur die S e n k u n g der Sterblichkeit der Neugeborenen, fiir die firztliche Y e r s o r g u n g i n den S c h u -len, Krankenschwesterausbildung, G n i n d u n g von Polikliniken a u f dem L a n d e , Y e r s o r ­ gung der Kriegswaisenkinder sowie fiir den moralischen u n d patriotischen Wiederaufbau der Gesellschaft leisten. Dieser B u n d - a u f G r u n d parallell verlaufender Ziele i n seiner Tatigkeit - wurde n a c h der Neuorganisierung des F i n n i s c h e n Roten K r e u z e s 1922 z u dessen festem Bestandteil. Mannerheims Rolle beim Roten K r e u z beschrankte sich ledig­ lich darauf, dass er dieser Organisation Impulse, Ideen, I n i t i a t i v e n u n d so i m grossen u n d ganzen die R i c h t u n g gegeben hat; a l l diese Ideen u n d Y o r h a b e n w u r d e n d a n n von der Organisation selbst i n die P r a x i s umgesetzt u n d trugen (so wie M a n n e r h e i m es a u c h geplant hatte) zur Yorbereitung der Nation a u f die bevorstehende schwierige Zeit bei.

20 M a n n e r h e i m : 1983, S. 18f 238; derselbe: 1996, S. 159-161. 21 M a n n e r h e i m : 1996, S . 249.

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Linie vor dem Ausbruch des Winterkrieges nicht fertiggestellt werden konnte und auch wahrend des Fortsetzungskrieges weiter daran gebaut wurde, bekam sie i n der pohtischen und miUtarischen Propaganda Finnlands (aber auch der SU) den Namen die „Mannerheim-Linie"22.

In der Zwischenkriegszeit wollte Mannerheim einen Dialog zwi­ schen den Gegnern aus dem Biirgerkrieg herbeifiihren. Er war aber fiir die Besiegten weiterhin „der weisse General", Sjonbol reaktionarer Kraf-te und der UnKraf-terdriickung, ein „Metzger", der den fortschrittlichen Pro­ zess i m Kampf der finnischen Arbeiterklasse unterbrochen hat. Man­ nerheims Rolle i m Freiheitskrieg, der i m Biirgerkrieg ausartete, fiihrte nach dem finnischen Historiker Eino Jutikkala dazu, dass in diesen Krei­ sen „die schwarze Legendę von dem Generar'23 entstanden war. Fiir die Sieger war er hingegen der weitsichtige Mann, der i m entscheidenden Augenblick fiir Finnland an der richtigen Stelle stand und angesichts der Unfahigkeit der Regierungskreise im Stande war, dem Terror der Roten Einhalt zu gebieten und so das Land vor dem Untergang zu retten.

Zum Nationalhelden, der sowohl von der Linken ais auch der Rech­ ten akzeptiert war, wurde Mannerheim ais Oberbefehlshaber der finni­ schen Streitkrafte i m finnischen Winterkrieg von 1939-1940 und i m Fortsetzungskrieg von 1941-1944. Die Ereignisse dieses ersten Krieges und die kurz davor gefiihrten Yerhandlungen mit der Sowjetunion lies-sen Mannerheim ais einen elastischen Politiker und Befehlshaber er­ scheinen, der ais einer der wenigen Finnen im Stande war, die damalige dramatische politische und militarische Situation Finnlands realistisch einzuschatzen - deshalb empfahl er der finnischen Regierung gewisse Zugestandnisse an die Sowjetunion^*, um auf diese Weise dem Ausbruch

22 V g l . derselbe: 1996, S. 249f. E s w a r e n vor allem die R u s s e n , die i n ihrer Propa­ ganda den Mythos von der „Mannerheim-Linie" verbreitet haben. Sie behaupteten, dass die K a r e l i s c h e L a n d e n g e mit Beton- u n d S t a h l b u n k e m u n d -hindernissen n a c h neuesten technischen E r r u n g e n s c h a f t e n verbaut wurde, die m a n mit Befestigungen der Siegfried-u n d M a g i n o t - L i n i e vergleichen k a n n . A Siegfried-u f diese Weise woUten sie ihre Niederlagen zSiegfried-u B e g i n n des Winterkrieges rechtfertigen. Diese L i n i e , die vor allem a u f G r u n d der unbeug-s a m e n u n d heldenhaften H a l t u n g der F i n n e n unbeug-schwer zu iiberwinden w a r , bekam vom V o l k den N a m e n „Mannerheim-Linie".

23 Y g l . M a n n e r h e i m : 1996, S. 6 f

2* Bereits i n den 30er J a h r e n w a r M a n n e r h e i m von der U n a u s w e i c h l i c h k e i t des Krieges i n E u r o p a iiberzeugt - er w a r sich der militarischen Schwache der Westmachte bewusst u n d bemiihte sich deshalb, F i n n l a n d a u f die militarische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion vorzubereiten; er strebte z . B . einen Neutralitatspakt i n S k a n d i -n a v i e -n a -n , oder versuchte verschiede-ne M a s s -n a h m e -n zu ergreife-n, u m die fi-n-nische A r m e e besser a u s z u r i i s t e n u n d zu modemisieren. E b e n d a , S. 187-194. B e i den Y e r h a n ­ dlungen iiber die F o r d e r u n g e n der Sowjetunion vertrat er eine weitaus elastischere H a l ­ tung ais die politische F i i h r u n g des L a n d e s u n d gab deutlich zu verstehen, dass i h m ein F i a s k o dieser Gesprache iiber die neuen G r e n z e n unliebsam sein wiirde. Y g l . a u c h H a n n u Sarkió, Sodanjohtaja (Der Kriegsfiihrer) [in:] Maimerheim. Sotilas j a ihminen, op.cit. S. 4 6 f

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos uom „alten Marschall" 185 des Krieges vorzubeugen. Seine Stimme, in der er angesichts der Schwa­ che der finnischen Streitkrafl;e eindeutig auf die Risiken fiir das Land hingewiesen hatte, fand jedoch bei den PoUtikern kein Gehor. U m die ÓffentUchkeit auf diese Meinungsunterschiede zwischen ihm und der Regierung aufmerksam zu machen, wollte er von seinem Posten zuriick-treten - der Angriff der Sowjetunion erfolgte jedoch schneller ais erwar-tet und fiihrte die Anderung seiner Entscheidung herbei. Das Pflichtge-fiihl gebot ihm, die finnische Armee i n den Yerteidigungskampf zu fiih­ ren, um das Land vor der sowjetischen Aggression und der drohenden Besatzung zu retten^s. Die Finnen leisteten i m Winterkrieg einen erbit-terten Widerstand und brachten unter seinem Befehl den Russen grosse Yerluste bei. Dadurch war es auch zu einer empfindlichen moralischen Demiitigung des Gegners gekommen. „Marski" ist hingegen i n diesem Krieg zu einem Mythos geworden, zum Sjonbol der Unnachgiebigkeit und Ausdauer, zum Symbol, i n dem sich das beriihmte, beinahe my-thisch gewordene finnische „Sisu" bewahrheitet hat, zum Symbol schliesslich, um das sich alle Finnen versammelt haben. Angesichts des Kampfes auf Leben und Tod waren i n der finnischen Nation fiir einen gewissen Zeitraum alle Missverstandnisse und Klassenvoreingenom-menheiten gewichen, die in der Gesellschaft nach dem Biirgerkrieg i m ­ mer noch zu sehen waren. Zugeschiittet wurde jene Kluft, die die zer-strittenen gesellschaftlichen Klassen und Schichten sowie politische Lager getrennt hatte. Zum ersten Mai in der Geschichte des freien Finnland kann man von Eintracht und einer Stimme i n den wichtigsten Angelegenheiten sprechen, von nationaler Harmonie, nach der Manner­ heim immer so beharrlich gestrebt hat. Beinahe alle Finnen waren von patriotischen Gefiihlen iibermannt, denn fiir alle waren die Unabhan­ gigkeit und die Freiheit des Heimatlandes von erstrangiger Bedeutung. In diesem bedrohlichen Moment i n der finnischen Geschichte wurde Mannerheim zum alle Finnen vereinigenden Element - erneut iiber­ nahm er Yerantwortung (wie 1918) und den Oberbefehl iiber die Streit­ krafte. Historische Ereignisse u m den Winterkrieg^^ trugen wesentlich

25 E b e n d a , S . 8f., 190, 195f. M a n n e r h e i m schrieb i n seinen Memoiren m e h r m a l s , u.a.

S. 171 iiber zahlreiche Schwierigkeiten u n d Missverstandnisse i n der Z u s a m m e n a r b e i t zwischen der politischen F i i h r u n g des L a n d e s u n d i h m , ais Y e r t r e t e r des H e e r e s . E s ist haufig vorgekommen, dass der Yorsitzende des Yerteidigungsrates (hier: M a n n e r h e i m ) nach Osterreichs A n s c h l u s s 1938 iiber viele fiir die Politik u n d Y e r t e i d i g u n g des L a n d e s wichtige Gesprache u n d Yorschlage (Forderungen) der Sowjetunion einfach nicht unterrichtet wurde, w a s folglich einen grossen E i n f l u s s a u f die H a l t u n g m a n c h e r P a r l a m e n t a -rier bei der Festsetzung der A u s g a b e n fiir eine entsprechende Aufriistung der finnischen A r m e e hatte. Y g l . auch S t i g Jagerskiold, S u o m e n m a r s a l k k a , S. 9 f

26 Michał Kopczyński vertritt i n der E i n l e i t u n g z u r polnischen Ausgabe der M e m o ­ iren von C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m , op.cit., S . 9 die A n s i c h t , M a n n e r h e i m s Riicktritt i m

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zur Starkung des Mj^thos von dem „alten Marschall" ais weitsichtigem Mann27 bei, ahnlich wie zur Entstehung des Mjrthos von dem Marschall, der den Willen des ganzen Yolkes vertritt, vom Menschen und Fiihrer, der i n seiner Person all jenen tjrpisch finnischen Charaktereigenschaften verkorpert, die durch viele Jahrhunderte und Generationen i m Yolk gepflegt wurden und die dem Dichter Runeberg i m 19. Jh. erlaubt hat-ten, ein idealisiertes Bild des Yolkes, des einzelnen Finnen, den Mythos vom patriotischen Biirger und Soldaten^s zu schaffen. Nach dem Win­ terkrieg wurde von der finnischen Regierung eine Auszeichnung fiir be-sondere Yerdienste fiir das Yaterland i m Krieg, das sog. Mannerheim-Kreuz beschlossen, die den finnischen Soldaten - unabhangig vom mili­ tarischen Rang - „fiir ausserordentliche Tapferkeit, Erreichen besonders wichtiger Ziele i n der Kampffiihrung oder fiir grosse Yerdienste in der Leitung der Militarhandlungen"29 auszeichnen sollte.

Der Fortsetzungskrieg und sein dramatisches Ende festigten Man­ nerheims Position i n der Politik und Armee und trugen zur weiteren Idealisierung und Mjrthologisierung seiner Person^o sowie zu seiner

November 1939 hatte d a z u fuhren konnen, dass M a n n e r h e i m i n die Geschichte ledighch ais „weisser G e n e r a l " eingegangen w a r e . E s hatte somit den bis heute i n F i n n l a n d leben-digen Mythos vom „alten M a r s k i " nicht gegeben.

27 D e r A u s b r u c h des Winterkrieges fiihrte dazu, dass M a n n e r h e i m zur wichtigsten Person F i n n l a n d s w u r d e , a u c h w e n n nicht er, s o n d e m der Staatsprasident u n d die R e ­ gierung politische E n t s c h e i d u n g e n treffen mussten. D e r fuhrende finnische Politiker J u h a P a a s i k i v i , der sich nicht i m m e r wohlwoUend iiber M a n n e r h e i m ausserte, stellte i n seinen E r i n n e r u n g e n iiber den finnischen W i n t e r k r i e g fest: ,Auch w e n n w i r i n diesem S t a a t hohe Posten innehaben, so ist M a n n e r h e i m der i n diesem L a n d a m hóchsten ge-stellte M a n n " . D e n n von diesem Moment a n hatte M a n n e r h e i m einen grossen E i n f l u s s a u f die I n n e n - u n d Aussenpolitik des L a n d e s , a u f die getroffenen E n t s c h e i d u n g e n , obwohl er nicht die politische Y e r a n t w o r t u n g hatte. E r leitete das Hauptąuartier u n d koordinier-te alle Schritkoordinier-te, die fiir die Mobilmachung der ganzen Gesellschaft notwendig waren. E r kiimmerte sich auch u m das eigene Image i n der Gesellschaft und w a r stets bemiiht, bei jedem Auftrag i n seinem Handeln freie H a n d zu haben , u m so auch einen Einfluss auf ande­

re zu haben u n d die Geschicke des L a n d e s nach seinen Yorstellungen gestalten zu konnen. Ygl. H a i m u Sarkiii, Sodanjohtaja [in:] Mannerheim. Sotilas j a ihminen, op.cit. S. 45f

28 Y g l . die W e r k e von J o h a n L u d v i g Runeberg, besonders seine E p e n „Die E l c h j a g d " u n d „Erzahlungen des F a h n r i c h Stool", i n denen er ein idealisiertes B i l d F i n n l a n d s u n d seiner B i i r g e r schafft. Die Helden beider E p e n mit „Wunschcharaktereigenschaften" ausgestattet bilden Grundlage fiir den kiinftigen Mjrthos vom „guten, braven, geduldigen, i m K a m p f gegen die N a t u r u n d F e i n d e unnachgiebigen, sein Y a t e r l a n d liebenden F i n ­ n e n " . A l l diese Eigenschaften, die n a c h Runeberg i n d ^ finnischen Gesellschaft i m W e r k von Z a c h r i s Topelius verbreitet u n d spater u . a . a u c h durch offizielle Propaganda ge-schickt ins B i l d gesetzt w u r d e n , finden w i r i n der Person des „vanha M a r s k i " verk6rpert; siehe dazu a u c h A l t a n T i i t t a , Topeliaaninen Suomi ( F i n n l a n d von Topelius), [in:] Hiiden-k i v i 3/2002, S. 9.

29 C a r l G u s t a f M a n n e r h e i m : 1996, S . 313.

30 I m k r i t i s c h e n M a r z 1944 schrieb J u h a P a a s i k i v i u.a.: „Du bist der einzige, dem das finnische Y o l k Y e r t r a u e n schenkt". Zit. n a c h Stig Jagersldold, Suomen m a r s a l k k a , op.cit. S. 65.

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos vom „alten Marschall" 187 enormen Popularitat sowohl i n der Gesellschaft ais auch der Armee bei, besonders unter einfachen Frontsoldaten. Zum 75.Geburtstag von Man­ nerheim erfolgte 1942 die i n der finnischen Geschichte einzigartige Er­ nennung zum Marschall von Finnland^i. Auf Grund des verlorenen Krieges, der nicht mehr vermeidbaren Niederlage des Dritten Reiches sowie der militarischen Ubermacht der Sowjetunion waren die Finnen gezwungen, einen Separatfrieden m i t ihrem ostlichen Nachbarn zu schliessen, um auf diese Weise das Land vor der sowjetischen Besatzung zu bewahren. Auch i n diesem fiir Finnland bedrohlichen Augenblick fiihlte sich Mannerheim verpflichtet, die Geschicke des Landes i n seine Hande zu nehmen. Am 4. August 1944 wurde er finnischer Prasident, denn er war i n diesem Augenblick i n Finnland die Person, die das grosste Ansehen genoss. Und wieder folgte er seinem Pflicht- und Yer­ antwortungsgefiihl fiir das Yaterland, fiir das Los seines Yolkes. Denn „krank und miide von der jahrelangen Arbeit und grossen Yerantwor­ tung iibernahm er nur ungern wie er i n seinen Memoiren schreibt -die neue bedeutsame Aufgabe"32. Aber auch -diesmal konnte er seine Aufgabe hervorragend bewaltigen, was von dem finnischen Yolk gebiih-rend geachtet wurde.

Zur Schaffung des Mythos von dem „vanha Marski", dem alten Mar­ schall Mannerheim, haben i m entscheidenden Masse die akademischen Kreise beigetragen. Yor allem die Universitat von Helsinki kann sich hier besonderer Yerdienste riihmen - denn hier erfolgte 1919 Manner­ heims Ehrenpromotion an der Philosophischen Fakultat. Zum ersten

31 Y g l . Stig Jagerskiold, Suomen m a r s a l k k a , op. cit. S. 335; M a n n e r h e i m : 1983, S . 21. Z u M a n n e r h e i m s Geburtstag w a r iiberraschend Adolf H i t l e r n a c h F i n n l a n d gekom­ men, u m dem M a r s c h a l l personlich zu gratulieren. M a n n e r h e i m w a r jedoch E n d e 1941 und Anfang 1942 davon iiberzeugt, dass Deutschland den K r i e g i m O s t e n verlieren wiir­ de. Deshalb w u r d e n a u f der finnischen Seite die Militarhandlungen a u f das notwendige M i n i m u m reduziert; u n d i n der Zusammenarbeit mit D e u t s c h l a n d w a r M a n n e r h e i m bemiiht, sich die Unabhangigkeit des H a n d e l n s zu sichern. Diese H a l t u n g , d.h. die F a ­ higkeit M a n n e r h e i m s „den L a u f der Dinge i m militarischen u n d politischen B e r e i c h vo-r a u s z u s e h e n " sowie sein W u n s c h , den F vo-r i e d e n fiivo-r F i n n l a n d z u schaffen, w i vo-r d i n seinem Mythos oft betont. Y g l . auch Manfred Menger, M a n n e r h e i m - der Retter F i n n l a n d s ? [in:] Schicksalsschwere Zeiten. M a r s c h a l l M a n n e r h e i m u n d die deutschfinnischen B e z i e h u n -gen 1939-1945. B e r l i n 1997, S. 60-71; Sampo Ahto, K o m m e n t a r z u m Y o r t r a g von Manfred Menger, M a n n e r h e i m - der Retter F i n n l a n d s ? , ebenda, S . 72-75.

32 M a n n e r h e i m : 1996, op. cit., S . 367. W a h r e n d des Krieges arbeitete M a n n e r h e i m 18 Stunden a m T a g , abgesehen von kurzeń P a u s e n fiir Mahlzeiten u n d Y e r s c h n a u f p a u s e n . Die psychische u n d kórperliche B e l a s t u n g i n Folgę der alleinigen F i i h r u n g der A r m e e u n d der alleinigen Y e r a n t w o r t u n g fiir getroffene E n t s c h e i d u n g e n (ungern arbeitete er mit seinem Stab) erzeugten bei dem M a r s c h a l l standige A n s p a n n u n g u n d U b e r m i i d u n g u n d fiihrten schlłesslich zu gesundheitlichen Problemen. M a t t i Klingę bezeichnet diese E t a p p e in Mannerheims L e b e n (1939-1946) ais die „Zeit der Ausdauer u n d des Yerschleisses"; vgl. Matti Klingę, Mytti, op.cit., S . 14.

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Mai i n der Geschichte der Universitat wurde der Titel fiir gesellschaftli­ che Yerdienste und Errungenschaften verliehen33; ahnliche Ehrungen erfolgten friiher i m Falle von Runeberg, Lonnrot, Snellmann, Topelius und anderen wichtigen Yertretern des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens i n Finnland. M i t seiner Haltung und seinem Handeln, mit seiner Yaterlandsliebe und seinem Streben nach nationaler Eintracht verkor-perte er jene Charaktereigenschaften, die seit Runeberg immer am hochsten geschatzt waren. Seine Person eignete sich auch ausgezeichnet dazu, u m i m finnischen nationalen Bewusstsein das Bild des idealen (runebergschen) Finnen fortzusetzen und es ais Yorbild fur die Gegen-wart herauszustellen. Die Wirksamkeit i n der Schaffung und Festigung eines durch und durch positiven Bildes von Mannerheim durch akade-mische Kreise fand ihre Bestatigung i n der grossen Studentenkundge-bung i n Helsinki i m Jahre 1946 fiir Mannerheim, der aus gesundheitli­ chen Griinden das Amt des Prasidenten niederlegen und Abschied von der grossen Politik nehmen musste. Auch in den 50er Jahren war der Beitrag der Studenten und Professoren zur Yerbreitung des Kultus und Mythos u m Mannerheim nicht unwesentlich^*. Der Tod des Marschalls in der Schweiz und die Trauerfeierlichkeiten in Helsinki 1951 belebten deutlich seinen Mythos i n Finnland. Geboren wurde damals die Idee, dem verstorbenen Marschall ein Denkmal an einem zentralen Ort in Helsinki zu errichten. Unter der Schirmherrschaft der Akademiker startete die Aktion, das notige Geld zu sammeln; und die i m Zusam-menhang damit gefiihrte Diskussion iiber die Yerdienste des Mar-schalls35 fuhrte dazu, dass Mannerheim wieder ins Zentrum des Inter-esses geriickt war. Die Studenten spielten eine grosse Rolle bei der Ka-nonisierung des „Soldaten Mannerheim" ais einer grossen finnischen nationalen Gestalt, indem sie ihn in eine Reihe neben Snellman, Rune­ berg, Lonnrot und Kivi stellten. Jedes Jahr fanden damals in Helsinki zu seiner Ehrung Fackelumziige statt. Nicht ohne Bedeutung fiir diese Diskussion und das idealisierte Bild seiner Person war die 1951-1952 erfolgte Yeroffentlichung (gleichzeitig auf Finnisch und Schwedisch) seiner Memoiren^^, 1957-1960 hingegen der zweibandigen Biografie des

33 D e n Titel Doktor honoris causa b e k a m M a n n e r h e i m gemeinsam mit dem Yertreter der finnischen Regierung Svinhufvud. M a n wollte a u f diese Weise M a n n e r h e i m die D a n k -barkeit fiir seine militarischen Yerdienste i m Biii^erkrieg und seinen Beitrag zur Festi­ gung eines freien, weissen u n d unabhangigen F i n n l a n d s z u m A u s d r u c k bringen. Siehe L a u r a Kolbe, M a r s k i - I h m i n e n , [in:] M a n n e r h e i m . Sotilas j a ihminen, op. cit., S. 90.

34 M a t t i Klingę, M y t t i , op. cit., S . 1 7 f

35 D a s D e n k m a l des M a r s c h a l l s M a n n e r h e i m zu Pferd wurde i m Z e n t r u m von H e l ­ s i n k i a n einer der H a u p t s t r a s s e n , die seinen N a m e n bekommen hatte, errichtet.

36 D i e verkurzte sog. nationale Ausgabe der Memoiren, die a u f F i n n i s c h 1954

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos vom „alten Marschall" 189 Marschalls von seinem engsten Mitarbeiter General Erik Heinrichs

Mannerheim. Suomenkohtaloissa I-II. (Mannerheim. E i n finnisches

Schicksal I-II) sowie anderer Arbeiten, u.a. von Stig Jagerskiold, die i n den 60-80er Jahren herausgegeben wurden^?.

Die Enthiillung des Denkmals i m Jahre 1960, an der eine grosse Menschenmenge teilnahm, war ein deutliches Zeichen dafiir, dass der Soldat, „vanha Marski" ohne Zweifel einen unbestritten festen Platz i n seinem Yolk gefunden hat. Der Jurastudent Jouni Sarkka stellte aus diesem Anlass fest: „So lange das Denkmal stehen wird, so lange wird auch das finnische Yolk auf eigenen Fiissen stehen, frei und unabhangig (...) ais Sjmtibol unseren Willens, eine selbstandige Nation zu sein"38.

In den 60er Jahren setzte aber i n Studentenkreisen auch eine Dis­ kussion ein, die sich mit dem tradierten Bild Mannerheims ais Soldat und Fiihrer der Nation kritisch auseinandersetzen wollte. Die i n seinem Bild enthaltene nationale Symbolik reichte nicht mehr aus, u m seine ganze Person auch ais Mensch und nicht nur Soldat wiirdigen zu kon­ nen. Die K r i t i k kam zuerst aus den Kreisen kommunistischer Studen­ ten, die um die Studentenzeitung Ylioppilaslehti gruppiert waren. Yon dort kamen Impulse zu einer anderen, kritischen Beschaftigung m i t seinem Mythos: „Ein anderer Marski, Yerteidiger unserer Hauser, ein kluger und guter Yater des unterdriickten Yolkes hat seine menschli-chen Ziige vóllig verloren. Wir diirfen von ihm nur feierlich spremenschli-chen, wenn wir friiher festgelegte Schemata benutzen. Man darf nicht iiber ihn diskutieren. Alles ist in bester Ordnung, wenn er nach seinem Tode ais Mensch noch mehr zu den Yerstorbenen gehort und fiir uns lediglich ais unpersonliches Ideał fortlebt"39.

In die Auseinandersetzung m i t dem Mythos des „vanha Marski" griff" vor allem die finnische Literaur ein, die i n gewissem Grade die Funktion der historischen Forschung in Finnland, die sich m i t der jiing­ sten Yergangenheit und mit den finnischen Mjrthen, darunter m i t dem um Mannerheim, schwertat, iibernahm. Sie wurde vor allem zum Sprachrohr der Gefiihle und Stimmungen der Finnen i m gesellschaftli-Der unbekannte Soldat, ais i n der finnischen Gesellschaft; eine lebhafte D i s k u s s i o n iiber

die finnische A r m e e i m Zweiten Weltkrieg u n d das B i l d des einfachen Soldaten eingelei-tet wurde. I n seinen Memoiren meidet M a n n e r h e i m m a n c h m a l bewusst kontroverse

Momente - deshalb w i r d i h m von den jiingeren Historikern vorgeworfen, dass er i n der Darstellung der Ereignisse des Krieges u n d der damaligen Politik nicht i m m e r ehrlich sei. Vg]. Michał Kopczyński, M a n n e r h e i m - bohater kontrowersyjny ( M a n n e r h e i m - ein kontroverser Held) [in:] M a n n e r h e i m , Wspomnienia, op. cit., S . 5-14.

3' M e h r iiber die Arbeiten von Stig Jagerskiold u n d anderen Autoren, die die Person des Marschalls behandeln siehe u.a. i n : M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i n e n , op. cit., S. 3 2 f , 42, 7 8 , 1 3 8 f , 150f

38 Zit. nach L a u r a Kolbe, M a r s k i - I h m i n e n , wie oben, S. 94. 39 Ylioppilaslehti 1962, zit. wie oben, S . 96.

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chen und pohtischen Bereich. Denn eś fehlte i n den 50er und Anfang der 60er Jahre an entsprechender historischer Forschung. Den hterarischen „Krieg" und die Diskussion zur jiingsten finnischen Yergangenheit leite­ te Yaino Linnas Roman Der unbekannte Soldat von 1954 ein, der vor allem eine vernichtende K r i t i k mancher runebergschen Ideale und des Mythos vom einfachen Finnen, dem finnischen Soldaten und Offizier brachte. Linna setzte sich darin jedoch nicht mit dem Mythos des „vanha Marski" auseinander - die Zeit war dafiir noch nicht reif.

I n den Jahren 1960-62 erschien Paavo Rintalas Trilogie iiber Man­ nerheim Mummoni ja Mannerheim 1-3 (Meine Grossmutter und Man­ nerheim), die ais erstes literarisches Werk nach dem Tod des Marschalls bemiiht war, sich m i t dem Mjrthos um seine Person auseinanderzuset-zen. I n einem Yergleich des Lebens des Marschalls m i t dem Leben sei­ ner Grossmutter, einer einfachen Frau aus dem Yolke, wollte der Schriftsteller i m Bild des „vanha Marski" vor allem auf die menschli-chen Ziige seines Helden hinweisen. Er wollte den Mythos um seine Per­ son „vermenschlichen", wollte den Finnen nahelegen, dass Mannerheim nicht nur der „alte Marschall", ein idealer Soldat und ein moderner fin­ nischer Mjrthos war, sondern auch ein ganz normaler Mensch mit all seinen Schwachen und Starken, dem i n der finnischen gesellschaftli­ chen, politischen und militarischen Geschichte eine nicht unwesentliche Rolle zugefallen war, und der diese Rolle nach seinen Yorstellungen zu erfiillen hatte. Rintala war also bemiiht, den lebhaften Charakter des Helden, seine wichtigsten, fiir seine ganze Lebenshaltung entscheiden­ den Charakterziige, seinen Humanismus und seine Denkweise aufzuzei-gen - es sollte ein Menschenbild entstehen, das von allem Pathos, von all seinen „mjrthischen" und bewusst „mjrthologisierten" Ziigen frei war. Die Trilogie fiihrte zu einer grossen und lebhaften Diskussion i n der finnischen Óffentlichkeit. Auch diesmal - ahnlich wie beim Roman von Yaino Linna Der unbekannte Soldat - bildeten sich zwei klare Fronten. Auf der einen Seite (Anhanger des bisher offiziell propagierten Bildes von Mannerheim) behauptete man, dass der Schriftsteller ein Bild

ge-schaffen habe, das den „vanha Marski" verleumdet, eine Karrikatur dar-stelle; denn Rintala sei vor allem bestrebt, seinen Helden ais „Lebens-geniesser und Streber" darzustellen. Auf der anderen Seite wurden Stimmen laut, dass Dank dem neuen Bild „der einstige grosse Mensch noch grosser wurde, ais seine bekannten Charakterziige und -besonderheiten (unverbliimt) gezeigt wurden"*^. Besonders der dritte Teil der Trilogie deckt Gedanken und Yerhalten des Marschalls wah­ rend des Fortsetzungskrieges auf, seine Krankheit, Ermiidung, Enttau-schung und seinen Uberdruss, die seine Gestalt in einem ganz neuen

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„Vanha Marski" - Der finnische Mythos uom „alten Marschall" 191 Licht erscheinen hessen. „Diese dritte Riickkehr des Marski (im Roman - B.M.) wird gewiss viele Behauptungen entstehen lassen, weil die Ge­ danken und Reden des Fiihrers unkonventionell sind. Er ist miide, weise und erweckt Mitleid"*i.

I n Finnland waren die 60er Jahre fiir die Abrechnung mit den fin-nisch-nationalen Mjrthen giinstig. Den Anfang hatte kurz zuvor bereits Yaino Linnas K r i t i k am runebergschen Mythos des Finnen und Soldaten gemacht. Jetzt waren auch traditionelle Autoritaten, darunter der na­ tionale Mjrthos - Carl Gustaf Mannerheim ais Mensch und Soldat - an der Reihe. I n Studentenkreisen fiihrte man damals lebhafte Diskussio-nen iiber Krieg und Frieden, Pazifismus und Militarismus, Demokratie und neue finnische Aussenpolitik. Das bedeutete eine Herausforderung fiir jene, die sich mit der Person des Marschalls beschaftigten. Denn dem Beispiel Rintalas folgend wollte man jetzt ganz besonders auf jene Cha­ raktereigenschaften hinweisen, die zum Mjrthos vom „alten Marschall Mannerheim" gar nicht passten. Bewusst war man bemiiht, seine „my-thischen" Eigenschaften, seine innere Ka-aft, Einsamkeit und Isolation den gewdhnlichen menschlichen Eigenschaften gegeniiberzustellen, um auf diese Weise ein vollstandiges Bild des Marschalls - i m Gegensatz zu dem tradierten Bild, i n dem „Marski und Mannerheim zum Sjrnonjnn geworden sind und Marski kein Mensch mehr war" - zu erhalten*^.

Der linkę Radikalismus (revoltierende Studentenbewegung), die neue Linie i n der Aussenpolitik (Kekkonens Bemiihungen, eine sowjet-freundliche Politik zu fiihren) sowie neue Tendenzen i n der finnischen Geschichtsschreibung (Yersuch, die Bedeutung der Kontinuitat der na­ tionalen Tradition zu relativieren) der 60er und 70er Jahre fiihrten da­ zu, dass der Mythos vom „vanha Marski" nicht allzu sehr zur offiziellen Politik des Staates und zu pazifistischen Tendenzen mancher links-orientierter Kreise passte - alte Bilder, die den „demokratischen" Idea­ len nicht entsprachen, soUten unbedingt beseitigt werden^^.

••i So Aimo Moilanen, der Rezensent der Studentenzeitung Ylioppilaslehti, die i m

J a h r e 1962 - n a c h der Yeroffentlichung des S.Teiles der Trilogie - eine D i s k u s s i o n iiber M a n n e r h e i m i m alten Gebaude der H e l i s i n k e r U n i v e r s i t a t vorgeschlagen hat. Zit. n a c h L a u r a Kolbe, M a r s k i - I h m i n e n , wie oben, S . 97. D a m i t w u r d e die „Yermenschlichung" des Mythos von dem Soldaten M a n n e r h e i m eingeleitet. E b e n d a .

42 So der R e d a k t e u r Arvo Salo von Ylioppilaslehti, der 1962 u m eine

Zusammefas-sung der D i s k u s s i o n bemiiht w a r . Zit. n a c h L a u r a Kolbe, M a r s k i - I h m i n e n , w i e oben, S. 98.

43 D e r linkę R a d i k a l i s m u s i n den linksorientierten Studentenkreisen der 70er J a h r e u n d seine Y e r s u c h e , eine linksorientierte (hier: kommunistische) Interpretation der G e ­ schichte i n F i n n l a n d durchzusetzen, fiihrten d a z u , dass M a n n e r h e i m ais „Klassenfeind" eingestuft wurde. Y g l . dazu a u c h M a x Jacobson Diplomattien talvisota. S u o m i m a a i l -manpolitikassa, Porvoo 1979, der i n der E i n f i i h r u n g z u r 5.Auflage des B u c h e s S . I I I - I Y jedoch u.a. feststellte: „ais die Sohne u n d Tochter der Helden des Winterkrieges das B e

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-Die 80er Jahre, die nicht nur i n Finnland fiir ein gesteigertes Inter­ esse an grossen Personlichkeiten des 19. und 20. Jhs. giinstig waren**, brachten eine weitere Phase i n der Beschaftigung mit der Person des Marschalls und seinem Mythos. Eine Wende brachten die Werke des Schriftstellers Yeijo Meri Suomen Marsalkka C.G. Mannerheim (Finn­ lands Marschall C.G.M.) und des Historikers Martti Ahti Salaliiton

ad-riuiiuat (Umrisse des Geheimpaktes), die seine Bedeutung fiir die

neue-ste Geschichte des Landes hervorhoben und somit auch zur Belebung seines Kultes beitrugen. Meri war i n seinem Buch, das in der damaligen Zeit ais eine bedeutsame Interpretation der Person des Marschalls be­ trachtet wurde, bemiiht, „aus dem Inneren des Denkmals einen lebendi-gen Menschen hervorzuholen und die Etappen seines Lebens in einer sich schnell und standig verandernden Welt aufzuzeigen"*^. Es war eine grosse Uberraschung fiir Meri selbst, ais er sich intensiver mit dem Mjd;hos und den Quellen zum (besonders privaten und gesellschaftlichen) Leben des Marschalls zu beschaftigen begann, dass dieser bis zum Ende seines Le­ bens solche Eigenschaften wie Humanismus, Lebenswillen, sensible Seele und Offenheit (kosmopolitische Denkweise) bewahren konnte.

1992 wurde an der Universitat Helsinki eine Yortragsreihe iiber Mannerheim veranstaltet, die sich grosser Beliebtheit erfreute und eine Belebung der Diskussionen um den „alten Marschall" zur Folgę hatte*^. 1995 fand i m Ausland, i n Berlin, ein wissenschaftliches deutsch-finnisches Sjrmposium statt, das sich zum Ziel setzte, die Person und die Rolle Mannerheims i m Zweiten Weltkrieg aus finnischer und deutscher Perspektive darzustellen*^.

Das Symposium setzte sich zum Ziel vor allem dem deutschen (aber auch dem europaischen) Leser, die Leistungen Mannerheims zu prasen-tieren; auf diese Weise sollte geholfen werden, Finnlands

Nachkriegsge-durfnis hatten, die Gótter i h r e r E l t e r n vom Denkmalsockel z u stiirzen, empfand die neue Generation der 70er J a h r e eine S e h n s u c h t n a c h T h e m e n , die die Fortsetzung des natio­ n a l e n L e b e n s fordem w u r d e n " ; vgl. ebenfalls J u h a n i N i e m i : 1988, op. cit. S. 109.

4* Y o r allem B i s m a r c k i n Deutschland (auch i n der D D R konnte m a n Anzeichen fiir die Pflege seines K u l t e s sehen), de G a u l l e i n F r a n k r e i c h u n d C h u r c h i l l i n E n g l a n d .

45 Yeijo M e r i , zit. n a c h L a u r a Kolbe, M a r s k i - I h m i n e n , wie oben, S . 107.

*6 Die i m J a h r e 1992 vom U n i v e r s i t a t s v e r l a g i n H e l s i n k i veroffentlichten Yortrage s i n d bemuht, dem L e s e r eine neue F e r s p e k t i v e sowie neue Uberlegungen zur Person des M a r s c h a l l s M a n n e r h e i m z u vermitteln; vgl. M a n n e r h e i m . Sotilas j a i h m i n e n , op. cit.

4 ' Die Konferenz bot i n den vorgestellten Beitragen den gegenwartigen Gesichts-p u n k t sowohl der finnischen ais a u c h der deutschen Seite a n - i n beiden Stellungnahmen w i r d die Y o r s i c h t betont, mit der M a n n e r h e i m Deutschland u n d insbesondere die Z u ­ sammenarbeit mit dem D r i t t e n R e i c h betrachtete. Y g l . Schicksalsschwere Zeiten. M a r ­ schall M a n n e r h e i m u n d die deutsch-finnischen Beziehungen 1939-1945. H r s g . von A h t i J a n t t i / M a r i o n H o l t k a m p . Yortrage des a m F i n n l a n d - I n s t i t u t i n Deutschland, B e r l i n , abgehaltenen S y m p o s i u m s vom 16. Oktober 1995. B e r l i n Y e r l a g A r n o Spitz G m b H 1997.

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„Yanha Marski" - Der finnische Mythos vom „alten Marschall" 193 schichte und -aussenpolitik besser zu verstehen, die nach Hans-Dietrich Genscher, dem langjahrigen Aussenminister der Bundesrepublik Deutschland, einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der poli­ tischen Lage i n Nordeuropa geleistet hat. I n seinen Memoiren wiirdigt Genscher die finnischen Errungenschaften und Leistungen, darunter auch die Leistungen und die Person des Marschalls und des Prasidenten Mannerheim*^. Beide Seiten waren bemiiht, das „wirkliche" Bild des Marschalls zu vermitteln und sich m i t dem Mythos um seine Person auseinanderzusetzen. Auch wenn sich die Yorstellung seiner Person, seiner Tatigkeit ais Oberbefehlshaber der finnischen Streitkrafte und seiner Yerdienste um Finnland und seine Armee i n den „finnischen Kriegen" auf realistischem Boden bewegt, lasst sich nicht bestreiten, dass eine A r t Bewunderung fiir seine Person und seine Leistungen i m Hintergrund zu spiiren ist.

Eine deutliche Widerspiegelung dieser Bewunderung sind Tenden­ zen und Beitrage i n der finnische Presse, die verstarkt i n den 90er Jah­ ren des 20. und zu Beginn des 21. Jhs. erschienen sind. Sie sind bemiiht, sich mit dem Mythos des „alten Marschalls" auseinanderzusetzen und aus seiner Gestalt das auf die Oberflache zu fórdern, was Legendę und was Wahrheit ist. Und so versucht man i n Form einer (gezielten) Rund-frage z.B. auf jene Eigenschaften des Marschalls und jene Aktivitaten einzugehen, die ein Panoramabild seiner Person ergeben konnen und die angeblich i n den bisherigen Yeroffentlichungen ausgelassen wurden. Sie betonen die Grosse Mannerheims und seiner Leistungen nicht nur aus finnischer sondern auch aus europaischer Perspektive. Unterstrichen wird dabei, dass er vor allem ein lebendiger Mensch, ein grosser Finne war, dessen Person nicht nur ais reiner Mythos, sondem ais ein Mensch mit all seinen positiven - aber auch negativen - Eigenschaften zu be­ trachten sei*9.

Seit 1999 erscheint bei verschiedenen feierlichen Anlassen und Fei­ erlichkeiten i m Saal des Theaterklubs in Mikkeli, der Stadt i n Zentral-finnland, wo sich wahrend des Krieges das Hauptąuartier der finnischen Armee befand, wie von den Toten auferstandene Person des Marschalls Mannerheim; es ist der Schauspieler des dortigen Theaters Timo Nar-hinsalo, der sich jedes Mai i n die Gestalt des Marschalls verwandelt. Die Idee, ais Marschall nicht nur auf der Biihne, sondern auch i m Klub auf­ zutreten, kam nach der Auffiihrung des Theaterstiicks von Paavo

Haa-*8 V g l . H a n s - D i e t r i c h Genscher, E r i n n e r u n g e n , B e r i i n 1995, S . 308; a u c h E d g a r Hosch, Eroffnung [in:] Schicksalsschwere Zeiten, wie oben, S . 13.

49 Y g l . u.a. E e v a - K a a r i n a Aronen, Y k s i n a i n e n r a t s a s t a j a , op.cit., S . 53 - 64, wo die Frage gestełlt w i r d , w a s fiir e i n M e n s c h sich hinter M a n n e r h e i m s R e i t e r d e n k m a l v e r -birgt? W a r er e i n s a m ? Konnte er lacheln u n d lachen? usw.; vgl. a u c h M a u r i S o i k k a n e n , Mannerheim r a t s a s t a a t a k a i s i n Yenajalle, op. cit., S . 42-45

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